Brief der Kinderärzte - Bürgerinitive für den Erhalt des

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An
Frau Ministerin Birgit Hesse
Ministerium für Arbeit, Gleichstellung und Soziales
Mecklenburg-Vorpommern
Vorzimmer der Ministerin
19048 Schwerin
Nachrichtlich an:
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Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern Erwin Sellering
Präsidentin des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern Sylvia Bretschneider
Martina Tegtmeier, Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Ausschuss für Gesundheit und Soziales
Silke Gajek, Landtag Mecklenburg-Vorpommern
Fr. Dr. Scriba, Ministerium für Arbeit, Gleichstellung und Soziales Mecklenburg-Vorpommern
Matthias Crone , Bürgerbeaufttragte von Mecklenburg-Vorpommern
Hr. Dr. med. Crusius , Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern,
Vorstand der Kassenärztliche Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern
VdEK Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern
Hr. Gagzow, Krankenhausgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern
Wolgast, den 14.12.2015
Sehr geehrte Frau Hesse,
zu unserem großen Bedauern müssen wir Ärzte der Kinderabteilung Wolgast konstatieren,
dass unser an Sie gerichtetes Schreiben vom 10.11.2015, in welchem wir unseren Standpunkt
zur geplanten Strukturveränderung darlegen und fachlich fundiert die Situation vornehmlich
mit Blick auf die Versorgung kranker Kinder und werdender Mütter darlegen, noch immer
unbeantwortet ist. Wie wir nun wissen, haben Sie einigen Personen und Institutionen
stereotyp ein identisches Antwortschreiben zugesandt und wundern uns, ob dies als seriöse
politische Handlung verstanden werden darf.
Bezugnehmend auf Ihr Schreiben an das Team Geburtshilfe vom 04.12.2015 möchten wir
deshalb erneut den Versuch unternehmen, Sie Ihrem Wunsch entsprechend konstruktiv zu
begleiten.
Voranstellen möchten wir unbedingt, dass weder dieses Schreiben, noch andere Bemühungen
unsererseits, die auf den Erhalt der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie der
Kinderabteilung am Krankenhaus Wolgast gerichtet sind, darauf abzielen,
Krankenhausstandorte gegeneinander auszuspielen. Gleichwohl müssen wir feststellen, dass
überspitzte Darstellungen und „Hetzparolen“ scheinbar deutlich mehr Resonanz bewirken, als
ein mit freundlichen und sachlichen Worten formuliertes Schreiben.
Selbstverständlich ist die Krankenhausplanung ein kontinuierlicher Prozess, der sich den
Rahmenbedingungen anpassen muss. Jedoch scheinen Ihre aktuellen Pläne zu vordergründig
auf die wirtschaftlichen Aspekte ausgerichtet zu sein.
Vielleicht helfen einige Einblicke in unser Tätigkeitsfeld, um Ihren Blickwinkel etwas zu
erweitern.
Unser Team aus Kinderärzten arbeitet in der bestehenden Konstellation seit mehreren Jahren
erfolgreich zusammen und genießt regional wie auch überregional auf kinderärztlicher und
kinderchirurgischer Ebene einen sehr guten Ruf. Auch das Pflegepersonal ist speziell im
Fachbereich Kinderkrankenpflege ausgebildet und zum Teil seit Jahrzehnten in der Abteilung
tätig. Vielfach wurden bereits Eltern der heutigen Patienten hier behandelt.
Die Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe ist gleichsam für familiäre Atmosphäre und
medizinische Fachkompetenz bekannt, so dass werdende Mütter häufig längere
Anfahrtszeiten in Kauf nehmen, um in dieser Klinik zu entbinden – wohl auch zum
Leidwesen nahe gelegener Maximalversorger.
Natürlich erfordern das Erlangen und der Erhalt einer Expertise eine gewisse Fallzahl sowie
die kontinuierliche Weiterbildung des Personals. Dieses sollte qualifiziert und hoch motiviert
sein und auch ausreichend Zeit zur Patientenversorgung haben. All dies ist in Wolgast
gegeben.
Es geht hier im Übrigen nicht um hoch spezialisierte Medizin - diese soll unbedingt den
Maximalversorgern vorbehalten bleiben - sondern um eine fachlich fundierte medizinische
Grundversorgung. Die zwangsläufige Verlagerung medizinischer Basismaßnahmen an ein
Krankenhaus der Maximalversorgung würde dort nur unnötigerweise Kapazitäten blockieren
– eine zu hohe Fallzahl könnte also die Versorgungsqualität beeinträchtigen.
Erstaunlich ist, dass Sie trotz Ihrer Erwägungen zu Qualität und Fallzahlen einer Einrichtung
mit deutlich geringerer Patientenzahl und höherem Investitionsbedarf jetzt den Vorzug geben.
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Die Bettenstatistik ausschließlich in Bezug auf die Einwohnerzahlen zu bewerten, ist nicht
ganz leicht, werden hierbei saisonale Änderungen durch Urlauber komplett außer Acht
gelassen: Gemäß statistischem Bundesamt (Bericht von 2011) verzeichnet MecklenburgVorpommern nahezu doppelt so viele Übernachtungen wie das zweitplatzierte Urlaubsland
Schleswig Holstein. Hiervon waren nach Angaben der Tourismusindustrie etwa 1,5 Mio. auf
der Insel Usedom untergebracht (Tendenz steigend). Bei ca. 35.000 Einwohnern der Insel
ergibt sich in der Saison eine Verdreifachung der Einwohnerzahl.
Diese Mehreinwohner der Insel werden zu einem Großteil im Krankenhaus Wolgast
behandelt. Deshalb ist während der Sommermonate ein großer Anteil, der in unserer Klinik
behandelten Patienten, Urlauber. Die Bettenauslastung liegt in Spitzenzeiten oft deutlich über
100%, ohne dabei die begleitenden Elternteile zu berücksichtigen. Würde man hiernach die
Bettenzahlen berechnen, käme man auf 2-3 pädiatrische Betten pro 1000 Einwohner, also auf
einen Wert, der deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegt (6,2/1000 Einwohner).
Mecklenburg-Vorpommern ist ein Flächenland. Würde man die relative Bettenzahl
ausschließlich anhand der Fläche des Bundeslandes berechnen, läge unser Landkreis auch hier
deutlich unterhalb des Bundesdurchschnitts.
Die Geburtenzahlen im Krankenhaus Wolgast sind seit Jahren nahezu konstant; die Zahlen
stationär behandelter Kinder ebenfalls. Die Anzahl ambulant behandelter Kinder ist seit
Jahren sogar steigend. Hieraus eine negative Tendenz abzuleiten, erscheint uns nicht
plausibel. Das genaue Gegenteil ist viel wahrscheinlicher. Denn nach Prognosen von
Hebammenverbänden und des statistischen Bundesamtes müssen wir in den kommenden
Jahren mit steigenden Geburtenraten und konsekutiv auch zunehmenden Patientenzahlen auf
dem Gebiet der Pädiatrie rechnen. Ob dies auch für eine Region zutreffen wird, in der die
wohnortnahe Betreuung von werdenden Müttern und Kindern derart drastisch verschlechtert
wurde, ist allerdings fraglich. Täglich sind wir mit den Fragen besorgter Eltern konfrontiert
und häufig hören wir, dass ein bestehender Kinderwunsch hinausgezögert wird oder gar
Überlegungen bestehen, die Region ganz zu verlassen.
Unzweifelhaft ist eine überregionale Betrachtungsweise der medizinischen Versorgung
wichtig und notwendig. Diese sollte jedoch auch objektiv erfolgen, möglichst frei von
Suggestionen und subjektiven Befindlichkeiten aller Planer und Entscheidungsträger.
Während Ihres Besuches in Wolgast haben Sie sich leider nicht die Zeit genommen, die
Abteilungen für Gynäkologie/Geburtshilfe und Pädiatrie persönlich in Augenschein zu
nehmen. Das finden wir sehr schade.
Wir Fachärzte der pädiatrischen Abteilung haben längere Zeit unserer Karrieren an
unterschiedlichen Einrichtungen absolviert, unter anderem auch am Krankenhaus Anklam und
an der Universitätsmedizin Greifswald. Daher kennen wir die dortigen Gegebenheiten sehr
gut. Jeder einzelne von uns hat die Entscheidung für eine Tätigkeit am Kreiskrankenhaus
Wolgast ganz bewusst getroffen. Hier bestehen die besten Voraussetzungen für eine
medizinisch und menschlich hochwertige Patientenversorgung und auch die Möglichkeit einer
interdisziplinären Weiterbildung, deren Expertise deutlich über die Tätigkeiten eines
Grundversorgers hinausgeht. Die Zusammenarbeit mit der Abteilung für
Gynäkologie/Geburtshilfe, aber auch mit der Kinderklinik in Greifswald war sowohl auf
kollegialer Ebene als auch für die Patienten sehr vorteilhaft. Und entgegen Ihrer Behauptung
herrscht in unserer Abteilung kein Mangel an Fachkräften, weder auf ärztlicher, noch auf
pflegerischer Ebene.
Anders ist die Situation in der Abteilung für Gynäkologie/Geburtshilfe. Mit der Etablierung
der Abteilung für Geriatrie und dem Beginn der von der Landesregierung geförderten
Umbaumaßnahmen unseres Krankenhauses wurden die baulichen Voraussetzungen der
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Frauenabteilung deutlich schlechter. Nachdem die Abteilung zunächst temporär auf drei
Patientenzimmer reduziert wurde, bestand z.B. kaum noch die Möglichkeit, Patientinnen eine
Unterbringung im Einzel- oder Zweibettzimmer anzubieten. Stattdessen wurden die Frauen
regelmäßig verstreut in anderen Abteilungen des Hauses untergebracht. Zusätzlich führte die
gezielte personelle Schwächung der Abteilung in den letzten Monaten zu einem Rückgang der
Patientenzahlen. Bereits seit Wochen wird die Schließung der Abteilung auch ohne Vorliegen
einer gesetzlichen Grundlage vorangetrieben. Geschieht dies mit Ihrem Wissen und Ihrer
Zustimmung? Ist der Versorgungsauftrag dieser Abteilung bereits ausgesetzt? Obwohl es
möglich wäre, eine fachärztliche Absicherung der Abteilung auch über den Jahreswechsel
hinaus vorzuhalten, wird seitens der Geschäftsführung die Schließung der Geburtshilfe für
den 18.12.2015 durchgesetzt. Wir wissen, dass mehrere versierte Fachärzte sich bemühten,
eine Anstellung in der Abteilung für Gynäkologie/Geburtshilfe zu bekommen. Diese wurden
jedoch von der Geschäftsführung abgewiesen.
In Zeiten des bundesweiten Fachkräftemangels müssen wir in unserer Klinik mit Erschrecken
einen äußert rüden Umgang mit qualifiziertem Personal auf allen Ebenen beobachten.
Nicht nur in der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe wurden ärztliche Kollegen in
der vergangenen Zeit massiv unter Druck gesetzt, ihren Arbeitsplatz aufzugeben und an die
Universitätsmedizin Greifswald zu wechseln. Auch einer unserer pädiatrischen Kollegen
wurde per Anordnung nach Anklam versetzt, um dort Missstände des universitären
Personalmanagements abzufangen. Ein pädiatrischer Facharzt mit der Subspezialisierung
Pneumologie verließ die Kinderabteilung aufgrund der unklaren Zukunftsperspektiven und
attraktiverer Arbeitsbedingungen an anderer Stelle. Jedem kündigungswilligen Mitarbeiter
wurde anstandslos ein Aufhebungsvertrag angeboten, unabhängig davon, wie groß der Verlust
seines Ausscheidens auch sein würde. Dies betrifft auch den Chefarzt der Abteilung für
Innere Medizin.
Vor diesem Hintergrund erscheinen die zur Entlassung der beiden gynäkologischen Chefärzte
führenden „Vergehen“ mehr als fadenscheinig. Entlassung, Delegation und Abwerbung sind
jedoch effektive Mittel, das Gefüge einer Abteilung zu zerstören.
Und so erscheint es sehr fragwürdig, dass die Geschäftsführung des Krankenhauses anzeigt,
die Frauenabteilung aufgrund des bestehenden Personalmangels nicht qualitätsgerecht führen
zu können.
Im Bereich Innere Medizin wurde eine gut etablierte Struktur mit Spezialisierung in den
Fachbereichen Endokrinologie, Diabetologie und Pulmologie bewusst zerschlagen, was die
Abwanderung von 12 ärztlichen Kollegen zur Folge hatte, den Chefarzt und den leitenden
Oberarzt der Abteilung eingeschlossen. Der befürchtete Fachkräftemangel wurde auch hier
bewusst herbeigeführt.
Widerspricht die jetzige Ansiedelung einer Kardiologie am Standort Wolgast (15 km neben
einer renommierten kardiologischen Klinik in Karlsburg und einer weiteren in Greifswald)
nicht der von Ihnen beschriebenen „Notwendigkeit der Konzentration zwischen
Krankenhäusern abgestimmter Leistungsschwerpunkte“.
Eine Quersubventionierung, wie sie üblicherweise in allen Krankenhäusern Deutschlands
stattfindet, sollte bei entsprechendem Management der großen Abteilungen (Innere, Geriatrie
und Chirurgie) auch in unserem Haus möglich sein.
Zum Abschluss müssen wir doch einmal Krankenhäuser gegeneinander ausspielen (nicht die
Standorte). Heutige Qualitätsstandards und Standards für Hygiene in der Medizin sowie die
von der „GKinD“ geforderten Kriterien für Kinderabteilungen in Krankenhäusern lassen sich
unserer Meinung nach in den Anklamer Räumlichkeiten nur mit erheblichen Investitionen und
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nur mir größeren baulichen Maßnahmen erreichen. Die personelle Besetzung der Abteilung
dürfte ebenfalls schwierig werden. Besonders die Besetzung der ärztlichen Stellen ist aus
oben genannten Gründen fraglich.
Wie Sie mittlerweile wissen, gehen auch die Geschäftsführer aller beteiligten Kliniken nicht
davon aus, dass im Falle der Schließung der Kinderabteilung in Wolgast die Mehrheit der
bisher hier behandelten Patienten das Angebot der stationären Betreuung in Anklam
annehmen werden. Vielmehr wird erwartet, dass sich die meisten Patienten nach Greifswald
wenden werden und eine erneute und dann endgültige Schließung der Anklamer Kinderstation
in naher Zukunft sehr wahrscheinlich sein wird. Wie schon in den vergangenen Jahren wird es
wohl auch zukünftig sehr schwierig sein, das Betreiben einer Kinderabteilung in Anklam
einigermaßen kostendeckend zu gestalten und dabei eine vertretbare, fachlich kompetente
Personalstruktur vorzuhalten.
Uns liegen attraktive Angebote für Arbeitsplätze aus der gesamten Bundesrepublik vor.
Sicherlich werden aber das Betriebsklima, Möglichkeiten der fachlichen Aus- und
Weiterbildung und auch das zu behandelnde Patientenspektrum den Ausschlag geben.
Bitte stellen Sie sich dieser wichtigen Diskussion mit uns.
Mit freundlichen Grüssen
Dr. med. C .Niesytto, Diedrichshagen
B. Schuldt, Greifswald
Dr. med. R Foest, Schlagtow
Dr. med. I. Papsdorf, Greifswald
C. Möhrke, Greifswald
A. Langer, Greifswald
Dr. med. F. Niemann, Greifswald
J. Brandt, Greifswald
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