Klientenzentrierte Psychotherapie Grundlagen 1 Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie Folie: Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie Synonyme Bezeichnungen: Nondirektive Therapie/Beratung (Rogers 1. Bezeichnung) klientenzentrierte Psychotherapie/Beratung (Rogers 2. Bezeichnung: international am meisten verbreitet) Gesprächs(psycho)therapie (in Deutschland durch Tausch eingeführt; ist ein recht unspezifischer Begriff) Personenzentrierte Psychotherapie / Beratung (v.a. in Österreich und in der Schweiz) [Neuere Formen: zielorientierte oder prozessorientierte Gesprächspsychotherapie] Begründer der Klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie ist: Carl R. Rogers. Hintergründe zur Gesprächspsychotherapie Entwicklung der Folie: Foto von Rogers Zur Person Carl R. (Ransom) Rogers: wurde 1902 in einem Vorort von Chicago als viertes von sechs Kindern geboren (1987 gestorben im Alter von 85 Jahren) Sein Elternhaus galt als wohlhabend und religiös, mit festen ethischen Grundsätzen. Nachdem er zunächst Theologie studiert hatte, begann er 1924 mit seinem Psychologiestudium. 1931 schloss er dieses mit einer Promotion in klinischer Psychologie ab. Nach dem Studium war er zunächst 12 Jahre lang an einer Beratungseinrichtung als klinischer Psychologe tätig. Hier beschäftigte er sich v.a. mit schwer erziehbaren Kindern. Seit 1940 war er Professor für Psychologie an verschiedenen Universitäten. In dieser Zeit (also beginnend im Jahr 1942) begründete er die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie. Seine theoretischen Erkenntnisse leitete er aus seiner praktischen therapeutischen Erfahrung ab. Die erste umfangreich Buch-Veröffentlichung erfolgt 1951 mit dem Titel „ClientCentered Therapy: ist currrent practice, implications and theory“; In der deutschen Übersetzung „Die klientenzentrierte Gesprächsführung“ Welche geistigen Einflüsse haben Rogers geprägt?: Rogers hat sich viel mit Philosophie beschäftigt, v.a. mit dem Existenzialismus, speziell mit den Schriften des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard. Wichtige wurde für ihn auch der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber mit seinen Schriften zur Bedeutung der Begegnung, der Beziehung von „Ich und Du“ (Buber, 1923/1995). 2 Im Feld der Psychotherapie wurde er von dem Psychoanalytiker Otto Rank beeinflusst, der als einer der ersten den Beziehungsaspekt in der psychotherapeutischen Arbeit hervorhob. Studiert hat er an einer recht behavioristisch (also einer sehr naturwissenschaftlich, empirisch-experimentell) ausgerichtet Universität. Rogers Schlüsselerlebnis (aus Weinberger, 2004): Rogers berichtet von einem für ihn wichtigen Schlüsselerlebnis: Er arbeitet als Psychologe in einem Institut, das verhaltensauffällige Kinder behandelte. Er war für die begleitende Beratung der Eltern zuständig. Eines Tages hatte er ein Gespräch mit einer intelligenten Mutter eines sehr verhaltensauffälligen Kindes. Der Grund für die Schwierigkeiten des Jungen lag nach Auffassung Rogers darin, dass die Mutter ihren Sohn schon sehr früh abgelehnt hatte. In mehreren Gesprächen versuchte Rogers der Mutter dies einsichtig zu machen. Ohne Erfolg, die Gespräche blieben trotz aller Bemühungen an der Oberfläche. Schließlich resignierte Rogers: „Ich erklärte ihr, dass es so aussähe, als hätten wir beide alles versucht, doch letztlich versagt, und dass wir genauso gut unsere Treffen aufgeben könnten. Sie stimmte zu und so beendeten wir das Gespräch; wir schüttelten uns die Hände und sie ging zur Sprechzimmertür. Dort drehte sie sich um und fragte: „Nehmen Sie auch Erwachsene zur Beratung an?“ Als ich zustimmte, sagte sie: „Also, ich brauche Hilfe.“ Sie kehrte zu dem Stuhl zurück, den sie eben verlassen hatte und begann, eruptiv die Verzweiflung über ihre Ehe, das gestörte Verhältnis zum Ehemann, das Gefühl des Versagens und der Verwirrung mitzuteilen – Alles ganz anders, als die „sterile Fallgeschichte“, die sie früher vorgebracht hatte. Die wirklich Therapie setzte in diesem Moment ein und führte schließlich zum Erfolg“ (Rogers, 1961, S. 27) Für Rogers war dies eine wichtige Erfahrung. Mit diesem Erlebnis wurde im klar, dass die Klientin eigentlich die ganze Zeit wusste „wo der Schuh drückt“. Sie wusste, welche Richtung es einzuschlagen galt und welche Probleme eigentlich entscheidend sind. Rogers stellte deshalb selbstkritisch fest: „Langsam merkte ich, dass, wenn ich es nicht nötig hätte, meine Cleverness und Gelehrsamkeit zu demonstrieren, ich besser daran täte, mich auf den Klienten zu verlassen, was sie Richtung des Prozessablaufs anging“ (Rogers, 1961, S. 28). Folie Rogers Hauptfragestellung: So begann Rogers, sich in den folgenden Jahrzehnten intensiv mit der Frage zu beschäftigen: Welche Bedingung sind es, die dazu führen, dass eine Person von sich aus über ihr Erleben spricht, sich dabei besser verstehen lernt und schließlich zu Einstellungs- und Verhaltensänderung gelangt? Übrigens: Eine Sozialarbeiterin brachte Rogers auf die Bedeutung des Widerspiegelns: Zur Beantwortung dieser Fragestellung führte Rogers mehrere intensive Forschungsprojekte durch. Dazu nahm Rogers die Gespräche von hunderten von 3 Therapeuten auf einen Tonträger auf und analysierte sie im Hinblick auf seine Fragestellung. Während der ersten Forschungsphase schreibt Rogers u.a.: „Etwas später verhalf mit eine Sozialarbeiterin, die eine Ausbildung im Rankschen Therapieansatz hatte, zu der Erkenntnis, dass der wirksamste Zugang zum Klienten darin bestand, auf die Gefühle, die Gemütsbewegungen zu lauschen, deren Grundmuster durch die Worte des Klienten erkannt werden konnten. Ich glaube, sie war diejenige, die darauf hinwies, dass die beste Reaktion die war, diese Gefühle dem Klienten widerzuspiegeln.“ Überleitung: Jetzt, wo wir wissen schauen wir uns mal näher an, wie Roger die klientenzentrierte Therapie dann weiter entwickelt hat. Folie: Überblick über die verschiedenen Entwicklungsphasen der Klientenzentrierten Therapie Die ersten Anfänge: gehen auf die 40er Jahre zurück. Rogers selbst hat versucht seine Gesprächspsychotherapie über einen langen Zeitraum hinweg weiterzuentwickeln. Die wesentlichen Grundkonzeptionen entwickelte er in den Jahren 1938 bis 1950. Rogers „Non-direktive Beratung“: In der ursprünglichen Version nannte er sein Konzept zunächst „non-direktive Beratung“. Hierbei war Rogers Grundidee, dass die Interventionen des Therapeuten frei von jedem Dirigismus und irgendwelchen Ursache-Wirkungsinterpretationen sein sollten. Der Klient darf in seinen Entfaltungsbemühungen nicht von vornherein eingeschränkt sein (in Abgrenzung zur damals vorherrschenden Psychoanalyse und dem Behaviorismus). Rogers Erweiterung zur Klientenzentrierten (Psycho-)Therapie: In den 50er und 60er Jahren hat Rogers seinen Ansatz nochmals wesentlich erweitert. Er nannte ihn dann Klientenzentrierte (Psycho-)Therapie („client-centered therapy“) (spätestens ab seinem zentralen Lehrbuch hat Rogers diese Bezeichnung verwendet). Im Mittelpunkt stand jetzt die Auseinandersetzung des Klienten mit seiner Gefühlswelt. Die Aufgabe des Therapeuten bestand darin, dem Klienten zu einer höheren Selbstwahrnehmung und Reflexion der eigenen Gefühlswelt zu verhelfen. Hierfür wurde die Realisierung der 3 Basisvariablen Empathie, Wertschätzung und Echtheit als notwendige und hinreichende Bedingung angesehen. In Deutschland versuchte (v.a. in den 70er Jahren) die Forschungsgruppe um Reinhard und Annemarie Tausch die Basisvariable „Empathie“ zu operationalisieren und als Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte (VEE) erlernbar und überprüfbar zu machen Tausch, 1973). Etablierung der „Gesprächs(psycho)therapie“ in Deutschland: Reinhard Tausch hat in Deutschland Rogers Ansatz unter der Bezeichnung „Gesprächspsychotherapie“ verbreitet. 4 Dieser deutsche Begriff wurde 1968 von R. Tausch als neuer Titel eines Lehrbuches eingeführt und wenige Jahre später auch von der „Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächsführung (GwG)“ übernommen. Jahrzehnte lang gehörte die Gesprächs(psycho)therapie in Deutschland neben der Psychoanalyse und der Verhaltenstherapie zu den drei am stärksten etablierten Psychotherapieformen. Zumindest bis zur Verabschiedung des Psychotherapeutengesetztes 1999. (In jüngster Zeit scheint es wieder ein gewisses Come-back zu geben.) E.T. Gendlin integriert erlebnisfördernde Interventionsformen (Focusing): E.T. Gendlin hat das Modell der Gesprächspsychotherapie um einige Aspekte erweitert (ebenfalls v.a. in den 60er und 70er Jahren). Gendlins Ziel war es, weitere Methoden zu entwickeln, die dem Klienten, einen besseren Kontakt zu seinen Gefühlen und seinem inneren Erleben ermöglichen. Zu diesem Zweck wurden erlebnisfördernde Interventionsformen wie z.B. das sog. Focusing in die therapeutische Arbeit integriert (Motto: Vom dumpfen Gefühl zur klaren Empfindung). Erweiterung um störungsspezifische Aspekte und bearbeitungsorientierte Interventionen: Bereits in den 70er Jahren kamen Zweifel auf, ob die Realisierung der 3 Basisvariablen neben einer notwendige auch tatsächlich eine hinreichende Bedingung für den Therapieerfolg ist. So haben bis heute verschiedene Vertreter der Gesprächspsychotherapie immer wieder versucht Interventionsformen aus anderen Therapieformen zu integrieren: z.B. gestalttherapeutische, verhaltenstherapeutische, spezifisch erlebnisaktivierende Interventionen. Andere Vertreter haben versucht die Klientenzentrierte Therapie selbst weiterzuentwickeln. Sie haben diese beispielsweise um störungsspezifische Aspekte und bearbeitungsorientierte Interventionen (wie z.B. Fragen stellen oder Konfrontieren) ergänzt. Überleitung: Nachdem wir uns jetzt grob mit den verschiedenen Entwicklungsstadien der Klientenzentrierten Therapie beschäftigt haben, ist es vielleicht an der Zeit nochmals eine zentrale Begriffe und Bestimmungsstücke dieser Therapieform zusammenzufassen: 5 Folie: Zusammenfassung zentraler Begriffe Was versteht man unter einer non-direktiven Vorgehensweise?: Non-direktiv: Der Therapeut versteht den Klienten als Experten für sein Problem und sich selbst als Begleiter, auf dem gemeinsamen Weg, für den Klienten passende individuelle Lösungen zu finden. Direktiv: Methoden, bei der der Therapeut aktiv ist und das Vorgehen in der Therapie bestimmt. Der Therapeut versteht sich als der Experte für das Problem des Klienten und zeigt deshalb mögliche Lösungswege auf. (v.a. Psychoanalyse, z.T. auch die VT, aber auch andere humanistische Ansätze wie die Gestalttherapie) Was ist unter dem Begriff „klientenzentriert“ zu verstehen? Der Therapeut nimmt sich zurück und lässt den Klienten den Therapieverlauf, d.h. Richtung, Thema, Tempo, usw. bestimmen. Was steht im Zentrum der klientenzentrierten Methode?: Zum einen die Beziehung zwischen Therapeut und Klient (samt klientenzentrierten Grundhaltungen und zum anderen das Gespräch (also keine konkreten Interventionen, Übungen) der Folie: Definition Gesprächspsychotherapie (von Bommert, 1982, S. 10-11): „Gesprächspsychotherapie ist: eine systematische, selektive und qualifizierte Form verbaler und nonverbaler Kommunikation und sozialer Interaktion zwischen zwei und mehreren Personen – Psychotherapeut(en) und Klient(en) – mit dem Ziel einer Verminderung der vom Klienten erlebten psychischen Beeinträchtigungen durch eine als Form differenzierter Selbst- und Umweltwahrnehmungen eintretende Neuorientierung des (der) Klienten im Erleben und Verhalten…“ Ziel der therapeutischen Arbeit ist es, dass der Klient letztlich die Beziehung zu sich selbst aufnehmen kann, die der Therapeut ihm anbietet, also sich selbst gegenüber empathisch, akzeptierend und kongruent sein kann…“ (Sachse, 1999, S. 14) Überleitung: Für ein vertieftes Verständnis der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie ist es notwendig, auf Rogers theoretische Vorstellungen zur Entwicklung der Persönlichkeit näher einzugehen. 6 Rogers Grundannahmen zur Entwicklung Persönlichkeit bzw. von psychischen Störungen der Kurzer Überblick zu Rogers Vorstellungen bzgl. der Entwicklung psychischer Störungen (nach Comer, 1999, S. 53, 54): Carl Rogers zufolge beginnt der Weg in die psychische Störung in der Kindheit. Wir alle haben das grundlegende Bedürfnis nach positiver Wertschätzung von unseren Bezugspersonen (in erster Linie unseren Eltern). Diejenigen, die von Anfang an eine unbedingte (nicht beurteilende) positive Wertschätzung erfahren, können sich später mit großer Wahrscheinlichkeit selbst unbedingt akzeptieren. Das heißt, sie können ihren Wert als Person anerkennen, auch wenn sie merken, dass sie nicht vollkommen sind. Sie sind mit sich zufrieden und können sich realistisch einschätzen. Solche Menschen verfügen über gute psychologische Voraussetzungen, ihr ihnen innewohnendes, positives Potenzial zu verwirklichen. Doch übernehmen Kinder häufig fremde Wertmaßstäbe; sie werden nur dann geschätzt, wenn sie den Maßstäben ihrer Umwelt entsprechen. Sie gewinnen den Eindruck, ihre Gedanken, ihr Verhalten und ihre Gefühle erreichten diese Maßstäbe nicht, und halten sich infolgedessen für wertlos. Um sich eine positive Selbstbewertung zu erhalten, müssen sich diese Menschen selbst sehr selektiv wahrnehmen und Gedanken und Handlungen, die ihren Wertmaßstäben nicht entsprechen, verleugnen oder entstellen. Die ständige Selbsttäuschung macht diesen Menschen die Selbstverwirklichung unmöglich. Sie haben ein verzerrtes Bild von sich selbst und ihren Erfahrungen, und so wissen sie nicht, was sie wirklich fühlen oder brauchen oder welche Werte und Ziele für sie sinnvoll wären. Überleitung: Schauen wir uns das mal genauer an: Folie: Rogers Theorie zur Entwicklung der Persönlichkeit bzw. psychischer Störungen: v.a. 3 Konzepte sind in Rogers Theorie von Bedeutung: Subjektive Realität Aktualisierungstendenz Selbstkonzept 7 Folie: Subjektive Realität: Was bedeutet „subjektive Realität“?: Jede Person hat eine nur für sie gültige, subjektive Realität. d.h. jede Person nimmt Personen, Ereignisse und Dinge auf dem Hintergrund ihrer ganz persönlichen Erfahrungen und mit ihrem jeweiligen persönlichen Bewertungsmaßstab wahr. (siehe Grundlagenvorlesung Thema Wahrnehmungspsychologie) Jeder sieht die Welt sozusagen durch seine eigene Brille. Zwei Menschen können also die gleiche Situation völlig unterschiedlich wahrnehmen, beurteilen und entsprechend konträr handeln. Jeder nimmt seine Umwelt vor dem Hintergrund eines für das Individuum spezifischen inneren Bezugsrahmens wahr. Dieser Bezugsrahmen hat sich aus der Interaktion des Einzelnen mit seiner natürlich (und v.a.) sozialen Umwelt heraus entwickelt. Beispiel zur subjektiven Realität: Ein Elternpaar beobachtet beispielsweise, wie ihr sonst sehr zurückhaltender Sohn mit dem Ball eine Scheibe einwirft. Der Vater ist ein wenig stolz darauf. Er erlebt seinen Sohn als ‚richtigen Mann’, der auch mal in ‚Lausbubenmanier’ Unfug anrichtet. Die Mutter hingegen ist eher betroffen und wütend. Sei denkt eher an mögliche Konflikte mit den Nachbarn. Beide nehmen das Verhalten des Sohnes ganz unterschiedlich wahr und werden und ganz unterschiedlich reagieren: Die Mutter schimpft, der Vater versucht auszugleichen und zu beschwichtigen. Schlussfolgerungen für die Therapie: Der Therapeut kann den Klienten nur aus der Perspektive seiner eigenen Wahrnehmungen und Gefühle verstehen (=phänomenologisch-subjektivistischer Zugang). D.h. er sollte die Aufmerksamkeit nicht so sehr auf die Ereignisse selbst richten, sondern eher auf die Art und Weise, wie der Klient sie erlebt (die phänomenologische Welt des Einzelnen ist die Hauptdeterminante seines Verhaltens und macht ihn einmalig). Rogers vertrat die Ansicht, die Klienten würden mehr von der Therapie profitieren, wenn die Therapie von ihrer besonderen, subjektiven Sicht der Dinge ausginge statt von einer fremden Definition von objektiver Realität 8 Folie: Aktualisierungstendenz: Was bedeutet Aktualisierungstendenz? Rogers bezeichnet die Aktualisierungstendenz als „die dem Organismus innewohnende Tendenz zur Entwicklung all seiner Möglichkeiten; und zwar so dass sie der Erhaltung und der Förderung des Organismus dienen“ (Rogers, 1991, S. 21). Die Aktualisierungstendenz ist also die grundsätzliche Fähigkeit des Organismus sich selbst zu erhalten und sich weiter zu entwickeln. (Mit Organismus ist dabei i.d.R. die psychische und physische Ganzheit/Einheit des Menschen gemeint.) Jeder Mensch (bzw. jeder Organismus) habe – laut Rogers Vorstellungen – ein elementares Bedürfnis, o sich zu erhalten (sein Überleben zu sichern), o ein grundlegendes Bedürfnis nach Wachstum, Reifung, sich selbst zu verwirklichen (=Selbstaktualisierungstendenz), Gemeint ist damit ein fundamentales Entwicklungsprinzip: Rogers hat dies aus der Gestaltpsychologie abgeleitet. Moderne Forschung würde wohl vom Entwicklungsprinzip der Selbstorganisation sprechen (systemtheoretisch Theorien zur Selbstorganisation sind mittlerweile in den Naturwissenschaften vielfach belegt worden). Es handelt sich um eine richtungsgebende Kraft: Es handelt sich hier (nach Rogers Auffassung) um einen kreativen Wachstumsprozess, um eine schöpferisch-konstruktive, richtungsgebende Kraft im Menschen, sein in ihm liegendes Potenzial zu entwickeln. Es geht um Wachstum, Suche nach freudvoller Spannung. Es geht um die im Menschen innewohnende „Tendenz mühsam Gehen zu lernen, wo doch Krabbeln müheloser zur selben Bedürfnisbefriedigung führen würde“ (Rogers, 1991, S. 22). (Denken Sie nochmals an die Vorlesung „Psychologische Grundlagen“ – Kapitel Motivationspsychologie: Konzepte „Neugiermotivation“, optimale Erregung“ – „Flow-Erleben“ – Maslows Bedürfnishierarchie, wo das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung an der Spitze steht (und als Wachstumsmotiv gilt; im Gegensatz zu den anderen sog. Defizitmotiven). Dieser kreative Wachstumsprozess kann durch die individuelle Umwelt sowohl gefördert als auch gehemmt werden: Entsprechend verläuft der Entwicklungsprozess nicht immer geradlinig. Aufgrund schmerzhafter Erfahrungen kann es vorübergehend zum Stillstand der Entwicklung kommen oder zu einer gewissen Blockierung der Entwicklung. Schlussfolgerungen für die Therapie: Diese Aktualisierungstendenz ist das grundlegende Axiom des klientenzentrierten Ansatzes. Die klientenzentrierte Vorgehensweise ist darauf ausgerichtet, diese jedem Menschen innewohnende Kraft zu unterstützen. Therapeuten sollten nicht versuchen, Ereignisse für ihre Klienten zu verändern, sie sollten vielmehr versuchen, Bedingungen zu schaffen, die es den Klienten ermöglichen, in den gemeinsamen Stunden zu seiner eigentlichen Natur zurückzufinden. 9 Von dem dänischen Philosophen Kirkegaard übernahm Rogers die typische Formulierung, es gehe darum, das „Selbst zu sein (bzw. zu werden), das man in Wahrheit ist“. Der Therapeut versucht die Bedingungen so zu gestalten, dass es dem Klienten leichter fällt, sich frei zu entscheiden. Der Klient soll letztendlich selbst beurteilen können, was für ein Leben ihm entspricht und ihn befriedigt. Wenn die Menschen sich keine Sorgen um Beurteilungen, Forderungen und Vorlieben anderer machen müssen, dann wird ihr Leben von der angeborenen Neigung zu Selbstaktualisierung bestimmt. Daraus ergibt sich auch als Schlussfolgerung, o dem Klienten während der Therapie keine Ziele vorzugeben. o Der Klient soll weitestgehend die Leitung übernehmen sowie Gespräch und Sitzungsverlauf selbst bestimmen. Ein klientenzentrierter Gesprächspsychotherapeut richtet sich also nach dem Grundsatz, dass sich die angeborene Fähigkeit des Individuums zum Wachstum und zur Selbstverwirklichung durchsetzen wird. In den Begrifflichkeiten moderner Selbstorganisationstheorien gedacht heißt das: Ordnung muss nicht als ordnende Intervention (z.B. als kausale Steuerung oder Kontrolle) von außen ins System eingeführt werden (obwohl diese Möglichkeit weiterhin gegeben ist). Vielmehr bedeutet Intervention, günstige (also keineswegs beliebige!) Bedingungen zu schaffen, unter denen das System selbst eine neue Ordnung entwickeln kann bzw. von einem bestimmten Ordnungszustand (z.B. Struktur mit „Störungen“) in einen anderen (z.B. Struktur ohne „Störungen“) übergehen kann. Dabei sind – entgegen klassischer naturwissenschaftlicher Sicht – quantitative Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung entkoppelt, weil die weitere Entwicklungsdynamik von der Geschichte des Systems, d.h. dem temporären Systemzustand, abhängig ist. Überleitung: Ein wichtiger Teil der Aktualisierungstendenz ist die „Selbstaktualisierungstendenz“ Mit Aktualisierungstendenz ist ein fundamentales Entwicklungsprinzip gemeint. Im Grunde genommen gilt dieses für alle lebenden Organismen. Das Besondere an der menschlichen Entwicklung im Unterschied zu anderen Organismen ist, dass ein wesentlicher Teil der Entwicklung darin besteht, ein Bewusstsein von sich selbst zu entwickeln. Rogers bezeichnet diesen Teilaspekt der Aktualisierungstendenz als „Selbstaktualisierungstendenz“. Im Laufe dieser Entwicklung bildet sich ein Selbst bzw. ein Selbstkonzept heraus. 10 Folie: Selbstkonzept: Was ist mit Selbstkonzept gemeint? Durch Interaktionen mit seiner Umwelt entwickelt jedes Individuum (von Geburt an) ein Selbstkonzept, d.h. ein Bild von sich selbst „So bin ich!“ Das Selbstkonzept speist sich aus allen gesammelten Erfahrungen, die einen Bezug zur eigenen Person haben (aus den sogenannten „Selbsterfahrungen“). D.h. es entsteht aus Erfahrungen mit sich selbst und aus selbstwertbestimmenden Interaktionen mit anderen, bedeutsamen Personen (Eltern, Lehrer, Peers, usw.) Über die Zeit entwickelt sich ein relativ stabiles und überdauerndes Grippe von selbstbetreffenden Einstellungen. Diese Struktur wird eben „Selbstkonzept“ genannt. Das Selbstkonzept bildet den inneren Bezugsrahmen für neue Erfahrungen, es organisiert und strukturiert die Erfahrungen. Das Selbst ist dem Bewusstsein zugänglich. Die Person ist sich aber nicht in jedem Augenblick ihres Selbst gewahr. (Das Selbstkonzept ist bewusstseinfähig, aber nicht bewusstseinpflichtig) So hat jeder einen bestimmten Eindruck von sich (den er vielleicht, wenn er etwas Zeit zum Nachdenken hat genauer beschreiben kann): z.B. „ich bin fleißig“, ich bin ein Mensch, der gut zuhören kann“, „ich bin mutig“, „ich bin phlegmatisch“, „ich kann nicht singen“, „ich bin nah am Wasser gebaut“, „ich bin ein Versager“ etc. Übung: Selbstkonzept („So bin ich“): Gehen sie in sich und versuchen Sie zu ergründen, welches Selbstkonzept Sie von sich haben, machen Sie sich einige Notizen, tauschen Sie sich zu zweit kurz darüber aus: Ergänzende Fragen für das 2er-Gespräch: Seit wann denke ich so über mich, wie ich bin? War das schon immer so, hat sich mein Selbstkonzept im Laufe der Zeit verändert? Welchen Einfluss hat mein Selbstkonzept auf das, was ich so alltäglich tue? (auf meine Art die Dinge um mich herum wahrzunehmen, auf meine Handlungen, die Dinge die ich tue oder lasse?) Wie viel ist mir von meinem Selbstkonzept bewusst? Wenn ich mehr Zeit hätte und vielleicht einen verständnisvollen, empathischen Gesprächspartner, könnte ich dann vielleicht noch mehr darüber heraus finden, wie ich eigentlich, mich selber sehe, definiere. Folie: Wie entwickelt sich das Selbstkonzept? Das heranwachsende Kind ist abhängig von den Bewertungen relevanter Bezugspersonen: Für die Entwicklung des Selbstkonzeptes sind die zwischenmenschlichen Beziehungen grundlegend. Bereits das Kind lernt, einen Teil der Wahrnehmungen auf sich selbst zu beziehen. Dieses Bild vom eigenen Selbst wird auch zugleich begleitet durch SelbstBewertungen. Diese Selbstbewertungen sind zunächst wesentlich abhängig von den bewertenden Reaktionen bedeutsamer Bezugspersonen, wie v.a. den Eltern. 11 Um zu Überleben braucht das Kind die Zuwendung, positive Beachtung, Wertschätzung und Liebe der Bezugspersonen. Es ist deshalb in angeborener Weise mit einem starken Bedürfnis nach positiver Beachtung und Wertschätzung ausgestattet. Ein Kind kann sich dann psychisch gesund entwickeln, wenn es in seinem Erleben bestimmte förderliche Entwicklungsbedingungen vorfindet: Dies sind v.a. die Variablen „einfühlendes Verstehen“ (in der Bindungstheorie wird von Feinfühligkeit gesprochen), „unbedingte Wertschätzung“ und die „Echtheit“ der Bezugspersonen. Das Kind orientiert sich sehr stark an den Erwartungen der Bezugspersonen: Das Kind hat ein starkes Bedürfnis nach positiver Wertschätzung durch die Eltern. Dieses Bedürfnis führt dazu, dass sich das Kind sehr stark nach dem richtet, was von seinen Bezugspersonen als „richtig“ und „gut“ bewertet wird Es bekommt eine Vorstellungen von sich selbst, indem es die (positiven oder negativen) Reaktionen der Bezugspersonen für sich sozusagen als Spiegel nutzen lernt. Soziale und organismische Bewertung können sich widersprechen: Die von den relevanten Bezugspersonen stammende Bewertung könnte man auch als soziale Bewertung bezeichnen. Dies ist ein Bewertungsmaßstab für das heranwachsende Kind. Daneben gibt es aber auch noch die aus der Aktualisierungstendenz stammende organismische Bewertung. (d.h. die organismisch gefühlten Bedürfnissen und Reaktionen). Diese beiden Bewertungsmaßstäbe können sich widersprechen. Dazu folgendes Beispiel: Beispiel: „Der Indianer kennt keinen Schmerz“ (Teil 1): Ein kleiner Junge hat sich wehgetan und ist nahe daran zu weinen (organismische Bewertung durch die Aktualisierungstendenz). Der Vater steht daneben. Das Kind spürt, dass der Vater dieses Verhalten missbilligen würde. Deshalb schluckt das Kind die auftretenden Tränen herunter und macht ein fröhliches Gesicht, was ausdrücken soll: das hat mir gar nichts ausgemacht (Bewertung des Erlebens durch die Selbstaktualisierungstendenz). Bewertungen der Bezugspersonen sind Teil jeder normalen Entwicklung: Sicherlich sind die Bewertungen der Bezugspersonen Teil jeder normalen Entwicklung, sie sind nicht per se schlecht und müssen natürlich auch nicht gleich zu einer pathologischen Entwicklung führen. Im Gegenteil, diese Bewertungsprozesse stellen notwendige Entwicklungsbedingungen dar, die das Kind für seine Orientierung benötigt (z.B. im Rahmen der Moralentwicklung). Das heranwachsende Kind muss versuchen, die beiden Bewertungsmaßstäbe irgendwie zu integrieren. Es muss (im Zuge der Sozialisation in vielen Lebensbereichen) lernen, dass es sich nicht ausschließlich nach Maßgabe seiner organismischen Aktualisierungstendenz verhalten kann, 12 sondern dass es eben soziale Wertmaßstäbe berücksichtigen muss (Ich: das erinnert an die psychoanalytische Konzeption von „ES“ und „ÜBER-ICH“). Bei einer gesunden Entwicklung gelingt diese Integration: die Person lernt sowohl den eigenen organismischen Bedürfnissen als auch den sozialen Werten gerecht zu werden. Folie: Langzeitfolge „Entfremdung“: Problematisch ist es, wenn die eigenen organismischen Bedürfnisse auf Dauer unterdrückt werden: Es kann aber auch sein, dass der Widerspruch zwischen beiden Wertesystemen zu gravierend ist und zu mehr oder weniger starken inneren Konflikten führt. Z.B. könnte es sein, dass sich das heranwachsende Kind sehr viel mehr nach dem richtet, was seine Bezugspersonen als „richtig“ und „gut“ bewerten, als nach seinem organismischen Bewertungsprozess. Es könnte sogar sein, dass der eigene Bezugsrahmen des Kindes grundsätzlich in Frage gestellt wird und eigene Erfahrungen und Wahrnehmungen des Kindes als Bewertungsgrundlage auf Dauer ausgeklammert werden – und das wäre dann eher kritisch. Fortsetzung des Beispiels: „Der Indianer kennt keinen Schmerz“ (Teil 2): Durch wiederholende Erfahrungen der eben im Beispiel geschilderten Art entwickelt sich das Selbstbild heraus: „mir machen Schmerzen nichts aus“. In Rogers Terminologie ausgedrückt, heißt das: Der Erhaltung des Selbstkonzeptes wird Vorrang eingeräumt vor der Entfaltung des Organismus. Die Selbstaktualisierung, die das Selbstkonzept „ich bin keine Heulsuse“ erhält, bewirkt, dass die Erfahrung des Schmerzes verleugnet wird: „Es hat gar nicht weggetan“, oder verzerrt symbolisiert wird: „Es macht mir gar nichts aus.“ Wenn es schlecht läuft, entwickelt das Kind langfristig eine recht harte Einstellung gegenüber sich selbst, die sich vielleicht in der Lebenseinstellung verdichtet: „Ich darf keine Schwäche zeigen.“ Anderes Beispiel für ein dysfunktionales Selbstkonzept: „Nur, wenn ich etwas leiste, bin ich etwas wert!“ als Resultat der Erfahrungen von den Eltern nur für erbrachte Leistungen Anerkennung und Wertschätzung erhalten zu haben und als Person nicht um seiner selbst geliebt worden zu sein. Langzeitfolge „Entfremdung“: Auf diese Art und Weise können unendlich viele problematische Prägungen entstehen. Es könnten in dem Kind sehr viele Erfahrungen abgespeichert werden, die eher geformt wurden durch die „bewertende Brille“ einer erwachsenen Bezugsperson, statt durch die eigene organismische Bewertungstendenz. All diese Erfahrungen werden in dem sich bildenden Konzept vom Selbst integriert. Die Bindungsforschung hat eindrücklich gezeigt, wie perfekt bereits Kinder von einem Jahr ihre Gefühle unterdrücken können. Die eigenen Bedürfnisse werden so mit der Zeit immer weniger wahrgenommen, stattdessen identifiziert sich das Kind mehr und mehr mit den Wünschen und Bedürfnissen der Bezugspersonen. Langfristig kann es auf diese Weise zu einer zunehmenden Entfremdung kommen. 13 (Sollte diese bewusst werden, dann ist das bei den Betroffenen vielleicht mit einem diffusen Gefühle verbunden, sich bei sich selbst nicht richtig zuhause zu fühlen, nicht genau zu wissen, wer man ist, was man will, oder dem Gefühl, oft irgendwie neben sich zu stehen, etc.). Folie: Rogers Zitat zur Entstehung von Entfremdung: „Dies ist aus unserer Sicht die grundlegende Entfremdung im Menschen. Er ist nicht er selbst; er ist seinen natürlichen organismischen Bewertungen der Erfahrungen untreu. Nur um sich die positive Beachtung der anderen zu erhalten, verfälscht er einige wertvolle Erfahrungen und nimmt sie lediglich auf der Ebene der Bewertungen anderer wahr. Jedoch ist dies keine bewusste Entscheidung, sondern eine natürliche, ja tragische Entwicklung während der Kindheit. Der Weg der Entwicklung Richtung psychischer Reife, der Weg der Therapie, besteht in der Aufhebung dieser Entfremdung…(Rogers, 1991, S. 52) Das Selbstkonzept beeinflusst Wahrnehmung und Verhalten: Man kann das Selbstkonzept nicht gleichsetzen mit dem, was man unter „Selbstbeschreibung“ versteht. Das Selbstkonzept ist auch Antriebskraft und Gestaltungskraft für die Wahrnehmung und das Verhalten des Individuums. Das Selbstkonzept strukturiert die Wahrnehmungen des Einzelnen und beeinflusst auf diese Weise dessen Verhalten. Es ist für das Individuum ein ständiger Bezugspunkt. Das Selbstkonzept kann sich weiter entwickeln: Entsprechend der Aktualisierungstendenz kann sich das Selbstkonzept (im günstigen Fall) verändern, weiter entwickeln, ausdifferenzieren. Beispiele: Im Rückblick kann vielleicht ein 20jähriger feststellen, wie sehr er sich im Vergleich zu seinem Jugendalter schon verändert hat, er kann vielleicht feststellen, dass sein gegenwärtiges Selbstkonzept, nicht mehr demjenigen entspricht, dass er als 13jähriger von sich hatte.). Oder: Ein 40 oder 60jähriger wird womöglich wieder zu einem anderen Bild von sich selbst kommen, das deutlich von dem unterscheidet, das er im jungen erwachsenen Alter hatte. Zum anderen besitzt das Selbstkonzept die Tendenz, sich nicht verändern zu wollen: Mit zunehmender Entwicklung des Selbst, als einer psychischen Struktur, entwickelt sich als Teil der Aktualisierungstendenz eine Tendenz zur Selbstaktualisierung; d.h. Erfahrungen werden nun auch danach bewertet, ob sie für das Selbstkonzept förderlich sind. Diese Tendenz sorgt für die Erhaltung des sich bildenden Selbstkonzeptes. Natürlich werden auch (oder vielleicht sogar vor allen Dingen) die Selbsterfahrungen (bzw. selbstbezogenen Erfahrungen mit der Umwelt) entsprechend der subjektiven Realität bewertet (was zu einer gewissen Stabilität des Selbstkonzeptes beiträgt.) Dabei gibt es für die Person 3 unterschiedliche Möglichkeiten, Erfahrungen in das Selbstkonzept einzuordnen: 14 Folie: Drei unterschiedliche Möglichkeiten, Erfahrungen in das Selbstkonzept einzuordnen: Erfahrungen sind unwichtig – sie werden ignoriert: Die Person ist ständig einer Fülle von Sinneseindrücken und Wahrnehmungen ausgesetzt. Hier ist es sinnvoll, die unwichtigen auszublenden. Erst, wenn eine Situation auftritt, in der die Wahrnehmung von Bedeutung sein könnte, wird sie bemerkt. Beispielsweise wird man im Straßenverkehr nicht genau wahrnehmen, welche Marke jedes vorbeifahrende Auto hat. Trägt man sich aber mit dem Gedanken, ein bestimmtes Auto zu kaufen, wundert man sich, wie viele Autos dieser Marke „plötzlich“ unterwegs sind. Erfahrungen passen in das Selbstkonzept – sie werden integriert: Bestimmte Erfahrungen können aber auch integriert werden. Dabei lassen sind 2 Möglichkeiten unterscheiden: Es kann sein, dass die Erfahrungen irgendwie im Zusammenhang stehen mit dem Bedürfnis der Person: z.B. könnte sich die Interessenslage der Person verändern, so dass die Eindrücke dann bewusst werden (siehe Beispiel „Autokauf“). Oder: Die Wahrnehmungen passen in das Selbstkonzept und stärken diese Struktur: Beispiel: Eine Klientin hat beispielsweise die Überzeugung von sich, sie sei schüchtern und angepasst. o Sie nimmt aus der Menge an Erfahrungen die Situation wahr, in denen sie übergangen wurde, ihre Stimme zu leise wahr und sie nicht „gehört“ wurde. o (siehe auch Hypothesentheorie der sozialen Wahrnehmung: Beispiel: Jugendlicher, der die fest Hypothese hat, dass Frauen ihn nicht mögen.) Erfahrungen stehen im Widerspruch zum Selbstkonzept – sie werden geleugnet oder verzerrt wahrgenommen (bzw. erinnert): Weiterhin könnte es sein, dass Erfahrungen, die im Widerspruch zum Selbstkonzept stehen geleugnet (also nicht wahrgenommen) oder verzerrt wahrgenommen (bzw. erinnert) werden. Dazu folgendes Beispiel: Beispiel (1): Selbstkonzept „Dankbarkeit gegenüber den Eltern“: Ein junger Mann wächst in einer überbehütenden Umgebung auf. Er entwickelt das Selbstkonzept „Dankbarkeit gegenüber den Eltern“. Andererseits üben die Eltern sehr viel Kontrolle auf ihn aus. Das spontane, unverfälscht wahrgenommene Gefühl des jungen Mannes wäre, dass er sich über die Kontrolle der Eltern ärgert. Die Erfahrung „Ärger gegenüber den Eltern stimmt aber nicht mit dem Selbstkonzept „Dankbarkeit gegenüber den Eltern“ überein. Der junge Mann kann sich dieses Gefühl des Ärgers nicht erlauben, weil er sonst mit seiner festen Vorstellung, den Eltern zu Dank verpflichtet zu sein, in Konflikt geraten würde. Eine Lösung des Konfliktes besteht darin, den Ärger oder das vermeintlich Ärger auslösende Verhalten der Eltern nicht wahrzunehmen (oder in einer Weise wahrzunehmen, die weniger bedrohlich für das Selbstkonzept erscheint). 15 Möglicherweise finden die Gefühle des Ärgers einen anderen („versteckten“) Weg sich auszudrücken: o z.B. Ärger auf irgendwelche dritte, eigentlich unbeteiligte Personen o oder ein Ausdruck des Ärgers über den Weg der Somatisierung (z.B. in Form von Kopfschmerzen, Magenschmerzen, etc.) Beispiel (2) „Entstehung von kindlichen Berufswünschen (z.B. Kinderärztin)“: Kind spürt bei der Mutter, dass Kinderliebe und Arztberuf für die Mutter hohe Werte darstellen und äußert bereits als 5jährige den Wunsch „Ich möchte Kinderärztin werden“ (also die ideale Synthese der beiden mütterlichen Werte). (Eine 5jährige ist sicher nicht in der Lage, beurteilen zu können, was mit einer solchen Berufsentscheidung tatsächlich verbunden ist.) Diese Äußerung wird von der Mutter sehr positiv verstärkt und auch anderen Familienmitgliedern und Bekannten gegenüber immer wieder vor den Augen der Tochter mit stolz geschwelgter Brust kommuniziert: „Meine Tochter möchte mal Kinderärztin werden“. Das Kind integriert diese Erfahrung in das eigene Selbstkonzept „Ich bin ein Mensch, der wenn er Erwachsen ist, gerne einmal Kinderärztin werden möchte“. Diese Vorstellung von sich selbst bleibt dann über Jahre hinweg ein Teil der Identität des Kindes: Auf die Frage, was willst Du denn später mal werden“, heißt es immer „Kinderärztin“. Irgendwann, wenn die Entscheidung für ein Studium tatsächlich ansteht, wird rückblickend wahrgenommen: „Eigentlich habe ich schon als 5jährige „gewusst“, was ich will. Das ganze bekommt fast einen magischen, schicksalshaft-anmutenden Charakter (als ob das 5jährige Mädchen schon die eigentliche Berufung für diesen Beruf wahrgenommen hätte). Der betroffenen jungen Frau ist es nicht bewusst, dass der eigene scheinbar autonom geäußerte Berufswunsch, aus der feinfühligen, subtilen Wahrnehmung der mütterlichen Erwartung entstanden ist und dem Wunsch, von der Mutter geliebt zu werden, dass sie stolz auf einen ist. Möglicherweise ist aber Kinderärztin doch nicht derjenige Beruf mit dem die junge Frau glücklich werden wird. Sie stellt das erst fest, wenn Sie zunehmend mit der Realität des Berufsalltags konfrontiert wird. Wenn’s schlecht läuft, dann bleibt die Betroffene aber noch weiterhin in ihrem kindlichen Selbstkonzept gefangen und kann sich selbst und auch ihrer stolzen Mutter gegenüber nicht eingestehen, dass Sie den falschen Beruf ergriffen hat. Sie idealisiert nach wie vor ihre Tätigkeit als Kinderärztin, nimmt die Realität verzerrt wahr und reagiert stattdessen mit psychosomatischen Problemen, die langfristig dazu führen, dass Sie („leider“) ihren scheinbaren Traumberuf nicht mehr ausüben kann (oder sie manövriert sich durch problematische Helfer-Ideale über die Jahre hin weg immer mehr in den Burnout). 16 Folie: Klientenzentrietes Störungskonzept: Selbstkonzeptbedingte Wahrnehmungsverzerrung sind Quelle von psychischen Störungen: Sie sehen: Die ersten beiden Möglichkeiten, Erfahrungen in das Selbstkonzept einzuordnen, also irrelevante Erfahrungen zu ignorieren und andererseits Erfahrungen, die in das Selbstkonzept passen zu integrieren sind Bestandteile einer psychisch gesunden Form der Interaktion zwischen Individuum und sozialer Umwelt, die Leugnung oder Verzerrung von mit dem Selbstkonzept im Widerspruch stehende Erfahrungen kann eine Quelle von psychischen Problemen und Störungen sein. Was bedeutet in Rogers Theorie „psychische Gesundheit? Jemand, der sich selbst erfahren hat, sich akzeptieren kann und der seine gemachten Erfahrungen seinem Selbstkonzept zuordnen kann, wäre nach Rogers Theorie eher als gesunde Person zu bezeichnen. Was bedeutet in Rogers Theorie „psychische Störung“? Gestört ist jemand, der sein Selbstkonzept durch Auswahl bestimmter Erfahrungen und durch Verleugnung anderer erhalten hat. Diese Person hat im Verlauf ihrer Entwicklung gelernt, dass bestimmte Wahrnehmungen und Erfahrungen „gefährlich“ für das Handeln sein können. Sie erhalten keinen Platz im Selbstkonzept, sondern werden geleugnet. Dadurch entsteht der Konflikt: o der Kampf, die Person intakt, handlungsfähig zu erhalten, o dafür aber einen Teil seiner selbst durch Verleugnung aufzugeben. Eine Konsequenz einer solchen Entwicklung wäre Spannung und Angst; eine zweite Konsequenz, die sich ebenso beeinträchtigend auswirkt: Die Person lernt, sich selbst und den eigenen Erfahrungen als Maßstab für Handlungen zu misstrauen. Die Alternative besteht darin, sich abhängig zu machen, d.h. in der Umwelt Hinweise zu finden, die als sicher bewertet werden. Die Eigendynamik von Wahrnehmungsverzerrungen kann zu immer mehr Einengungen des Erlebens führen: Der eigentliche pathologische Prozess (bzw. Teufelskreis) ist, dass Wahrnehmungsverzerrungen eine ungünstige Eigendynamik entwickeln können. Sie können zu immer mehr Einengungen des Erlebens führen und diese Einengungen des Erlebens können wiederum die Wahrnehmungsverzerrungen verstärken (oder zumindest aufrecht erhalten). Die Selbstaktualisierungstendenz ist dann erstarrt. Übergeordnete Aspekte des klientenzentrierten Störungskonzeptes: D.h. erstens: Im Gegensatz zu psychiatrischen und psychodynamischen Ansätzen werden psychische Störungen nicht auf „zugrundeliegende“ Bedingungen (wie z.B. Krankheiten, innere unbewusste Konflikte, u.ä.) zurückgeführt. Im Blickpunkt stehen die aktuellen Schwierigkeiten bei der Bewältigung von Lebensproblemen (und die Eigendynamik von Wahrnehmungsverzerrungen) D.h. zweitens: „Psychisch Gesunde“ und „psychisch kranke“ Personen unterscheiden sich damit nur in dem Grad, in dem sie in der Lage sind, ihre Schwierigkeiten zu bewältigen. 17 Störungen werden weniger als Krankheiten verstanden, sondern als Defizit an Bewusstheit und damit als Mangel an Wachstum (eine gewisse Ausnahmestellung haben bei Rogers lediglich psychotische Störungen). D.h. drittens: Das medizinische Modell – insbesondere dessen Aspekte „Diagnose einer Störung“, „Spezifität der Behandlung“ und „Eingriffe zum Zweck der Heilung“ – wird in dieser Form abgelehnt. Damit verbunden ist auch, dass der Begriff „Patient“ durch den Begriff „Klient“ ersetzt wird. Inkongruenz: Das eben beschriebene Phänomen wird von Rogers auch Inkongruenz genannt. Laut Rogers führt ein Zustand der Inkongruenz zu psychischen Spannungen und längerfristig zu psychischen Störungen. Im Gegensatz dazu steht die Kongruenz: Folie: Kongruenz und Fully Functioning Person: Kongruenz: Im Zustand der Kongruenz lassen sich alle Wahrnehmungseindrücke in das Selbstkonzept integrieren und stehen dazu nicht im Widerspruch. Dem Bewusstsein sind alle Erfahrungen zugänglich; es kann alles so wahrgenommen werden, wie es ist, ohne Verzerrungen. Die Person befindet sich in einem Zustand des inneren Gleichgewichts. Das Verhalten (z.B. die Kommunikation) des Individuums, sein inneres Erleben und sein Bewusstsein bilden im Zustand der Kongruenz ein in sich widerspruchs- und spannungsreiches Ganzes. Fully functioning person: Diesen angestrebten Idealzustand bezeichnet Rogers als “fully functioning person” (voll erlebnis- und handlungsfähige Person). Würde die natürlich schöpferische Kraft der Selbstaktualisierungstendenz sich in der individuellen Entwicklung unbeeinträchtig entfalten können, dann würde sich eine Person in Richtung einer „fully functioning person“ entwickeln können. Rogers selbst war aber auch bewusst, dass dieser Zustand sicherlich nie vollkommen erreicht werden kann, aber man kann ihm (wie das auch für andere Ideale gilt) nahe kommen. Wichtig sei es nach Rogers eine möglichst gute Balance zu finden zwischen dem realen und idealen Selbstkonzept (zwischen Real-Ich und Ideal-Ich), d.h. dass sich das reale und das ideale Selbstkonzept einander annähern können bzw. dass sich die Person weitgehend so akzeptieren kann, wie sie ist. Kennzeichen für ein „neurotisch“ rigides Selbstkonzept ist, dass eine deutliche Diskrepanz besteht, zwischen dem, wie eine Person sich selbst sieht (reales Selbstkonzept) und dem, wie sie gerne sein möchte (ideales Selbstkonzept). 18 Nähere Beschreibung der fully functioning person: Bei einer fully functioning person würde keine Diskrepanz mehr bestehen zwischen dem realen und idealen Selbst. Personen die diesem Zustand der „fully functioning person“ nahe kommen, stehen ständig im prozesshaften Austausch mit ihrer Umwelt und können sich in voll funktionierender Weise selbst aktualisieren und weiterentwickeln. D.h. bei einer „fully functioning person“ wäre der Idealfall gegeben, wo Aktualisierungstendenz und Selbstaktualisierungstendenz zusammen fallen, d.h. der Mensch kann das, was gut für seinen Organismus ist, auch in sein Selbstkonzept integrieren. Eine „fully functioning person“ kann alle Erfahrungen – positive wie negative vollständig wahrnehmen und annehmen, z.B.: „Ich mache Fehler“, Ich könnte vor Wut jemanden umbringen“, „Ich habe Angst“, „Ich bin sozial sehr geschickt“, „Ich bin manchmal feige“, etc. Solche Personen sind offen für neue Erfahrungen, sie besitzen Vertrauen in sich selbst, v.a. indem sie den eigenen Gefühlen und Erfahrungen trauen. Weil sie gelernt haben, ihre eigenen Erfahrungen und Gefühle zu ihrem inneren Bewertungsmaßstab für ihr Handeln zu machen, sind sie auch nicht mehr so abhängig von Bewertungen anderer Menschen. Das therapeutische Grundpostulat: Rogers sah den Kern seiner Geprächspsychotherapie darin, Klienten zu helfen, sich mehr in Richtung einer fully functioning person zu entwickeln (bzw. die Entfremdung wieder zu überwinden) Schritt für Schritt muss man dem Klienten dazu verhelfen, dass ihm Zustände der Inkongruenz bewusst werden und er sie dadurch zugunsten kongruenteren Erlebens auflösen kann. Überleitung: Das müssen wir uns aber jetzt noch etwas genauer anschauen, wie das funktionieren soll. Vertiefung „Inkongruenz“: In einem Zustand der Inkongruenz befindet sich eine Person, wenn sie wichtige Erfahrungen nicht im Bewusstsein zulassen, diese Erfahrungen verleugnet oder verdrängt. Je mehr dies stattfindet, desto mehr kommt die Person in einen Zustand des seelischen Ungleichgewichtes, eben dem Zustand der Inkongruenz. Und: Durch ein dysfunktionales Selbstkonzept können psychische Prozesse und die Weiterentwicklung blockiert werden: Es besteht: o eine Diskrepanz zwischen dem eigentlichen Erleben und seinem bewussten Selbstkonzept, o eine Widersprüchlichkeit, Unvereinbarkeit zwischen unmittelbarem Erleben und dem Verständnis von sich selbst . o eine Diskrepanz zwischen Aktualisierungstendenz (Erleben mit dem gesamten Organismus gespürt und bewertet) und der Selbstaktualisierungstendenz (Erleben wird mit den Augen der bedeutsamsten Bezugspersonen bewertet). Diese Widersprüche können nicht in jedem Fall bewusst werden. Wenn sich eine Person ihrer Widersprüche („Inkongruenz) nicht bewusst ist, dann ist sie verletzlich. 19 Wenn sie die Widersprüche ahnt, dann befindet sich die Person in einem Spannungszustand, der i.d.R. als Angst erlebt wird. In jedem Fall bedeutet Inkongruenz die Erfahrung einer Bedrohung bzw. Beeinträchtigung der Person. Dies kann sich in Form einer Erstarrung bzw. in Form einer mangelnden Flexibilität im Verhalten oder mangelnden Flexibilität im Hinblick auf die weitere Entwicklung zeigen. (z.B. meidet eine Person ängstigende Situationen zunehmend) Die Diskrepanzen können vom Individuum nur gelöst werden, indem es die Erfahrungen entweder verzerrt, d.h. verfälscht wahrnimmt oder ganz verleugnet, wie bereits beschrieben. Lassen Sie mich diesen Zusammenhang anhand eines weiteren Beispiels verdeutlichen: Beispiel zur Entstehung von Inkongruenz: „Männer müssen hart sein“: Ein Mann hat durch seine Erziehung vermittelt bekommen: Männer müssen hart sein, sie müssen selbständig und unabhängig sein. Eines Tages verlässt ihn seine Frau, wegen eines anderen Mannes. Er fühlt sich wie vor den Kopf gestoßen. In seinem Inneren empfindet er Trauer, Verzweiflung und Wut, und es ist ihm oft zu weinen zumute (inneres Erleben). Diese Gefühle entsprechen aber überhaupt nicht seinem Selbstkonzept, der von ihm verinnerlichten Rolle als Mann. Deshalb verdrängt er die auftauchenden Gefühle. Er kann sie nicht an sich heranlassen, zulassen, weil Sie mit seinem Selbstkonzept überhaupt nicht vereinbar sind. (Schon eher vereinbar mit seinem Selbstkonzept, ist es, wenn er mit seinen Kumpeln zum „Saufen“ geht, in der Hoffnung die richtigen Gehirnzellen auszulöschen, die die schmerzliche Erinnerung an die Frau beinhalten). Seinen Freunden und Bekannten gegenüber muss er den ‚starken Mann’ spielen (Kommunikation), in der Meinung, dass er sonst nicht von diesen akzeptiert werden würde. Hinter der Oberfläche fühlt er sich aber niedergeschlagen und schwach; hat dazu aber keinen bzw. kaum einen Zugang. Das bewusste Erleben von Schwäche und Trauer ist blockiert (Bewusstsein). Es ist ihm nur bewusst, dass alles, was er unternimmt, um aus seiner misslichen Lage herauszukommen, schief geht. (das es ihm z.B. nicht gelingt, seinen Schmerz mit Alkohol zu ertränken, dass ihm die sexuellen Abenteuer in der sich stürzt, sein Gefühle der Schwäche zu überwinden). Je mehr Erfahrungen vom Individuum nicht zugelassen bzw. verzerrt wahrgenommen werden: desto starrer und enger wird sein Selbstkonzept, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass neue Erfahrungen als bedrohlich wahrgenommen werden und damit von der Integration ins Selbstkonzept ausgeschlossen werden. Die sie erlangte „falsche Struktur“ des Selbstkonzeptes bleibt auf diese Weise erhalten. Auf das Beispiel bezogen heißt dies: dass der Mann vielleicht immer weniger in der Lage ist, eine positive Beziehung zu Frauen aufzubauen (Er vermeidet z.B. zu viel Nähe, bleibt misstrauisch, möchte nicht 20 mehr so viel Gefühle in eine Partnerschaft investieren, versteckt wichtige Anteile von sich, will sich nicht mehr auf was Längeres einlassen, usw.) Möglicherweise hält er sein Selbstkonzept mit verzerrten Einstellungen „Alle Frauen sind untreu“ und „Eigentlich wollte ich schon immer Single sein“ aufrecht. Mit einem solchen Selbstkonzept kann er, sollte er wieder mal verlassen werden, dem erneuten Erleben von Trauern und Ohnmacht entgegenwirken. Überleitung: Wie kann man nun einem Klienten, der sich in dieser oder einer ähnlichen Weise in zunehmenden Selbsttäuschungen verstrickt, weiterhelfen. Folie: Klientenzentrierte Behandlungsziele: Ansatzpunkt für das therapeutische Handeln ist der vom Individuum erlebte Zustand der Inkongruenz. Ziel der Therapie ist es, dem Klienten dabei zu helfen, vom Zustand der Inkongruenz mehr und mehr zum Zustand der Kongruenz zu gelangen. Oder mit anderen Worten: Der Klient soll lernen, sich selbst ehrlich, tiefergehender betrachten zu können. Er soll sich zunehmend entdecken können und lernen, sich anzunehmen, wie er ist. Der Klient soll v.a. seine geleugneten Gefühle, die vorher zu schmerzhaft für das Selbstkonzept waren, wieder sehen und als zu sich gehörend wahrnehmen können. Weitere Erläuterungen: Er soll lernen, seine eigene Empfindungen, Gedanken und Verhaltensweisen zu schätzen, sich auf diese Weise von den eigenen Unsicherheiten und Zweifeln, die die Selbstaktualisierung bisher verhindert haben, zu befreien. Sein Selbstkonzept soll (Schritt für Schritt) flexibler (erweitert) werden, so dass er wesentlich mehr Erfahrungen in das eigene Selbstkonzept integrieren (d.h. für sich akzeptieren) kann, so dass der Klient immer mehr Gefühle und Erfahrungen als „zu sich gehörig“ erleben kann, er sich mehr auf sein eigenes inneres Erleben verlassen lernt, statt abhängig zu sein von rigiden (aus den Bezügen der Kindheit stammenden) Bewertungsbedingungen. Diesen Prozess könnte man dann als „Erfahren des Selbst“ (bzw. „Selbsterfahrung“) oder als Selbstexploration bezeichnen. (Der Prozess der Veränderung von einer sehr rigiden, Probleme und Gefühle nicht wahrnehmenden Persönlichkeit bis hin zur Person, die alle Erfahrungen in ihr Selbstkonzept integrieren kann wurde von Rogers in Form einer siebenstufigen Prozessskala beschrieben (vgl. Rogers, 1997, S. 33 ff)) Auf das Beispiel bezogen bedeutet dies: dass der Mann im Gespräch mit dem Therapeuten (in der angstfreien, einfühlsamen Atmosphäre des therapeutischen Gespräches), seine Traurigkeit und Verzweiflung zulassen und erleben kann und dass er auf diese Weise lernt, seine „schwache Seite“ zu akzeptieren. Gelingt ihm dies, kann er diese Erfahrung als festen Bestandteil in sein Selbstkonzept integrieren. Er lernt sein Selbstkonzept zu erweitern: Es enthält nicht nur den Aspekt „Ich bin stark und unabhängig“, sondern auch die Aspekte „Ich darf schwach sein“ und „Ich brauche Geborgenheit“. 21 Beispiel „Fachklinik“: Thema „Meine schwachen Seiten als Mann“ als sehr fruchtbares Thema in der Gruppentherapie von alkoholkranken Männern.“ Patientenbeispiel „Hr. Hammer“: die Skinhead-Kickbox-Kampfmaschine mit extremen Liebeskummer, Trauer um den Verlust der Großeltern. Ziel ist die Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit (nicht eine spezifische Problem- oder Symptomreduktion): Hinzu fügen muss man, dass die Klientenzentrierte Psychotherapie das Ziel verfolgt Gesamtpersönlichkeit des Klienten zu entwickeln, es geht nicht um eine spezifische Problem- oder Symptomreduktion. Und: Es geht auch darum, den Klienten zu befähigen, auch mit künftigen Problemen besser fertig zu werden. Rogers (1972, S. 36) schreibt dazu: „Das Individuum steht im Mittelpunkt der Betrachtung und nicht das Problem. Das Ziel ist es nicht, ein bestimmtes Problem zu lösen, sondern dem Individuum zu helfen, sich zu entwickeln, so dass es mit dem gegenwärtigen Problem und mit späteren Problemen auf besser integrierte Weise fertig wird. Wenn es genügend Integration gewinnt, um ein Problem unabhängiger, verantwortlicher, weniger gestört und besser organisiert zu bewältigen, dann wird es auch neue Probleme auf diese Weise bewältigen.“ Überleitung: Nun schauen wir uns das Ganze mal näher an: Was könnte dem Klienten helfen, sich seiner Inkongruenzen bzw. verzerrten Wahrnehmungen bewusst zu werden? Was könnte dem Klienten helfen sich seinen Ängsten, sich kritischen Erfahrungen zu stellen, die er bislang nicht an sich heranlassen konnte – weil es ihn vermutlich zu sehr schmerzen würde. Zunächst braucht es bestimmte Grundhaltungen, mit denen man in das Gespräch mit dem Klienten geht und es braucht bestimmte Rahmenbedingungen. Folie: Rahmenbedingungen, Gesprächspsychotherapie: äußere Merkmale der Zu den äußeren Merkmalen gehört die Therapiesituation (das „Setting“): z.B. eine gleichberechtigte Sitzposition; Die Gesprächspartner sitzen sich gegenüber (face-to-face) und haben Augenkontakt (im Gegensatz zum klassischen psychoanalytischen Setting) Die Einzel-Sitzung dauert 45 bis 50 min; Frequenz: i.d.R. einmal pro Woche. z.T. regelmäßige Aufzeichnung auf Tonband oder Video (natürlich im Einvernehmen mit dem Klienten) Bezüglich der Therapiedauer kann es eine große Variabilität geben, sie hängt sehr von der zu behandelnden Störung ab. Nach einer repräsentativen Untersuchung von Eckert und Wuchner (1994) betrugt diese im Durchschnitt 69 Sitzungen (mit einer großen Variationsbreite). Überleitung: Jetzt schauen wir uns aber im Folgenden die Klientenzentrierten Grundhaltungen etwas genauer an: 22 Klientenzentrierte Grundhaltungen Einführung: Die sogenannten Basisvariablen der Gesprächsführung, dienen v.a. dem Aufbau einer vertrauensvollen, tragfähigen Beziehung zwischen Therapeut und Klient. Es ist wichtig, dass in der Therapie einen Raum und eine Atmosphäre zu schaffen, dass dem Klienten Zustände der Inkongruenz bewusst werden und die Vermittlung neuer Erfahrungen möglich ist, er sich angstfrei seinen Selbsttäuschungen stellen kann, neue Erfahrungen machen kann und sich sicher genug fühlt, neue Verhaltensweisen auszuprobieren. Dazu braucht es v.a. dreierlei: Die 3 klientenzentrierten Grundhaltungen im Überblick: Empathie (einfühlendes Verstehen) Positive Wertschätzung (Akzeptanz) Echtheit (Kongruenz) Als notwendige und hinreichende Variablen: Die 3 Basisvariabeln werden von Rogers als notwendig und hinreichend für die Erreichung positiver Therapie- (bzw.) Beraterungsergebnisse erachtet. Sie gelten auch heute noch in allen Beratungskonzepten als generelle Grundlagen förderlicher Hilfebeziehungen. (Um den humanistischen Kern der Klientenzentrierten Therapie hervorzuheben von den 3 Aspekten einer Begegnungshaltung; eben in Anlehnung an die ICH-DUBegegnung von Buber.) Kann man die (beraterisch-therapeutischen) Grundhaltungen lernen? Prinzipiell ja, sie sind aber nicht im gleichem Maße erlernbar, wie die Gesprächsmethoden. Viele Kennzeichen der Grundhaltungen sind subtil und werden durch körpersprachliche Signale bzw. durch die Stimme, die Betonung, u.a. zum Ausdruck gebracht. Deshalb kann man auch keine Anleitung für deren Erwerb geben. Vielmehr entsprechen Empathie, Kongruenz und Wertschätzung zum überwiegenden Teil einer inneren Haltung und einem persönlichem Feingefühl. Empathie kann u.a. durch die Gesprächstechniken des Spiegelns erreicht und erlernt werden, bei positiver Wertschätzung und Kongruenz, geht es vielmehr um die Entwicklung der gesamten Beraterpersönlichkeit (bzw. Therapeutenpersönlichkeit). Somit kommen der Selbsterfahrung, d.h. der Auseinandersetzung mit der persönlichen Biografie, und der Reflexion des Therapeuten-(bzw. Berater)verhaltens in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. 23 Baustein: Empathie Was bedeutete Empathie? Rogers Definition: Rogers (1959, 210) definierte einfühlendes Verstehen (Empathie) als das genaue Wahrnehmen des inneren Bezugssystems eines anderen samt der emotionalen Komponenten und Bedeutungen, so als wäre man der andere, ohne dabei aber je diese „Als-ob“-Bedingung aus den Augen zu verlieren. Optimal gelungen wäre das genaue Einfühlen, wenn Ihr Verständnis vom Klienten mit seinem Bild von sich selbst in Deckung gebracht werden kann. Dies gibt dem Klienten das Gefühl, dass Sie ihn verstehen. Einfühlendes Verstehen umfasst zweierlei: ein genaues Verstehen der Welt, in der der Klient lebt; also fähig zu sein, die Dinge so zu sehen, wie er sie sieht. dem Klienten dieses einfühlende Verstehen auch zu zeigen. Woran merken Sie, dass Ihr Klient sich verstanden fühlt?: z.B. durch Klientenäußerungen wie „Ja, so ist es“ oder „Genau, das stimmt“ Mitfühlen, aber nicht mitleiden: Wichtig ist der Zusatz in Rogers Definition: sich einfühlen, so als wäre man der andere, „ohne dabei aber je diese ‚Als-ob’-Bedingung aus den Augen zu verlieren“. In freundschaftlichen Beziehungen kann es vielleicht kann sich Einfühlen bedeuten, sich mit dem Freund zu identifizieren, vielleicht so weit, dass man selbst von den Gefühlen erfasst wird und wenn diese negativ sind auch entsprechend mit leidet. Das ist für eine professionelle Hilfebeziehung nicht erstrebenswert: Erstens, weil es den Helfer auf Dauer selbst zu stark belasten würde und zweitens weil die helfende Person, durch starke Gefühle, selbst quasi „blind“ werden kann. Einfühlen bedeutet auch kritische Distanz zu wahren, nicht Identifikation: Würde nämlich der Therapeut die Problematik ausschließlich durch die Brille des Klienten sehen, wäre er nicht in der Lage andere Zusammenhänge zu erkennen. Dies ist aber eine unabdingbare Voraussetzung für den therapeutischen Prozess. Die Einfühlung des Therapeuten muss immer von dem Bewusstsein begleitet sein, dass es eben nicht die eigenen Erfahrungen sind, sondern die eines anderen Menschen, in die man sich einfühlt. Geht dieses Bewusstsein verloren, dann kommt es zu einer Vermischung zwischen den wahrgenommenen Gefühlen des Klienten und den eigenen Gefühlen des Therapeuten. Der Therapeut ist dann mit dem Klienten identifiziert. Geteilte Verwirrung ist keine Einfühlung: 24 Besonders deutlich wird dies, wenn es sich beim Klienten um verwirrende Gefühle handelt. Sollte sich hier der Therapeut in identifizierender Weise einfühlen, wäre er auch nicht mehr in der Lage, zur Klärung des Erlebens des Klienten beizutragen. Funktion der Empathie Empathie ist wichtig Beziehungsaufbau und angstfreie Atmosphäre: für den Aufbau einer vertrauensvollen, tragfähigen Berater-Klient-Beziehung. Der Klient erfährt keine Belehrungen, Bewertungen und Kritik und wird so befähigt, angstfrei und ohne Abwehrmaßnahmen über seine Gefühle und Konflikte zu sprechen. Der Klient erlebt, dass Sie ihm (obwohl Sie keine Ratschläge geben) aktiv zugewandt sind und großen Anteil an seiner Person und seinen Emotionen nehmen. Klient gewinnt einen gewissen Abstand zum Problem: Wenn es dem Berater gelingt sich in den Klienten gut einzufühlen, den Klienten von seinen Bezugspunkten her zu verstehen und es dem Berater darüber hinaus gelingt, das von ihm Verstandene möglichst präzise dem Klienten mitzuteilen, kann der Klient seine Empfindungen aus einer gewissen Distanz heraus wahrnehmen. Diese Distanz ermöglicht es ihm, Einstellungen und Werthaltungen in Frage zu stellen (ähnlich wie jemand, der seine Empfindungen in Briefen oder in einem Tagebuch niederschreibt und auch dadurch das Erlebte aus einer gewissen Distanz heraus sieht und es besser verarbeiten kann). Ein wichtiges Instrument der Selbstexploration des Klienten: Insgesamt ist das einfühlende Verstehen ein wichtiges Instrument der Selbstexploration des Klienten, ein Instrument, um mehr Klarheit in die Problemsicht sowie mehr Klarheit bzgl. der eigenen Wünsche, Ziele und potenziellen Lösungswege zu bekommen. Empathie hilft die Wertschätzung für den Klienten zu entwickeln: Darüber hinaus ist das einfühlende Verstehen auch mit den anderen beiden Basisvariablen eng verknüpft. Das einfühlende Verstehen ist z.B. das entscheidende Mittel um einen Klienten uneingeschränkt akzeptieren zu können. Beispiel: Wenn es Ihnen gelingt, sich in eine Person einzufühlen, in dem Moment, in dem sie aus reiner Hilflosigkeit jemanden Gewalt angetan hat, dann können Sie diese Person annehmen, auch wenn Sie das Verhalten per se missbilligen. Tiefergehende Empathie Gelungene Empathie heißt sich auch in „nebelige Zone am Rande der Gewahrwerdung“ einzufühlen: Rogers, 1982, S.76: „Es bedeutet, dass der Therapeut genau die Gefühle und persönlichen Bedeutungen, die der Klient erlebt, spürt, und dass er dieses Verstehen dem Klienten mitteilt. 25 Wenn dies in größtmöglicher Weise gelingt, ist der Therapeut so sehr innerhalb der privaten Welt des anderen, dass er nicht nur die Bedeutung klären kann, derer sich der Klient bewusst ist, sondern sogar jene, die sich gerade eben unter dem Bewusstseinsniveau befinden“ Empathisches Verstehen bezieht sich nicht nur auf die Gefühle, die dem Klienten im Moment zugänglich sind, (bzw. die er explizit nennt), sondern auch auf die „nebelige Zone am Rande der Gewahrwerdung“ (Rogers, 1997, S. 24), d.h. Empfindungen, die der Klient vielleicht irgendwie spürt, die er andeutet, die er aber noch nicht in Worte fassen kann. Angedeutet werden diese Gefühle häufig in Signalen der nicht-verbalen Kommunikation: in der Stimme, Mimik, Gestik und Körperhaltung. Das empathische Verstehen muss über das Gegenwärtige hinausgehen: Will der Klient weiterkommen muss er i.d.R: seinen bestehenden Bezugsrahmen (seine gegenwärtige phänomenologische Welt) erweitern. Da Emotionen und Handlungen davon bestimmt werden, wie der Einzelne sich selbst und seine Umgebung wahrnimmt, d.h. durch seine Phänomenologie, brauchen diejenigen, die mit ihrer gegenwärtigen Lebensweise nicht zurechtkommen oder unzufrieden sind, eine neue Phänomenologie. Dem Klienten nur seine gegenwärtige Phänomenologie vor Augen zu führen, kann keinen therapeutischen Wandel bewirken. Der Klient muss eine neue Phänomenologie erwerben. D.h. das empathische Verstehen des Therapeuten muss über das Gegenwärtige hinausgehen. D.h.: Der Therapeut sollte nicht nur versuchen, das vom Klienten Gesagte widerzuspiegeln, er sollte auch versuchen, über das vom Klienten unmittelbar ausgedrückte hinaus Erlebnisanteile in Worte zu fassen und ihm mitzuteilen, als etwas, was er (der Therapeut) verstanden zu haben meint. Der Therapeut kann darin auch das wiedergeben, was er hinter dem beobachtbaren Verhalten und den Äußerungen des Klienten vermutet, besonders hinsichtlich mitschwingender emotionaler oder motivationaler Bedeutungsanteile und beteiligter Kognitionen. Sachse (1992) konnte in seinen Untersuchungen zeigen, dass es v.a. die präzisen mepathischen Therapeutenäußerungen mit vertiefendem Charakter sind, die für den therapeutischen Fortschritt des Klienten entscheidend sind. Sie gehen zwar über das bloße Widerspiegeln hinaus, sind aber durch den genauen thematischen Bezug auf die unmittelbar vorausgehenden Klientenäußerungen gekennzeichnet. Übrigens: Empathie ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der Emotionalen Intelligenz: postuliert Goleman (1998) in seinem sehr populär gewordenen Buch „Emotionale Intelligenz“ d.h.: Empathie ist auch in allgemeiner, übergeordneter Hinsicht eine wichtige Eigenschaft sowohl für den Therapeuten als auch für den Klienten. Überleitung: Es lohnt sich demnach aus mehreren Gründen das Einfühlende Verstehen zu erlernen (gerade für Personen mit einem psychosozialen Beruf) 26 Was gehört dazu, um die Kunst des einfühlenden Verstehens zu erlernen? (0) Grundlegende Voraussetzungen für das Erlernen von einfühlendem Verstehen: Einfühlendes Verstehen zu erlernen ist nicht einfach. Es verlangt von seinen eigenen Betrachtungsweisen auf die des Klienten umzuschalten, - mit den Augen des Klienten zu sehen, nicht mit den eigenen. Dazu gehört auch, die Gefühle wahrzunehmen, die er empfindet, nicht die, die Sie in der betreffenden Situation hätten. Einfühlendes Verstehen verlangt ein geschicktes Zuhören, so dass Sie nicht nur das Offenkundige, sondern auch das nur schwach Angedeutete bemerken, dessen sich der Klient möglicherweise selbst gar nicht bewusst ist. Eng mit der Grundhaltung der Empathie verbunden sind die Gesprächstechniken des Paraphrasierens (inhaltliches Rückmelden) und des Verbalisierens emotionaler Erlebnisinhalte (VEE) (zusammen auch Spiegeln) genannt. (denken Sie nochmals an das, was Sie in Gesprächsführung gelernt haben!) (1) Zeigen Sie Ihr ehrliches Bemühen, dass Sie den Klienten verstehen möchten: Der erste Schritt zum Erlernen der Kunst der genauen Einfühlung besteht darin, zunächst Ihr ehrliches Bemühen zu zeigen, - zu zeigen, dass Sie den Klienten verstehen möchten. Können Sie sich an die Gefühle erinnern, wenn jemand das, was Sie sagten, wirklich zu verstehen schien? Oder wenn jemand Sie gründlich missverstand? Natürlich kann es auch in der Beratung oder Therapie, wie in jeder zwischenmenschlichen Beziehung zu Missverständnissen kommen. Das ist aber keine Katastrophe. Wichtig ist, wie Sie sich Verhalten, wenn Sie Ihren Klienten missverstanden haben. Sie können auch dann Ihr Bemühen ausdrücken, den Klienten zu verstehen. Dazu ein Beispiel: o Berater: „Wenn ich sie so recht verstanden habe, dann fragen sie sich, ob sie wirklich lieben können, sogar ob sie überhaupt lieben wollen.“ o Klient: „Nein, so habe ich das nicht gemeint.“ o Berater: „Ich möchte Sie gerne richtig verstehen. Können sie mir das genauer darstellen?“ (2) Lernen Sie die Rolle Ihrer eigenen Gefühle und Bedürfnisse und deren Einfluss auf die Hilfebeziehung zu hinterfragen und zu kontrollieren: Die eigene Gefühle und Bedürfnisse können beim Bemühen den Klienten zu verstehen störend dazwischentreten. Auch dies ist ein alltägliches Phänomen, das Sie sicherlich schon oft erlebt haben. Vielleicht können Sie sich an eine Beziehung erinnern, in der Ihre eigenen intensiven Gefühle verhinderten, die Gefühle der anderen Person wahrzunehmen? D.h. wenn Sie ein präzises Einfühlungsvermögen entwickeln wollen, dann gehört es auch dazu, dass Sie ihre eigenen Motive und Bedürfnisse erkennen und kontrollieren, damit diese Sie nicht daran hindern, die Gefühle und Probleme Ihres Klienten zu verstehen und zu besprechen. Im Allgemeinen gilt: Je offener Sie für Ihre eigenen Emotionen sind, desto besser können Sie die Gefühle anderer deuten“. 27 (Die Förderung der Emotionalen Intelligenz ist deshalb gerade für psychosozial Hilfstätige besonders wichtig). Die eigenen Gefühle und Bedürfnisse haben auch bei Ihnen immer eine Lerngeschichte. Das Bearbeiten der eigenen Lerngeschichte im Zuge eines wiederholten Selbsterfahrungsprozesses hilft zwischen den eigenen Problemen und denen des Klienten klar zu unterscheiden. Letztendlich führt dies zu einem unverfälschteren Blick auf den Klienten. Es kann durchaus sein, dass der Helfer sich durch die Problematik des Klienten selbst berührt fühlt, weil er beispielsweise das gleiche Problem aus der eigenen Lebensgeschichte kennt. Die Kontrolle der eigenen Betroffenheit bewahrt ihn davor, dem Klienten sofort mit Ratschlägen oder Hilfestellungen zu Hilfe zu eilen. Das ist wichtig, weil die Schilderung der eigenen Betroffenheit (i.d.R.) dem Klienten nicht hilft (zumindest auf lange Sicht). Möglicherweise fühlt sich der Klient dem Helfer im Moment näher, möglicherweise glaubt er auch, gerade dieser Helfer könne ihm besonders helfen, weil er ja die Problematik kenne. Es ist grundsätzlich nicht auszuschließen, dass das förderlich sein kann; in der Regel sind solche 'Verbrüderungen' für den beraterisch-therapeutischen Prozess jedoch hinderlich. Die helfende Person muss also auch lernen, die eigene Betroffenheit, eigenen Wertungen oder Meinungen zurückzuhalten. Sie können den Klienten nur verwirren, sie bringen ihn auf Nebengleise, sie machen ihn möglicherweise neidisch oder noch abhängiger. Der Klient muss sein Problem auf seine Weise lösen, er kann nur auf die Ressourcen zurückgreifen, über die er selbst verfügt. (3) Verstehen allein genügt aber nicht. Sie müssen Ihren Klienten auch verbal mitteilen, wie Sie ihn verstehen. d.h. sie brauchen in dieser Hinsicht eine besondere Kommunikationsweise. Eine Art der Kommunikation, die für den Klienten wie eine Art Spiegel wirkt. Ein Spiegel (ein Feedback) seiner Äußerungen (v.a. auch seiner Gefühle oder auch anderer Dinge, die gerade in der Beratung ablaufen, z.B. wenn der Klient ständig fragen stellt und man genau dies thematisiert). (4) Fazit: Man braucht Zeit und Übung, um genaues einfühlendes Verstehen in Klienten oder andere Personen zu erlernen. Sie müssen erst die Anliegen, Gefühle und Überzeugungen des Klienten erfahren, so gut wie möglich verstehen, und dann darauf reagieren. 28 Baustein: Wertschätzung Einleitung: Auch die positive Wertschätzung des Klienten gehört zu den unverzichtbaren Basisvariablen. Was bedeutet positive Wertschätzung? Rogers selbst spricht von unbedingter (d.h. nicht an Bedingung geknüpfte) Wertschätzung. („unconditional positive reagrd“ bzw. „need for positiv regard“; manche Autoren bevorzugen die Übersetzung: Bedingungsfreie Anerkennung) Es geht um ein Annehmen des Klienten ungeachtet, der verschiedenen Bewertungen, die man selbst ihren verschiedenen Verhaltensweisen gegenüber hat. Es geht darum, das Verhalten und die Erfahrungen des Klienten uneingeschränkt zu akzeptieren, den Klienten in seinem „Da-Sein“ zu akzeptieren, ohne diese Akzeptanz an Bedingungen zu knüpfen. D.h. der Klient wird vom Berater akzeptiert und angenommen, unabhängig davon, was er äußert, unabhängig davon, wie er sich gerade gibt. Es geht darum, dass der Therapeut den Klienten in seinem Anders- und Fremdsein akzeptiert und auch so belassen kann. Mitunter geht es in diesem Zusammenhang auch um emotionale Wärme, Akzeptieren und Achten des Klienten; um Respekt für den Klienten. Der Helfer lässt sich auf die Person des Klienten ein und bringt ihm aufrichtiges Interesse entgegen, er akzeptiert seine Aussagen und nimmt ihn mit seinen Problemen an. Der Klient soll erfahren, dass er um seiner selbst willen (so wie er ist) respektiert wird. Es geht darum, den Klienten zu akzeptieren, wie dieser ist, als ganze Person, mit allen Schwächen und Fehlern. Oder noch mal anders ausgedrückt: „Es geht um die Fähigkeit und die Bereitschaft des Therapeuten, den Klienten als Mitmenschen zu erleben und sich auf eine existenzielle Begegnung mit ihm einzulassen, ohne ihn in Wert- und Nutzen-Kategorien aufgrund seiner Handlungen, Eigenschaften und Worte einzuordnen.“ (Kriz, 2001, S. 178) „Die Kernfrage ist also, ob der Therapeut im Klienten den Menschen wahrzunehmen vermag, oder nur (aufgrund eigener Probleme, angelernter Schablonen, etc.) auf ein Bündel von Rollen, Handlungen, Worten schematisierend reagieren kann.“ (Kriz, 2001, S. 178) Was wäre ein Ausdruck für das Fehlen einer unbedingten Wertschätzung? Wenn Aussagen des Klienten negativ bewertet (oder gar verurteilt) werden. Wenn die Gefühle des Klienten missachtet werden oder mit ihnen nicht sorgsam umgegangen ist. Wenn der Berater sich nicht um einfühlendes Verstehen bemüht und dem Klienten seine Ansichten und Lösungsvorschläge überstülpen möchte. Das Gegenteil von positiver Wertschätzung wären Missbilligung, Kritik, Abwertungen des Klienten Ebenso unvereinbar mit dem Konzept der unbedingten Wertschätzung wäre allerdings auch eine selektive Wertschätzung, d.h. wenn die Wertschätzung nur für bestimmte Gesprächsinhalte erfolgt und für andere nicht. 29 Zusammenfassung zur positiven Wertschätzung/Akzeptanz: Es geht also um: Achtung und Wertschätzung für den anderen, auch wenn sich die eigenen Wertmaßstäbe und die des Klienten widersprechen, um einen Freundlichen und herzlichen Kontakt, um Rücksicht und Nachsicht Ermutigung und Wohlwollen Beiderseitiges Vertrauen Die Funktion von positiver Wertschätzung Metapher vom Gärtner: Wenn ich dem Klienten eine positive Wertschätzung und Wärme anbiete, erfährt er etwas Ähnliches, wie wenn ein Gärtner dafür sorgt, dass eine Pflanze Raum zum Wachsen und Sonnenlicht bekommt. Zitat Rogers (1989, S. 142) zur Bedeutung positiver Akzeptanz für den therapeutischen Prozess: „Wenn der Klient feststellt, dass ihm jemand zuhört und ständig akzeptiert, wie er seine Gedanken und Gefühle äußert, lernt er nach und nach dem zuzuhören, was in seinem Inneren vorgeht; er lernt wahrzunehmen, dass er wütend oder ängstlich ist oder liebevolle Empfindungen verspürt. Allmählich wird er fähig, auf Empfindungen in seinem Inneren zu lauschen, die ihm früher so seltsam, so erschreckend oder bedrohlich erschienen waren, dass er sie ganz aus dem Bewusstsein verbannt hatte. Während er diese verborgenen und „schrecklichen“ Aspekte seines Selbst bloßlegt, merkt er, dass sich an der akzeptierenden Haltung des Therapeuten ihm gegenüber nichts ändert. Und langsam beginnt er die gleiche Einstellung sich selbst gegenüber anzunehmen und sich so, wie er ist, zu akzeptieren, womit er die Voraussetzung für seine Weiterentwicklung schafft. (Wenn der Klient schließlich imstande ist, sich selbst besser wahrzunehmen, gelangt er zu größerer Kongruenz und kann sich offener äußern. Er gewinnt zuletzt die Freiheit, sich zu verändern und in die Richtung hin zu entwickeln, die der reifende menschliche Organismus natürlicherweise einschlägt.) Es ist ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen, akzeptiert und anerkannt zu werden. Eine Person, die mit sich selbst unzufrieden ist, die Hilfe braucht oder die von ihrer Umwelt mit negativen Werturteilen bedacht wird bzw. abgelehnt wird, für diese Person ist es doppelt wichtig, weil sie meist gerade das: Akzeptierung und Anerkennung, am meisten entbehren musste. Die positive Wertschätzung des Helfers führt zu einer größeren Selbstachtung und Akzeptierung der eigenen Person (ist sozusagen bereits ein therapeutischer Faktor für sich) Positive Wertschätzung ist die Grundvoraussetzung für einen partnerschaftlichen Umgang, für ein vertrauensvolles Klima. Dem Klienten der positive Wertschätzung und emotionale Wärme erfährt, fällt es leichter, sich zu öffnen. 30 Es gibt dem Klienten mehr Sicherheit (bzw. weniger Angst- und Spannungsgefühle) Wenn er merkt, dass er als Mensch akzeptiert ist, fällt es ihm leichter seine Abwehrhaltung aufzugeben, sich zu zeigen wie er ist und neue Risiken einzugehen bzw. neues Denken, Fühlen und Handeln zu erproben. Insbesondere kann der Klient dann vielleicht auch den Mut entwickeln, auch Emotionen und Gedanken zu äußern, die allgemein als „inakzeptabel“ gelten und sich damit auseinander zu setzen. Der Klient erlebt, dass der Berater alles, was ihn ausmacht akzeptiert (und dieses nicht bewertet). Rogers-Zitat zur Wirkung von Wertschätzung (Rogers, 1972, S. 46): „Der Berater akzeptiert und anerkennt die positiven Gefühle, die ausgedrückt werden, auf die gleiche Art, in der er die negativen Gefühle akzeptiert und anerkannt hat. Diese positiven Gefühle werden nicht mit Beifall und Lob akzeptiert. Moralische Werte gehen in diese Art der Therapie nicht ein. Die positiven Gefühle werden ebenso als Teil der Persönlichkeit akzeptiert wie die negativen. Dieses Akzeptieren sowohl der reifen wie der unreifen Impulse, der aggressiven wie der sozialen Einstellungen, der Schuldgefühle wie der positiven Äußerungen bietet dem Individuum zum ersten Mal in seinem Leben Gelegenheit, sich so zu verstehen, wie es ist. Es hat nicht mehr das Bedürfnis, seine negativen Gefühle zu verteidigen. Es hat keine Gelegenheit, seine positiven Gefühle überzubewerten. Und in dieser Situation treten Einsicht und Selbstverstehen spontan zutage. Wer selbst nie diese Entwicklung von Einsicht beobachtet hat, wird schwerlich glauben, dass Individuen sich selbst und ihre Strukturen so wirkungsvoll erkennen können. Wertschätzung hat einen positiven Rückkopplungseffekt: Wenn man eine andere Person mag, hat das immer einen Rückkopplungseffekt. Sie werden es einer Person, die Sie schätzen auch zeigen, dass Sie sie schätzen. Das allein kann dazu führen, dass sich diese Person positiver sieht und als wertvoller erlebt. Relativierung des Konzeptes unbedingte Wertschätzung Kongruenz und bedingungsloses Annehmen können sich widersprechen: Es handelt sich hier um das umstrittenste Konzept in der klientenzentrierten Therapie. v.a. müssen Kongruenz auf der einen Seite und bedingungsloses Annehmen auf der anderen Seite nicht notwendigerweise übereinstimmen. Man muss nicht alles gut finden: Positive Wertschätzung zu zeigen, heißt, den Klienten als einmalige und wertvolle Person zu respektieren. Man muss nicht notwendigerweise mit allen Einstellungen und Werten (z.B. moralische, politische, religiöse) der Person übereinstimmen. Kriz (2001, S. 178) meint dazu: „Diese bedingungslose Annahme des Klienten bedeutet keineswegs, dass seine Handlungen gebilligt und seine Einstellungen geteilt 31 werden müssen. Vielmehr ist gemeint, jenseits dieser Oberflächenstrukturen eine tiefe Achtung vor menschlichem Leben und seiner Vielfalt empfinden zu können, wie sie sich im individuellen So-Sein des Klienten manifestiert. Auf diesem Hintergrund der tiefen Achtung vor dem menschlichen Leben, geht es also nicht darum „alles gut zu finden“ oder „mit allem Einverstanden“ zu sein, was der Klient sagt, tut, getan hat oder beabsichtigt zu tun. Aber auch in diesen Fällen ist ein Zurückstellen und Heraushalten der eigenen Bewertungen des Beraters sinnvoll (v.a. in der Anfangsphase einer Therapie, wenn es um den Aufbau einer tragfähigen Beziehung geht). Persönlich eingebrachte emotionale (insbesondere selbstkonzeptrelevante) Erlebnisinhalte bedürfen in der Tat einer unbedingten Wertschätzung: Was aber schon wichtig ist: Bedingungsfreies Annehmen muss auf jeden Fall für die von Klienten in der Therapiesitzung zur Sprache gebrachten Erfahrungen, ihre Bewertung in Bezug auf seinen Organismus und sein Selbstkonzept vorhanden sein. Einzelne Verhaltensweisen, nicht die Person kritisieren: Auch ist es manchmal durchaus sinnvoll, einzelne Verhaltensweisen zu kritisieren. Entscheidend ist, dass die persönliche Bewertung der Verhaltensweise nichts an dem Wert dieser Person ändert. Auf einer tragfähigen Beziehung verträgt der Klient, dass ich bestimmte Verhaltensweisen nicht akzeptiere, wenn ich ihm insgesamt, das Gefühl vermitteln kann, dass ich ihn als Person wertschätze; wenn ich ihn als Person und Mensch annehme, während ich einige seiner einzelnen Taten und Verhaltensweisen ablehne. Positive Gefühle sollten überwiegen: Entscheiden ist vielleicht auch eher, dass ein genügend großes Ausmaß an positiven Gefühlen dem Klienten gegenüber vorhanden ist (und nicht die negativen Gefühle überhand gewinnen). Leichtgläubige Haltung, aber nicht alles glauben müssen: Auch heißt positive Wertschätzung nicht, dass man alles, was der Klient äußert, auch glauben muss. Trotzdem ist es ist wichtig, dem Klienten gegenüber eine gewisse „leichtgläubige Haltung“ einzunehmen, d.h. den Klienten als Person zu achten und ihn so vorbehaltlos und vorurteilsfrei wie möglich in seiner individuellen Erlebniswelt wahrzunehmen und zu respektieren. Rogers (1989, S. 138) schreibt dazu: „Der klientenzentrierte Therapeut strebt in mancherlei Hinsicht geradezu eine „leichtgläubige Haltung“ an, bei der der Klient so akzeptiert wird, wie er sich mitteilt, ohne dass der Therapeut insgeheim den Verdacht hegt, der Klient sei im Grunde genommen ganz anders. Dies ist keineswegs Dummheit seitens des Therapeuten; es ist die Haltung, die mit größter Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass der Klient Vertrauen fasst, sein Selbst weiter erkundet und unrichtige Äußerungen korrigiert, sobald sich sein Vertrauen gefestigt hat. Offenbar ist der Therapeut zu einer solchen emotionalen Zuwendung dann imstande, wenn er den Klienten im Innersten ganz als das akzeptieren kann, was dieser ist – oftmals eine defensive, verletzliche, innerlich zerrissene Person, die aber ungeheure Wachstumsmöglichkeiten in sich trägt.“ 32 Was tun, wenn das mit der unbedingten Wertschätzung nicht klappt? Es handelt sich um ein anzustrebendes Ideal: Die Forderung, dem Klienten jeweils mit emotionalem Engagement und uneingeschränktem Akzeptieren gegenüberzutreten, muss als Ziel, als anzustrebendes Ideal angesehen werden. Auch wenn Sie sich sehr bemühen, wird dies nicht immer im gleichen Maße zu verwirklichen sein. Unechte Wertschätzung ist auf Dauer kaum möglich: Es geht nicht um eine antrainierte Freundlichkeit (um eine Pseudo-Interessiertheit, wie sie beispielsweise bei Verkäufern üblich ist) Wärme, Akzeptanz und Wertschätzung werden sehr stark nonverbal vermittelt. Das heißt, eine aufgesetzte, unechte Wertschätzung ist auf Dauer kaum möglich. Eine eigentlich abwertende Haltung dem Klienten gegenüber ständig bewusst kontrollieren zu müssen, ist kaum durchgehend aufrecht zu erhalten. (Hier ist Selbsterfahrung nötig!) Positive Wertschätzung kann nicht i.S. einer Intervention eingesetzt werden: Bedingungsfreie Anerkennung kann nicht in die therapeutische Beziehung i.S. einer Intervention gezielt „eingebracht“ werden. Sie stellt sich günstigstenfalls ein. Positive Wertschätzung wird eher bewusst, wenn sie fehlt, nicht wenn sie da ist: Wenn sich positive Wertschätzung im günstigen Fall einstellt, wird sie gerade in dem Moment eigentlich wenig bewusst. (es sei den man verspürt eine deutliche Bewunderung für den Klienten) Da wird dem Therapeuten schon eher bewusst, wenn er nicht oder nur eingeschränkt zu einer positiven Wertschätzung in der Lage ist: o Wenn er z.B. ungeduldig ist, o wenn der Klient sich wiederholt, o wenn er bleierne Müdigkeit spürt, obwohl er eigentlich ausreichend lange geschlafen hat, o wenn er sich nicht auf das konzentrieren kann, was der Klient sagt usw. Abweichungen von der bedingungsfreien Anerkennung, die mit negativen Gefühlen verbunden sind, sind i.d.R. leichter zu erkennen als die, die von positiven Gefühlen begleitet sind. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer reaktiven Inkongruenz auf Seiten des Therapeuten. Beispiel „Ungeduldig auf die Uhr schauen“: Der Therapeut ertappt sich dabei, dass er während der Therapiesitzung mit einem Klienten heimlich auf die Uhr schaut. Er hat Mühe, dem Klienten zu folgen. Er fühlt sich leer und wünscht sich das Ende der Stunde herbei. Er kann sich diese Gefühle nicht erklären. Er versucht sie zu ignorieren und zwingt sich, dem Klienten zugewandt zu bleiben. Plötzlich springt der Klient auf und bricht die Sitzung vorzeitig ab, mit den Worten: 33 „Das bringt wohl heute nichts“. Reaktive Inkongruenz schränkt die Empathie des Therapeuten ein: An diesem Beispiel wird deutlich: Wenn beim Therapeuten Gefühle auftauchen, die er sich nicht erklären kann (also eine sog. reaktive Inkongruenz auftritt), schränkt das die inneren Freiheitsgrade des Therapeuten erheblich ein. Er kann dann seine Aufmerksamkeit nicht mehr uneingeschränkt auf den Klienten richten. Er kann nicht umhin, sich mit seinen eigenen Gefühlen zu befassen. I.d.R. ist in so einem Fall nicht nur die bedingungsfreie Anerkennung des Therapeuten beeinträchtig, sondern auch seine Empathie. In unserem Beispiel war die Empathiefähigkeit des Therapeuten so sehr eingeschränkt, dass er gar nicht mehr wahrgenommen hatte, wie sei Klient auf ihn reagierte. So wurde er vorm vorzeitigen Abbruch der Sitzung durch den Klienten völlig überrascht. Empathie und Wertschätzung sind eng miteinander verbunden: Dabei gilt auch der umgekehrte Zusammenhang: Gelingt es dem Therapeuten nicht, seinen Klienten empathisch zu verstehen, wird das über kurz oder lang dazu führen, dass er die Erfahrung seines Klienten auch nicht bedingungsfrei anerkennen kann. Man kann auf Dauer nur etwas wirklich anerkennen, was man auch versteht. Abweichungen von der bedingungsfreien Anerkennung können gezielt als Signal genutzt werden: D.h. wenn es im Verlaufe eines Gespräches – aus welchen Gründen auch immer – zu einem Nachlassen der bedingungsfreien Anerkennung kommt, dann ist das ein wichtiges Signal, Eine Alarmanlage, die das Vorliegen einer Störung in der gesprächspsychotherapeutischen Beziehung anzeigt. Der Therapeut kann lernen dieses Signal gezielt zu nutzen. Der Therapeut sollte versuchen, heraus zu finden, wodurch eine Abweichung von der bedingungsfreien Anerkennung ausgelöst worden sein könnte. Er kann dies entweder in stummer Selbstreflexion während der Sitzung oder in einer Supervision danach tun. Häufig führt schon der Umstand, dass der Therapeut erkennt, wodurch die Abweichung ausgelöst worden ist, dazu, dass sich diese verflüchtigt. Abweichungen von der bedingungsfreien Anerkennung können sogar der Schlüssel für ein besseres Verständnis des Klienten sein: Eine solche Erkenntnis kann aber häufig zu einem tieferen Verstehen des Klienten führen. Indem der Therapeut wahrnimmt, was der Klient bei ihm für Gefühle auslöst, bekommt er vielleicht eine bessere Vorstellung darüber, wie der Klient auf seine Sozialpartner wirkt. Eventuell ist es sinnvoll, genau dies dem Klienten in einer geeigneten Form mitzuteilen (als konstruktives Feedback). Dazu später mehr! Beispiel: Klient der keine Wut zulässt löst diese im Therapeuten aus: 34 Stellen wir uns z.B. einen Klienten vor, dessen Selbstkonzept es nicht zulässt, dass er wütend wird oder Hass verspürt. Der Klienten beschreibt reihenweise Situationen, in denen er sich nicht wehr, obwohl er unfair behandelt wird. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der sich einfühlende Therapeut bei der Thematisierung entsprechender Erfahrungen registriert, wie er selbst wütend wird – vielleicht auch auf den Klienten, weil dieser sich nicht wehrt, obwohl er doch offensichtlich so unfair behandelt wird. Der Therapeut versteht auf diesem Wege, wie sein Klient Wut und Hass seinem Selbsterleben und damit auch seinem Selbst fernhält. Das Auftauchen von Inkongruenzen ist ein selbstverständlicher Bestandteil des therapeutischen Prozesses: In diesem Beispiel wird deutlich, dass das Auftauchen von Inkongruenzen (meistens erfahrbar durch Abweichungen von der bedingungsfreien Anerkennung), kein Ausdruck von therapeutischer Unzulänglichkeit (oder gar eines therapeutischen Kustfehlers) ist, sondern ein selbstverständlicher Bestandteil des therapeutischen Prozesses. Im Gegenteil: Das Auftreten von Abweichungen von der bedingungsfreien Anerkennung wird in der Gesprächspsychotherapie als Schlüssel für ein besseres Verständnis des Klienten genutzt. Wie kann ich positive Wertschätzung entwickeln? Kann man eine solche Haltung überhaupt lernen?: Rogers spricht z.T. auch davon, dass es darum geht eine reife Form von mitmenschlicher Liebe zu entwickeln, ein Gefühl dem Klienten gegenüber, das weder patriarchalisch sorgend, noch sentimental, noch oberflächlich liebenswürdig ist“. Kriz (2001, S. 179) meint dazu: „Es erscheint mir als zweifelhaft, dass solche Empfindungen „gelehrt“ bzw. „gelernt“ und „trainiert“ werden können, sondern hier bedarf es der förderlichen Bedingungen, unter denen sich eine solche Haltung entfalten kann und alle neurotischen Hindernisse, die dieser Haltung entgegenstehen, überwunden werden können.“ Obwohl Kriz damit wohl prinzipiell recht hat, scheint es mir trotzdem sinnvoll einige Denkanstöße zu geben, wie sich positive Wertschätzung entwickeln lässt. Wertschätzung hängt auch vom Wahrnehmungsfokus ab: Die Akzeptanz und Wertschätzung des Klienten ist nicht etwas, was man naturgemäß hat oder nicht, es hängt schon sehr wesentlich davon ab, wie sehr sich der Helfer darum bemüht, eine solche Grundeinstellung bei seiner Arbeit umzusetzen. Es kommt auch darauf an, worauf man den Wahrnehmungsfokus legt: Sieht der Berater v.a. die Mängel, Unzulänglichkeiten, problematischen Einstellungen des Klienten, werden vielleicht die negativen Gefühle die Oberhand gewinnen. Werden auch die positiven Eigenschaften und Ressourcen gesehen, können die positiven Gefühle den Klienten gegenüber zunehmen. Das Wertschätzen sollte integraler Bestandteil der eigenen Persönlichkeit sein (nicht nur ein aufgepfropftes Ideal): 35 Sicherlich kann man sich hier nicht einfach programmieren und eine grundsätzliche Abneigung einfach wegschieben, verdrängen. Man sollte sich hier nicht einfach was vormachen. Problematisch wären hier auch unreflektierte überzogene Helfer-Ideale, im Sinne einer nicht in die eigene Persönlichkeit integrierte Über-Ich-Forderung. Wichtig ist, dass Sie sich bewusst machen, inwieweit Sie einen Klienten akzeptieren und annehmen können. Dies setzt als erstes voraus, dass Sie Ihren Gefühlen möglichst offen gegenüberstehen bzw. dass Sie gelernt haben, Ihre Wünsche und Gefühle wahrzunehmen. Nur so kann es zu einem Loslassen aller Bewertungen kommen. Verständnis ist der Schlüssel für die Entwicklung von Wertschätzung: Vielfach geht es darum, sich zu bemühen, eine positive Wertschätzung zu entwickeln. Das gelingt vielleicht umso eher, je mehr es mir als Berater gelingt, für den Klienten ein Verständnis zu entwickeln. Gerade wenn ich eine Verhaltensweise des Klienten schwer akzeptieren kann, frage ich mich, warum er so geworden ist, ich versuche seine Lerngeschichte zu verstehen, unter welchen Umständen und Lebensbedingungen dieser Mensch aufgewachsen ist. Vielleicht gelingt es mir zu erkennen, wo hinter allem ein Schutz- und Abwehrverhalten stehen kann. Im Extremfall: Wenn ich verstehe, wie z.B. der Täter (z.B. Kindesmissbraucher) so geworden ist wie er ist, gelingt es mir vielleicht eher den Menschen zu sehen und diesen eine Stück weit wertzuschätzen (obwohl ich seine Taten nach wie vor nicht akzeptieren kann). Auch ein guter fachlicher Background (z.B. zum Verständnis von psychischen Störungen) kann in diesem Zusammenhang eher hilfreich sein (z.B. ein Wissen darüber, dass bei Suchtpatienten Rückfälle und Lügereien ein Teil der Störungsdynamik sind). Andere wertschätzen zu können hat auch etwas mit der Wertschätzung für sich selbst zu tun: Eine wichtige Voraussetzung für die positive Wertschätzung anderen Menschen gegenüber, ist das eine solche auch in genügendem Maße für sich selbst vorhanden ist. Jemand der sich mit seinen Stärken und Schwächen selbst gut annehmen kann, kann eine solch’ wohlwollende Haltung und Akzeptanz auch leichter anderen Menschen gegenüber empfinden. Auch dies kann man ein Stück weit lernen, wenn man sich auf einen Selbsterfahrungsprozess einlässt. Fehlende Wertschätzung aufgrund eigener Abwehrmechanismen: Wenn ich Eigenschaften oder Verhaltensweisen des Klienten nur schwer annehmen kann, kann das auch am meinen eigenen Schutz- und Abwehrmechanismen liegen. Oft ist es so, dass ich beim Klienten (i.S. einer Projektion) das abwehre (also nicht annehmen kann), was ich in oder an mir selber abwehre. Deshalb ist es wichtig, seine eigenen Abwehrmechanismen zu erkennen und anzunehmen, um diese nicht auf den Klienten zu übertragen, um damit bewusst und vorsichtig umzugehen. Wertschätzung fällt leichter, wenn man das Konzept der Übertragung verstanden hat: 36 Ich kann den Klienten eher annehmen und wertschätzen, wenn ich mir von der Tiefenpsychologie sagen lasse, dass es die sog. Übertragung gibt: Der Klient überträgt seine Erfahrungen und sein in der Kindheit erworbenes Verhalten auf mich (und auf andere Menschen). Letztendlich meint er damit (wahrscheinlich) nicht mich persönlich, sondern jemand aus seiner Kindheit. Wenn ich das beachte, kann ich die Angst, die Skepsis, das Misstrauen, das devote Verhalten oder die Aggression des Klienten mir gegenüber besser akzeptieren: Letztlich gilt das wohl seinem Vater oder seiner Mutter (oder anderen wichtigen früheren Bezugspersonen). Positive Wertschätzung mitteilen: Positive Wertschätzung dem Klienten gegenüber zu empfinden (bzw. zu entwickeln) ist die eine Sache, die andere Sache ist, einen geeigneten Weg zu finden, dass der Klient dies auch spürt. Wie kann ich es ihm mitteilen? Lernen ohne Hemmung positive Wertschätzung zu äußern: Der erste Schritt, zu einer positiven Wertschätzung zu kommen, besteht darin, es überhaupt zu erlernen, sich ohne Hemmung und Ängste, Wärme und Anerkennung zu äußern; Die Fähigkeit frei und ungehemmt anderen Personen Gefühle der menschlichen Wärme und Wertschätzung zu zeigen ist eine durchaus erlernbare Fähigkeit. In welchem Ausmaß teilen Sie anderen Menschen Ihre positive Wertschätzung mit? Wie oft sagen Sie etwa: Ich mag Dich; ich bin gerne mit Dir zusammen; Du bedeutest mir viel, wenn du da bist, freue ich mich; usw. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie so etwas sagen? Wie empfindet das die andere Person? Wenn Sie solche Äußerungen nur selten oder gar nicht machen, was hält Sie davon ab? Wollen Sie es mal ausprobieren und bei der nächsten Gelegenheit einer Ihnen nahestehenden Person die hier angesprochenen Gefühle mitteilen. Nonverbale Möglichkeiten des Ausdrucks von Wertschätzung: Gerade so etwas wie Wärme und Wertschätzung lässt sich sehr gut auf nonverbalem Wege mitteilen. Mimische Reaktionen, Lächeln, Blickkontakt. Eine freundlich-warme Stimme Ihr gesamtes nonverbales Verhalten lässt den Klienten Ihre Zuwendung spüren. Verbale Möglichkeiten des Ausdrucks von Wertschätzung: Äußerungen, die Engagement, Beteiligung und Anteilnahme erkennen lassen. v.a. Äußerungen einer gefühlsmäßigen Anteilnahme, v.a. wenn sie gezielt und ehrlich verwendet werden. (Wenn jemand ständig nette Dinge sagt, verlieren sie ihren Wert). Annehmen und Wertschätzung zeige ich dem Klienten durch ein umfassendes, aufmerksames Zuhören, Durch einfühlendes Verbalisieren Dadurch, dass ich mich dem Klienten gegenüber echt verhalte. 37 Beispiele für Äußerungen einer gefühlsmäßigen Anteilnahme: Klient: „Ich weiß, ich sollte das nicht tun, weil das jedes Mal egoistisch ist. Ich bin eben nun mal egoistisch, und das ist ein schlechter Zug an mir.“ Berater: „Ich finde es gut, dass Sie das zugeben.“ Klient: (weint) „Entschuldigen Sie, dass ich jetzt weine. Meine Eltern sagen, ich bin ein Kind, weil ich immer heule, aber ich bin so kaputt, dass ich nicht anders kann.“ Berater: „Mir macht es nichts aus, wenn Sie hier weinen.“ Was tun, wenn ich eine Seite des Klienten nicht wertschätzen kann?: Ich stehe offen und echt zu meinen Grenzen. Ich erlaube es mir, dass ich nicht alles annehmen kann. Sofern ich eine Seite (bzw. bestimmte Verhaltensweisen) des Klienten nicht annehmen kann, ist u.U. (je nach Klient und Gesamtsituation) sinnvoll, dies anzusprechen – und zwar dann in einer möglichst konstruktiven Form, nämlich als Ich-Botschaft: Beispiel: Ich kann Sie an vielen Punkten akzeptieren, aber an diesem einen Punkt fällt es mir schwer. Ich möchte gemeinsam mit Ihnen einen Weg suchen. Bei unauflösbaren Inkongruenzen notfalls die Therapie nicht fortführen: Wenn der Therapeut seine entstanden Inkongruenzen für sich nicht auflösen kann, wäre das ein wichtiges Thema für die Supervision. Oft lässt sich dann mit Hilfe der Supervision eine Klärung herbeiführen. Die Therapie kann dann konstruktiv fortgesetzt werden. Die Supervision könnte aber auch zu der Erkenntnis führen, dass der Therapeut die Behandlung nicht fortführen sollte. Das ist aber selten. Aber: Falls Sie einen Klienten trotz allem nicht in genügendem Maße wertschätzen können, sollten Sie den Klienten in einer für den Klienten möglichst akzeptablen Weise an einen Kollegen abtreten. Ein gut ausgebildeter Psychotherapeut weiß i.d.R. durch eigene Selbsterfahrung (oder Psychotherapie) in seiner Therapieausbildung, für welche Klienten er wahrscheinlich kein „guter“ Therapeut sein kann. 38 Übungen zum Thema „Wertschätzung“ Übung (1): Wertschätzung für verschiedene Verhaltensweisen Bearbeiten Sie folgende Liste (jeder für sich) Geben Sie für jede der angegebenen Verhaltensweisen an, wie viel Akzeptanz Sie gegenüber Gesprächspartnern (bzw. Klienten) haben, die eine solche Verhaltensweise zeigen (z.B. sich eine bequemes Leben machen). Dabei bedeutet 1: sehr viel Akzeptanz und Wertschätzung und 6: geringste Wertschätzung. Tauschen sich danach in der 3er-Kliengruppe aus. Übung (2) : Berateranworten, die unbedingte Wertschätzung ausdrücken: Fallbeispiel: Stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein Klient, ca. 54 Jahre als, von Beruf Kraftfahrzeugschlosser, beklagt sich darüber, dass er nach 10 Jahren Zugehörigkeit zu einer Firma nach einem Diebstahl von einigen Zubehörteilen gleich entlassen wurde und nun schon seit 8 Wochen arbeitslos ist und noch keine Stelle gefunden hat. Aufgabe 1: Sammeln Sie so viele spontane Erwiderungen wie möglich, die gar keine oder nur wenig unbedingte Wertschätzung erkennen lassen. Aufgabe 2: Sammeln Sie spontane Erwiderungen, die eine unbedingte Wertschätzung erkennen lassen. Übung (3): Rollenspiel „Wann bin ich wertschätzend?“ Rollenspiel in Dreier-Gruppen: Berater, Klient, Beobachter Wann, in welchen Situationen fällt es mir schwer, wertschätzend und emotional engagiert zu sein, in welchen nicht so sehr? Wann bin ich wertschätzend und emotional engagiert, wann nicht? Übung (4): Diskussion zu Schwierigkeiten der Realisierung von unbedingter Wertschätzung in der Berufspraxis Diskutieren Sie (eventuell in Kleingruppen von 2-4 Personen) darüber, welche Schwierigkeiten Sie sehen, in Ihrem Berufsfeld emotionales Engagement und nicht an Bedingungen gebundenes Akzeptieren zu verwirklichen. Dazu einige Denkanstöße: Was mache ich, o wenn der Klient – durch negative Erfahrungen misstrauisch geworden – meine Wertschätzung für eine neue „Masche“ hält? o wenn der Klient sich nicht mehr lösen mag, weil er endlich jemanden gefunden hat, der ihm die so lange entbehrte akzeptierende Zuwendung gibt? o wenn meine Art, wertschätzend zu sein, in Konflikt gerät mit einer eventuellen Kontrollfunktion, die ich im Rahmen einer Institution auszuüben habe? 39 Baustein: Kongruenz Einleitung: Die Echtheit des Beraters ist die dritte der (von Rogers postulierten) Basisvariablen. Was bedeutet Kongruenz / Echtheit des Beraters?: Rogers hat in diesem Zusammenhang den Begriff Kongruenz ins Spiel gebracht. Damit ist gemeint, dass der Berater dem Klienten gegenüber Ehrlichkeit, Transparenz und Offenheit zeigt. Es geht darum in der Begegnung mit dem Klienten keine „Rolle“ zu spielen, sondern als Person da zu sein. Kongruenz bedeutet (für Rogers, 1967), dass der Therapeut (Berater) bei der Arbeit mit dem Klienten so ist, wie er ist. (wörtlich Kongruenz = Deckungsgleichheit) Kongruenz bedeutet auch wörtlich: Übereinstimmung mit sich selbst; ein Übereinstimmen von innerem und äußerem Erleben. Der Therapeut gibt nichts vor, zeigt keine falsche Fassade, sondern spürt (und lebt z.T. auch) offen die Gefühle und Gedanken, die ihn im Augenblick bewegen. Er erlebt und fühlt im Kontakt mit dem Klienten nichts, was er nicht als zu sich selbst gehörend ansehen kann oder seinem Bewusstsein fernhalten müsste. Echtheit / Kongruenz bedeutet, dass der Berater oder Therapeut sich dessen, was er erlebt oder empfindet, deutlich gewahr wird, dass ihm diese Empfindungen verfügbar sind, er Zugang zu seinen Gefühlen hat, diese nicht abwehrt und dass er seine Gefühle für das Verständnis des Klienten nutzen kann und er ggf. sein inneres Erleben in den Kontakt mit dem Klienten einbringt, wenn es angemessen ist (Rogers, 1997, S. 31) Sofern es für den Klienten hilfreich ist, ist der Therapeut bereit „als Mensch in Erscheinung zu treten“, indem er den Klienten an seinen eigenen Erlebens-Reaktionen teilhaben lässt. (Dies ist oft missverstanden worden als Aufforderung zu ständiger Selbstoffenbarung! Mehr dazu später!) Signalkongruenz: Ein weiterer Aspekt der Kongruenz/Echtheit des Therapeuten ist die sogenannte Signalkongruenz: Es ist wesentlich, ob der Klienten den Therapeuten in dem, was er tut als stimmig oder widersprüchlich wahrnimmt: gemeint sind also „Kanaldiskrepanzen“ beim Therapeuten, z.B. Diskrepanzen zwischen verbaler Äußerung und nonverbalen Signalen Der Therapeut wird vom Klienten nur dann als stimmig erlebt, wenn dessen Fühlen, Sprechen und Denken übereinstimmen, so dass der nonverbale Ausdruck und die verbalen Äußerungen einander entsprechen – d.h. kongruent sind. Transparenz: Unter dem Konzept der Echtheit kann man auch den Aspekt der Transparenz einordnen. D.h., dass die Handlungen des Therapeuten für den Klienten zu jedem Zeitpunkt verständlich und nachvollziehbar sind (v.a. auch die einzelnen Schritte in der Therapie und das Finden der Therapieziele). 40 Der Therapeut/Berater verfolgt im Umgang mit dem Klienten keine „geheimen Pläne“. Der Klient wird am Vorgehen beteiligt, soll und darf Einblick in die beraterischtherapeutischen Strategien und Vorgehensweisen erhalten. Dies ist eine deutliche Abgrenzung zu manchen Interventionsstrategien wie es sie z.B. in der systemischen Therapie z.T. gibt (paradoxe Interventionen). Auch in der Psychoanalyse ist für den Klienten nicht alles transparent (gerade wenn der Psychoanalytiker auf die klassische Abstinenzregel setzt). VT setzt wiederum sehr stark auf Transparenz (vielleicht sogar am meisten unter den psychotherapeutischen Schulen). Transparenz ist u.a. auch ein bedeutender Aspekt für die Motivation des Klienten. Woran erkennt man fehlende Echtheit? Wenn z.B. eine deutliche Diskrepanz besteht zwischen dem Inhalts- und Beziehungsaspekt der Kommunikation. Wenn der Berater z.B. einen freundlichen Inhalt kommuniziert, dabei aber recht sauer dreinschaut (sich offenbar seine Gefühle und Äußerungen widersprechen). Wenn der Berater eine Rolle spielt Fassendenförmiges, maskenhaftes, routinemäßiges Verhalten Professionelles Gehabe (i.S. eines ganz bestimmten Habitus) Unnatürliches, gekünsteltes Verhalten Was ist die Funktion der Kongruenz? Die Echtheit des Helfers ist die Voraussetzung für das Vertrauen des Klienten zum Helfer. Nur dadurch, dass Sie ihm als Person begegnen, kann der Klient „richtig“ Vertrauen fassen, über sich, seine gefühlsmäßigen Erlebnisse und seine Probleme zu sprechen. Sie ist ein wichtiges Modell für den Klienten, der lernen möchte, mehr von dem zu leben, was wirklich in ihm steckt. Durch die Echtheit des Beraters wird der Klient angeregt, auch in seinem Verhalten offener und echter zu sein, sich zu trauen, schrittweise mehr er selbst zu sein. Nur wenn der Klient die helfende Person kongruent, bzw. als in sich stimmig erlebt, wird er auch die unbedingte Wertschätzung annehmen und erleben können. Wenn ich offen und echt bin, spürt der Klient, wie er mit mir dran ist, er fasst Vertrauen. Er kann eine echte, realistische Beziehung erleben und bekommt Mut, im Gespräch offen und echt zu werden. Umgekehrt wird der Helfer, der nicht kongruent ist, d.h., Erfahrungen abwehrt, dem Klienten gegenüber kaum unbedingte Wertschätzung und auch keine echte Empathie realisieren können. Offenheit und Sensibilität für die eigenen Gefühle ermöglichen eine entsprechende Offenheit und Sensibilität gegenüber den Gefühlen des Klienten (v.a. wenn diese ähnlicher Art sind). Wo ich bei mir selber was abwehre, wehre ich es i.d.R. auch beim Klienten ab oder ich suche es in übertriebener Weise beim Klienten. Echtheit heißt nicht Unbeherrschtheit Was ist, wenn ich meinen Klienten wirklich nicht ausstehen kann? 41 Soll ich mir das anmerken lassen? Würde das die Beziehung nicht zerstören? Das sind fragen, die unweigerlich auftauchen, sobald die Echtheit auf die Probe gestellt wird. Diese Fragen sind nicht eindeutig zu beantworten; allerdings gilt es Folgendes im Hinterkopf zu behalten: Echtheit verlangt vom Berater Ehrlichkeit, aber eine hilfreiche und keine destruktive Ehrlichkeit. Echtheit heißt nicht Unbeherrschtheit: Der Berater kann nicht den Klienten spontan mit jedem seiner Gefühle und Gedanken wie in einem Wechselbad überschütten. Spontane allgemein ausgedrückte wechselnde Gefühle, wie „das mag ich an Ihnen“, „das kann ich an Ihnen nicht leiden“, werden eher den Klienten verwirren und ihn zwingen, nur das zu sagen, was der Berater an ihm gut findet. Unbeherrschtheit sollte nicht mit Echtheit verwechselt werden. Rücksichtnahme und Achtung dürfen niemals außer Acht gelassen werden. Auch Rogers (1977, S. 27) warnt davor, das Konzept misszuverstehen: „Dieses Konzept besagt gewiss nicht, dass der Therapeut den Klienten mit all seinen Problemen oder Empfindungen belasten soll. Oder dass er mit jeder Regung, die ihm durch den Sinn geht, unbeherrscht herausplatzen soll. Aber er soll die Gefühle, die er erlebt, nicht vor sich selbst verleugnen und Gefühle, die in der Beziehung permanent wieder auftauchen, akzeptieren und auch äußern. Er soll der Versuchung widerstehen, sich hinter einer professionellen Maske zu verbergen.“ Selektive Echtheit / disziplinierter Spontaneität: Ruth Cohn spricht davon, dass es nicht um eine Echtheit um jeden Preis und unter allen Umständen geht; sondern um eine „selektive Echtheit“, also um die Fähigkeit, authentische Aussagen zu machen, die den Personen, den Umständen und Zielen der jeweiligen Personen, den Umständen und Zielen der jeweiligen Situation angemessen sind. Manchmal kann völlige Offenheit in Bezug auf Fakten und Gefühle angebracht sein, manchmal sind Beschränkungen in der Kommunikation notwendig. Der geübte Berater bzw. Therapeut hat gelernt, sich seiner eigenen Bedürfnisse, Wünsche, Befürchtungen und der seiner Klienten bewusst zu werden und Äußerungen über sich selbst mit disziplinierter Spontaneität zu machen… Was Sie zum Klienten sagen, sollte authentisch sein, aber nicht alles Authentische muss gesagt werden. Nachteile, wenn Sie nur „den Berater/ Helfer spielen“: Berufsanfänger begehen allerdings häufig den Fehler, „den Berater zu spielen“ und nur die Gefühle des Klienten zu spiegeln. Dies ist ein sehr begrenztes Reaktionsmuster, dass einige Probleme mit sich bringen kann: Es entsteht Unsicherheit; der Klient wird ständig im Unklaren darüber gelassen, was und wie Sie fühlen und denken. Für den Klienten besteht nicht die Chance, am Modell zu lernen. Wenn dagegen auch Sie Ihre Gefühle und Meinungen ausdrücken, ermutigt das den Klienten, es ebenso zu tun. 42 Dem Klienten wird wichtiges Feedback vorenthalten. Wenn Sie ihm dagegen ihre Gefühle zeigen, kann er sehen, wie andere ihn wahrnehmen. Wann ist die Mitteilung eigener Gefühle sinnvoll?: Allerdings sollte die Darstellung Ihrer eigenen Gefühle nicht Vorrang gegenüber dem einfühlenden Verstehen der Gefühle Ihres Klienten haben. Letzten Endes ist natürlich die Beziehung in der Beratung nicht so symmetrisch wie viele andere zwischenmenschliche Beziehungen, etwa von Freund zu Freund. Die Äußerung Ihrer Gefühle ist dann sinnvoll, wenn sie einem der drei oben angesprochenen Ziele dient: o wenn der Klient dadurch mehr Sicherheit und Klarheit im Hinblick auf die Beziehung zu Ihnen, o der Klient an Ihrem Modell lernen kann oder o durch die Mitteilung Ihrer gefühlsmäßigen Reaktionen ein wichtiges Feedback erhält. Weiteres siehe Baustein „Selbstmitteilung“!!! Wie kann ich Kongruenz positiv entwickeln? Es ist nicht leicht echt zu sein: Bevor sie Ihre Gefühle ausdrücken können, müssen Sie sich Ihrer Gefühle bewusst werden. Das ist gar nicht so leicht. Was heißt es eigentlich echt zu sein? Wer ist schon echt? Können Sie sagen, wann Sie Sie selbst sind, und wann Sie ein Bild bieten, das von Ihrem tatsächlichen inneren Zustand abweicht? Kongruenz lässt sich nicht gezielt herstellen: Kongruenz besteht nämlich nicht darin, wie sich ein Therapeut seinem Klienten gegenüber gibt, sondern in dem, wie er ist. Wie kann die helfende Person Kongruenz entwickeln? Auch hier ist die menschliche Substanz des Helfers gefragt, nicht eine antrainierte Technik oder ein über angelernte Selbstkontrolle regulierter Ausdruck. Kongruenz (bzw. Authentizität) erfordert ein Offensein für sich selber, für das eigene Erleben (und eben auch aufrichtig und ehrlich mit sich selbst umzugehen). Um sich kongruent zu verhalten, bedarf es der geschärften Selbstwahrnehmung (selfawareness), d.h. Der Berater muss sich (v.a.) über seine Gefühle im Klaren sein. Und er muss diese Gefühle leben können, muss sie gegebenenfalls in der Beziehung vermitteln können. D.h. dass ein direkter, menschlicher Kontakt zwischen Klient und Berater stattfindet, dass sich die beiden auf der Basis von Mensch zu Mensch treffen. Roger (1997, S. 213) meint dazu: „Niemand erreicht diesen Zustand ganz und gar, aber je mehr der Therapeut imstande ist, akzeptierend auf das zu achten, was in ihm selbst vor sich geht, und je besser es ihm gelingt, ohne Furcht das zu sein, was die Vielschichtigkeit seiner Gefühle ausmacht, umso größer ist die Übereinstimmung mit sich selbst“. 43 Dass bedeutet, dass der Berater (Therapeut) er selbst ist und sein Selbst nicht verleugnet. (Das ist sicherlich nicht so leicht, eben ein lebenslanger Lernprozess) Weitere Zitate zum Thema Echtheit: Rogers (1973, S. 32f.): In meinen Beziehungen zu Menschen habe ich herausgefunden, dass es auf lange Zeit nicht hilft, so zu tun, als wäre ich jemand, der ich nicht bin…Mir scheint, ich erreiche mehr, wenn ich mir selbst zustimmend zuhören kann, wenn ich ganz ich selbst sein kann. Tausch (1979, S. 26): Der Helfer versteckt nicht seine Person… Der Helfer benutzt sein eigenes Fühlen, Empfinden und Wahrnehmen als eine sehr wesentliche Möglichkeit, sich dem Klienten gegenüber zu äußern und ihn in seiner Selbstauseindersetzung zu fördern. Inschrift am Apollo-Tempel in Delphi (5. Jahrhundert v. Chr.): Erkenne dich selbst. Werde, der du bist. Herman Hesse (Stufen, 1974, S. 34): Das ist mein Leid, dass ich in allzu vielen – bemalten Masken allzu gut zu spielen – und mich und andre allzu gut – zu täuschen lernte. Selbsterfahrung als unverzichtbarer Baustein anspruchsvoller Gesprächsführung: Um sich dem Klienten gegenüber echt verhalten zu können, müssen Sie erst sich selbst und Ihre Gefühle erfahren lernen – sich als Individuum mit bestimmten Gefühlen und Denkweisen bewusst werden. Das erfordert, zu lernen, zwischen verschiedenen Gefühlen unterscheiden zu können und diese Gefühle ohne Verdrängungen und Verzerrrungen bewusst werden zu lassen; dass bedeutet z.B. zuzugeben, dass Sie glücklich sind, wenn Sie sich tatsächlich so fühlen, oder sich Ihren Ärger einzugestehen, wenn Sie verärgert sind. Die Verwirklichung von Echtheit ist immer vom Beziehungsprozess abhängig: Die Forderung kongruent, authentisch zu sein, stellt eine anzustrebende Zielvorstellung dar. Die Verwirklichung ist immer vom Beziehungsprozess abhängig: So wie die Beziehung zum Klienten sich langsam entwickeln muss und auch nicht immer gleich ist, so ist auch „Echtheit“ nicht etwas Statisches. Echtheit ist immer ein mehr oder weniger erfolgreiches Bemühen um Wahrnehmung, Offensein und Klärung der eigenen Gefühle, die der Klient in einem auslöst. In welchem Maß dies gelingt, hängt von vielen Faktoren ab: vom jeweiligen Klienten, der Situation, den Rahmenbedingungen und dem eigenen persönlichen Entwicklungsstand. In Ausbildungs- und Supervisionsgruppen muss daher die Sensibilität für die eigenen Empfindungen immer wieder geschärft werden. Echtheit beinhaltet auch ein Bewusstsein der eigenen Grenzen Es gehört zum Beratungsalltag bzw. zum Alltag Klinischer Sozialarbeit Fehler zu machen und nicht immer gegenüber jedem einfühlsam oder akzeptierend sein zu können. 44 Auch in diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich an den Grundsatz der Echtheit zu halten und sich zu gestatten, nicht der perfekte Helfer sein zu müssen. Das ist menschlich und echter. Dazu gehört auch, ehrlich zu sich selbst zu sein und in manchen Situationen zuzugeben, nicht weiter zu wissen. Ich muss insbesondere lernen, mit meinen persönlichen Allmachtswünschen und möglicherweise mit den Allmachtsforderungen des Klienten umzugehen. Ich weiß nicht in allen Dingen eine Antwort oder gar eine Lösung, ich bin nicht „Mädchen für alles“, ich bin keine „eierlegende Wollmilchsau“ (es gibt kein Tier, das gleichzeitig Eier legt und Wolle, Milch und Fleisch spendet). In der Praxis bedeutet das, dass ich den Klienten spüren lasse, dass ich gemeinsam mit ihm nach der für ihn günstigen Problemlösung suchen kann, dass es aber keine „Allerweltsantwort“ von außen her und oftmals keine totale Hilfe gibt. Auch der institutionelle Rahmen kann deutliche Grenzen für die Umsetzung der eigenen Echtheit bedeuten (v.a. in einem stationären Setting, wo Teamkonflikte bzw. Konflikte mit der Leitung, die der Klient spürt, nicht ohne weiteres mit diesem besprochen werden können.) Mit einem geschärften Bewusstsein für die eigenen Grenzen ist die klinischtherapeutisch-beraterische Arbeit wesentlich einfacher – damit fällt es leichter, nach der entsprechenden Unterstützung zu suchen: z.B. dem fachlichen Rat einer Kollegin, Supervision, o.ä. Kurze Zusammenfassung der wichtigsten Kriterien für „Echtes Verhalten“ (nach Tausch & Tausch, 1990): Keine Rolle spielen. Ohne professionelles Gehabe. Natürlich und ungekünstelt. Eigenes Handeln ist vielfältig, originell und individuell. Aufrichtig und ehrlich sich selbst gegenüber. Disziplinierte Spontaneität dem Klienten gegenüber (Was Sie zum Klienten sagen, sollte authentisch sein, aber nicht alles Authentische muss gesagt werden!) (Meine Ergänzung!) 45 Übungen zum Thema „Echtheit“ Übung: Rollenspiel „Wann bin ich echt?“ Rollenspiel in Dreier-Gruppen: Berater, Klient, Beobachter Wann, in welchen Situationen fällt es mir schwer, echt zu sein, in welchen nicht so sehr? Wann bin ich echt, wann nicht? Übung Selbsterfahrung in der Zweiersituation: (für Seminar „helfende Beziehung“) (1) Übungsanleitung: Schließen Sie sich zu zweit zusammen mit jemandem, mit dem Sie sich jetzt gerade gut vorstellen können sich über Persönliches austauschen zu können. Sie sollen jetzt Satzanfänge möglichst offen und spontan vervollständigen. Entscheiden Sie zunächst, wer von Ihnen als Sprecher anfängt. Dieser soll z.B. den folgenden Satz mit zwei oder drei Sätzen ergänzen: „Wenn ich über die Zukunft nachdenke, dann sehe ich mich…“ Im Sinne des einfühlenden Verstehens wiederholt der zweite von Ihnen mit eigenen Worten, was der erste gerade gesagt hat. Es kommt darauf an, dass sich der erste in zufrieden stellender Weise verstanden fühlt. Anschließend ergänzt der zweite den obigen Satzanfang mit zwei oder drei Sätzen, während der erste dieses danach paraphrasieren soll. Dabei kommt es wieder auf ein Höchstmaß an Verständnis an. (2) Satzergänzung: Verfahren Sie auf diese Weise nun bei folgenden Satzanfängen: Wenn ich neu in einer Gruppe bin, dann… Wenn ich mich in einer neuen Situation ängstlich fühle, dann… Was mich am meisten beunruhigt ist… Jetzt im Moment fühle ich mich… Wenn ich mich abgelehnt fühle, dann… Was mich am meisten stört,… Dir gegenüber fühle ich mich im Augenblick gerade… Wenn ich alleine bin, dann… Ich lasse mir nichts gefallen, wenn… Ich liebe es,… Ich mag es nicht,… Ich fühle mich im Augenblick… Ich fürchte, dass… Was mir an Ihnen am besten gefällt,… Sie sind… Im Augenblick ist es für mich am wichtigsten… Sobald Sie mit der Vervollständigung der Sätze fertig sind, tauschen Sie sich bitte über die eben gemachten Erfahrungen aus. Gehen Sie dazu auf folgende Fragen ein: Wie gut konnte ich zuhören? Wie offen und ehrlich bin ich gewesen? Wie sehr bin ich daran interessiert, derartige Kommunikation weiterzuführen? Haben Sie den Eindruck, dass Sie sich auf diese Weise besser kennenlernen? 46 Denkanstöße und Diskussionsthemen zum Baustein Kongruenz: Aufgabe 1: Überlegen Sie sich Situationen aus dem Alltagsbereich, in denen Personen nicht authentisch sind, d.h. in denen das, was diese Personen sagen, nicht mit ihren wahren Gedanken und Gefühlen übereinstimmt. Aufgabe 2: Überlegen Sie sich Situationen, in denen es leicht fällt, echt und kongruent zu sein. Aufgabe 3: Diskutieren Sie in Kleingruppen, was ein Selbsteinbringen der helfenden Person, d.h. ein Sprechen über ihre momentanen Gefühle in Bezug auf den Klienten oder das Problem der Klienten, für Auswirkungen haben mag (auf die Klienten), auf die Helfer-Klient-Beziehung bzw. in welcher Situation dies angemessen/ unangemessen sein mag. Aufgabe 4: Diskutieren Sie, wann es Ihnen in der Praxissituation schwer fällt (bzw. schwer fallen würde), kongruent zu sein und wann nicht. Versuchen Sie die Bedingungen herauszufinden, die Sie brauchen, um Klienten als Person begegnen zu können. Bedingungen von Ihrer Seite aus, von Seiten der Institution und Bedingungen, die die Klientin erfüllen muss. Übung: Verbale Momentaufnahme: Ziel: Die verbale Momentaufnahme bietet Ihnen die Chance, echter zu werden. Es wird Ihnen bewusst, was in diesem Moment in Ihnen los ist - wahrscheinlich ist es eine unerwartete Fülle, ein großes Durcheinander usw. Instruktion: Nehmen Sie sich bitte zehn Minuten Zeit, notieren Sie: alle Einfälle und Assoziationen (auch ganz ausgefallene Gefühle und Gedanken, auch nebensächliche und abstruse Dinge usw.) sowie alle sinnlichen Wahrnehmungen, die sich bei Ihnen einstellen. Schreiben Sie Ihre Einfälle stichwortartig auf, ungeordnet und unreflektiert. Zunächst machen Sie diese Übung allein für sich zur eigenen Selbstwahrnehmung und Selbsterfahrung. Kleingruppe: Schließen Sie sich dann in einer Kleingruppe zusammen (2er- oder 3erGruppe): Wenn Sie wollen, können Sie Ihre Notizen (oder einen Teil davon) der Gruppe mitteilen. (Indem Sie sich mitteilen und die Mitteilung anderer auf sich wirken lassen, kommt es zu einer intensiveren Selbsterfahrung. Praktische Relevanz der Übung: Wenn Sie diese „verbale Momentaufnahme“ vor einem helfendem Gespräch machen, merken Sie einerseits, dass Sie keineswegs ganz offen und neutral in das Gespräch hineingehen, andererseits kann Sie diese Momentaufnahme ein Stück weit entlasten und entleeren und so freimachen zum Gespräch. Übung: Averbale Momentaufnahme: Ziel: Die averbale Momentaufnahme wird Ihnen einerseits gut tun, andererseits kann sie Ihnen über die Körpersprache verdeutlichen, wie es Ihnen eigentlich geht, was in diesem Moment wirklich los ist mit Ihnen. Sie finden mehr zu sich selber und zu Klarheit, wenn Sie diese Übung öfter machen, z.B. auch vor oder nach einem helfenden Gespräch. Instruktion: Setzen Sie sich bitte auf einen Stuhl, schließen Sie langsam Ihre Augen und hören Sie einige Zeit lang auf Ihren Atem. (Wenn Sie wollen, können Sie diese Übung auch liegend oder stehend machen.) 47 Dann nehmen Sie eine Sitzhaltung ein, die möglichst korrekt und ordentlich ist. Nach einigen Minuten setzen Sie sich möglichst bequem auf Ihren Stuhl und machen damit Ihre Erfahrungen. Schließlich finden Sie sitzend eine Körperhaltung, die ungefähr ihrer augenblicklichen Stimmung (Ihrem inneren Erleben) entspricht. (Lassen Sie sich Zeit, erproben Sie verschiedene Körperhaltungen) o Haben Ihre Füße und Beine eine Stellung, die zu Ihrer Stimmung passt? o Drücken Ihre Hände und Arme aus, wie es Ihnen momentan geht? o Entspricht Ihre Kopfhaltung Ihrer inneren Gefühlslage? Übung: Selbstkongruente Körpersprache Ziel: Diese Übung macht Sie aufmerksam, in welchem Ausmaß Ihre verbalen mit den averbalen Äußerungen (Körpersprache besteht hauptsächlich aus Sitzhaltung, Mimik, Gestik und Stimme) übereinstimmen. Gleichzeitig haben Sie die Möglichkeit, nach einer Äußerung zu suchen, die besonders echt und selbstkongruent ist. (l ) Wenn Sie gegenüber Ihrem Gesprächspartner Langeweile spüren: Wie drücken Sie sich averbal aus (Körpersprache und Stimme)? Wie sprechen Sie Ihr Gefühl normalerweise (bisher) aus? Welche Antwort wäre echter? (2) Wenn in Ihnen in der Begegnung mit dem anderen Ärger aufsteigt: Wie drücken Sie sich averbal aus (Körpersprache und Stimme)? Wie sprechen Sie Ihr Gefühl normalerweise aus? Welche Antwort würde mehr Echtheit ausdrücken? (3) Wenn Ihnen jemand etwas sagt, was Sie verletzt: Wie drücken Sie sich averbal aus (Körpersprache und Stimme)? Wie sprechen Sie Ihr Gefühl in der Regel aus? Wie könnten Sie sich echter ausdrücken? (4 ) Wenn Sie Sympathie und Zuneigung für den Gesprächspartner spüren: Wie drücken Sie sich averbal aus? Wie sprechen Sie Ihr Gefühl normalerweise aus? Welche Antwort wäre echter? (5) Wenn Sie sich gegenüber dem Gesprächspartner unsicher fühlen: Wie drücken Sie sich averbal aus? Wie sprechen Sie Ihr Gefühl in der Regel aus? Welche Antwort wäre echter? Übung: Vor einem leeren Stuhl „auspacken“ (1) Ziel: Hier können Sie „ohne Rücksicht auf Verluste“ bzw. auf den Klienten das „auspacken“, was Sie im Klientengespräch nicht oder nur „wohlverpackt“ sagten. Hier können Sie ohne Hemmungen Ihre Schattenseiten zeigen, einmal „die Sau rauslassen“. (2) Instruktion: Bitte erinnern Sie sich an ein Gespräch mit einem Klienten. Stellen Sie nun einen leeren Stuhl vor sich hin und stellen Sie sich vor, dass dieser Klient darauf sitzt. 48 Und jetzt versuchen Sie, ihm all das zu sagen, was Sie innerhalb des stattgefundenen Gesprächs nicht sagten, wohl aber gedacht und gefühlt haben. [Variante „Doppeln“: Wenn Ihnen das sehr schwer fällt, können Sie sich von Gruppenteilnehmern „doppeln“ lassen: Jemand setzt sich hinter oder neben Sie und verbalisiert möglichst deutlich und konkret Ihre Gefühle, Wünsche, Werthaltungen usw. Sie selber entscheiden, wie weit Sie gehen und wann Sie aufhören möchten.] (3) Auswertung: In das Auswertungsgespräch können folgende Fragen hereingenommen werden: Wie fühle ich mich als Helfer vor, während und nach dieser Übung? Wie fühlt sich wohl mein Klient, wenn ich ihm all diese Mitteilungen mache, und wie, wenn ich sie verschweige? Was hemmt mich, solche Mitteilungen zu machen? Welche Nachteile befürchte ich (für mich selber, für den Klienten und für unsere Beziehung)? Was sind die Folgen für die Beziehungsebene und den beraterisch-therapeutischen Prozess, wenn ich meine Gefühle frei ausspreche bzw. ganz zurückhalte? Wie kann ich die Mitteilungen zum leeren Stuhl hin, die sicherlich auch unkontrolliert und destruktiv waren, konstruktiv einbringen? Ich suche gemeinsam mit der Gruppe nach Alternativlösungen. 49 Baustein: Selbstmitteilung Soll man als helfende Person (Berater oder Therapeut) dem Klienten gegenüber auch etwas über sich selbst mitteilen (d.h. über eigene Gedanken, Gefühle und Vorstellungen)? Ein Berater, der zu sehr von sich redet, haben wir bereits im Rahmen der Gesprächsführungsseminare als einen der möglichen Gesprächsstörer (Kommunikationsblockaden) identifiziert. Heißt das nun, dass der Berater überhaupt nichts über sich mitteilen darf? Bei den verschiedenen psychotherapeutischen Schulen gab es darüber schon immer Meinungsverschiedenheiten (die sich auch im Beratungskontext niedergeschlagen haben). Frage an Studis: Sind Selbstmittelungen tabu oder könnten Sie u.U. auch sinnvoll sein? Wenn ja, unter welchen Bedingungen? Wann Selbstmitteilungen sinnvoll sein können: Sie können wichtig sein, damit der Klient merkt, dass Sie eine Person sind, nicht nur eine Rolle. In bestimmten Situationen des Hilfeprozesses kann es durchaus nützlich sein, wenn der Berater seinen Eindruck oder sein Gefühl über die Beratung bzw. über den Klienten äußert. Über den angemessenen Einsatz von Selbstmitteilungen: Wenn Selbstmitteilungen im Rahmen eines Beratungs- oder Therapieprozesses erfolgen, ist es von großer Bedeutung, dass diese angemessen, nicht wahllos eingesetzt werden. Natürlich darf man die Selbstmitteilung nicht so verstehen, dass der Berater ständig über sich selbst sprechen soll. Das Hauptaugenmerk gilt dem Klienten! Echtheit bedeutet nicht, dass der Berater seine eigenen Erfahrungen, Gedanken und Wertvorstellungen in den Vordergrund stellen soll, schon gar nicht aus eigenen Erfahrungen heraus dem Klienten unpassende Ratschläge, Lösungsvorschläge überzustülpen. Das entscheidende Kriterium, ob Selbstmitteilungen angemessen sind, ist die Frage: „Wem nützt es, wenn ich meine Anschauungen und Gefühle mitteile, dem Klienten oder mir?“ Natürlich ist der Nutzen für den Klienten maßgebend. 4 verschiedene Arten von Selbstmitteilung: Man kann verschiedene Arten von Selbstmitteilung unterscheiden, je nachdem worauf sie sich beziehen: Eigene Probleme des Helfers Äußerungen über die Rolle als Helfer Reaktionen des Helfers auf den Klienten (Feedback) Reaktionen des Helfers auf die Helfer-Klienten-Beziehung. (Im Allgemeinen sind Äußerungen der beiden letztgenannten Art nützlicher.) Wenn der Berater eigene Probleme einbringt: Häufig tendieren Berater dazu, ihre eigenen Probleme und Schwierigkeiten einzubringen, wenn der Klient ähnliche Dinge anspricht. 50 Manchmal mag das nützlich sein, z.B. wenn es darum geht den Klienten zu versichern, dass seine Probleme nicht so einmalig und hoffnungslos sind. Allerdings besteht die Gefahr, dass daraus ein Rollenwechsel entsteht, dass sich dann der Berater beim Klienten ausspricht. Einschlägige Untersuchungen zeigen, dass ein sich selbst sehr weitgehend offenbarender Berater vom Klienten als psychisch weniger intakt betrachet wird (Weigel et al., 1972). Das bedeutet, Selbstdarstellungen des Beraters und seiner eigenen Probleme können das Vertrauen des Klienten zum Berater als erfolgreichem Helfer beeinträchtigen. Wenn, die Klienten etwas über die Lebensumstände des Beraters in Erfahrung bringen wollen: Oft versuchen Klienten, etwas über die Lebensumstände des Beraters in Erfahrung zu bringen mit Fragen wie z.B. „Sind Sie verheiratet?“ „Warum sind Sie Berater /Sozialpädagoge geworden?“ „Sind Sie noch in Ausbildung?“ In solchen Fällen ist es am besten, eine direkte, kurze Antwort zu geben, um dann die Aufmerksamkeit wieder auf den Klienten zu richten. Kommt dies aber bei einem Klienten allzu häufig vor, sollte man sich als Berater anders verhalten. Wenn der Klient immer wieder solche Fragen stellt, kann dies bedeuten, dass er Angst hat, sich nicht wohl fühlt und ausweichen will, indem er von sich ablenkt. Besser als ständig Informationen über sich selbst zu geben, ist es, wenn der Berater eine (oder mehrere) der folgenden Strategien anwendet: o Reflektieren der Angstgefühle des Klienten: „Es erscheint Ihnen unangenehm, jetzt über sich selbst sprechen zu sollen.“ o Reflektieren des gerade ablaufenden Geschehens: „Sie stellen mir sehr viele Fragen.“ o Äußerungen über das, was sich vor Ihren Augen abspielt: „Ich habe den Eindruck, Sie mögen es nicht, wenn die ganze Aufmerksamkeit auf Sie gerichtet ist. Mir kommt es so vor, als ob Sie mit Ihren Fragen von sich ablenken wollen.“ Überleitung: Es kann aber auch sein, dass der Klient durch seine Art und Weise wie er ist und wie er sich Ihnen gegenüber verhält, bei Ihnen bestimmte Reaktionen auslöst (v.a. Gefühle positiver oder negativer Art). In diesem Fall könnten Selbstmitteilungen durchaus sinnvoll sein. Dann sollte Sie folgendermaßen vorgehen: Notwendige Schritte bei der Mitteilung eigener Gefühle: Versuchen Sie als Erstes, sich Ihrer emotionalen Erlebnisinhalte bewusst zu werden (Gefühle, Wünsche, Werthaltungen usw.). Dann versuchen Sie zu klären: o Inwieweit sind meine Gefühle Reaktionen auf Äußerungen des Klienten (Gegenübertragung)? o Inwieweit kommen sie (unabhängig vom Klienten) aus mir und meiner Lebensgeschichte (Übertragung des Therapeuten auf den Klienten)? Dann klären Sie, was Sie dem Klienten – und sich selbst – in diesem Augenblick zumuten können, und welche Ziele Sie damit verfolgen. 51 (Als erfahrender Berater / Therapeut und nach längerem Beratungs- oder Therapieprozess sowie bei einer guten Beziehung können Sie dem Klienten und sich selbst einiges zumuten). Wenn Sie sich, dazu entschlossen haben, etwas von Ihren Gefühlen mitzuteilen, versuchen Sie, Ihre Gefühle konstruktiv auszudrücken, Konstruktiv heißt: dem Klienten prinzipiell wohlwollend gegenüber und dem Klienten deutlich zu machen, dass es sich um Ihr eigenes subjektives Erleben handelt (und nicht um irgendwelche allgemeingültigen therapeutische Weisheiten.) Dem Klienten muss die Freiheit bleiben, für sein eigenes subjektives Erleben bzw. die Freiheit, Ihr subjektives Eindrücke, als für Ihn selbst nicht zutreffend zu betrachten. Der Grad der Intensität von Echtheit/Offenheit/Selbstmittelung muss angemessen sein: Sicherlich braucht es wenigstens einen mittleren Grad an Echtheit bzw. Offenheit des Therapeuten als Grundvoraussetzung für ein therapeutische Wirksamkeit, und zwar in dem Sinne, dass es zumindest zwischen es im Verhalten des Therapeuten kein Widerspruch erkennbar ist zwischen Erleben und Verhalten. Was die Selbstoffenbarung i.S. der Mitteilung eigener Gefühle und Wahrnehmungen betrifft, kann sich der Therapeut vorsichtiger, zurückhaltender ausdrücken oder mutiger, offener. Was hier letztendlich angemessen ist hängt ab von der Persönlichkeit des Klienten und des Therapeuten, von dem augenblicklichen Kontext, besonders aber vom Stand der Therapie und von der Art der therapeutischen Beziehung. Am Beginn einer Therapie wäre wohl eher eine mittlerer Grad an Offenheit (siehe unter Stufe 3) sinnvoll. Immer geht es darum, den Grad an Intensität zu treffen, der dem Klienten und der augenblicklichen therapeutischen Situation angemessen ist. Dazu ein Beispiel (Beispiel stammt von Weinberger, 2004, die Skala von Pfeiffer, 1977, S. 12): Skala für das Merkmal „Echtheit“, einschließlich Beispiel: Klient: (Nach einer Aggression, die den Therapeuten deutlich irritiert hat.): Sie sehen ja ganz schön mitgenommen aus. Das hätten Sie wohl nicht gedacht, dass ich Ihnen mal so die Meinung sage. Potenziale Antworten des Therapeuten: Stufe1: Denken Sie, das macht mir etwas aus…? Es bestehen offensichtlich Widersprüche zwischen Erleben und Verhalten des Therapeuten. Der Therapeut bemüht sich als Person unangreifbar zu bleiben und lenkt ab, wenn der Klient versucht, sich mit seiner Person zu beschäftigen. Stufe 2: Sie hatten das Bedürfnis, mich zu treffen? Warum eigentlich? Zwar lässt der Therapeut keine Widersprüche zwischen Erleben und Verhalten erkennen, doch ist er in seinem Verhalten ganz von der professionellen Rolle bestimmt. Er akzeptiert zwar, wenn sich der Klient mit seiner Person beschäftigt, lässt das aber nur als Problem des Klienten gelten. Über seine Person gibt er auf Fragen allenfalls kurze Sachinformation. Stufe 3: Ja, das kam schon überraschend. Ich mache mir jetzt Gedanken, was eigentlich die Ursache für diese Aggression war. Grundstufe therapeutischer Wirksamkeit: Das Verhalten des Therapeuten entspricht seiner persönlichen Besonderheit. Es ist keinerlei Widerspruch zwischen Erleben und Verhalten erkennbar. Über sein Erleben macht er insofern vorsichtige 52 Mitteilung, als der Klient danach fragt und es die therapeutische Beziehung erfordert. Stufe 4: Ich empfand Sie vorhin als geradezu feindselig und war erschrocken, vielleicht auch ein wenig verletzt. Jetzt frage ich mich, was auf Sie so provozierend gewirkt hat. Auch ohne direkten Anstoß durch den Klienten gibt der Therapeut – im Hinblick auf dessen Bedürfnisse – Einblick in sein persönliches Erleben, ob es nun die therapeutische Beziehung betrifft, durch die Selbstexploration des Klienten angeregt wird oder von außerhalb nachwirkt. Er wird auf solche Weise zumindest in den Bereichen, welche die therapeutische Beziehung berühren, in angemessenem Umfang durchsichtig. So teilt er öfter seine Gefühle gegenüber dem Klienten mit und verwendet sie z.B. zur Bearbeitung der therapeutischen Beziehung. Stufe 5: (Der Therapeut spricht sich selbst explorierend): Ich erlebte Sie plötzlich ganz anders als in unseren bisherigen Gesprächen. Ich habe nun ein zwiespältiges Gefühl. Einerseits freut es mich, Sie so eigenwillig und kraftvoll zu sehen, andererseits fühle ich mich verletzt, missverstanden. Es wäre mir wichtig, wenn wir klären könnten, woraus sich diese Spannung zwischen uns ergeben hat.“ Der Therapeut ist spontan in der Interaktion, er gibt freien Einblick in sein Erleben. Das Gespräch wird auf diese Weise zu einer wechselseitigen partnerschaftlichen Interaktion. 53 Übung „Selbstmitteilung“ (1) Denken Sie nun in den folgenden zwei Fällen über Ihr mögliches Verhalten als helfende Person nach. 1. Sie haben eine Klientin, die sich als „scheu und verschlossen“ schildert. Während des dritten Gesprächs mit Ihnen sagt sie: „Ich möchte gerne so sein wie Sie - Sie gehen so aus sich heraus und können so gut mit Leuten umgehen. Warum sagen Sie mir nicht einfach, wie Sie das machen.“ Halten Sie es in diesem Falle für richtig, Ihre eigenen Erfahrungen und Erlebnisse mitzuteilen? 2. Sie sind nun mit einem Klienten in der siebten Sitzung zusammen. Schon seit der zweiten Sitzung kommt der Klient jedesmal einige Minuten zu spät und wartet jedesmal bis kurz vor Ende des Gesprächs, um dann erst auf wichtige Dinge zu sprechen zu kommen. Sie ärgert dieses Verhalten des Klienten. Dieses wiederum bewirkt, dass Sie dem Klienten nicht Ihre volle Aufmerksamkeit und Ihr einfühlendes Verstehen entgegenbringen können. Ihnen sind diese Schwierigkeiten bewusst. Ist es richtig, Ihre Schwierigkeiten dem Klienten mitzuteilen? (2) Denken Sie jetzt einige Minuten nach, wie Sie sich in den beiden dargestellten Fällen als helfende Person verhalten würden. Schreiben Sie dann für jeden der beiden Fälle nieder, wie Sie sich verhalten würden, um die Forderung nach ,,Echtheit" zu erfüllen. Kommentar zur Übung Selbstmitteilung: Allgemein: Natürlich gibt es zu den beiden Beispielen keine allgemein gültigen und richtigen Antworten, da jede Helfer-Klient-Interaktion immer irgendwie einzigartig ist. Letzten Endes müssen Sie als helfende Person in jedem Falle selbst entscheiden. Vermutlich haben Sie im zweiten Beispiel dazu tendiert, Ihren Ärger auszudrücken, während Sie im ersten Falle wohl weniger einfach Ihre persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse mitteilen wollten. Zu Beispiel 1: Für das erste Beispiel gibt es sicher bessere Vorgehensweisen, als einfach Fakten und Informationen von sich selbst mitzuteilen. Die Klientin könnte zum Beispiel mehr beteiligt werden, wenn Sie die Technik des Rollentausches praktizieren. Sie werden Klient und verhalten sich so „aus-sichherausgehend“ und gewandt, wie die Klientin selbst sein möchte. Zu Beispiel 2: Im zweiten Beispiel ist sich der Klient vielleicht nicht bewusst, wie sehr sein Verhalten die Beratung (bzw. den Hilfeprozess) beeinträchtigt; vielleicht deutet er aber damit auch indirekt seine Widerstände an, die besprochen werden sollten. Manche Helfer sind wohl in der Lage, Ihre Gefühle wahrzunehmen und auch einzuordnen, wann diese während des Hilfeprozesses am besten einzubringen sind, sie sind sich jedoch nicht sicher, wie sie ihre Gedanken und Gefühle dem Klienten gegenüber äußern sollen. Selbstmitteilungen, die Echtheit und Beteiligung des Beraters ausdrücken, haben meist den Charakter von Feedback-Äußerungen. 54 Exkurs: Wie gibt man konstruktives Feedback? (Frage an Studis: Wie gibt man konstruktives Feedback?) Was sind im Kontext von Hilfeprozessen Feedback-Äußerungen? Feedback-Äußerungen sind Äußerungen, die dem Klienten vermitteln, wie Sie die Dinge sehen, die gerade Inhalt und Gegenstand der Beratung oder Therapie sind. Man könnte Sie auch „anteilnehmende“, „engagierte“ oder „Beteiligung ausdrückende“ Äußerungen nennen. Beispiel für Feedback-Äußerungen: Dazu folgende Beispiele: „Ich finde das gut, dass Sie mir das so gesagt haben.“ „Wenn mir das passiert wäre, hätte mich das sehr geärgert.“ „Ich glaube nicht, dass wir auf diese Weise recht vorankommen.“ Beispielhafter Gesprächsausschnitt: Auch der folgende Gesprächsausschnitt soll Ihnen veranschaulichen, wie Feedback-Äußerungen aussehen mögen. Klient: „Es fällt mir eigentlich nicht leicht, es zu sagen, aber ich kann sehr viel aus diesen Gesprächen mitnehmen.“ Berater: „Es ist schön für mich, dass Sie so etwas sagen.“ Oder: „Es freut mich, dass es so ist für Sie.“ Kriterien für konstruktive Feedbackäußerungen: Konstruktives Feedback ist direkte (auf den Klienten bezogene) Kommunikation: Beachten Sie, dass diese Feedback-Äußerungen des Beraters direkte Kommunikation sind. Sie enthalten Gefühle des Beraters und sind dennoch auf den Klienten bezogen. Durch Feedback-Äußerungen zeigen Sie dem Klienten, dass Sie registrieren, was in ihm vor sich geht, und auch, dass Sie dabei bestimmte Gedanken und Gefühle haben, die Sie ihm mitteilen wollen. Manchmal kann es vorkommen, dass Sie sich nicht nur zu bestimmten Ereignissen oder Vorgängen äußern, sondern dem Klienten zeigen wollen, wie Sie über ihn denken und ihm gegenüber empfinden. Konstruktives Feedback ist konkret: Dabei ist es günstiger, Ihre Äußerungen möglichst unmittelbar und konkret auszudrücken, Die Äußerung sollten nicht zu allgemein gehalten sein (wie z.B. „Ich wollte, die meisten Klienten würden so denken.“) Konstruktives Feedback ist im Präsens formuliert: Dazu gehört auch, dass Sie im Präsens formulieren, nicht in der Form der Vergangenheit oder Zukunft. Konstruktives Feedback ist „Hier-und-Jetzt-Kommunikation“: Das bedeutet, die Beziehung zwischen Berater und Klient wird im „Hier-und-Jetzt“ besprochen; es wird das aufgegriffen, was sich gerade in der Beratung abspielt. 55 So etwas äußert sich in Wendungen wie „Im Augenblick fühle ich mich ...“ oder „Wir sind jetzt gerade ...“ (siehe Übung „Hier-und-Jetzt-Kommunikation“) Konstruktives Feedback ist authentisch: Die Äußerungen des Beraters sollten nie in einer typischen „Beratersprache“ erfolgen. Sie sollte keine Standard-Formulierungen verwenden, wie z.B. o „Sie sagen also ...“ oder o „Es scheint, Sie fühlen ...“ oder o „Ich glaube, Sie fühlen...“ Das wirkt abgedroschen und unecht. Sagen Sie genau, was Sie meinen! Konstruktives Feedback beinhalten neben Gedanken und Gefühlen des Beraters auch Beschreibungen des Klientenverhaltens: Beispiele: o „Wenn Sie zu unseren Gesprächen ständig zu spät kommen (Klientenverhalten), ist das für uns beide nicht gut“ (Gefühl des Beraters); oder: o „Wenn Sie über die Schule sprechen, machen Sie einen wirklich glücklichen Eindruck (Klientenverhalten), es freut mich, dass Sie darüber so glücklich sind“ (Reaktion des Beraters). Konstruktives Feedback vermeidet jegliche negative Wertung und Bevormundung: Fruchtbare Feedback-Äußerungen drücken Gefühle des Beraters aus: „Wenn das und das geschieht, fühle ich mich so und so“, oder „Wenn ich sehe, dass Sie ..., meine ich…“ Beurteilungen und Wertungen werden ebenso vermieden wie Beschuldigungen oder Tadel. Sie sagen also nicht: „Es ist wirklich schlimm, mit Ihnen zu arbeiten, weil Sie ständig zu spät kommen.“ Darüber hinaus enthalten effektive Feedback-Äußerungen auch keine Ratschläge, Bevormundungen oder Überredungsversuche. Mit anderen Worten, Würde und Achtung der anderen Person müssen immer respektiert werden. Konstruktives Feedback bezieht sich auf veränderbares Verhalten: Feedback-Äußerungen sollten auch nur solche Verhaltensweisen oder Einstellungen betreffen, die zu ändern der Klient überhaupt grundsätzlich in der Lage ist. Wenig sinnvoll, wäre es, zu sagen: „Mir gefällt es nicht, wie Sie aussehen. Warum tun Sie nichts, um besser auszusehen?“ Konstruktives Feedback sollte einen Bezug zu den gemeinsam vereinbarten Zielen haben: Feedback-Äußerungen sind effektiver, wenn Sie den Klienten bzw. die Beratung stimulieren. Sie werden vom Klienten besser angenommen, wenn er einen Bezug zu seinen Zielen oder zur Beratung erkennen kann. Konstruktives Feedback sollte bezüglich seiner Wirkung auf den Klienten überprüft werden: In jedem Falle sollten Sie die Wirkungen Ihrer Feedback-Äußerungen an den Reaktionen des Klienten überprüfen. 56 Reagiert er defensiv, gibt er ausführliche Entschuldigungen oder Rechtfertigungen, streitet er heftig ab, so können Sie darin Hinweise sehen, dass Sie möglicherweise ein bestimmtes Thema zu früh berührt haben. Dann müssen Sie dem Klienten zeigen, dass Sie ihn akzeptieren und sich um ihn bemühen. Übung zur „Hier-und-Jetzt“-Kommunikation Um die Kommunikation des „Hier-und-Jetzt“ zu erlernen, versuchen Sie nun, in diesem Augenblick über sich selbst nachzudenken. Was fühlen Sie gerade jetzt in diesem Moment? Schreiben Sie mindestens vier oder fünf Adjektive nieder, die Ihre augenblicklichen Gefühle wiedergeben. Denken Sie dabei auch an Gesichtspunkte wie Körperhaltung, Atmung, Verspannungsgefühle usw. Üben Sie nun mit einem Partner derart direkte, spezifische und unmittelbare Feedback-Äußerungen. Können Sie dabei auch Ihre Gefühle einbringen? Wie wirkt das auf Sie und auf Ihren Partner? Halten Sie das fest. Schreiben Sie die Feedback-Äußerungen auf, die Sie gegeben haben. 57 Weiterentwicklungen des klassischen klientenzentrierten Ansatzes Einleitung: Die klientenzentrierte Psychotherapie erfuhr nach Rogers natürlich noch etliche Weiterentwicklungen (die bis heute andauern). Die wichtigsten davon möchte ich im Folgenden kurz skizzieren. Die Schüler Rogers waren insbesondere interessiert die Bedingungen für einen gelungenen Therapieprozess noch genauer zu erforschen. Abgesehen von den ursprünglichen 3 Basisvariablen, wurden noch weitere relevante Dimensionen (bzw. Erfolgsvariablen) beraterisch-therapeutischen GesprächsHandelns entdeckt (bzw. konzeptualisiert). Weitere Dimensionen beraterisch-therapeutischen GesprächsHandelns: (nach Pauls, 2004) Erfolgs-Variablen auf Seiten des Beraters/Therapeuten: Aktives Bemühen, Suchen, Nachdenken Ausmaß innerer Anteilnahme / Sorge / Commitment Konkretheit des Ausdrucks Spezifizieren / Differenzieren (Auflösen komplexer inhaltlicher Darstellungen, Probleme, Erlebnisweisen in einzelne Aspekte; Integrieren der emotionalen Bedeutungsgehalte) Verallgemeinern / Generalisieren (Stellen einer Klienten-Äußerung in einen größeren Zusammenhang; wird auch als „Fazit-Ziehen“ bezeichnet; das Spezifizieren und das Verallgemeinern kann auch als eine Art Erweiterung der empathischen Antwort betrachtet werden). Konfrontation: Berater greift Diskrepanzen auf, z.B. Diskrepanzen: o innerhalb verbaler Aussagen des Klienten und seinem Idealbild, o zwischen verbalem und nonverbalen Ausdruck o zwischen der Selbsteinschätzung des Klienten und der Sichtweise des Beraters / Therapeuten Ansprechen von Beziehungen zu anderen Personen Selbstöffnung / Selbsteinbringen des Beraters/Therapeuten Erfolgs-Variablen auf Seiten des Klienten: Engagement des Klienten: o die Aktivität des Klienten in der Beratung / Therapie ist sehr wesentlich. Berater können ohne Engagement und Resonanz beim Klienten keine Erfolge erzielen. o Beratungserfolg ist alles immer als eine Teamleistung zu sehen. Selbstexploration: Ausmaß, in dem der Klient o über Gefühle und emotionale Zustände spricht, in dem er o über Ziele und Wünsche spricht, in dem er o über Eigencharakteristika spricht (Kommunikation über das Selbst) 58 Selbst-Kommunikation: Ausmaß, in dem jemand über sich selbst nachdenkt (laut oder leise), o d.h. über die eigene Person oder o über Ereignisse, die zur eigenen Person in Beziehung stehen. Experiencing: o Bezugnahme des Klienten auf das aktuell ablaufende eigene Erleben, o mit einer starken Betonung des Körperwahrnehmung und der affektiven Verarbeitung. o Es geht um Aspekte der „gefühlten, gespürten Bedeutung“ und ihrer Klärung o (demgegenüber kann Selbstexploration auch stärker kognitiv sein) Selbst-Bezug/Offenheit: o Klienten, die Gefühle zulassen, o die sich intensiv mit sich selbst und ihren Problemanteilen auseinander setzen, haben eine gute Veränderungsprognose. Selbstreflexives Sprechen über bedeutsame andere Personen: o Forschungsergebnisse belegen, dass Klienten, die fast nur über andere Personen sprechen und kaum über sich selbst, ihren Zustand nicht verbessern oder sogar verschlechtern. o Günstig ist, über für sie bedeutsame andere Personen sprechen und ihre Beziehungen, Reaktionen, Gefühle etc. zu diesen und sich dabei mit den eigenen Anteilen an der Beziehungssituation auseinander setzen. Erfolgsvariablen sind wichtige Beurteilungskriterien: Die beschrieben Variablen sind wichtig, um in etwa abschätzen zu können, ob die Anwendung einer klientenzentrierten Psychotherapie (bzw. Beratung) bei einem gegebenen Klienten erfolgsversprechend erscheint (also überhaupt indiziert ist) bzw. um den Fortschritt einer laufenden Therapie oder Beratung beurteilen zu können bzw. um als Therapeut oder Berater Anhaltspunkte dafür zu bekommen, was es beim Klienten zu fördern gilt, damit der beraterisch-therapeutische Prozess erfolgreich verläuft. Kurzer Überblick über die Weiterentwicklungen der letzten Jahre: Seit einigen Jahren liegen Weiterentwicklungen vor, die auch störungsspezifische Annahmen enthalten (z.B. von Speierer, 1994 wurde das sog. differentielle Inkongruenzmodell entwickelt; Swildens, 1991; Schmidtchen, Speierer & Linster, 1995) bzw. Weiterentwicklungen, die neben der klassischen Beziehungsorientierung, versucht haben eine Bearbeitungs- oder Aufgabenorientierung in den klientenzentrierten Ansatz zu integrieren (z.B. auch die sog. zielorientierte Gesprächspsychotherapie von R. Sachse, 1992, 1999: Sachse hat versucht die Gesprächspsychotherapie auf allgemeinpsychologische Grundlagen zu fundieren, v.a. der Motivations-, Kognitions-, Emotions- und Sprachpsychologie) Bearbeitungs- oder Aufgabenorientierung in der klientenzentrierten Psychotherapie: Im Rahmen des Beziehungsangebotes macht der Therapeut je nach Verlauf des therapeutischen Prozesses bestimmte Bearbeitungsangebote, die der jeweiligen Problematik und dem aktuellen Prozess des Klienten angepasst sind, z.B.: 59 o Fragen stellen (war in der klassischen Variante verpönt; Fragen bilden jedoch eine elementare Interventionsform: wichtig sind Informations- und Verständnisfragen, konkretisierende Fragen, erlebnisvertiefende Fragen, phantasieanregende Fragen). o Konfrontieren (z.B. mit Widersprüchlichkeiten im Klientenverhalten. Ziel des Konfrontierens ist es, die Aufmerksamkeit des Klienten auf Phänomene zu lenken, die ihm noch nicht deutlich sind, und diese Phänomene einer Bearbeitung zuzuführen.) o Explizieren (= Bedeutungsexplikation: die Bedeutung, die ein Thema, eine Situation, eine Verhaltens- oder Erlebnisweise für den Klienten hat, im Detail zusammen mit dem Klienten ausarbeiten) o Focusing (siehe Extra-Punkt) Bearbeitungsorientierte Interventionen sind auf unmittelbare, kurzfristige Ziele („Aufgaben“) gerichtet, die der Klient ausgehend vom gegenwärtigen therapeutischen Prozess angehen bzw. erreichen sollte. Dabei kommen nicht nur genuin gesprächstherapeutische Interventionen (Äußerungen im Sinne der Basis- und Zusatzvariablen) zum Einsatz, sondern auch Techniken anderer therapeutischer Ansätze, z.B. aus der Gestalttherapie (z.B. „Zwei-StühleDialog“ oder „Leere Stuhl-Dialog“) oder der Verhaltenstherapie. Z.B. würde es in folgenden Fällen Sinn machen ein Bearbeitungsangebot zu machen: Wenn z.B. ein hoch bedeutsames Ereignis aus der Vergangenheit des Klienten auftaucht: dann macht es Sinn dieses genauer durchzuarbeiten und zu explizieren. Ein aktuelles Problem bleibt auch nach verbaler Beschreibung recht unklar und emotional kaum fassbar. Hier könnte eine tiefere Bearbeitung durch Focusing Sinn machen, um damit die tiefere persönliche Bedeutung und Motivation zu klären. Oder es geht darum, einen auftauchenden (internal motivierten) Konflikt näher zu bearbeiten (z.B. einen Entscheidungskonflikt) Im Klientenverhalten zeigen sich deutliche Widersprüche: für eine tiefere Bearbeitung wäre es sinnvoll, ihn damit zu konfrontieren. Focusing Ablauf des Focusing im Überblick: Die Interventionstechnik Focusing wurde von Gendlin (1981) entwickelt. (Motto: „Von dumpfen Gefühl zur klaren Empfindung“) Beim Focusing wird ein konkretes Problem oder ein wichtiger Inhaltsbereich aufgegriffen. Diesem Problem soll der Klient näher nachspüren. Dazu lenkt der Therapeut die Aufmerksamkeit des Klienten auf seine aktuellen, inneren Zustände. Der Klient erlebt diese zunächst einmal meist nur als diffuse Emotionen und Körperempfindungen. Wenn ein Erlebnis (oder eine Emotion) am Rande der Gewahrwerdung auftaucht, ist es ein undeutliches Gefühl, aber gleichzeitig auch ein Bezugspunkt. Ein gutes Beispiel dafür, ist die Alltagserfahrung: „Jetzt ist mir eben entfallen, was ich Ihnen sagen wollte! Was war’s denn noch mal. Na, mir liegst auf der Zunge! Nö, komm’ ich jetzt g’rad nicht mehr drauf. (und dann nach einigen Minuten: Ah, jetzt weiß ich’s wieder, was ich sagen wollte.). D.h. hier handelt es sich um ein Erlebnis, das bereits ins Bewusstsein vorgedrungen war und jetzt nicht mehr bewusst, aber doch noch irgendwie verfügbar ist. 60 Dieses Phänomen lässt sich in der Therapie häufig beobachten. Beim Focusing fordert der Therapeut nun den Klienten auf, sich auf dieses diffuse (Körper-)Gefühl / Erlebnis zu konzentrieren, dass dem Bewusstsein im Moment nicht ganz zugänglich ist (Der Klient soll sich auf die sog. gefühlte Bedeutung konzentrieren; den sog. „felt sense“). Der Klient soll seine Aufmerksamkeit auf das lenken, was in seinem Inneren geschieht, er soll dabei versuchen, dies immer deutlicher wahrzunehmen, bis sich eine klare Körperempfindung, Bilder, Worte oder Gefühle einstellen. Über mehrere Prozessschritte soll er versuchen, dieses Gefühl zu symbolisieren, d.h. er soll versuchen, die bislang nur gefühlte Bedeutung explizit zu benennen. Nach einer stimmigen Symbolisierung verändert sich das diffuse Gefühl oder es verschwindet. Es geht also um eine vertieften Zugang zum eigenen inneren Erleben, zu seiner Intuition, Es geht darum, die Botschaft, die in einem „Bauchgefühl“ steckt für sich besser verstehen und nutzen zu können. 61 Anwendungsfelder des klientenzentrierten Ansatzes Einführung: Neben dem Einzel-Setting Anwendungsmöglichkeiten: gibt es noch eine Vielzahl weitere Gesprächspsychotherapie in Gruppen: Prinzipien der klientenzentrierten Gesprächsführung und Grundhaltung sind auch in die Arbeit mit Gruppen eingeflossen. Rogers selbst hat lange Jahre mit sog. Encounter-Gruppen gearbeitet, bei denen die Begegnung von Menschen im Mittelpunkt steht. Auf Gruppenebene wird die Bezeichnung „personenzentriert“ bevorzugt, da der Ansatz nicht nur für Personen mit akuten psychischen Problemen gedacht ist. Die Haltung des Helfers („facilitator“) entspricht weitgehend der des Therapeuten im Einzelgespräch. Hinzu kommen die Interaktionen der Gruppenmitglieder. Diese kommunizieren nach dem Modell des Gruppeleiters in einer personenzentrierten Weise miteinander und bringen offen ihre eigenen Erfahrungen, Gefühle und Wahrnehmungen in die Gruppe ein. Indem die Gruppenmitglieder aufeinander eingehen, können sie sich gegenseitig bei der Selbstexploration fördern, und auch Inkongruenzen zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung abbauen helfen. Somit ist die klientenzentrierte Gesprächsführung und Haltung eine unverzichtbare Grundlage für jede Selbsterfahrungsgruppe (auch die von mir im 2. und 3. Semester angebotene Gruppe basiert im Wesentlichen auf einer klientenzentrierten Grundhaltung und einigen erlebnisaktivierenden Übungen. Auch für Selbsthilfegruppe unterschiedlichster Art ist das klientenzentrierte Konzept von Bedeutung. (z.B. Annemarie Tausch: Gespräche gegen die Angst: als Konzept für einen offenen, unterstützenden Erfahrungsaustausch für Krebspatienten.) Gesprächspsychotherapie in Systemen und Institutionen: Gesprächspsychotherapeutische Interventionsansätze kommen auch in Systemen zur Anwendung: in Gruppen zur Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen in Organisationen und Institutionen in der pädagogischen Psychologie zur Förderung des Lehrerverhaltens. in der Paartherapie, Familientherapie, aber auch in der Management- und Organisationsentwicklung. Bei Elterntrainings (z.B. nach Gordon, 1970): u.a. wird das reflektierende Sprechen mit dem Kind als eine zentrale Variable günstigen Elternverhaltens geübt. Bei anderen Probleme erweist sich v.a. Offenheit und ggf. auch Selbstöffnung der Eltern als günstig. Daraus entwickelten sich auch Interventionsprogramme für Familien. Auf klientenzentrierte Grundlage stützt sich auch die kindzentrierte Spieltherapie. 62 Bewertung des klientenzentrierten Ansatz Vorteile des klientenzentrierten Ansatzes: Das humanistische Modell übt auf viele Menschen eine hohe Anziehungskraft aus: Durch die Betonung der besonderen Eigenheiten und Herausforderungen des menschlichen Daseins (Streben nach Selbstakzeptanz, nach der Verwirklichung von persönlichen Werten, Sinn und persönlicher Entscheidungsfreiheit), wird eine Dimension des psychologischen Lebens berührt, die den anderen Ansätzen gewöhnlich abgeht. Der optimistische Grundton ist ebenfalls sehr attraktiv. Jeder Mensch trägt ein Potenzial zu persönlichem Wachstum in sich und kann lernen diesen zu entfalten. Psychotherapie wird hier nicht in erster Linie als Krankenbehandlung gesehen, sondern als Hilfe, sein persönliches Potenzial voll zur Entfaltung zu bringen. Es geht dann nicht nur darum, als Mitglied der Gesellschaft zu funktionieren, nicht darum den Alltag einigermaßen bewältigen zu können, sondern auch darum, die Bedingungen für ein erfülltes, geglücktes Dasein zu finden. Hohe Bedeutung für Ausbildung, Selbsterfahrung und Supervision angehender Therapeuten: bzw. überhaupt für die Optimierung des Faktors „Mensch“ in helfenden Berufen. Menschenbild und therapeutische Grundhaltungen sind für die Beziehungsgestaltung unverzichtbar: Im Rahmen von Gesprächsführung und Beratung ist der Ansatz, insbesondere das damit verbundene Menschenbild und die therapeutischen Grundhaltungen eine unverzichtbare Basis für die Etablierung einer vertrauensvollen und konstruktiven Beziehung zwischen der helfenden Person und dem Klienten. Es gilt als nachgewiesen, dass die 3 Basisvariablen auf die Entwicklung des Klienten einen positiven Einfluss haben. Außerdem verhindern die Grundhaltungen eine schematische Anwendung von beraterisch-therapeutischen Techniken. Der gesprächstherapeutische Behandlungsansatz hat schon früh große Verbreitung erfahren: Manche Autoren behaupten (z.B. Reicherts, 1998, S. 430): „Der gesprächstherapeutische Behandlungsansatz hat schon früh große Verbreitung erfahren und gehört heute zu den weltweit am meisten angewandten psychologischen Interventionsverfahren“. Besonders geeignet für die Bearbeitung von emotionalen Inhalten: Die klientenzentrierte Methode ist besonders zur Bearbeitung von emotionalen Inhalten geeignet und bietet hier eine sehr gute Möglichkeit für eine vertiefte Auseinandersetzung. Wirksamkeits-Studien: Über die Wirksamkeit von Gesprächspsychotherapie gibt es unterschiedliche Angaben. 63 Insgesamt betrachtet konnte die Wirksamkeit sicherlich nachgewiesen werden, es ist aber unklar, wie sie im Vergleich zu anderen therapeutischen Schulen abschneidet. Es gibt eine Reihe von Studien, die auf eine gewisse Überlegenheit von VT hindeutet sowie eine in etwa Gleichwertigkeit zu psychoanalytischen Therapien. Aus den eigenen Reihen der Gesprächspsychotherapeuten wird aber darauf hingewiesen, dass man hier z.T. Äpfel mit Birnen vergleiche. Bei der Gesprächspsychotherapie handele es ich um ein symptomunspezifisches Verfahren, dass seine Wirkung erst auf längere Zeit hin (vielleicht auch erst nach einer längeren Zeit nach Therapieabschluss) sich zeigen würde. Dies wird in vielen Studien (die sich eher auf kurzfristige Effekte beziehen) oft vernachlässigt. Die zentrale Bedeutung der „Beziehung“ hat sich bestätigt: Es ist v.a. der Verdienst des klientenzentrierten Ansatzes auf die Bedeutung der Beziehung für den therapeutischen Prozess nachdrücklich hingewiesen zu haben, und die grundlegenden Variablen für eine gelungene Beziehung genau erforscht und beschrieben zu haben. Der empirischen Therapieforschung ist mittlerweile der Nachweis gelungen, dass die therapeutische Beziehung den stärksten Zusammenhang mit dem Therapieerfolg aufweist. Der Stellenwert, den Rogers in seiner Konzeption von Psychotherapie der therapeutischen Beziehung zugewiesen hat, wurde durch diese Forschungen bestätigt. Dies haben auch andere Therapieschulen (wie PA und VT) heute erkannt. Sie weisen heute der Beziehung eine sehr viel größere (und z.T. eine andere) Rolle zu als dies früher der Fall war. In diesem Punkt haben sich die Therapieschulen sehr angenähert. Dennoch bleiben die Gestaltung und die emotionale Qualität therapeutischer Beziehungen in den verschiedenen Verfahren unterschiedlich, z.B. im Hinblick auf ihre spezifisch Ausgestaltung und emotionale Qualität. Nachteile /Kritik des klientenzentrierten Ansatzes: humanistischen bzw. Humanistisch orientierte Praktiker lehnen z.T. empirische Forschung ab: mit einer bemerkenswerten Ausnahme, nämlich Rogers selbst, der sehr viel Wert auf die Erforschung des psychotherapeutischen Prozesses gelegt hat. Man kann ihn sogar als Begründer (Pionier) moderner (empirisch-systematischer) Psychotherapieforschung bezeichnen. (1956 hat er sogar einen Wissenschaftspreis bekommen, v.a. für seine besonderen Leistungen im Bereich der Entwicklung wissenschaftlich-empirischer Forschungsmethodik klinischer Prozesse.) Rogers selbst hat an einer Universität (am Teachers-College der Columbia-University) studiert, die sehr von der behavioristisch-empirisch Sichtweise geprägt war. (Es war dasselbe Institut an dem Watson 1913 sein Manifest des Behaviorismus erarbeitet hatte). Es ist nachvollziehbar, dass die Ausbildung an diesem Institut mit ihrem Schwerpunkt auf streng wissenschaftlicher Methode, operationalem Denken und Hypothesenprüfung mittel hoch entwickelter statistischer Verfahren nicht ohne Einfluss auf Roger’ Einstellung zur Forschung blieb. 64 Roger war der erste, der versucht hat, dasjenige, was in der Psychotherapie geschieht, den therapeutischen Prozess einer empirischen Forschung zugänglich zu machen und damit diese Prozesse zu objektivieren. Er stütze sich dabei auf Tonaufnahmen von therapeutischen Sitzungen (damals noch auf eine Art Schallplatte aufgenommen) und führte zahlreiche Erhebungen mit psychologischen Tests und subjektiven Beurteilungsverfahren durch, die der Ermittlung der therapeutischen Veränderungen dienten. Dennoch: die meisten Praktiker haben lange Zeit die in der empirischen Forschung üblichen statisch fundierten Evaluationen abgelehnt. V.a. in den 70er Jahren im Rahmen von „Flower-Power“-Unterströmungen haben viele Vertreter der Gesprächspsychotherapie ihre eigenen empirischen Wurzeln ignoriert und eine eher forschungsabstinenten oder gar –feindliche Position eingenommen. Deshalb gibt es bislang relativ wenig aussagekräftige Ergebnisse zur Wirksamkeit; noch am ehesten zur Klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie, fast nichts z.B. zur Gestalttherapie. I.d.R. versuchen die meisten Gesprächspsychotherapeuten, ihre Ansichten durch Logik, Introspektion und Einzelfallstudien plausibel zu machen. Aus diesem Grund hat dieser Ansatz nur beschränkt empirische Untersuchungen oder Unterstützung erfahren, was auch der Grund dafür war, dass die Gesprächspsychotherapie mit der Verabschiedung des Psychotherapeutengesetzes 1999 erst einmal nicht als Richtlinienverfahren zugelassen wurde. In jüngerer Zeit hat sich hier etwas getan: Jetzt sind zumindest Teile einer gesprächspsychotherapeutischen Ausbildung anerkannt. Globalziel der Entwicklung der Persönlichkeit nicht immer notwendig und möglich: Ziel des klientenzentrierten Ansatzes ist eigentlich die allgemeine Entwicklung der Persönlichkeit zu fördern (insbesondere, wenn es um Gesprächspsychotherapie geht). Dies ist aber in vielen Kontexten Sozialer Arbeit und auch Klinischer Sozialarbeit nicht in einem solch’ umfassenden Maße möglich. I.d.R. sind eng umrissenere Zieldefinitionen erforderlich. (in vielen Settings wäre eine vertiefte emotionale Selbstexploration des Klienten zu intensiv und zeitaufwendig; und auch nicht immer notwendig). Klärung ist nicht alles: Klientenzentrierte Psychotherapeuten sind oft kritisch gefragt worden, wie sie vom Wahrnehmen zum Wahrmachen von Änderung kommen. Natürlich wäre das prinzipiell möglich. Schließlich liegt in jedem Wahrnehmen bereits ein Handlungsansatz. Es kann aber durchaus sein, dass Klienten, die den Kern Ihres Problems verstanden haben, sich trotzdem nicht verändern können, weil ihnen dazu die konkreten Fertigkeiten und Ressourcen fehlen. In der Tat bietet der klientenzentrierte Ansatz wenig Hilfen zur praktischen Umsetzung von angestrebten Verhaltensweisen, sobald dem Klienten Zusammenhänge bewusst geworden sind (v.a. die klassische Form von Rogers). Grundhaltungen sind zwar notwendig, aber nicht hinreichend: Die Auffassung Rogers, dass die Realisierung der drei Grundhaltungen für die psychische Gesundung des Klienten notwendige und hinreichende Bedingungen sind, 65 ist inzwischen von wissenschaftlicher Seite, als auch von Seiten der therapeutischen Praxis als nicht hinreichend für eine positive Veränderung des Klienten kritisiert und entsprechend modifiziert worden. Das Therapeutenverhalten sollte zusätzlich u.a. die drei Grundprinzipien Verbalisierung, Konkretheit und Konfrontation einbeziehen. Postulat einer Aktualisierungstendenz empirisch (angeblich) nicht überprüfbar: In Rogers theoretischen Überlegungen tauchen Elemente auf, die den Erfordernissen einer Theorie im streng wissenschaftlichen Sinne nicht Stand halten können. So ist z.B. die Behauptung, dass dem Menschen eine quasi angeborene Aktualisierungstendenz innewohne, empirisch nicht überprüfbar. Andererseits sprechen modernde Selbstorganisationstheorien durchaus für das Postulat einer Aktualisierungstendenz: Andererseits betont z.B. Kriz, dass das theoretische Postulat einer Aktualisierungstendenz doch in bemerkenswerter Weise bereits Grundaspekte modernder Selbstorganisationstheorien enthält. Lange Zeit glaubte man innerhalb des klassisch-abendländischen Weltbildes, dass Ordnung und Veränderung nur über ordnende Interventionen erreicht werden können. In den modernen Naturwissenschaften haben sich aber mittlerweile zunehmend Selbstorganisationstheorien interdisziplinär durchgesetzt und empirisch bestätigen lassen. Diese Theorien machen deutlich, dass ein offenes System durch die komplexe Interaktion von Systemkomponenten auch quasi aus sich selbst heraus zu Bildung neuer Ordnungen imstande ist, ohne dass spezifische ordnende Eingriffe stattgefunden haben. In den Entwicklungswissenschaften versucht man z.B. die menschliche Entwicklung zunehmend im Rahmen von Selbstorganisationstheorien zu begreifen. Das klassische Ursache-Wirkungsdenken scheint in vielen Bereichen unzureichend. Es ist überholt. Andererseits ist es wohl auch sehr schwer, diese archaische (über die letzten Jahrhunderte dominante) Denkstruktur aufzugeben. Vorsicht: Es kann hier zu Begriffsverwirrungen kommen: Selbstorganisation meint üblicherweise „Eigen“-Organisation, während Selbstaktualisierung die Aktualisierung des Selbst meint. Hier handelt es sich also um eine Selbst-Selbstorganisation. Z.T. ist Rogers Menschenbild vielleicht zu positiv, zu idealistisch (zumindest zu wenig differenziert): Rogers nahm an, dass der gesunde Mensch Entscheidungen trifft, um seine Selbstaktualisierungstendenzen zu befriedigen, und dass Menschen von Natur aus gut sind. Würde er nicht durch verzerrte Sichtweisen eingeschränkt sein, dann könnte er sozusagen seine wahre gute Natur entwickeln. Irgendwie nimmt Rogers dabei an, dass eine gelungene Selbstaktualisierung automatisch mit in soziale Hinsicht wünschenswerten Verhaltensweisen einhergehen. Das muss aber nicht automatisch der Fall sein. Es gibt Menschen, die anderen Menschen nach objektiven Maßstäben beurteilt „böses“ an tun, aber in ihrem subjektiven Erleben, das Gefühl haben, dass ihr Verhalten sie zutiefst befriedigt und das Ganze ihrer Selbstverwirklichung diene. 66 Rogers Vorstellungen von der menschlichen Entwicklung (und deren Einflussfaktoren) sind zu wenig differenziert: In Rogers Theorie wird z.B. der weitreichende Einfluss von sozialen und anderen Umweltbedingungen (wie z.B. schlechte sozioökonomische Bedingungen) ausgeblendet. Kritiker werfen ihm vor, dass er zu sehr von einer heilen, weitgehend an den Werten, Normen und Bedingungen der Mittelschicht orientierten Weltsicht ausgeht. Außerdem werden biologische Faktoren, wie der Einfluss von Genen, körperlichen Erkrankungen, Behinderungen, Unfälle, Einflüsse von psychotropen Substanzen, völlig ausgeklammert. Bei Rogers stehen personalistische Annahmen im Mittelpunkt, d.h. die Bestrebungen, Motive, Erfahrungen und das Selbstkonzept einer Person, die sozialen, kulturellen und materiellen Lebensbedingungen spielen hingegen nur eine geringe Rolle. Rogers beleuchtet nur einen kleinen Teilaspekt der menschlichen Entwicklung, mehr nicht! Das muss man natürlich im Hinterkopf behalten, wenn man sich mit Rogers Werk auseinander setzt. Die klientenzentrierte Konzeption vernachlässigt die differentialätiologische Perspektive: d.h. die Unterschiede zwischen verschiedenen Arten psychischer Störungen. Sie ist bemüht, die Person in ihrer Einzigartigkeit zu verstehen. Mit dieser Akzentsetzung vernachlässigt sie aber Unterschiede zwischen Personengruppen, die Bedeutung von unterschiedlichen Störungen, unterschiedliche Persönlichkeitseigenschaften oder unterschiedliche Lebensbedingungen (z.B. Sozialschichtzugehörigkeit). D.h. in der ursprünglichen Konzeption wurden Aspekte der Diagnostik und Klassifikation psychischer Störungen und deren Relevanz für die Behandlung weitgehend ausgeklammert. Stattdessen wurde der konzeptionelle Schwerpunkt auf die allgemeinen Bedingungen menschlicher Veränderung gelegt. Diese wissenschaftliche Akzentsetzung ist zweifellos legitim; für ein klinischpsychologisches Modell stellt es aber dennoch einen Mangel dar, offensichtliche Unterschiede zwischen Personen und verschiedenen Störungen nicht zu berücksichtigen. Dieses Manko hat man in den letzten Jahren versucht durch die Entwicklung von differenziellen Ansätzen zu überwinden. Kritiker (wie z.B. Bastine) werfen dem klientenzentrierten Ansatz vor, dass dieser zwar viel zur Veränderung der Problematik beitrage, aber wenig zur Erschießung differenzieller Unterschiede tauge. Also umgekehrt zu dem Vorwurf, den man gerne der Psychoanalyse gemacht hat, dass diese zwar viel zur Kenntnis der Störung, aber wenig zur Veränderung der Problematik beitrage. Keine differenziellen Indikationsaussagen möglich: Mit diesem Defizit in Verbindung steht, dass kaum Aussagen zur eindeutigen Indikation gemacht werden. D.h. es gibt keine zuverlässigen Annahmen darüber, bei welchen psychischen Störungen die Gesprächspsychotherapie indiziert ist und bei welchen nicht. Keine ausreichend fundierte Therapietheorie: 67 Eine weitere Schwäche der Klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie (gegenüber anderen psychotherapeutischen Ansätzen) liegt darin, dass deren theoretische Überlegungen keine ausreichende Grundlagen bietet, um präzise Diagnosen und Vorhersagen zu erstellen, die zielgerichtete therapeutische Interventionen im Hinblick auf konkrete Veränderungen im Klienten ermöglichen (bei VT bieten z.B. lernpsychologische Theorien eine solide Grundlage für therapeutische Veränderungsstrategien, wie z.B. das klassische Konditionieren für das Expositionstraining.) Auch im Vergleich zu Psychoanalyse muss man die Rogers Therapietheorie als recht bescheiden betrachten. Und das gilt auch für die Entwicklungs- und Störungstheorie. Rogers Theorie ist insgesamt vergleichsweise wenig elaboriert: Rogers hat seine theoretischen Ausführungen ursprünglich sehr abstrakt formuliert und es auch weitgehend dabei belassen. Nur für leicht gestörte Klienten geeignet: Von verschieden Seiten wird Rogers und seinen Anhängern vorgeworfen nur die leicht gestörten Klienten im Blick zu haben. Klientenzentrierte Therapie kann sicherlich unglücklichen Menschen helfen, sich selbst ein Stück weit besser zu verstehen und wenn sie über die nötigen Ressourcen verfügen, die gewonnene Einsicht auch in konkrete Verhaltensänderungen umzusetzen; Für schwerer gestörte Klienten reicht sie aber nicht aus. Bedeutung des klientenzentrierten Ansatzes für die (Klin)SA Einführung: Der klientenzentrierte Ansatz (und z.T. auch der gestalttherapeutische Ansatz) gehört zu den am meisten verbreiteten therapeutischen Ansätzen in der Sozialen Arbeit. Wann ist eine klientenzentrierte Psychotherapie indiziert? Um zu entscheiden, welche Bedeutung die klientenzentrierte Psychotherapie für die Klinische Sozialarbeit hat, ist die Frage von Bedeutung, wann diese überhaupt indiziert ist. Rogers selbst macht einige zentrale Indikationsaussagen: (1) Der Klient muss kontaktfähig sein: d.h. der Helfer muss eine wahrnehmbare Veränderung im Erfahrungsfeld des Klienten bewirken. Dies ist z.B. bei akuten Intoxikationen, bei akutem psychotischem Erleben oder bei schwerer geistiger Behinderung u.U. nicht (in ausreichendem Maße) der Fall. (2) Vorhandenes Inkongruenzerleben auf Seiten des Klienten: Als Voraussetzung für eine sinnvolle Anwendung der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie sollte gegeben sein, dass der Klient eine Inkongruenz erlebt zwischen seinem Selbstkonzept und seinen Erfahrungen und er dies auf irgendeine Art und Weise auch spürt, 68 d.h. er spürt, dass er irgendwie mit sich selbst uneins ist, er sich selbst oft nicht verstehen kann, er sich so wie er ist, nicht akzeptieren kann oder er spürt dies in Form von einer Gespanntheit, Ängstlichkeit oder in psychosomatischer Ausdrucksweise, usw. d.h.: der Klient erlebt, fühlt, erleidet etwas, das er nicht erleben will bzw. das er nicht als zu sich zugehörend erlebt. Sofern der Schwerpunkt der Problematik z.B. eher in Defiziten bzgl. der sozialen Kompetenzen, der sozialen Integration, der sozialen Chancenstruktur besteht, wäre eine andere Vorgehensweise zu bevorzugen. (3) Klient ist fähig, das Beziehungsangebot in ausreichendem Maße wahrzunehmen: Dies muss zumindest in Ansätzen vorhanden sein. Der Klient braucht eine in ausreichendem Maße vorhandene Fähigkeit, das einfühlende und wertschätzende Verhalten des Therapeuten wahrzunehmen. Den Klienten muss wenigsten in Ansätzen die Mitteilung des Therapeuten erreichen, dass dieser in versteht und wertschätzt. Man bezeichnet dies Bedingung auch als „Ansprechbarkeit des Klienten für das therapeutische Beziehungsangebot. Indikationsvoraussetzungen sind in der KlinSA nicht immer erfüllt: Rogers Indikationsregeln machen deutlich, dass die Voraussetzungen für eine klientenzentrierte Therapie nicht bei allen Klienten KlinSA gegeben sind. Es gibt Klienten, die nicht in genügendem Maße kontakt- und beziehungsfähig sind und es gibt Klienten, bei denen sich der Kern der Problematik nicht nur (oder vielleicht sogar gar nicht) durch eine erfahrungsbedingte Inkongruenz zwischen Selbstbild und Erfahrung (bzw. zwischen Realbild und Selbstideal) definieren lässt. Es können andere Problem- oder Störungstypen im Vordergrund stehen (z.B. informelle Defizite, grundlegende Entwicklungsdefizite, soziale Desintegration, körperlich begründete Beeinträchtigungen, materielle Notlagen, etc.) In diesem Fall sind andere oder zumindest ergänzende Interventionen notwendig. Indikationsbereiche: Störungen für die die Klientenzentrierte Psychotherapie indiziert ist: Folgt man den empirischen Wirksamkeitsstudien hat die Gesprächspsychotherapie allgemein ein breites Wirkungsspektrum. Trotzdem zeichnen sich einige Indikationsschwerpunkte ab: Voraussetzung ist das zumindest teilweise Gewahrwerden der Inkongruenz und die Motivation, daran etwas zu verändern. Dazu gehören (in Anlehnung an Speierers differenziellen Inkongruenzmodell, 1994 bzw. Reicherts, 1998): Dysthyme depressive Störung (ICD 10 F34.1): Dysthymia (= chronisch depressive Verstimmung; anhaltende ängstliche Depression, depressive Neurose bzw. neurotische Depression) (also geeignet bei depressiven Störungen ohne „endogene“ Komponente) Die komplette Gruppe F4 „Neurotische, Belastungs- und somatoforme (=psychosomatische) Störungen (ICD 10): phobische Störungen, Angststörungen, Zwangsstörungen, Belastungs- und Anpassungsstörungen, dissoziative und somatoforme Störungen und Auch psychische Einflussfaktoren körperlicher Erkrankungen (ICD 10; F54: „psychische Faktoren und Verhaltensauffälligkeiten bei andernorts klassifizierten Krankheiten) 69 Zusammenfassend kann man also sagen: dass die Klientenzentrierte Psychotherapie v.a. geeignet scheint für: psychoneurotische Störungen (wie depressive oder Angststörungen), sowohl in Einzelwie in Gruppentherapie. Ebenso eignet sie sich zur Behandlung von interpersonalen Problemen (wie Kontaktstörungen, Paar- und Beziehungsstörungen). Z.T. wird sie auch in der Behandlung von Alkoholabhängigkeit oder Schizophrenie als sinnvoll betrachtet. Bei der Behandlung von bestimmten Persönlichkeitsstörungen bietet sie sich weniger an (siehe untern!) Kontraindikationen: Störungen für die die Klientenzentrierte Psychotherapie kaum oder nicht indiziert ist: Störungen ohne Inkongruenzerleben. Bei Klienten, bei denen die Störung mit ihrem Selbstkonzept übereinstimmt, an der die Bezugspersonen, nicht aber sie selbst leiden, z.B. bei einer Verhaltensstörung oder Störung der Impulskontrolle (ICD 10 F63: „abnormen Gewohnheiten und Störungen der Imoulskontrolle; z.B. pathologische Brandstiftung; pathologisches Stehlen. Auch Störungen, deren Symptomen sich der Wahrnehmung entziehen (z.B. unbemerkte Ausfallerscheinungen bei z.B. Alzheimer Patienten) Bei Intelligenz- und Wahrnehmungsmängel sowie Fehlende Krankheitseinsicht Allgemeine Hinweise zur klientenzentrierten Grundhaltung in der psychosozialen Praxis: Der psychosoziale Helfer (Berater, Klinisch Sozialarbeiter) der die klientenzentrierte Grundhaltung in seinem Arbeitsfeld konstruktiv verwirklichen will, muss beachten: Es darf nicht gleich mit jedem Klienten eine Psychotherapie gemacht werden: Sicherlich kann man nicht beliebig berufliche Situationen bzw. Settings in der Sozialen Arbeit in therapeutische umfunktionieren. Dieses Missverständnis wird leider immer wieder praktiziert. Es ist nicht immer angebracht, sich mit der Technik des Verbalisierens emotionaler Erlebnisinhalte gleich auf die Gefühle des Klienten zu „stürzen“. Damit werden Klienten vielleicht voreilig (und für das gegebene Setting in nicht passender Weise) in eine quasi therapeutische Situation gedrängt. Die klientenzentrierte Grundhaltung ist keine „Psycho“-Technik: Die klientenzentrierte Grundhaltung darf nicht als eingeübte und beliebig anwendbare „Psycho“-Technik verstanden werden. Die klientenzentrierte Grundhaltung ist keine „allgemeine Charaktereigenschaft“, sondern ein redliches Bemühen in einen konstruktiven Prozess zu kommen: Die klientenzentrierte Grundhaltung darf nicht als „allgemeine Charaktereigenschaft“, als generelles „Sei-lieb-zum-Klienten“ missverstanden werden, 70 bzw. als eine normative Wertvorstellung, Über-Ich-Forderung wie man als sozial hilfstätige Person zu sein hat. Als bloß übergestülptes Ideal bzw. Dogma wäre es sicherlich problematisch. Es handelt sich vielmehr um eine grundlegende Einstellung, es zu versuchen, dem Klienten in einer konkreten Situation als Person in einer empathischen, wertschätzenden und kongruenten Weise zu begegnen. Ausgehend von einer solchen Grundeinstellung kann man sich redlich bemühen, die klientenzentrierten Grundhaltung umzusetzen. Ob und inwieweit das gelingt, hängt nicht nur vom Berater/Therapeuten ab, sondern auch ganz entscheidend von den Rahmenbedingungen, unter denen sie arbeiten. Die Rahmenbedingungen müssen immer mit reflektiert werden: Sie müssen immer mit einbeziehen unter welchen Bedingungen sie eine Beziehung zu einem Klienten aufnehmen z.B. Gibt es ein Machtgefälle? Wie viel Eigenverantwortung des Klienten ist in der gegebenen Situation überhaupt möglich? Haben sie auch kontrollierende (oder gar sanktionierende) Funktionen. In einer Behörde (wie z.B. dem Sozial-, Jugend- und Gesundheitsamt) müssen Sie u.a. prüfen, ob Sachleistungen wirklich gerechtfertigt sind, ob der Klient gemachte Auflagen eingehalten hat. (In einer Behörde gibt es auch kein Zeugnisverweigerungsrecht, d.h. es gibt nur eine eingegrenzte Verschwiegenheit.) Wie nimmt sie der Klient in ihrer Rolle, in ihrer Institution (z.B. Behörde) wahr, usw. (es kann sein, dass der Klient sie eher als Kontrolleur, Sanktionierer, die Frau vom Amt wahrnimmt, während sie sich gerne in der Rolle der empathischen Unterstützerin sehen möchten. Sie versuchen besonders einfühlend zu sein, aber das macht den Klienten immer misstrauischer, weil er dahinter einen besonders raffinierten „Behördentrick“ vermutet. Zur klientenzentrierten Grundhaltung gehört auch für Transparenz zu sorgen: Im Hinblick auf eventuell kontrollierende oder andererweitig beziehungstechnisch potenziell schwierige Aspekte sollte sie für Transparenz sorgen. Sie sollten dies dem Klienten so klar als möglich vermitteln. Die Realisierung der klientenzentrierten Grundhaltung ist kein „entweder – oder“: Auch wenn manche Rahmenbedingungen nicht leicht sind, sollten Sie die Realisierung der klientenzentrierten Haltung nicht als „entweder – oder“ sehen, d.h. entweder ich realisiere sie oder nicht. Es ist ein Ziel, das anzustreben ist, dem aber sicher immer wieder Grenzen gesetzt sind - bedingt durch äußere wie durch in einem selbst liegende Schwierigkeiten. Ein „ich muss jetzt einfühlend, wertschätzend und echt sein“, wäre mit Sicherheit genau das nicht. Sie sollten als Erstes sich spüren und sich akzeptieren und gegebenenfalls auch zulassen können, wenn es ihnen mal nicht gelingt, die klientenzentrierten Grundhaltungen umzusetzen (weil sie vielleicht müde und abgekämpft sind oder mit einem Klienten arbeiten, der einfach zu viele negative Gefühle in Ihnen auslöst). Erst wenn Sie das bei sich zulassen können, können Sie auch den Klienten richtig wahrnehmen. 71 Gestalttherapie Einführung Begriffsverwirrung Gestalttherapie vs. Gestaltungstherapie: Zuvor sei darauf hingewiesen: die Gestalttherapie darf nicht mit Gestaltungstherapie verwechselt werden. Gestaltungstherapie ist Psychotherapie mit gestalterischen Mitteln. Dabei wird versucht kreatives (bildnerisches und darstellerisches) Tun für Behandlungszwecke nutzbar zu machen. Das Gestaltungserleben soll den Zugang zur Emotionalität erleichtern und in weiterer Folge Wegbereiter und Mittel indizierter Psychotherapie sein. Im englischen „art-therapy“. Die deutsche Übersetzung „Kunsttherapie“ ist aber irreführend (weil es eigentlich nicht um höhere künstlerische Ansprüche geht, sondern eher um den Prozess kreativen Gestaltens). Es kann um ein bildnerisches, zeichnerisches, musikalisches, tänzerisches Gestalten gehen. D.h. es geht um Maltherapie, Musiktherapie, Bewegungstherapie und Tanztherapie; z.T. wird auch Morenos Psychodrama dazu gerechnet. Oft haben diese Verfahren einen tiefenpsychologischen Hintergrund. Natürlich könnte sie auch Teil einer Gestalttherapie sein. Kurze Einführung: Die Gestalttherapie ist der zweitwichtigste Therapieansatz innerhalb der humanistischen Psychologie. Wurde in den 1950er Jahren in den USA entwickelt. Begründer: Frederick (Fritz) Perls (1893-1970). Daneben werden zu den Begründern gerechnet: Perls Frau Lore, die eine Gestaltpsychologin war, P. Goodmann, J. Simkin, P. Wiesz und R. Hefferline.) Perls kommt der Verdienst zu, sehr viele unterschiedliche Ansätze und Strömungen in die Gestalttherapie integriert zu haben. Theoretische Grundlagen beziehen sich aus der Gestaltpsychologie (v.a. Lewin, Goldstein, etc.) Es ist allerdings nicht so, dass die Gestalttherapie einfach die praktische Anwednung der Gestaltpsychologie wäre (ein Verhältnis wie es zumindest anfänglich für Verhaltenstherapie und Lerntheorien zutraf.). Vielmehr wurde die gestaltpsychologischen Theorien von Perls weitgehend in sehr verallgemeinerter Form und oft nur in metaphorischer Analogie verwendet. Die Störungstheorie und Therapietheorie ist wenig ausgereift; hat viele Ähnlichkeiten zu Rogers Theorie. Wichtigster Beitrag sind die Interventionsstrategien und Techniken. Zur Person Frederick (Fritz) Salomon Perls (1893-1970): Hatte ursprünglich psychoanalytische Ausbildung. Lehranalyse bei Karen Horney (1925), C. Happel (1926) und Wilhelm Reich (1928). Konzepte dieser tiefenpsychologisch ausgerichteten Therapeuten hat Perls in seine Überlegungen integriert, 72 ebenfalls die Konzepte von H. Schulz-Hencke, einem einflussreichen Mitglied der Berliner Psychoanalytischen Schule. Ferner integrierte er in seinem Ansatz Elemente aus dem Psychodrama von Moreno. Zum Namen Gestalttherapie kam es durch seine Assistententätigkeit bei Kurt Goldstein (in Frankfurt, ab 1926) und durch seine Frau, die eine promovierte Gestaltpsychologin war. Perls selbst hatte eigentlich eine medizinische Ausbildung. Nicht unwesentlich für seine spätere Abgrenzung gegenüber der Psychoanalyse war sicher auch eine sehr kritische Aufnahme seines Beitrages über „orale Widerstände“ auf dem Psychoanalyse-Kongress 1936 und eine kränkende, ablehnende Haltung Freuds bei Perls Besuch in Wien im selbst Jahr (Perls hatte nur eine kühle 5minAudienz bekommen und sich sehr darüber geärgert). Jedenfalls begann kurz danach eine mehrjährige persönliche Krise Perls’. In dieser Krise begann er sich intensiv mit der Phänomenologie, dem Existenzialismus und der Gestaltpsychologie auseinanderzusetzen. Als Jude musste er 1933 nach Holland fliehen, ging später nach Südafrika (dort entstand das 1. Hauptwerk: „Ego, Hunger und Aggression“) und arbeitete ab 1946 in den USA, wo er 1970 starb. Wichtig waren auch Perls Kontakte zu Moreno, bei dem er das Psychodrama kennenlernte. In Zusammenarbeit mit Lore Perls, Paul Goodman (der v.a. die sozialphilosophischen Bezüge beisteuerte) und Ralph Hefferline entstand 1951 das zweite zentrale Werk der Gestalttherapie – das nun auch schon diesen Namen trägt: „Gestalttherapy. Excitement and Growth in Human Personality“. Nach einer weiteren längeren Krise in den fünfziger Jahren ging Perls 1960 nach Japan, um die Zen-Meditation kennen zu lernen. Es ist von daher nicht verwunderlich, dass gerade aus dem Zen-Buddhismus starke Einflüsse auf die Gestalttherapie zu verzeichnen sind. Dazu gehört z.B.: Perls Ablehnung des Theoretisierens zugunsten persönlicher bewusster Erfahrung. Eine starke Betonung der autonomen Selbstregulation und des Gleichgewichts aller Kräfte und Im Hinblick auf die Fortentwicklung der Gestalttherapie durch Perls selbst, eine immer deutlichere Orientierung auf bewusstseinserweiternde Prozesse hin – auf Kosten klinischer Aspekte. Hilarion Petzold: In Westeuropa wird die Gestalttherapie seit den siebziger Jahren insbesondere durch Hilarion Petzold verbreitet und auch stärker theoretisch weiterentwickelt. teilweise unter der Bezeichnung „Integrative Therapie“. Kurzbeschreibung der Gestalttherapie: Die Gestalttherapie hat sich vornehmlich aus der therapeutischen Praxis entwickelt (zunächst aus der psychoanalytischen Praxis). Perls orientiert sich genau wie Rogers an humanistischen Grundprinzipien. Auch er glaubt, dass der Mensch seinem Wesen nach gut sei, man müsse ihm nur ermöglichen, diese seine wahre Natur auszudrücken, man müsse ihm nur ermöglichen, sich seiner Grundbedürfnisse und Wünsche bewusst zu werden und sich auf seinen Instinkt zu verlassen. 73 Psychische Probleme haben ihren Ursprung in Frustrationen und Verleugnungen dieses angeborenen Guten. Im Gegensatz zur Psychoanalyse, die vornehmlich die negativen und verzerrten Merkmale des Menschen zu sehen scheint, konzentriert sich die Gestalttherapie (wie andere humanistische Ansätze) auf die kreativen und expressiven Aspekte. Im Gegensatz zur Klientenzentrierten Therapie setzt die Gestalttherapie sehr stark auf ein aktives, direktives Vorgehen und den Einsatz von Techniken. Getreu ihrer Wurzeln im Existenzialismus, geht die Gestalttherapie davon aus, dass der Mensch seine eigene Existenz jeden Tag, ja jeden Moment seines Lebens schafft. Der Klient kann sich ändern, und der Gestalttherapeut lässt – manchmal auf sehr konfrontative Art und Weise – keine Stagnation zu. Ziel und Grundintention der Therapie: Die Gestalttherapie versucht v.a., den Klienten dabei zu helfen, ihre Bedürfnisse, Wünsche und Ängste zu verstehen und zu akzeptieren sowie ihr Bewusstsein darüber zu fördern, wie sie sich selbst vom Erreichen ihrer Ziele und von der Befriedigung ihrer Bedürfnisse abhalten. Grundannahmen der Gestalttherapie: Zu den Grundannahmen der Gestalttherapie gehört, dass jeder in jede Situation seine Bedürfnisse und Wünsche mitbringt. Kein Mensch nimmt die Situationen, die um ihn herum tagtäglich geschehen, einfach so wahr, wie sie sind. Immer werden die eigenen Bedürfnisse, Ängste oder Wünsche auf „das da draußen“ projiziert. Beispiel: Wenn ich mit einem Fremden spreche, reagiere ich nicht einfach auf diesen Menschen, so wie er ist; ich reagiere auf den Fremden im Kontext meiner Bedürfnisse. Manchmal wirkt sich eine nicht erledigte Angelegenheit aus der Vergangenheit darauf aus, wie wir in der Gegenwart mit jemandem umgehen. Störungskonzept: Nach Auffassung der Gestalttherapie leidet der neurotische Mensch v.a. daran, dass er vermeintlich kritische Ereignisse und Regungen vermeidet. Er blendet seine Wahrnehmung aus und vermeidet es Gedanken oder Handlungen zu Ende zu führen. Das führt allmählich, dazu dass er den Kontakt zur Umwelt und auch zu sich selbst verliert, dass sein Erleben verarmt, dass sein Verhalten oft richtungslos wird, insgesamt eben mehr durch Vermeidung als durch sinnvolle Zielsetzungen bestimmt ist. Perls spricht von „growth disorder“ oder „disturbance of development“. Die Gestalttherapie hat also kein spezifisches Störungsmodell, sondern ein sehr allgemein gehaltenes Modell einer Art „Wachstumsstörung“, Eine Art „zwiebelschalen-förmiges“ Modell abnehmenden Kontaktes des Organismus zu seinen Bedürfnissen und Empfindungen sowie zur Außenwelt. Behandlungskonzept: Zitat Perls zur Idee der Gestalttherapie (1989, S. 154): 74 „Die Idee der Gestalttherapie ist es, aus Papiermenschen wirkliche Menschen zu machen. Ich weiß, ich nehme den Mund ziemlich voll. Es ist die Idee, den ganzen Menschen unserer Zeit zum Leben zu erwecken und ihn zu lehren, wie er seine inneren Kräfte nutzen kann, um ein Führer zu sein, ohne ein Rebell zu werden, eine Mitte zu haben und nicht Hals über Kopf zu leben. Diese Ideen klingen alle ziemlich herausfordernd, aber ich bin überzeugt, dass er möglich geworden ist, sie zu erfüllen, Dass wir nicht Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte auf der Couch liegen müssen, ohne uns wesentlich zu verändern.“ Prinzip: Widerstand erfahrbar machen: Entsprechend der starken psychoanalytischen Grundausrichtung ist Gestalttherapie im Kern eine Widerstandsanalyse. Im Gegensatz zur Psychoanalyse wird der Widerstand aber nicht gedeutet, sondern dem Klienten erfahrbar gemacht. In der Therapie geht es also v.a. darum, dem Klienten zu helfen, dass ihm unerwünschter Gefühle bewusst werden und er die Fähigkeit entwickelt, diese zu ertragen. Perls (1989, S. 154, 155) sagt dazu: „Wir haben eine krankhafte Angst vor Schmerz und Leiden. Ich muss es wiederholen – wir haben krankhafte Angst vor Schmerz und Leiden. Alles, was keinen Spaß macht oder unangenehm ist, muss vermieden werden. So rennen wir vor jeder Frustration, die schmerzhaft sein könnte, davon und versuchen, sie zu vermeiden. Und das Resultat ist ein Mangel an Wachstum…. Ich rede über das Leiden, das zum Wachstum gehört. Ich rede über die Notwendigkeit, sich wahrhaft unangenehmen Situationen zu stellen. Und die ist mit der Gestalttherapie verbunden.“ Die wichtigsten Schritte praktischer gestalttherapeutischer Arbeit Bewusstheit entwickeln für das „Hier und Jetzt“ Es wird damit begonnen gemeinsam zu erforschen, wie der Klient „hier und jetzt“ existiert. Der Therapeut hilft dem Klienten, Bewusstheit zu entwickeln (awareness) für jeden Moment seines Erfahrungsprozesses. Erleben der selbst-frustrierenden Aspekte des eigenen Verhaltens: Im zweiten Schritt geht, dass der Klient die selbst-frustrierenden Aspekte des eigenen Verhaltens erlebt. Er soll erkennen, dass diese Verteidigungshaltungen einst Überlebensmechanismen waren, heute aber sehr beeinträchtigend oder gar schädlich sind. Verantwortung übernehmen: 75 Der Gestalttherapeut versucht dem Klienten aufzuzeigen, wie er in der Gegenwart den Kontakt mit der Realität und die Verantwortung vermeidet, um nicht die Schattenseiten an sich selbst wahrnehmen zu müssen. Der Klient soll lernen (wieder) die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Akzeptanz für sich selbst entwickeln: Dabei ist die volle Akzeptanz dieser Wahrheit (der selbst-frustrierenden Anteile, der Verteidigungshaltungen und dass dies heute nicht mehr notwendig wären) die Grundlage für wirkliche Veränderung. Es ist wichtig, dass der Klient lernt, sich selbst zu akzeptieren (eben auch mit all seinen Schwächen und Vermeidungsstrategien) Aufgeben der Fassadenhaftigkeit und Kontaktvermeidung: Eine vertiefte Selbstakzeptanz ermöglicht dem Klienten ein besseres Selbstwertgefühl zu entwickeln und Sich auch in der Begegnung, im „Kontakt“ mit anderen Menschen authentischer zu zeigen (realer Kontakt wäre das Gegenteil von einem Rollenverhalten). Grundprinzipien der Gestalttherapie Fokus liegt auf dem (aktuellen) Erleben: Gestalttherapie untersucht das aktuelle Verhalten und seine Blockaden: Es wird nicht in erster Linie (wie z.B. in der PA) auf die Vergangenheit fokussiert, sondern auf das gegenwärtige Erleben. In der Therapie werden zwar Verhaltensmuster behandelt, deren Ursprung in der Vergangenheit liegt, im Vordergrund steht jedoch nicht die Erkenntnis des Zusammenhangs mit früheren Erlebnissen, sondern die Erfahrung neuer Reaktionsmuster. Dazu ein Beispiel: Ein Klient hat seit Jahren nicht geweint, weil er damit das Eingeständnis der Schwäche und die Gefahr der Kritik vermeidet. In der Therapiestunde wird er nun ermutigt, diesbezüglich eine neue Erfahrung zu machen. Er soll seine Trauer empfinden und ihr auch einmal (entgegen seiner bisherigen Gewohnheit) Ausdruck verleihen. Wenn es ihm nun gelingt zu weinen, dann hat er eine neue Erfahrung gemacht. Diese neue Erfahrung im Hier und Jetzt ganz konkret erlebt zu haben, ist für ihn wichtiger – so das besondere gestalttherapeutische Postulat – als die Ursache in der Vergangenheit zu verstehen (die Erkenntnis, welches erzieherische Missgeschick seiner Eltern den Grund dazu gelegt hat, dass er diese Gefühlsregung bisher so stark reguliert hat. Diese Erkenntnis würde sich dann ohnehin einstellen) Wichtiger ist die Erfahrung, dass es keine negativen Folgen haben muss, wenn er derartige Gefühlsregungen zulässt. Dieses konkrete Erlebnis erleichtert ihn subjektiv und wird vielleicht auch zu einer Veränderung seines Selbstbildes und seines Verhaltens beitragen. Förderung einer bewussten Wahrnehmung (awareness): Die Gestalttherapie fördert die Wahrnehmung der inneren und äußeren Realität. Selbstunterstützung / Verantwortung für sich übernehmen: 76 Nach Auffassung der Gestalttherapie übernimmt der gesunde Mensch für das was er tut und ausdrückt, die Verantwortung. Das entspricht der existenzialistischen Auffassung, dass es für den Menschen als Individuum letztlich keine externe Norm gibt, sondern er immer für sich selbst entscheiden muss. Der Neurotiker wird deshalb angehalten, für die affektiven Beeinträchtigungen, die er der Umwelt anlastet, selbst die Verantwortung zu übernehmen und sich gegen die Einschränkung zu entscheiden, die er sich selbst auferlegt. Die Gestalttherapie versucht den Menschen zur Selbstverantwortung zu erziehen. Selbstverantwortung wird er nur auf sich nehmen, wenn er sich selbst akzeptiert. Daher ist die Grundlage der Gestalttherapie das vielzitierte sogenannte Paradox: „Akzeptieren dich wie du bist und du wirst dich ändern.“. Überleitung: In der Gestalttherapie wurde eine Vielzahl von Techniken entwickelt. Diese sollen helfen, den Klienten wieder mehr in Kontakt mit sich selbst und mit der Umwelt zu bringen. Gestalttherapeutische Techniken Einführung / Überblick: Was die Auswahl an Techniken anbelangt, war die Gestalttherapie schon immer auch gegenüber Techniken aus anderen Therapieansätzen offen: z.B. hat Perls sehr viel aus Morenos Psychodrama oder Wilhelm Reichs und Alexander Lowens Körperarbeit übernommen. Zu Perls bevorzugten Techniken gehörten: Frustration, Konfrontation, Rollenspiel sowie vielfältige Regeln und Spiele. Konfrontation und Frustration: Im Gegensatz zu anderen Therapieverfahren (v.a. zur Gesprächspsychotherapie) wird der Konfrontation und Frustration des Klienten eine große Bedeutung beigemessen – Das bedeutet: Der Therapeut stellt sich nicht schützend vor den Klienten, um ihn von seinen Problemen oder der „feindlichen“ Umwelt abzuschirmen. und er weigert sich, einen Großteil der Erwartungen und Forderungen ihrer Klienten zu erfüllen. Damit möchte er dem Klienten u.a. zeigen, wie oft er andere zu manipulieren versucht, damit diese seine Bedürfnisse erfüllen. Der Gestalttherapeut hält den Klienten dazu an, sich negative wie positive Regungen zuzugestehen und sie zu durchleben. Oder der Therapeut versucht z.T. auch durch Provokationen seine Erwartungen, Klischees, Fassaden, Selbstverständlichkeiten usw. deutlich erfahrbar zu machen. Das kann schmerzhaft sein, aber auch bewegend. Oft lässt dies den Klienten sein Verhalten in einem neuen Licht sehen. Dahinter steckt die Überzeugung, dass der Klient eine starke Tendenz hat, problematische Inhalte und Gefühle zu vermeiden und auf diese Weise seine Neurose aufrechterhält. Die Vermeidung war früher vielleicht einmal eine unbewusste Überlebensstrategie (eine Art Notwehr) des Organismus, ist jetzt jedoch überflüssig und beschränkt nur die eigene Handlungsfreiheit unnötig. 77 Deshalb zeigt der Gestalttherapeut dem Klienten, wo und wie er Gefühle und Inhalte vermeidet und lässt ihn in sogenannten Experimenten erleben, was passiert, wenn er die Vermeidung überwindet. Das ist oft frustrierend. Die Frustration jedoch ist für Perls der Weg zur Heilung. Perls war fest davon überzeugt, dass der Mensch eben nicht nur durch positive Erlebnisse, sondern gerade auch durch negative Erfahrungen lernt. Allerdings nur, wenn er die Frustration erträgt und die Trauer, Angst oder Aggression zu erleben wagt. Wechselspiel zwischen Unterstützung und Frustration: Konfrontation und Frustration findet allerdings auch in der Gestalttherapie nur auf der Basis einer tragfähigen Therapeut-Klient-Beziehung statt, die gleichzeitig durch Unterstützung gekennzeichnet ist. Wäre diese Basis nicht gegeben wären die Konfrontationen (oder gar Provokationen) verfehlt. (Leider ist das in der Praxis gar nicht so selten!) Insgesamt geht es um ein Wechselspiel zwischen Unterstützung („support“) und Frustration („skillfull frustration“). Dies ist ein wichtiges Kennzeichen des gestalttherapeutischen Interventionsstils. Selbstverständlich setzt ein konfrontativer Stil auch stabile „Ich-Grenzen“ voraus (bei Anzeichen einer psychotischen Tendenz darf z.B. so nicht vorgegangen werden). Technik des Dabeibleibens (Prinzip „Können sie bei diesem Gefühl bleiben!“) Diese Technik wird in Schlüsselmomenten angewandt, v.a. dann, wenn der Klient ein unangenehmes Gefühl erwähnt, das er dringend vertreiben möchte. Es kann aber sein, dass es für den Klient wichtig, ist dieses unangenehme Gefühl (diesen psychischen Schmerz) nicht gleich (wie gewohnt wegzuschieben). Der Therapeut fordert ihn dann auf „Können sie bei diesem Gefühl bleiben?“ und veranlasst den Klienten, das „Was und Wie“ seiner Gefühle herauszuarbeiten: „Welches sind Ihre Empfindungen?“ „Welches sind Ihre Wahrnehmungen, Phantasien, Erwartungen?“ Dabei versucht der Therapeut dem Klienten dabei zu helfen, genau zwischen dem zu unterscheiden, was er phantasiert und dem was er wahrnimmt. Auch mit dieser Technik versucht Perls beim Klienten das gewohnheitsmäßige (beim Neurotiker tief eingegrabene) Vermeiden der unangenehmen Gefühle zu durchbrechen. Perls Metapher „Gesunder Essvorgang“: Perls war der Auffassung, dass wir gegenüber psychologischen und emotionalen Erfahrungen die gleichen aktiv zupackenden Einstellungen einnehmen müssen, die wir beim gesunden Essen haben. Beim gesunden Essvorgang beiße wir die Nahrung ab, dann kauen und zermahlen wir sie gründlich und machen sie flüssig. Dann wird sie geschluckt, verdaut, durch Stoffwechselprozesse verwandelt und assimiliert. Auf diese Weise haben wir die Nahrung wirklich zu einem Teil unserer selbst gemacht. Emotionales „Verdauen“: 78 Der Gestalttherapeut unterstützt den Klienten darin (am direktesten durch dien Technik des Dableibens) in den emotionalen Bereichen des Lebens die „Nahrung“ gleichermaßen zu „zerkauen“ und entsprechend sorgfältig zu assimilieren; v.a. auch diejenige Nahrung, die bislang unangenehm zu schmecken, schwer zu schlucken und unmöglich zu verdauen war. Gestalttherapeutische Regeln Einführung: Perls entwickelte auch eine Reihe von Regeln. Diese sollen sicherstellen, dass die Klienten sich selbst genauer betrachten. Die wichsten Regeln sind Folgende: Hier-und-Jetzt-Prinzip: Eine häufig angewandte Regel fordert die Klienten auf ihm „Hier und Jetzt“ zu verbleiben. D.h. dass der Klient alle seine Probleme im Hinblick auf seine augenblicklichen Gefühle und Einstellungen behandeln soll. Es ist nicht das, was er zu einem gegebenen Zeitpunkt in der Vergangenheit z.B. seiner Mutter (oder einer anderen Konfliktperson) gegenüber empfunden hat, das Entscheidende, sondern was jetzt in ihm vorgeht, wenn er daran denkt. Der Gestalttherapeut versucht den Klienten immer wieder auf das „Hier und Jetzt“ zu fokussieren, indem er z.B. fragt: o Was ist jetzt in Ihrem Bewusstsein? o Was passiert jetzt? o Was fühlen Sie im Augenblick? o Was ist mit Ihnen jetzt? Wenn von „Hier-und-Jetzt-Prinzip“ die Rede ist, dann heißt das nicht, dass der Therapeut kein Interesse an den vergangenen Erlebnissen hat. Vergangene Erlebnisse können schon wichtig sein. Allerdings hält es Perls für wenig effektiv, nur darüber zu sprechen. Der Klient muss das Material aus der Vergangenheit wieder unmittelbar emotional erleben können. Deshalb meint Perls (1989. S. 158): „Die wirkungsvollste Art, Material aus der Vergangenheit in die Persönlichkeit zu integrieren, besteht darin, es so umfassend wie möglich in die Gegenwart zu holen.“ Man muss dem Material die „Wirkung der Unmittelbarkeit geben“ (Perls, 1989, S. 158). Zen-Geschichte zur Illustration der Prinzipien „Hier und Jetzt“ (Mönche der wegen Tiger über gefährlicher Klippe hängt) „Ich“-Sprache statt „Es“-Sprache: Eine Regel verlangt z.B., die „ich“-Sprache zu verwenden, statt die „es“-Sprache. Er sollte nicht auf die distanzierte Dritte-Person-Sprachform zurückgreifen, wenn er doch eigentlich sich selbst meint. Der Klient sollte z.B. nicht sagen „Die Situation ist beängstigend“, sondern „Ich habe Angst“. 79 Der Klient wird angehalten, Dinge über sich selbst auszusagen; die Ich-Formulierung, ist ein sehr viel eindeutigerer Ausdruck, dafür dass es um die eigenen Gefühle und Meinungen geht. Der Klient soll sich nicht hinter „man“-Formulierungen verstecken, sondern die Verantwortung für seine Aussagen übernehmen. Wenn die Sprachformulierung zum Ausdruck bringt, dass der Klient beteiligt ist, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass er sich als aktiv handelnden sieht, der die Dinge tut, und weniger als passives Wesen, dem die Dinge irgendwie zustoßen. Semantik der Verantwortlichkeit: Es geht also um eine Semantik der Verantwortlichkeit. Damit verbunden wäre z.B. auch, den Klienten Verben für Substantive einsetzen und ihn häufig den Imperativ als die direkteste Art der Kommunikation verwenden zu lassen. Oder der Klient soll statt „Ich kann das nicht tun“ versuchen zu sagen „Ich will das nicht tun“. Und dazu würde auch gehören, dass der Klient in der Gruppe nicht über ein anderes Gruppenmitglied spricht, sondern ihn direkt anspricht (i.S. einer authentischen IchDu-Beziehung). Das Prinzip „Interaktion“ (bzw. „Nicht klatschen“): Der Klient soll nicht über eine Person oder Sache reden, sondern sich mit ihr in der Gegenwart auseinandersetzen. Wenn die Person nicht anwesend ist kann dies z.B. auch in Form von imaginativen Dialogen, Darstellungen und Rollenspielen geschehen. Mit dieser Regel wird die direkte Konfrontation mit den Gefühlen erleichtert. Das Prinzip „Bewusstheit“ (Anwendung des Bewusstheitskontinuums) (bzw. Perls Motto „Lass Deinen Verstand los und komm’ zu Deinen Sinnen“): Übung „Wahrnehmung des Augenblick“: Was nehmen Sie jetzt im Augenblick alles wahr? Nehmen sie sich jetzt 3 Minuten Zeit und machen dazu einige Notizen. Danach kurze Auswertung. Oder Übung Blitzlicht Wie kann der Therapeut das Prinzip Bewusstheit in der Interaktion dem Klienten gegenüber einsetzten? Dazu folgendes Beispiel: Therapeut: Was nehmen Sie wahr? Klient: Jetzt bin ich mir bewusst, dass ich zu Ihnen rede. Ich sehe die anderen im Zimmer. Ich bin mir bewusst, dass Sabine sich windet. Ich kann die Spannung in meinen Schultern spüren, Ich merke, dass ich Angst bekomme, während ich das sage. Therapeut: Wie erleben sie die Angst? Klient: Ich hören, wie meine Stimme zittert. Mein Mund fühlt sich trocken an. Ich rede sehr zögernd. Therapeut: Merken Sie, was Ihre Augen machen? Klient: Also, ich merke jetzt, dass meine Augen wegsehen. Therapeut: Können Sie die Verantwortung dafür übernehmen? Klient: … dass ich von Ihnen wegsehe. Therapeut: Können Sie jetzt Ihre Augen sein? Schreiben Sie den Dialog für sie. Klient: Ich bin Marias Augen. Ich finde es schwer, meinen Blick irgendwo festzuhalten. Ich springe hierhin und dahin… 80 Die Anwendung des Prinzips „Bewusstheit“ ist ein „effektiver Weg, um den Klienten zu dem festen Fundament seiner Erfahrung zu führen und von den Viele-WorteMachen, von den Erklärungen und Interpretationen wegzubringen“ (Perls, 1989, S. 161) Perls war der Ansicht, dass das unmittelbare Erleben das sicherste Wissen liefert und es die beste Methode sei, sich auf die von unserem Bewusstsein gelieferten Informationen zu verlassen. Sein Motto war daher: „Lass Deinen Verstand los und komm’ zu Deinen Sinnen“. „Indem wir dem Klienten helfen, sich auf seine Sinne zu verlassen (zu seinen Sinnen zurückzukehren), helfen wir ihm auch, zwischen der Wirklichkeit da draußen und den schreckenerregenden Kobolden zu unterscheiden, die er in seiner eigenen Phantasie erzeugt.“ (Perls, 1989, S. 161, 162) Dazu nochmals ein Beispiel: Klient: Ich bin sicher, dass die Leute mich für das verachten, was ich eben gesagt habe. Therapeut: Gehen sie im Raum herum und sehen Sie uns genau an. Sagen sie mir, was sie sehen, was Ihre Augen Ihnen sagen – nicht, was Ihre Phantasie sagt. Klient: (nach einigen Augenblicken des Erforschens und Entdeckens: Also, die Leute blicken wirklich nicht so abweisend. Einige blicken sogar warm und freundlich. Therapeut: Was erleben Sie jetzt? Klient: Ich bin jetzt entspannter. Gestalttherapeutische Experimente (bzw. Spiele) Einführung: Gestalttherapeuten regen vielfältig zu Experimenten an: z.B. zu gedanklichem Rollenwechsel während der therapeutischen Sitzung und Ausprobieren von Neuem. Durch verschiedenste Experimente soll der Klient neue Erfahrungen machen können. Es gibt unendlich viele gestalttherapeutische Übungen. Oft werden sie aus der Situation heraus entwickelt. Dazu im Folgenden einige Beispiele: Dialogspiele: Zur Bearbeitung der Polarität der Wünsche: Neurotisches Verhalten ist häufig durch Konflikte gekennzeichnet: o z.B. Ich habe Wut auf jemanden, aber ich habe Angst sie auszudrücken. o Ich möchte dominant sein, aber ich schäme mich dessen. o Ich möchte faul sein, aber ich empfinde die Verpflichtung zum arbeiten. Ein nicht-neurotischer Mensch findet Lösungen, indem er zu gegebener Zeit das eine oder das andere tut. Ein neurotischer Mensch ist gefangen in der Polarität der Wünsche, die ihn irgendwie in der Schwebe halten. Der Gestalttherapeut veranlasst den Klienten, beide Pole zuzulassen und sie zu artikulieren. Dies geschieht häufig in Form eines Dialoges. Der Klient nimmt dabei abwechselnd beide Positionen ein. 81 Zur Integration verschiedener Persönlichkeitsanteile: Oder es lassen sich irgendwelche Spaltungen oder Teilungen in der Persönlichkeit des Klienten finden. Ein der wichtigsten Teilungen ist z.B. diejenige zwischen dem sog. Topdog (= ÜBERICH) und dem Underdog (=ES). Topdog hält Moralpredigten, ist auf „Du sollst“ spezialisiert und ist gewöhnlich rechthaberisch und missbilligend. Underdog neigt zum passiven Widerstand, bringt Entschuldigungen vor und findet Gründe zum Aufschieben. Wenn sich diese Spaltung zeigt, wird der Klient aufgefordert, diese beiden Teile seiner selbst einen unmittelbaren Dialog miteinander führen zu lassen. In gleicher Weise kann das Dialogspiel für jede wichtige Spaltung innerhalb der Persönlichkeit durchgeführt werden (aggressiv und passiv; der gute Junge und der Schweinehund; der maskuline Teil vs. der feminine Teil, „Engelchen und Teufelchen“ etc.) U.U. kann das Dialosspiel sogar mit verschiedenen Köperteilen durchgeführt werden, wie z.B. mit der oberen und der unteren Hälfte; das Gehirn vs. die primären Geschlechtsorgane) Für der Klient sollen mit dieser Übung bestimmte Persönlichkeitsanteile, die vielleicht bislang eher unerwünscht oder z.T. abgespalten waren, (wieder) erfahrbar gemacht werden, Er soll diese abgespaltenden Teile als seine eigenen erkennen können und auch für dies verleugneten Anteile seiner Person die Verantwortung übernehmen. D.h. auch hier geht es wieder darum, dass der Klient sich so annimmt, wie er ist (also nicht nur einzelnen Persönlichkeitsanteile, sondern alle). Die verleugneten, abgspaltenden Anteile werden dann in das Selbst integriert (bzw. reintegiert). In der Regel wird hier gebundene (und oft gegen sich selbst gerichtete) Energie freigesetzt. Diese Energie kann nun zum Experimentieren und für das persönliche Wachstum verwendet werden. Imaginative Dialoge mit nicht anwesenden Personen: Der Dialog kann sich auch zwischen dem Klienten und einer für ihn wichtigen Person entwickeln. Der Klient spricht diese Person einfach an, als wäre sie anwesend, phantasiert die Antwort, usw. Als Hilfsmittel zur besseren Imagination können z.B. verschiedene Stühle aus Symbol dienen. z.B. Technik „Leerer Stuhl“ (nicht zu verwechseln mit dem „heißen Stuhl“, welche ebenfalls eine gestalttherapeutische Technik darstellt, und zwar eine starke Konfrontationstechnik) Weitere gestalttherapeutische Experimente (bzw. Interventionen): Rollenspiel: Bei der Technik Rollenspiel instruieren Therapeuten ihre Klienten, verschiedene Rollen auszuagieren: eine andere Person, einen Gegenstand oder sogar ein Körperteil. Rollenspiele dienen v.a. als erlebnisaktivierende Methode. Damit können Gefühle ausgedrückt und besser verarbeitet werden. Imaginative Techniken: (z.B. die Technik des leeren Stuhls; das Bild von „guten Eltern“; Phantasiereisen) Traumarbeit 82 Körperarbeit Übungen zur Entwicklung der Sinne Übungen zum Empfinden und Ausdrücken von Gefühlen Übungen und Spiele zu Kontakt und Begegnung mit anderen (z.B. Übung „Vertrauenskreis“; oder andere Darstellungen mit dem eigenen Körper oder in der Gruppe mit anderen Körpern) Arbeit mit kreativen Medien: Malen, Modellieren, Tanz, etc.: z.B. kreative Übungen zur Gestaltung bestimmter Aspekte des Selbst (bzw. des Kontaktes), Beispiele aus meinem Selbsterfahrungsseminar und anderen Seminaren: Spiel Fremde Stadt. Gefühlskreis (den anderen in die Augen schauen und genau wahrnehmen, welche Gefühl im Hier und Jetzt auftauchen) Vertrauensübungen: Übung „Vertrauenskreis“; Übung „Führen eines blinden Partner“. Bild Malen zur Herkunftsfamilie. Seminar: GF (2. Sem.): Übung zur Unterscheidung der 4 Kommunikationsaspekte von Schulz von Thun (mit 4 Stühlen) Seminar: GF (3. Sem): Baustein: erlebnisaktivierende Methoden: z.B. Übung „Erlebnis ins Hier und Jetzt“ bringen oder „Doppeln“ (stammt aber eigentlich aus dem Psychodrama). Seminar: Training sozioemotionaler Kompetenzen: verschiedene Übungen aus der kleinen Schule des Genießens (sind zwar offiziell aus der VT-Ecke entwickelt, haben aber eindeutig eine gestalttherapeutischen Charakter; auch hier geht es natürlich sehr um die Förderung von awareness und unmittelbarem sinnlichen Erleben) Bewertung der gestalttherapeutischen Experimente / Spiele: Es gibt sehr sinnvolle Spiele (wie z.B. Dialog- und Rollenspiele), allerdings auch z.T. etwas eigenartige, unsinnige Spielchen. Eine schematische Anwendung ohne das entsprechende therapeutische Feingefühl wäre hier eher problematisch. Überleitung: Abschließend möchte ich die Grundgedanken der gestalttherapeutischen Lebensphilosophie nochmals zusammenfassen. Der Perls Schüler Eric Marcus (1979) hat diese in Form von 9 Kerngeboten wie folgt formuliert. Zusammenfassung der Grundgedanken gestalttherapeutischen Lebensphilosophie der 9 Kern-Gebote der gestalttherapeutischen Lebensphilosophie: (1) Lebe jetzt! Kümmere dich um die Gegenwart statt um die Vergangenheit und die Zukunft! Vergangenheit und Zukunft, das sind Phantasien und Gedanken… (2) Lebe hier! Beschäftige dich mit dem Anwesenden statt mit dem Abwesenden! 83 Es müssen viele „unerledigte Geschäfte“ aus der Vergangenheit erledigt werden, „unfertige Gestalten geschlossen werden, bis man im Hier und Jetzt leben kann. (3) Höre auf, dir etwas vorzustellen. Erfahre die Realität! Die Therapie besteht im Wesentlichen darin, dem Klienten zu helfen, zwischen seiner Phantasie und der Wirklichkeit zu unterscheiden. (4) Höre auf, unnötig zu denken! Besser: Probier und schau! Experimentiere mit dir! (5) Drücke dich lieber aus, anstatt zu manipulieren, zu erklären, zu rechtfertigen und zu urteilen! (6) Lass dich auf Unerfreuliches und Schmerz ebenso ein wie auf Freude! Schränke dein Bewusstsein (awareness) nicht ein! Also: Vermeide nichts! (7) Akzeptiere keine „sollte“ oder „müsste“ außer deinen eigenen. Bete keine Götzenbilder an! (8) Übernimm die volle Verantwortung für deine Handlungen, Gefühle, Gedanken! (9) Akzeptiere dich (und die anderen), wie du jetzt bist (wie sie jetzt sind)! Nur wenn wir die Unausweichlichkeit des jetzigen Zustandes akzeptieren, können wir neue Bewusstheiten akzeptieren, können wir neue Bewusstheiten entwickeln und neue Sichtweisen im nächsten Augenblick ausprobieren! Zusammenfassung der Gestalt-„Philosophie“ (nach Kriz, 2001, S. 191): Menschliches Leben ist demnach: ein fortwährender Prozess, ein Gleiten von Situation zu Situation, ein jede gekennzeichnet durch innere Bedürfnisse, Gefühle, Erfahrungen und äußere Wahrnehmungen, Kontakte, Dialoge, Begegnungen. Das Leben als Experiment: Leben, so verstanden, ist in jedem Augenblick ein packendes Experiment mit den eigenen Möglichkeiten und Erfahrungen Jede Leugnung von Bedürfnissen, Einengung der Erlebensund Verhaltensmöglichkeiten, Vermeidung von Kontakt zu sich und/oder zur Umwelt, ist Ausdruck einer Störung und erhält diese gleichzeitig aufrecht. Im konzeptionellen Zentrum der Gestalttherapie stehen Begriffe wie: „Wachstum“ bzw. „Selbstaktualisierung“, die im ständigen „Kontakt“ mit der „Umwelt“ und der eigenen „Innenwelt“ – in einem Fluss von „Gewahrsein“ oder „Bewusstheit“ (awareness continuum“) – in der „Begegnung“ („Ich und du“) und stets im „Hier und Jetzt“ stattfinden. „Awareness“ als Ziel: 84 Das Hauptziel ist eigentlich „awareness“ zu entwickeln (wobei i.S. des Zen „Ziel“ eher als endloser „Weg“ auf dieses Ziel hin verstanden werden kann). Laut Perls (1976, S. 73) ist awareness „der Zustand des lebendigen Organismus, der mit sich und der Umwelt in Kontakt ist, ohne dass Blockierungen, wie z.B. neurotische Mechanismen, die bewusste Wahrnehmung seiner selbst und des anderen trüben oder einschränken“. Bewertung der Gestalttherapie Vorteile der Gestalttherapie Kreative Techniken: Die Gestalttherapie hat eine sehr große Vielfalt an therapeutischen Techniken entwickelt. Hier finden sich die phantasievollsten und kreativsten Techniken der gesamten Psychotherapieszene. Einzelne Techniken lassen sich gut in andere Therapieansätze einbeziehen. Man muss anerkennend würdigen, dass die Gestalttherapie v.a. zum Baustein „erlebnisaktivierende Methoden“ sehr viel beigetragen hat. Nachteile der Gestalttherapie Dürftige, wenig elaborierte theoretische Basis: Die Gestalttherapie hat sich vornehmlich aus der therapeutischen Praxis entwickelt. Perls selbst hat sich um eine theoretische Fundierung nicht besonders gekümmert. Wenn dann waren das noch eher seine Schüler. Seine Publikationen hatten mehrheitlich den Charakter von kommentierten Sitzungsprotokollen. Eigentlich ist es Perls wohl eher um die Vermittlung um einer Art Lebensform gegangen. Er stellte weltanschaulich-philosophische Grunderkenntnisse und die Aspekte der persönlichen Erfahrung und Begegnung über das Theoretisieren. Aufgrund der untergeordneten Rolle der Theorie wird die Gestalttherapie gelegentlich als nur wenig geschlossen-strukturierte Ansammlung von Interventionstechniken verstanden. Weitgehendes Fehlen empirischer Wirksamkeitsnachweise: Es ist gibt kaum kontrollierte Untersuchungen im Bereich der Gestalttherapie. Die Gestalttherapie beruht mehr auf Fallstudien und theoretische Argumentation. Das liegt u.a. auch daran, dass die Gestalttherapeuten kontrollierte empirische Studien weitgehend abgelehnt haben. Nach ihrer Auffassung wird mit der Anwendung wissenschaftlicher Grundsätze auf die Untersuchung von Menschen deren Einzigartigkeit und Menschlichkeit geleugnet. Grawe et al. (1994) stellen in ihrer Metaanalyse fest, dass bislang nur 7 Studien mit Kontrollbedingungen vorliegen und dort insgesamt nur 244 Klienten einbezogen wurden. Deshalb ist die Basis für Aussagen zur Wirksamkeit von Gestalttherapie völlig unbefriedigend. Unbeabsichtigter Schaden durch gestalttherapeutische Konfrontations-Techniken: 85 Alle Therapien können missbraucht werden, die Gestalttherapie macht da keine Ausnahme. Sogar weniger erfahrenen Therapeuten gelingt es, einen Klienten dazu zu bringen, seine Gefühle zu äußern. Einige gestalttherapeutische Techniken sind dabei so wirkungsvoll, dass der Klient unbeabsichtigt Schaden nehmen kann. Die starke Persönlichkeit von Perls und sein Konfrontationsstil haben manche Nachahmer gefunden, die nicht über die Aufmerksamkeit, das Geschick und die Fürsorge verfügen, die er in so überreichem Maße zu besitzen schien. Der Ausdruck einer starken Emotion um seiner selbst Willen reicht nur selten aus, um Leiden zu lindern. Es gibt z.T. auch unzureichend ausgebildete (oder selbsternannten) Gestalttherapeuten, die hier zu wenig Sorgfalt walten lassen, denen es an Feingefühl fehlt oder die z.T. auch unverantwortlich mit dem Klienten umgehen. Z.T. wird auch ein übertriebener Personenkult um Fritz Perls betrieben, z.T. haben gestalttherapeutische Techniken auch ihre Liebhaber in eher esoterisch anmutenden (sektiererischen) Kreisen gefunden. Hier wäre oft mehr Bescheidenheit und Vorsicht angesagt. Gegen Psychotechniker und Gestaltklempner: Vööbus (1975 zit n. Kriz, 2001, S. 198) spricht z.B. in diesem Zusammenhang von „Psychotechnikern“ und Gestaltklempner“, die „mit rostigen Zangen an menschlichen Seelen werkeln“. Perls selbst sagt dazu (zit. nach Vööbus, 1975): „Die Psychotherapie ist kein Rummelplatz, auf dem sich jeder tummeln kann, und wo der etwas gilt, der die meisten Tricks kennt. Wachstum ist ein Prozess der Zeit braucht …“ (und an andere Stelle): „Weißt du, woher all die Gestalttherapeuten kommen? Tausende von Gestalttherapeuten: Was fühlst Du jetzt? Schreibe mal einen Dialog zwischen diesen Gefühlen! und jetzt noch einen leeren Stuhl her und die Gestalttherapie ist fertig! … Wer von uns hat ihnen das beigebracht?!“ Bedeutung der Gestalttherapie für die KlinSA: Gestalttherapie ist in der psychosozialen Praxis weit verbreitet: Gestalttherapie (bzw. die Anwendung von gestalttherapeutischen Techniken) wird in Deutschland seit Jahrzehnten von einer beachtlichen Zahl von Fachkräften praktiziert: in verschiedensten Aufgabenfeldern: nicht nur in der Psychotherapie, sondern auch in der Beratung und speziellen Feldern der Sozialarbeit mit klinischen Aufgabenstellungen (z.B. in der Suchtarbeit, in sozialpsychiatrischen Diensten, in der Kinder- und Jugendhilfe) auch in die Arbeit mit Gruppen wurde sehr viele gestalttherapeutischen Techniken, Regeln und Experimente eingebaut (Wo bei hier die Frage nach der Henne und dem Ei nicht immer klar ist). Gestalttherapie bietet für die KlinSA viele Anregungen: Pauls (2004, S. 194): „Im Felde der klinisch-sozialarbeiterisch orientierten Fallarbeit bieten erfahrungsorientierte Methoden viele Anregungen und Regeln, wie man 86 Lernsituationen schaffen kann, die nachholende und übende Erfahrungen in verschiedensten psychischen und sozialen Funktionsbereichen fördern. Als Beispiele v.a. aus der gestalttherapeutischen Tradition seien genannt: Arbeit mit Bewegung, Übungen zur Entwicklung der Sinne, kreatives Spielen, Malen, Übungen zum Empfinden und Ausdrücken von Gefühlen, Übungen und Spiele zu Kontakt und Begegnung mit anderen etc.“ Optional: Selbsterfahrung Experimenten: mit gestalttherapeutischen Spielen und Eventuell einige gestalttherapeutische Spiele durchführen! 87