1 Nichtwissenskulturen. Analysen zum Umgang mit Spannungsfeld von epistemischen Kulturen und Gestaltungsöffentlichkeiten Nichtwissen im gesellschaftlichen Vorhabenbeschreibung für das Programm „Wissen für Entscheidungsprozesse. Forschung zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft“ des BMBF (AZA 6). Stefan Böschen, Jens Soentgen, Peter Wehling; Augsburg, Mai 2003 1. Vorhabenbeschreibung I. Problemstellung und Ziele des Vorhabens In Wissenschaftssoziologie, -theorie und –geschichte wird seit etwa 20 Jahren auf die wachsende Bedeutung des Nichtwissens sowohl für die gesellschaftliche Wahrnehmung von Wissenschaft, als auch für deren Selbstwahrnehmung aufmerksam gemacht (vgl. u.a. Smithson 1985, 1989; Merton 1987; Luhmann 1992; Wynne 1992, 2002; Proctor 1995; Beck 1996; Japp 1997; Böschen 2002b sowie Wehling 2001, 2002a mit weiteren Literaturbelegen). Parallel dazu wird im Kontext der Umwelt- und Risikoforschung immer stärker darauf hingewiesen, dass eine Erfolg versprechende und an Vorsorgezielen orientierte Wissenschafts- und Umweltpolitik über die „klassischen“ Aspekte des Risikos und der Ungewissheit hinaus auch die Problematik des Nichtwissens in Rechnung stellen müsse (vgl. vor allem WBGU 1999; Böschen et al. 2003; EEA 2001): „Acknowledge and respond to ignorance, as well as uncertainty and risk, in technology appraisal and public policy-making“, wird beispielsweise in einer kürzlich von der europäischen Umweltagentur EEA veröffentlichten Studie gefordert (EEA 2001: 168) Bestätigt werden solche Diagnosen und Forderungen durch eine wachsende Zahl von gesellschaftlichen Technik- und Risikokontroversen, in denen das Nichtwissen der Wissenschaft sowie der Umgang mit „unbekannten Risiken“ (WBGU 1999) in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und der Auseinandersetzungen rücken. Hierbei ist es vor allem die Möglichkeit unerkannten Nichtwissens der Wissenschaft, die solchen Kontroversen ihre Dynamik und spezifische Brisanz verleiht.1 Denn die Schädigung der Ozonschicht durch Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW) und einige andere Beispiele haben retrospektiv erkennen lassen, dass die Wissenschaft häufig noch nicht einmal weiß, was sie nicht weiß und man daher immer mit gänzlich unbekannten und ungeahnten Gefährdungen rechnen muss (vgl. zu FCKW Böschen 2000). Die „Vermeidung künftiger Ozonlöcher“ (WBGU 1999), und das heißt ein reflektierter Umgang mit unerkanntem Nichtwissen, wird damit zu einem dringlichen, aber offenbar nur schwer einlösbaren Ziel von Risikopolitik und –regulierung. Zugleich hat vor allem der Fall des „Rinderwahnsinns“ BSE deutlich gemacht, dass eine vorschnelle und unreflektierte Ausblendung von Ungewissheit und wissenschaftlichem Nichtwissen nicht nur zu schwer wiegenden gesundheitsbezogenen, ökologischen und Vgl. zur Kategorie des „unerkannten Nichtwissens“ ausführlicher Wehling 2002a sowie zu „unknown unknowns“ in der angelsächsischen Diskussion Grove-White 2001; Wynne 2002. 1 2 letztlich auch wirtschaftlichen Konsequenzen führen, sondern auch eine gravierende Krise des Vertrauens der Öffentlichkeit in Wissenschaft und Politik auslösen kann (vgl. Dressel 2002). Zu beobachten ist somit eine gesellschaftliche „politicization of ignorance“ (Stocking/Holstein 1993), die das Nichtwissen der Wissenschaft in den Vordergrund rückt und gleichzeitig ihre Definitionshoheit darüber in Frage stellt (vgl. Weingart 2003: 100f.). Strittig sind dabei nicht nur das Ausmaß und die (Gefährdungs-)Relevanz des Nichtwissens, sondern auch die Form, unter der es wahrgenommen wird: Handelt es sich letztlich immer „nur“ um ein vorläufiges Noch-Nicht-Wissen oder müssen nicht auch komplexere und sperrigere Formen wie „unüberwindbares Nichtwissen“ oder „unerkanntes Nichtwissen“ in Rechnung gestellt werden, die eben nicht per se durch weitere Forschung aufgelöst werden können? Ein reflektierter und differenzierter Umgang mit wissenschaftlichem Nichtwissen wird vor diesem Hintergrund zu einem Schlüsselelement sowohl für die zukunftsfähige Bearbeitung und Regulierung wissenschaftlich-technisch induzierter Umwelt- und Gesundheitsgefährdungen als auch für die (Wieder-)Gewinnung öffentlichen Vertrauens in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik. Dies stellt nicht nur die Wissenschaft selbst vor neuartige und ungewohnte kognitive Herausforderungen, sondern erfordert auch innovative und reflektierte Reaktionsformen der Politik. Denn die Forderung, Nichtwissen, und vor allem unerkanntes, nicht-gewusstes Nichtwissen in Rechnung zu stellen, ist unübersehbar paradox und anscheinend kaum einlösbar: „At first sight, responding to ignorance may seem to ask the impossible. How can strategies be devised to prevent outcomes, which by definition, are not known?“ (EEA 2001: 170) Wie kann die Wissenschaft das, was außerhalb ihrer Wahrnehmungs- und Erwartungshorizonte liegt, zum Gegenstand von Erkenntnis oder (Selbst-)Reflexion machen? Das beantragte Vorhaben geht dennoch davon aus, dass die Forderung nach einem reflektierten Umgang mit wissenschaftlichem Nichtwissen nicht per se unerfüllbar ist. Es spricht aber vieles dafür, dass sich Reflexionschancen und neue Formen des Umgangs mit der Problematik erst dann adäquat erkennen lassen, wenn nicht mehr abstrakt danach gefragt wird, wie „die“ Wissenschaft und „die“ Politik mit „dem“ Nichtwissen umgehen, sondern wenn erstens je spezifische wissenschaftliche (Teil-)Disziplinen und ihre „epistemischen Kulturen“ (Knorr-Cetina 2002), zweitens unterschiedliche (Wahrnehmungs-)Formen des Nichtwissens sowie drittens einzelne Risikokontroversen und darauf bezogene Kommunikationsprozesse in gesellschaftlichen Problem- und Gestaltungsöffentlichkeiten in den Blick genommen werden. Entscheidend ist es demnach, a) der Spezifik und Unterschiedlichkeit der epistemischen Praktiken und institutionellen Ressourcen Rechnung zu tragen, mit denen einzelne Disziplinen, Teildisziplinen und/oder Forschungsfelder die Problematik ihres (selbst erzeugten) Nichtwissens wahrnehmen und bearbeiten; b) die Heterogenität und Differenziertheit von Formen und Dimensionen des wissenschaftlichen, wissenschafts-induzierten Nichtwissens zu berücksichtigen; c) zu analysieren, wie die Thematik des Nichtwissens in bestimmten Risikodebatten, diskursiven Arenen und Problemöffentlichkeiten gesellschaftlich aufgegriffen, kommuniziert und in die Wissenschaft gleichsam „zurückgespiegelt“ wird. 3 Das übergreifende Ziel unseres Vorhabens lässt sich damit wie folgt formulieren: Anhand ausgewählter aktueller Risikokontroversen sollen Formen, Möglichkeiten und Grenzen des Umgangs mit Nichtwissen im Spannungsfeld zwischen „epistemischen Kulturen“ der Wissenschaft einerseits, gesellschaftlichen Problem- bzw. Gestaltungsöffentlichkeiten und „Nichtwissens-Diskursen“ andererseits analysiert werden. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei, welche unterschiedlichen Reaktionsformen und (innovativen) Perspektiven sich erkennen lassen und wie sie u.U. für die politische Risikoregulierung, für die Erhöhung des Reflexionspotenzials der Wissenschaft im Umgang mit Nichtwissen sowie für die Gestaltung des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft genutzt werden können. Mit diesen Zielsetzungen bezieht sich das Vorhaben auf die im Ausschreibungstext genannten Cluster A „Veränderungen der Wissensproduktion – Ursachen und Formen“ (hier insbesondere: Umgang mit wissenschaftlichem Nichtwissen) und B „Kommunikation wissenschaftlichen Wissens im politischen Meinungsbildungsprozess“ (hier besonders: Formen der Wissenskommunikation im öffentlichen Raum). Besonderes Augenmerk soll in dem Vorhaben auf die bisher kaum untersuchte und nur schwer „dingfest“ zu machende Kategorie des unerkannten Nichtwissens gelegt werden. Wie kann den darin liegenden kognitiven und politisch-institutionellen Herausforderungen so begegnet werden, dass weder sämtliche Wissensgewinne durch den jederzeit möglichen Verweis auf nicht ausschließbares unerkanntes Nichtwissen unterminiert und diskreditiert werden noch trügerische Gewissheiten erzeugt werden, die – wie in den Fällen FCKW oder BSE – auf der Ausblendung von möglichen unknown unknowns basieren. Definitiv feststellen lässt sich unerkanntes Nichtwissen allein in historisch rekonstruktiver Perspektive (vgl. am Beispiel FCKW Böschen 2002b). Wenigstens „einkreisen“ lässt sich die Kategorie jedoch durch die Kontrastierung und Zusammenführung unterschiedlicher, in risikopolitischen Konflikten aufeinander treffender (disziplinärer) Wissensperspektiven, die zur Aufdeckung von ungewusstem Nichtwissen führen können. Hierdurch können unter Umständen disziplinäre (Selbst-)Reflexionsprozesse in Gang gesetzt werden, die die Selektivitäten des eigenen theoretischen und/oder experimentellen Zugriffs zumindest teilweise transparent machen. Neben der Erkundung dieser kognitiven, epistemologischen Aspekte und ihrer Reichweite wird es in dem Vorhaben aber auch darum gehen zu analysieren, in welchen Kontexten und von welchen Akteuren unerkanntes Nichtwissen zum Thema in Risikokonflikten gemacht wird, welche Wirkungen dies hat und wie darauf von anderen Akteuren, insbesondere von der Wissenschaft, reagiert wird und werden kann. Gestützt auf vorbereitende theoretisch-konzeptionelle Überlegungen zu epistemischen Kulturen und die darin angelegten Formen der Erzeugung, Wahrnehmung und Thematisierung von Nichtwissen wollen wir die skizzierten Fragestellungen an drei aktuellen Risikodebatten empirisch untersuchen und in ihrer Reichweite überprüfen. Nach dem bisherigen Stand unserer Überlegung erscheinen dafür die folgenden drei Beipielsfelder als gut geeignet: nano-partikelförmige Emissionen von Platin und verwandten Edelmetallen aus Automobilkatalysatoren; elektromagnetische Strahlung („Elektro-Smog“) aus Mobiltelefonen und Sendeanlagen sowie landwirtschaftliche Anwendungen der Gentechnik („Grüne Gentechnik“). 4 Diese Fälle haben wir ausgewählt, um ein möglichst breites Spektrum von Vergleichs- wie Kontrastmöglichkeiten hinsichtlich des wissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Umgangs mit Nichtwissen zu gewinnen: In allen drei Beispielen spielt erstens die Thematisierung und Problematisierung wissenschaftlichen Nichtwissens eine wesentliche Rolle; zweitens ist die „tatsächliche“ Relevanz dieses Nichtwissens (vor allem im Hinblick auf Umwelt- und Gesundheitsgefährdungen) aber noch ungeklärt und umstritten; drittens stehen jeweils verschiedene wissenschaftliche Disziplinen im Vordergrund, so dass ein vergleichender Blick auf unterschiedliche disziplinäre Formen des Umgangs mit Nichtwissen möglich wird. Viertens schließlich lassen sich die ausgewählten Beispiele auch als unterschiedliche Phasen der Auseinandersetzung über wissenschaftliches Nichtwissen und der Konstitution themenzentrierter Gestaltungsöffentlichkeiten rekonstruieren: Während bei der Verwendung von Platingruppenelementen (PGE) in Autokatalysatoren die noch weitgehend innerwissenschaftliche Auslotung und Konturierung des Nichtwissens im Vordergrund steht, lässt sich bei „Elektro-Smog“ bereits eine öffentliche Auseinandersetzung um die Anerkennung und Bedeutung des wissenschaftlichen Nichtwissens beobachten. Bei der „Grünen Gentechnik“ schließlich geht es wesentlich darum, institutionelle Konsequenzen (etwa in Form des sogenannten „Nachzulassungs-Monitorings“) aus dem (weitgehend) als relevant anerkannten Nichtwissen zu ziehen. Mit den skizzierten Fragestellungen und Zielsetzungen knüpft das Vorhaben thematisch, heuristisch und analytisch an den aktuellen Forschungsstand in den folgenden drei Feldern der Wissenschaftsforschung, Risikosoziologie und Umweltforschung an und versucht, qualifizierte Beiträge zu deren Präzisierung und Weiterentwicklung zu leisten: a) konzeptionelle Vorarbeiten und erste Konkretisierungen einer „Soziologie des wissenschaftlichen Nichtwissens“; b) Forschungen zu unterschiedlichen, disziplinären „epistemic cultures“ oder „Wissenskulturen“; c) neuere risikopolitische Überlegungen, die über die bisherige Orientierung an „Risiko“ und „Ungewissheit“ hinausgehen und die Problematik des Nichtwissens systematisch aufzugreifen versuchen. Darüber hinaus knüpft das Vorhaben an den aktuellen Stand der Risikodebatten in den drei oben genannten Beispielsfeldern an, in denen der Thematisierung von Ungewissheit und Nichtwissen eine bedeutende Rolle zukommt. II. Stand der Forschung/Bisherige Arbeiten der Antragsteller II.1 Stand der Forschung II.1.1 Soziologie des wissenschaftlichen Nichtwissens Nachdem Nichtwissen, und vor allem das Nichtwissen der Wissenschaft, seit den 1980er Jahren verstärkte öffentliche, politische und (sozial-)wissenschaftliche Aufmerksamkeit gefunden hat, ist in jüngster Zeit das Projekt einer „sociology of scientific ignorance“ (Stocking 1998) als Ergänzung und Erweiterung der etablierten „sociology of scientific 5 knowledge“ vorgeschlagen worden (vgl. dazu ausführlicher Wehling 2002a). Ganz allgemein beschäftigt sich die „Soziologie des wissenschaftlichen Nichtwissens“ mit der Erzeugung, Wahrnehmung, Definition, Bearbeitung und öffentlichen Kommunikation von Nichtwissen in der und durch die Wissenschaft. Eines der wichtigsten Ergebnisse der bisherigen Debatte liegt in der Erkenntnis, dass Nichtwissen nicht einfach einen homogenen, objektiv vorgegebenen „Gegenpol“ zum Wissen darstellt, sondern einerseits vielschichtig und in sich differenziert ist, zum anderen vielfältigen und häufig konfligierenden sozialen „Konstruktions“- und Definitions-Prozessen unterliegt (vgl. bereits Smithson 1985). Dabei wird, wie schon angedeutet, die über lange Zeit unangefochtene Definitionshoheit der Wissenschaft mehr und mehr mit anderen Formen der Thematisierung von wissenschaftlichem Nichtwissen, etwa durch Medien, soziale Bewegungen oder politische Institutionen, konfrontiert. Die Wissenschaft nimmt Nichtwissen üblicherweise vor allem in der Variante des „Noch-NichtWissens“ oder „spezifizierten Nichtwissens“ (Merton 1987) als Vorstufe zu neuem Wissensgewinn wahr und neigt dementsprechend dazu, andere Formen als unpräzise, dysfunktional oder irrelevant auszublenden. Demgegenüber sind in der Öffentlichkeit die Formen des irreduziblen Nichtwissens oder „Nicht-Wissen-Könnens“ (bspw. infolge zu hoher Komplexität der Untersuchungsgegenstände), des unerkannten Nichtwissens („wir wissen gar nicht, was wir nicht wissen“), aber auch des vermeidbaren Nichtwissens („das hätte man eigentlich wissen können“) immer stärker in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Nichtwissens-Diskurse in öffentlichen Arenen sind daher in der Regel auch Auseinandersetzungen um die Angemessenheit bestimmter Wahrnehmungsformen und Interpretationen von Nichtwissen. Eine Schwäche der bisherigen Untersuchungen zur Kommunikation von Nichtwissen in Risikokonflikten ist darin zu sehen, dass sie Nichtwissen dennoch entweder als homogenes Phänomen behandeln, sich nur auf einzelne Aspekte (bspw. das gewusste Nichtwissen der Experten) konzentrieren (van den Daele 1996) oder sich auf zu wenige und zu starre Unterscheidungen stützen (so z.B. Japp 1997, 2002; Tacke 1999). Das beantragte Vorhaben wird demgegenüber an die in früheren Arbeiten der Antragsteller (vgl. vor allem Wehling 2002a) vorgeschlagenen Unterscheidungsformen und –dimensionen („Wissen“ „Intentionalität“ und „zeitliche Stabilität“ von Nichtwissen) anknüpfen, um soziale Wahrnehmungsformen von wissenschaftlichem Nichtwissens sowohl in ihrer ganzen Breite als auch in ihrem kontroversen Charakter erfassen zu können. Analysiert wird, inwieweit sich diese Unterscheidungsdimensionen bei der Analyse von Risikokonflikten in öffentlichen „Nichtwissens-Arenen“ einerseits heuristisch bewähren, andererseits präzisieren und weiter entwickeln lassen. Zu diesem Zweck sollen in den drei ausgewählten Beispielsfällen die je unterschiedlichen Formen der „Konstruktion und Rekonstruktion wissenschaftlichen Nichtwissens“ (Stocking/Holstein 1993) durch die an die Auseinandersetzungen beteiligten sozialen Akteure (verschiedene wissenschaftliche Disziplinen, Umweltverbände, Politik, Wirtschaft, Medien etc.) differenziert untersucht werden. Denn nur wenn bereits der Unterschiedlichkeit der Formen Rechnung getragen wird, unter denen wissenschaftliches Nichtwissen wahrgenommen wird, lassen sich die Spielräume und Chancen für die politische Moderation und Gestaltung der öffentlichen Kontroversen adäquat erfassen (vgl. auch Wynne 2002). 6 II.1.2 Wissenschaftssoziologische Forschungen zu epistemic cultures Das Konzept der „epistemischen Kulturen“ ist in den letzten Jahren vor allem von KnorrCetina (1996; 2000; 2002) entwickelt worden (vgl. für weiterführende Überlegungen auch Böschen 2002a). Es ist für unsere Fragestellungen vor allem deshalb von Interesse, weil es an Überlegungen zur Heterogenität der Wissenschaft oder der „disunity of science“ (Galison/Stump 1996) anknüpft und zu zeigen versucht, dass in den jeweiligen Disziplinen oder Forschungsfeldern unterschiedliche (Praxis-)Formen der Konstitution von Wissen und Wissensobjekten existieren. Ähnlich wie Knorr-Cetina verstehen wir unter epistemischen Kulturen in erster Linie etablierte Muster von (experimentellen wie theoretischen) Praktiken der Wissenserzeugung in unterschiedlichen (Teil-)Disziplinen (Knorr-Cetina 2002: 19ff.; vgl. auch Rheinberger 2001). Knorr-Cetina hat das Konzept anhand von Fallstudien zur Hochenergiephysik und zur Molekularbiologie entwickelt und konkretisiert. Dabei haben sich auch erste, wenngleich noch unausgearbeitete Hinweise darauf ergeben, dass epistemische Kulturen nicht ausschließlich „Wissenskulturen“, sondern zugleich, und letztlich untrennbar damit verbunden, auch „Nichtwissenskulturen“ sind.2 Sie unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der Konstitution von Wissensobjekten, sondern auch hinsichtlich der Wahrnehmung ihres Nichtwissens und der Relevanz, die diesem für die Validierung der Erkenntnisse und den weiteren Wissensgewinn beigemessen wird. So werde in der Hochenergiephysik „häufig mit ‚negativem Wissen’ und ‚liminalem Wissen’, also dem Wissen von den Grenzen des Wissens gearbeitet. Mit ihren Erkenntnisstrategien versuchen die Physiker immer mehr Wissen über ihr Nichtwissen, ihre Fehler und ihre Beschränkungen zu erarbeiten“ (Knorr-Cetina 2000: 165). Andere Disziplinen arbeiteten dagegen mit Erkenntnisstrategien, in denen das Nichtwissen „kaum im Zentrum der Interessen“ stehe (ebd.). Die Molekularbiologie etwa operiere mit einer Strategie der „halb blinden Variation“ (Knorr-Cetina 2002), die auf der laufenden Umorganisation von praktischen Versuchsanordnungen basiere, bis diese „funktionieren“, aber ohne den Ursachen für das frühere Nicht-Funktionieren große Beachtung zu schenken und schenken zu können. Vor diesem Hintergrund sieht Strand (2000) die Molekularbiologie durch eine gravierende „in vivo – in vitro-ignorance“ gekennzeichnet und vermutet, dass ihr aufgrund ihrer „epistemologischen Naivität“ bisher die kognitiven wie institutionellen Ressourcen zur Bearbeitung dieser Problematik fehlen. Man sollte sich jedoch vor einer vorschnellen normativen Bewertung der unterschiedlichen „Nichtwissenskulturen“ hüten, denn es geht dabei nicht (zumindest nicht primär) um die mehr oder weniger bewusste Ausblendung von Wissenslücken und Grenzen des Wissens (für die durchaus gute Gründe bestehen), sondern um die (risikorelevanten) Implikationen von etablierten Erkenntnisstrategien (vgl. zur Molekularbiologie Knorr-Cetina 1996: 308f.). In dem beantragten Vorhaben schließen wir analytisch und heuristisch an das Konzept der epistemischen Kulturen an, um darüber einen Zugang zu den disziplinär unterschiedlichen Formen der Konstitution und Erzeugung von Wissen und Nichtwissen zu gewinnen. 3 Das Ziel Wir verstehen „epistemische Kulturen“ daher als Oberbegriff, der sowohl „Wissenskulturen“ als auch „Nichtwissenskulturen“ umfasst: Die Erzeugung von Wissen und der Umgang mit Nichtwissen im Horizont einer epistemischen Kultur sind letztlich nicht eindeutig zu trennen, weil wechselseitig aufeinander bezogen. 3 Damit knüpft das Vorhaben thematisch und konzeptionell auch an die früheren Ansätze einer „kontextualistischen“ Wissenschaftsforschung und Risikosoziologie an (vgl. Bonß et al. 1993 a, 1993b). 2 7 dabei ist zum einen, die Reflexionschancen und –potenziale der betreffenden Disziplinen hinsichtlich des Umgangs mit Nichtwissen zu steigern, zum anderen ihre Resonanzfähigkeit für Nichtwissens-Unterstellungen von „außen“, sei es aus der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, sei es von anderen Disziplinen zu erhöhen (Böschen 2002a). Das Konzept der epistemic cultures wird dabei in doppelter Weise erweitert und zugleich in seiner Reichweite und Tragfähigkeit überprüft: Es soll erstens im Anschluss an Vorarbeiten der Antragsteller (vor allem: Böschen 2002a) exemplarisch an weiteren (Teil-)Disziplinen erprobt, präzisiert und vertieft werden, und zwar insbesondere an solchen, die in den ausgewählten Risikokonflikten eine wichtige Rolle spielen (bspw. Umweltchemie, Ökotoxikologie, Umweltmedizin, Molekularbiologie, Strahlenbiologie). Zweitens sollen epistemische Kulturen dabei nicht nur als Wissenskulturen, sondern zugleich als Nichtwissenskulturen begriffen werden. Analysiert werden soll, auf welche Weise in die Praktiken des Wissenserwerbs und der Konstitution von epistemischen Objekten bestimmte, implizite oder explizite Formen der Konstruktion von Nichtwissen „eingewoben“ sind und inwieweit dies der theoretischen (Selbst-)Reflexion zugänglich gemacht werden kann. II.1.3 Überlegungen zum politischen und gesellschaftlichen Umgehen mit „unbekannten Risiken“ Neuere risikopolitische Überlegungen gehen, wie eingangs erwähnt, über die eingeschliffene Orientierung an „risk“ und „uncertainty“ hinaus und versuchen – nicht selten im Horizont des sogenannten Vorsorgeprinzips –, auch unbekannte Risiken zum Gegenstand politischer Regulierung und wissenschaftlicher (Selbst-)Reflexion zu machen (vgl. schon Collingridge 1980, sowie neuerdings WBGU 1999; EEA 2001). In einigen Feldern sind in diesem Zusammenhang bereits bemerkenswerte Neuorientierungen zu beobachten, so etwa in der europäischen Chemikalienpolitik. Angesichts des offenbar unvermeidbaren Nichtwissens über die möglichen Umwelt- und Gesundheitsfolgen aller rund 100.000 in Gebrauch befindlichen chemischen Substanzen – der Rechtswissenschaftler G. Winter (2000) bezeichnet dies als „toxic ignorance“ – haben in den letzten Jahren Überlegungen zu einem „Paradigmenwechsel“ (Scheringer et al. 1998) in diesem Politikfeld wachsende Resonanz gefunden. Dabei soll die Bewertung der Chemikalien von (niemals vollständig zu erlangendem) kausalem Risikowissen auf aussagekräftige Indikatoren für die (potenzielle) Umweltgefährdung umgestellt werden. Persistenz und räumliche Reichweite werden dabei (neben Bioakkumulation, Mutagenitätspotenzial und Hormonaktivität) als die entscheidenden Indikatoren für ein potenziell hohes und unkontrollierbares, aber im Detail unbekanntes und unvorhersehbares Gefährdungspotenzial angesehen, an dem die politische und rechtliche Regulierung ansetzen soll (vgl. dazu auch Böschen/Scheringer/Jaeger 2001). Auf diese Weise würde sich die Risikopolitik nicht mehr auf (wie auch immer hypothetisches) Wissen, sondern auf die Anerkennung von Nichtwissen und den Einsatz vorsorgender, risikominimierender Strategien richten. Von solchen Ausnahmen abgesehen bleibt die Diskussion über den Umgang mit unbekannten Risiken bisher aber recht allgemein und teilweise auch appellativ. Zudem wird sie in der Regel kaum zurückgebunden an die Analyse der kognitiven und institutionellen Potenziale, die den beteiligten Institutionen und Akteuren zur Verfügung stehen, um auf die paradoxe 8 Problematik reagieren zu können. So setzt beispielsweise der WBGU (1999) große Hoffnungen in ein verschärftes Haftungsrecht als Anreiz zur Erzeugung von mehr Risikowissen insbesondere bei Wirtschaftsunternehmen, ohne aber der Frage nach den dafür erforderlichen kognitiven und institutionellen Ressourcen hinreichend Beachtung zu schenken. Zugespitzt könnte man sagen, dass die Problematik des Nichtwissens hier auf letztlich „traditionelle“ Weise gelöst werden soll, indem verbesserte Impulse zur Verwandlung von Nichtwissen in Wissen gegeben werden. Ohne die Relevanz solcher Strategien generell bestreiten zu wollen, lässt sich doch vermuten, dass sie angesichts der Vielschichtigkeit der Nichtwissens-Problematik und des Zeitdrucks, unter dem in der Regel operiert werden muss, zu kurz greifen und selbst riskant werden. Risikopolitische Überlegungen zum Umgang mit Nichtwissen können zweifellos von rekonstruktiven Fallstudien zu früheren negativen „Überraschungen“ aufgrund (unerkannten) wissenschaftlichen Nichtwissens lernen und profitieren (vgl. z.B. zu Contergan Kirk 1999, zu FCKW, DDT, Dioxin Böschen 2000 sowie mit insgesamt zwölf Beispielsfällen EEA 2001). Gleichwohl lassen sich die daraus gewonnenen Erkenntnisse nicht ohne weiteres auf aktuelle Problemlagen übertragen. Die im Rahmen des beantragten Vorhabens vorgeschlagenen Fallstudien betreten hier insofern Neuland, als sie laufende und noch unentschiedene Kontroversen um den Umfang und die Relevanz des wissenschaftlichen Nichtwissens zum Gegenstand haben und nicht von der „sicheren“ Warte des historischen Rückblicks aus urteilen können. Analysiert werden soll dabei vorrangig, inwieweit sich in den untersuchten Feldern neue, innovative Strategien des Umgangs mit wissenschaftlichem Nichtwissen erkennen lassen, die unter Umständen gesellschaftlich konsens- und verallgemeinerungsfähig sein könnten. Damit wird auch die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen gesellschaftlichen und institutionellen „Lernens“ unter Nichtwissens-Bedingungen aufgeworfen (vgl. Böschen et al. 2002; Böschen/Viehöver/Zinn 2003). Hierzu sind in der bisherigen Diskussion einige Modelle vorgeschlagen worden; als weiterführend erweisen sich dabei vor allem das Konzept der „fallibilistischen Entscheidungsrationalität“ (Collingridge 1980) sowie das Modell des „rekursiven Lernens“ (Krohn 1997).4 Beide Modelle begreifen Entscheidungen bzw. Technikimplementationen unter Nichtwissen als offenen, durch kontinuierliche Folgenbeobachtung angeleiteten Prozess; sie basieren jedoch auf einer impliziten Prämisse, die unter Nichtwissens-Bedingungen selbst fragwürdig und strittig wird, nämlich der Annahme, dass negative Folgen sich so rechtzeitig und in so eindeutig zurechenbarer Form zeigen, dass die getroffenen Entscheidungen noch korrigierbar sind. Weil dieses Vertrauen in die Sichtbarkeit und kausale Zurechenbarkeit von Ereignissen aber mittlerweile selbst in den Sog der Nichtwissens-Diskussion geraten ist (vgl. dazu ausführlicher Wehling 2003), kann es nicht mehr ohne weiteres als Grundlage für Lernstrategien unter Nichtwissen fungieren und öffentliche Kontroversen über den Umgang mit Nichtwissen kaum noch konsensuell schlichten. „Lernen unter Nichtwissens-Bedingungen“ setzt daher zum einen Prozesse der Verständigung über die Rahmenbedingungen des Lernens voraus; zum anderen kann Lernen in diesem Kontext offenbar nicht mehr ausschließlich auf Wissenszuwachs ausgerichtet sein, 4 Andere Modelle setzen ausschließlich auf evolutionäre Selbstregelungsmechanismen der ökologischen Kommunikation (Japp 2002) und bleiben daher letztlich unbefriedigend. 9 sondern muss sich auch und vor allem auf institutionelle Arrangements für einen flexiblen Umgang mit (möglicherweise) anhaltendem Nichtwissen beziehen. II. 1.4 Wissens- und Nichtwissenskonflikte in den Beispielsfeldern Die Thematisierung von Nichtwissen ist neben der Beteiligung bestimmter epistemischer Kulturen von einem Bündel heterogener Faktoren abhängig. Die Beispielfelder sind entsprechend so gewählt, dass sie sich hinsichtlich ihrer Thematisierung und Anerkenntnis von Nichtwissen erheblich unterscheiden: (1) Grüne Gentechnik: institutionalisierte Anerkennung von Nichtwissen; (2) Elektrosmog: Auseinandersetzung um die Relevanz von Nichtwissen; (3) PGE-Katalysatoren: erste Formierung von Risikound Nichtwissenshypothesen. (1) Grüne Gentechnik: institutionalisierte Anerkennung von Nichtwissen. Die Debatte um die Folgen der Gentechnik wurde von Anfang an stark durch Nichtwissen geprägt. Zum einen ist dies begründet in der sich schon gleich zu Beginn formierenden neuen Strategie eines öffentlichkeitssensiblen Social Assessment of Science, welche die bis dato vorherrschende Strategie eines expterenzentrierten Risk Assessment ergänzte (vgl. Böschen et al. 2003); die Risikodebatte bewegt sich seither in der Spannung zwischen diesen beiden Formen der Risikoberabeitung. Zunächst gelang es den Wissenschaftlern, die thematisierten Probleme auf Fragen der Laborsicherheit und damit Probleme des Containments zu begrenzen und die Debatte zu schließen.5 Jedoch blieb diese Schließung immer prekär. Denn zum anderen wurden von unterschiedlichen epistemischen Kulturen immer wieder neue Nichtwissensperspektiven in die (gesellschaftlichen) Auseinandersetzungen eingespeist,6 die nicht mehr ohne weiteres marginalisiert werden konnten. Zwar wurde u.a. durch partizipative TA-Verfahren eine Festlegung auf den Stand des (vermeintlich) objektiven Wissens versucht (so etwa beim Verfahren zu herbizidresistenten transgenen Pflanzen am Wissenschaftszentrum Berlin Anfang der 1990er Jahre), jedoch führte dies weniger zur wissensbasierten Schließung der Debatte als vielmehr zu einer zunehmenden Anerkenntnis der ökologischen Risikoperspektive – und damit von Nichtwissen. Was konnte und sollte als „ökologischer Schaden“ angesehen werden? Welche Zeithorizonte bei potenziellen Wirkungen sollten beachtet werden? Mit welchen Indikatoren kann man das Unerwartete dennoch sichtbar und damit erwartbar machen? Vor dem Hintergrund dieser vielschichtigen, nichtwissensbasierten Fragen etablierte sich ein umfangreiches Geflecht institutioneller Regeln, die die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen kaskadenförmig regeln. Eine Art „Intervall-Containment“ entstand. Mit der Neufassung der Freisetzungsrichtlinie (2001) und den damit verbundenen Regeln für das In-Verkehr-bringen von gentechnisch veränderten Organismen, die insbesondere ein Nachzulassungsmonitoring 5 Dabei lassen sich zwei Formen des Containment unterscheiden. Das biologische Containment basierte auf der Verwendung von Sicherheitsstämmen von E. coli und von Vektoren, die nur in bestimmten Wirtsmedien überleben konnten. Zum physikalischen Containment wurden Maßnahmen wie die Verwendung von Abzugshauben oder Unterdruckkabinen gezählt. Professionalisiert wurden diese Formen des Containments durch das Zuordnen bestimmter Experimente zu bestimmten Strukturen des Containments. 6 Schnell wurden im Feld der Grünen Gentechnik die wichtigsten Risikohypothesen formuliert: Auskreuzen, Verwildern, Gentransfer und das Problem der „Rückholbarkeit vom Feld“ wurden diskutiert (vgl. z.B. Weber 2000). 10 und eine Neubeantragung nach zehn Jahren vorsehen, richtete sich der Blick vorrangig auf Probleme des Nichtwissens und deren institutionelle Bearbeitung (vgl. Böschen et al. 2003). Damit ist diese Debatte aber keineswegs abgeschlossen, sondern „nur“ in ein neues Stadium getreten. Deshalb erhoffen wir uns vor allem vom Fallbeispiel „Grüne Gentechnik“, und hier insbesondere von der Beobachtung der Debatten um das „Nachzulassungs-Monitoring“, weiter gehende Aufschlüsse über (kognitive wie soziale) Möglichkeiten und Grenzen institutionalisierter Lernstrategien unter Bedingungen unerkannten Nichtwissens. Eine zweite unter dem Aspekt des Lernens interessierende Frage ist dann, ob und inwieweit die in einem Bereich entwickelten Lösungen und institutionellen Arrangements (etwa institutionalisiertes Folgenmonitoring) auf andere „Nichtwissens-Arenen“ übertragen und ausgeweitet werden können. (2) Elektrosmog: Auseinandersetzung um die Relevanz von Nichtwissen. Mit dem Erlass der 26. BImSchV (Verordnung über elektromagnetische Felder; 16/12/1996) wurde die Diskussion um Elektrosmog gesetzlich vorläufig abgeschlossen. Die öffentlichen Auseinandersetzungen um den Elektrosmog blieben aber virulent, weil mit der Grenzwertsetzung auch ein bestimmtes Wirkungsmodell zugrunde gelegt wurde. Reguliert wurden die thermischen Effekte, die akut auftreten – nicht berücksichtigt hingegen wurden längere Zeithorizonte oder das Faktum der Feldcharakteristik unterschiedlicher Strahlen. Die 26. BImSchV, so lässt sich thesenhaft formulieren (so z.B. Klitzing 2002: 32), ist wesentlich mit Blick auf die Strahlenphysik formuliert worden und berücksichtigt zu wenig die Besonderheit biologischer Systeme.7 Die Diskussionen um die möglichen Risiken und Folgen von Nichtwissen werden dadurch gesteigert und angetrieben, dass die technische Entwicklung von Mobilfunknetzen, spätestens seit der Entwicklung von UMTS (Universal Mobile Telecommunications System), rasant voranschreitet. Damit wird das Spektrum der Belastungen durch elektromagnetische Strahlung zu hohen Frequenzen bis in den GHzBereich ausgebaut, ohne dass ausreichende Klarheit über mögliche biorelevante Wechselwirkungen besteht. Die am meisten diskutierten Auswirkungen (nichtionisierender) elektromagnetischer Strahlung auf den Organismus sind im Niederfrequenzbereich die Beeinflussung des Immunsystems, der Zusammenhang mit Krebs, sowie die Auswirkungen auf das Nervensystem, die Psyche und das Verhalten. Im Bereich der Hochfrequenzstrahlung spielen sowohl thermische als auch nichtthermische Wirkungen eine Rolle. Vermutete Risiken betreffen Neuronschäden durch Mikrowellenstrahlung der GSM-Telefone sowie den Zusammenhang zwischen Krebs und hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung (vgl. Silny 2002).8 Die Unsicherheit speziell über die Auswirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung verbunden mit der Ubiquität dieser Sorte von Strahlung führt 7 In der aktuellen Rechtsprechung werden die Grenzwertfestsetzungen jedoch mit Blick auf Nicht-Vorliegen anderslautender hochrangiger wissenschaftlicher Expertise gestützt (z.B. BVerfG, Beschluss v. 28.02.2002 – 1 BvR 1676/01). 8 Die Unsicherheit der Wissenschaft im Umgang mit Elektrosmog spiegelt sich auch in der Grenzwertfestlegung wider. Für den Niederfrequenzbereich (0 Hz bis 30 Hz) liegt dieser bei 10 mA/m 2. Für den Hochfrequenzbereich (30 kHz bis 300 GHz) wird die sogenannte spezifische Absorptionsrate zugrundegelegt (SAR, berechnet sich als Quotient aus absorbierter Leistung und Körpermasse, vgl. EN 50361). SAR Werte sind nur sehr schwer zu messen – die numerischen Berechnungsverfahren liefern nur dann hinreichend genaue Ergebnisse, wenn die Randbedingungen genau bekannt sind und das ideale Verfahren angewandt wird. In der Praxis werden daher abgeleitete Grenzwerte gemessen und angesetzt – sie liegen z.B. für 50 Hz bei 10.000 V/m2 und bei 300 GHz bei 61 V/m2. 11 gegenwärtig zu heftigen öffentlichen Diskussionen, insbesondere in stark betroffenen Gebieten, die mit der flächendeckenden Einführung von UMTS noch zunehmen werden (Revermann 2002). (3) PGE-Katalysatoren: erste Formierung von Risiko- und Nichtwissenshypothesen. Der Katalysator hat in den letzten 10 Jahren die verkehrsbedingten Schadstoffemissionen erheblich (um etwa 90 Prozent) reduziert. In diesem Sinne scheint der Katalysator ein Beispiel für eine erfolgreiche Umwelttechnologie zu sein. Betrachtet man aber die ökologischen (und auch ökonomischen) Risiken der verfolgten Strategie genauer, differenziert sich das eindeutig positive Bild: Nicht nur ist die Produktion der für den Katalysator benötigten Edelmetalle der Platingruppe (PGE) Platin, Palladium und Rhodium mit schweren Umweltbelastungen verbunden, sondern vor allem müssen die unbekannten Risiken einer ständigen Emission von PGE in die Umwelt ernst genommen werden. Während des Gebrauchs der Katalysatoren werden kleine Mengen Katalysatorstaub in die Umwelt emittiert, und in der Nähe von Straßen sind unerwartet hohe PGE-Konzentrationen messbar.9 Gewächshausexperimente haben gezeigt, dass die Elemente hohe Transferraten in die Pflanzen hinein aufweisen. Die Metalle gelangen nicht nur in terrestrische, sondern auch in aquatische Systeme (vgl. Sures 2002). Obwohl meist angenommen wird, dass die Umweltund Gesundheitsrisiken der PGE-Emissionen niedrig sind, ist die nachgewiesene Wasserlöslichkeit extrem fein verteilter PGE-Teilchen Anlass zu Bedenken. Ein Katalysator hört nicht auf zu katalysieren, wenn er seinen vorgesehenen Ort verlässt. Er wird durch die Reaktion, die er befördert, bekanntlich nicht verbraucht. Über die Auswirkungen fein verteilter PGE auf den Organismus liegen jedoch bislang noch keine systematischen Studien vor (vgl. Moldovan et al. 2002), obwohl z.B. allergene Wirkungen postuliert wurden. Selbst wenn solche Risiken ausgeschlossen werden könnten, blieben schwerwiegende Probleme. Die äußerst seltenen PGE verteilen sich in die Umwelt und können nicht zurückgeholt werden. Bei einem Verlust von 20 Prozent bei jedem Katalysator werden bei vier Recyclingvorgängen bereits fast 60 Prozent in die Umwelt verteilt sein. Daraus ergeben sich nicht zu unterschätzende Risiken, denn zum einen wird sich die Anwendung von Katalysatoren in Autos rapide ausweiten, zum anderen wird durch die Erschließung neuer technischer Anwendungen mit PGE, wie z.B. Brennstoffzellen, die Nachfrage zusätzlich gesteigert. Bereits eine grobe Betrachtung der jeweiligen Trends macht plausibel, dass eine Zunahme des Einsatzes von Platin bzw. Palladium um einen Faktor 4 in den kommenden 25 Jahren möglich ist. Somit eröffnet dieses Beispiel eine Diskussion, bei der die wissenschaftliche wie öffentliche Auseinandersetzung um Nichtwissen (hinsichtlich der Anwendungsprognosen wie möglicher Risikopfade) erst am Anfang steht und in ihrer möglichen Dynamik noch offen bleibt. II.2 Bisherige Arbeiten der Antragsteller Das beantragte Vorhaben soll von Stefan Böschen, Jens Soentgen und Peter Wehling gemeinsam geleitet und am Wissenschaftszentrum Umwelt (WZU) der Universität Augsburg 9 In Straßenstäuben aus dem Innenstadtbereich der Stadt Frankfurt am Main wurde der Spitzenwert von 719 Mikrogramm pro Kilogramm gemessen, in Straßenkehrgut der Bundesautobahn 5 fand man 477 μg Platin, 53 μg Palladium, 85 μg Rhodium. 12 durchgeführt werden. Stefan Böschen ist Soziologe und diplomierter Verfahrensingenieur, mit detaillierten Kenntnissen in Feldern der Chemie und Grünen Gentechnik. Im Rahmen des DFG-Sonderforschungsbereichs „Reflexive Modernisierung“ (Teilprojekt „Möglichkeiten und Grenzen der Wissenschaftsfolgenabschätzung“) beschäftigt er sich seit längerem mit kognitiven und institutionellen Perspektiven der Bearbeitung von Wissenschafts- und Technikfolgen, insbesondere unter den Bedingungen von Ungewissheit und Nichtwissen. Jens Soentgen ist Chemiker (Staatsexamen) und Philosoph; nach zwei Gastprofessuren in Brasilien (UF Goiânia, PUC Porto Alegre) ist er seit 2002 Vorstand und wissenschaftlicher Leiter des Wissenschaftszentrums Umwelt der Universität Augsburg. In dieser Position integriert er die Umweltforschung der Universität zu interdisziplinären Projekten und ist zugleich Koordinator des Netzwerkes zu externen Partnern und Akteuren im Bereich Umwelt. Peter Wehling ist Soziologe, Politikwissenschaftler und Philosoph. Im Sonderforschungsbereich „Reflexive Modernisierung“ (Teilprojekt „Institutionelle Reaktionen auf die Entgrenzung von Natur und Gesellschaft“) befasst er sich gegenwärtig mit gesellschaftlichen Reaktionsformen auf die Zunahme von wissenschaftsbasierter Ungewissheit, Uneindeutigkeit und Nichtwissen, unter anderem am Beispiel der Grünen Gentechnik. Alle drei Antragsteller können auf umfangreiche Vorarbeiten in den Bereichen der Wissenschaftssoziologie und –theorie, der Risiko- und Umweltsoziologie sowie der Umweltforschung zurückgreifen (s. Veröffentlichungsliste). Die zentralen Vorarbeiten für das beantragte Vorhaben stellen die beiden Expertisen dar, die Stefan Böschen und Peter Wehling 2002 im Rahmen der Ausschreibung „Science Policy Studies“ des BMBF erstellt haben. In Stefan Böschens Expertise „Science Assessment: Eine Perspektive zur Demokratisierung von Wissenschaft“ (Böschen 2002a) wurden aktuelle Veränderungen der wissenschaftlichen Wissensproduktion und des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft thematisiert sowie Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Konzepts der „Wissenskulturen“ diskutiert. Die Expertise „Weshalb weiß die Wissenschaft nicht, was sie nicht weiß? Perspektiven einer Soziologie des wissenschaftlichen Nichtwissens“ von Peter Wehling (Wehling 2002a) arbeitete die Relevanz der Kategorie des Nichtwissens sowohl für die Entwicklung der Wissenschaft selbst als auch für ihre gesellschaftliche Wahrnehmung heraus und skizzierte weiter gehende Möglichkeiten zur empirischen Untersuchung der Problematik. Beide Expertisen werden im Herbst 2003 in aktualisierter und erweiterter Form als Buch veröffentlicht (Böschen/Wehling 2003). Stefan Böschen und Peter Wehling sind zudem vertraut mit den für die Durchführung des Vorhabens relevanten theoretischen Debatten der Wissenschafts- und Risikosoziologie. Jens Soentgen hat insbesondere verschiedene thematisch relevante Arbeiten zur Wissenschaftstheorie der Chemie und zum Stoffbegriff vorgelegt (Soentgen 1997a, 1997b, 1999, 2002/2003). Das Wissenschaftszentrum Umwelt ist hervorgegangen aus der bayerischen High-TechOffensive. Sein Ziel ist es, die Umweltforschung der Universität Augsburg zu bündeln, die in diesem Bereich einen ihrer Forschungsschwerpunkte hat. Die 25 Mitglieder sind Professoren aus allen Fakultäten der Universität Augsburg; hinzu kommen Wissenschaftler externer Institutionen. Für das Projekt bietet das Wissenschaftszentrum nicht nur Räume und Tagungsmöglichkeiten – der Neubau auf dem Campus wird im April 2004 bezugsfertig – sondern auch unmittelbaren Kontakt zu Experten, die für das hier vorgeschlagene Projekt von 13 Bedeutung sind. Zu nennen sind besonders die WZU-Mitglieder Prof. Dr. Armin Reller (Chemie; Programmleiter des schweiz. Programms Wasserstoff/Brennstoffzelle), Prof. Dr. Ralf Zimmermann (Analytische Chemie), Prof. Dr. Alois Loidl (Experimentalphysik), Prof. Dr. Dr. Werner Ehret (Umweltmedizin u. Mikrobiologie). Von diesen Wissenschaftlern werden zur Zeit Projekte zu den Themen Elektrosmog und Platingruppenmetalle durchgeführt bzw. geleitet. Durch seine Kontakte und den Zugriff auf ein breites Feld umweltwissenschaftlicher Forschung kann das WZU garantieren, dass für die Fallstudien optimale Rahmenbedingungen vorliegen. Der Zugriff auf den neuesten Stand des Wissens ist jederzeit gewährleistet. Eine weitere günstige Rahmenbedingung sind die vielfältigen Industriekontakte des WZU. Besonders zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang das World Environment Center (WEC), ein Zusammenschluss von Umweltvorständen internationaler Unternehmen. Das Europabüro dieser Organisation, deren Hauptsitz New York ist, wurde am WZU in Augsburg angesiedelt. Dadurch besteht ein institutioneller Kontakt zu 42 großen Industrieunternehmen, darunter Chemieunternehmen, Telekommunikationsfirmen und Autohersteller. Wie in vorangegangenen Projekten des WZU bereits erfolgreich praktiziert, werden wir auch für das beantragte Vorhaben, wo es sinnvoll erscheint (z.B. für den geplanten Expertenworkshop), Kontakte zu Experten aus der Wirtschaft herstellen. Thematisch relevante Veröffentlichungen der Antragsteller (Auswahl) Böschen, S. (2000): Risikogenese. Prozesse gesellschaftlicher Gefahrenwahrnehmung: FCKW, Dioxin, DDT und Ökologische Chemie. Opladen: Leske + Budrich. Böschen, S. (2001): Risikogeneseforschung: „Grüne Gentechnik“ – kognitive Ungewissheit und normative Ambivalenz. Augsburg (Ms. 180 S.). Böschen, S. (2002a): Science Assessment: Eine Perspektive zur Demokratisierung von Wissenschaft. Expertise im Rahmen der Ausschreibung „Science Policy Studies“ des BMBF. Augsburg (Ms. 49 S.). Böschen, S. (2002b): Risikogenese. Metamorphosen von Wissen und Nichtwissen. In: Soziale Welt 53, S. 67-86. Böschen, S. (2003): Wissenschaftsfolgenabschätzung. Über die Veränderung von Wissenschaft im Zuge reflexiver Modernisierung. In: Böschen, S.; Schulz-Schaeffer, I. (Hrsg.): Wissenschaft in der Wissensgesellschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag (erscheint im August 2003). Böschen, S.; Wehling, P. (2003): Wissenschaft zwischen Folgenverantwortung und Nichtwissen. Aktuelle Perspektiven der Wissenschaftsforschung. Opladen: Westdeutscher Verlag (erscheint im Herbst 2003). Böschen, S.; Viehoever, W.; Wehling, P. (2003): Partizipative TA-Verfahren als Elemente gesellschaftlicher Gestaltungsöffentlichkeiten. Gutachten für das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag. Augsburg (unveröff.) Soentgen, J. (1997a): Das Unscheinbare. Phänomenologische Untersuchungen zu Stoffen, Dingen und Fraktalen Gebilden. Berlin: Akademie-Verlag. Soentgen, J. (1997b): Das sind Stoffe. In: Chemie in unserer Zeit, 31. Jg. 1997, Nr. 5, S. 241249. Soentgen, J. (1999): Phänomenologische Untersuchungen zum Stoffbegriff. In: chimica didactica 25, S. 197-221. Soentgen, J. (2002/03): Das materielle Ding in der Philosophie der Neuzeit. Von Descartes bis Heidegger. In: Scheidewege, Jg. 2002/2003, S. 357-376. Wehling, P. (2001): Jenseits des Wissens? Wissenschaftliches Nichtwissen aus soziologischer Perspektive. In: Zeitschrift für Soziologie 30, S. 465-484. 14 Wehling, P. (2002a): „Weshalb weiß die Wissenschaft nicht, was sie nicht weiß?“ Perspektiven einer Soziologie des wissenschaftlichen Nichtwissens. Expertise im Rahmen der Ausschreibung „Science Policy Studies“ des BMBF. Augsburg (Ms. 50 S.). Wehling, P. (2002b): Rationalität und Nichtwissen. (Um-)Brüche gesellschaftlicher Rationalisierung. In: Karafyllis, N.; Schmidt, J. (Hrsg.): Zugänge zur Rationalität der Zukunft. Stuttgart/Weimar: Metzler, S. 255-276. Wehling, P. (2003a): Ungeahnte Risiken. Das Nichtwissen des Staates – am Beispiel der Umweltpolitik. In: Collin, P.; Horstmann, Th. (Hrsg.): Das Wissen des Staates. BadenBaden: Nomos (erscheint Ende 2003). Wehling, P. (2003b): Die Schattenseite der Verwissenschaftlichung. Wissenschaftliches Nichtwissen in der Wissensgesellschaft. In: Böschen, S.; Schulz-Schaeffer, I. (Hrsg.): Wissenschaft in der Wissensgesellschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag (erscheint im August 2003). III. Ausführliche Beschreibung des Arbeitsplans III.1 Arbeitsschritte und Methoden Ziel des Vorhabens ist es, wie oben in Abschnitt I ausgeführt, anhand von ausgewählten Fallbeispielen Formen und Möglichkeiten des Umgangs mit Nichtwissen im Spannungsfeld zwischen den epistemischen Kulturen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen einerseits, öffentlichen (Nicht-)Wissensdiskursen in gesellschaftlichen Gestaltungsöffentlichkeiten andererseits zu analysieren. Damit soll erstens der Forschungsstand der Wissenschaftssoziologie durch die systematische Einbeziehung der Perspektive des Nichtwissens weiterentwickelt werden, zweitens der Blick auf neue gesellschaftliche Reaktionsformen und politische Gestaltungsoptionen gerichtet werden. Im Hinblick auf diese Zielsetzungen wird das Vorhaben in die folgenden sechs Arbeitsschritte gegliedert, die z.T. in zeitlicher Abfolge, z.T. parallel bearbeitet werden sollen. 1) 2) 3) Differenzierung und Erweiterung des Konzepts der epistemic cultures zu Nichtwissenskulturen; Fallstudie „Grüne Gentechnik“; Fallstudie „Elektrosmog“; Fallstudie „PGE-Katalysatoren“; 4) Wissenschaftssoziologische Verdichtung der Fallstudien; 5) Übergreifende Auswertung der Fallstudien im Hinblick auf politisch-institutionelle Gestaltungsoptionen. Arbeitsschritt 1: Differenzierung und Erweiterung des Konzepts epistemischer Kulturen Dieser Arbeitsschritt gliedert sich in zwei Teilschritte: Zunächst werden theoretischkonzeptionelle Ansatzpunkte und Perspektiven herausgearbeitet, um das Konzept der disziplinären epistemic cultures zu differenzieren und zu „Nichtwissenskulturen“ zu erweitern (a). Im zweiten Teilschritt soll dieses Konzept der Nichtwissenskulturen sodann an einzelnen, für die Fallstudien relevanten (Teil-)Disziplinen präzisiert und überprüft werden (b). 15 a) Dieser Teilschritt basiert im wesentlichen auf einer thematisch fokussierten Auswertung und Weiterentwicklung neuerer wissenschaftssoziologischer, – theoretischer und –historischer Forschungsansätze. Das Ziel ist es, epistemische Kulturen als spezifische Praktiken auch der Erzeugung, Wahrnehmung, Definition, Bearbeitung und Kommunikation von Nichtwissen, also als „Nichtwissenskulturen“, interpretieren zu können. Neben dem Konzept der epistemischen Kulturen (KnorrCetina 2002) sollen vor allem solche Ansätze herangezogen werden, die an den Praktiken der kognitiven wie experimentellen Erzeugung von wissenschaftlichem Wissen sowie der Konstitution von Wissensobjekten oder „epistemischen Dingen“ interessiert sind (z.B. Hacking 1983; Pickering 1995, Rheinberger 2001). Gefragt werden soll, wie hierbei neben Wissen auch Nichtwissen erzeugt wird, inwieweit dies den jeweiligen Disziplinen reflexiv zugänglich werden kann und wie sie generell mit der Problematik ihres (selbst erzeugten) Nichtwissens umgehen. Dazu wird auch der Vorschlag von Böschen (2002a) aufgegriffen und überprüft, ob und inwieweit sich epistemische Kulturen hinsichtlich ihrer Theorie- und Praxisform unterscheiden lassen. Darüber hinaus schließen wir an die früheren Arbeiten von Bonß, Hohlfeld und Kollek (1993a, b) zu einer kontextualistischen Wissenschaftsforschung an, in denen sowohl nach den „Ausblendungsverlusten“ dekontextualisierender wissenschaftlicher Erkenntnisstrategien gefragt wird als auch nach Möglichkeiten, diese Verluste durch Rekontextualisierungen gering zu halten. Zu klären ist in diesem Teilschritt außerdem das Verhältnis zwischen dem Nichtwissen der Wissenschaft einerseits, dem bei der Wissenserzeugung nur implizit und „stillschweigend“ in Anspruch genommenen Wissen (tacit knowledge) andererseits (vgl. dazu weiter führend Collins 2001). b) In diesem Teilschritt soll das zuvor theoretisch entwickelte Konzept der Nichtwissenskulturen an einigen, für die Fallstudien zentralen (Teil-)Disziplinen (z.B. Molekulargenetik der Pflanzen, Ökologie, Umweltmedizin, Ökotoxikologie) weiter differenziert und überprüft werden. Das Ziel besteht darin, zumindest in groben Umrissen die jeweiligen disziplinären Mechanismen und Formen der Erzeugung, Wahrnehmung und Bearbeitung von Nichtwissen zu rekonstruieren. Methodisch wird sich dieser Teilschritt neben der Auswertung von ausgewählten „paradigmatischen“ Texten aus den jeweiligen Disziplinen (etwa Lehrbücher, Review-Artikel, Methodenreflexionen u.ä.) sowie wissenschaftsgeschichtlichen, -soziologischen und theoretischen Darstellungen auch auf Experteninterviews mit Fachwissenschaftlern stützen. Die Interviews sollen zum Teil orientiert an der Repertory Grid-Methode (vgl. zur Übersicht Fromm 1995) geführt werden, um einen detaillierteren Zugang zu den Wissenskonstruktionen und -ressourcen der Befragten zu bekommen.10 Insgesamt sind für diesen Teilschritt 15 Interviews vorgesehen. 10 Bei dieser Interviewmethode wird der/die Interviewte zunächst hinsichtlich bestimmter Wissenselemente zu einem Problem oder einer wichtigen Fragestellung befragt. Er baut also zunächst einen assoziativen Beschreibungsraum für das zu diskutierende Problem oder Problemfeld auf. Danach wird der Proband in einem zweiten Schritt nach Kriterien befragt, die seiner Einschätzung nach für die Beurteilung eines Problems zentral sind. Er beurteilt also die Beschreibungselemente durch seine eigenen Kriterien und lässt dabei erkennen, nach welchen generellen Mustern er die Fragestellung strukturiert und welche er weshalb als irrelevant einstuft. 16 Meilenstein 1: Typologie unterschiedlicher epistemischer Kulturen als Wissens- und Nichtwissenskulturen. Arbeitsschritte 2 bis 4: Ausarbeitung der Fallstudien Übergreifendes Ziel der Fallstudien ist es, anhand der drei ausgewählten Beispielsfelder die unterschiedlichen Formen, Dynamiken und Effekte der Thematisierung von wissenschaftlichem Nichtwissen im Spannungsfeld von disziplinären (Nicht)Wissenskulturen und gesellschaftlichen Gestaltungsöffentlichkeiten zu analysieren. Die Beispielsfälle sind dabei so ausgewählt, dass sie einerseits unterschiedliche wissenschaftliche, disziplinäre Reaktionsformen auf Nichtwissen erkennen lassen, andererseits verschiedene Phasen und Intensitäten der gesellschaftlichen Kommunikation von Nichtwissen repräsentieren. Es bietet sich an, die Fallstudien vorläufig in die folgenden drei aufeinander aufbauenden Teilschritte zu untergliedern, deren Ausgestaltung dann jeweils fallspezifisch zu konkretisieren und zu modifizieren ist: a) Erstellung einer „Diskurslandkarte“ im Hinblick auf die Kommunikation von Nichtwissen in den untersuchten Feldern; b) exemplarische Vertiefung anhand eines oder zweier Teilbereiche, die im Hinblick auf die NichtwissensProblematik besonders aussagekräftig erscheinen; c) Herausarbeiten der wesentlichen Formen des gesellschaftlichen (wissenschaftlichen, politischen, rechtlichen, medialen etc.) Umgangs mit Nichtwissen in den einzelnen Beispielsfeldern. Die Fallstudien werden sich aus forschungspragmatischen Gründen jeweils auf die Situation in der Bundesrepublik Deutschland beschränken und nur gelegentlich und punktuell Vergleiche mit anderen Ländern einbeziehen. a) In diesem Teilschritt sollen zunächst der Stand und die unterschiedlichen Formen der Thematisierung und Kommunikation von Nichtwissen in den einzelnen Feldern detailliert rekonstruiert werden. Dabei geht es zum einen darum, von welchen sozialen Akteuren und/oder Institutionen Nichtwissen zum Thema gemacht wird. Das Augenmerk wird sich dabei vor allem auf die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, auf Wirtschaft, Medien, Politik, Recht, (Umwelt-)Verbände und Bürgerinitiativen sowie die Laienöffentlichkeit (etwa im Rahmen von Verfahren der partizipativen Technikfolgenabschätzung oder in Internetforen) richten. Zum anderen ist es von entscheidender Bedeutung herauszuarbeiten, welche Formen von Nichtwissen („Noch-Nicht-Wissen“ oder „Nicht-Wissen-Können“? etc.) dabei (explizit oder implizit) kommuniziert werden, da hier ein wesentliches Element der Entstehung, Dynamisierung und Verhärtung von Konflikten liegen kann. Bearbeitet werden sollen diese Fragestellungen im wesentlichen mit Methoden der sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse (vgl. Keller et al. 2001) und der PolicyForschung; ergänzend zur Auswertung von wissenschaftlichen Publikationen, Presseveröffentlichungen, politisch-rechtlichen Regulierungsvorschlägen, Stellungnahmen von Verbänden etc. sollen auch Interviews mit verschiedenen Akteuren aus den einzelnen Beispielsfeldern geführt werden. Vorgesehen sind insgesamt (d.h. für alle drei Teilschritte) 30 Interviews, jeweils zehn pro Fallstudie. b) Angesichts der Vielschichtigkeit der Beispielsfälle wird es erforderlich sein, jeweils ein oder zwei besonders relevante und/oder aufschlussreiche Teilbereiche zur 17 vertiefenden Analyse auszuwählen. Das Ziel dabei ist, spezifische und möglicherweise neuartige Formen des kognitiven und/oder institutionellen Umgangs mit Nichtwissen detailliert zu untersuchen. Im Bereich der „Grünen Gentechnik“ bietet sich hierfür besonders die aktuelle Diskussion um Kriterien, Reichweite und Aussagefähigkeit des sogenannten „Nachzulassungs-Monitorings“ bei der Freisetzung transgener Pflanzen an, das wir als eine erste institutionelle Reaktion auf die Problematik des (unerkannten) Nichtwissens interpretieren. Daneben käme mit dem Einsatz gentechnischer Methoden bei der Produktion und/oder Optimierung landwirtschaftlicher Nutztiere ein bisher weniger beachtetes Feld in Betracht (vgl. dazu Meier et al. 2002). Für die Fallstudie „Elektrosmog“ bieten sich bspw. die Auseinandersetzungen um die Grenzwertfestsetzung für (hochfrequente) elektromagnetische Strahlung für eine vertiefende Analyse an. Welche expliziten oder impliziten Annahmen über die Relevanz von Nichtwissen werden dabei zugrunde gelegt, welche Forschungsstrategien werden verfolgt usw.? Im Falll der PGEKatalysatoren könnte die Frage nach den möglichen gesundheitlichen und/oder ökologischen Wirkungen fein verteilter PGE-Partikel den Fokus für eine detaillierte Untersuchung bilden. Die Auswahl der Vertiefungsbereiche kann jedoch abschließend erst während der Bearbeitung des ersten Teilschritts getroffen werden - nicht zuletzt auch deshalb, weil der Diskussionsstand in den drei Beispielsfällen raschen und dynamischen Veränderungen unterliegt. Methodisch wird auch dieser Teilschritt auf Dokumentenanalysen ergänzt durch (Experten-)Interviews beruhen. Darüber hinaus kann hier im besonderen Maße auf die Kompetenzen der Mitglieder des WZU an der Universität Augsburg sowie der externen Kooperationspartner zurückgegriffen werden. c) Zum Abschluss der Fallstudien sollen jeweils die spezifischen Formen der Kommunikation von Nichtwissen sowie die unterschiedlichen Reaktionsformen und Handlungsstrategien der Akteure in den einzelnen Feldern und Bereichen zusammengefasst und systematisiert werden. Damit bildet dieser Teilschritt die Grundlage für die übergreifenden, d.h. vergleichenden und kontrastierenden Auswertungen der Fallstudien im Hinblick auf neue, vertiefte Erkenntnisse einer „Soziologie des wissenschaftlichen Nichtwissens“ (Arbeitsschritt 5) sowie auf innovative Gestaltungsoptionen und Handlungsspielräume im Umgang mit der Problematik (Arbeitsschritt 6). Die erste der drei Fallstudien (voraussichtlich zur Grünen Gentechnik) soll von den beiden Projektbearbeitern/innen gemeinsam durchgeführt werden, um die skizzierte Vorgehensweise zu erproben und ggf. modifizieren zu können. Die beiden weiteren Fallstudien sollen im Anschluss daran jeweils parallel von einem/einer Bearbeiter/in erstellt werden. Meilenstein 2: Rekonstruktion der unterschiedlichen Kommunikationsformen von und Reaktionsformen auf Nichtwissen in den drei ausgewählten Gestaltungsöffentlichkeiten. 18 Arbeitsschritt 5: Wissenschaftssoziologische Verdichtung der Fallstudien Dieser Arbeitsschritt dient in erster Linie der übergreifenden Auswertung und Systematisierung der drei Fallstudien im Hinblick auf die Fragestellungen einer Soziologie des wissenschaftlichen Nichtwissens. Worin bestehen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Thematisierung von Nichtwissen in den verschiedenen Gestaltungsöffentlichkeiten? Lassen sich daraus systematisierende Perspektiven gewinnen? Im Anschluss an Stocking/Holstein (1993) ist bspw. zu fragen: Wie wird wissenschaftliches Nichtwissen in der öffentlichen Kommunikation dargestellt und aufgegriffen, welche Interessen, Strategien und Wahrnehmungsmuster (etwa in der medialen Öffentlichkeit) spielen dafür eine Rolle? Wie wirkt umgekehrt die öffentliche Thematisierung von Nichtwissen in politischen Arenen auf die Wissenschaft (bzw. die beteiligten Disziplinen und epistemischen Kulturen) zurück? Welche Reaktionsmuster lassen sich dabei beobachten: Nehmen die betroffenen Disziplinen eher eine Abwehrhaltung gegenüber Nichtwissens-Unterstellungen „von außen“ ein – oder werden dadurch umgekehrt neue, zusätzliche Chancen und Perspektiven der epistemologischen (Selbst-)Reflexion eröffnet? Meilenstein 3: Erkenntnisse und weiter führende Hypothesen über das Wechselspiel von wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Nichtwissens-Thematisierungen in Gestaltungsöffentlichkeiten. Arbeitsschritt 6: Auswertung im Hinblick auf politisch-institutionelle Gestaltungsoptionen In diesem letzten Schritt sollen die sich aus der Analyse ergebenden Gestaltungsoptionen für den Umgang mit Nichtwissen und mit Nichtwissens-Konflikten zusammengefasst und bewertet werden: Welche neuen, innovativen Perspektiven des Umgangs mit der Problematik haben sich in den Beispielsfällen beobachten lassen, inwieweit lassen sie sich auf andere Bereiche übertragen und können sie dazu beitragen, gesellschaftliche Konflikte um die Bewertung von Nichtwissen wenn nicht zu lösen, so doch in eine produktive Form zu bringen? Da hierbei vermutlich gewisse Übersetzungsprobleme zwischen theoretischen Erkenntnissen der Wissenschaftsforschung und Risikosoziologie einerseits, den Anforderungen der politischen, rechtlichen etc. (Regulierungs-)Praxis andererseits auftreten dürften, ist in diesem Arbeitsschritt auch die Durchführung eines Expertenworkshops vorgesehen, zu dem Vertreter unterschiedlicher Akteursgruppen und aus unterschiedlichen risikopolitischen Feldern eingeladen werden sollen. Dies gibt einerseits die Möglichkeit, die Ergebnisse des Vorhabens hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf andere Risiko- und (Nicht)Wissenskonstellationen zu überprüfen. Andererseits können die Anregungen aus den verschiedenen Fallstudien möglicherweise zu verallgemeinerbaren Gestaltungsoptionen sowie (institutionellen und/oder gesellschaftlichen) Lernperspektiven im Umgang mit Nichtwissen verdichtet werden. Meilenstein 4: Innovative Gestaltungsoptionen für den Umgang mit Nichtwissen und Nichtwissenskonflikten. 19 III.2 Personalbedarf und Kooperationen Für die Durchführung der theoretisch wie empirisch anspruchsvollen Aufgaben ist die Ausstattung des beantragten Vorhabens mit zwei ganzen Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter (BAT IIa) erforderlich. Die noch auszuwählenden Bearbeiter/innen sollen über eine fundierte und breite sozialwissenschaftliche, vor allem soziologische Qualifikation und nach Möglichkeit über natur- oder ingenieurwissenschaftliche Zusatzqualifikationen, kompetenzen oder –kenntnisse sowie über Projekterfahrung verfügen. Wissenschaftliche Kooperationen sind zum einen innerhalb der Universität Augsburg vorgesehen, vor allem mit verschiedenen Mitgliedern des Wissenschaftszentrums Umwelt (s.o. II.2) sowie mit Prof. Dr. Christoph Lau, Dr. Reiner Keller und Dr. Willy Viehöver (Philosoph.-Sozialwiss. Fakultät, Lehrstuhl für Soziologie). Zum anderen konnten in der Schweiz bzw. in Großbritanniern zwei Gruppen von externen, international renommierten Kooperationspartnern gewonnen werden, die an theoretisch und thematisch ähnlichen Fragestellungen arbeiten und daher wesentlich zum Gelingen des Vorhabens beitragen können. Nicht zuletzt können auf diese Weise, wenngleich nur punktuell und unsystematisch, Sichtweisen aus anderen europäischen Ländern immer wieder im Sinne eines produktiven Kontrasts zu deutschen Wahrnehmungsmustern und Diskussionstraditionen herangezogen und fruchtbar gemacht werden. Die vorgesehenen externen Kooperationspartner sind a) Prof. Dr. Ulrich Müller-Herold und Dr. Martin Scheringer, ETH Zürich b) Prof. Dr. Brian Wynne und Mitarbeiter/innen, University of Lancaster Ulrich Müller-Herold und Martin Scheringer sind durch einschlägige Arbeiten auf dem Gebiet der naturwissenschaftlichen Umwelt- und Risikoforschung ausgewiesen und haben sich ganz wesentlich im Kontext der Chemikalienpolitik in innovativer Weise mit Fragen und Perspektiven des Umgangs mit wissenschaftlichem Nichtwissen beschäftigt (vgl. u.a. Scheringer et al. 1998). Sie können daher vor allem zu den Fallstudien „PGE-Katalysatoren“ und „Elektro-Smog“ wichtige Erkenntnisse und Erfahrungen beisteuern. Brian Wynne hat durch zahlreiche risiko- und wissenschaftssoziologische Arbeiten Beachtung gefunden und dabei auch wichtige Beiträge zur soziologischen Analyse von wissenschaftlichem Nichtwissen geleistet (Wynne 1992, 2002). Darüber hinaus hat er sich wiederholt auch mit risikopolitischen Fragestellungen im Bereich der Grünen Gentechnik beschäftigt. Die geplante Kooperation mit ihm wird sich daher sowohl auf konzeptionelle Fragen einer Soziologie des wissenschaftlichen Nichtwissens als auch auf konkrete Aspekte der Fallstudie Grüne Gentechnik erstrecken. Bisher hat Brian Wynne grundsätzliches Interesse an einer Kooperation bekundet. Eine definitive Zusage liegt aus Zeitgründen jedoch noch nicht vor. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit den externen Kooperationspartnern sind neben dem Austausch und der wechselseitigen Kommentierung von Forschungsergebnissen vor allem ein gemeinsamer Workshop, die Teilnahme am Expertenworkshop (Arbeitsschritt 6) in Augsburg sowie jeweils ein Kurzaufenthalt der Augsburger Forschungsgruppe in Zürich und Lancaster 20 vorgesehen. Angestrebt sind darüber hinaus längere Gastaufenthalte oder ein mehrwöchiger Austausch von einzelnen MitarbeiterInnen. III.3 Prüfung einer möglichen EU-Förderung Ein Antrag auf Förderung des Vorhabens durch die Forschungsförderung der Europäschen Union erscheint nach eingehender Prüfung des 6. Forschungsrahmenprogramms der EU derzeit nicht Erfolg versprechend. Abgesehen davon, dass die Problematik des Umgangs mit Nichtwissen in dem einschlägigen Abschnitt („Wissenschaft und Gesellschaft“) des 6. FRP nicht erwähnt wird, hat das beantragte Vorhaben einen stark explorativen Charakter und beschränkt sich aus diesem Grund vorläufig auf die Analyse von Nichtwissens-Diskursen in der Bundesrepublik Deutschland. Eine vergleichende Studie in mehreren europäischen Staaten, wie sie in der Regel im Rahmen der EU-Förderung zu leisten ist, erscheint gegenwärtig als noch nicht realisierbar, könnte jedoch zu einem späteren Zeitpunkt und nach einem erfolgreichen Abschluss des Vorhabens eine wichtige Ergänzung und Erweiterung darstellen. IV. Meilensteine und Zeitplanung Die oben genannten sechs Arbeitsschritte sind nicht konsequent in einer linearen Abfolge angeordnet. Vielmehr soll nur die erste Fallstudien von den Projektbearbeiter/innen zur Erprobung der Methode gemeinsam durchgeführt werden. Die beiden anderen Fallstudien werden dann, da sie mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden sind, parallel bearbeitet. Wie schon aufgeführt ergeben sich insgesamt vier Meilensteine: Meilenstein 1: Typologie unterschiedlicher epistemischer Kulturen als Wissens- und Nichtwissenskulturen. Dauer: 0,75 Jahre Umfasst: Arbeitsschritt 1 Gegliedert: 2 Teilschritte: i) theoretische Verfeinerung des Modells epistemischer Kulturen (1/4 Jahre); ii) empirische Vertiefung anhand von epistemischen Kulturen, die für die Analyse der Fallstudien von Relevanz sind (1/2 Jahr). Meilenstein 2: Rekonstruktion der unterschiedlichen Kommunikationsformen von und Reaktionsformen auf Nichtwissen in den drei ausgewählten Gestaltungsöffentlichkeiten. Dauer: 1,5 Jahre Umfasst: Arbeitsschritte 2 bis 4. Gegliedert: Arbeitsschritt 2 (Grüne Gentechnik): i) Rekonstruktion der Nichtwissensthematisierung in der Auseinandersetzung um die Grüne Gentechnik (Diskursanalyse, policy-Analyse); ii) Vertiefung anhand ausgewählter Detailstudien (zusätzlich: Experteninterviews); iii) Zusammenschau der Thematisierungsdynamik von Nichtwissen in diesen Feldern. (1/2 Jahr, beide Projektmitarbeiter/innen). Arbeitsschritt 3 (Elektrosmog): i) Untersuchung der Thematisierungsstrategien von Nichtwissen („Diskurslandkarte“); ii) exemplarische Vertiefung; iii) 21 Zusammenschau der Thematisierungsdynamik in diesem Feld. (1 Jahr, ein/e Projektmitarbeiter/in). Arbeitsschritt 4 (PGE in Autokatalysatoren): i) Strukturieren des Diskursfeldes, Untersuchung der unterschiedlichen Thematisierungsstrategien von Nichtwissen; ii) Detailanalyse mit Experteninterviews; iii) Zusammenschau der Thematisierungsdynamik in diesem Feld. (1 Jahr, ein/e Projektmitarbeiter/in). Besonderheit: Kick-Off-Workshop mit einer Kommentierung durch die Kooperationspartner am Beginn dieser Projektphase. Meilenstein 3: Erkenntnisse und weiter führende Hypothesen über das Wechselspiel von wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen NichtwissensThematisierungen in Gestaltungsöffentlichkeiten. Dauer: 0,25 Jahre Umfasst: Arbeitsschritt 5 Meilenstein 4: Innovative Gestaltungsoptionen für den Umgang mit Nichtwissen und Nichtwissenskonflikten. Dauer: 0,5 Jahre Umfasst: Arbeitsschritt 6 Besonderheit: Expertenworkshop mit risikopolitisch relevanten Akteuren und Kooperationspartnern zur zeitlichen Hälfte dieses Arbeitspaketes. V. Literatur Beck, U. (1996): Wissen oder Nicht-Wissen? Zwei Perspektiven „reflexiver Modernisierung”. In: Beck, U; Giddens, A.; Lash, S. (Hrsg.): Reflexive Modernisierung. Eine Kontroverse. Frankfurt a. Main: Suhrkamp, S. 289-315. Bonss, W.; Hohlfeld, R.; Kollek, R. (1993a): Soziale und kognitive Kontexte des Risikobegriffs in der Gentechnologie. In: dies. (Hrsg.): Wissenschaft als Kontext – Kontexte der Wissenschaft. Hamburg: Junius, S. 53-67. Bonss, W.; Hohlfeld, R.; Kollek, R. (1993b): Kontextualität – ein neues Paradigma der Wissenschaftsanalyse? In: dies. (Hrsg.): Wissenschaft als Kontext – Kontexte der Wissenschaft. Hamburg: Junius, S. 171-191. Böschen, S. (2000): Risikogenese. Prozesse gesellschaftlicher Gefahrenwahrnehmung: FCKW, Dioxin, DDT und Ökologische Chemie. Opladen: Leske + Budrich. Böschen, S. (2002a): Science Assessment: Eine Perspektive zur Demokratisierung von Wissenschaft. Expertise im Rahmen der Ausschreibung „Science Policy Studies“ des BMBF. Augsburg Böschen, S. (2002b): Risikogenese. Metamorphosen von Wissen und Nichtwissen. In: Soziale Welt 53, S. 67-86. Böschen, S.; Dressel, K.; Schneider, M.; Viehöver, W. (2002): Pro und Kontra der Trennung von Risikobewertung und Risikomanagement – Diskussionsstand in Deutschland und Europa. Berlin: TAB (TAB-Diskussionspapier Nr. 10). Böschen, S.; Lau, Chr.; Obermeier, A.; Wehling, P. (2003): Die Erwartung des Unerwarteten. Science Assessment und der Wandel der Risikoerkenntnis im Prozess reflexiver Modernisierung. In: Beck, U.; Lau, Chr. (Hrsg.): Die Antiquiertheit der Moderne. Frankfurt a. Main: Suhrkamp (im Erscheinen). 22 Böschen, S.; Scheringer, M.; Jaeger, J. (2001): Wozu Umweltforschung? Über das Spannungsverhältnis zwischen Forschungstraditionen und umweltpolitischen Leitbildern Teil II: Das Leitbild „reflexive Umweltforschung“. In: GAIA 10, S. 203-212. Böschen, S.; Viehöver, W.; Zinn, J. (2003): Rinderwahnsinn. Können Gesellschaften aus Krisen lernen? In: Berliner Journal für Soziologie 13, S. 35-58. Collingridge, D. (1980): The Social Control of Technology. New York: St. Martin’s Press. Collins, H. (2001): Tacit Knowledge, Trust and the Q of Sapphire. In: Social Studies of Science 31, S. 71-85. Dressel, K. (2002): BSE – The New Dimension of Uncertainty. The Cultural Politics of Science and Decision-Making. Berlin: edition sigma. EEA (European Environment Agency) (2001): Late lessons from early warnings: the precautionary principle 1896 – 2000. Environmental issue report, No 22. Copenhagen. Fromm, M. (1995): Repertory-Grid-Methodik: ein Lehrbuch. Weinheim: Dt. Studien-Verlag. Galison, P.; Stump, D. (eds.) (1996): The Disunity of Science. Boundaries, Contexts, and Power. Stanford: Stanford UP. Grove-White, R. (2001): New Wine, Old Bottles. Personal Reflections on the New Biotechnology Commissions. In: Political Quarterly 72 (4), S. 466-472. Hacking, I. (1983): Representing and intervening: introductory topics in the philosophy of natural science. Cambridge: Cambridge Univ. Press. Japp, K.P. (1997): Die Beobachtung von Nichtwissen. In: Soziale Systeme 3, S. 289-312. Japp, K.P. (2002): Struktureffekte öffentlicher Risikokommunikation auf Regulierungsregime. Zur Funktion von Nichtwissen im BSE-Konflikt. In: Engel, Chr.; Halfmann, J.; Schulte, M. (Hrsg.): Wissen - Nichtwissen - Unsicheres Wissen. Baden-Baden: Nomos, S. 35-74. Keller, R.; Hirseland, A.; Schneider, W.; Viehöver, W. (Hrsg.) (2001): Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, Band 1:Theorien und Methoden. Opladen: Leske + Budrich. Kirk, B. (1999): Der Contergan-Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Stuttgart: Wiss. Verlagsgesellschaft. Klitzing, L. von (2002): Welche Gefahren birgt Elektrosmog? In: Evangelische Akademie Mühlheim Ruhr (Hrsg.): Gefahrenerkennung in der wissenschaftlich-technischen Zivilsation. Mühlheim an der Ruhr: Evangelische Akademie, S. 25-34. Knorr-Cetina, K. (1996): The Care of the Self and Blind Variation: The Disunity of Two Leading Sciences. In: Galison, P.; Stump, D. (eds): The Disunity of Science. Boundaries, Contexts, and Power. Stanford: Stanford UP, S. 287-310. Knorr-Cetina, K. (2000): Die Wissensgesellschaft. In: Pongs, A. (Hrsg.): In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Bd. 2. München: Dilemma, S. 149-169. Knorr-Cetina, K. (2002): Wissenskulturen. Frankfurt a. Main: Suhrkamp. Krohn, W. (1997): Rekursive Lernprozesse: Experimentelle Praktiken in der Gesellschaft. Das Beispiel der Abfallwirtschaft. In: Rammert, W.; Bechmann, G. (Hrsg.): Technik und Gesellschaft. Jahrbuch 9. Frankfurt a. Main/New York: Campus, S. 65-89. Luhmann, N. (1992): Ökologie des Nichtwissens. In: Ders.: Beobachtungen der Moderne. Opladen: Westdt. Verlag, S. 149-220. Meier, M.; Teufel, J.; Hilbeck, A.; Tappeser, B. (2002): Transgene Tiere: Nutzung, Risiken und Möglichkeiten der Risikovermeidung. Berlin: Umweltbundesamt. Merton, R.K. (1987): Three Fragments from A Sociologist’s Notebook: Establishing the Phenomenon, Specified Ignorance, and Strategic Research Materials. In: Annual Review of Sociology 13, S. 1-28. Moldovan, M. et al. (2002): Environmental risk of particulate and soluble platinum group elements released from gasoline and diesel engine catalytic converters. In: The Science of the Total Environment 296, S. 199-208. 23 Pickering, A. (1995): The Mangle of Practice. Time, Agency and Science. Chicago, London: University of Chicago Press. Proctor, R.N. (1995): Cancer War: How Politics Shapes What We Know and Don’t Know About Cancer. New York: BasicBooks. Revermann, Ch. (2002): Wie viel Strahlung verträgt der Mensch? Gesundheitliche Aspekte der Mobilfunktechnologie. In: TAB-Brief Nr. 23 (Dezember 2002), S. 16-20. Rheinberger, H.-J. (2001): Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas. Göttingen: Wallstein. Scheringer, M.; Mathes, K.; Weidemann, G.; Winter, G. (1998): Für einen Paradigmenwechsel bei der Bewertung ökologischer Risiken durch Chemikalien im Rahmen der staatlichen Chemikalienregulierung. In: Zeitschrift für angewandte Umweltforschung 11, S. 227-233. Silny, J. (2002): Elektromagnetische Felder im Alltag. Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg. Karlsruhe. Smithson, M. (1985): Toward a Social Theory of Ignorance. In: Journal for the Theory of Social Behaviour 15, S. 151-172. Smithson, M. (1989): Ignorance and Uncertainty. Emerging Paradigms. New York/Berlin etc.: Springer. Stocking, S.H. (1998): On Drawing Attention to Ignorance. In: Science Communication 20, S. 165-178. Stocking, S.H.; Holstein, L. (1993): Constructing and reconstructing scientific ignorance: Ignorance claims in science and journalism. In: Knowledge: Creation, Diffusion, Utilization 15, S. 186-210. Strand, R. (2000): Naivety in the molecular life sciences. In: Futures 32, S. 451-470. Sures, B. (2002): Metalle aus Autokatalysatoren in der Nahrungskette, Umweltforschung Baden-Württemberg, Journal 2002, hg. von der Landesanstalt für Umweltschutz BadenWürttemberg. Karlsruhe, S. 20-21. Tacke, V. (1999): Organisatorische Risikokonstruktionen unter Bedingungen der Globalisierung von Nichtwissen: Der Fall der Rinderkrankheit BSE. In: Schmidt, G.; Trinczek, R. (Hrsg.): Globalisierung. Ökonomische und soziale Herausforderungen am Ende des 20. Jahrhunderts. Baden Baden: Nomos. S. 213-241 (zugl. Soziale Welt, Sonderband 13). Van den Daele, W. (1996): Objektives Wissen als politische Ressource. Experten und Gegenexperten im Diskurs. In: van den Daele, W.; Neidhardt, F. (Hrsg.): Kommunikation und Entscheidung. WZB Jahrbuch 1996. Berlin: ed. Sigma, S. 297-326. WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) (1999): Welt im Wandel: Strategien zur Bewältigung globaler Umweltrisiken. Jahresgutachten 1998. Berlin: Springer. Weber, B. (2000): Zum Wandel des ökologischen Risikobegriffs in der Gentechnikdiskussion. In: Breckling, B.; Müller, F. (Hrsg.): Der Ökologische Risiobegriff. Frankfurt a. Main: Peter Lang, S. 109-123. Wehling, P. (2001): Jenseits des Wissens? Wissenschaftliches Nichtwissen aus soziologischer Perspektive. In: Zeitschrift für Soziologie 30, S. 465-484. Wehling, P. (2002a): „Weshalb weiß die Wissenschaft nicht, was sie nicht weiß?“ Perspektiven einer Soziologie des wissenschaftlichen Nichtwissens. Expertise im Rahmen der Ausschriebung „Science Policy Studies“ des BMBF. Augsburg (Ms. 50 S.). Wehling, P. (2003): Ungeahnte Risiken. Das Nichtwissen des Staates – am Beispiel der Umweltpolitik. In: Collin, P.; Horstmann, Th. (Hrsg.): Das Wissen des Staates. BadenBaden: Nomos (erscheint Ende 2003). Weingart, P. (2003): Wissenschaftssoziologie. Bielefeld: transcript. 24 Winter, G. (2000): Redesigning joint responsibility of industry and government. In: Winter, G. (Hrsg.): Risk Assessment and Risk Management of Toxic Chemicals in the European Community. Baden-Baden: Nomos, S. 177-184 Wynne, B. (1992): Uncertainty and environmental learning. Reconceiving science and policy in the preventive paradigm. In: Global Environmental Change 2, S. 111-127. Wynne, B. (2002): Risk and Environment as Legitimatory Discourses of Technology: Reflexivity Inside Out? In: Current Sociology 50: 459-477. 25 2. Planungshilfen Zur übersichtlichen Darstellung wird im Folgenden ein Balkendiagramm über den Ablauf des Projektes beigefügt. Arbeitspakete/ 2003 2004 2005 Meilensteine Arbeitsschritt 1: Teilschritt 1 Teilschritt 2 Meilenstein 1 Arbeitsschritte 2 bis 4: Kick-Off-Meeting Arbeitsschritt 2: Teilschritt 1 Teilschritt 2 Teilschritt 3 Arbeitsschritt 3: Teilschritt 1 Teilschritt 2 Teilschritt 3 Arbeitsschritt 4: Teilschritt 1 Teilschritt 2 Teilschritt 3 Meilenstein 2 Arbeitsschritt 5 Meilenstein 3 Arbeitsschritt 6 Durchführung Expertenworkshop Meilenstein 4 2006