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Natalia Fąs, Poznań
Hegels Sittlichkeitskonzeption als eine Inspirationsquelle für die
neue Demokratien (am Beispiel Polens)
Der Staat im Sinne der Sittlichkeitskonzeption, die von Hegel in seinen Grundlinien der Philosophie
des Rechts dargestellt wurde, ist eine ethische Gemeinschaft, eine Sphäre des objektiven Geistes, eine
Verwirklichung der konkreten Freiheit. Obwohl Hegel den Staat (eigentlich eine Idee des Staates) am
Beispiel einer konstitutionellen Monarchie beschreibt, kann man die Idee des Staates auch auf neue
europäische Demokratien, wie z. B. Polen, beziehen: „Jedes Volk hat deswegen die Verfassung, die
ihm angemessen ist und für dasselbe gehört“.1 Laut Hegel sollte also die Verfassung der Tradition und
der Geschichte des Volkes entspringen und der Mentalität der Mitglieder gemäß sein. Nur dann hat
der Staat die Grundlage, um gut zu funktionieren und eine sittliche Gemeinschaft zu werden.
Meine Hauptthese lautet: Die neuen europäischen Demokratien sind in ihrer Entwicklung zur
Freiheit auf der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft stehen geblieben, da die demokratische Verfassung noch nicht völlig in der Mentalität der Bürger verwurzelt ist. Mit neuen europäischen Demokratien meine ich diejenigen Länder, die nach 1989 ihre Verfassung in demokratische verwandelt
haben, z. B. die Slowakei, Tschechien, Polen, Litauen. Hier werde ich nur den Fall Polen genauer
besprechen. Laut meiner These sind die neuen europäischen Demokratien keine sittlichen Staaten
im Sinne Hegels, weil der sittliche Staat für Hegel eine Aufhebung des Selbstbewusstseins der Individuen zur Allgemeinheit bedeutet und damit eine Möglichkeit der Gleichsetzung der Zwecke und
Bestrebungen der Individuen mit den Zwecken und Bestrebungen des Staates: „Der Staat ist als die
Wirklichkeit des substantiellen Willens, die er in dem zu seiner Allgemeinheit erhobenen besonderen
Selbstbewusstsein hat, das an und für sich Vernünftige“.2
Der sittliche Staat sollte mit dem Individuum eine solche Einheit bilden, dass das Letztere in dem
bei sich ist, was anders ist: „In dieser Identität des allgemeinen und besondern Willens fällt somit
Pflicht und Recht in Eins, und der Mensch hat durch das Sittliche insofern Rechte, als er Pflichten,
und Pflichten, insofern er Rechte hat“.3
Was ich hier unterstreichen will, ist, dass eine ethische Gemeinschaft ihre Wirklichkeit nur in
Individuen hat, die sich dieser Sittlichkeit bewusst sind. Den Begriff der Sittlichkeit kann man als
ein ganzes System in Bezug auf die Demokratie bezeichnen, in der zwei Bedingungen erfüllt sind:
erstens, die Verfassung des Staates entspringt der Mentalität der Bürger, die einen direkten oder
indirekten Einfluss auf das Beschließen der Gesetze haben. Zweitens, die Bürger kennen Gesetze
und Werte (z. B. Gleichheit, Gerechtigkeit, Toleranz, gegenseitige Achtung), die in ihrem demokratischen Staat gelten; sie besitzen nicht nur das Wissen darüber, sondern auch praktische demokratische Fähigkeiten und sie können ihnen gemäß leben. Unter demokratischen Kompetenzen verstehe
ich z. B. die Fähigkeit der Diskussion, der Argumentation, der moralische Urteilskraft usw. Damit
ist verbunden, dass die Bürger sich in ihrem Alltagsleben nicht immer nur nach eigenen Interessen,
sondern auch nach den Interessen des Staates als einer sittlichen Gemeinschaft richten.
1 G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 274.
2 Ebd., § 258.
3 Ebd., § 155.
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Natalia Fąs, Hegels Sittlichkeitskonzeption als Inspirationsquelle für neue Demokratien
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Polen kann erst seit circa zwanzig Jahren die Regeln eines demokratischen Staates geltend machen. Diese relativ kurze Zeit reicht nicht aus, damit sich die Bürger an das Leben in einer Demokratie
anpassen, denn „Demokratie ist etwas mehr als eine Regierungsform, sie ist vor allem eine Art für ein
gemeinsames Leben“.4 Die Demokratie in Polen kann man als „Verfahrensdemokratie“ bezeichnen,
das heißt: „sie erfüllt das Verfahrenskriterium der Demokratie: die Exekutive ist von dem Ergebnis
der freien und ehrlichen Wahlen abhängig, die in Bedingungen des allgemeinen […] Wahlrechtes,
der Rede- und Versammlungsfreiheit, der Existenz alternativer Informationsquellen, der Freiheit der
Vereinsgründung und des Beitritts zu ihnen stattfinden“.5 Leider ist die Demokratie in Polen noch
nicht vollständig, das heißt: sie ist in dem Bewusstsein der Bürger nicht völlig verwurzelt. Man darf
die Tatsache nicht verschweigen, dass die Zeit des Sozialismus in Polen einen Einfluss auf die persönliche Entwicklung und die Mentalität der Bürger hatte. Obwohl seit der Wende über zwanzig Jahre
verstrichen sind, übt diese Zeit ihren Einfluss zwar schwächer, aber doch immer noch aus. Es ist zwar
eine Generation von Polen aufgewachsen, die in der Demokratie geboren sind, aber sie wurden durch
in einem sozialistischen Staat geistig verwurzelte Personen erzogen. Davon zeugt der geringe Anteil
der Polen, die sozialen Verbänden angehören oder eine andere Bürgeraktivität zeigen. Deshalb braucht
man in Polen eine demokratische Bildung, eine Ausbildung zu einem Leben in einem freien Staat.
Ich wiederhole meine Hauptthese in Bezug auf Polen noch einmal: Polen als eine neue europäische Demokratie ist in seiner Entwicklung zur Freiheit auf der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft
stehen geblieben, da die demokratische Verfassung noch nicht völlig in der Mentalität der Bürger
verwurzelt ist, was ich oben schon gezeigt habe. Man kann große Mängel im Funktionieren der demokratischen Staatverfassung in Polen feststellen. Es lohnt sich, zu fragen, ob manche von Hegels
Lösungen diese Lage verbessern könnten; ob es sich lohnt, Antworten auf Probleme der demokratischen Staaten des 21. Jahrhunderts in den Schriften des deutschen Philosophen, die circa 200
Jahre alt sind, zu suchen. Ich finde, dass trotz mancher Inaktualität die Hegelsche Konzeption von
Sittlichkeit eine Inspirationsquelle für die neuen demokratischen Staaten auf ihrem Wege zur ausgeglichenen Entwicklung und vernunftgeleiteten Freiheit sein kann. Hegel war ein scharfsinniger
Beobachter und Interpret sozialer Erscheinungen – manche finden nicht grundlos seine Grundlinien
der Philosophie des Rechts als ein Vorläufer des neuen Forschungsgebietes, das heutzutage Soziologie heißt.6 Seine Bemerkungen, die die Familie, die bürgerliche Gesellschaft und den Staat betreffen,
haben an Bedeutung nichts verloren. Dies kann durch eine Analyse der neuen europäischen Demokratie am Beispiel von Polen z. B. in Bezug auf Hegels Konzeption des Staates gezeigt werden.
Hegel beschreibt eine Triade: Familie – bürgerliche Gesellschaft – Staat (in dieser Reihenfolge) nicht ohne bestimmte und berechtigte Gründe. Das sind einzelne Stufen der Entwicklung des
Geistes zur konkreten Freiheit, die ihre Wirklichkeit erst in dem Staat erreicht. Diese Triade bewahrt eine logische Ordnung: die Familie geht logisch der bürgerlichen Gesellschaft voran, da,
mit einfachen Worten, es hier zur Fortpflanzung und Anpassung der Einzelnen zum Leben in der
bürgerlichen Gesellschaft und im Staat durch das Beibringen von grundlegenden Prinzipien der
Sittlichkeit kommt. Die bürgerliche Gesellschaft ist ein sogenannter äußerlicher Staat, eine Sphäre
der egoistisch eingestellten Einzelnen. Sie sollte in den Staat als eine Institution, die die Sittlichkeit
auf der höchsten Stufe wiederherstellt, so aufgehoben werden,7 dass der Egoismus der Individuen in
die Allgemeinheit aufgehoben wird. Hegel weist auf den Staat als die letzte Stufe der Entwicklung
des objektiven Geistes hin. In dem Paragraphen 257 heißt es: „Der Staat ist die Wirklichkeit der
sittlichen Idee – der sittliche Geist als der offenbare, sich selbst deutliche, substantielle Wille, der
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Dewey, zit. nach: K. M. Cern, P. W. Juchacz, E. Nowak, Edukacja demokratyczna, Poznań 2009, 129.
M. Grabowska und T. Szawiel, Budowanie demokracji, Warszawa 2003, 87.
Vgl. S. Kozyr-Kowalski, Socjologia, społeczeństwo obywatelskie i państwo, Poznań 1999, 39–48.
Vgl. A. Przyłebski, „Hegel jako teoretyk i krytyk społeczeństwa obywatelskiego“, in: Principia LI/LII,
hg. v. K. Guczalska, Kraków 2009, 151.
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Hegel-Jahrbuch 2013
sich denkt und weiß und das, was er weiß und insofern er es weiß, vollführt. An der Sitte hat er seine
unmittelbare und an dem Selbstbewusstsein des Einzelnen, dem Wissen und Tätigkeit desselben
seine vermittelte Existenz, so wie dieses durch die Gesinnung in ihm, als seinem Wesen, Zweck und
Produkte seiner Tätigkeit, seine substanzielle Freiheit hat.“8
Wie das oben erwähnte Zitat zeigt, hält Hegel eben den Staat (und nicht die Familie oder die bürgerliche Gesellschaft!) für einen krönenden Abschluss des Sittlichkeitssystems, als das Moment, in dem
am häufigsten „die Vernunft, von der die Menschenwelt durchdrungen ist“,9 zum Ausdruck kommt. Wie
Avineri schreibt: „Nur in dem Staat wird die Vernunft sich selbst bewusst sein; mit anderen Worten, nur
hier wirkt der Mensch mit einer rationellen Absicht, indem er weiß, was er will, und tut so, wie er will“.10
Heutzutage kann man Versuche beobachten, die Sphären der Familie und des Staates auf die
Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft, der man die höchsten Werte zuschreibt, zu reduzieren. Damit
vergisst man die Tragweite der Rolle der Familie in der Sozialisierung, die doch auf ein Leben in
einer bürgerlichen Gesellschaft vorbereitet, oder die Rolle des Staates und des Volkes in der Bildung
der moralischen Werte (z. B. Patriotismus, Vertrauen, Gerechtigkeit), der Aufrechterhaltung der Tradition und der Pflege der Kultur, die das Leben einer ethischen Gemeinschaft zusammenschweißt.
Das Anzeichen dieses Reduktionismus ist die fortschreitende Krise der Familie in Polen. Wahrscheinlich ist sie noch nicht so tief, wie in den westlichen Demokratien, und zwar deshalb, weil die
katholische Religion in Polen noch relativ stark ist. Über 90% der polnischen Bürger bezeichnen
sich selbst als Katholiken, was gewisse Konsequenzen nach sich zieht, wie traditionelle, ein bisschen konservative Erziehung und die Überzeugung von der Heiligkeit und Unauflöslichkeit der Ehe.
Nichtsdestoweniger sinkt seit ein paar Jahren die Durchsetzungskraft des Katholizismus in Polen,
was einen Anstieg der Scheidungsanzahl und ein Sinken der Zahl der geschlossenen Ehen zur Folge
hat. Dies beeinflusst eine Veränderung in der Pflege und Erziehung der Kinder.
Hegel hat der Familie in seiner Sittlichkeitskonzeption eine große Rolle zugeschrieben; sie ist
die soziale Institution, die der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat logisch vorangeht. Er findet,
dass ein grundlegender Begriff der Familie als unmittelbare Substantialität des Geistes die Liebe ist,
die eine sich selbst empfindende Einheit des Geistes sei.11 In dieser Einheit sind die Individuen nicht
mehr getrennt, sondern bilden eine Person. Eine Ehe, die hier als monogamische Beziehung von
Frau und Mann zu verstehen ist, ist eine institutionelle Realisierung der Liebe. Eine echte Familie
entsteht in dem Moment, in dem Kinder zur Welt gekommen sind, als eine Wirklichkeit der ehelichen Liebe. Laut Hegel sollte die Familie vor allem die Fortpflanzungs- und Sozialisierungsfunktion
erfüllen. Das Ziel ist die Erziehung der Kinder dazu, freie Persönlichkeiten zu sein, die grundlegende sittliche Prinzipien kennen und in der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat funktionieren
können. Die Erziehung der Kinder ist eine Pflicht der Eltern und ein Recht ihrer Kinder. Dabei ist
sie eine Grundlage, Macht über die Kinder auszuüben. Sie sollte dennoch nur zu pädagogischen
Zwecken benutzt werden. Eine Bestrafung kann nur als ein Mittel zu einer Überwindung des natürlichen Widerstandes des Kindes betrachtet werden. Die Aufgabe der Erziehung ist es, „die Kinder
aus der natürlichen Unmittelbarkeit, in der sie sich ursprünglich befinden, zur Selbständigkeit und
freien Persönlichkeit und damit zur Fähigkeit, aus der natürlichen Einheit der Familie zu treten, zu
erheben“.12 Damit hebt Hegel die Rolle der Familie in der Erziehung zukünftiger Bürger und in der
Ausbildung grundlegender sozialer Verhaltensweisen hervor. Die Familie ist also die erste Form,
welche die Menschen an das Leben in der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat anpasst.
8 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 257.
9 S. Avineri, Hegla teoria nowoczesnego państwa, Warszawa 2009, 222 (Übersetzung in Deutsche von Verf.).
10Ebd.
11Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 158. – Vgl. H. Schnädelbach, Hegels praktische Philosophie, Frankfurt/M. 2000, 253.
12Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 175.
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Natalia Fąs, Hegels Sittlichkeitskonzeption als Inspirationsquelle für neue Demokratien
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Es scheint heutzutage so zu sein, dass die Erziehungsrolle der Familie in den europäischen Ländern an Bedeutung verliert. Infolge sozialer Veränderungen, die sich in der polnischen Gesellschaft
vollziehen, hört sie auf, ihre grundlegende Funktion zu erfüllen. Aufgrund von Scheidungen sind
viele Familien nicht mehr vollständig, sie bestehen nur aus einem Elternteil und Kindern. Manchmal
ist ein Elternteil nicht mehr imstande, mit der Arbeit, dem Haushalt und der Erziehung der Kinder
zurechtzukommen. Sogar die traditionelle, „vollständige“ Familie ringt oft mit diesem Problem.
Manche Eltern glauben zudem, dass die Schule eine Erziehungsfunktion erfüllen sollte. Am meisten
leiden darunter Kinder, auf die der Umgang mit Gleichaltrigen einen zu groß Einfluss hat. Das kann
zu verschiedenen sozialen Pathologien führen.
Dies hat oft zur Folge, dass Individuen, die in eine bürgerlichen Gesellschaft hineintreten, sich in
ihr nicht zurechtfinden können. Sie empfinden auch keine Verbindung mit ihrem Staat als einer Totalität, der sie doch angehören. Darüber hinaus kennen sich Individuen in der von dem eigenen Staat
betriebenen Politik nur wenig aus, obwohl sie davon direkt betroffen werden. Nur manche bekunden
ein Interesse für aktuelle Staatsangelegenheiten. Meistens haben sie kaum Kenntnisse der Rechte und
Pflichten eines Bürgers, was ihnen ein effektives Funktionieren als Bürger in einem demokratischen
Staat unmöglich macht. Dazu braucht man Wissen über die in einer Gemeinschaft herrschende Rechte, Orientierung über die Hauptangelegenheiten des Staates und demokratische Kompetenzen, die
das Handeln in einem demokratischen Staat leicht machen. Hegel hebt die Rolle der Erziehung und
Ausbildung der Bürger beim richtigen Funktionieren des Staates hervor. Er behauptet, dass „es unmöglich ist, eine entwickelte und freie Gemeinschaft ohne allgemeines und tiefes Rechtsbewusstsein
der Bürger zu bilden“.13 Das Anzeichen dieser Überzeugung ist z. B. die Teilnahme der Bürger an
der gesetzgebenden Gewalt einer Ständevertretung, die mit anderen Gewalten zusammenarbeitet.
Die Hauptaufgabe der Ständevertretung ist nicht die Ausarbeitung vernünftiger Gesetze. Ihre Aufgabe besteht darin, „dass die allgemeine Angelegenheit nicht nur an sich, sondern auch für sich,
d. i., dass der Moment der subjektiven formellen Freiheit, das öffentliche Bewusstsein als empirische
Allgemeinheit der Ansichten und Gedanken der Vielen, darin zur Existenz komme“.14 Der Zweck der
Ständevertretung ist also die Erregung eines Identifikationsgefühls mit dem Staat in den Bürgern und
die Ausbildung patriotischer Gesinnungen. Zwar hat Hegel die Rolle des Bewusstseins der Bürger im
Funktionieren des Staates hervorgehoben, aber gleichzeitig äußert er sich so, dass „das Volk, insofern
mit diesem Worte ein Teil der Mitglieder eines Staats bezeichnet ist, den Teil ausdrückt, der nicht
weiß, was er will“,15 da das Volk meistens keine entsprechende Ausbildung, keine „tiefe Erkenntnis
und Einsicht, welche eben nicht die Sache des Volks ist“,16 besitzt. Das Volk, das nicht ausreichend
ausgebildet ist, ist einfach zu manipulieren. Denn dann besitzen die Bürger fast keine politische Vernunft, keine eigenen Meinungen und sie bauen einfach auf die Aussagen derer, die über die größte
Überredungskunst verfügen. Es scheint, dass das für Hegel kein echtes Problem war. Laut Hegel
sollten die Bürger nur den Eindruck haben, dass sie den Staat beeinflussen.
Zum Abschluss meiner Ausführungen möchte ich eine durch Hegel motivierte Frage stellen:
Gibt es in der polnischen Gemeinschaft ein Potenzial zur Überwindung des Moments der bürgerlichen Gesellschaft und zur Aufhebung der egozentrischen Individuen in einen sittlichen Staat? Um
diese Frage zu beantworten, greife ich auf den Begriff des Patriotismus bei Hegel zurück.
Nach Hegel ist Patriotismus eine politische Gesinnung, die aus einem Gefühl des Zutrauens
zu einem Staat entsteht. Er hat diesen Begriff nicht nur als eine Bereitschaft zur Verteidigung des
Staates verstanden, sondern er sagt, dass es das Bewusstsein ist, „dass mein substantielles und be13Z. Stawrowski, Państwo i prawo w filozofii Hegla, Kraków 1994, 103; vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 228.
14Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 301.
15Ebd., § 301.
16Ebd.
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Hegel-Jahrbuch 2013
sonderes Interesse im Interesse und Zwecke eines Andern [hier des Staats, Verf.] als im Verhältnis
zu mir als Einzelnen bewahrt und enthalten ist – womit eben dieser unmittelbar kein Anderer für
mich ist und Ich in diesem Bewusstsein frei bin“.17 Ein Bürger ist Patriot, wenn er den Staat als seine
Substanz weiß, weil der Staat seine besondere Sphäre, deren Berechtigung und Autorität wie deren
Wohlfahrt, erhält18. Der Patriotismus ist eine beständige Haltung in täglichem Leben, woraus eine
Fähigkeit zu außergewöhnlichen Taten entsteht. Manchmal verschleiert seine Angewöhnung einem
Menschen, dass seine private Existenz von einer sittlichen Ordnung durchdrungen ist.
Hegels Begriff des Patriotismus kann sich auch auf den Begriff des Patriotismus in einem demokratischen Staat beziehen. Hier entspringt der Patriotismus auch einem Gefühl des Zutrauens
zu dem Staat, also zu der Demokratie und ihren Werten und Gesetzen, die unter Zustimmung aller
Bürger beschlossen wurden. Ein Bürger ist Patriot, wenn er Gesetze und demokratische Werte, die
für ihn nicht etwas Äußerliches sind, kennt und in seinem Alltagsleben verwendet oder mindestens
zu verwenden versucht. Die andere Bedingung der patriotischen Haltung lautet, dass ein Bürger sich
in seinen Entscheidungen nicht nur nach dem eigenen Interesse, sondern auch nach dem Interesse
des Staates als einer Gemeinschaft, deren Mitglied er ist, richtet. Dabei kann er sich auf universale
demokratische Werte beziehen – wie Gleichheit, Gerechtigkeit oder Toleranz – und sie in seinem
Leben verwenden. Ein Bürger behandelt andere Menschen, als ob sie ihm gleich wären; er ist tolerant gegenüber allen, die auch den demokratischen Gesetzen und Werten gemäß leben und dabei
niemandem Leid antun. Ein Bürger ist auch bereit, die Demokratie und ihre Werte zu verteidigen.
Patriotismus in diesem Sinne trägt ein Potenzial zur Überwindung des Moments der bürgerlichen
Gesellschaft und zur Aufhebung der egozentrischen Individuen zu einem sittlichen Staat mit. Polnische Bürger haben das Wissen über demokratische Gesetze und Werte, aber nur manche besitzen die
Fähigkeiten, sie systematisch zu verwenden. Das ist vielmehr von der Erziehung, die die Menschen
in ihrer Familie und später in einer Schule bekommen, abhängig. Die demokratischen Fähigkeiten
müssen geübt werden, um sich entwickeln zu können. In Polen fehlt die demokratische Erziehung,
aber das fängt hoffentlich an, sich zu ändern. Hilfreich dabei wäre die Einführung und Verbreitung der
Ethik in Schulen als ein Pflichtfach neben Religion. Heutzutage haben polnische Schüler eine Wahl:
entweder Religion oder Ethik. Praktisch gibt es leider viele Hindernisse, um Ethik in einer Schule
einzuführen (z. B. eine bestimmte Anzahl der Schuler, die Ethik anstatt Religion lernen wollen).
Zusammenfassend: Hegels Sittlichkeitskonzeption kann man auf die neuen Demokratien beziehen und ihre Analyse in Bezug darauf durchführen. In Hegels Sittlichkeitskonzeption kann man
Wegweiser zur Genesung gegenwärtiger Demokratien finden. Ihren Wert finde ich im bloßen Streben nach einer Veränderung, in einer Bewegung des objektiven Geistes zur selbstbewussten Freiheit. Hegel war ein aufmerksamer Beobachter der sozialen Erscheinungen. Er hat die Bedeutung des
Volkes und der Familie im Leben des Individuums und des Verhältnisses zwischen dem Staat und
den Bürgern hervorgehoben. Er hat die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, wie wichtig das Selbstbewusstsein der Bürger und dessen Ausbildung ist. Hegel hat ein Bedürfnis der bürgerlichen Bildung
wahrgenommen und damit den Staat beauftragt. Das sind wertvolle Hinweise, die noch nicht an
Bedeutung verloren haben.
Natalia Fąs
os. Kościuszkowców 27/4
PL-62-020 Swarzędz, Polen
[email protected]
17 Ebd., § 268.
18 Ebd., § 289.
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