Vortrag

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Dr. Susanne Moser
([email protected])
Vortrag am Institut für Wissenschaft und Kunst
am 13.10.1999
Die Frau, Opfer der Dialektik?
Das Thema der Anerkennung im Werk von Simone de Beauvoir
Bereits in Beauvoirs frühesten Werken steht das Thema der Anerkennung im
Zentrum der Auseinandersetzung. So wird der Roman Sie kam und blieb1 von einem
Zitat Hegels eingeleitet: „Ebenso muss jedes Bewußtsein auf den Tode des anderen
gehen.“2
und endet mit dem Tod der Rivalin als einzigem Ausweg aus dem
Dilemma der wechselseitigen Ansprüche. Hatte Beauvoir in diesem 1943
erschienenen Roman den Konflikt mit dem Anderen noch als unlösbares Problem
angesehen, so sucht sie in ihren folgenden Werken einen neuen Zugang zum
Anderen. Das Blut der anderen3 zu Kriegsende geschrieben und 1945 erschienen,
betont die Verantwortlichkeit füreinander und die Notwendigkeit, Stellung zu
beziehen. Ebenso wie der 1947 erschienene Ethikentwurf Für eine Moral der
Doppelsinnigkeit werden jetzt Stellungnahme und Verpflichtung zum konkreten
Engagement gefordert. Rückblickend auf ihr Leben und ihr Werk beschreibt
Beauvoir in ihren Memoiren In den besten Jahren4 in auffallend selbstkritischer
Weise diese Entwicklung. Ihre Jugend sei durch ihren uneingeschränkten Glauben
an die Macht ihres Willens geprägt gewesen. „Ich wollte nicht wahrhaben, daß auch
andere genau wie ich Subjekt, Bewußtsein sein könnten.“5 Aus dieser Position
heraus stellte der Andere für Beauvoir eine Gefahr dar, der sie nicht ins Auge
blicken konnte: „Erbittert kämpfte ich gegen diesen Zauber, der mich in ein
1
Simone de Beauvoir, Sie kam und blieb, Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1994
2
ebenda S.6
3
Simone de Beauvoir, Das Blut der anderen, Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1996
44
Simone de Beauvoir, In den besten Jahren, Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1969,
S.82
5
ebenda, S.111
Seite 1
Monstrum verwandeln wollte: ich blieb immer in Abwehrstellung.“6 Erst die
Besetzung Frankreichs durch die Deutschen und der zweite Weltkrieg hatten eine
Zäsur im Leben Beauvoirs herbeigeführt. „Ich kann nicht sagen an welchem Tag, in
welcher
Woche,
nicht
einmal
in
welchem
Monat
ich
diese
Bekehrung
durchmachte...ich verzichtete auf meinen Individualismus, ...ich erlernte die
Solidarität.“7 - erinnert sie sich später. Die Geschichte hatte, so berichtet sie, Besitz
von ihr ergriffen. Ideen, Werte, alles wurde umgestürzt. Ihr vormals idealistischer
Zugang zur Welt wurde durch eine immer stärkere Akzentuierung der Situiertheit
und der historischen Konditioniertheit des Menschen abgelöst. „In Wahrheit bin ich in
die Gesellschaft hineingeboren; in ihr und in Verbindung mit ihr entscheide ich über
mich.“8 In ihrem Hauptwerk Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau stellt
Beauvoir nunmehr das Thema der gesellschaftlichen Anerkennung an den
Ausgangspunkt ihrer Untersuchung. Ausgehend von der Frage: „Gibt es überhaupt
Frauen?“9 - einer Fragestellung, die im derzeitigen feministischen Diskurs noch an
Aktualität gewonnen hat - untersucht Beauvoir, wann und wodurch es zur
Anerkennung dessen kommt, so etwas wie eine „Frau“ zu sein. Denn „nicht jeder
weibliche Mensch ist also zwangsläufig eine Frau; er muß an jener geheimnisvollen,
bedrohten Realität, der Weiblichkeit, teilhaben.“10 Einerseits ausgestattet mit einer
instabilen Identität, indem „sie...mit Bezug auf den Mann determiniert und
differenziert (wird), er aber nicht mit Bezug auf sie,“11 findet sich die Frau
andererseits in einer Situation vor, in der sie sich „obwohl wie jeder Mensch eine
autonome Freiheit - in einer Welt entdeckt und wählt, in der die Männer ihr
vorschreiben,
die
Rolle
des
Anderen
zu
übernehmen.“12
Durch
welche
Ausschließungsmechanismen wird es möglich, die Frau zur „Anderen“ zu machen
und ihr die Anerkennung als autonomes Subjekt vorzuenthalten? Während Beauvoir
in ihren Frühwerken noch angenommen hatte, daß das Individuum seine
6
ebenda, S.110
7
ebenda, S.304
8
ebenda, S.469
9
Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, wie oben, S.9
10
ebenda , S.10
11
ebenda S.12
12
ebenda S.25
Seite 2
menschliche Dimension nur durch die Anerkennung des Anderen erhält 13 und damit
die individualpsychologische Seite der Anerkennung betont hatte, stellt sie jetzt fest,
daß die Situation der Frau auf eine ganz bestimmte Weise durch einen
gesellschaftlichen Anerkennungprozeß bestimmt wird. Sie erweitert das Thema der
Anerkennung über die Sphäre der persönlichen Beziehungen hinaus auf die
öffentliche Sphäre und die Problematik der Geschlechterdifferenz. Das Prinzip der
Anerkennung stellt einen gesellschaftlich-sozialen Prozeß dar in dem Identitäten
festgelegt werden. Einerseits wird unter dem Mythos des „Ewigweiblichen“ aufgrund
natur-teleologischer Vorstellungen der Frau der Platz in der Familie zugewiesen,
wobei sie bestimmte Kriterien erfüllten muß, um als Frau anerkannt zu werden,
andererseits wird sie damit aber von wesentlichen gesellschaftlichen Prozessen
ausgeschlossen. Meine These ist, daß Beauvoir Hegels Anerkennungskonzept dazu
verwendet den Dualismus und die Ausschlußmechanismen gegenüber Frauen
aufzuzeigen und zu dekonstruieren; Hegel wird in diesem Sinne gegen ihn selbst
verwendet. Gleichzeitig entwirft sie ein neues Anerkennungskonzept, das aus zwei
parallelen Bewegungen besteht: einerseits aus der Forderung nach Anerkennung
von Gleichheit und Freiheit aller Menschen, also der gleichen
Würde aller,
andererseits parallel dazu der Forderung nach Anerkennung von Differenz, also
nach Anerkennung meiner je eigenen Besonderheit, die aber erst dann in
Erscheinung treten kann, wenn nicht nur die Würde d.h. der Anteil an der abstrakten
universellen Menschheit, sondern das Selbst auch in seiner partikularen Situiertheit
anerkannt
wird.
Erst
dann
können
versteckte
Ausschluß-
und
Unterdrückungsmechanismen, die z.B. aufgrund von Geschlecht oder Rasse
stattfinden, in den Blickpunkt gerückt werden. Wie Herta Nagl-Docekal zeigt, steht
das Thema der Gleichheit und Anerkennung von Differenz nach wie vor im Zentrum
feministischer politischer Philosophie14, wobei sie betont, daß die Forderung nach
Anerkennung
von
Differenz
nicht
automatisch
mit
einer
Ablehnung
des
Gleichheitspostulates einher gehen dürfe.15 Ich möchte im folgenden zeigen, daß
13
Simone de Beauvoir, In den besten Jahren, wie oben, S.469
14
Herta Nagl-Docekal, Gleichbehandlung und Anerkennung von Differenz: Kontroversielle
Themen feministischer politischer Philosophie, in: Politische Theorie. Differenz und
Lebensqualität, Hg. von Herta Nagl-Docekal und Herlinde Pauer-Studer, FaM:1996
15
Herta Nagl-Docekal, Gleichheit und Differenz: Zu neueren Entwicklungen der
feministischen Rechtsphilosophie und politischen Theorie, in: Feministische Philosophie:
Seite 3
Beauvoir in dieser Hinsicht wesentliches zum aktuellen Diskurs beitragen kann, da
bei ihr das Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Differenz nicht zu Gunsten
des einen oder anderen aufgelöst wird, da es wesentlich zur Existenz des
Menschseins gehört. 16
Ich werde nun kurz auf den Begriff der Anerkennung eingehen und mich danach
Beauvoirs Beitrag zu diesem Thema widmen.
Zum Ursprung des Begriffes der Anerkennung
und zur Problemstellung bei Simone de Beauvoir
Historisch gesehen handelt es sich bei der Anerkennung um einen relativ neuen
Begriff.
In
den
meisten
philosophischen
Wörterbüchern
fehlt
eine
Begriffsbestimmung; Lexika und Wörterbücher ihrerseits unterscheiden zwischen
rechtlichen und sozialpsychologischen Formen der Anerkennung. 17 Das Thema der
Anerkennung scheint immer dort ins Spiel zu kommen, wenn es darum geht, einen
bestimmten Status zu
bestätigen oder zu beurteilen, diesen anzunehmen und
dementsprechend zu würdigen. Sei es nun das Gericht, das eine bestimmte
Urkunde anerkennt, oder handelt es sich im Sinne des Völkerrechts um die
Anerkennung eines neuen Staates durch die Völkergemeinschaft, oder um die
Anerkennung der Vaterschaft durch den Vater - in jedem Falle handelt es sich um
die Bestätigung eines vor der Anerkennung nicht klar feststehenden Status, einer
Identität, bzw. Zugehörigkeit. Es stellt sich nun die Frage, wem die Autorität
zukommt, diese Anerkennung auszusprechen. Daß diese Frage überhaupt
aufkommt,
deutet
auf
einen
generellen
Bruch
mit
vorgegebenen
Ordnungsstrukturen hin. Im antiken Weltbild hatte alles noch seinen ihm
Perspektiven und Debatten, Hg. v. Yvanka Raynova, Susanne Moser und Sigrid Berka,
Sofia 1999
16
Ich möchte mich hier gegen die verschiedenen Interpretationen wenden, die Beauvoir
entweder als Gleichheitsfeministin oder als Differenzfeministin verstehen. Während Iris
Young, wie ich noch zeigen werde, Beauvoirs Gleichheitsfeminismus kritisiert, entwickelt
z.B. Mary Daly in ihrem Werk „The church and the second sex“ in Anlehnung an Beauvoir
eine Differenzposition.
17
z.B. Brockhaus Enzyklopädie in 24Bänden, Mannheim 1986, Band 1
Seite 4
zukommenden Platz entsprechend dem ihm innewohnenden Telos, seiner
Entelechie. Die in dieser göttlichen Ordnung festgelegte Hierarchie enthielt auch die
dem jeweiligen Status zukommende Form der Anerkennung. So weist Seyla
Benhabib18 darauf hin, daß erst die Zerstörung der antiken und mittelalterlichen
teleologischen
des
mittelalterlichen
Nominalismus und der modernen Wissenschaft, verbunden mit
der Entstehung
kapitalistischer
Naturauffassung
durch
Warenbeziehungen
und
den
der
Angriff
nachfolgenden
Teilung
der
Sozialstruktur in den wirtschaftlichen, den öffentlich-politischen Bereich und die
häuslich-intime Sphäre, zur Ausbildung einer neuen Moraltheorie führen konnte. In
einem entzauberten Universum sahen sich die bürgerlichen Individuen vor die
Aufgabe gestellt, die Legatimationsbasis ihrer Gesellschaftsordnung neu zu
schaffen. Im Zuge der neuzeitlichen Wendung auf das „Ich“ kann keine außerhalb
des Subjekts liegende Autorität, keine göttliche Ordnung mehr als Vorbild für die
menschliche Ordnung herangezogen werden. Es stellt sich dann die Frage, woher
jetzt die Legitimation von Hierarchien und das Kriterium, daß jemandem geringere
Anerkennung aufgrund seines Status zukommt, genommen wird, wodurch bestimmt
man den jeweiligen Status? Dies alles sind Fragen, die heute mehr denn je den
politisch-philosophischen Diskurs in Atem halten. So sieht Charles Taylor die
Forderung nach Anerkennung in ganz unterschiedlichen Konstellationen gestellt „im Namen von Minderheiten oder benachteiligten Gruppen, im Rahmen
verschiedener Formen des Feminismus und in Verbindung mit dem, was man
neuerdings die Politik des Multikulturalismus nennt.“19 Dahinter liegt die These, daß
eine Verbindung zwischen Anerkennung und Identität besteht. Identität als
Selbstverständis der Menschen, als Bewußtsein von den bestimmenden Merkmalen,
durch die sie zu Menschen werden, hängt zumindestens teilweise von der
Anerkennung oder Nicht-Anerkennung, oft auch von der Verkennung durch die
anderen ab und wird durch sie geprägt. Nichtanerkennung oder Verkennung kann
Leiden verursachen, eine Form von Unterdrückung sein und bei seinen Opfern
lähmenden Selbsthaß und schmerzhafte Wunden zurücklassen. Anerkennung stellt
18
Seyla Benhabib, Der verallgemeinerte und der konkrete andere. Ansätze zu einer
feministischen Moraltheorie, in: Denkverhältnisse. Feminismus und Kritik, Hg. Von Elisath
List und Herlinde Studer, FaM 1989
19
Charles Taylor, Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung,
Fischer
Taschenbuchverlag: Frankfurt am Main 1993, S.13
Seite 5
somit ein menschliches Grundbedürfnis dar.20 Während Axel Honneth in seiner
Theorie der Anerkennung21 den Ursprung des Begriffs bei Hegel und dessen Bezug
auf Fichte ansetzt, geht Taylor noch weiter zurück, wobei er zwei Wurzeln der
Debatte freilegt. Einerseits führt der Zusammenbruch der gesellschaftlichen
Hierarchien, die früher die Grundlage der Ehre bildeten zum modernen Begriff der
Würde, dem die universalistische und egalitäre Annahme zugrunde liegt, daß jeder
an dieser Würde teilhat,22 womit die gleichberechtigte Anerkennung zu einem
wesentlichen Bestandteil der demokratischen Kultur wird. Andererseits führt die
neuzeitliche Wendung auf die Subjektivität zu einer Form von Innerlichkeit und
Einzigartigkeit, zu einer inneren Stimme und einem moralischen Gefühl in uns 23,
wodurch das Prinzip der Originalität und in weiterer Linie der Differenz eingeführt
wird. „Nicht nur, daß ich mein Leben nicht nach den Erfordernissen äußerlicher
Konformität gestalten soll - außerhalb meiner selbst kann ich gar kein Modell dafür
finden, wie ich mein Leben leben soll. Ich kann dieses Modell nur in mir selbst
finden.“24 Diese auf
Herder zurückgehende Idee der Authentizität25 wird in zwei
Hinsichten verstanden: sowohl in Bezug zum individuellen Menschen inmitten
anderer Menschen, als auch in Bezug auf das Volk als Träger einer Kultur inmitten
anderer Völker. Deutsche sollten nicht versuchen, sich in künstliche und damit
unvermeidlicherweise zweitklassige Franzosen zu verwandeln, wie es ihnen
Friedrich der Große nahegelegt hatte. Auch die slawischen Völker sollten ihren
eigenen Weg gehen. Taylor weist darauf hin, daß hier schon die zukunftsträchtige
Idee des modernen Nationalismus sowohl in ihrer gutartigen wie auch in ihrer
bösartigen Version zu erkennen ist. Andererseits findet die Idee der Authentizität
über Heideggers Konzept der „Eigentlichkeit“ Eingang in den Existentialismus von
Sartre und Beauvoir. Sie fordert den Menschen auf, seine je eigene „Geworfenheit“,
20
ebenda, S.15
21
Axel Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte,
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994
22
Charles Taylor, wie oben, S.16
23
Rousseau leitet das Gewissen aus einem natürlichen angeborenen Gefühl ab, siehe J.J
Rousseau, Emil oder Über die Erziehung, UTB, Paderborn 1995, S.305, Kant wird im
wesentlichen den von Rousseau entwickelten Gewissensbegriff übernehmen
24
Taylor, wie oben, S.20
25
Taylor verbindet die Idee der Authentizität mit Herder, auch wenn er ihn nicht als ihren
Urheber sieht, wohl aber als denjenigen, der sie früh und eindringlich angesprochen hat.
Seite 6
seine Besonderheit des „In-der-Welt-seins“ auf sich zu nehmen und sich weder in
eine gesellschaftliche Rolle, noch in ein fiktives Ideal zu flüchten. Der Mensch ist
sowohl Freiheit und Transzendenz, als auch Faktizität und Immanenz. Unter dem
Eindruck der Geschehnisse des zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus
stellt Sartres Das Sein und das Nichts26 einen Aufruf gegen den „Geist der
Ernsthaftigkeit“ dar, in dem der Mensch sich
zu einem Ding, zu einem Objekt
machen läßt, um seine Freiheit und Verantwortlichkeit zu fliehen, und sich dabei in
die Hände von Führern begibt, die über sein Leben bestimmen.
In Weiterentwicklung des sartreschen Konzepts der Doppelsinnigkeit, in dem jeder
Mensch (Mann sowohl als Frau) zugleich Ex-sistenz - Transzendenz und Sistenz d.h. In-der-Welt-Sein in Situation ist, unternimmt Beauvoir im Anderen Geschlecht
eine Kritik am Patriarchat, das die Transzendenz und Freiheit allein für die Männer
in Anspruch nimmt. Den Frauen wird die Anerkennung als Subjekt verwehrt, sie
werden zur „Anderen“ gemacht und in die Sphäre der Immanenz abgedrängt. Indem
Beauvoir die These aufstellt: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“27,
setzt sie an der Archillesferse moderner Freiheits- und Gleichheitstheorien an, am
Naturbegriff. Denn die „natürliche“ Unterlegenheit der Frau und des daraus
abgeleiteten Herrschaftsrechtes des Mannes über die Frau, leitete sich von dem ihr
von der Natur zugewiesenen Zweck der Reproduktion und Erhaltung der Gattung im
Hauswesen ab.28 So wurde die Unterordnung der Frau schon seit der Antike auf die
„natürliche“ Unterlegenheit der weiblichen Natur zurückgeführt, wobei diese Tradition
vor den Philosophien Kants und Hegels nicht Halt machte. Während Hegel jedoch
im Gegensatz zu
26
Kant, der Frauen, Kinder und Dienstboten, dem Personen-
J.P. Sartre, Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie,
Rowohlt. Reinbeck bei Hamburg 1993
27
Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, wie oben, S.334
28
so sieht es Kant nicht der „Gleichheit der Verehelichte, als solcher widerstreiten (d,
S.M), wenn das Gesetz von dem Manne in Verhältnis auf das Weib sagt: er soll dein Herr
(er der befehlende, sie der gehorchende Teil) sein: so kann diese nicht als der natürlichen
Gleichheit eines Menschenpaares widerstreitend angesehen werden, wenn dieser
Herrschaft nur die natürliche Überlegenheit des Vermögens des Mannes über das
weibliche, in Bewirkung des gemeinschaftlichen Interesse des Hauswesens und des
darauf gegründeten Recht zum Befehl zu Grunde liegt, welches daher selbst aus der
Pflicht der Einheit und Gleichheit in Ansehung des Zwecks abgeleitet werden kann.“
Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, §26 AB 110, FaM:1993
Seite 7
Sachen-Recht zuordnete, sie als Personen und damit als Rechtsubjekte sah, erwies
er sich letztendlich laut Sheyla Benhabib doch als „Totengräber weiblicher
Emanzipationsbestrebungen, indem er die Frau einer großartigen, aber letztlich zum
Untergang bestimmten Phase der dialektischen Bewegung zuweist, die den Geist in
seiner Kindheit befällt“29 Frauen wurden wie Kinder behandelt und unter den
„Schutz“ männlicher Vormundschaft gestellt. Beauvoir steht von Anfang an im
Spannungsfeld zwischen Hegels emanzipatorischem Instrumentarium und seinen
restaurativen Bemühungen, die Frau aufgrund ihrer „natürlichen Bestimmtheit“, aus
dem für die Subjektwerdung so wesentlichen Prozeß der wechselseitigen
Anerkennung auszuschließen. So stützt sie sich einerseits auf das in Hegels
Dialektik angelegt Potential der Veränderung. Indem Hegel das „Werden“ und damit
die Veränderung in das „Sein“ gebracht hatte, konnte die Tatsache, daß die Frauen
den Männern heute unterlegen sind, in die Frage umgewandelt werden, „ob es ewig
bei diesem Stand der Dinge bleiben soll.“30 Denn: „sein heißt geworden sein, heißt
zu dem gemacht worden sein, als was man in Erscheinung tritt.“
31
Andererseits
bedient sich Beauvoir Hegels Modell der Anerkennung in verschiedenster Hinsicht,
wie ich in der Folge zeigen möchte. Zuvor jedoch wäre ein kurzer Exkurs zu Hegels
Anerkennungsmodell notwendig.
Beauvoir und Hegels Modell der Anerkennung
Hegel übernimmt das in Fichtes Grundlage des Naturrechts entwickelte Prinzip der
Anerkennung, welches dieser als die dem „Rechtsverhältnis“ zugrunde liegende
„Wechselwirkung“
von
Individuen“
ansieht.
Die
entscheidende
Frage
der
Neuzeitlichen Ethik- und Rechtsdebatte lautet nämlich: wie komme ich vom
Naturzustand, in dem angeblich alle gleich sind, jenem egoistischen Ausgangspunkt
des Kampfes aller gegen alle, zu einem geordneten Gesellschaftsgefüge, in dem der
Andere mich in meinem Besitz auch anerkennt, was nämlich allererst das Eigentum
begründet? Mit genau diesen Fragen beschäftigt sich Hegel in der Jenear
Realphilosophie von 1805/06, wo er schreibt: „Der Mensch hat das Recht, in Besitz
29
Seyla Benhabib, Selbst im Kontext, wie oben, S.276
30
Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, wie oben S.20
31
ebenda S.20
Seite 8
zu nehmen, was er als Einzelner kann...Aber seine Besitznahme erhält auch die
Bedeutung, einen Dritten auszuschließen. Was darf ich in Besitz nehmen ohne
Unrecht des Dritten?“32 Solche Fragen, sagt Hegel, können nicht beantwortet
werden, denn die Besitzergreifung wird erst durch die Anerkennung zur rechtlichen
gemacht; bevor es einen rechtlichen Zustand gibt, kann niemand sagen, ob jemand
etwas in Besitz nehmen darf oder nicht. Gemäß der Formel: „Wohl dem der im
Besitz ist“33 stellt Besitz eine wesentliche Voraussetzung von Anerkennung und
Rechten dar, was vorerst den Ausschluß aller besitzlosen, lohnabhängigen Männer
von staatsbürgerlichen Rechten zur Folge hat. Hegel bezeichnet das Recht als „die
Beziehung der Person in ihrem Verhalten zur andern....Als Anerkennen ist er selbst
(der Mensch. S.M.) die Bewegung und diese Bewegung hebt eben seine
Naturzustand auf: er ist Anerkennen, das Natürliche ist nur, es ist nicht Geistiges.“34.
Innerhalb der Familie gilt der Mensch als „natürliches Ganzes, nicht als Person; dies
hat er erst zu werden. Er ist unmittelbares Anerkanntsein; er ist durch Liebe
Verbundnes.“35
Daß
nicht
Familie
und
Liebe
als
Grundlage
des
Anerkennungsprozesses gelten können, versteht sich aus der Hinwendung zum
Neuzeitlichen Subjekt, aus der Emanzipation gerade eben aus diesen familiaren,
feudalen
Strukturen,
zusammenhängenden
in
denen
die
Herrschaftsverhältnisse
Anerkennungsverhältnissen
von
und
die
damit
Blutsverwandtschaft,
Zugehörigkeit zu Grund und Boden und Legitimation durch Gottes Gnaden
abgeleitet worden waren. Während aber die Frauen im Schoße der Familie
verbleiben, lehnt sich das zum „Fürsichsein“ gelangte männliche Individuum gegen
das Dasein, das die Familie im Besitz hat auf und möchte als „gewußtes“
Fürsichsein anerkannt werden, was zum Kampf auf Leben und Tod führt. 36 Dadurch,
daß der Mann sein Leben aufs Spiel setzt gibt er öffentlich zu erkennen, daß ihm an
seinen individuellen Zielen mehr liegt, als an seinem physischen Überleben.
Axel Honneth knüpft in seiner Anerkennungstheorie explizit an Hegels Frühwerk an,
in dem dieser den Prozeß der Anerkennung noch von der individuellen
32
G.W.F.Hegel, Jenaer Realphilosophie, Vorlesungsmanuskripte zur Philosophie der
Natur und des Geistes von 1805-1806, Felix Meiner Verlag: Hamburg 1969, S.207
33
Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, Frankfurt am Main 1977, §9
34
Jenaer Rechtsphilosophie, wie oben S.206
35
ebenda S.227
36
ebenda S.211
Seite 9
intersubjektiven Seite her verstanden hatte, während später diese Perspektive in
zunehmendem Maße zugunsten der Philosophie des Geistes aufgegeben wurde.
Honneth
interpretiert
Hegel
dahingehend,
Konfliktsituationen, wie z.B. das
daß
dieser
die
verschiedenen
Verbrechen auf den Umstand unvollständiger
Anerkennung zurückführt: „das innere Motiv des Verbrechers macht dann die
Erfahrung aus, daß er sich auf der etablierten Stufe wechselseitiger Anerkennung
nicht auf eine befriedigende Weise anerkannt sieht.“37 Honneths entwickelt daraus
die These, daß sich soziale Auseinandersetzungen im Prinzip auf die Verletzung von
moralischen Ansprüchen zurückführen lassen und nach dem Muster eines Kampfes
um Anerkennung zu verstanden werden können. Es kann hier nicht der Rahmen
sein, Honneths Theorie der Anerkennung zu diskutieren, auffällig erscheint mir
jedenfalls die explizite Aussparung der feministischen Thematik 38, die sofort die
Frage mit sich brächte, wieso dieser Mechanismus bisher nicht zur Befreiung der
Frauen geführt hatte. Was bewirkte das Zurückbleiben der Frauen in der Familie,
wieso
beanspruchten
sie
nicht
den
von
Hegel
postulierten
Individualisierungsprozeß? Wenn Mißachtungserfahrungen als soziale Kränkungen
und Würdeverletzungen erlebt werden, diese sich transformieren in Scham, Wut
oder Verachtung und gar ihren Ausdruck über soziale Bewegungen in politischem
Handeln finden könnte, wie läßt sich dann die jahrtausend alte, nahezu universelle
Unterdrückung und Vergewaltigung von Frauen erklären? 39 Könnte es nicht sein,
daß gerade das Konzept der Anerkennung selbst diejenigen Ausschließungskriterien
in sich trägt, die es unmöglich machen, den Ausgeschlossenen und Unterdrückten
überhaupt Gehör zu verschaffen? Beauvoir hat diejenigen Schriften Hegels, auf die
Honneth sein intersubjektives Anerkennungsmodell bezieht, sicherlich nicht gekannt.
Während es Hegel in der Jenaer Realphilosophie darum ging nachzuvollziehen, wie
es durch den Kampf um Anerkennung zur Bildung eines allgemeinen Bewußtseins
aus den Handlungen und Interaktionen einzelner Bewußtseine kommt, der zu einem
37
Axel Honneth, Kampf um Anerkennung, FaM 1992, S.37
38
Honneth begründet seine Ausklammerung der feministischen Ansätze damit, daß sie
seinen Rahmen gesprengt und seinen Kenntnisstand überstiegen hätten. Axel Honneth,
ebenda, S.9
39
Christa Oppenheimer, Über Hegel, die Mägde und die List der Vernunft, Zum
gegenwärtigen Stand der Diskussion über Anerkennungsethik und Gewalt gegen Frauen,
Studientexte zu Sozialwissenschaft, Band 13, FaM 1996, S.80
Seite 10
allgemeinen Willen des Rechtszustandes führt, handelt
es sich in der
Phänomenologie der Geistes um die Erfahrung und die Erscheinungsweisen des
entäußerten Geistes bei seiner Rückkehr zu sich selbst im absoluten Wissen. Auf
den verschiedenen Stufen der Phänomenologie geht es um eine zunehmende
Vermittlung zwischen dem „Ansichsein“, dem Allgemeinen und dem „Fürsichsein“,
dem Einzelnen hin zum „Anundfürsichsein“. Historisch haben sich diese Stufen laut
Hegel verschieden manifestiert: z.B. im Stoizismus, der die Freiheit des Einzelnen in
der Allgemeinheit des reinen Gedankens aufgehoben hatte, während das
unglückliche Bewußtsein, das er mit der mittelalterlichen Religiosität ansetzt, diese
Vermittlung in eine jenseitige Erlösung verlagert hatte. Erst die Stufe der Vernunft
deren nahe Verwirklichung Hegel im preußischen Deutschland annahm, geht davon
aus, daß das Bewußtsein das Ansichsein in sich selbst hat: „Die Vernunft ist die
Gewißheit des Bewußtseins, alle Realität zu sein; so spricht der Idealismus ihren
Begriff aus.“40 Dieses metaphysische Modell der Vernunft und des Geistes
durchdringt
Hegels
gesamtes
Werk,
es
wird
auf
allen
Stufen
der
Bewußtseinsentwicklung vorausgesetzt. Nur so kann der Zirkel verstanden werden,
der darin besteht, daß einerseits wechselseitige Anerkennung die Voraussetzung
von Selbstbewußtsein und Subjektsein bildet, nämlich daß „das Selbstbewußtsein
nur dadurch ist, daß es für ein Anderes an und für sich ist, d.h. „nur als ein
Anerkanntes“ ist, während andererseits so etwas wie Anerkennung oder Kampf um
Anerkennung überhaupt erst zustande kommen kann, wenn ein Selbstbewußtsein
auf ein anderes Selbstbewußtsein trifft.41 Diese Situation schafft eine Bedrohung für
das Selbstbewußtsein, denn in Hegels Modell lehnt das Selbstbewußtsein jede
Andersheit als Selbstverlust, als Außersichsein ab.42 Erst wenn es seine
40
G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970,
S.179
41
Auf die Frauen bezogen würde das bedeuten, daß sie allererst das Selbstbewußtsein
erlangen müßten, das es ermöglicht Anerkennung einzufordern. Meiner Ansicht nach
setzt der Anerkennungsprozeß bereits etwas voraus, indem er von vornherein festlegt,
wer in diesen Prozeß überhaupt aufgenommen wird und wer nicht. Bei Hegel wird das
Problem dadurch gelöst, daß der Geist die hierarchische Aufspaltung der Geschlechter
von vornherein in sich trägt, wobei er seine „weibliche Seite“ auf einer niederen
Bewußtseinsstufe zurückläßt.
42
„Für das Selbstbewußtssein ein anderes Selbstbewußtsein; es ist außer sich
gekommen. Dies hat die gedoppelte Bedeutung: erstlich, es hat sich selbst verloren, denn
Seite 11
„Sichselbstgleichheit“ durch Ausschließung aller Anderen durch einen Kampf auf
Leben und Tod wiederhergestellt hat, kann es sich die Gewißheit seiner selbst,
nämlich „für sich zu sein“, wieder herstellen. So muß „jedes (Bewußsein S.M.) auf
den Tod des Anderen gehen....um sein Außersichsein...aufzuheben.“43 Diese Stelle
hat Beauvoir zum eingangs bereits erwähnten Motto ihres Romanes Sie kam und
blieb gemacht. Das eine Bewußtsein sieht so lange das andere als Bedrohung an,
solange es sich nicht als Teil eines übergeordneten Ganzen, als Teil des Geistes
ansieht, dessen Struktur darin besteht, daß „Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist“44. Erst
dann bedeutet der Andere keinen Selbstverlust mehr, denn im Bewußtsein von der
Einheit von „Ich“ und „Wir“ transzendiert das Selbst nicht nur seine unmittelbare,
„lebendige“ Individualität, sondern auch die sich durch Ausschluß des Andersseins
definierende Einzelheit des Bewußtseins selber.45 Bis dahin gelangen aber in der
Erfahrungsgeschichte der Phänomenologie des Geistes weder der Kampf um
Anerkennung noch die Bewußtseinsformen von Herrschaft und Knechtschaft. Das
Herr-Knecht Kapitel der Phänomenologie ist deshalb so schwer zu verstehen, weil
Hegel bereits zu Beginn etwas voraussetzt, was erst viel später eingeholt werden
kann. Daß das „Selbstbewußtsein...nur als ein Anerkanntes“ ist, wird hier
vorausgesetzt, ohne aufzuzeigen, wie es dazu kommt. Die Figur des Herr-KnechtVerhältnisses soll zwar die Analogie von Selbstbewußtsein und Bewußtsein
darstellen, aber wie sich herausstellen wird, kann der Herr auch nicht zum
Selbstbewußtsein gelangen, denn dafür bräuchte er ein anderes Selbstbewußtsein,
welches ihm aber der Knecht nicht bieten kann. Schon zum Abschluß des
vorhergehenden Kapitels, nämlich des Selbstbewußtseinskapitels, führt Hegel daher
die Figur des Geistes ein: „diese absolute Substanz, welche in der vollkommene
es findet sich als ein anderes Wesen; zweitens, es hat damit das Andere aufgehoben,
denn es sieht auch nicht das Andere als Wesen, sondern sich selbst im Anderen.“ G.W.F.
Hegel, Phänomenologie des Geistes, wie oben, S.146
43
ebenda S.149
44
ebenda S.145
45
Die sehr komplexen spekulativen Gedankengänge Hegels können hier nur ungenügend
angedeutet werden. Siehe dazu: Ludwig Siep, Anerkennung als Prinzip der praktischen
Philosophie. Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes, Verlag Karl
Alber, Freiburg München, 1979, S.71
Seite 12
Freiheit und Selbständigkeit ihres Gegensatzes, nämlich verschiedener für sich
seiender Selbstbewußtseine, die Einheit derselben ist; Ich, das Wir, und Wir, das Ich
ist.“46 Der Begriff des Geistes wird in der gesamten Phänomenologie des Geistes
bereits vorausgesetzt; es geht dann um den Nachvollzug der Schritte, die der in die
Natur sich entäußerte Geist auf dem Weg zu sich selbst vollzieht. Indem wir diese
vorgegebenen Schritte nachvollziehen, ist es uns möglich zum absoluten Wissen
dieses Geistes zu gelangen. Das Wesen des Selbstbewußtseins besteht in seiner
Doppelsinnigkeit, nämlich einerseits Bewußtsein der uns umgebenden sinnlichen
Welt zu sein, und andererseits Bewußtsein seiner Selbst zu sein, - ein Gegensatz,
den das Selbstbewußtsein aufheben und die Gleichheit seiner selbst mit sich
herstellen will. Dem Selbstbewußtsein geht es also darum das Ansichsein der Welt
mit seinem Fürsichsein zu vermitteln:„Die Doppelsinnigkeit des Unterschiedenen
liegt in dem Wesen des Selbstbewußtseins, unendlich oder unmittelbar das
Gegenteil der Bestimmtheit, in der es gesetzt ist, zu sein.“47 Diese Struktur des
Selbstbewußtseins wird später für Sartres Fürsichsein eine Rolle spielen, indem das
„Fürsichsein das ist, was es nicht ist und nicht das ist, was es ist.“ Jedoch wird bei
Sartre und bei Beauvoir weder Hegels Konzept des Geistes, noch seine idealistische
Vermittlung in der Vernunft übernommen. Vielmehr bleibt es beim Stadium des
„Unglücklichen Bewußtseins“, das niemals zur Übereinstimmung des Ansichseins
und Fürsichseins gelangt. Sartres Das Sein und das Nichts stellt eine klare Absage
an Hegels idealistische Philosophie dar, indem der Versuch des Menschen, sich
zum Ansich-Fürsich, und damit zu Gott, zu machen als zum Scheitern verurteilt
angesehen wird. Er bestätigt zwar, daß ganz im Sinne der hegelschen Philosophie
jede menschliche-Realität ein direkter Entwurf, ihr eigenes Für-sich in An-sich-Fürsich umzuwandeln ist, und zugleich Entwurf zur Aneignung der Welt als Totalität von
An-sich-sein in der Art einer grundlegenden Qualitätdarstellt48, daß dies aber eine
sinnlose Passion sei. Erst wenn der Mensch dieses Scheitern auf sich nimmt, kann
er zu seiner Eigentlichkeit gelangen. Sowohl Sartres als auch Beauvoirs Philosophie
stellt in wesentlichen Punkten eine Auseinandersetzung mit und eine Kritik am
idealistischen Denken dar.
46
G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970,
S.145
47
ebenda, S.145
48
J.P. Sartre, Das Sein und das Nichts, Reinbeck bei Hamburg: Rowohl 1995, S.1052
Seite 13
Beauvoir setzt in ihrem Ethikentwurf Für eine Moral der Doppelsinnigkeit an der
bereits bei Hegel angelegten Doppelsinnigkeit des menschlichen Bewußseins an,
wobei sie explizit auf eine Definition Sartres zurück greift, der die Doppelsinnigkeit
zur „grundlegenden Definition des Menschen heranzieht, dieses Wesens, dessen
Sein darin besteht, nicht zu sein, dieser Subjektivität, die nur als Anwesenheit in der
Welt wirklich wird, dieser gebundenen Freiheit, dieses Erscheinens des Für-sich,
das für die anderen unmittelbar gegeben ist.“49 Der Mensch ist gleichzeitig
Bewußtsein und Bestandteil der Welt. Er ist souveränes Subjekt gegenüber einer
Welt von Objekten und teilt doch das Schicksal, für die Anderen seinerseits Objekt
zu sein. Beauvoirs Vorwurf an Hegel besteht darin, daß er diese Spannung um den
Preis der Aufhebung des Einzelnen in der Gesamtheit, in der er sich verliert,
aufgegeben hat. Auch wenn Hegel das Recht der Individuen an ihre Besonderheit
als in der sittlichen Substanz enthalten ansieht, 50, so bleibt bei ihm die Besonderheit
doch nur ein Moment der Gesamtheit, innerhalb deren sie sich überschreiten muß.
Die Auffassung Hegels, daß der Einzelne nur ein abstraktes Moment der Geschichte
und des absoluten Geistes ist, erklärt sich laut Beauvoir daraus, daß er Wirklichkeit
und Vernunft gleich setzt und damit die Menschenwelt ihrer wahrnehmbaren Dichte
raubt. Ihrer Meinung nach bildet das wesentliche Moment der hegelschen Morallehre
das Moment der gegenseitigen Erkenntnis der Bewußtseinsindividuen. „Dabei
erkenne ich den Anderen als mit mir identisch, was bedeutet, daß ich in mir nur die
universelle Wahrheit meines Ichs erkenne.“51 Die Einzigartigkeit des Einzelnen wird
geleugnet und auf die Ebene des Natürlichen und Zufälligen zurückverwiesen. Was
bleibt ist die Selbstbewegung des Geistes zu seinem Begriff hin, in dem der Geist
allein Subjekt ist. „Wer aber ist dieses Subjekt?“52 - fragt Beauvoir und lehnt die
Aufhebung in der Totalität ab. Hegel hatte zwar versucht, keinen Aspekt des
Menschseins außer acht zu lassen, aber um den Preis der Aufhebung des Einzelnen
in der Gesamtheit, in der er sich verliert. Wenn man ein System nur theoretisch und
49
ebenda S.81
50
G.W.F.Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Suhrkamp Taschenbuch Verlag
Frankfurt am Main 1986 §154
51
Simone de Beauvoir, Für eine Moral der Doppelsinnigkeit, in: Soll man de Sade
verbrennen. Drei Essays zur Moral des Existentialismus, Reinbeck bei Hamburg,
Rowohl:1964, S.150
52
ebenda S.151
Seite 14
abstrakt betrachtet, stellt man sich auf die Ebene des Universellen, also des
Unendlichen. „Deshalb ist es so tröstliche“ schreibt Beauvoir, „die Schriften über das
Hegelsche System zu lesen: ich erinnere mich, daß ein tiefer Frieden sich in mir
ausbreitete, als ich im August 1940 die Schriften Hegels las.“53 Es ist hier nicht der
Platz Beauvoirs differenzierte Auseinandersetzung mit Hegel zu diskutieren, es ist
mir aber ein Anliegen zu zeigen, wie sehr sich Beauvoir schon von ihren frühesten
Werken an mit Hegels Originaltexten beschäftigt hat. Daß eine ganze Generation
linksorientierter französischer Intellektueller von Sartre und Beauvoir bis Hyppolite
von Kojèves Hegelinterpretationen beeinflußt worden war steht außer Zweifel 54,
doch die These von Eva Lundgren-Gothlin, daß Hegel für Beauvoir im wesentlichen
über Vermittlung Kojèves zugänglich geworden sei und Das andere Geschlecht in
Hinsicht auf Kojève zu interpretieren sei, scheint mir jedoch nicht haltbar. 55 Auch
wenn der programmatische und meiner Ansicht nach nicht unproblematische Schluß
von Beauvoirs Das Andere Geschlecht, nämlich die Betonung der Arbeit für die
Befreiung der Frau und die Realisierung des Reiches der Freiheit, in dem „Männer
und Frauen über ihrer natürlichen Unterschiede hinaus unmißverständlich ihre
Brüderlichkeit behaupten“, auf Einflüsse Kojèves hinweisen, war Beauvoir allen
„Erlösungskonzepten“ gegenüber immer skeptisch eingestellt 56, seien diese nun
durch den Gang der Geschichte oder durch den Geist bewirkt.
Beauvoir bietet vielmehr eine andere Lösung des Konfliktes an: die Lösung kann nur
durch die konkrete Alterität,57 wenn der andere bei sich anwesend ist, und nicht wie
bei Hegel durch „Aufhebung“, erfolgen. Konkret sind dies Freundschaft und Hingabe,
53
54
ebenda S. 192
Kojeve hielt an der Sorbonne von 1933 bis 1939 Vorlesungen über Hegels
Phänomenologie des Geistes, die 1947 von Queneau veröffentlicht wurden
55
Eva Lundgren-Gothlin, Sex and Existence. Simone de Beauvoir´s The Second Sex.
Wesleyan University Press, London 1996, S.67
56
Beauvoir berichtet in ihrer Autobiographie, daß sie im Juni 1945 mit Queneau heiß über
das „Ende der Geschichte“ gestritten hätte. “Queneau, durch Kojève in die Gedankenwelt
Hegels eingeführt, war der Meinung, eines Tages würden sich alle Individuen in der
siegreichen Einheit des Geistes zusammenfinden. Aber wenn ich Kopfschmerzen habe?“
sagte ich. „Man wird Ihre Kopfschmerzen haben“, erwiderte Queneau“ Simone de
Beauvoir, Der Lauf der Dinge, Reinbeck bei Hamburg: 1970, S.41
57
Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, wie oben, S.190
Seite 15
die die Anerkennung der wechselseitigen Freiheiten praktisch verwirklichen. 58 Im
Anderen Geschlecht deutet Beauvoir kurz den von ihr bereits in Für eine Moral der
Doppelsinnigkeit entwickelten Lösungsansatz an: der Mensch muß auf das bloße
Sein verzichten und seine Existenz auf sich nehmen. 59 Der Mensch darf nicht
versuchen, im Sinne Hegels, die Ambivalenz seines Seins aufzuheben, es handelt
sich also nicht um eine Überschreitung im Hegelschen Sinne, sondern um eine
„existentialistische Umkehr“ im Sinne Husserls phänomenologischer Reduktion.
Debra Bergoffen hat darauf hingewiesen60, daß Beauvoir hier die Einsichten von
zwei so unterschiedlichen Phänomenologien, wie der Phänomenologie Hegels und
der Phänomenologie Husserls einander gegenüberstellt: während erstere die
Einstellung des „Sein-wollens“, des Willens zum Sein darstellt, der die im Entwurf
gesetzten Ziele erreichen will und damit im Geiste der Ernsthaftigkeit Menschen und
Dinge unter seiner Herrschaft und Kontrolle haben möchte, entspricht letztere der
Haltung des „Sein-lassens“, die in der Enthüllung des Seins ihre Freude am SeinLassen-Können findet. Meiner Interpretation nach zeigt sich hier Beauvoirs Kritik an
Hegel, an dem von ihm vertretenen männlichen Herrschaftsanspruch, der darin liegt,
alles andere, insbesondere die Natur in seine Verfügungsgewalt zu bekommen. Der
Mann will Gewalt über die Natur ausüben und versucht, sie sich anzueignen, aber,
so Beauvoir: „er besitzt sie nur, indem er sie verbraucht, das heißt zerstört.“61 - Auf
diese Weise bleibt er allein - „ein Fremder ohne Reisepaß in einer eisigen Welt.“62
Beauvoirs Lösungsansätze und ihre gegenwärtige Bedeutung
Die Absicht meiner Ausführungen ist es, das äußerst differenzierte und oft höchst
ambivalente Verhältnis Beauvoirs zu Hegel zu verdeutlichen. Einerseits ist Beauvoir
an Hegels bewußtseinsphilosophischen Ausführungen interessiert, bieten diese ihr
doch den Rahmen für ihre eigenste sowohl persönliche als auch theoretische
Problematik: der Bedrohung der eigenen Existenz durch die Existenz eines anderes
58
ebenda S.191
59
ebenda S.191
60
Debra Bergoffen, Inentionale Ängste bekämpfen. In: Silvia Stoller, Helmuth Vetter (Hg.),
Phänomenologie und Geschlechterdifferenz, Wien: WUV Universitätsverlag 1997
61
Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, wie oben, S.190
62
ebenda S.191
Seite 16
Bewußtseins. Beauvoir findet in Hegels Philosophie die Annahme
einer
grundlegenden Feindseligkeit zwischen zwei Bewußtseinen: „Das Subjekt setzt sich
nur, indem es sich entgegen-setzt: es hat den Anspruch, sich als das Wesentliche zu
behaupten und das Andere als Unwesentlich, als Objekt zu konstituieren.“63 Nur
kommt im Normalfall das Subjekt nicht sehr weit: das andere Bewußtsein setzt ihm
seinerseits
den
gleichen
Anspruch
entgegen.
So
gibt
es
Kriege,
Handelsbeziehungen, Verträge, die Individuen und Gruppen dazu zwingen, wohl
oder übel die Wechselseitigkeit ihrer Beziehungen anzuerkennen. Andererseits fragt
Beauvoir aber, wie es kommt, „daß zwischen den Geschlechtern diese
Wechselbeziehung nicht hergestellt worden ist?“64 Wie konnte es dazu kommen,
daß die Frau zur unwesentlichen Anderen wurde, die nie den Kampf um
Anerkennung aufgenommen hat? Beauvoir stößt bei ihrer Suche nach einer Antwort
auf den Mythos der Weiblichkeit, mit dessen Hilfe der Mann die Frau zur Anderen
macht, seine Herrschaft durch ihre „natürliche Unterlegenheit“ begründet: „Sie ist die
zur Transparenz von Bewußtheit erhobene Natur, sie ist ein von Natur aus
untergeordnete Bewußtsein.“65 Auf diese Weise erfüllt sie gleich zwei Funktionen sie ist der ersehnte Mittelweg zwischen der dem Mann fremden Natur und zugleich
bildet sie einen Ausweg aus der „unerbittlichen Dialektik von Herr und Knecht“, die
darin besteht, daß jeder andere Mann, durch einen Kampf auf Anerkennung
jederzeit seine Herrschaft anfechten kann. Denn, so sagt Beauvoir, zwischen Mann
und Frau hat es nie einen Kampf gegeben. Während der besiegte Sklave ebenso
wie der Herr sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, ist die Frau dagegen „ursprünglich
ein Existierendes, das das Leben schenkt und sein Leben nicht aufs Spiel setzt.“66
Ihr Unglück ist, daß sie biologisch zur Wiederholung des Lebens bestimmt ist, denn
nicht indem der Mensch Leben schenkt, sondern indem er es einsetzt, erhebt er sich
über das Tier. „Deshalb wird innerhalb der Menschheit der höchste Rang nicht dem
Geschlecht zuerkannt, das gebiert, sondern dem, das tötet.“67 Es wurde bereits sehr
viel über Beauvoirs misogyne Äußerungen, insbesonders über ihre problematische
Einstellung zur Mutterschaft geschrieben. Ich muß zugeben, daß mich auch über
63
ebenda S.13
64
ebenda S.14
65
ebenda S.192
66
ebenda S.90
67
ebenda S.90
Seite 17
manche Strecken eine Art ohnmächtiger Widerstand über all die abwertenden
Äußerungen über Frauen erfaßt hat. Eine einseitige diesbezügliche Kritik an
Beauvoir würde jedoch darüber hinwegsehen, daß es ihr gerade
darum ging,
aufzuzeigen, daß es sich dabei um männliche Werte handelt und in Wirklichkeit die
Frauen den Männern nie weibliche Werte68 entgegengesetzt, sie vielmehr
übernommen und anerkannt haben: „Die Vorstellung von der Welt ist, wie die Welt
selbst, das Produkt der Männer: sie beschreiben sie von ihrem Standpunkt aus, den
sie mit dem der absoluten Wahrheit gleichsetzen.“69
Der von den Männern geschaffene Mythos der Weiblichkeit ermöglicht es diesen,
die
Frau
zur
„Anderen“
zu
machen
und
sie
vom
gesellschaftlichen
Anerkennungsprozeß auszuschließen. Andererseits betont Beauvoir bereits auf den
ersten Seiten, daß es eine Form von Unauthentizität wäre, zu behaupten, die Frau
stände jenseits ihres Geschlechts. “Die Begriffe vom Ewigweiblichen, von der
schwarzen Seele, vom jüdischen Charakter abzulehnen, bedeutet ja nicht zu
verneinen, daß es heute Juden, Schwarze, Frauen gibt: die Verneinung wäre für die
Betroffenen keine Befreiung, sondern eine Flucht ins Unauthentische.“70 Die
Perspektive der Existentialisitschen Ethik, die Beauvoir an den Ausgangspunkt ihrer
Untersuchungen stellt71, geht eben nicht von der abstrakten Menschheit aus,
sondern sieht
Freiheit nur in und durch die Situation, nur in und durch die
verkörperte, vergeschlechtlichte Existenz.
Nichtsdestotrotz sehen Autorinnen wie
Iris Young72 in Beauvoirs humanistischem Feminismus eine Revolte gegen die
Weiblichkeit. Beauvoir würde Menschsein mit Männlichkeit identifizieren und die
Gleichheit an männlichen Maßstäben messen.73 Der gynozentrische Feminismus
68
So betont Beauvoir, daß die Mutterschaft je nach dem Wert, den sie in der Gesellschaft
darstellt für die Frau „eine Quelle der Würde oder der Würdelosigkeit sein“ wird. Es
kommt auf die jeweilige gesellschaftliche Anerkennung an. Siehe: Das andere
Geschlecht, wie oben, S.62
69
ebenda S.194
70
Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, wie oben, S.10
71
ebenda, S.25
72
Iris Marion Young, Humanismus, Gynozentrismus und feministische Politik, in:
Denkverhältnisse. Feminismus und Kritik. Hg. von Elisabeth List und Herlinde Studer,
FaM 1989
73
Beauvoir
selbst
hat
meiner
Ansicht
nach
dazu
einiges
beigetragen.
Die
unüberschaubare Fülle, die oft unsystematischen Vorgangsweise, sowie der komplexe
Seite 18
hingegen würde von positiven weiblichen Werten ausgehen, sozusagen die
Differenz betonen. Diese als „Streit um Differenz“ bezeichnete Kontroverse wurde in
den neunziger Jahren von noch heftigeren Auseinandersetzungen um Judith Butlers
poststrukturalistische Position abgelöst.74
Im Gegensatz zur äußerst spärlichen und oft auch problematischen Rezeption
Beauvoirs stellt Butler Beauvoir an einen der Ausgangspunkte ihrer Überlegungen.
„Wenn an Beauvoirs These, daß man nicht als Frau zur Welt kommt, sondern dazu
wird, tatsächlich etwas richtig ist, folgt daraus, daß die Kategorie Frau selbst ein
prozessualer Begriff, ein Werden und Konstruieren ist, von dem man nie rechtmäßig
sagen kann, daß es gerade beginnt oder zu Ende geht.“75 Es ist hier nicht der Ort
um Butlers Weiterentwicklung von Beauvoirs Thesen zu erörtern, gemeinsam ist
beiden Ansätzen jedenfalls die Ablehnung einer besonderen weiblichen Essenz,
einer weiblichen Natur. Auch wenn der gynozentrische Feminismus einen wichtigen
Beitrag dahingehend leistet, das Selbstwertgefühl der Frauen zu stärken, indem er
den
weiblichen
Körper
und
die
traditionellen
weiblichen
Aufgaben
als
Ausgangspunkt positiver Wertvorstellung sieht, muß Iris Young einräumen, daß ihm
die Gefahr einer Anpassung an die herrschenden Mächte innewohnt. 76
Wie bereits erwähnt, wurde die Unterordnung der Frau schon seit der Antike auf die
„natürliche“ Unterlegenheit der weiblichen Natur zurückgeführt und hatte, trotz der
neuzeitlichen Wendung auf das Subjekt der Vernunft, Eingang in Hegels Philosophie
genommen. So
erhält bei Hegel die „natürliche“ Bestimmtheit der beiden
philosophische Hintergrund, der oft nur ungenügend ausgearbeitet ist und wie z.B. im
Falle des Begriffs der Transzendenz mehrfach besetzt ist, können bei nur oberflächlicher
Rezeption zu groben Mißverständnissen führen. Eine problematische Wortwahl kann
dann noch das ihre dazu tun. So muß ich selber zugeben, daß mich anfangs der
Abschlußsatz des Anderen Geschlechts, „daß Männer und Frauen über ihre natürlichen
Unterschiede hinaus unmißverständlich ihre Brüderlichkeit behaupten.“ zu den Vermutung
verleiteten, daß am Ende alle Menschen Männer werden sollten, die Weiblichkeit beim
Eintritt in die Welt der wechselseitigen Anerkennung sozusagen geopfert werden müßte.
74
So scheut Martha Nussbaum nicht davor zurück, Butler einer Kollaboration mit dem
Bösen anzuschuldigen. In: The New Republic, Vo.220, Nr.8, February22,1999, Martha
Nußbaum, The professor of parody. The hip, defeatist feminism of Judith Butler, S.45
75
Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, FaM 1991, S.60
76
Iris Young, wie oben, S.38
Seite 19
Geschlechter durch ihre Vernünftigkeit „intellektuelle“ und „sittliche“ Bedeutung. 77
Dadurch wird es ihm möglich Frauen und Männern zwei jeweils verschiedene
Sphären zuzuweisen. Den Frauen wird die für das Mensch- und Subjektsein
notwendige Fähigkeit zur Allgemeinheit abgesprochen, ihnen ist die Sphäre der
Öffentlichkeit, der Zugriff auf die Welt, die Transzendenz verwehrt. Sie bleiben dem
Reich der Notwendigkeit, dem Leben der Immanenz verhaftet und können daher
nicht am Kampf um Anerkennung, jenem wichtigen Prozeß der Subjektwerdung
teilnehmen, in dem die Männer ihr Leben riskieren und sich damit zur Transzendenz
machen. Da Hegels Philosophie im wesentlichen auf die Entwicklungsstufen des
Geistes ausgerichtet ist und er den Individuen bloß einen akzidentellen Wert zumißt,
stellt es für ihn kein Problem dar, die grundsätzliche
Doppelsinnigkeit des
Menschen, sowohl Körper als auch Geist, sowohl Immanenz als auch Transzendenz
zu sein, zugunsten der beiden Geschlechter hierarchisch aufzuteilen und die Frauen
auf einer niedereren Stufe, als Opfer der Dialektik78 zurückzulassen. Für Beauvoir
hingegen stellt die Doppelsinnigkeit des Menschen, Transzendenz und Immanenz
zu sein, die Grundstruktur des Menschseins - und zwar jeden Menschens und nicht
nur der Menschheit - dar. Beauvoir sieht es als ethische Verpflichtung sowohl von
Frauen, als auch von Männern an, nicht mehr den Mythen der Gesellschaft zu
glauben, die durch eine strikte Rollenzuteilung die Frau auf die Sphäre der
Immanenz und Faktizität reduzieren wollen, während die Männer ihrerseits den
Bereich der Transzendenz und Freiheit beanspruchen und ihre Faktizität ignorieren.
Während Yvanka Raynova in dem folgenden Beitrag aufzeigt, wie die Kategorie der
Frau als Andere - ein Analog des Lyotardschen Konzepts des Différend - einem
dualistischen Denken zugrunde liegt, das Feindbilder, Mythen und Simulakren
erschafft, die die Repressionsmachine legitimieren und in Gang setzen 79, möchte ich
nachvollziehen wie Beauvoir den hegelschen Ansatz gegen Hegel selbst verwendet,
indem sie seinen Dualismus und die Ausschlußmechanismen gegenüber Frauen
aufzeigt und dekonstruiert. Der Mythos der Weiblichkeit schafft allererst die
Kategorie Frau mit deren Hilfe dann die Unterdrückung und der Ausschluß der
77
G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philsophie des Rechts, FaM 1970, §165
78
Seyla Benhabib, Selbst im Kontext, wie oben, S.276
79
Sieh: Y. Raynova, Das andere Geschlecht im postmodernen Kontext, hier im selben
Heft von Constellations.
Seite 20
Frauen aufgrund der ihnen zugeschriebenen „natürlichen Unterlegenheit“ stattfindet.
Obwohl sie vorgibt eine Theorie der Gleichheit und Freiheit zu sein, schafft die
Hegelsche Konzeption allererst die Differenz und Ungleichheit zwischen den
Geschlechtern. Zugleich gibt sie aber Beauvoir ein Instrument der Kritik in die Hand,
- ein Instrument allerdings dessen Ambivalenz schon mehrmals betont wurde - das
die Gefahr in sich birgt, eine ausschließliche Orientierung an männlichen Werten
vorzunehmen. Außerdem wird die Interpretation Beauvoirs durch die Mehrdeutigkeit
ihrer Begrifflichkeit erschwert80: einerseits verwendet sie die Begriffe TranszendenzImmanenez im existentialistischen Sinne um die Doppelsinnigkeit jedes Menschen
zu beschreiben, andererseits knüpft sie an Hegel an, um die beiden von einander
getrennten sozialen Bereiche, die jeweils Männern und Frauen vorbehalten sind, zu
kennzeichnen - die männliche Sphäre von Transzendenz, die durch Aktivität,
produktive Arbeit, Schaffung von Werten ausgezeichnet ist und diemit dem
öffentlichen Bereich gleichgesetzt wird, während der weibliche Bereich die Sphäre
der Immanenz darstellt, die durch Wiederholung, Erhaltung und Kontinuität
gekennzeichnet ist und mit der Sphäre des Lebens und des Privaten einher geht.
Bei einer nur oberflächlichen Lektüre könnte dabei der Eindruck entstehen, daß
Beauvoir Transzendenz mit Männlichkeit gleichsetzt, während sie in Wirklichkeit
dagegen ankämpft.
Was sind nun die Lösungsansätze die uns Beauvoir anbietet?
Folgen wir nunmehr den drei Gründen, die Beauvoir als Ursache der Unterdrückung
der
Frauen
sieht,
erstens
die
ökonomische
Abhängigkeit,
zweitens
das
Selbstverständnis des Zusammenlebens als Mitsein, in dem das Paar als Einheit
gesehen wird, wodurch es nicht zur Reziprozität des Kampfes um Anerkennung
kommt und drittens die Neigung der Frauen, sich in der Rolle der Anderen zu
gefallen.81 Die Berufstätigkeit der Frau bildet einen Ausweg aus der ökonomischen
Abhängigkeit. Beauvoir betont jedoch, daß dies nur funktionieren kann, wenn die
Gesellschaft insgesamt verändert wird82. Ihre Hoffnung lag zum Zeitpunkt der
80
Siehe dazu auch Eva Lundgren-Gothlin, wie oben S.241
81
Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, wie oben, S.17
82
Yvanka Raynova vertritt diesbezüglich die These, daß Beauvoir eine „Ethik der Gerechtigkeit“
ausgearbeitet hat, bei der es sich um eine permanente Revolution und eine dreifache Veränderung
handelt: die individuelle Konversion der Frauen, die kollektive Konversion und die Erschaffung einer
Seite 21
Erscheinung des anderen Geschlechts noch in der Realisierung einer sozialistischen
Welt.83 Bezüglich Punkt zwei und drei handelt es sich um die Notwendigkeit einer
noch tiefgreifenderen Änderung, nämlich der Änderung der Symbolischen Ordnung
selbst. Die ökonomische Unabhängigkeit der Frau wird so lange nicht zu ihrer
Befreiung führen, solange die gesellschaftlichen Werte sich nicht geändert haben,
die bei der Frau eine schmerzhafte Zerrissenheit bewirken 84: die Männer billigen
weitgehend, daß die Frau ebenbürtig und gleichwertig ist, verlangen aber weiterhin,
daß sie das Unwesentliche bleibt. Dadurch, daß die Frau dem Mann gefallen und
seinen Vorstellungen entsprechen will, bleibt sie nach wie vor seine Vasallin,
unterwirft sich selbst und entscheidet sich für die Unfreiheit. „Daraus folgt“, betont
Beauvoir, „daß die Frau sich nicht als für sich existierend erkennt und wählt, sondern
so, wie der Mann sie definiert.“85 Es sind aber nicht nur die konkreten Möglichkeiten,
die ihr oft fehlen, sondern, „weil sie sich oft in ihrer Rolle als Andere gefällt.“86
Beauvoir hebt hier im Gegensatz zu manchen Interpretationsversuchen 87 die aktive
Rolle der Frau hervor, die ihr trotz verschiedenster Formen von Unterdrückung
immer noch zukommt.88 Die Frau muß sich entscheiden, ihre Freiheit zu wollen und
auf sich zu übernehmen. Dabei geht es aber gerade nicht darum das Frausein zu
verleugnen -
dies wäre genau so eine Form von Unauthentizität wie wenn ein
Schwarzer leugnen würde, ein Schwarzer zu sein. Beauvoir läßt vielmehr überhaupt
erst die weibliche Stimme zur Wort kommen, indem sie die weibliche Erfahrung zu
einem theoretisch bedeutsamen Element erhebt. So ist für Beauvoir von erheblicher
neuen Situation, wo die Ausgeschlossenen als gleichwertig an Sein, Transzendenz und Freiheit
anerkannt werden (Y. Raynova, Das andere Geschlecht im postmodernen Kontext).
83
Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, wie oben S.842
84
ebenda S.328
85
ebenda S.189
86
ebenda S.17
87
Beauvoirs wohl berühmteste Satz: „On ne pas femme, on le devient“ wird z.B. von Alice
Schwarzer statt mit: “Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“, mit „Man kommt
nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht.“ übersetzt.
88
Das andere Geschlecht enthält allerdings viele Ambivalenzen. So erwähnt Beauvoir am
Ende ihres Werkes, daß der Abgrund, der zwischen dem jungen Mädchen und dem
jungen Mann liegt, seit der frühesten Kindheit im allseitigen(!) Einvernehmen gegraben
worden sei. „Später ist dann nicht mehr zu verhindern, daß die Frau das ist, wozu man sie
gemacht hat.“ in: Das andere Geschlecht, wie oben, S.892
Seite 22
Bedeutung, „inwieweit die Tatsache, daß wir Frauen sind, unser Leben beeinflußt
hat.“ 89 Frausein ist für Beauvoir nicht durch irgendeine verborgene Essenz gegeben,
sondern Teil ihrer Situation. „Welche Chancen wurden uns im einzelnen gegeben
und welche wurden uns vorenthalten?“90 Welche Bedeutung Beauvoir diesem
Themenkreis zumißt ist daraus ersichtlich, daß der gesamte zweite Teil des Anderen
Geschlechts den Titel „Gelebte Erfahrung“ trägt.
Ich möchte zum Abschluß ganz kurz Nancy Fraser zu Wort kommen lassen, die sich
in einem ihrer letzten Werke mit dem Thema der Anerkennung auseinandersetzt und
die Problematik, die ich schon bei Beauvoir angelegt sehe, auf den Punkt bringt.
In Justice Interruptus spricht sie vom Verteilungs-Anerkennungs-Dilemma.91 Wie wir
bereits bei Beauvoir gesehen haben, wurde die Kategorie Frau dazu verwendet,
Frauen aus dem Gesellschaftlichen Anerkennungsprozeß auszuschließen. Eine
logische Konsequenz davon wäre, die geschlechtliche Differenzierung aufzulösen
und wie Beauvoir als letzten Satz des anderen Geschlechts postuliert, „daß Männer
und Frauen über ihre natürlichen Unterschiede hinaus unmißverständlich ihre
Brüderlichkeit behaupten.“92 Was hier bei Beauvoir offensichtlich ins Auge fällt, ist,
daß ihr dafür die Begrifflichkeit fehlt. Sie orientiert sich sprachlich wiederum am
Männlichen, ein Mangel, der ihr große Kritik eingetragen hat, obwohl sie meiner
Ansicht nach vielmehr eine Gleichheit jenseits der Geschlechtlichkeit meint, was so
viel wie die Auflösung der Geschlechterdichotomie bedeuten könnte. 93 Zugleich geht
es Beauvoir aber darum, der „anderen“ Stimme, nämlich der Stimme der Frau und
ihrer Erfahrung Gehör zu verschaffen und aufzudecken, daß alle gesellschaftlichen
Werte über die Frauen bisher von den Männern geschaffen worden waren und daß
eben diese kulturellen Werte verändert werden müßten. Dies bedeutet, die positiven
Werte Frauen betreffend, anzuerkennen. Es geht also um eine Anerkennung von
Differenz. Genau in diesem Sinne stellt Fraser ihre Frage: „Wie können
89
ebenda S.24
90
ebenda S.24
91
Nancy Fraser, Justice Interruptus. Critical Reflections on the „Postsocialist“ Condition,
Routledge, New York, 1997, S.23
92
93
Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, wie oben, S.900
Übrigends hat schon Marx, wie Fraser erwähnt, die Arbeiterklasse nicht als etwas
angesehen, das in seiner Differenz anzuerkennen wäre, sondern vielmehr als Kategorie
der Unterdrückung, die insgesamt abzuschaffen ist. Nancy Fraser, wie oben, S.18
Seite 23
Feministinnen zugleich darum kämpfen, daß die Geschlechterdifferenz abgeschafft
wird und zugleich darum kämpfen, daß sie aufgewertet wird?“ 94 Die Lösung dieses
Dilemmas
sieht
Fraser darin,
daß die
Verteilungsproblematik durch
eine
sozialistische Gesellschaft und die Anerkennungsproblematik durch kulturelle
Dekonstruktion gelöst wird. Verbunden damit ist die Herausforderung, neue Wege
zu gehen und sich von alten kulturellen Konstruktionen und festgeschriebenen
Identitäten zu befreien. 50 Jahre nach dem Erscheinen Des anderen Geschlechts
erscheint die Aufgabe und die Problemstellung die uns Beauvoir auf den Weg
gegeben hat also keineswegs überholt zu sein.
94
Nancy Fraser, ebenda S.21
Seite 24
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