D E R B E S O N D E R E FA L L Fluktuierende neurologische Symptome unter Immunsuppression Julia Steinrückena, b, Susanne Mendea, Werner Zimmerlib, Gieri Cathomasa a b Institut für Pathologie, Kantonsspital Baselland, Liestal Medizinische Universitätsklinik, Kantonsspital Baselland, Liestal Fallbeschreibung Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Ein 76-jähriger, HIV-negativer Patient wurde vom Hausarzt wegen einer seit ca. 4–6 Wochen bestehenden, progredienten Adynamie mit proximal betonter Beinschwäche und feinschlägigem Tremor der distalen Extremitäten eingewiesen. Der Patient klagte zudem über intermittierenden Durchfall und einen Gewichtsverlust von 3–4 kg. Anamnestisch litt er seit über 30 Jahren an einer rheumatoiden Arthritis und wurde deshalb seit vielen Jahren mit Prednison und Methotrexat immunsuppressiv behandelt. Klinisch präsentierte sich der Patient in reduziertem Allgemeinzustand, afebril, normoton, normokard, kardiopulmonal kompensiert. Neben klinischen Zeichen der rheumatoiden Arthritis fielen ein feinschlägiger Tremor sowie ein ataktisches Gangbild auf. Die Entzündungsparameter waren leicht erhöht (CRP 24 mg/l, Lc 13,3 G/l, BSR 56 mm/h). Auffällig waren die Schilddrüsenhormone mit einem erhöhten freien Thyroxin (T4 20,0 pmol/l, Norm: 7,7–14,2 pmol/l) und tiefnormalem Trijodthyronin (T3 1,29 nmol/l, Norm 1,28–2,40 nmol/l) bei einem kaum messbaren TSH (<0,01 U/ml). Die Symptome des Patienten wurden als Hyperthyreose interpretiert. Die Szintigraphie zeigte eine multifokale Autonomie der Schilddrüse, Autoantikörper waren nicht nachweisbar. Unter einer Therapie mit Carbimazol kam es initial zu einer Besserung der Beschwerden. Im weiteren Verlauf bekam der Patient plötzlich Fieber. Konventionell radiologisch zeigte sich die vorgängig bekannte interstitielle Pneumopathie vom retikulo-nodulären Typ, die als Methotrexat-induzierte Lungenfibrose interpretiert wurde. Zudem fand sich ein neu aufgetretenes pneumonisches Infiltrat im rechten Unterlappen. Mehrfach abgenommene Blutkulturen zeigten kein Wachstum. Trotz sofortigem Beginn einer antibiotischen Therapie verschlechterte sich der Zustand des Patienten zunehmend, und es zeigte sich eine deutliche Progredienz der generalisierten Muskelschwäche. Der Patient war zuletzt kaum noch mobilisierbar und stürzte rezidivierend. Nahezu täglich kamen weitere neurologische Symptome in wechselnder Intensität hinzu: eine linksseitig betonte Anisokorie, eine intermittierende Parese des rechten Arms sowie eine vorübergehende Aphasie und rezidivierende Synkopen. In der Physiotherapie konnten kaum Fortschritte erzielt werden, der Patient war in hohem Mass pflegebedürftig. Es wurde ein zerebrovaskuläres Ereignis vermutet (am ehesten ischämische Insulte oder eine intrakranielle Blutung bei rezidivierenden Stürzen), auch wenn dies in Anbetracht des undulierenden Verlaufs eher unwahr- scheinlich schien. Aufgrund der sich seit Wochen verschlechternden klinischen Situation entschied sich die Familie des Patienten in dessen Sinne ganz klar gegen weiterführende Diagnostik und therapeutische Massnahmen. Alle Medikamente wurden abgesetzt und der Patient zur Palliativpflege auf die geriatrische Langzeitabteilung verlegt. Knapp zwei Monate nach Eintritt verstarb der Patient. In der Autopsie zeigte sich bereits makroskopisch eine graue Trübung der Meningen. Mikroskopisch bestand eine ausgedehnte lymphozytäre Entzündung der Meningen (Abb. 1 x) mit zahlreichen, ca. 5–15 mm grossen, hefeartigen Erregern (Abb. 2 x), passend zu einer Kryptokokken-Meningitis. Ausserdem zeigte sich eine akute Bronchopneumonie des rechten Unterlappens ohne Pilznachweis bei ausgedehnter interstitieller Lungenfibrose. Die Untersuchung der Schilddrüse ergab eine grosse Struma nodosa colloides (120 g) mit regressiven Veränderungen. Diskussion Der vorgestellte Patient litt an einer subakuten, schliesslich tödlich verlaufenden Kryptokokken-Meningitis. Als Risikofaktor hatte er eine jahrelange Immunsuppression bei schwerer rheumatoider Arthritis. Die Kryptokokkose bei Erwachsenen ist eine weltweit auftretende, opportunistische Pilzinfektion, überwiegend verursacht durch Cryptococcus neoformans. Vogelkot ist ein wichtiges Erregerreservoir. Weltweit ist die Kryptokokkose zwar häufig, in der Schweiz ist diese Infektion jedoch selten, sowohl bei HIV-Infizierten als auch bei anderen Immunsupprimierten [1, 2, 5]. Nur bei 3–5% der Patienten mit Aids wird eine Kryptokokkose diagnostiziert [2]. Der beschriebene Patient hatte keine Anamnese für Reisen in Endemiegebiete (Zentralafrika, Kalifornien, Südamerika, Südostasien). Die schwere, disseminierte Form der Kryptokokkose tritt fast ausschliesslich bei immunsupprimierten Patienten auf. Bei zwei Dritteln der Fälle ist eine HIV-Infektion der prädisponierende Faktor [1, 5]. Allerdings sind auch eine iatrogen verursachte Immunsuppression (z.B. Langzeit-Steroidtherapie, TNF-a-Antagonisten, Zytostatika), eine fortgeschrittene maligne Grunderkrankung oder Diabetes mellitus typische Risikofaktoren [2–5]. Eine Kryptokokkose bei immungeschwächten Patienten hat eine hohe Letalität von 6–28% [3, 5]. Nach Inhalation der bekapselten Hefepilze kann es zu Atemwegsinfektionen kommen, die aufgrund unspezifischer, meist nur temporärer oder fehlender Symptome Schweiz Med Forum 2012;12(48):936–938 936 D E R B E S O N D E R E FA L L A B Abbildung 1 Ausgedehntes lymphozytäres Entzündungsinfiltrat der Meningen (A) mit vereinzelten Riesenzellen (B). Abbildung 2 Blau gefärbte Schleimkapsel der Organismen (Glukuronoxylomannan) in der AB-Pas-Färbung. in der Regel nicht diagnostiziert werden [4]. Nach hämatogener Dissemination können systemische Infektionen auftreten, insbesondere mit Beteiligung des zentralen Nervensystems, die unbehandelt tödlich verlaufen. Auch isolierte Hautmanifestationen und Lymphadenitiden kommen vor [2–4]. Der zerebrale Befall imponiert klassischerweise mit Symptomen und klinischen Befunden einer subakuten Meningitis oder Meningoenzephalitis [2–4]. Da die Kryptokokkose nicht meldepflichtig ist, fehlen genaue Daten zur Häufigkeit der Erkrankung. Gemäss Datenerhebungen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz ist die HIV-Infektion weiterhin der wichtigste prädisponierende Faktor (68%) [5]. Als die Zahl der HIVInfizierten in den 1980er Jahren zunahm, stieg auch die Inzidenz der Kryptokokkose initial signifikant; bei bis zu 6–10% der HIV-Patienten konnte eine Erkrankung nachgewiesen werden. Nach Einführung der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) ist die Kryptokokkose bei HIV- und Aids-Patienten in Europa deutlich zurückgegangen [2]. In den Jahren 1985–2001 machte die Kryptokokkose in Frankreich lediglich 3,5% der neu erfassten Aids-definierenden Krankheiten aus [2]. Viel häufiger, nämlich 15–30%, wird sie bei afrikanischen Aids-Patienten diagnostiziert [5]. Im klinischen Alltag – bei steigendem Einsatz von Immunsuppressiva und Zytostatika – nimmt die Bedeutung der Kryptokokken-Infektion bei HIV-negativen, immunsupprimierten Patienten zu. Die Diagnose der Kryptokokken-Meningitis ist wegen des subakuten bis chronischen Verlaufs und der meist unspezifischen Symptome eine Herausforderung. Insbesondere fehlt typischerweise der wegweisende Meningismus. Die Möglichkeit einer Kryptokokkose sollte bei jedem immunkomprimierten Patienten mit Fieber, Kopfschmerzen und unklaren neurologischen Symptomen in die differentialdiagnostischen Überlegungen miteinbezogen werden. Zur Diagnosesicherung muss ausser einem MRI des Schädels nach Ausschluss einer Hirndruckerhöhung immer eine Lumbalpunktion durchgeführt werden. Der Liquor sollte einerseits mikroskopisch untersucht werden (Direkt- und Tuschepräparat, Zytologie), anderseits sollte auch das Kryptokokken-Antigen bestimmt werden. Dieser Test hat eine Spezifität und Sensitivität von über 93%. Das Kryprokokken-Antigen kann auch im Serum gemessen werden. Allerdings kann bei negativem Befund eine Kryptokokken-Meningitis bei HIV-negativen Patienten nicht ausgeschlossen werden, und falsch positive Resultate sind möglich (Sensitivität 56% bei pulmonaler Beteiligung, 87% bei ZNS-Befall). Blutkulturen sind häufig positiv [4]. Bei Befall des ZNS ist initial in der Regel eine intravenöse Kombinationstherapie mit Amphotericin plus Flucytosin notwendig. Nach der Akuttherapie folgt über mehrere Wochen eine orale Erhaltungstherapie mit Fluconazol. Nur leichtere Fälle können bereits initial Schweiz Med Forum 2012;12(48):936–938 937 D E R B E S O N D E R E FA L L mit Fluconazol behandelt werden. Eine Sekundärprophylaxe wird in der Regel durchgeführt, solange die CD4-Zellen <200/ml sind. Die Prognose ist vor allem vom Schweregrad der zugrundeliegenden Immunsuppression und allfälliger Komorbidität abhängig. Die Schilddrüsenwerte des vorgestellten Patienten mit tiefem TSH, erhöhtem fT4 und T3 im unteren Normbereich können retrospektiv auch als Low-T3-Syndrom (Euthyroid-Sick-Syndrom) im Rahmen der KryptokokkenInfektion interpretiert werden. Dabei kommt es bei Patienten mit schweren Erkrankungen zu einer verminderten Umwandlung von T4 in T3, das Syndrom ist in der Regel selbstlimitierend und bedarf keiner Therapie. Bewusstseinsstörung bis hin zum Koma oder sogar Tod. Der geschilderte Fall zeigt, dass bei unklarem klinischem Befund eine Autopsie für die abschliessende Diagnosesicherung unerlässlich ist. Fazit 1 Burckhardt B, Sendi P, Pfluger D, et al. Rare AIDS-defining diseases in the Swiss HIV Cohort Study. Eur J Clin Microbiol Infect. 1999; 18:399–402. 2 Dromer F, Mathoulin-Pelissier S, Fontanet A, Ronin O, Dupont B, et al. Epidemiology of HIV-associated cryptococcosis in France (1985– 2001): comparison of the pre- and post-HAART eras. Aids. 2004; 18:555–62. 3 Husain S, Wagener M, Singh N. Cryptococcus neoformans Infection in Organ Transplant Recipients: Variables Influencing Clinical Characteristics and Outcome. Emerging infectious diseases. 2001;7(3):375–81. 4 Subramanian S, Mathai D. Clinical manifestations and management of cryptococcal infection. J Postgrad Med. 2005;51 Suppl 1:S21–6. 5 Tintelnot K, Lemmer K, Losert H, Schär G, Polak A. Follow-up of epidemiological data of cryptococcosis in Austria, Germany and Switzerland with special focus on the characterisation of clinical isolates. Mycoses. 2004;47:455–64. Bei persistierenden, unklaren neurologischen Symptomen und Fieber bei immunsupprimierten Patienten sollte die Möglichkeit einer Kryptokokkose in die differentialdiagnostischen Überlegungen miteinbezogen werden. Die Bestimmung des Kryptokokken-Antigens im Serum ist nicht aufwendig und wenig invasiv. Bei starkem Verdacht ist die Lumbalpunktion mit Liquoranalyse auch bei negativem Antigen im Serum indiziert. Bei verzögerter Diagnostik und Therapie droht eine dramatische Zustandsverschlechterung mit Hirnnervenausfällen und Korrespondenz: Prof. Dr. med. Gieri Cathomas Chefarzt Institut für Pathologie Liestal Kantonsspital Baselland Mühlemattstrasse 11 CH-4410 Liestal gieri.cathomas[at]ksli.ch Literatur Schweiz Med Forum 2012;12(48):936–938 938