Der Abgrund - Weltbank Report über die Risiken der 4°-Welt

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Klimawandel jenseits von 2°: Der Abgrund - Weltbank-Report über die Risiken
der 4°-Welt
Aufrütteln zum Handeln will der neue Präsident der Weltbank, Jim Yong Kim, mit einem Report, der rechtzeitig zu
den nächsten Klimaverhandlungen in Doha herauskommt. Der Bericht mit dem Titel „Turn Down the Heat" ist ein
erstes Zeichen dafür, wie ernst dem neuen Chef der programmatische Vorsatz ist, das klimapolitische
Engagement der Bank deutlich zu erhöhen, schreibt Rainer Falk in einer Zusammenfassung.
Nicht irgendein Institut hat die Weltbank damit beauftragt, einen Schnappschuss der jüngsten Erkenntnisse der
Klimaforschung zu erstellen, sondern das Potsdam-Institut für Klimafolgenforscvhung (PIK) und die Non-ProfitOrganisation Climate Analytics in Berlin. Das Ergebnis des Berichts: Die Welt ist auf einem Weg, der bis zum
Ende des Jahrhunderts eine Erderwärmung von 4° bringen wird - mit kaum absehbaren Folgen. Die bis dato
gemachten Zusagen zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen werden daran kaum etwas ändern.
Eine Kaskade katastrophischer Veränderungen
Ohne spürbar energischeres Handeln der internationalen Gemeinschaft ist die Welt - dem Bericht (s. Hinweis)
zufolge - auf einem abschüssigen Pfad, der eine Kaskade katastrophischer Veränderungen auslösen wird,
darunter extreme Hitzewellen, abnehmende Lebensmittelvorräte und einen Anstieg des Meeresspiegels, von dem
hunderte Millionen Menschen betroffen sein werden. Darunter werden alle Weltregionen zu leiden haben, am
meisten jedoch die armen Länder, unterstreichen die Autoren des Berichts. „Die Bank hat das Potsdam-Institut für
Klimafolgenforschung und Climate Analytics beauftragt, eine zusammenfassende Analyse der jüngsten
Klimaforschungserkenntnisse zu erstellen, um die potentiellen Konsequenzen einer um 4° wärmeren Welt für die
Entwicklungsländer besser verstehen zu können", begründet Rachel Kyte, die Vizepräsidentin der Weltbank für
Nachhaltige Entwicklung, die Auftragsvergabe.
Detailliert beschreibt der Report die potentiell verheerenden Folgen des 4°-Szenarios: die Überflutung von
Küstenstädten; die wachsenden Risiken für die Nahrungsmittelproduktion, die potentiell zu mehr Unter- und
Fehlernährung führen; die zunehmende Trockenheit in vielen Trockenregionen und die zunehmenden Regenfälle
in Feuchtgebieten; die substanzielle Verschärfung der Wasserknappheit in vielen Regionen; die zunehmende
Wucht von Wirbelstürmen und der unwiederbringliche Verlust von biologischer Vielfalt, einschließlich der
Zerstörung der Korallenriffe.
Die Kipp-Punkte rücken näher
Für den Direktor des PIK, John Schnellnhuber, reagiert das Erdsystem nicht linear auf den Klimawandel: „Wenn
wir die 2°-Linie überschreiten und auf eine 4°-Linie zusteuern, steigt das Risiko, dass wir Kipp-Punkte erreichen,
stark an. Der einzige Weg, dies zu vermeiden, wäre der Bruch mit den Business-as-usual-Mustern bei Produktion
und Konsumption." Wird jedoch der gegenwärtige globale Pfad der Treibhausgas-Emissionen weitergeführt, dann
ist eine breite Palette direkter und indirekten klimatischer Konsequenzen unvermeidbar:
_ Extreme Hitzewellen, die ohne den Klimawandel vielleicht einmal in 100 Jahren vorkommen würden, werden
fast jeden Sommer über viele Regionen hereinbrechen. Die Auswirkungen werden ungleich verteilt sein. Die
stärkste Erwärmung wird über Landflächen stattfinden und zwischen 4 und 10° C betragen. Eine Zunahme von 6°
durchschnittlich oder mehr wird für die monatlichen Sommertemperaturen in Mittelmeerraum, in Nordafrika, dem
Nahen Osten und Teilen der Vereinigten Staaten zu erwarten sein.
_ Bis 2100 ist ein Anstieg des Meeresspiegels um 0,5 bis 1 Meter wahrscheinlich, wobei ein noch stärkerer
Anstieg nicht unmöglich ist. Einige der verwundbarsten Städte liegen in Mosambik, Madagaskar, Mexiko,
Venezuela, Indien, Bangladesch, Indonesien, den Philippinen und in Vietnam.
_ Die verwundbarsten Regionen liegen in den Tropen, den Subtropen und in der Nähe der Erdpole, wo
wahrscheinlich vielfältige Konsequenzen zusammentreffen werden.
_ Die Landwirtschaft, die Wasserressourcen, die menschliche Gesundheit, die Biodiversität und das Ökosystem
mit seinen Dienstleistungsfunktionen werden wahrscheinlich schwer getroffen werden. Dies alles könnte zu
weitreichenden Wanderungsbewegungen und Konsequenzen für die menschliche Sicherheit und die Wirtschaftsund Handelssysteme führen.
_ Viele kleine Inselstaaten und ihre Bevölkerung wären in ihrer Existenz bedroht.
Die Autoren des Berichts betonen, dass wissenschaftlich eindeutig bewiesen ist, dass die Menschen die Ursache
der globalen Erwärmung sind und dass bereits heute wichtige Veränderungen beobachtet werden können. Die
mittlere globale Temperatur ist in den letzten Jahrzehnten ständig gestiegen und liegt jetzt etwa 0,8° über dem
vorindustriellen Niveau.
Neue Eiszeit? Nicht unvermeidbar!
Während ein globale Erwärmung um 0,8° nicht besonders hoch erscheinen mag, stellt der Bericht fest, dass viele
Konsequenzen des Klimawandels bereits Realität sind und eine weitere Steigerung von 0,8° auf 2,0° C
Erwärmung und darüber hinaus viel härtere Konsequenzen haben wird. Aber eine durchschnittliche globale
Steigerung um 4° kommt an die historisch bekannten Klimaveränderungen auf dem Planeten heran. Sie erinnert
an die letzte Eiszeit, als ein großer Teil Zentraleuropas und die nördlichen Teile der Vereinigten Staaten mit
kilometerdicken Eisschichten bedeckt waren und die globale Durchschnittstemperatur 4,5 bis 7° unter dem
heutigen Niveau lag. Dabei vollzieht sich der heutige, menschlich verursachte Klimawandel, wie der Bericht
feststellt, über ein Jahrhundert und nicht über ein oder mehrere Jahrtausende.
Der Bericht hebt dennoch hervor, dass eine „4°-Welt" nicht unvermeidbar ist und dass es immer noch möglich ist,
den Klimawandel unter 2° zu halten. „Eine 4° wärmere Welt kann und muss vermieden werden", meint auch Jim
Yong Kim mit dem Verweis auf die Notwendigkeit, den Klimawandel unter 2° (gegenüber dem vorindustriellen
Niveau) zu halten - ein Ziel, das noch vor drei Jahren in Kopenhagen proklamiert wurde, aber nach den heutigen
Simulationen schon nicht mehr einzuhalten ist, es sei denn, es käme zu einem radikalen Kurswechsel in der
internationalen Klimapolitik. Für Kim ist der Klimawandel deshalb „die größte einzelne Herausforderung, der sich
die Entwicklungspolitik gegenüber sieht".
Geht es nach dem Weltbank-Präsidenten, dann muss das Problem des Klimawandels künftig spürbar aggressiver
angegangen werden. Kim: „Größere Anstrengungen in Bezug auf die Anpassung an den und die Milderung des
Klimawandels sind wesentlich, und Lösungen existieren. Wir brauchen eine globale Antwort, die dem Ausmaß
des Klimaproblems gerecht wird, eine Antwort, die uns auf einen neue Pfad der klimasmarten Entwicklung und
ein geteiltes Wohlergehen führt. Doch die Zeit ist sehr kurz."
Anhaltendes Glaubwürdigkeitsproblem
Das hört sich vielversprechend an. Und in der Tat ermöglicht das von der Weltbank seit kurzem propagierte
„inklusive, grüne Wachstum", dass die klimapolitischen Konsequenzen der wirtschaftlichen Entwicklung durch die
effizientere und klügere Nutzung von Energie und natürlichen Ressourcen drastisch reduziert werden können,
ohne Armutsminderung und Wachstum zu verlangsamen.
Dazu sind eine Reihe von Initiativen denkbar: Mehr als eine Billion an Subventionen für fossile und andere
schädliche Brennstoffe könnten besser genutzt werden. Das Kapital der Natur könnte in die volkswirtschaftliche
Gesamtrechnungen mit einbezogen werden. Die öffentlichen und privaten Ausgaben für eine grüne Infrastruktur,
die resistent gegenüber extremen Wetterverhältnissen wäre, und für öffentliche städtische Transportsysteme, um
den CO2-Ausstoß zu minimieren, könnten gesteigert werden. Die Unterstützung internationaler und nationaler
Emissionshandelssysteme könnte erhöht werden. Man könnte die Energieeffizienz von Gebäuden verbessern
und die erneuerbaren Energien ausbauen usw. usf.
Doch die wirklich durchgreifenden Innovationen für eine andere Klima- und Energiepolitik hat auch die Weltbank
noch nicht gefunden. Der von der Bank verwaltete Klimainvestitionsfonds in Höhe von 7,2 Mrd. Dollar operiert
zwar inzwischen in 48 Ländern und mobilisiert zusätzlich 43 Mrd. an Privatkapital für saubere Investitionen. Doch
gegenüber dem wirklich universellen Grünen Klima-Fonds der Vereinten Nationen legt die Bank Zurückhaltung an
den Tag. Und die Versuche zu einer aggressiveren internationalen Klimaschutzpolitik wären glaubwürdiger,
würde sich die Weltbank endlich aus den zahlreichen traditionell-fossilistischen Energieprojekten zurückziehen,
die immer noch Teil ihres Portfolios sind.
Hinweis:
* World Bank: Turn Down The Heat: Why a 4°C Warmer World Must Be Avoided, 119 pp, The World Bank:
Washington DC, November 2012. Bezug: über www.worldbank.org
Veröffentlicht: 19.11.2012
Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, Klimawandel jenseits von 2°: Der Abgrund. Weltbank-Report über die Risiken der 4°-Welt, in:
Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 18. November 2012 (www.weltwirtschaft-undentwicklung.org)
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