1 Prof. Dr. Günter Gerhardinger „Soziale Arbeit mit Einzelnen und Familien“ Skriptum zur Lehrveranstaltung Teil 3: III. Konzepte der sozialen Arbeit mit Einzelnen und Familien 1. Vorüberlegungen 2. Der psychosoziale (diagnostische) Ansatz in der Sozialen Einzelhilfe 3. Das Case Management III. Konzepte der sozialen Arbeit mit Einzelnen und Familien 1. Vorüberlegungen Bei der Darstellung der handlungsleitenden Konzepte für die Praxis der sozialen Arbeit mit Einzelnen und Familien kann von einer Grobunterscheidung in - sog. klassische Konzepte der sozialen Einzelhilfe (incl. Arbeit mit Familien) (z.B. "Psychosoziale Einzelhilfe" nach Hollis, "Problemlösende Einzelhilfe" nach Pearlman, "Funktionale Einzelhilfe" nach Smalley) und - neuere Konzepte (z.B. "Engagierter Dialog" nach Hege, "Life-Model" nach Germain/ Gitterman, "Case-Management" nach Wendt). ausgegangen werden. Bei der Analyse der vorliegenden Kozepte zur sozialen Arbeit mit Einzelnen und Familien können (wie in der Sozialen Arbeit allgemein) zwei Richtungen (Tendenzen) in Bezug auf das Vorgehen ausgemacht werden. Zum einen sind es Konzepte mit einem eher integrativen Charakter. Zum anderen stehen emanzipatorische Bemühungen im Vordergrund. In Konzepten mit integrativer Grundtendenz ist die SozialarbeiterIn die ausgewiesene ExpertIn. Die Probleme werden von Seiten der Sozialen Arbeit definiert. Diese bestimmt, was "normal" ist und was als "abweichendes Verhalten" bezeichnet werden kann. Die Problemlösungen sind dementsprechend an eben dieser Normalität orientiert. Die Lösungswege sind "vorgegeben", da die Soziale Arbeit ja "weiß", wo sie ihre KlientInnen haben möchte und wie sie sie an diese Ziele bringen kann. Das Handeln gestaltet sich innerhalb eines solchen Konzeptes natürlich systemimmanent und ist meistens unkritisch auf die Gesellschaft bezogen. Beim emanzipatorischen Vorgehen handelt es sich um den von der Kritik an den integrativen Vorstellungen ausgehenden "Gegenentwurf". Hier ist die SozialarbeiterIn nicht ExpertIn, sondern PartnerIn. Die Problemfassungen werden "ausgehandelt". Problem"lösungen" sind eigentlich keine solchen mehr, da emanzipatorisches Geschehen sich nur als offenes Geschehen gestalten kann. Die Veränderung orientiert sich an dem, was die KlientIn als "Wohlergehen" formuliert. Verbesserungen in Richtung eines "gelingenderen" (nicht gelingenden!) Alltags (vergl. Thiersch 1986, S.37) entspringen wiederum den angedeuteten Aushandlungsprozessen. 2 Das Handeln ist innerhalb solcher Konzepte nicht auf Systemerhaltung ausgerichtet. Die Möglichkeit der (nicht vorher formulierten) Veränderung wird miteinbezogen (Systemtransparenz). 2. Der psychosoziale (diagnostische) Ansatz in der Sozialen Einzelhilfe 2.1. Der systemische Ansatz Florence Hollis sieht ihr Konzept von Sozialer Einzelhilfe im wesentlichen als "systemtheoretischen Ansatz" (Hollis 1982, S. 48): "Das Kernstück der psychosozialen Arbeitsweise lag von ihren Anfängen bei Mary Richmond an und während ihrer weiteren Entwicklung in der Betonung von Individuum und Situation als den Faktoren, die durch die Diagnose erfaßt werden müssen, und als den Elementen, in denen durch die Einzelhilfe Veränderungen bewirkt werden können. Man hat allgemein erkannt, daß durch das Aufeinanderwirken des einzelnen und seiner Situation Veränderungen in der Umwelt das Verhalten des Menschen beeinflussen, ebenso wie Veränderungen im Menschen sich auf das Zusammenspiel der Elemente seiner Umgebung auswirken. Dabei handelt es sich ganz offensichtlich um ein Konzept der Systemtheorie" (Hollis 1982, S. 72 f). Der systemtheoretische Gedanke wird von Hollis auf drei Ebenen festgemacht: - auf der umfassenden Ebene des "Person-in-ihrer-Situation-Gefüges, der Ebene des interpersonellen Systems und der Ebene des Persönlichkeits-Systems. Diagnose und Behandlung sind auf das "Person-in-ihrer-Situation-Gefüge" abgestellt (Hollis 1982, S. 48, vergl. auch Hollis 1973, S. 27). Der hilfebedürftige Mensch wird "im Zusammenhang mit seinen Interaktionen oder Transaktionen mit der Umwelt gesehen", wobei insbesondere die Wichtigkeit der Familie betont wird (Hollis 1982, S. 48). Angenommen wird, "daß ein ständiger Austausch zwischen den verschiedenen Komponenten stattfindet und daß das gegenseitige Aufeinanderwirken ein lebendiges, wenn auch manchmal labiles Gleichgewicht erhält" (Hollis 1982, S. 48). Die Parsonsche Vermischung von Psychoanalyse und sozialwissenschaftlichen Überlegungen in dessen Systemtheorie ist hier als Einfluss deutlich zu erkennen (vergl. Hollis 1973, S. 27; Hollis 1982, S. 52). Analog zu Parsons verwendet Hollis den Begriff "Persönlichkeits-System". Für sie ist "die organismische Sicht, aus der das Individuum betrachtet wird, ..... selbstverständlich eine Systemformulierung" (Hollis 1982, S. 48). Das Verständnis des Systems Persönlichkeit wird mit Hilfe der Persönlichkeitstheorie Freuds geleistet, womit der zweite wesentliche wissenschaftliche Bezugspunkt des psychosozialen Konzepts der Sozialen Einzelhilfe angesprochen wäre. Die Persönlichkeit der KlientIn selber wird also wiederum als System gesehen: "Da die Persönlichkeitstheorie, die der psychosozialen Ar- 3 beitsweise zugrunde liegt, hauptsächlich auf Freud zurückgeht, sehen wir das Persönlichkeits-System als eine Reihe aufeinanderwirkender Kräfte, die als Es, Ego und Super-Ego bezeichnet werden. Das Wirken der vielen Ego-Aspekte, in das das Funktionieren der Abwehrmechanismen eines Menschen eingeschlossen ist, hat große Bedeutung bei der Beurteilung, ob die Versuche des Klienten, mit seinen Problemen fertig zu werden, angemessen sind und wie weit er selbst zu seinen Schwierigkeiten beiträgt. Die Ego-Funktionen eines Menschen müssen selbst dann überprüft werden, wenn die Ursachen seines Problems hauptsächlich in der Situation und weniger in der Persönlichkeit liegen" (Hollis 1982, S. 67). Dieses Konstrukt ist nicht unproblematisch. Es wird hier ein System konstruiert, das aus logisch völlig unterschiedlichen Ebenen besteht. Während die Persönlichkeitssysteme, die das interpersonelle System konstituieren, reale Menschen sind, werden diese aus thoretischen Annahmen, dem ES, dem Ich und dem Über-Ich aus der Lehre Sigmund Freuds zusammengesetzt. Wissenschaftstheoretisch ist dieses Vorgehen nur sehr bedingt akzeptabel. Aus den "Persönlichkeits-Systemen der einzelnen Menschen" setzt sich dann das "interpersonale System" , z. B. "Eltern - Kind, Ehemann - Ehefrau, Familie", zusammen (Hollis, 1982, S. 73 f). In diesem interpersonellen System finden Transaktionen statt. Probleme gibt es bei diesen Transaktionen insbesondere bei gestörten Wahrnehmungen und eingeschränkter Kommunikation der Beteiligten (vergl. Hollis 1982, S. 74). Abb.: "Person-in ihrer Situation-Gefüge" nach Florence Hollis Persönlichkeitssysteme Transaktionen zwischen den Systemkomponenten ICH ÜIch Es Person-in ihrer Situation-Gefüge 4 Aus diesen grundlegenden Systemvorstellungen leiten sich die wesentlichen Punkte des sozialarbeiterischen Prozesses, insbesondere die Diagnose und die Behandlung, ab. 2.2. Der Begriff der Diagnose im psychosozialen Konzept von Florence Hollis "Diagnose" spielt im Konzept der sozialen Einzelhilfe von Hollis eine zentrale Rolle. Die ursprüngliche Bezeichnung "diagnostische Richtung" verweist darauf. Beim Diagnostizieren bemühen wir uns laut Hollis, "aus dem vorhandenen Material, das wir vor dem Hintergrund dessen betrachten, was wir über menschliches Verhalten und soziale Gegebenheiten wissen, zu erfahren, welche Schwierigkeiten der Klient hat, was zu ihnen beiträgt, wo Änderungen herbeigeführt werden können, die seine Probleme entschärfen oder lösen, und welche Schritte der Sozialarbeiter unternehmen kann, um dieses Ziel zu erreichen" (Hollis 1982, S. 64). Dabei "(besteht) der Diagnoseprozeß ..... aus einer kritischen Durchleuchtung des Komplexes 'Klient-in-seiner-Situation' und der Schwierigkeiten, die zur Kontaktaufnahme mit der Sozialstelle führten. Zweck dieser Untersuchung ist, die Natur des Problems genauer und deutlicher zu erkennen. Der spezifische Komplex dieses Klienten in seiner Situation muß dabei wiederholt mit einer Reihe von ungefähren Normen verglichen werden. Diese Durchschnittswerte betreffen das Verhalten des Klienten und andere zur Sache gehörende Aspekte seiner sozialen Situation und die konkreten Gegebenheiten" (Hollis 1982, S. 65). Diese Aussage ist eine der problematischten im Konzept von Hollis. Der Vergleich mit einer "Reihe ungefährer Normen" (gesellschaftlicher Durchschnittswerte) lässt eine ganze Reihe von nicht ungefährlichen Missverständnissen zu. Gesellschaftliche Durchschnittswerte können, abgesehen davon, dass es äußerst schwierig sein dürfte, sie für die vielen Bereiche menschlichen Verhaltens zu erheben und zu beschreiben, nicht einfach als Orientierungspunkt für die (Re)Integration von Menschen genommen werden. Geht man trotzdem so vor, wird Soziale Arbeit zu einer unkritischen Anpassung an bestehende Zustände. Dies ist auch einer der Hauptkritikpunkte, die an der psychosozialen Richtung der sozialen Einzelhilfe angebracht werden müssen. Die "kritische Durchleuchtung des Klient-in-seiner-Situation-Gefüges" hinsichtlich der Erstellung einer Diagnose geschieht unter Berücksichtigung dreier Aspekte (die eigentlich eine Einheit bilden und nur zu Analysezwecken getrennt werden können) vor sich: - dem dynamischen Aspekt (Wirkung verschiedener Aspekte in der Persönlichkeit des Klienten aufeinander und Beeinflussung dieser Aspekte durch sein gesamtes Verhalten? Wechselwirkung zwischen dem Verhalten eines Menschen und dem anderer Menschen und Systeme; Auswirkungen von Veränderungen eines Teils eines Systems; gegenseitige Beeinflussung von Systemen); - dem ätiologischen Aspekt (Erkundung der Frage, ob Faktoren mit ursächlichem Charakter im gegenwärtigen Kräftespiel oder in vergangenen Ereignissen liegen); - dem klassifikatorischen Aspekt (Klassifizierung/ Kategorisierung der verschiedenen Aspekte im Verhalten und Handeln des Klienten; evtl. auch Einschluß einer klinischen Diagnose) (vergl. Hollis 1982, S. 66; vergl. S. 86). "Diese beschriebene Dreiheit von Einsichts- und Verständnismöglichkeiten entsteht, wenn das Klient-Situation-Gefüge aus der Perspektive verschiedener sozialer und psychologischer Bezugsrahmen betrachtet wird" (Hollis 1982, S. 66). Hollis vergleicht dies "mit der fluoroskopischen 5 Betrachtung eines lebendigen Organismus", "die dem Sozialarbeiter nicht nur zeigt, durch was und in welcher Weise die Schwierigkeit verursacht wird, sondern ihm auch Hinweise darauf gibt, bei welchen Aspekten der Person oder der Situation eine Änderung nützlich und möglich sein könnte und welche positiven und negativen Auswirkungen sie wahrscheinlich auf die anderen Teile des Gesamtkomplexes haben würde" (Hollis 1982, S. 86; vergl. S. 74). Dabei wird nach "Echostellen" gesucht, "das heißt, nach den möglichen Veränderungen, die im Gesamtgefüge die größtmögliche Wirkung hervorrufen" (Hollis 1982, S. 66). Herangeszogen wird hier das "Prinzip der Äquifinalität oder des gleichwertigen Endergebnisses". "Die Untersuchung eines Falles kann mehr als eine Art von Veränderungen ergeben, die eine Besserung versprechen. Mehrere Sozialarbeiter wählen vielleicht verschiedene Arbeitsweisen und erreichen damit ähnliche Ziele. Dies bedeutet nicht, daß alle Methoden gleich angemessen sind, sondern vielmehr, daß häufig mehrere Möglichkeiten innerhalb einer begrenzten Anzahl wirksam sein können" (Hollis, S. 86). Aussagen von Hollis lassen jedoch darauf schließen, dass häufig auf die intrapersonellen Echostellen rekurriert werden wird: "Obwohl wir uns bei zwischenmenschlichen Schwierigkeiten darum bemühen, die Familie oder andere interpersonelle Systeme zu verändern, können wir uns nicht der Aufgabe entziehen, auch auf die Modifizierung der Persönlichkeiten oder besser gesagt der Persönlichkeits-Systeme der betroffenen Menschen hinzuarbeiten" (Hollis 1982, S. 74). 2.3. Der Behandlungsprozess Die Aufgabe der sozialen Einzelhilfe besteht in diesem Konzept darin, das Person-in-ihrerSituation-Gefüge so zu beeinflussen und zu modifizieren, dass die Betroffenen darin wieder ohne größere Schwierigkeiten leben können. Für Hollis ist Behandlung in der sozialen Einzelhilfe "eine abgestimmte Mischung von Vorgängen", die "auf eine Änderung in der Person oder in ihrer sozialen oder zwischenmenschlichen Umgebung oder in beiden hinarbeitet ..... Zum größten Teil werden diese Ziele in Besprechungen zwischen Klient oder Klienten, Sozialarbeiter und wichtigen anderen Personen und durch ein Angebot an konkreten Hilfsmaßnahmen verfolgt" (Hollis 1971, S. 49). Im Behandlungsprozess selbst wird unterschieden zwischen direkten und indirekten "Behandlungsmethoden. Indirekte Behandlung bedeutet dabei die Beeinflussung der Umwelt des Klienten. Der Sozialarbeiter kann als "Beschaffer", "Auffinder", "Dolmetscher", "Vermittler", "Anwalt" und "Veränderer" tätig sein. Direkte Behandlung bedeutet die unmittelbare Arbeit mit dem Klienten (vergl. Hollis 1982, S. 78 f). "In den meisten Fällen wird ein Kontakt zwischen dem Klienten und einem System von Hilfsmöglichkeiten oder -quellen hergestellt, dessen sich der Klient weiter bedienen soll" (Hollis 1982, S. 79). Die Behandlung "besteht aus einer Reihe verbaler und nicht-verbaler Kommunikationen". Es wird hier zwischen Unterstützung und direkter Beeinflussung unterschieden. "Äußerungen, die unter die Rubrik 'Unterstützung' fallen, sind solche, in denen ein Sozialarbeiter sein Interesse am Klienten, sein mitfühlendes Verständnis, seinen Wunsch zu helfen, sein Vertrauen in den Klienten und seine akzeptierende Haltung oder seine Zustimmung zum Ausdruck bringt" (Hollis 1982, S. 80 f). Direkte Beeinflussung besteht in Ratgeben, Vermitteln von Informationen etc.. Es wird betont, dass Diagnose und Behandlung in einem sehr engen Verhältnis stehen und dem dynamischen Aspekt des Person-in-ihrer-Situation-Gefüges Rechnung tragen sollen, indem sie sich ebenfalls dynamisch darstellen (vergl. Hollis 1982, S. 85 ff). Für die Behandlung im psychosozialen Konzept von Hollis ist "die Dimension der Kommunikationsdynamik (Hervorh. d. Verf.) von besonderem Interesse". Dadurch, dass die Behandlung aus einer Reihe von verbalen und nicht-verbalen Kommunikationen besteht, wird eine verändernde Dynamik erzeugt. 6 Hollis unterscheidet dabei sechs Möglichkeiten, von denen je die Hälfte nichtreflektierende Dynamik und reflektierende Dynamik bezeichnet, wobei der Ausdruck "'reflektierend' ..... im Sinne von 'geistiger Betrachtung', 'kontemplativ' gebraucht (wird)" (Hollis 1982). Nichtreflektierende Dynamik steht dabei für "a) Kommunikationen, durch die der Sozialarbeiter den Klienten zu unterstützen sucht, und zwar durch Äußerungen des Interesses, der Sympathie und des Verständnisses, des Wunsches zu helfen, des Vertrauens in den Klienten und seiner wertungsfreien Annahme; b) Kommunikationen, die das Verhalten des Klienten direkt unterstützen oder bremsen, indem der Sozialarbeiter seine Ansichten oder Haltungen verdeutlicht; c) Kommunikationen, die die Erforschung oder Erörterung von Material anregen, das mit dem Wesen oder der Situation des Klienten ..... zusammenhängt ....." Reflektierende Dynamik bezeichnet Kommunikationen, die den Klienten zur nachdenklichen Betrachtung, zum Verständnis und zum bewußten Erfassen anregen und zwar in Bezug auf "d) des Klienten Person-Situation-Gefüge in der Gegenwart oder der den Erwachsenen betreffenden Vergangenheit; e) die psychologische Struktur und Dynamik im Verhalten des Klienten oder f) Aspekte aus dem früheren Leben des Klienten, die mit seinem jetzigen Verhalten in Zusammenhang zu stehen scheinen" (Hollis 1982, S. 81; Absatzbildung durch Verf.). Ein weiterer zentraler Begriff im Behandlungsvorgang ist die helfende Beziehung. Die Beziehung zwischen SozialarbeiterIn und KlientIn soll ein Mittel der Kommunikation zwischen den an der Behandlung beteiligten Personen sein; "sie besteht in einer Reihe von Haltungen und einer Reihe von Reaktionsweisen, die sich im Verhalten ausdrücken" (Hollis 1971, S. 168). Bezugspunkt dafür ist das Rekurrieren auf eine "jedem Individuum eigene Würde". "Es ist diese Grundhaltung, die die für eine erfolgreiche Behandlung unerläßliche Vertrauensatmosphäre schafft. Aus ihr entstehen die zwei Hauptmerkmale des Verhaltens der SozialarbeiterInnen gegenüber ihren KlientInnen: das wohlwollende Annehmen und der Glaube an die Selbstbestimmung des Einzelnen" (Hollis 1971, S. 30). Dadurch, dass die Persönlichkeit der SozialarbeiterIn zum wichtigsten Bestandteil der Behandlung gemacht wird, wird hier "die These vom instrumentellen Charakter der Persönlichkeit und der gelebten Werthaltung deutlich" (Peter 1982, S. 17). Von der SozialarbeiterIn wird daher auch eine gelebte positive Werthaltung gefordert, die auch in ihre Ausbildung eingehen soll, wie z.B. in einer Grundaussage der klassischen Methodenliteratur formuliert wird: "Der Studierende wird sich nicht der Einsicht verschließen können, daß Menschen, die im Rahmen ihrer beruflichen Arbeit anderen Menschen dazu verhelfen wollen, in reiferer Weise mit dem Leben fertig zu werden, selbst über einen gewissen Grad von Reife verfügen müssen" (Bang 1958, S. 22). Wie die Problemlösung mit Hilfe der "helfenden Beziehung" vonstatten gehen soll, wird nur sehr undeutlich beschrieben. Die KlientIn soll in der SozialarbeiterIn eine Person ihres Vertrauens 7 sehen können, da "der Erfolg aller Maßnahmen ..... in hohem Maße vom Vertrauen des Klienten in der Sozialarbeiter als Fachmann oder als Autoritätsperson ab(hängt)" (Hollis 1971, S. 177). In der sogenannten "korrigierenden Beziehung" "kann man wünschenswerte, psychisch gesunde Aktivitäten des Klienten fördern ....." (Hollis 1971, S. 178 f). Die SozialarbeiterIn soll zum Vorbild werden und über ihre Persönlichkeit und die Beziehung zu ihr zur Identifikation einladen: "Es handelt sich um nachahmendes Lernen, das in dauerhafter Weise in der Persönlichkeit des Klienten seinen Niederschlag finden kann" (Hollis 1971, S. 181). Angesichts solcher Postulate stellt sich natürlich sofort die Frage, wie denn nun die SozialarbeiterInnenpersönlichkeit beschaffen sein soll, damit sie diesen Ansprüchen gerecht werden kann. Kritisch betrachtet worden ist hier immer schon die Funktion der SozialarbeiterIn über eine (unkritische) gesellschaftsbejahende Haltung zu einer Integration (Anpassung) der Klienten innerhalb eines systemimmanenten Vorgehens beitragen zu müssen. Dieser unkritisch gesellschaftsbejahende Ansatz wird deutlich, wenn die von Hollis zur Verfügung gestellten Praxisbeispiele analysiert werden (vergl. Hollis 1971, S. 53-65). In den Fallgeschichten - - - wird aufgrund der Vorgabe einer Normalität diagnostiziert. Von dieser Normalität abweichendes wird überhaupt nicht zugelassen; findet die Behandlung unter bestimmten Zielvorgaben statt, die wiederum von Normalitätsvorstellungen ausgehen. Das gemeinsame Entwickeln einer neuen Existenzform für die in den Fällen agierenden wird ausgeschlossen; ist der Ausgangspunkt ein Status quo, der wieder erreicht werden soll (z.B. Ehe). Deutlich wird hier ein eher harmonistisches Weltbild. Alternativen (wie z.B. Ehescheidung) werden ausgeschlossen; ist das Vorgehen sehr stark individuumzentriert. Es werden Persönlichkeiten (Persönlichkeitssysteme) und höchstens die sie umgebenden privaten Systeme behandelt. Darüber hinausgehende makrosoziale Faktoren (wie die Rolle der Frau in Ehe, Familie etc., aber auch problematische männliche Rollenverständnisse) kommen nicht ins Gespräch. Insgesamt also ist das psychosoziale Konzept Sozialer Arbeit mit Einzelnen von Florence Hollis als ein integratives Konzept mit all seinen kritikwürdigen Punkten zu sehen. Die Beschäftigung mit diesem Konzept ist wichtig, da in ihm wesentliche Merkmale des sozialarbeiterischen Vorgehens in der Arbeit mit Einzelnen und Familien grundgelegt sind. In diesem Konzept gezeichnete Strukturen kennzeichnen die Praxis sozialer Arbeit in diesem Bereich auch heute noch ganz wesentlich. 8 3. Das Case Management 3.1. Vorüberlegungen - Zur Entwicklung des Case Managements Seit Beginn der 1990er Jahre kann in der Sozialen Arbeit mit Einzelnen und Familien beobachtet werden, dass mehr und mehr die Umschreibung der Praxis mit Hilfe des Begriffes Case Management geschieht. Dies wurde zunächst eher als modische Erscheinung abgetan, zusammenhängend mit einem zu dieser Zeit allgemein einsetzenden Trend, gesellschaftliche Erscheinungen mit Begriffen aus der Ökonomie zu erfassen. Der Verlauf der 90er Jahre hat aber dann gezeigt, dass dieser Trend zur Ökonomisierung weiter Bereiche der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland ein anhaltender war und so ist es nicht verwunderlich, dass dieser Trend auf die Soziale Arbeit nicht nur übergegriffen, sondern sich dort zumindest im fachlichen und wissenschaftlichen Diskurs zur Leitlinie entwickelt hat. Festgestellt werden kann die "Verbetriebswirtschaftlichung Sozialer Arbeit" (vergl. SchmidtGrunert 1996) auf zwei Ebenen: der Ebene der Effizienz- und Effektivitätserhöhung der Institutionen, was sich in der Diskussion vor allem als Sozialmanagement niedergeschlagen hat und für unseren Kontext besonders interessant, der Ebene der Fallbearbeitung. Nicht nur institutionelle Voraussetzungen sollten betriebswirtschaftlichen Rationalitätskriterien unterworfen werden, sondern auch die Bearbeitung der Fälle selbst. Management als Handlungskategorie zur Verbesserung und Optimierung von Handlungsabläufen wird nicht nur für die Träger und Einrichtungen propagiert, sondern auch für das Geschehen auf der Mikroebene der Sozialarbeit, den Umgang mit den KlientInnen selbst. Die betroffenen Personen sollen nun nicht mehr behandelt, therapiert etc. werden, es wird nicht mehr interveniert, sondern Lebenskontexte von Menschen sollen so gehandhabt, "gehandelt", also gemanaged werden, dass das Leben wieder gelingen kann. Ausgangspunkt für das Case Management als Konzept der Sozialen Arbeit mit Einzelnen und Familien ist eine im Rahmen der allgemein ablaufenden Ökonomisierung der Gesellschaft vehement vorgetragene Kritik der herkömmlichen Sozialen Arbeit in diesem Bereich. Diese Kritik umfasst regelmäßig zwei Aspekte, einen quantitativen (die Soziale Arbeit würde in Zeiten knapper Mittel zuviel kosten und darüber hinaus mit den zur Verfügung gestellten Mitteln nicht effizient umgehen, ja, sie nicht selten verschleudern) und einen qualitativen (die Soziale Arbeit würde trotz großer Mittelverschwendung nichts rechtes hervorbringen und bei den zu bearbeitenden Problemen weitgehend versagen) (vergl. Gehrmann/ Müller 1996, S. 45-55)1. Diese Doppelkritik ist an und für sich nicht neu, sie ist eigentlich eine kontinuierliche Begleiterin Dies geschieht meist in sehr publikumswirksamer und plakativer, die Soziale Arbeit geradezu verunglimpfender Art und Weise: 1 "Wir erleben Jugendhäuser, in denen sich längst nicht mehr die Jugendlichen treffen, für die diese ursprünglich gedacht waren: Jugendliche, die in einem Stadtteil die geringsten Chancen haben, ihre Freizeit nach ihren Bedürfnissen und gleichzeitig in gesellschaftlich akzeptierten Bahnen zu organisieren. Dort arbeiten seit langen Jahren Sozialarbeiter, die das Ende der Selbstorganisationsbewegung in Jugendzentren verschlafen haben. Diese leisten dann wenig effektive Jugendarbeit und 'bedienen' lediglich einige Neigungsgruppen, um ihren eigenen Hobbies nachgehen zu können. Gleichzeitig treffen sich zunehmend Jugendliche auf der Straße und begehen aus unterschiedlichen Motiven die ersten Schritte in einen für sie selbst nicht wünschenswerten sozialen Aus- oder weiteren Abstieg." /Gehrmann/ Müller, S. 46) 9 der Professionalisierungsgeschichte der Sozialen Arbeit. Zu Beginn der 90er Jahre aber wird daraus eine seltsame Mischung, die einschneidende und mit schmerzhaften Mittelkürzungen einhergehende Veränderungen in der Sozialarbeit hervorbringt und diese nicht nur mit knappen Mitteln, sondern vielmehr mit Qualitätssteigerung begründet. Weitgehend unwidersprochen kommt sehr schnell das Schlagwort von mehr Qualität bei weniger Ressourcenverbrauch in die Diskussion, letztendlich eine primitiv-naive Übertragung des ökonomischen Prinzips in die Soziale Arbeit. Man müsste nur die Praxis der Sozialen Arbeit entsprechend umgestalten, dann bräuchte es weniger Mittel bei gesteigerter Qualität der Ergebnisse der Sozialen Arbeit2. Die wesentlichen Elemente zur Umgestaltung einer Sozialarbeit, welche angeblich als "Samariter mit caritativem Engagement", "sich bis zum Ausbrennen für die tätige Nächstenliebe auf(...)opfer(t), ohne Feierabend und Privatsphäre, die den Klienten jederzeit offensteht" und in deren "Wohnung ..... dann obdachlose Klienten übernachten (könnten)" (Gehrmann/ Müller 1996, S. 51 f), kommen aus einer professionellen Ecke, die nicht wie diese irrational mit Problemen umgehe. Gemeint sind (betriebs)wirtschaftliche Elemente, denn: Es müsse "ins Bewußtsein der Praktiker treten, daß Management in sozialen Organisationen im sozialen Sinne 'ganzheitliche Lösungen' anstrebt. Diese betreffen die Konzeption auf der Ebene der Organisation, der Zielentwicklung, der Kooperationsbeziehungen der Mitarbeiter untereinander sowie mit Klienten, die Funktionalität der Arbeitsplätze und die Dokumentation der Arbeit und nicht zuletzt die konkreten Arbeitsvollzüge auf Konzept- Methodenebenen. Sozialarbeiter brauchen Management-Kompetenzen, damit sie Fehlentwicklungen und Widersprüche erkennen und auch wissen, wie man diese verringern kann und vor allem auch, wie eine kompetente Leitung einer Einrichtung verantwortlich und professionell handeln kann. Diese Kenntnisse sind wichtig aus der Perspektive der einzelnen Sozialarbeiter in der Arbeit mit Klienten. Sie sind es aber auch im Hinblick auf Leitungsaufgaben, die Sozialarbeiter nicht fremden Berufen überlassen sollten" (Gehrmann/ Müller, S. 47). Hier soll nicht so getan werden, als wäre die Tradition der Sozialen Arbeit und ihre aktuelle Entwicklung eine problemlose. Es gibt enorm viel zu kritisieren und zu verbessern. Problematisch ist jedoch in höchstem Maße, die nicht bewiesene oder logisch hergeleitete bessere Alternative betriebswirtschaftlichen Denkens in der Sozialen Arbeit. Es ist nicht nur Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) spricht in ihrer Kritik an der öffentlichen Verwaltung, zu der ja ganz wesentlich die Soziale Arbeit gehört, davon, dass Reformen auf keinen Fall durch weiteres Größenwachstum, also mehr Geld, sondern nur durch einen grundlegenden Umbau der Srukturen erfolgen können. 2 10 Polemik, wenn angemerkt wird, dass betriebswirtschaftliches Handeln durchaus nicht immer "erfolgreich" ist. Auch Management ist kein objektives Kriterium. Es gibt gutes und schlechtes Management. Es ist durchaus Management denkbar, das den herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Idealen nicht entspricht. Ab Beginn der 90er Jahre ist diese Art von Kritik an der Ökonomisierung der Gesellschaft auch innerhalb der Sozialen Arbeit nicht sehr beliebt. Der Begriff des Management wird als Allheilmittel für alle bisher ungelösten Probleme der Professionsentwicklung und besonders für die in unserem Zusammenhang interessierenden Probleme der psychologisierenden und pädagogisierenden Konzepte der Sozialen Einzelfallhilfe gesehen und es wird ein ungeheurer Modernisierungsschub erwartet. "Case Management ist eine Methode (! - GG.) der sozialen Einzelhilfe oder der Organisation und Koordination von Unterstützungsleistungen für eine ganze Klientel. Als soziale Einzelhilfe ist sie die modernisierte, vom Psychozentrismus befreite sozial-ökologische Weiterentwicklung der klassischen Einzelhilfe der Sozialen Arbeit" (Gehrmann/ Müller 1996, S.186). Befördert wird die Einführung des Begriffes Management auf der Ebene der Fallbearbeitung auch durch die institutionelle Eingebundenheit dieser Arbeitsform in den Bereich der öffentlichen Wohlfahrtspflege. Soziale Arbeit mit Einzelnen und Familien findet zu einem nicht unbeträchtlichen Teil in Einrichtungen öffentlicher Träger statt: in Jugend-, Sozial- und Gesundheitsämtern, Allgemeinen Sozialdiensten. Diese Institutionen sind dem Bereich der öffentlichen Verwaltung zugehörig und in diesem Bereich findet im Rahmen der allgemeinen Ökonomisierung der deutschen Gesellschaft ebenfalls seit Beginn der 90er Jahre die Debatte um die so genannte "Neue Steuerung" statt. Bei der Neuen Steuerung geht es darum, öffentliche Verwaltungen so umzubauen, dass sie im Rahmen eines "Konzerns Stadt" betriebswirtschaftlichen Kriterien Rechnung tragen, da nur so, hier ist die Kritik fast parallel zu der im Bereich der Sozialen Arbeit, die Defizite in Bezug auf Effektivität und Effizienz abgebaut werden könnten. Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) hat zu diesem Thema eine ganze Reihe von Empfehlungen herausgegeben und insbesondere die Jugendhilfeverwaltung als eine Art Pilotprojekt gewählt (vergl. insbesondere die KGSt-Berichte 5/93, 8/94, 9/94). Der Kern des Neuen Steuerungsmodells ist das sog. Kontraktmanagement, dessen Sinn eine strikte Trennung von Politik und Verwaltung ist. Während die Politik auf der Ebene des Stadt- oder Kreisrats darüber befindet, welche Ziele erreicht werden sollen, hat die Verwaltung, in unserem Falle z.B. das Jugendamt oder der Allgemeine Sozialdienst dafür zu sorgen, dass die Zielvorstellungen des Rates auch erreicht werden. Dabei wird möglichst viel Verantwortung von oben auf untere Ebenen, also die ausführenden Ebenen delegiert. Im idealen Falle soll z.B. die zuständige Abteilung des Allgemeinen Sozialdienstes selbstverantwortlich (auch für das zugeteilte Budget) den Auftrag "Familien mit Erziehungsproblemen so zu unterstützen, dass diese ihrem Erziehungsauftrag nachkommen kann" erledigen können. (vergl. KGSt 1993). Das Neue Steuerungsmodell bietet eine ganze Reihe von Ansatzpunkten, die für die institutionelle Ebene formuliert sind, aber auch im Case Management für den Bereich der Fallbearbeitung in ähnlicher Art und Weise auftauchen. Die Tatsache, dass gerade in Arbeitsfeldern, die dem Bereich der öffentlichen Träger zugeordnet sind (Jugendamt, ASD etc.) von den MitarbeiterInnen betont wird, dass sie ihre Praxis am Konzept des Case Management ausrichten, dürfte in der Wichtigkeit der Diskussion um die Neue Steuerung in der öffentlichen Verwaltung begründet sein (vergl. Wendt 1997, S. 22-28). 11 Auch Wendt als derjenige, der maßgeblich das Case Management in den deutschen Fachdiskurs der Sozialen Arbeit eingebracht hat, geht von einer Kritik der Effektivität des bestehenden sozialen Dienstleistungssystems aus. "Die Probleme sind komplexer geworden und haben sich auf eine andere Art differenziert als die Sozialdienste, die ihnen abhelfen sollen" (1991, S. 11) also hat die Soziale Arbeit es versäumt, sich den Gegebenheiten in einer effektiven Art und Weise anzupassen, oder mit anderen Worten: Die Soziale Arbeit arbeitet an den eigentlichen Problemen vorbei. Darüber hinaus spricht Wendt von mangelnder "Sozialer Produktivität", d.h. Soziale Arbeit sei häufig nicht nur wenig effektiviv, sondern nicht selten auch von wenig Effizienz gekennzeichnet: "Mit Effektivität ist die Zielwirksamkeit gemeint: In welchem Maße erreicht die Arbeit, was mit ihr beabsichtigt wird? Effizienz bedeutet die Wirtschaftlichkeit des Mitteleinsatzes: In welchem Verhältnis steht der gestiftete Nutzen zum Aufwand, also zu den entstandenen Kosten? Eine Hilfestellung kann geeignet (effektiv) sein, ohne sich deshalb schon zu "lohnen". Und mehr Unterstützung ist nicht unbedingt die bessere Unterstützung. Die Aufgabe von Management besteht darin, Effektivität und Effizienz miteinander zu verbinden, so daß ein anhaltender Erfolg erreicht und gesichert wird". (1991, S. 15) Damit haben wir es hier mit einem ökonomischen Ansatz der Wohlfahrtsproduktion zu tun. Die Ökonomisierung betrifft auch das Leben der KlientInnen. "Die Produktion erfolgt in einer geeigneten Kombination des Mitteleinsatzes (von Mitarbeitern, Kapital und Verbrauchsgütern) und des Einsatzes weiterer Faktoren (wie persönliche Eigenschaften von Klienten und Faktoren der sozialen Umgebung)" (Knapp, zit. nach Wendt 1991, S. 15; vergl. 1997, S. 72f). Diese Gedanken sind ihrem Ursprung her verbunden mit den neoliberalen Konzepten des Wirtschaftens in den USA und GB in den 80er Jahren (vergl. Wendt 1991, S. 14 f; 1997, S. 1421). Hingewiesen werden muss an dieser Stelle auf das Verständnis von Wendt bezüglich des Begriffes Ökologie. Wendt spricht beim Case Management auch von einem ökosozialen Konzept der Sozialarbeit. Soziales Handeln soll ökologisch aufbereitet werden: "Die Problemlage soll in ihrer ganzen Komplexität und Ausdehnung gesehen und an eine ökologisch zu verantwortende Bearbeitung verwiesen werden" (1989, S. 523). Dabei geht Wendt von der wichtigen Annahme aus, dass sowohl seine wissenschaftlichen Überlegungen selbst zum diskursiven Geschehen der Sozialarbeit zu rechnen sind, als auch die Praxis der Sozialarbeit, sobald sie sich mit ihrem Gegenstand befasst, unweigerlich mit diesem verbunden ist. "Im topischen Blickwinkel ortet Ökologie die Lebenserscheinungen in einem Raum von Beziehungen, wobei unsere Wissenschaft in dem Moment, da sie sich der sozialen Angelegenheit annimmt, nicht mehr darüber hinweg kann, daß sie selbst zu ihnen zählt, auch gerechnet werden will und in dem bezeichneten Raum untergebracht ist" (1982, S. 5). Ökologisch denken und Handeln bedeutet "haushaltend" umzugehen, das heißt für Wendt, "daß es Probleme der Binnenorganisation des individuellen, familiären, gesellschaftlichen Lebens sind, die ökosozial in erster Linie interessieren und nicht Probleme des Menschen in seiner Umwelt" (1989, S. 523). Bei Wendts ökosozialem Ansatz ist ökologisch also nicht als Bezug des Menschen zu seiner Umwelt zu sehen. "Ökologisch" ist eher die Bezugnahme auf den "haushaltenden" Aspekt. 12 Hauptaufgabe des Case Managements ist demnach, "...potentiell auf die konkreten Problemlagen passende Hilfen ausfindig und zugänglich zu machen" (Wendt 1991, S. 11). "Menschen haben in ihrem eigenen Lebensbereich Probleme und Belastungen zu bewältigen, und im Sozial- und Gesundheitswesen sind Ressourcen der Unterstützung und Behandlung vorhanden. Case Management bringt im Einzelfall beide Seiten, das Bewältigungssystem von Klienten und das formale Ressourcensystem, zusammen" (1997, S. 30). So ist nach Wendt Case Management zu verstehen als "eine professionelle Verfahrensweise, mit der personenbezogen ein Versorgungszusammenhang ..... bearbeitet wird. Er verknüpft formelle Dienste mit informeller, 'häuslicher' Lebensführung einer Person oder Familie in ihren sozialen oder gesundheitlichen Belangen" (1997, S. 30). Zumindest zwei kritische Anmerkungen müssen an dieser Stelle gemacht werden. Zum ersten wird hier so getan, als wäre das System der Hilfemöglichkeiten in unserer Gesellschaft so ausdifferenziert, dass für jede Problemlage zumindest potentiell eine Hilfemöglichkeit vorhanden ist. Abgesehen von der Frage, ob diese Aussage phänomenologisch in Ordnung ist, muss ein logisches Problem angesprochen werden. Es ist nicht so, dass Notlagen objektiv zu fassende Angelegenheiten sind. Vielmehr ist hier zu sehen, dass subjektiv jede Lebenslage als Notlage empfunden werden kann. Ob es aber für all diese "Notlagen" eine Hilfemöglichkeit gibt, die nur ausfindig gemacht werden muss, ist mehr als fraglich. Mehr als fraglich ist auch, dass hier eine Rolle spielende gesellschaftliche Definitionsprozesse in die Vorgänge des Case Managements eingebaut werden können. Dies leitet über zur zweiten notwendigen Anmerkung. Die Grundaussage, für jede konkrete Problemlage gäbe es auch eine Hilfemöglichkeit in unserer Gesellschaft führt dazu, dass der gesellschaftliche Status quo festgeschrieben wird. Die Case ManagerIn wird sich nicht daran machen für die individuelle Notlage eine individuelle Hilfeleistung zu finden, was evtl. auch mit einer Kritik der bestehenden Verhältnisse verbunden sein kann), sondern auf die Suche gehen nach bereits bestehenden Hilfeangeboten (was impliziert, dass die bestehenden Verhältnisse eigentlich grundsätzlich in Ordnung sind). Bei diesen dem Konzept zugrunde liegenden Prämissen ist jede Gesellschaftskritik weit außen vor, es geht lediglich darum, Verwerfungen des Systems selber wieder in Ordnung zu bringen, also die Hilfesuchenden mit den Hilfemöglichkeiten in Verbindung zu bringen. 3.2. Der Fall als System Case Management nach Wendt "nimmt die Vorgänge und Verfahren, die zu ihm zählen, als ein System wahr, dessen Handhabung rational und rationell erfolgen kann" (1991, S.12) und die Kompetenz des Case Managers wird dahingehend bestimmt, dieses System handhaben zu können, in der Verfügung über "Mittel und Wege ....., mit denen sich angestrebte Ziele erreichen lassen (1991, S. 12). "Da nun im sozialen Feld die Mittel, Wege und Ziele nicht fix vorgegeben und abrufbar sind, sondern sich im Fluß des gesellschaftlichen Geschehens und des Miteinander-Lebens finden, agiert auch der Manager in ihm und verhandelt erst über das Erforderliche, bevor er sich dessen Bewerkstelligung zuwendet. Er bewegt sich dabei unter Menschen und in institutionellen Strukturen. In ihnen liegen die Ressourcen vor, die im Case Management gehoben und fallweise erschlossen werden sollen" (1991, S. 12). Case Management hat mit zwei sich selbst organisierenden und steuernden Systemen zu tun: 13 - - dem institutionellen/ administrativen System. Dieses sei zweckorientiert. Praktisch ist Sozialmanagement gemeint, die "Lenkung und Leitung einer zweckmäßigen Zusammenarbeit in Institutionen und Personengruppen, die sich der Erfüllung sozialer Aufgaben widmen". Dem individuellen System. Hier geht es um subjektiven Sinn. Praktische Ausprägung sei das Selbstmanagement, die "Kompetenz, das eigene Leben unter vernünftigem Einsatz verfügbarer Mittel und Möglichkeiten so zu gestalten, daß es nach subjektiven oder objektiven Maßstäben gelingt" (Wendt 1991, S. 12). Jede Einzelperson hat in ihrem Alltag die unterschiedlichsten Aufgaben zu erledigen (Haushaltsführung, Pflege sozialer Kontakte etc.) und leistet dort mehr oder minder erfolgreiches "Selbst- oder Lebensmanagement (life management)" sowie "Alltagsmanagement". Bei sozialen oder gesundheitlichen Krisen ist über das Alltagsmanagement hinausgehend "Krisenmanagement" gefordert (Wendt 1997, S. 43 ff). Case Management hat nach Wendt in und mit diesen beiden Systemen zu agieren (1991, S. 12 f). Es "..... beansprucht beide, den sozialen 'Betrieb' und die Verantwortung, in der jeder Mensch sein eigenes Leben lebt und zu gestalten hat" (1991, S. 14). Case Management habe es mit Menschen zu tun, die Schwierigkeiten in diesen beiden Systemen haben und trägt "der Defizitsituation Rechnung, indem es um Ausgleich, neue Einbindung und um individuell angemessene Bewältigungsmuster besorgt ist" (1991, S. 14). Die Idee der beiden zu verknüpfenden Systeme stammt von Lowy (1988): Klient-(Patient)System Ressourcen- (Hilfe)System Einzelne Menschen und Gruppen mit Problemen/ in Notlagen/ Belastungen Soziale Umwelt, Mitmenschen (Familie, Freunde, Kollegen usw.), natürliches Netzwerk und professionelle Einrichtungen (institutionelles Netzwerk) Was soll erreicht werden? Was haben sie zu bieten? Wie können diese beiden Systeme (zeitlich, räumlich, kompetent) bestmöglich zusammen gebracht werden? (Lowy 1988, S. 34) Dieser Ansatz geht davon aus, dass sich die Angebote im sozialen Bereich stark differenziert haben (große Anzahl von Angeboten; Unübersichtlichkeit für die KlientInnen). Hieraus ergibt sich dann auch die eigentliche Aufgabe des Case Managements, nämlich das Hilfesystem für die KlientInnen zugänglich zu machen. Als (ökonomisch) sinnvoll wird eine Kooperation der vielen Dienste und Stellen erachtet, die aber eigens koordiniert werden muss. Das Case Management hat sich nach Wendt dem Zusammenhang zu widmen, der durch die Aufsplitterung und Spezialisierung der Dienste zerrissen worden ist und auf Grund dessen die meisten Bedürftigen sich die für sie richtige Mixtur an Hilfen nicht mehr selber zusammenstellen könnten (Wendt 1991, S. 16 ff). Die Entstehung des Case Management wird mit Deinstitutionalisierungstendenzen bei Sozialen Diensten in Verbindung stehend gesehen (Entstehung des Case Managements in den USA insbe- 14 sondere bei Öffnung geschlossener Einrichtungen) (vergl. Raiff/ Shore 1997, S. 18f; vergl. Wendt 1997, S. 14f). Auch für Deutschland können immer mehr ambulante Angebote (weniger Heimunterbringung von Kindern, weniger stationäre Hilfe für alte Menschen, psychisch Kranke etc.) konstatiert werden. Diese nun nicht mehr quasi automatisch von auf stationäre Angebote hinauslaufenden Strategien erfasste Menschen haben einen erhöhten Orientierungsbedarf undurchsichtigen Gestrüpp der Angebote des psychosozialen Bereichs. Bei den Deinstitutionalisierungstendenzen scheint wiederum die Verbindung Effektivitätserhöhung bei den Maßnahmen und Effizienzüberlegungen durch. von "Sozialpolitiker verknüpfen die Deinstitutionalisierung überall mit der Vorstellung, mit diesen ambulanten Arrangements mehr Nutzen zu stiften und die Kosten senken zu können. Case Management schien unter dem Vorzeichen angebracht, nicht nur für eine bedarfsgerechte Versorgung der Klienten, sondern auch für einen ökonomisch vertretbaren Mitteleinsatz passend zu sein. Informelle Hilfe durch Freunde, Verwandte und Nachbarn ließ sich einbeziehen und die Eigenleistung der Klienten optimieren. Schließlich war das neue Verfahren auch dafür gedacht, Reibungsverluste zwischen den Diensten zu vermeiden, sie vielmehr zweckmäßig zu koordinieren." (Wendt 1991, S. 19) Im us-amerikanischen Case Management scheint diese Verbindung eine Selbstverständlichkeit zu sein. „Service effectiveness“, service efficiency“ und „cost-effectiveness” sind selbstverständliche, die Praxis bestimmende Bestandteile des Case Managements (Weil/ Karls, zit. n. Klug 2002, S. 39). 3.3. Kontextualität Die Case ManagerIn agiert nach diesen Vorstellungen als "AgentIn"3 der verschiedenen beteiligten Kontexte (Dienstleistungs-/ KlientInnensystem). "Die Integration von Lebenszusammenhängen und die Integration von Systemzusammenhängen und die Beziehung beider aufeinander" ist unter dem Schlagwort Kontextualität zu verstehen (1991, S. 21). Die Case ManagerIn stellt "das menschliche Bindeglied zwischen dem Klienten und dem Dienstleistungssystem" dar (Intagliata, zit. n. Wendt 1997, S. 40). Ein Problem besteht selbst nach Wendt darin, dass die beiden Kontexte des Case-Managements nur schwer miteinander zu vergleichen sind (vergl. 1991, S. 20). Hier ist sicher auch eines der größten Praxisprobleme dieses Konzeptes zu sehen. Beide Kontexte sind nicht nur schwer miteinander zu vergleichen, sie sind auch für die als Case ManagerIn agierende SozialarbeiterIn für eine Bearbeitung und Veränderung unterschiedlich schwer zugänglich. Das von Wendt sogenannte institutionelle System ist gekennzeichnet durch juristische und administrative Vorgaben, die von einer Case ManagerIn nicht einfach so gehandhabt werden können. Wenn der Case Manager erkennt, dass eine Familie mit dem Regelsatz ihrer Sozialhilfe nicht auskommt, wird er an den institutionellen Systemvorgaben auch dann nichts ändern können, wenn er eine Änderung für noch so sinnvoll halten würde. Will er im Fall nicht völlig einflusslos werden, dann wird höchstwahrscheinlich beginnen, im "individuellen System" Veränderungen zu erwirken, die aber sehr schnell als Anpassungsleistungen der betreffenden KlientIn sichtbar werden dürften. Der Hauptangriffspunkt der Intervention der SozialarbeiterIn wird also auch hier, wie z.B. im systemischen Denken von Florence Hollis, bei den Betroffenen selbst liegen. 3 AgentIn ist hier im Sinne von VermittlerIn zu verstehen. 15 Abb.: Gesellschaft mit ihrem Stand des normativen Diskurses Rechts- und Verwaltungssystem Zur Lebensbewältigung nutzbare Systeme System Sonstige Case Sozialer zur Manag Dienstle Lebensbew erIn istungen ältigung notwendige Systeme KlientInnensystem Informelles System der KlientIn Familie/ Nachbarschaft/ Peers/ Vereine etc. Case Management hat nach Wendt von der "aktuellen Lebenslage" auszugehen: "In ihr ist der Bedarf an Unterstützung in dem doppelten Sinne 'auszumachen', daß er zunächst geklärt und dann vereinbart wird" (1991, S. 21; Hervorh. GG). "Beides bedeutet ein Sich-Einlassen auf die subjektive Verfassung und auf objektive Bedingungen, auf den Willen der betroffenen und beteiligten Menschen und auf verfügbare oder zu erschließende Vermögen" (1991, S. 21). Bezug wird also auch auf die Gemeinschaft genommen. Dies hat mit dem Postulat des Haushaltens zu tun (ökosoziales Paradigma) (vergl. 1991, S. 21 f). "Sozialarbeit laboriert ausdeutend, planend, arrangierend, ändernd an diesem Kontext und zieht dazu das eigene Bewältigungsverhalten von Klienten und anderen 'Insidern' heran. Deren Tätigkeit wird in die Unterstützung, die erzeugt werden soll, verstrickt. ..... Andererseits wird das System der Dienste durch Case-Management für den Einzelfall auch aufbereitet" (1991, S. 22). Case Management "befähigt und ermöglicht: Klient, seine Umgebung, die sozialen Dienste" (1991, S. 23). Es zielt auf den "Zustand des ganzen Sozialraums, in dem der Hilfebedürftige lebt" (1991, S. 22). Prinzip ist dabei, dass mit den im Sozialraum vorhandenen "Unterstützungs- und Bewältigungsressourcen" ökologisch (haushaltend) umgegangen wird. Die individuellen Ressourcen, die der näheren Umgebung und die der sozialen Institutionen werden so genutzt, daß sie nicht überbzw. unterfordert werden und möglichst große Effektivität und Effizienz erreichen. Die Variationsbreite in Quantität und Qualität eines sozialen Bewältigungsgeschehens ist groß (vergl. 1991, S. 23 f). "Als Prozeß läuft das Unterstützungsmanagement in mehreren Schritten oder Phasen ab. Deren Einteilung folgt generell dem Schema des Managements von Produktionsvorgängen ..... Die Analogie in der Gestaltung eines betrieblichen 16 Produktionsprozesses und in der Gestaltung von Lebenssituationen und abläufen ergibt sich einfach aus der Tatsache , daß hier wie dort eine Mehrzahl von Personen beteiligt ist (mit denen Ziele zu vereinbaren und Aktivitäten abzustimmen sind) und im Problemlösungsprozeß eine komplexe, Zeit beanspruchende Umformung erfolgt" (1991, S. 25). Hier wird deutlich die Übertragung von ökonomischen Prinzipien auf das individuelle Gestalten von Leben sichtbar. Daneben wird bei genauerer Betrachtung der Gedanken Wendts auch deren Problematik sichtbar. Als eine zentrale Idee für die Durchführung des Case Managements wird die Budgetierung (Budgetverwaltung) beschrieben. Dahinter steht eindeutig der Gedanke der Effizienzerhöhung der aufgewendeten Mittel für den Hilfeprozess. Wendt spricht von "mehr Klarheit über die Kosten" "auf der Nutzer- und der Anbieterseite" durch "eine freiere Disposition in der sozialen Unterstützung". "Der Klient kann eher eigenen Prioritäten folgen und gemeinsam mit dem Kostenträger beziehungsweise dem Case Manager die Leistungen absprechen, derer er bedarf. Wenn die so bestimmten Leistungen dann ausgeschrieben werden, so daß um ihre Erbringung Anbieter sich in Konkurrenz untereinander bewerben müssen ....., kommen die Gesetze des Marktes zum Zuge. Für diesen Zweck sind allerdings genaue Leistungsbeschreibungen und Standards erforderlich, welche die Angemessenheit von Angeboten zu bewerten erlauben." (1991, S. 44). Wendt sieht so die Verantwortung der hilfebedürftigen Einzelpersonen und Familien und der SozialarbeiterInnen für finanzielle Mittel gefördert. Letztendlich dürfte sich hier aber ein Druckmittel gegen die Betroffenen entwickeln, um "Mitarbeit" zu sichern. Verweigerung oder Kürzung von Leistungen und Hilfemaßnahmen kann diesen Vorstellungen nach leicht mit mangelnder Bereitschaft der KlientInnen, sich zu engagieren, legitimiert werden: "Im Einzelfall ..... besteht durchweg eine Wechselbeziehung zwischen ausgewiesener Bedürftigkeit, Lebensweise und Lebensführung. Dieser Komplex verdient eine ungetrennte soziale Bearbeitung. ..... Ein Unterstützungsbetrag ist immer eine relative Größe; der Unterstützte hat mit dem Geld auszukommen. ..... Zumindest bei Multiproblemfamilien und im Rahmen einer Hilfeplanung sind finanzielle Einzelleistungen kritisch in ihrem Einfluß auf die ganze Lage und Entwicklung zu sehen. Die Bereitschaft von Klienten zur Mitwirkung etwa an einem Wandel in der Familie und im persönlichen Verhalten steigt oder fällt mit den fühlbaren finanziellen Konsequenzen" (1991, S. 45). 3.4. Verlauf des Case Management-Prozesses Wendt stellt in seinen Schriften zum Thema eine Reihe von Phasen, Funktionen oder auch Dimensionen beim Prozess des Case Managements dar. Häufig zitiert wird die von Wendt angeführte Einteilung von Moxley, aus der fälschlicherweise immer wieder 5 Phasen des Case Managements abgeleitet werden, obwohl es sich vielmehr um Funktionen handelt: "(a) (b) (c) (d) 'assessment' (Einschätzung, Abschätzung), 'planning' (Planung), 'intervention' (..... 'Durchführung' .....), 'monitoring' (Kontrolle, Überwachung), 17 (e) 'evaluation' (Bewertung, Auswertung)" (1991, S. 25 f; 1997, S. 97). Der Intension, den Verlauf eines Case Managements zu beschreiben, entspricht besser die Einteilung von Wendt (1997): Reichweite und Veranlassung, Assessment, Zielvereinbarung und Hilfeplanung, Kontrollierte Durchführung, Evaluation, Rechenschaftslegung (S. 102-133). Im Folgenden deshalb die wichtigsten Aussagen zu den eizelnen Schwerpunkten des methodischen Vorgehens im Case Management. 3.4.1. Einstieg in das Case Management Hier stellt sich die Frage, wie der Dienst, der Case Management anbietet an seine KlientInnen kommt bzw. die Betroffenen den Status einer KlientIn des Case Managements zugewiesen bekommen.. Wendt bringt in diesem Zusammenhang drei Aspekte ins Spiel: "(1) outreach: wohin der Dienst reicht, (2) access: wie der Zugang zum Dienst gestaltet ist, (3) intake: die Aufnahme einzelner Personen, ihre Identifikation als Klienten oder Patienten" (1997, S. 102). Zu diesen Punkten wird im Grunde nicht viel Neues gesagt. Die Aussagen zur Zugangsgestaltung unterscheiden sich nicht von denen in der Sozialen Arbeit mit Einzelnen und Familien immer schon diskutierten Punkten (vergl Wendt 1997, S. 104; vgl. hierzu die Überlegungen zum "äußeren Bedingungsgefüge in dieser Abhandlung). Eine Abgrenzung zum herkömmlichen Vorgehen in der Sozialen Arbeit stellt die ausdrückliche Betonung von Öffentlichkeitsarbeit dar, um den Dienst bei den potenziell Betroffenen bekannt zu machen. Hier kommt auch ein mit ökonomischen Überlegungen in Verbindung stehendender Präventionsgedanke ins Spiel (vergl. Wendt 1997, S. 104 f). Weiters zu erwähnen ist der offen ausgesprochene Gedankae des "screenings", der Auslese der KlientInnen. Es muss überprüft werden, "ob der Status (die Berechtigung) und die Situation einer Person zu der möglichen Dienstleistung passen. Es erfolgt also eine Zugangskontrolle" (Wendt 1997, S. 105). Kritisch angemerkt werden kann hier, dass diese Auslese nur dann Sinn macht, wenn entweder genügend Alternativangebote für die Problematik des Betroffenen vorhanden sind (die Suche danach wäre ja gerade Aufgabe eines Case Managements) oder die persönliche Gestaltung des Zugangs sich so darstellen würde, dass ein Einbeziehen der Betroffenen im Sinne eines Aushandlungsprozesses gegeben wäre. Ob so ein Aushandlungsprozess das sog. "intake", die eigentliche Fallaufnahme prägt, ist eher fraglich. Identisch mit einem so weit gefassten intake sind die Vorstellungen von Splunteren: "1. Der Helfer informiert den Klienten über die Aufgabe und Arbeitsweise der Institution. 2. der Helfer entwirrt mit dem Klienten die Problematik und entscheidet danach, ob die Institution in seinem Fall ein Hilfeangebot machen kann" (zit. n. Wendt 1997, S. 106). Eine so weit gefasste Fallaufnahme stellt einen fließenden Übergang zum nächsten Station eines Verlaufs eines Case Managements, dem Assessment, dar. Die Praxis wird wahrscheinlich, auch unter der Perspektive von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen so aussehen, dass eine eher strikte Zugangsgestaltung betrieben wird. Der Grundgedanke ist ja gerade der, dass keine zeitaufwändigen und teureren "Versuche" der Fallbearbeitung betrieben werden sollen. In der Praxis werden also eher standardisierte Gespräche und Fragebogen das 18 Geschehen bestimmen. Am Ende dieser Einstiegsphase in das Case Management soll dann die KlientIn "engagiert", "das heißt: aktiv in den beginnenden Prozeß ihrer Beratung, Unterstützung oder Behandlung einbezogen" werden Dabei soll auf Transparenz geachtet werden, der betreffenden Person genau erläutert werden, was sie im beginnenden Case Management-Prozess erwartet (Wendt 1997, S. 106). Das nun anschließende 3.4.2. Assessment meint nun die"sorgsame Einschätzung der Lage im Einzelfall und die Abschätzung der den Umständen nach angebrachten Hilfemöglichkeiten" (1991, S. 27; vergl. 1997, S. 108). Assessment unterscheidet sich dem Anspruch nach stark von herkömmlicher Diagnose: Während in der Diagnose Krankheiten, Schwächen, Störungen festgestellt werden, besteht das "Assessment als Einschätzung in einer Sondierung der Stärken wie der Schwächen, der Aktiva wie der Passiva eines Menschen und seines ganzen Lebenszusammenhangs" (wie bei "Veranlagung" im finanzwirtschaftlichen Sinn) (1991, S. 27). Es würde zwar nicht völlig auf herkömmliche diagnostische Feststellungen verzichtet, im Assessment kämen aber "bei dessen ganzheitlicher Orientierung auch die Stärken einer Person zur Sprache". SozialarbeiterInnen unterschätzten regelmäßig das "Potential an Selbsthilfe bei ihrer Klientel". "Es müssen deshalb auch die Kriterien gelten, nach denen der Klient sein Handlungsvermögen beurteilt" (1997, S. 110). Die soziale Einschätzung stelle ein Unternehmen dar, in dem sich Sozialarbeiter in die Lebenswelt von Klienten begäben, um sich mit ihnen zu beraten. Die Sichtweisen der Klienten seien gleichberechtigt mit fachlichen Sichtweisen. Aktive Mitwirkung des Klienten sei dabei geboten. Expertenurteile verböten sich: "Gemeinsam muß herausgefunden werden, welche Probleme vorhanden, wie sie im Kontext der individuellen Situation zu werten sind und was getan werden kann, um das eine oder andere Problem zu lösen" (1991, S. 27 f). Ganz zu trauen scheint Wendt diesem emanzipatorischen Postulat aber dann doch nicht: "Es hängt mit seinem Urteilsvermögen zusammen. Ihn darin zu bestätigen und zu bestärken, ist solange angebracht, wie es nicht gerade objektiv zu Fehlurteilen führt und vorhandene Fähigkeiten in Abrede stellt" (1997, S. 110). "Am Ende steht ein Übereinkommen zwischen dem Case Manager und dem Klienten, was zu tun ist". "Der Gegenstand der Einschätzung ist aus ökosozialer Sicht die ganze Lebenslage des Klienten, wozu auch Aspekte der überindividuellen sozialen Lage (z.B. auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt) gehören ....." (1991, S. 28). Zur Sprache müssten dabei 4 Dimensionen einer Lebenslage kommen: Lebensgeschichte, äußere Lebensbedingungen, Lebensperspektiven (Ambitionen), innere Lebensbedingungen (im gesundheitlichen und psychischen Status) (1991, S. 28; vergl. 1997, S. 113, wo Wendt die Dimensionen der Lebenslage mit Lebensgeschichte/ Biographie, Lebensentwurf/ Perspektiven, Außenwelt/ Sozialraum und persönliche Disposition/ Innenwelt umreißt). "Die vier Dimensionen ..... schneiden sich im gegenwärtigen Status einer Person und bilden zusammen die subjektive und objektive Lebenslage des Individuums ..... . Über sie sammelt der Professionelle im Assessment im ersten Schritt Informationen und analysiert diese in einem zweiten Schritt - allein für sich, im Team und gemeinsam mit der Person oder der Familie, der sozial oder gesundheitlich geholfen werden soll" (1997, S. 114). Eigentlich tut sich bei solchen Bemerkungen ein Widerspruch auf. Die komplette Erfassung der Lebenslage einer Person wird kaum gelingen, wenn nicht mit einem enormen Zeitaufwand gearbeitet wird. Die Abgrenzung vom Diagnostizieren und vom 19 therapeutischen Charakter des Vorgehens wird noch schwieriger, wenn davon ausgegangen wird, dass ein Assessmernt nicht selten "zur Selbstklärung einer Person in ihrer Situation (führt) und damit schon zu einer Problemlösung" (1997, S. 114). Wendt versucht dieses Ausufern zu vermeiden, indem er bemerkt, dass "(b)ei der Vielfalt dessen, was in einem Einschätzungsprozeß zur Sprache kommen kann, ..... anfangs oder beim Fortschreiten im Assessment eine Auswahl getroffen werden (muß). Prioritäten sind zu setzen. Dazu hält man sich an den Bedarf. Wie aber ist er näher zu bestimmen?" (1997, S. 114). Die Antwort auf diese Frage bleibt Wendt weitgehend schuldig bzw. erklärt schwammig: "Was nötig ist, zeigt sich immer in einem Bezugsrahmen, in einem engeren subjektiven Horizont und in intersubjektiven, kulturellen und gesellschaftlichen Horizonten ..... . Die Professionellen beziehen sich auf sie und verweisen ihre Klienten auf den Rahmen, in dem ein Bedarf besteht oder etwas zu tun nötig ist" (1997, S. 115). "In der Breite der Person-Umwelt-Bezüge sind unter anderem die Erwerbsarbeit (und mit ihr die finanzielle Situation des Klienten), das Wohnen, die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Freizeitgestaltung, auch Bildungs- und kulturelle Bezüge (im Lebensstil) wichtig, und zwar nicht einfach nebeneinander, sondern in der gegenseitigen Durchdringung, in der sie für eine Person oder Familie problematisch oder belastend oder auch förderlich sein können" (1991, S. 28). "Im Case Management geht es nicht um die Einschätzung der Person abgesehen von ihren Lebensumständen, sondern um die Einschätzung einer persönlichen oder familiären Situation mit ihren Kontexten" (1991, S. 29). "In der Praxis erfolgt die Einschätzung der Lage in einer Reihe von Gesprächen mit dem Klienten und seinen Angehörigen, fortgesetzt unter den Mitarbeitern in einem Team und mit beteiligten oder einzubeziehenden anderen Dienststellen" (1991, S. 29). Hier ist wieder darauf hinzuweisen, dass die Case ManagerIn kaum in der Lage sein wird, auf die Breite der "PersonUmwelt-Bezüge" gleichmäßig Einfluss zu nehmen. Erwerbsarbeit, Wohnen etc. werden sich regelmäßig ihrem Einfluss entziehen, so wird der Schwerpunkt der aus dem Assessment resultierenden Überlegungen im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen sich ansiedeln. 3.4.3. Planung "(ist) im Kontext von Case Management ..... ein systematischer Prozeß, in dem bedeutsame Ziele identifiziert und Aktivitäten und Dienstleistungen entwickelt werden, die zu den identifizierten Zielen hinführen" (Moxley, zit. nach Wendt 1991, S. 30). Es wird betont, dass Planung immer an die Lebensplanung der KlientInnen anschließen, zu deren Lebensplanung "komplementär" sein soll (Wendt 1997, S. 190; vergl 1991, S. 31). Dies sollte in der Sozialen Arbeit eigentlich selbstverständlich sein, stellt aber ein ganz wesentliches Praxisproblem dar. Nicht selten geht der Bezug zwischen der Lebenswelt der KlientInnen und den Planungen der mit deren Problemen befaßten SozialarbeiterInnen verloren. Im Case Management von Wendt wird dieses Problem aber weniger von seiner emanzipatorischen Seite beleuchtet, sondern in Bezug auf die Effektivität der Hilfen. Wenn schon im Assessment auf die ganz persönlichen Perspektiven der Betroffenen geachtet werden muss, dann deshalb, weil "Maßnahmen, die den eigenen Lebensentwurf eines Menschen durchkreuzen, ..... seinen Widerstand heraus (fordern) oder ..... unwirksam (bleiben), weil er sie nur passiv oder unbeteiligt hinnimmt. Der Effekt von Hilfen bestimmt sich nach ihrer Einpassung in die soziale, psychische und physische Disposition des Menschen, also zuallererst danach, wie er disponiert." (Wendt 1997, S. 119). Planung hat operativ zu sein, d.h. es soll festgelegt werden, wie die Hilfe im einzelnen Vorgang für Vorgang vonstatten gehen soll. Sie muss "mit einer Verständigung über Ziele, die verfolgt 20 werden sollen", beginnen. "Verabredungen über die Aufgabenverteilung" beinhalten und mit "Entscheidungen" schließen. "Der Hilfeplan als Schriftstück dokumentiert, wovon in der Planung ausgegangen wurde, zu welchen Feststellungen die Beteiligten gekommen sind und was verabredet, vereinbart oder vorgesehen wird". Nach Wendt soll eine "gute Dokumentation des Weges im Case Management" letztendlich zu einer "juristischen Überprüfbarkeit" führen (Wendt 1991, S. 30f; 1997, S. 119-121). Planung müsse auch strategisch sein, "in einer komplexen, sich ständig verändernden Umwelt gewählte Ziele schrittweise anzustreben. Es gilt, sich aktiv der Varietät der Bedingungen anzupassen". "Eine praktische Konsequenz ist, daß die Planung als ein Prozeß wiederholt stattfinden muß, wobei kurzfristige Verabredungen jeweils neu mit mittelfristigen und längerfristigen Dispositionen abzugleichen sind" (Wendt 1991, S. 31). Hier stellt sich allerdings die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines solchen Vorgehens. Wenn ein dokumentierter Hilfeplan sogar zur juristischen Überprüfbarkeit führen soll, dann kann es nicht sein, dass die Inhalte der Beliebigkeit unterworfen sind. Hier kann es sehr schnell zu den selben Problemen kommen, die den Begriff der (offenen) Diagnose in der Sozialen Einzelfallhilfe so suspekt und angreifbar gemacht haben. Es stellt sich eben auch in Bezug auf das Case Management die schwer zu beantwortende Frage, inwieweit das Leben eines Menschen überhaupt planbar ist. Die methodischen Probleme des Versuchs etwas eigentlich nicht (zumindest nicht langfristig) planbaren der Planung unterwerfen zu wollen, werden von Wendt jedenfalls nicht gelöst. "Dem Case Manager obliegt speziell die operative Detailplanung der Unterstützung". "Der Aktionsplan der Unterstützung weist aus, wer was wann in welchem Umfang zu tun hat". Als Varianten der Planung im Case Management sieht Wendt "die Erziehungsplanung im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe, die Therapieplanung bei Einsatz von psychologischen und medizinischen Heilverfahren, die Rehabilitationsplanung in der Eingliederungshilfe für Behinderte" (Wendt 1991, S. 31). Bedeutendstes Beispiel für die Praxis sei der Hilfeplan nach § 36 KJHG (Wendt 1991, S. 32; vergl. 1997, S. 121 ff). "Planung ist in allen Bereichen der sozialen Arbeit ein Prozeß und in ihren Festlegungen, dem Plan, ein Produkt" (Widersprüchlichkeiten siehe oben - G.G.). Verbindlich wird das im Vorgang vereinbarte für alle Beteiligten durch den Kontrakt (1991, S. 32). Die Ausführungen zum Thema Planung im Case Management bei Wendt machen den Eindruck, als würde alles, was in der Sozialen Arbeit an Planung entwickelt worden ist, sich mühelos in die Überlegungen zum Case Management einpassen lassen. Planung ist sicherlich ein wichtiges Praxisthema für die Soziale Arbeit, mit ihr wird insbesondere mehr Transparenz geschaffen, die eine wichtige Schutzfunktion für die KlientInnen darstellt. Planung hat aber auch eine nicht ganz unproblematische Seite, nämlich die, dass offene Prozesse standardisiert und bürokratisiert werden. Die Klagen von MitarbeiterInnen in Allgemeinen Sozialdiensten über mehr Bürokratie seit Einführung der Hilfeplanung müssen hier zumindest zu denken geben. Darüber hinaus darf die Gefahr nicht übersehen werden, dass Planung auch zum Selbstläufer werden kann, dass übersehen wird, dass individuelles Leben nun einmal nicht planbar ist und von vielen Zufälligkeiten und Unwägbarkeiten abhängt. Hier wird deutlich, dass das uralte sozialarbeiterische Problem Alltagsorientierung oder Individualisierung mit mehthodischem Handeln, also Planung zu vermitteln. Die Überlegungen im Case Management bedeuten jedenfalls zum heutigen Zeitpunkt keinen Fortschritt. 3.4.4. Durchführung des Case Managements Wie schon bei der Planung betont, arbeitet Case Management "in unmittelbarer Beziehung zur 21 Lebensgestaltung des oder der Klienten sowie in der Steuerung der Unterstützung in der relevanten Umwelt und der administrativen Strukturen" (1991, S. 33). Wesentlich neu im Case Management ist, dass in diesem Konzept die als Case ManagerIn tätige SozialarbeiterIn einzelne Hilfen oder Behandlungen nicht selbst erbringt. "Es führt sie zusammen, koordiniert sie und lenkt ihren Ablauf in der Phase der Umsetzung (Implementation) des Hilfeplans" (1997, S. 124). Im Case Management nach Wendt ist die SozialarbeiterIn also so etwas wie eine "ObersozialarbeiterIn", deren Hauptaufgabe in der Kontrolle und Überwachung, dem Monitoring besteht. Dieses wird von Wendt für wichtig gegenüber dem Klienten gehalten, als auch "gegenüber den informellen und formellen Helfern bzw. dem System ihres Zusammenwirkens ....." (1991, S. 35). Es handelt sich dabei um "Ausführungskontrolle, die sichern soll, daß die vorgesehene Unterstützung bzw. Bewältigung tatsächlich erfolgt. 'Monitoring' schließt Prüfung, Revision, Informationsverarbeitung und Berichterstattung ein" (1991, S. 35). Kontrolle müsse von den Beteiligten akzeptiert werden. Formelle Protokolle werden als Instrumentarium des monitorings angesehen: z.B. Erziehungsoder Entwicklungsberichte, Behandlungs- und Bewährungshilfeberichte (vergl. 1991, S. 35; vergl. 1997, S. 125). Kontrolle diene auch der "Durchsetzung von Ansprüchen des Klienten gegenüber dem Gemeinwesen". Hier wird von Wendt der Begriff des advocacy eingeführt: Der Case Manager übersetzt "als Anwalt und Sachwalter" die Interessen des Klienten "aus dem subjektiven Horizont der Lebenssituation in den Horizont des Dienstleistungssystems, der politischen Parteien und der Pressuregroups sowie der Entscheidungsgremien" (1991, S. 36; vergl. 1997, S. 124 ff)). "Dem Monitoring auf der Ebene des Einzelfalls entspricht auf der betrieblichen Ebene das Controlling. Dies ist die Servicefunktion, die in einem komplexen System die Abstimmung des vielfältigen Geschehens in ihm aufeinander (der Teilfunktionen auf die Funktion des ganzen Systems) beobachtet und im System rückmeldet, insbesondere das Management informiert" (1997, S. 125). 3.4.4.1. Funktionen des Case Managers sind für Wendt abhängig "vom Fall" und vom "System der formellen Dienstgestaltung, in die er eingebunden wird" (1991, S. 33). Die Managementfunktion müsse getrennt sein von Therapeutenfunktion. Die beiden Funktionen würden sich gegenseitig stören (vergl. 1991, S. 33). "Jedoch paßt sich die Unterstützung in ihrer Durchführung in das individuelle Bewältigungsverhalten ein und nimmt mithin Einfluß auf die Lebensgestaltung. Insoweit und ab einem Mindestmaß an Kommunikation mit dem Klienten erfüllt der Case Manager auch einen direkten Dienst" (1991, S. 33). Moxley (zit. nach 1991, S. 33 f) unterscheidet: direkte Dienstleistungsfunktion (mit abnehmender Direktivität) - Case Manager als "implementer" (nimmt Sache in die Hand) - Case Manager als "Lehrmeister oder Instrukteur" - Case Manager als "guide" (beratender Begleiter) - Case Manager als "processor" (als eine Art technischer Assi- 22 stent des Klienten) - Case Manager als "Spezialist für Informationen über das Dienstleistungssystem" - Case Manager als "supporter" (motiviert Klienten zur Eigenbefähigung) indirekte Dienstleistungsfunktionen (im sozialen Umfeld und im administrativen System) - "Vermitteln von Diensten und anderen Ressourcen" ("brokering") - "Überweisung der Klienten an Dienste und Einrichtungen" - "Koordinieren von Dienstleistungen" - "Anwaltliches Handeln für Klienten beim Korrigieren mangelhafter oder unpassender Dienstleistungen ('advocating') - "Knüpfen sozialer Netze" - "Bereitstellung technischen Beistandes und Rates" Wendt spricht davon, dass die Case ManagerIn, je nachdem, wer sie einsetzt und damit bezahlt, unterschiedliche Rollen annehmen kann: "die Rollen (1) (2) (3) (4) des Systemagenten des Kundenanwalts des Versorgungsmanagers und des Dienstemaklers" (1997, S. 145). Die Sozialarbeiterin wird nach dieser Auffassung zu einer DienstleisterIn, die ihre vielfältigen Fähigkeiten und Kenntnisse in den relevanten Systemen anbietet, um je nach Perspektive des Kunden das effektivste und effizienteste Ergebnis zu erreichen. In der Rolle des "Systemagenten" "..... übernimmt (in einer Variante) der Case Manager vor allem Informations- und Vermittlungsaufgaben: Da der einzelne Kunde sich mit der Leistungspalette des Anbieters nicht auskennt und sie deshalb nicht ohne weiteres für sich sinnvoll nutzen kann, bietet ihm der Dienstleister eine Beratung an. In einer anderen Variante begleitet der Case Manager den Leistungsnehmer auf seinem Weg durch die Stationen seiner Versorgung. Der Case Manager ist dann im Medizinsystem als Patientenbegleiter oder als Rehabilitationsbetreuer, im Jugendhilfesystem als sozialpädagogischer Einzelbetreuer oder ifm Justizsystem als Bewährungshelfer tätig" (Wendt 1997, S. 146). Ein typisches Beispiel für die Case ManagerIn als KundenanwältIn ist die BerufsbetreuerIn nach dem deutschen Betreuungsrecht. In diesem Handlungsfeld übernehmen SozialarbeiterInnen und andere Berufgruppen die Aufgabe einer SachwalterIn auf Zeit für ihre KlientInnen. Ein weiteres Beispiel für diese Funktion wäre die neuerdings intesiv diskutierte "AnwältIn des Kindes". In der Funktion als Kundenanwalt steht der Case Manager "ratsuchenden Bürgern zur Verfügung, klärt mit ihnen den 23 Unterstützungs- und Versorgungsbedarf ab und steht ihnen bei der Beantragung von Leistungen zur Seite. Er kennt die Anspruchskriterien und weiß, wie an Behörden und Versicherungen heranzutreten ist" (Wendt 1997, S. 147). Als Versorgungsmanager ist der Case Manager "zuständig für eine ordnungsgemäße und erfolgreiche Leistungserbringung. Entweder ist er Agent des Leistungsträgers und von ihm dazu angestellt, die Angemessenheit des Versorgungsangebots zu beobachten, die zweckmäßige und kostengünstige Erbringung der Dienstleistungen zu kontrollieren und Beschwerden der Klienten nachzugehen. Oder er ist mit diesen Aufgaben in einem Dienstleistungsbetrieb betraut, fungiert also in ihm als Qualitätsmanager" (Wendt 1997, S. 148). Als ein aktuelles Beispiel für Versorgungsmanagement kann uns das Untersuchungsdesign des Modellversuches zur kontrollierten Heroinvergabe dienen. Dort soll ein Teil der Zielgruppen psychosoziale Betreuung in Form von Case Management erhalten. Man macht sich in diesem Praxisprojekt große Hoffnungen über Case Management vorher nicht erreichte Abhängige in das Drogenhilfesystem einbinden zu können (vergl Bundesministerium für Gesundheit, Institut für interdisziplinäre Suchtforschung Hamburg 2001, S. 3-5). Die Aufgaben seien stets in Managementaufgaben auf der "Meso- und Makroebene" von Sozialarbeit eingebunden (Eingebundenheit in Arbeit im Stadtteil etc.) (vergl. 1991, S. 34 f). Daraus resultiere der Gemeinwesenbezug von Case Management. "Die Stellung von Case Management zwischen der Ebene der Wohlfahrtsorganisation und lokalen Sozialpolitik einerseits und der Ebene selbstorganisierten Lebens von Einzelpersonen, Familien und Gruppen andererseits wäre ohne Hinweis auf die horizontale Ausdehnung sozialer Arbeit unvollständig beschrieben. Bei aller Konzentration von Case Management auf Problemlagen und ihre Bewältigung im Einzelfall greift es doch per Vermittlung und Vernetzung in die weitere Umgebung aus, in der grundsätzlich eine Mehrzahl von abträglichen und zuträglichen Bedingungen, von Verführungen und Abhilfen in der jeweiligen Lage vorhanden sind. Zu 'managen' ist nicht eine Person, sondern das soziale Feld und der Haushalt des alltäglichen und des systematisch regulierten Miteinanders unter Beiziehung verschiedener Ressourcen" (1991, S. 54). 24 3.4.5. Evaluation Diese "erfaßt die qualitative und quantitative Differenz zwischen der Situation ohne oder vor der Unterstützung und der Situation mit bziehungsweise nach Hilfestellung" (1991, S. 36). "Evaluation dient somit der Entscheidungsfindung im weiteren Case Management und seiner Rechenschaftslegung" (1991, S. 36). Beteiligte Mitarbeiter müssen zu Rate gezogen werden und die Stellungnahme der Klienten wird eingeholt (1991, S. 37). Es wird unterschieden zwischen "input evaluation": Aufwand in Beziehung zum Erreichten ("die Geldmittel, der Zeitaufwand, die Zahl der Überweisungen, die Anzahl der betreuten Klienten usw. schlagen zu Buche"); Prozeßevaluation: Bewährung des Unterstützungsverfahrens im Verlauf; wichtig dabei "linking function evaluation": "Wieweit gelingt die koordinierende Netzwerkarbeit des Unterstützungsmanagers?" (1991, S. 37); "outcome evaluation": Konzentration auf Erreichung der Ziele "sowohl bezogen auf das Ergehen einer Person nach abgeschlossener Unterstützung als auch gruppen- und gemeinwesenbezogen" (1991, S. 37). Eng damit verbunden ist nach Wendt: 3.4.6. Ablösung ("Disengagement") "Der Effektivität und Effizienz wegen wird mit dem Case Management auch allgemein beabsichtigt, der Neigung in der Sozialarbeit zu begegnen, sich ohne Ende fortzuzeugen" (1991, S. 38). Es soll keinen endlosen Einsatz von Sozialarbeit mehr geben, sondern Konzentration auf die konkreten Unterstützungsmaßnahmen.