Love Me Gender1 - Wir machen Kunst weil, es die feministische

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J O H A N N A S CH A F F E R
Love Me Gender 1
Mein Text will Informationen darüber bereitstellen, was der
Ausstellung Wir machen Kunst, weil es die feministische/
politische/gesellschaftliche/meine Situation erfordert inhaltlich
und strukturell voranging. Dazu werde ich zunächst die Inhalte
meines Gender Studies-Seminars, aus der die Ausstellung
hervorging, und knapp deren strukturelle Bedingungen
beschreiben. Es folgen Bemerkungen zum Logo der Ausstellung, die pinkelnde Figur im Kleid, und abschließend stelle
ich kurz dar, was ich für die politischen Konsequenzen eines
gegenwärtigen Stands aktueller Geschlechterforschung halte.
Das Seminar
Im Rahmen eines Zweijahresvertrags über eine Assistenzstelle im halben Beschäftigungsausmaß, finanziert aus
staatlichen Mitteln zur Profilbildung der Kunstuniversität Linz
im Bereich Gender Studies, begann ich im Oktober 2006
an der Abteilung Kunstgeschichte und Kunsttheorie/Schwerpunkt Gender Studies mit der Lehrveranstaltung Wir machen
[Kunst], wenn es die politische Situation erfordert. Gender
Studies, Feministische Theorien - was davon heute wie? 2
Das Seminar adressierte alle Student_innen3 der Kunstuniversität mit Lust und Interesse daran, sich auf verschiedenen Ebenen mit Geschichte und Gegenwart von
Gender Studies und feministischen (und queeren und
antirassistischen) Theorien zu beschäftigen, um entlang
dieser Auseinandersetzung eigene künstlerische Arbeiten
mit Blick auf eine gemeinsame Ausstellung und einen Katalog
zu entwickeln. „Wir machen Filme, wenn es die politische
Situation erfordert“, sagt eine der Protagonistinnen in Hanna
Laura Klars Film Das schwache Geschlecht muß stärker
werden, den sie 1969 als Studentin der Hochschule für
Gestaltung in Ulm herstellte. In dem Film diskutieren sechs
junge Filmemacherinnen das Verhältnis von Geschlecht,
Patriarchat und Ausbeutung (z. B. im Rahmen von Hausarbeit,
Kinderversorgung, Lohndumping). Und sie propagieren
feministisch-antikapitalistische Gegenmaßnahmen. An diesen
Satz einer Filmmacherin, an den Film und an die Geschichte
feministischer Theorien und Ästhetiken lehnt sich also der
Seminar- und auch der Ausstellungstitel an.
Ausgangspunkt des Seminars war folgende Behauptung: Auch
wenn die Vorstellung von nur zwei Geschlechtern, eins davon
noch dazu schwächer, für manche heute vermutlich zwischen
veraltet und peinlich oszilliert, lohnt sich fast vierzig Jahre später
die Bezugnahme auf den Film - formal und inhaltlich. Warum?
Weil vieles, was junge Frauen und Männer und Transpersonen
und andere heute an Kunsthochschulen herstellen, ohnehin 1.
auf derartige Produktionen Bezug nimmt, ohne es vielleicht zu
wissen, 2. weil Retro Spaß macht, 3. weil es immer noch
Ausbeutung und 4. eine Gewalt der Geschlechterverhältnisse
gibt. Und vieles andere mehr.
Im Mittelpunkt der inhaltlichen Auseinandersetzung im Seminar
standen drei thematische Schwerpunkte und die Geschichte
ihrer Diskussionen in den Gender Studies und den
feministischen Theorien:
1) Reproduktionsverhältnisse (linke, antikapitalistische Kritiken
am Verhältnis von Arbeit, Geschlecht, Sexualität). Auf diesen
Schwerpunkt verwies im Seminar das Buch von Shulamith
Firestone, The Dialectic of Sex, New York: Morrow 1970
[Dt. Frauenbefreiung und sexuelle Revolution, Übersetzung
Gesine Strempel-Frohner, Frankfurt/Main: Fischer 1975].
2) Antirassismus, Kritik an rassistischen, antisemitischen,
(post)kolonialen gesellschaftlichen Verhältnissen. Dazu
diskutierten wir Katharina Oguntoye, May Opitz (Ayim) und
Dagmar Schultz (Hg.), Farbe bekennen. Afro-deutsche
Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, Frankfurt/Main:
Fischer 1997.
3) Queeres 4 Denken, Kritik an Heteronormalität und
Heteronormativität. Ausgangspunkt dieses Schwerpunkts
war Monique Wittigs Buch The Straigth Mind, Boston:
Beacon Press 1992, darin „One Is Not Born A Woman“,
erstmals erschienen 1980 und 2003 als „Wir werden nicht
als Frauen geboren“ von Luis Lüdicke übersetzt für die
Zeitschrift IHRSINN. Eine radikalfeministische Lesbenzeitschrift 27, S. 8-19.
Auf diese drei inhaltlichen Dimensionen wollte ich die
theoretisch-wissenschaftliche Diskussion des Seminars
konzentrieren, da sie grundlegend an der Herausbildung
feministischen Wissens als politischer Kritik und Wissensressource beteiligt sind und waren. Im Rahmen der
universitären Erfolgsgeschichte der Institutionalisierung
feministischer Theorien als Gender Studies allerdings werden
diese Dimensionen (vor allem in Österreich?) immer wieder
marginalisiert. Dabei sind beispielsweise Shulamith Firestones
„The Dialectic of Sex“ und Monique Wittigs „The Straight
Mind“ aus einer heute in den Gender Studies durchaus
hegemonialen Perspektive der Konstruiertheit und Fiktionalität
der Geschlechter atemberaubend radikal, und das von
Katharina Oguntoye, May Opitz (Ayim) und Dagmar Schultz
herausgegebene Buch „Farbe bekennen“ ist gerade für die
Entwicklung eines deutschsprachigen Wissens und einer
antirassistischen Kritik aus Schwarzer 5 feministischer
Perspektive von initialer und wegweisender Bedeutung.
Daher möchte ich hier – zum Lust machen auf ein Weiterlesen
und auch weil keiner der Texte auf Deutsch im Handel noch
zu haben ist (außer antiquarisch) – zwei kurze Textausschnitte
zitieren. Sie sollen die Aktualität der Argumentationen dieser
Texte verdeutlichen.
Monique Wittig, Wir werden nicht als Frauen geboren:
„Eine materialistisch-feministische Annäherung an das Thema
Unterdrückung der Frauen zerstört die Idee von Frauen als
„natürliche Gruppe“. (…) Das Matriarchat ist nicht weniger
heterosexuell als das Patriarchat: lediglich das Geschlecht
der Unterdrückenden ist ein anderes. Darüber hinaus hält
dieses Konzept immer noch an den Geschlechterkategorien
Mann und Frau fest und ist außerdem der Idee verhaftet,
dass Frauen über ihre Gebärfähigkeit (die Biologie) definiert
werden. (…) Wenn wir zugestehen, dass es eine „natürliche“
Unterscheidung zwischen Frauen und Männern gibt,
naturalisieren wir die Geschichte, setzen wir voraus, dass
es immer „Männer“ und „Frauen“ gegeben hat und immer
geben wird. Nicht nur naturalisieren wir so die Geschichte,
als Konsequenz dessen naturalisieren wir zudem die
gesellschaftlichen Phänomene, die unsere Unterdrückung
ausdrücken. So verunmöglichen wir Veränderungen.” (S. 8
u. 10. Übersetzung leicht verändert, js)
Und aus dem Vorwort der zweiten Auflage von Farbe
bekennen, herausgegeben von Katharina Oguntoye, May
Ayim und Dagmar Schultz:
„Seit die erste Ausgabe von „Farbe bekennen“ veröffentlicht
wurde, hat sich einiges in der weißen Frauenbewegung
getan: Afro-deutsche Frauen haben weiße Frauen bei
Lesungen, Diskussionen und in privaten Kreisen mit ihrer
Unfähigkeit oder ihrem Unwillen, sie als Schwarze Deutsche
anzuerkennen, konfrontiert. Gleichzeitig haben Immigrantinnen
und Flüchtlinge weiße Frauen herausgefordert, mit der Angst,
Konkurrenz und Distanz umzugehen, die sie in dem Verhalten
weißer Frauen ihnen gegenüber empfinden. Jüdinnen haben
öffentlich den Antisemitismus von christlichen deutschen
Frauen angesprochen, die jüdische Frauen nicht als solche
wahrnehmen, um Schuldgefühlen aus dem Weg zu gehen.
Langsam beginnen weiße Frauen zu realisieren, dass
Verantwortung übernehmen eine notwendige und konstruktive
Alternative dazu ist, von Schuldgefühlen gelähmt zu sein.
Die wachsende Gefahr von der Rechten und die Aussicht
auf ein Europa, das vereint gegen Afrika, Asien und Lateinamerika auftritt, hat es noch dringender gemacht, direkt mit
unserer Verwicklung in den Rassismus und Antisemitismus
dieser Gesellschaft umzugehen, anstatt die Beschäftigung
mit Rassismus und Antisemitismus lediglich als ein
intellektuelles Unternehmen zu betreiben.” (S. 14)
Als parallele Auseinandersetzung zu dieser Text- und Theoriebasierten Arbeit durchzog das Diskutieren ästhetischer
Formen das Seminar als zweite inhaltliche Ebene.
Grundlegend dabei war die Frage, wie eine Darstellung
vermeiden oder zumindest minimieren kann, dass sie das,
was sie kritisieren will, gleichzeitig auch bestätigt und
bekräftigt. Ausgangspunkt dieser Diskussion um ästhetische
Formen bildeten drei Filme mit den oben genannten
Schwerpunkten: Hanna Laura Klars Film Das schwache
Geschlecht muß stärker werden; Lizzie Bordens Born in
Flames 6; und schließlich Elisabeth Scharangs Dokumentarfilm
Tintenfischalarm 7.
Als dritte inhaltliche Ebene schließlich war mir wichtig, aus
der Perspektive einer feministischen und herrschaftskritischen
Pädagogik, die auf die Ermächtigung vorhandenen Könnens
und widerständiger und reflexiver Wissensformen bedacht
ist, die Bedingungen zu adressieren, unter denen die
gemeinsame Arbeit im Seminar stattfindet. Ermöglicht werden
sollte so ein Mitdenken der Bedingtheiten der jeweils eigenen
Handlungsmöglichkeiten – auch, um eine Vorstellung davon
zu erhalten, wie und wo diese Handlungsmöglichkeiten
erweitert werden können. Thematisiert wurde so zum Beispiel,
wer beteiligt ist am Zustandekommen unserer Arbeitssituation
sowie ihrer Finanzierung durch Mittel des Bundesministeriums,
und was dies an Aufladung durch mögliche Repräsentationswünsche von verschiedenen Seiten bedeutet (inklusive meiner
eigenen, als Leitende des Projekts). Bestandteil dieser
Vermittlungspraxis war schließlich immer wieder die Reflexion
der gemeinsamen Kommunikation und des gemeinsamen
Umgangs miteinander.
Als an einer Kunstuniversität Lehrende, die theoretische und
wissenschaftliche Wissensproduktion unterrichtet, gilt mein
primäres Interesse einer Untersuchung des gesellschaftlich
reflexiven Potentials visueller und textueller Produktionen.
Dazu gehe ich von einer Situation aus, an der Student_innen
als in Ausbildung begriffene Künstler_innen beteiligt sind,
die alle ein spezifisches Können bereits aufweisen – nicht
zuletzt auch ein Können darin, sich auf der Ebene ihrer
jeweiligen künstlerischen Arbeiten gegenseitig zu unterstützen
und zu provozieren. An meiner Lehrveranstaltung nehmen
sie teil, weil sie sich auch theoretisch-wissenschaftliches
Können und Wissen in Auseinandersetzung erarbeiten wollen,
für die ich das Material und die Ausgangsorganisation
bereitstelle. Ihnen möchte ich vermitteln, dass die Möglichkeit
und Fähigkeit zu theoretischer Auseinandersetzung ein
enormes Ermächtigungspotential enthält – ebenso wie das
Potential, sich von bekannten Wissenspfaden weg- und
woanders hin tragen zu lassen.
Selbstredend passt diese didaktische Haltung bestens zu
den Erfordernissen eines zeitgenössischen Kunstbetriebs.
Anders gesagt stellt es für Künstler_innen heute eine enorme
berufliche Erleichterung, wenn nicht sogar eine Voraussetzung
dar, in der Auseinandersetzung und auch der Produktion
textuellen und theoretischen Wissens geübt zu sein. Darüber
hinaus aber halte ich die skeptische Aufmerksamkeit
gegenüber jeglicher Form der Disziplinierung von Wissen für
eine politische Notwendigkeit (mit ehrwürdiger feministischer
und linker, marxistisch-sozialistischer Tradition) – in meinem
Berufsfeld zum Beispiel dort, wo eine unhintergehbare und
kategoriale Differenz zwischen Kunst und Theorie bzw.
Wissenschaft behauptet wird. Diese autoritätskritische
Skepsis hat nichts gemein mit einer (Einsparungs-freudigen)
Argumentation für die Abschaffung von hoher Spezialisiertheit
und hohem Fachkönnen. Aber mit ihr will ich sehr wohl
eintreten für die kontinuierliche Hinterfragung aller institutionellen und autoritären Verknappungen der Möglichkeiten,
vielfältiges, widerständiges und vor allem reflexives Wissen
zu produzieren.
Zum Logo der Ausstellung: Stehend pinkeln im Kleid
oder „Calling All Toilet Revolutionaries“8
Als Katharina Loidl ihre ersten Entwürfe für die Einladungskarte
der Ausstellung präsentierte, war die überwiegende Mehrheit
der Seminargruppe für die Karte mit der Figur im Kleid, die
im Stehen pinkelt (alias Pissmädchen alias pinkelnde Lady).
Zum Glück – denn ich wollte das Logo auch – war niemand
unversöhnlich dagegen. Ich plädierte für das Logo, da es
auf einen gegenwärtigen Diskussionsstand der Gender
Studies/Geschlechterstudien verweist, und das zudem aus
einer weiblich markierten Sprecher_innenposition (im Kleid!).
Gemeint ist jener Diskussionsstand, von dem aus Einsprüche
gegen eine heteronormative = zwangszweigeschlechtliche
Ordnung formuliert werden. Dieses Geschlechtersystem
wird angegriffen, da es Leute zwingt, eindeutig eins von nur
zwei Geschlechtern zu sein und die jeweiligen sexuellen
Wünsche an Personen des anderen Geschlechts zu richten.
Die Gewalttätigkeit dieser binären Ordnung wird in queeren
Zusammenhängen oft anhand der heteronormativen Logik
öffentlicher Toiletten diskutiert:
„Kürzlich auf dem Weg zu einem Vortrag in Minneapolis
musste ich am Chicagoer O’Hare Flughafen umsteigen. Vom
Bedürfnis getrieben, die öffentlichen Einrichtungen zu nutzen,
mich frisch zu machen, mich zu erleichtern und andere derartige Euphemismen betrat ich zielbewusst die Frauentoilette.
Kaum hatte ich die Toilettenkabine betreten, klopfte jemand
an die Tür: „Hier ist der Sicherheitsdienst, öffnen Sie!“ (…)
Einmal mehr war ich für einen Mann oder Jungen gehalten
worden, und irgendeine Frau (die wovor genau Angst hatte?)
hatte den Sicherheitsdienst gerufen (…) [D]ass das eigene
Geschlecht von anderen in Zweifel gezogen wird, ist ein
häufiges Vorkommnis im Leben vieler androgyner oder
maskuliner Frauen. Tatsächlich geschieht das derart häufig,
dass zu fragen ist, ob die Kategorie „Frau“ als Bezeichnung
für öffentliche Einrichtungen nicht völlig überholt ist. (…) Das
Toilettenproblem bringt allen daran Beteiligten die sonst
unsichtbar bleibenden Geschlechtsstandards und deren
Verletzung zu Bewusstsein, und es lässt uns empört gegen
jene Gesetze aufbegehren, die Frauen an Weiblichkeit binden.
Tatsächlich bringt der Vorwurf „Sie sind im falschen Klo“
zwei unterschiedliche Dinge zum Ausdruck. Erstens wird
hier verkündet, dass mein soziales Geschlecht nicht mit
meinem anatomischen Geschlecht übereinstimmt (zwischen
meiner offensichtlichen Männlichkeit oder Androgynie und
meinem vermeintlichen weiblichen Geschlecht herrscht
Unstimmigkeit); zweitens wird suggeriert, dass Toiletten, die
als für nur ein Geschlecht bestimmte ausgewiesen sind, nur
für die da sind, die eindeutig in die eine (männlich) oder die
andere (weiblich) Kategorie passen.“ (Judith Halberstam, The
art of gender: bathrooms, butches, and the aesthetics of
female masculinity, in: Jennifer Blessing (Hg.), Rrose is a
rrose is a rrose: Gender Performance in Photography, New
York: Guggenheim Museum, 1999, S. 176-189, S. 176.
Übersetzung js)
Bei dem von Judith Halberstam diskutierten Problem handelt
es sich nicht um zufällige Wahrnehmungsfehler Einzelner,
die in queeren Belangen uninformiert sind. Kritisiert wird hier
ein herrschendes Darstellungs- und Wahrnehmungssystem,
das bestimmte Weisen, ein Geschlecht zu leben, wahrnehmbar und lesbar macht – als normale Frau, als echter Mann,
und andere in eine Sphäre des Unlesbaren, Nicht-Existenten,
Unmöglichen, Abnormen, Nicht-Echten verweist. Und das
ist Darstellungsgewalt: denn nicht echt, nicht wirklich, unwahr
(kein echter Mann, keine Frau, so wie Frauen sein sollen,
dieses Begehren eine jugendliche Absurdität, die sich
auswachsen wird) genannt zu werden, produziert nicht nur
eine Form der Unterdrückung (über die sich im übrigen das
Echte, das Wirkliche, das Wahre bestimmt), sondern eine
Form der „entmenschlichenden Gewalt“9, die sich über den
Status oder besser: Nicht-Status der Unlesbarkeit herstellt.
Produktion des Normalen und dessen, was als Abnormalität
gilt, anzutreten. Die oft scheinbar leichtfüßig wirkende Ironie
der Arbeiten ist aber vehement im Anspruch, in einer oft
gewaltsam verlaufenden Normalitätsherstellung Zwischenräume zu öffnen. Verschiebungen entstehen durch einen
kritischen Umgang mit der Frage, wie ständig sich wiederholende Zuschreibungen einer patriarchalen und heteronormativen Realität unterbrochen werden können. Damit
setzen die Arbeiten an einem Wissenstand gegenwärtiger
Geschlechterstudien an, der eine enorme politische Herausforderung zu bieten hat. Denn wie sind diese Forderungen
nach Geschlechternormen-kritischen Räumen im politischen
Alltagsgeschäft umsetzbar, zum Beispiel an einem dezidiert
dem Gender Mainstreaming verpflichteten Arbeits- und
Ausbildungsort, der gegen eine Benachteiligung von Frauen
vorgehen will – und auch allen Grund dazu hat?10 Denn
bereits diese Formulierung – gegen eine Benachteiligung
von Frauen vorgehen – beinhaltet eine Blindheit gegenüber
diversen gleichzeitig wirksamen Diskriminierungsachsen,
und eine Blindheit dafür, dass sich diese Rede in der Praxis
zunehmend und zunehmend ausschließlich an bürgerlichen
weißen heterosexuellen österreichischen Passinhaberinnen
ausrichtet.
Eines der zeitgenössisch relevantesten Themen der Gender
Studies – relevant für die konkreten politischen Forderungen
ebenso wie für künstlerische und theoretischen Darstellungen
– findet sich in der Frage, wie die Rede (und die Darstellungen
generell) von „Frauen“ ein Wissen darum herstellen kann,
dass die (gesellschaftlich hergestellte) Gruppe oder Klasse
der „Frauen“, oder besser: dass all die Existenzweisen jener
Personen, die als nicht-männlich klassifiziert werden, eine
Vielzahl von möglichen, sehr unterschiedlichen und auch
widersprüchlichen Existenzweisen umfasst.11 Das bedeutet,
politisch sehr wohl von der Gleichheit aller als grundlegend
zu fordernder Gleichberechtigtheit aller auszugehen. Aber
dieser politische Ausgangspunkt muss getragen sein von
einem Wissen um die Effekte, die die unterschiedlichen
Positionierungen entlang der Achsen körperlicher Normentsprechung, sexueller Lebensweisen, Klassen- und Religionszugehörigkeit im Leben weiblicher und transgeschlechtlicher
Personen haben. Besonders betont sei hier jene (rassistisch
informierte) Diskriminierungsachse, die sich darüber herstellt,
ob eine Person Zugriff auf die (staats)bürgerlichen Rechte
und Privilegien des Landes hat, in dem sie lebt, oder eben
nicht. Das verlangt auch nach einem Interesse daran, welche
politischen Forderungen aus den Perspektiven dieser
unterschiedlichen Positionierungen formuliert werden. Und
das heißt nichts anderes, als sich umzusehen, sich
Informationen zu beschaffen, sich auseinander zu setzen mit
den Forderungen anders Positionierter – als allerersten
Schritt im Zuge einer politischen Arbeit an der Gleichberechtigtheit aller Personen, die in einem gesellschaftlichen
Zusammenhang anwesend sind.
Linz, Wien, Juni 2007
Die Ausstellung und ihre Kontexte
1 Das sollte der Titel der Aufstellung sein – bis Anfang März 2007 der
einwöchige Programmschwerpunkt des öffentlich-rechtlichen Radiosenders
FM4 „zum Verhältnis der Geschlechter“ unter genau diesem Titel auf
Sendung ging. Selbstredend befindet sich jegliche Äußerung immer in der
Nähe zu anderen Äußerungen, aber wir beschlossen, uns doch eher Hanna
Laura Klars Filmtitel-Nähe (dazu weiter unten mehr) als die uns inhaltlich
unbekanntere FM4-Nähe auszusuchen.
Mit vielem Dank an Barbara Paul für die Unterstützung bei der Ausarbeitung
von Titel und Form der Lehrveranstaltung und der Ausstellungsumsetzung.
2
Für diese Schreibweise siehe den Artikel „Performing the gap“
(http://arranca.nadir.org/arranca/article.do?id=245): „Um die Illusion zweier
sauber geschiedener Geschlechter aufrecht zu erhalten, kennt unsere
Sprache nur die zwei Artikel „sie“ und „er“ sowie die zwei darauf bezogenen
Wortendungen, zumeist das weibliche „...in“ und das männliche „...er“. Alles,
was außerhalb dieser Ordnung liegt, wird fortwährend verleugnet, denn der
Vorstellungshorizont unserer Sprache ist auf eine binäre Struktur eingegrenzt.
Dagegen möchte ich einen anderen Ort von Geschlechtlichkeit setzen,
einen Ort, den es zu erforschen gilt und um den wir kämpfen sollten, er
sieht so aus: _.“
3
4 Queer (engl. für schräg, sonderbar, falsch; lässt sich gut mit dem deutschen
„pervers“ vergleichen) ist eines der klassischen homophoben und transphoben
Schimpfwörter, hat aber im englischen und US-amerikanischen Sprachraum
seit den späten 1980er Jahren, im deutschen Sprachraum seit Mitte der
1990er Jahre eine Rückaneignung erfahren. Heute wird es zum einen als
Begriff der politischen (Selbst-)Bezeichnung und zum anderen in
theoretischer/kritischer Arbeit verwendet. Zunächst bezeichnete die politische
Verwendung von queer (z.B. in den Gruppen ActUp, Outrage in den USA)
eine Position, die sich gegen Assimilation und Unsichtbarmachung in der
heterosexuellen Normalität richtete. Mittlerweise wird queer zunehmend als
Identitätsbezeichnung all jener Leute verwendet, deren sexuelle Lebensweisen
nicht mit der heterosexuellen Norm übereinstimmen. Als theoretische
Kategorie und Denkbewegung ist queer jedoch grundsätzlich identitätskritisch.
Ausgehend von Sexualität als gesellschaftlicher Analysekategorie ist queere
Theorie einer Kritik an heteronormativen und identitätslogisch operierenden
Ordnungen verpflichtet und arbeitet daran, Klassifikationen anzufechten,
durch die z.B. jene sexuellen/geschlechtlichen Identitäten zuallererst hergestellt
werden, die dann als homosexuelle oder sonstwie perverse „Minderheiten“
zusammengefasst werden.
Schwarz als Adjektiv mit großem Anfangsbuchstaben ist ein politischer
Begriff der (Selbst-)Bezeichnung für Personen und Positionen, die über
Hautfarbe, Religionszügehörigkeit und/oder ethnische Herkunft diskriminiert
werden.
5
USA 1984, ein Sci-Fi: zehn Jahre nach Machtübernahme der „demokratischen Partei“ in den USA hat sich die Lage der Frauen verschlechtert.
Wie also kann die feministische Revolution über Differenzen hinweg organisiert
werden: Bürgerliche mit Revolutionärinnen, Latina- und weiße und schwarze
und hetero- und bisexuelle und lesbische Frauen gemeinsam?
6
A 2005, „Im Herbst 2003 beschließt Alexandra, ihr Leben als intersexueller
Mann fortzusetzen. Aus Alexandra wird Alex Jürgen. Und aus einem
Dokumentarfilmprojekt über Intersexualität entsteht die Geschichte über
einen Menschen, der durch seinen Witz bezaubert und seine Sicht der Welt
erstaunt.“ http://www.tintenfischalarm.at
7
8 Vgl. den Text von Simone Chess u. a., Calling All Restroom Revolutionaries!,
in: Mattilda, aka Matt Bernstein Sycamore (Hg.), That's Revolting: Queer
Strategies for Resisting Assimilation. Brooklyn, N.Y.: Soft Skull Press 2006,
S. 189-206. Siehe auch die Seite von PISSAR UCSB, einer Koalition aus
behinderten und queeren Aktivist_innen am Campus der UC Santa Barbara,
die dafür arbeiten, öffentliche Toiletten zu gewaltfreien Orten zu machen,
besonders für Personen mit Behinderungen und queere Leute:
http://www.uweb.ucsb.edu/~schess/organizations/pissar/
9
Judith Butler, Undoing Gender, London, New York: Routledge 2004, S. 217.
10 Karina
Koller hält in ihrem Text „Gender an der Kunstuniversität Linz“ fest,
dass „die Konstanz der Frauenquote(n) [62,5 % der Studierenden, js] auf
hohem Niveau zeigt, dass die Kunstuniversität Linz eigentlich schon lange
vor der Aufgabe steht, die bestehenden Strukturen daran anzupassen,
vorwiegend Frauen auszubilden.“ Darüberhinaus hat die Kunstuniversität
Linz zwar Österreichweit mit 41% die höchste Professorinnenquote; aber,
so Koller: „Die konkrete, inhaltliche Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse
von UniversitätsprofessorInnen ist nicht mehr im Detail gesetzlich vorgegeben,
sondern bleibt dem individuellen Arbeitsvertrag vorbehalten. Zusammen mit
dem verkürzten Berufungsverfahren nach § 99 UG 2002 für Berufungen
bis zu zwei Jahren, hat dies zu vermehrten Befristungen und zu einer
generellen Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen der UniversitätsprofessorInnen geführt. Diese Entwicklung muss dem Anstieg der Frauenquote
gegenübergestellt werden.“ Anders gesagt: wer an einer Überprüfung der
Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsplatz interessiert ist, muß sich zusätzlich
zur Quotierungsfrage auch mit der Frage nach unterschiedlichen Gehältern,
unterschiedlich langen Arbeitsverträgen und unterschiedlich gut
ausgestatteten Arbeitsplätzen beschäftigen. Noch stärker von Flexibilisierung
und Deregulierung (z.B. fast nur mehr befristete Teilzeitverträge) ist der
Mittelbau der Universität betroffen. Koller: „Die dadurch bedingte
Vernachlässigung von Repräsentation und Kontrolle führt zu einer tendenziellen
Entsolidarisierung, die wiederum Frauen besonders hart trifft.“ Karina Alice
Koller, Gender an der Kunstuniversität Linz, zitiert nach dem mir von der
Autorin überlassenen Manuskript, wird erscheinen in: flexart – flexible@art.
Hg.: Kunstuniversität Linz 2007 (im Erscheinen).
Mehr hierzu auch in meinem Text Antirassistische feministische
Repräsentationskritik, in: Sabine Benzer (Hg.), Creating the Change. Beiträge
zu Theorie & Praxis von Frauenförder- und Gleichbehandlungs-maßnahmen
im Kulturbetrieb. Wien: Turia + Kant 2006, S. 104-113.
11
Alle Arbeiten, die von den Seminarteilnehmenden für die
Ausstellung hergestellt wurden, haben sich als Untersuchungs- und Experimentierfeld die Produktion von Normen
gewählt, vor allem die Produktion normativer Geschlechtlichkeit. Den künstlerischen Arbeiten gemeinsam ist somit die
kritische Hinterfragung eines Geschlechtersystems, das
Leute zwingt, eindeutig und nur eins zu sein, das heißt,
entweder eine Frau (meist weniger wert; im Sitzen pinkeln)
oder ein Mann (meist mit mehr Möglichkeiten; im Stehen
pinkeln). Diese geschlechtliche Eindeutigkeit verlangt des
Weiteren danach, das Begehren an eine (und nur eine)
gegengeschlechtliche Person zu richten. Alles andere ist
nicht normal oder, schlimmer noch, gilt gesellschaftlich als
überhaupt nicht existent. Gemeinsam ist vielen künstlerischen
Arbeiten zudem Ironie als Mittel, um gegen diese alltägliche
Mit Dank an Franziska Schultz, Konrad Huybrecht, Andrea Roedig, Elke
Koch für ihre Unterstützung im Zuge der Ausstellungsvorbereitung. Dank
an Helga Hofbauer für den Selbstverteidigungs- und Interventionsworkshop
für alle, die während der Öffnungszeiten die Ausstellung beaufsichtigen.
Und Dank an die am Seminar und der Ausstellung teilnehmenden, genauer:
mitmachenden Künstler_innen, den Student_innen (auch Silvia Koll, die
früher aussteigen musste), weil die Projektrealisierung mit ihnen mich daran
erinnert hat, dass es jenseits von Arbeits- und Privatleben und den diversen
Befriedigungsmöglichkeiten, die beide zu bieten haben, noch eine wesentliche
Ebene gibt: das Vergnügen am gemeinsamen Herstellen und am Erfinden
und Definieren gemeinsamer Räume.
Eine Art Beipackzettel innerhalb des Katalogobjekts zur Ausstellung:
Wir machen Kunst, weil es die feministische/
politische/gesellschaftliche/meine Situation erfordert
Herausgeber_innen: Johanna Schaffer, Barbara Paul, Kunstuniversität Linz,
Abteilung Kunstgeschichte und Kunsttheorie/Gender Studies,
Kollegiumgasse 2, A - 4010 Linz, www.ufg.ac.at
Grafik, Layout: Katharina Loidl
Erscheint 2007 bei: Kunstuniversität Linz
Auflage: 300 Stück. ISBN 978-3-901112-40-9
www.machenkunstweil.ufg.ac.at
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