Zusammenfassung und Einleitung eines Beitrags im „Internationalen Jahrbuch des Deutschen Idealismus“ 2 (2004), 221-247 © Walter de Gruyter, Berlin / New York [Wiedergegeben sind hier die Seiten 221-223] Thomas Sören Hoffmann Staat der Freiheit – freier Staat. Deduktion, Imagination und Begriff objektiver Freiheit bei Fichte und Hegel Abstract: Idealistisches Staatsdenken steht seit Kant vor der Aufgabe, aus dem „anarchischen“ Prinzip Freiheit eine freiheitswahrende Koexistenzordnung von Freiheitswesen zu gewinnen, in welcher zugleich sich Vernunft konkretisiert. Fichte und Hegel haben dazu trotz paralleler Ansätze (z.B. im Anerkennungsdenken) zwei grundsätzlich alternative Modelle entwickelt. Fichte, der Recht generell als notwendiges Moment individuellen Selbstbewußtseins deduziert, versteht im besonderen den Staat als Medium empirischer Sichtbarmachung von Vernunft und Moralität, als Vernunftprojektion, die eine „Imaginationsgemeinschaft“ begründet; das Band, das die setzende Subjektivität der Staatsbürger eint, ist wesentlich immer eine Funktion der Einbildungskraft, die für noch nicht eingeholte Vernunfttotalität einspringt. Bei Hegel hingegen ist der Staat seiner Idee nach selbst schon die Wirklichkeit, nicht nur das subjektiv generierte Bild einer vernunft- und freiheitsbestimmten Äußerlichkeit. Staatlichkeit hat ihren Sinn nicht einfach als subjektiv gesetzte, sondern als dem „objektiven“ Sich-Verstehen-als-frei schon vorausgesetzte, ihrerseits freie Freiheitswirklichkeit; der Staat garantiert „objektive Anerkennung“, die nicht an einzelne Anerkennungsvollzüge gebunden ist, sondern diese reell vertritt und darum ein Sich-finden als anerkannt ermöglicht. Während der Staat Fichtes „transitorisch“ auf eine zuletzt staatsfrei zu denkende absolute Subjektivität hin gedacht ist, ist der Staat Hegels in seiner Sphäre (der des objektiven Geistes) unvertretbar und nur durch die Dimensionen des absoluten Geistes auch transzendiert. I. Einleitung Die Philosophie des Deutschen Idealismus, so sehr ihre einzelnen Ausprägungen nach Ansatz, Durchführung und Resultat zweifellos divergieren, kann im ganzen gleichwohl als der großangelegte Versuch bestimmt werden, allen Gehalt theoretischen wie praktischen Denkens im Sinne einer ,Grammatik der Freiheit‘ zur Sprache zu bringen. Freiheit war schon bei Kant die einzige „Idee“, die ihre „objektive Realität“ bei sich führte (KU § 91, AA V, 474), war darum auch für den Systembau bedeutsam und gleichsam jener reale Universalbegriff, der die Kritik der Metaphysik an erster Stelle zu überdauern bestimmt war. In den Systemen nach Kant wird Freiheit die universelle Matrix alles philosophischen Wissens, der terminus a quo und ebenso ad quem, der auf den verschiedenen Niveaus unseres Denkens und Existierens nur konsequent durchzudeklinieren ist. Philosophie ist Explikation von Freiheitsbewußtsein und nur auf dessen Standpunkt wirklich zu haben; sie ist die ,Dekonstruktion‘ aller aus welchen Gründen auch immer herrschenden Verhüllung der Freiheit und damit zugleich die Aufforderung, alle Schleier der Unfreiheit zu zerreißen. Noch die scheinbaren Repristinationen des Metaphysischen, denen wir spätestens von Schellings Identitätsphilosophie an begegnen und die in Fichtes späteren Wissenschaftslehren wie auch in der Theologie des Berliner Hegel besonders auffallen mögen, müssen viel eher als Versuche, konkretes Freisein überhaupt oder auch unser Freisein konkret zu denken denn als Rückfälle in den Selbstverlust ans Objekt verstanden werden. Den ‚positiv‘ denkenden späten Schelling allenfalls ausgenommen, steht auch am Ende der deutsch-idealistischen Bewegung nicht eine Opazität des Seins, sondern die Selbsttransparenz eines universellen SichBeziehens, dessen innere Wahrheit eben die Freiheit und ihr Sich-selbst-Erkennen, ihr SichSammeln aus dem Äußeren und der äußeren Beziehung ist. Die folgenden Überlegungen sind den beiden alternativen Modellen gewidmet, nach denen bei Fichte und Hegel Sinn und Sein des Staates der Freiheit appropriiert, ja aus ihr gewonnen werden sollen. Es ist bekannt, daß zumindest der ‚Tübinger‘ Idealismus mit einem Fanal begonnen hatte, das zunächst wenig in diese Richtung erwarten ließ. Das Älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus hatte gerade im Namen der Freiheit deutliche Worte gesprochen: „Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also über den Staat hinaus! – Denn jeder Staat muß freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören“ (Hegel, ThW 1, 234 f.). Der Verfasser kündigt an, „das ganze elende Menschenwerk von Staat, Verfassung, Regierung, Gesetzgebung bis auf die Haut entblößen“ und vielmehr die „absolute Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen und weder Gott noch Unsterblichkeit außer sich suchen dürfen“ (ThW 1, 235), befördern zu wollen. Man weiß, daß von den großen Idealisten Schelling am längsten den Nachklang dieser energischen Töne bewahrt hat; man weiß aber ebenso, daß auch Fichte das Fernziel einer rein moralischen Gemeinschaft von Menschen statt einer ,nur‘ rechtlich vermittelten niemals ganz aufgegeben hat; man weiß 2 zuletzt, daß es bis zu der hier durchaus alternativen Sicht der Dinge, zu welcher Hegel am Ende gelangte, auch für ihn noch ein längerer Weg gewesen ist. Dennoch sind Fichte und Hegel dann eben doch aus der objektivistisch-mechanistischen Sicht des Staates hinausgetreten und zu einem Begriff des Staates als partizipationsoffener Vernunftgestalt gelangt. Anders als Schelling, der den Staat mehr oder weniger durchgängig als letztlich illegitimen Zwitter aus Natur und Geist, als nichtschließende Mitte vernünftiger Wesen auf prätendierte Vernunfteinheit hin versteht,1 haben Fichte und Hegel das ,anarchische‘ Potential, das in jedem Staatsdenken im Ausgang von Freiheit notwendig steckt, ihren Staatsbegriffen zu integrieren vermocht. Es ist dabei immer bemerkenswert, daß ihre neuen Begriffe vom Staat durchaus an die Stelle der alten Staatsbegründung aus dem (dogmatischen) Naturrecht treten konnten, will sagen: daß sie keineswegs nur pragmatischpolitisch angesetzt, sondern fundamentalphilosophisch verankert waren. Die Schwelle, die Kants kritischer Ansatz für ein sich, sei es aus einer positiv bestimmten Natur des Menschen, sei es aus einem transzendenten Willen begründendes Naturrecht bilden mußte, hatte schon bei dem Königsberger Denker selbst keineswegs die Folge, daß Rechts- und Staatsdenken der empirischen Zwecksetzung und Kalkulation zu überlassen gewesen wären;2 erst recht Fichte und Hegel müssen dann aber als Initiatoren einer Vernunftrechtslehre gewürdigt werden, die sich anschicken konnte, nunmehr im Zeichen eines freiheitlichen Vernunftrechts den Raum des alten ius naturae zurückzuerobern. Die folgende, schwerpunktmäßig auf Fichte gerichtete, dennoch die Hegelsche Alternative aufzeigende komparative Betrachtung soll nicht vergessen lassen, daß in beider Entwürfen ein Niveau des philosophischen Rechtsdenkens erreicht wurde, das schwerer auch nur zu halten als zu unterbieten ist. [...] Denn der Staat will „Natureinheit ... für freie Wesen“ sein; er schiebt sich zwischen die letzteren und Gott, ihre wahre Einheit, und ist in dieser angemaßten Göttlichkeit „eine Folge des auf der Menschheit ruhenden Fluchs“ (Stuttgarter Privatvorlesungen, SW IV, 353). Oder: er ist das notwendige Komplement einer außer dem Grund willkürlich wählenden Freiheit, das Substitut für den Grund, das wesentlich über mechanischen Zwang wirkt (vgl. auch Philosophie und Religion, SW IV, 55 sowie auch schon die bekannten Partien im System des transzendentalen Idealismus, bes. SW II, 583-587); zur Würdigung und Diskussion vgl. Pawlowski / Smid / Specht, 1989, passim. Zur Sache vgl. außerdem den Beitrag von Hans Jörg Sandkühler in diesem Band. 2 Zu Kants eigener Positionierung in dieser Frage vgl. Hoffmann, 2001. 1 3