Patientensicherheit und Patientenzufriedenheit in der ambulanten

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Patientensicherheit und Patientenzufriedenheit in der ambulanten Versorgung
Spätestens seit die Swica Krankenkasse ein Versicherungsmodell einführte, in dem die
Ärzte mit überdurchschnittliche hohen Fallkosten auf der Liste der Vertragsärzte fehlten,
wurde klar, dass solche Auswahlkriterien für die Sicherheit der Patienten
verheerend
Folgen hat: Praktisch alle Onkologen fehlten auf der Liste der Vertragsärzte. Die
Gesellschaft für medizinische Onkologie ist überzeugt, dass bei der Mittelverteilung im
Gesundheitswesen Patientensicherheit und Zufriedenheit eine zunehmende Bedeutung
erlangen werden. Die vorgesehene Aufhebung des Kontrahierungszwanges wird die Frage
stellen, wie Vertragsärzte ausgewählt werden können, ohne die Sicherheit der Patienten
zu gefährden.
Patientensicherheit und Patientenzufriedenheit laufen nicht parallel
Patientensicherheit und Patientenzufriedenheit müssen nicht parallel verlaufen. Das wissen
wir
spätestens
seit
der
Publikation
einer
amerikanischen
Studie
über
die
Herzinfarktsterblichkeit in Privat- und Schulspitälern: Einer höheren Mortalität mit
zufriedeneren Patienten in Privatspitälern stand eine niedrigere Mortalität mit
unzufriedeneren Patienten in Schulspitälern gegenüber.
Diese Tatsache beantwortet Ihnen die Frage, weshalb sich ein in der ambulanten
Versorgung, in der Privatpraxis tätiger Onkologe mit Fragen der Patientensicherheit und
Patientenzufriedenheit befasst. Vielleicht gibt es in der Onkologie ja ähnliche Phänomene:
Der in der Privatpraxis tätige Onkologe macht zugunsten der Patientenzufriedenheit
Dosisanpassungen bei der Chemotherapie, die zu einer Verminderung der Heilungsrate
führt. Die Patienten sind zufrieden, weil sie weniger Nebenwirkung haben. Der Arzt ist
erfolgreich, weil er eine volle, gut laufende Praxis mit zufriedene Patienten hat. Die
Sterblichkeit am Karzinom hat aber wegen der Dosisreduktion nicht abgenommen. Ähnliche
Fragen werden aber auch im Spitalbereich brisant, wenn die Patientenzufriedenheit als
Massstab für die Subventionsbemessung verwendet wird. Wie kann ich also bei der
onkologischen Tätigkeit messen, ob die Patientensicherheit nicht auf Kosten der
Patientenzufriedenheit vernachlässigt wird?
Voraussetzungen
1. Die Messung der Sicherheit und der Zufriedenheit der Patienten wird Auswirkungen auf
die Verteilung der Mittel im Gesundheitswesen haben.
2. Die Messung der Patientensicherheit soll die Sicherheit des Patienten erhöhen und
keine Alibiübung zur Beschwichtigung unserer Gewissen oder der Öffentlichkeit sein
3. Es gibt reproduzierbare Möglichkeiten, die Sicherheit/Zufriedenheit des Patienten zu
messen
Patientensicherheit
Patientensicherheit meint in diesem Zusammenhang Schutz vor Schaden (durch die
Krankheit, durch die Behandlung oder die Unterlassung der Behandlung) im Sinne von
 Mortalität (Frühzeitiger Tod) senken
 Mortalität durch Krankheit, Eingriff, unterlassenen Eingriff senken
 Morbidität (unnötige Erkrankung/ Nebenwirkungen/unterlassene Behandlung) senken
 Finanzielle Einbussen des Patienten verringern
 Unnötige Kosten für die Solidargemeinschaft vermeiden
Um die Patientensicherheit in der Praxis messen zu können, müssen verschiedene
Voraussetzungen erfüllt sein.
 Einfach machbar sein
 Es sind die sicherheitsrelevanten Messgrössen zu erfassen (Kennen wir überhaupt die
sicherheitsrelevanten Messgrössen?)
 Die richtigen Steuergrössen erkennen helfen
 Die Wirksamkeit der Steuergrössenveränderung messen
 Der Mehraufwand der Datenerfassung und Auswertung muss extra finanziert werden.
Betriebswirtschaftliche
Tarife
erlauben
keine
idealistischen
Qualitätsund
Sicherheitszirkel.
 Wer entschädigt den Mehraufwand? Entschädigung durch Krankenkassen?
 Arztzufriedenheit auch/wie messen? Am erfolgreichen Arzt (gemeint finanziellen
Gewinn?) Soll / kann der Markt entscheiden?
Heutiger Stand der Erfassung der Patientensicherheit und Zufriedenheit
Mit der Absicht, die Sicherheit des Patienten zu gewährleisten und zu erhöhen, führen
wir auf verschiedenen Ebenen bereits verschiedene Massnahmen durch:
In meiner
Praxis kontrollieren wir täglich die Präzision der Leukozyten- und
Thrombozytenmessung um sicher zu sein, dass wir bei der Chemotherapie die
Dosisanpassung korrekt vornehmen können, da eine unnötige Dosisreduktion den Erfolg
unserer Therapie beeinflussen kann. Wir nehmen regelmässig an Qualitätskontrollen teil,
um unsere Laboranalysen zu prüfen und die Untersuchung
zu Lasten der
Krankenversicherung abrechnen zu dürfen. Um Dosierungsfehler zu minimieren, werden die
für die Chemotherapie verordneten Medikamente von der Arztgehilfin in der richtigen
Menge herausgegeben, und
von der Onkologiekrankenschwester nochmals kontrolliert,
als Infusion zubereitet und verabreicht. Da in der Onkologie die meisten Medikamente
intravenös verabreicht werden, fällt des Problem der fehlenden Kooperation des Patienten
bei der Medikamenteneinnahme weg. Im Spital werden gedruckte standardisierte
Therapieschemen die mit den Pflegenden besprochen wurden verwendet, um eine korrekte
Behandlung zu gewährleisten.
Alle drei Jahre erfassen wir die subjektive Patientenzufriedenheit mit einem Fragebogen
der Zürcher Internisten, der uns erlaubt, unsere Praxis mit der Gesamtzahl der
Teilnehmer zu vergleichen.
In der Region Zürich Nord / Schaffhausen besteht ein onkologisches Netzwerk, das
Therapien interdisziplinär mit den Chirurgen und Radiotherapeuten ausarbeitet und in dem
wir gemeinsam die Behandlung diskutieren. Auf nationaler Ebene hat die Gesellschaft für
medizinische Onkologie als erste Fachgesellschaft auf der Grundlage randomisierter Studien
verbindliche Guidelines als Minimalstandard für die Behandlung der häufigsten
Tumorkrankheiten ausgearbeitet. Dank dem hohen Qualitätsstandard wurden diese durch
die ESMO auch europaweit eingeführt. Bei der Erarbeitung unserer Guidelines zeigte sich,
dass es für die Ausarbeitung solcher Richtlinien Normen braucht. Diese müssen für alle
Fachgesellschaften verbindlich festlegen, wann eine Empfehlungen zum minimalen Standard
erklärt werden darf. Ohne diese Normen laufen wir Gefahr, unter dem Deckmantel der
Qualitätssicherung Mengenausweitung oder Strukturpolitik zu betreiben.
Mit der Einführung von Tarmed werden wir gewisse Leistungen nur abrechnen können,
wenn wir eine entsprechende Fortbildung nachweisen können.
Alle dies Massnahmen verlangen aber personelle und finanzielle Mittel. Es stellt sich
deshalb die Frage, was alle diese Massnahmen der Patientensicherheit nützen, wie sich
dieser Nutzen messen lässt und ob die verwendeten Messgrössen geeignet sind, diesen
Nutzen abzubilden. Zwar zeigen epidemiologische Studien klar, dass die moderne
Behandlung der Mammakarzinome zu einem Rückgang der Mortalität geführt hat, obwohl
die Häufigkeit an Brustkrebs stetig zunimmt. Doch beantwortet dies die Frage nicht, ob
diese Sicherheit allen Frauen mit Brustkrebs zukommt.
Sonderstellung der Onkologie
Unter den ehemaligen Subspezialitäten der Inneren Medizin nimmt die Onkologie aus zwei
Gründen eine Sonderstellung ein. In der Onkologie werden nur wenige instrumentelle
„Eingriffe“ aber viele nebenwirkungsreiche medikamentöse Therapien durchgeführt. Die
Onkologie ist in diesem Sinn keine Apparatemedizin, keine „technische“ Medizin, bei der
das handwerkliche Können im Vordergrund steht. Die Patientensicherheit wird nur
ungenügend abgebildet, wenn wir messen, wie häufig Komplikationen bei Venen- oder
Knochenmarkpunktion auftreten. Das Risiko der onkologischen Therapie liegt bei der
Behandlung selber: Die Indikation und Durchführung der medikamentösen Therapie selber
(Falsche
Dosisanpassung
/
tödliche
Nebenwirkungen)
ist
letztlich
das
Sicherheitsprobleme. Zweitens benötigt die Behandlung bösartiger Tumoren die gute
Zusammenarbeit verschiedener Fachärzte. Die medikamentöse Therapie des Onkologen ist
oft nur ein Glied in einer Behandlungskette. Um die Sicherheit des Tumorpatienten zu
erfassen, müssen wir also ein Instrument haben, das nicht nur das Ergebnis des
einzelnen Schrittes sondern des ganzen Prozesses misst.
Wie können wir den Nutzen der onkologischen Therapie messen?
Oft wird argumentiert, die beste Sicherheit für den Patienten sei die Teilnahme an einer
randomisierten Studie. Dort werde er gemäss einem Studienprotokoll mit dem
besten
Standard oder einer wahrscheinlich ebenbürtigen, vielleicht besseren experimentellen
Therapie behandelt. In der Schweiz kann aber nur ein kleiner Prozentsatz (2 – 5%)
der Patienten zur Teilnahme in einer Studie motiviert werden. Zudem ist der Aufwand für
die Datenerfassung und Auswertung in der Regel gross, so dass die Kosten im
Gesundheitswesen steigen, wenn die Studienkosten von der Grundversicherung
übernommen werden müssten.
TNM/ CMR System bei kurativen oder adjuvanten Therapien
Um den Erfolg des ganzen Behandlungsprozesses bei kurativen und adjuvanten Therapien
zu erfassen, bietet sich aber ein einfacheres System der Datenerfassung an: Das bereits
heute für die Tumorklassifizierung verwendete TNM - System wird durch ein C ((chirurgie)
M (Medikament) R (Radiotherapie) - Therapiesystem ergänzt, das neben dem Tumorstadium die
verwendeten Therapien, ihre Dosis- und die Zeitintensität erfasst, sofern diese Daten für
die Prognose von belang sind. Diese gesammelten Daten können bezüglich
Übereinstimmung mit den Guidelines und bezüglich Heilung/Rückfallsfreiheit mit
Studienresultaten verglichen werden. Sie geben Aufschluss über die in einer Region
verwendeten Therapien und die Qualität der Behandlungskette. Der einzelne Arzt kann
seine eigenen Daten mit den andern vergleichen. Diese Daten können durch die
therapiebedingten Kosten ergänzt werden. Dieses System erfüllt die oben aufgestellten
Kriterien für die Messung der Qualität in der Praxis. Das TNM/ CMR System sieht beim
Mammakarzinom wie folgt aus:
pT2 pN1 (2/15) ER pos PR pos, G2, R0, CT:AC 100/100; HT: TMX 5; RT
L(lokal) 55
pTx pNx M0, ERx, PRx, Gx, Rx; CTx*/x**/x***; HTy*/y**;RT z*/z**
x*:
Verwendete Chemotherapie: CMF
oder AC
x**: Prozentsatz
der
vorgesehenen
Dosis
x***:
Prozentsatz
des
vorgesehenen Zeitintervalls
y*:
y**:
z*
z**
Hormontherapie (TMX)
Anzahl Jahre
Feldgrösse
Dosis in Gy
Lebensqualitätsmessung bei palliativen Therapien
Problemreicher ist die Erfassung des Behandlungsnutzens
bei nicht heilbaren
Tumorkrankheiten, deren Folgen den Patienten immer mehr einschränken und bis er
letztlich daran stirbt. Mit welchen Messgrössen lässt sich der (Miss-) Erfolg unserer
Behandlung messen? Da die Lebensdauer oft nur bedingt verlängert wird, läge es nahe,
die Lebensqualitätsverbesserung durch die Behandlung zu messen. In Studien wird die
Lebensqualität mit LQ Fragebogen erfasst. Die Messung der Lebensqualität ist aber
aufwändig: Die verschiedenen Tests umfassen oft 30 bis 60 Fragen zu verschiedenen
Aspekten des täglichen Lebens. Während dem Krankheitsverlauf müssen die QoL Tests
mehrmals in zeitlichen Abständen wiederholt werden, um einen Langzeitverlauf bei
chronischen Krankheiten erfassen zu können. Im Verlauf der Studien füllen aber immer
weniger Patienten ihre Fragebogen aus, so dass die Resultate immer weniger
repräsentativ werden. Wird die Lebensqualität beim gleichen Patienten mit zwei
verschiedenen Tests gemessen, können die Testresultate nicht verglichen werden. Wenn
nun aber die QoL - Messungen mit unterschiedlichen Tests bei der gleichen Krankheit
kaum
zu vergleichen sind, um wie viel schwieriger wird es, die Lebensqualität bei
verschiedenen Krankheiten zu vergleichen und daraus Schlüsse auf die Qualität der
Behandlung und der Zuteilung der Mittel zur palliativen Therapie zu ziehen? Offen ist
zudem
die
Frage
des
Settings:
Spielt
es
eine
Rolle,
wann
diese
Lebensqualitätsmessungen gemacht werden? Vor der Therapie, am Tag danach, zum
Zeitpunkt der Remission? Wegen der Inkonsistenz der Resultate, der hohen Ausfallrate
und dem grossen Zeitaufwand mit beschränkter Aussagekraft sind QoL Test zur Messung
der Lebensqualität in der Praxis also ungeeignet.
Da die Messung der subjektiven Befindlichkeit mittels QoL Fragebogen bildet den
Therapieerfolg in der palliativen Therapie nicht zuverlässig ab. Deshalb brauchen wir ein
anderes Instrument, in der täglichen Praxis die Wirksamkeit palliativer Massnahmen zu
messen, mit der Absicht,
so die Patientenzufriedenheit bei unheilbaren Krankheiten
messen und vergleichen zu können.
Rehabilitation als Mass für den Nutzen palliativer Massnahmen
Das Fortschreiten der Tumorkrankheit führt, wie das älter werden zu einer zunehmenden
Einschränkung der (Wahl-) Freiheit. Die Arbeitsfähigkeit geht verloren, später nimmt die
Selbständigkeit ab bis zur Pflegebedürftigkeit. Der Erfolg der Palliativmassnahmen lässt
sich deshalb daran messen wie gut sie diese zunehmende Einschränkung aufhalten oder
rückgängig machen können. Konkret: Kann dem pflegebedürftigen Patienten mit einer
Therapie die Selbständigkeit/ Arbeitsfähigkeit/ Sportfähigkeit zurückgegeben werden oder
bleibt er durch die Therapie lediglich länger pflegebedürftig. Bei diesem Ansatz spielt es
keine
Rolle,
ob
die
Freiheitseinschränkung
durch
die
Krankheit
oder
die
Therapienebenwirkungen zustande kommt. Diese Messmethode erlaubt auch, die Erfolge
von Behandlungsmassnahmen in verschiedenen Disziplinen miteinander zu vergleichen, da
sie letztlich immer die Rehabilitation, die Befreiung des Patienten von der Einschränkung
durch Krankheit oder Therapienebenwirkungen misst. Diese Form der Qualitätserfassung
setzt aber den Zugang zu nicht medizinischen Daten voraus: Aufenthaltsdauer im Spital
oder Pflegeheim, Spitexaufwand und die Arbeitsunfähigkeit um die Einschränkung des
Patienten objektivieren zu können. Leider liefern die heute zur Verfügung stehenden Daten
der randomisierten Studien in der Regel keine solchen Angaben. Sie beschränken sich
auf eine Zusammenstellung der Nebenwirkungen und den Vergleich der Lebensqualität bei
Therapie A oder B bei der gleichen Krankheit mittels einer Zahl. Sie geben aber keine
Hinweise, was der Patient konkret durch die Therapie an Wahlfreiheit gewinnt. Um diese
Daten
zu erfassen, braucht es Normen, wie im Rahmen von palliativen Studien die
Wirksamkeit einer Therapie zu erfassen ist. In der Praxis setzt dies eine interdisziplinäre
Zusammenarbeit voraus, die über die Medizin hinausgeht. Dies wiederum verlangt aber
nach Normen, damit die so erarbeiteten Resultate nicht von der einen
oder andern
Interessensgruppe für ihre Zwecke missbraucht werden. Es wäre beispielsweise interessant,
anhand eines Pilotprojektes beim metastasierenden nicht kleinzellige Bronchuskarzinom eine
solche Datenerfassung zu versuchen. Gemessen werden könnte, wie viele Patienten durch
die palliative Chemotherapie wieder für wie lange selbständig werden, bezw. wieder
arbeiten können, und wie lange sie pflegebedürftig oder hospitalisiert sind, bis sie dann
am Fortschreiten der Krankheit sterben. Eine solche Machbarkeitsstudie würde zeigen, ob
die eingangs erwähnten Ziele bei der Messung der Patientensicherheit und
Patientenzufriedenheit in der Praxis realisiert werden können.
Dr. med. Jürg Nadig
Facharzt FMH für Onkologie-Hämatologie
und Innere Medizin
Bannhaldenstrasse 7
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