IV. Die einzelnen Unterrichtsstunden - RPI

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LANDESLEHRERPRÜFUNGSAMT
Außenstelle beim Oberschulamt Stuttgart
STAATLICHES SEMINAR FÜR
SCHULPÄDAGOGIK
STUTTGART I
Zweite Staatsprüfung für die Laufbahn
des höheren Schuldienstes an Gymnasien
Schriftliche Arbeit
Fach: Evangelische Religionslehre
Thema:
Die Bibel erzählt
Klassenstufe 11
Verfasser: Reinhard Storz
Fachleiter: Friedrich Späth
Versicherung:
Ich versichere, dass ich diese Arbeit selbständig und nur mit den angegebenen Hilfsmitteln
angefertigt habe und dass ich alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach anderen
Werken entnommen sind, durch Angabe der Quellen als Entlehnung kenntlich gemacht habe.
(Ort, Datum)
(Unterschrift)
Im Falle meiner Aufbewahrung meiner Arbeit im Archiv des Seminars für Schulpädagogik
bzw. im Staatsarchiv erkläre ich mein Einverständnis, dass die Arbeit Benutzern zugänglich
gemacht werden kann.
(Ort, Datum)
(Unterschrift)
Immer wenn der Baal
Schem Tov sah, dass das
Band zwischen Himmel
und Erde zerschnitten war
und es unmöglich blieb,
es durch Gebet wieder zu
verknüpfen, pflegte er es
zu erneuern, indem er
eine Geschichte erzählte.
Aus den Erzählungen des Rabbi Nachman von Bratzlaw
zitiert nach Karlheinz Müller: Bedingungen einer Erzählkultur. Judaistische Anmerkungen zum Programm einer „narrativen Theologie“, in:
Zerfass: Erzählter Glaube a.a.O. S.28-51 (hier S.29)
Inhaltsverzeichnis
I. EINLEITUNG.....................................................................................................................................................1
I.1. PROBLEME UND AUFGABEN DER BIBELDIDAKTIK...............................................................................................1
I.2. LERNVORAUSSETZUNGEN MEINER SCHÜLERINNEN ............................................................................................3
I.2.1. Äußere Bedingungen ..................................................................................................................................3
I.2.2. Interessen und Fragen der SchülerInnen ...................................................................................................3
I.2.3. Prädispositionen - Ergebnisse einer Umfrage ...........................................................................................4
II. METHODISCH-DIDAKTISCHER SCHWERPUNKT: ERZÄHLEN .......................................................5
II.1. NARRATIVE ANSÄTZE IN DER THEOLOGIE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE BIBELDIDAKTIK .............................6
II.2. EINWÄNDE GEGEN DAS ERZÄHLEN IM BIBELUNTERRICHT ................................................................................9
II.2.1. Rezeption und handlungsorientierter Unterricht ......................................................................................9
II.2.2. Ideologiebefrachtung .............................................................................................................................. 11
II.2.3. Naives Erzählen - Altersgemäßes Erzählen ............................................................................................ 12
II.2.4. Sind biblische Geschichten schädlich? ................................................................................................... 14
II.2.5. Bedenken bei der praktischen Umsetzung: Kann ich das überhaupt? .................................................... 16
III. DIE UNTERRICHTSEINHEIT ................................................................................................................... 17
III.1.ÜBERBLICK ..................................................................................................................................................... 17
III.2. VERANKERUNG IM LEHRPLAN ....................................................................................................................... 19
IV. DIE EINZELNEN UNTERRICHTSSTUNDEN......................................................................................... 21
IV.1. BIBELN ERZÄHLEN AUS IHREM LEBEN (2./3. STUNDE) ................................................................................... 21
IV.1.1. Konzeption und Verlauf der Stunden ..................................................................................................... 21
IV.1.2. Lernziele ................................................................................................................................................ 23
IV.1.3. Tabellarischer Stundenüberblick ........................................................................................................... 24
IV.1.4. Die Ergebnisse der Gruppenarbeit ........................................................................................................ 25
IV.1.5. Kritik ...................................................................................................................................................... 26
IV.2. WAS BEWIRKT DAS ERZÄHLEN BEIM MENSCHEN? (4. STUNDE)..................................................................... 27
IV.2.1. Konzeption ............................................................................................................................................. 27
IV.2.2. Verlauf ................................................................................................................................................... 29
IV.2.3. Lernziele ................................................................................................................................................ 31
IV.2.4. Tabellarischer Stundenüberblick ........................................................................................................... 32
Artikulation ....................................................................................................................................................... 32
IV.2.4. Kritik ...................................................................................................................................................... 33
IV.3. ÜBERLIEFERUNGSGESCHICHTE UND SITZ IM LEBEN (5.STUNDE) ................................................................... 33
IV.3.1. Konzeption und Verlauf ......................................................................................................................... 33
IV.3.2. Den Sitz im Leben erzählen ................................................................................................................... 34
IV.3.3. Kritik ...................................................................................................................................................... 36
IV.4. DIE PROVOKATION DER SITUATION (6.STUNDE) ............................................................................................ 36
IV.4.1. Konzeption ............................................................................................................................................. 36
IV.4.2. Verlauf ................................................................................................................................................... 38
IV.4.3. Lernziele ................................................................................................................................................ 41
IV.4.4. Tabellarischer Stundenüberblick ........................................................................................................... 42
IV.4.5. Kritik ...................................................................................................................................................... 43
IV.5. VERSCHRIFTLICHUNG UND REDAKTION (7.STUNDE) ..................................................................................... 43
IV.6. QUELLENSCHEIDUNG (8./9. STUNDE) ............................................................................................................. 45
IV.7. DIE EXODUSERZÄHLUNG UND IHR ERNEUTER „SITZ IM LEBEN“ SCHWARZER SKLAVEN ................................ 45
IV.7.1. Konzeption ............................................................................................................................................. 45
IV.7.2. Verlauf ................................................................................................................................................... 47
IV.7.3. Die 11. Stunde und der weitere Verlauf der Unterrichtseinheit ............................................................ 48
IV.7.4. Lernziele 10./11.Stunde ......................................................................................................................... 49
IV.7.5. Tabellarischer Stundenüberblick ........................................................................................................... 50
IV.7.6. Kritik ...................................................................................................................................................... 51
V. LERNZIELKONTROLLE UND ABSCHLIEßENDE KRITIK ................................................................ 51
V.1. DIE KLASSENARBEIT ....................................................................................................................................... 51
V.1.1. Die Konzeption der Klassenarbeit .......................................................................................................... 51
V.1.2. Ergebnisse der Klassenarbeit ................................................................................................................. 52
V.2. BEWERTUNG UND AUSBLICK .......................................................................................................................... 53
V.2.1. Der Unterrichtsstoff ................................................................................................................................ 53
V.2.2. Die Methodik........................................................................................................................................... 54
V.2.3. Ausblick ................................................................................................................................................... 55
Materialteil:
M1:
Erzählung: Ein Hotel - ein Buch (2.Stunde)
M2:
Wandzeitungen (1.Stunde)
M3/1-3:
Die Bibel - eine Umfrage (1.Stunde)
M4:
Arbeitsblatt: Bibeln erzählen aus ihrem Leben (2./3.Stunde)
M5/1-3:
Ergebnisse: Schüler-Bibelbriefe (2./3.Stunde) - maschinen- und handschriftlich
M6/1-6:
Vorlesetext aus Rafik Schami: Erzähler der Nacht (4.Stunde)
M7:
Tafelanschrieb (4.Stunde)
M8:
Arbeitsblatt: Am Anfang war... (4.Stunde)
M9:
Phantasiereise: Nomadenzelt (5.Stunde)
M10/1-4:
Phantasiereise: Plagengeschichte (6.Stunde)
M11/1-2:
Arbeitsblatt / OH-Folie (7.-9.13-14.Stunde)
M12:
Arbeitsblatt: Wie entstand die Jesus-Erzählung von Lukas? (7.Stunde)
M13/1-2:
Arbeitsblatt / Folie zum Zerschneiden: Quellenscheidung (8./9.Stunde)
M14/1-3:
Arbeitsblatt: Die Erzählung vom Auszug (Exodus) aus Ägypten: Elohist, Jahwist,
Priesterschrift (8./9.Stunde)
M15/1-2:
Phantasiereise: Sklaverei (10.Stunde)
M16:
Tafelanschrieb (11./12.Stunde)
M17:
OH-Folie (11.Stunde)
M18:
Arbeitsblatt: Wechsel der Perspektive: Bilder innerer Wirklichkeit (11./12.Stunde)
M19:
Klassenarbeit (15.Stunde)
M20:
OH-Folie: Turmbau von Babel (12.Stunde)
M21:
OH-Folie: Rogier van der Weyden: Der Heilige Lukas die Madonna malend (7.Stunde)
M22/1-9:
Auszüge aus Klassenarbeiten, handschriftlich
Anhang:
Kassette mit Hörbeispielen aus dem Unterricht
Vorwort
Ich höre beim Mittagessen, was die anderen Referendare und Referendarinnen über ihre
Pädagogischen Arbeiten erzählen. Da gibt es Arbeiten über den Stabhochsprung bei
Siebtklässlern, Extreme-Frisbee, Naturphänomene Fliegen, Freiarbeit im Museum, E-MailPartnerschaften, Neue Medien im Religionsunterricht - die Liste hochattraktiver Themen
könnte beliebig fortgeführt werden. Ist die Reihe an mir, zu erzählen, worüber ich arbeite, so
scheint es mir, als würde diese Liste unterbrochen. Erzählen im Bibelunterricht der Klasse 11
- das reißt niemanden vom Hocker. Da ist gar nichts: die Bibel, für die meisten kein
interessanter Gegenstand; Erzählen - na ja - eben eine ziemlich veraltete Unterrichtsmethode nicht mehr aktuell im Zeitalter der Gruppenpuzzles und Lernzirkel - weshalb also dieses
Thema?
Die Bibel kann das spannendste Buch sein, auch für Jugendliche, wenn man einen eigenen
Zugang dazu findet; und das Erzählen kann etwas Wunderbares sein - aber auch das alltäglichstes, etwas, was jeder tut und worüber die wenigsten nachdenken (z.B. wenn Referendare
über ihre Pädagogischen Arbeiten erzählen). Das Erzählen in einem engeren Sinne als
nichtalltägliches Erzählen von Geschichten ist eine vom Aussterben bedrohte Spezies der
Kommunikation, die gepflegt sein will.
Bibel und Erzählen - beides keine Themen, die sich von selbst erschließen, bei denen jeder
sofort Feuer fängt - und doch: ein Wort wie Feuer. Es lohnt sich, das eine mit dem anderen zu
entzünden: das Erzählen mit den unerschöpflichen Geschichten des Alten und Neuen Testaments und die Bibel mit einer Methode, die ihr selbst entspricht und die sich in der Praxis des
Religionsunterrichts für Unterstufenschüler bewährt hat, der jedoch immer noch ein wenig der
Ruf anhaftet, sie sei in einer Zeit der schülerzentrierten Didaktik nicht mehr zeitgemäß und
bei älteren SchülerInnen nicht praktizierbar, nicht altersgemäß.
Pädagogischer Tag in der Schule: Die Arbeitsgruppe der Fachgruppe Religion trifft sich
nachmittags zum Thema Bibel in Klasse 11. Alle haben dieses Thema schon x-mal
unterrichtet. Allen ist gerade dieses Thema besonders wichtig. Alle haben sich also schon
viele Gedanken gemacht, wie das Thema zu vermitteln sei. Man gesteht sich gegenseitig, dass
keiner zufrieden ist mit dem Ablauf der Einheit. Es werden ein paar Tips ausgetauscht und
dennoch bleibt eines bei allen zurück: allgemeine Ratlosigkeit.
Wo absolute Dunkelheit herrscht sieht ein Blinder mehr als die Sehenden. Das ist keine Feststellung, sondern ein Vorsatz, den ich mir setzte. Ich wollte neue Wege für diese Einheit
finden und hatte nach etwas Herumtasten die Idee, wo diese liegen könnten.
Die Bibeldidaktik ist nicht nur ein weites Feld, sie grenzt auch noch an völlig
unüberschaubare Felder an: Die Bibel in einem Kapitel abhandeln, das wäre das Wasser eines
Ozeans in einem Wasserglas sammeln. Man würde sich schon fast lächerlich machen, wenn
man die Teilbereiche Altes und Neues Testament in eine einzige Arbeit oder Veranstaltung
packen wollte. Diese Arbeit kann dies auch nicht leisten und doch steht der Anspruch
unausgesprochen im Raum: Auf irgendeine Weise sollte auch das Fachwissenschaftliche in
der Arbeit beschrieben werden. Aber wo anfangen? Die Unterrichtseinheit befasst sich mit der
ganzen Bibel - Grund genug für mich, auf einen solchen Teil ganz zu verzichten. Wo es mir
nötig erscheint, gehe ich auf fachwissenschaftliche Fragen ein. Ein fachwissenschaftliches
Kapitel mit der Überschrift „Die Bibel“ kann ich gerade als Theologe und Exeget nicht in
diese Arbeit integrieren.
Ähnliches gilt für die Bibeldidaktik: Auch hier verzichte ich auf ein Kapitel, das die Bibeldidaktik als solches zusammenfasst. Die grundlegenden Fragen werden, angesprochen, insofern
sie für mein Thema, das Erzählen im Bibelunterricht, wichtig sind.
Der Titel der Arbeit lässt zwei Interpretationen zu:
Die Bibel erzählt - sie erzählt Geschichten von Menschen, die Erfahrungen mit Gott gemacht
haben und gibt so diese Erfahrungen weiter (wobei wichtig ist, dass man bedenkt: Die
Bibel erzählt. Was dies bedeutet wird ausführlich zu erörtern sein).
Die Bibel - erzählt - die Bibel wird erzählt - im Religionsunterricht, nicht nur Kindern,
sondern
auch
Erwachsenen,
entsprechend
dem
Verständnis
von
Kirche
als
Erzählgemeinschaft. Auch davon wird zu sprechen sein.
Die Doppeldeutigkeit des Titels verweist bereits auf das ganz besondere Verhältnis von Bibel
und Erzählen: Man hat hier den glücklichen Fall einer Entsprechung von Form und Inhalt.
Diese Einigkeit von Stoff und Methode muss der Religionsunterricht nutzen - dies soll in
dieser Arbeit beschrieben werden.I
I
Die beiliegende Kassette mit den Hörbeispielen soll einem anschaulichen Eindruck von dem Unterrichtsgeschehen dienen. Die Arbeit ist jedoch auch ohne das Anhören dieser Kassette verständlich, da alle Hörbeispiele
(bis auf die Schülerinnenerzählung Hörbeispiel Nr.5) im Anhang auch in schriftlicher Form vorliegen.
0
1
I. Einleitung
I.1. Probleme und Aufgaben der Bibeldidaktik
„Die Bibel gehört zu den unbeliebtesten Inhalten des Religionsunterrichts - das weiß wahrscheinlich jeder Lehrer aus eigener Anschauung.”1
Mit diesen deutlichen Worten beginnt H.K. Berg das Kapitel seiner Bibeldidaktik zur Ausgangslage der Schüler. Seine Worte bestätigen sich im Gespräch mit Religionslehrerinnen und
Religionslehrern. Die Bibeldidaktik ist offensichtlich ein Problemkind der Religionsdidaktik und dies nicht etwa aufgrund von unzureichender theoretischer Reflexion oder Mangel an
gutem Unterrichtsmaterial; davon ist mehr als genug vorhanden.2 Die Problematik liegt vielmehr bei den Prädispositionen der Schülerinnen und Schüler. Diese wiederum sind keineswegs so eindeutig, wie es vielleicht zunächst erscheinen mag. Bereits im Jahr 1975 kennt W.
Neidhart eine breite Palette von Reaktionen auf biblische Geschichten bei Kindern und
Jugendlichen - er zitiert zunächst aus dem Brief eines Kindes an Gott:
„Lieber Gott, dein Buch ist sehr spannend. Ich mag Abenteuergeschichten. Du hast tolle Einfälle, ich möchte gern wissen, wo du die her hast. Dein Leser Karl.”3
Doch auch die gegenteilige Reaktion ist Neidhart nicht fremd:
„Man beobachtet Schulklassen, die schon beim Beginn einer biblischen Geschichte mit
Nasenrümpfen und Protestseufzern kundtun, daß sie sich langweilen. Man trifft auf
Jugendliche, die offen ihren Widerwillen bezeugen, wenn man etwas aus der Bibel erzählen
will, ja dabei fast ein Ekelgefühl empfinden.”4
Neidhart hat gemeint, „empirische Untersuchungen zur Abklärung der Bibelmüdigkeit vieler
Jugendlicher wären dringend erwünscht.”5 Dementsprechend führte Berg in Anlehnung an M.
Bröking-Bortfeld6 zwei empirische Erhebungen durch.7 Die Ergebnisse der Schülerbefragungen sind interessant und teilweise überraschend: So stellt Berg fest, dass Schüler mit zunehmendem Alter „Interesse an einem lebensbezogenen, erfahrungsorientierten Verständnis der
Bibel zeigen.”8 Ein entsprechender Zugang im Religionsunterricht sei jedoch offensichtlich
noch nicht gefunden. In diesem Zusammenhang spricht Berg von einem Erfahrungs- und
1
Horst Klaus Berg: Grundriss der Bibeldidaktik. Konzepte - Modelle - Methoden (Handbuch des biblischen
Unterrichts Bd. 2), München / Stuttgart 1993. S.11.
2
Vgl. die ausführliche Bibliographie von Berg: Bibeldidaktik a.a.O. S. 205-215.
3
Walter Neidhart / Hans Eggenberger (Hrsg.): Erzählbuch zur Bibel. Theorie und Beispiele, Zürich 1975. S.15.
4
Ebd. S.16.
5
Neidhart: Erzählbuch a.a.O. S.17.
6
Martin Bröking-Bortfeld: Schüler und Bibel. Eine empirische Untersuchung religiöser Orientierungen. Die
Bedeutung der Bibel für 13- bis 16-jährige Schüler (Religionspädagogik heute Bd.13), Aachen 1984.
7
Vgl. zu der Umfrage Berg: Bibeldidaktik a.a.O. S.12-20.
8
Ebd. S.18.
2
Relevanzdefizit. Aus der Bröking-Bortfeld-Studie schließt er auf ein drittes Defizit, den
Effektivitätsverlust. Bröking-Bortfeld stellt fest, dass Jugendliche durchaus biblische
Traditionselemente aufgreifen und diese um die Begriffe Frieden, Gerechtigkeit und
Befreiung gruppieren. Der Begriff Effektivitätsverlust weist auf das Problem hin, dass die
Schüler die Erwartung einer Problemlösungskompetenz für die aktuellen Probleme Frieden,
Gerechtigkeit und Umweltschutz an kirchliche Institutionen und Christen, die sie aus dem
biblischen Traditionsgut aufgegriffen haben, herantragen. Sie erwarten (zu Recht), dass
Christen und Kirchen biblische Impulse zur Lösung der Probleme aufgreifen, kennen jedoch
nur wenige Christen, die dieser Erwartung tatsächlich gerecht werden. Auch bei den
kirchlichen Institutionen wird hier nur wenig derartige Problemlösungskompetenz gesehen.
K.E. Nipkow umschreibt den Charakter der Bibel:
„...die Bibel als eine Sammlung von Büchern ist der literarische Niederschlag von Erfahrungen. Die biblischen Texte sind nicht Selbstzweck, weder damals noch heute. Sie haben ihren
Sitz im Leben und drängen auf Vollzug im Leben.”9
Nun hat aber, so Berg, die Bibel ihren Sitz im Leben10 der Jugendlichen verloren. Sie hat keinen Ort mehr, wo sie auf die Erfahrung der Jugendlichen trifft und damit relevant und wirkungsmächtig werden kann, und dies, obwohl das Bedürfnis, „durch den Bezug zu Gott Führung und Beistand in ihrem Leben“ zu finden durchaus verbreitet ist.11 Abromeit spricht von
einer „allgemein hohen Wertschätzung“ der Bibel, ohne dass daraus persönliche
Konsequenzen gezogen würde.12
Für die Bibel einen neuen Sitz im Leben der Jugendlichen zu schaffen, darin liegen also
zugleich Problem und Aufgabe der Bibeldidaktik.
I.2. Lernvoraussetzungen meiner SchülerInnen
I.2.1. Äußere Bedingungen
Wenn ich nun näher auf die Prädispositionen meiner SchülerInnen eingehe, ist es zunächst
notwendig, die besondere Situation am Heidehof-Gymnasium zu bedenken. Das Heidehof-
9
Karl Ernst Nipkow: Elementarisierung biblischer Inhalte. Zum Zusammenspiel theologischer, anthropologischer
und entwicklungspsychologischer Perspektiven in der Religionspädagogik, in: Ingo Baldermann u.a. (Hrsg.):
Bibel und Elementarisierung, Frankfurt a.M. 1979. S.35-73.
10
Der Begriff „Sitz im Leben“ wird hier nicht im Gunkelschen Sinne verwendet. Im folgenden schließe ich mich
bei der Verwendung dieses weiten Begriffs Nipkow an.
11
Vgl. Hans-Jürgen Abromeit: Die Bibel im Religionsunterricht. In der Spannung zwischen Historischer Kritik
und unmittelbarer Begegnung, in: Herbert Ulonska / Detlev Dormeyer (Hrsg.): Die Bibel: Erleben, Verstehen,
Weitersagen. Elementare und neue Zugänge zur Bibel, Rheinbach-Merzbach 1994. S.177-205 (hier S.178).
12
Ebd.
3
Gymnasium ist eine evangelische Privatschule. Dies hat verschiedene Folgen: Augenfällig für
den Religionslehrer ist zunächst einmal die Größe der Klassen: Es wird kein Ethikunterricht
angeboten und momentan auch kein katholischer Religionsunterricht. Die Teilnahme am Religionsunterricht ist Pflicht, so dass die Klassen im evangelischen Religionsunterricht in ihrem
Verband vollständig sind. Glücklicherweise ist die von mir unterrichtete 11a eine außergewöhnlich kleine Klasse mit nur 20 SchülerInnen.
Eine weitere Konsequenz ist, dass man bei deutlich mehr SchülerInnen eine religiöse
Sozialisation erwarten darf als an anderen Schulen. Elternteile, die Religion oder Kirche
grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen sind eine Seltenheit, Angehörige anderer
Religionen die absolute Ausnahme.
I.2.2. Interessen und Fragen der SchülerInnen
Die erste Stunde meiner Unterrichtseinheit sollte für die SchülerInnen ein Einstieg in das
Thema sein. Zugleich erhoffte ich mir Einblicke in die Lernvoraussetzungen der SchülerInnen
zum Thema Bibel. Zunächst erhob ich die spontanen Erwartungen der SchülerInnen durch ein
Brainstorming zu den folgenden Fragen.
1.) Wenn ich das Wort BIBEL höre fällt mir ... ein?
2.) Beim Thema BIBEL frage ich mich vor allem...
3.) Es wäre gut, wenn wir im Unterricht das biblische Buch / die biblische Geschichte...
behandeln würden.
Die Antworten wurden anschließend auf Wandzeitungen13 gesammelt.
Wirklich ergiebig war vor allem die zweite Frage. Die von den SchülerInnen formulierten
Fragen lassen sich in drei Kategorien unterteilen:
a) Fragen nach der Bedeutung der Bibel für den eigenen Glauben14
b) Fragen nach der Entstehung der Bibel15
c) Fragen nach dem Wahrheitsgehalt der Bibel (besonders angesichts von Widersprüchen)16
Angesichts der herausragenden Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Bibel möchte ich die
drei Defizite Erfahrungs-, Relevanz- und Effektivitätsdefizit durch ein viertes ergänzen, das
Plausibilitätsdefizit. Nur was für die SchülerInnen als wahr gelten darf, kann für sie auch
13
S.o. M2.
„...ob das Christentum das richtige für mich ist, ob ich mich DAMIT wohl fühle”; „Wie entsteht Glaube?”;
„...ob es wirklich wahrscheinlich ist, dass es nur den Christengott gibt?” Diese Fragen lassen sich dem Bereich
des Erfahrungs- und Relevanzdefizits zuordnen. S.o. S.1f
15
„Wodurch / warum entstand die Bibel?”; „Wie entstand sie (Quellen)?”
16
„...was wirklich wahr ist.”; ”Welchen Wahrheitsgehalt die Bibel noch hat (2000 Jahre sind eine lange Zeit!)?”;
„Warum enthält sie so viele Widersprüche?” Auch auf der Wandzeitung zu den Assoziationen zum Wort BIBEL
taucht dies mehrfach auf: „Widerspruch”; „Widersprüche”; „Fragen u. Zweifel”.
14
4
plausibel werden. Die Wahrheitsfrage in Bezug auf die Bibel hat mich und die SchülerInnen
im Unterrichtsverlauf immer wieder beschäftigt.
I.2.3. Prädispositionen - Ergebnisse einer Umfrage
Um ein differenziertes Prädispositionenprofil erstellen zu können, habe ich in der Klasse eine
anonyme Schülerumfrage durchgeführt.17 Für einen (empirisch natürlich nicht stichhaltigen)
Vergleich ließ ich in einer Religionsklasse an einer öffentlichen Schule die gleiche Umfrage
durchführen.18 Die Klasse des Heidehof-Gymnasiums wird im folgenden Gruppe A, die des
Mörike-Gymnasiums Gruppe B genannt.
Bei beiden Umfragen ist zunächst einmal auffällig, dass sich die übergroße Mehrheit gegen
die Meinung ausspricht, die Bibel sei bedeutungslos (Tendenzwert19 Gruppe A -22, Gruppe B
-23). Die scheinbar zeitgeistgemäße Meinung, die Bibel sei „ein veraltetes Buch, das nicht
mehr in die heutige Zeit passt” wird nur von wenigen geteilt (A: -4; B: -6). Auch der überspitzte Satz „Bleibt mir bloß mit der Bibel vom Leibe” wurde in beiden Klassen abgelehnt (A:
-10; B: -4), wobei doch immerhin rund 33% der Mörike-Klasse diesen Satz für sich in
Anspruch nehmen - dagegen nur 22% der Heidehof-Klasse. Ganz eindeutig waren die Ergebnisse der Fragen, die auf die religiöse Sozialisation zielen. Es überrascht nicht festzustellen,
dass der Grad der religiösen Sozialisation in der Heidehof-Klasse deutlich höher ist. Interessant an diesem Vergleich war zum einen, dass die Unterschiede zwischen den beiden
Klassen bei grundlegenden Fragen - und das trotz der außerordentlich großen Unterschiede,
die bei den Fragen nach der religiösen Sozialisation auftreten - nur gering sind; die Tendenz
zumindest schlägt bei der überwiegenden Mehrheit der Fragen, die nicht auf die religiöse
Sozialisation zielen, in die gleiche Richtung aus. Interessant sind jedoch die Punkte, wo die
deutlichsten Unterschiede festzustellen sind:
1.) Die Bibel hat mit dem Gott, an den ich glaube oder glauben könnte nichts zu tun.
A: +6
B: -13
2.) Ich bin gespannt, was man über die Bibel noch Neues lernen kann.
17
M3/1. Die Fragen orientieren sich an Michael Schwarz u.a.: Die Bibel - überliefert und gelebt. Unterrichtshilfen. 20 Bausteine mit Kopiervorlagen, (Hrsg.: Katechetisches Institut der evang.-ref. Landeskirche des
Kantons Zürich in Zusammenarbeit mit der katholischen Kirchlichen AV-Medienstelle Zürich), Zürich 1987.
Kopiervorlage 13. Ich habe die Fragen ergänzt - besonders wichtig war mir dabei, zusätzlich zu den Prädispositionen die kirchlich-religiöse Sozialisation zu erheben. Außerdem habe ich bewusst überspitzt, extrem formuliert. Ergebnisse: M3/2.
18
Am Eduard-Mörike-Gymnasium Ludwigsburg. Vgl. M3/3.
19
Die Schüler hatten die Wahl zwischen den Ablehnungsziffern -2 und -1, der Gleichgültigkeitsziffer 0 und den
Zustimmungsziffern +1 und +2. Der Tendenzwert ergibt sich durch addieren bzw. subtrahieren der von den
SchülerInnen gewählten Optionen. Die möglichen Maximalwerte liegen also bei Gruppe A bei der Ziffer 36, bei
Gruppe B bei Ziffer 48.
5
A: +12
B: -10
Immerhin 8 SchülerInnen der Heidehof-Klasse stellen sich absolut hinter die Aussage, die
Bibel habe mit dem Gott, an den sie glauben oder glauben können nichts zu tun - das sind
über 44% (Gruppe B gerade mal ein einziger Schüler, d.h. rund 4%). Zugleich ist aber auch
die gegenteilige Aussage, die absolute Ablehnung dieses Satzes, in der Heidehof-Klasse
stärker vertreten. In dem Bereich von -1 zu +1 bewegen sich bei Gruppe A rund 33% und bei
Gruppe B rund 83%.
Es zeigt sich, dass bei Glaubensaussagen die Klasse des Heidehof-Gymnasiums deutlich entschiedener Stellung bezieht. Ich möchte dafür folgende Interpretation anbieten: Die vergleichsweise starke religiöse Sozialisation führt zu stärkerer Offenheit für Religiosität und zu
stärkerer Auseinandersetzung mit der Frage, was nun die Bibel mit dieser Religiosität zu tun
haben könnte. Daraus lässt sich das zweite Ergebnis ableiten: Dieses stärkere Empfinden des
Erfahrungsdefizits führt zu einem höheren Interesse, dieses Defizit auszugleichen - nämlich
durch eine Beschäftigung mit der Bibel. Das bereits oben angesprochene „Interesse an einem
lebensbezogenen, erfahrungsorientierten Verständnis der Bibel”
20
bei älteren Schülerinnen
und Schülern scheint mir in der von mir unterrichteten Klasse besonders ausgeprägt zu sein.
Dem sollte die Konzeption der Unterrichtseinheit Rechnung tragen.
II. Methodisch-didaktischer Schwerpunkt: Erzählen
Unter den vielen Methoden des Religionsunterrichts habe ich mir für diese Arbeit eine ausgesucht, die mir aus Gründen, auf die noch einzugehen ist, besonders sachgemäß und fruchtbar
erscheint: das Erzählen. Natürlich habe ich in meinem Unterricht nicht nur erzählt. Wo es mir
sinnvoll erscheint, werde ich die anderen Methoden auch thematisieren.
Es wird sich aber auch zeigen, dass das Erzählen zunächst einmal nicht nur eine Methode ist:
Es gibt was das Erzählen anbelangt methodisch eine große Vielfalt, aus der man schöpfen darf
- von erzählender Interaktion über Phantasiereisen bis zu handlungsorientierten Ansätzen.
Zudem aber ist das Erzählen nicht nur eine Methode: Es ist vielmehr ein Horizont, dem sich
der Religionsunterricht nicht verschließen darf. Dies wird ausführlich zu begründen sein.
20
Berg: Bibeldidaktik a.a.O. S.18.
6
II.1. Narrative Ansätze in der Theologie und ihre Bedeutung für die
Bibeldidaktik
„Wunder, das man erzählt, wird von neuem mächtig. Kraft, die einst wirkte, pflanzt im lebendigen Wort sich fort und wirkt noch nach Generationen. Man bat einen Rabbi, dessen Großvater ein Schüler des Baalschem gewesen war, eine Geschichte zu erzählen. ‘Eine Geschichte’,
sagte er, ‘soll man so erzählen, daß sie selber Hilfe sei.’ Und er erzählte: ‘Mein Großvater war
lahm. Einmal bat man ihn, eine Geschichte von seinem Lehrer zu erzählen. Da erzählte er,
wie der heilige Baalschem beim Beten zu hüpfen und zu tanzen pflegte. Mein Großvater stand
auf und erzählte, und die Erzählung riß ihn so hin, daß er hüpfend und tanzend zeigen mußte,
wie der Meister es gemacht hatte. Von der Stunde an war er geheilt. So soll man Geschichten
erzählen.”21
Kürzer und treffender als Buber das hier tut, kann man das, was es über das Erzählen zu sagen
gibt kaum zusammenfassen. Buber beginnt mit einem abstrakt formulierten Satz über das
Erzählen und sagt danach das gleiche mit einer Erzählung. Buber spricht vom „lebendigen
Wort”, von der Wirkmächtigkeit der Erzählung, und indem er davon spricht, formuliert er
abstrakte Sätze, die Erfahrung reduzieren, um sie für die Wissenschaft kommunizierbar, verfügbar zu machen. Anschließend geht er jedoch ganz anders vor: Er erzählt über das Erzählen
und in diesem Erzählen wird das erfahrbar, was er zuvor dem Geist abstrakt verfügbar
gemacht hat. Es wird in der Erzählung Erfahrung weitergegeben. Erzählte Erfahrung ist nun
aber nicht allein weitergegebene Information. Erfahrung, die erzählt wird, wird beim Akt des
Erzählens selbst erfahren.
An dieser Stelle setzte die Narrative Theologie an: H. Weinrich und J.B. Metz traten 1972 mit
der Forderung an die Öffentlichkeit, dass das Erzählen in der Theologie eine zentrale Stellung
einnehmen müsse.22 H. Zahrnt griff diese Anregung auf und formulierte als Richtlinie für den
Umgang mit der Bibel:
”Gott läßt sich nicht abstrakt definieren, von Gott muß man konkret erzählen. Was nicht
erzählbar ist von Gott, das zählt nicht in der Theologie.”23
Es werden für ein solches Postulat, das in seiner Ausschließlichkeit zu Recht kritisiert
wurde,24 Begründungen angeführt, die es hier zu bedenken gilt:
G. Lohfink brachte von exegetischer Seite her ein, dass sowohl in den Evangelien als auch in
der Briefliteratur des Neuen Testaments die narrative Sprache grundlegend und bestimmend
21
Martin Buber zitiert nach Werner Laubi: Die Himmel erzählen. Narrative Theologie und Erzählpraxis, Lahr
1995. S.74.
22
Eine gute Zusammenfassung dieser Vorgänge bietet Bernd Wacker: Zehn Jahre ”Narrative Theologie” Versuch einer Bilanz, in: Willy Sanders / Klaus Wegenast (Hrsg.): Erzählen für Kinder - Erzählen von Gott.
Begegnung zwischen Sprachwissenschaft und Theologie, Stuttgart u.a. 1983. Vgl. auch Laubi: Die Himmel
erzählen a.a.O. besonders S.8-13.
23
Zitiert nach Laubi: Die Himmel erzählen a.a.O. S.11.
24
Vgl. ebd. S.65ff.
7
sei.25 Diese Erkenntnis greift H. Halbfas auf, wenn er sich dementsprechend für eine narrative
Unterrichtskultur einsetzt und darauf hinweist, dass die „zentrale Gestalt des Christentums,
Jesus von Nazareth (...) weder Philosoph noch Schriftsteller, sondern Erzähler” 26 war. Diese
Feststellung der Vorrangigkeit des Narrativen in der Bibel lässt sich natürlich keineswegs nur
für das Neue Testament treffen - vielmehr ist im Alten Testament fast alles Erzählung oder in
Erzählung verwoben.27 Dies gilt im Übrigen auch gerade für so sperrige Texte wie Genealogien, die gewissermaßen eine Intertextualität der Erzählungen des Alten Testaments
strukturieren. Im Neuen Testament wiederum verknüpfen Matthäus und Lukas mit ihren
Genealogien ihre Erzählungen mit denen des Alten Testaments. Umgekehrt weist Baudler
darauf hin, dass reine Sammlungen von Jesusworten wie in der Logienquelle oder im
Thomasevangelium wohl aus folgendem Grund nicht in den Kanon aufgenommen wurden:
„Offenbar kann die Lehre und Botschaft Jesu nicht ‘rein’, d.h. ohne in eine Erzählung eingebaut zu sein, sinnvoll und überzeugend weitergegeben und vermittelt werden.“28
Man kann an dieser Stelle auch an den Satz U. Ecos denken: „Wovon man nicht theoretisch
sprechen kann, muß man erzählen.“29 L. Wachinger stellt ebenfalls treffend fest:
„Individuelles kann nicht auf allgemeine Begriffe bezogen werden, Unabgeschlossenes läuft
der begrifflichen Fixierung davon; Erfahrung kann nicht bewiesen werden, sondern nur
bezeugt und erhellt, bescheidener gesagt: erzählt und geglaubt.“30
Die Erzählung ist also nicht nur eine Textgattung, die in der Bibel besonders häufig
vorkommt. Man muss vielmehr in Bezug auf das Alte wie auch auf das Neue Testament von
einer grundlegend narrativen Struktur biblischer Texte sprechen. Will man eine
Gemeinsamkeit innerhalb der reichhaltigen und z.T. sehr disparaten ‘Bibelbibliothek’
feststellen, so tut man gut daran, auf die narrative Struktur zu verweisen: Von wenigen
Ausnahmen abgesehen verweist jeder biblische Text, in seiner je eigenen Art und Form, mit
unterschiedlichen Interessen, Positionen usw. auf die eine Geschichte Gottes mit den
Menschen.
Wie nun die Bibel in sich eine narrative Struktur hat, so gilt dies auch für Synagoge 31 und
Kirche, die sich auf die Schriften, die die Geschichte Gottes mit den Menschen erzählen,
25
Gerhard Lohfink: Erzählung als Theologie. Zur sprachlichen Grundstruktur der Evangelien, in: Stimmen der
Zeit 192.1974. S.521-532. Laubi: Die Himmel erzählen a.a.O. S.11.
26
Laubi: Die Himmel erzählen a.a.O. S.11f.
27
Vgl. Claus Westermann: Erzählungen in den Schriften des Alten Testaments (Arbeiten zur Theologie Bd.85),
Stuttgart 1998.
28
Georg Baudler: Zur theologischen Bedeutung des Erzählens, in: RU 1980/2. S.40-44 (hier S.41).
29
Zitiert nach Edmund Arens: „Wer kann die großen Taten des Herrn erzählen?“ (Ps 106,2). Die Erzählstruktur
christlichen Glaubens in systematischer Perspektive, in: Rolf Zerfass: Erzählter Glaube - Erzählende Kirche
(Quaestiones Disputatae 116), Freiburg i.Brsg. u.a. 1988. S.13--27.
30
Lorenz Wachinger: Erinnern und Erzählen. Reden von Gott aus Erfahrung, München 1974. S.18.
8
berufen und diese durch die Jahrhunderte hindurch weitererzählen.32 G.Baudler fasst den
Sachverhalt treffend zusammen:
„Im Christentum bildet (wie im Judentum) ein erzähltes Ereignis, also eine Geschichte, das
Fundament der Religion, nicht eine Einsicht über Gott und den Menschen (wie im Buddhismus). Die Erzählstruktur des jüdisch-christlichen Urbekenntnisses und der neutestamentlichen
Heilsbotschaft können nicht ohne Folgen bleiben für den Umgang mit dieser Botschaft.“ 33
Sich mit der Botschaft der Erzählung zu identifizieren definiert Baudler als ‘glauben’.
Erzählen ist damit selbst Theologie und Arens ist wohl Recht zu geben, wenn er die Narrative
Theologie an dieser Stelle gegen den Vorwurf verteidigt, sie wolle das Denken in der
Theologie ausschalten. Arens meint, aus diesen Einwänden spreche „ein zu enges,
akademisch konfektioniertes Verständnis von Theologie“ und weist darauf hin, dass
Theologietreiben „auch in anderen Formen und Kontexten geschehen“ kann „als im
akademischen Diskurs.“34 So ist gerade die Kontextualisierung und Transformierung im
Erzählen und im Gespräch über das Erzählen Theologie in einem weiten Sinne.
Erzählen bewahrt die christliche Botschaft vor einer Reduktion auf rein dogmatische
Glaubenssätze - Glauben wird im Erzählen erfahrbar gemacht
und damit als
Glaubenserfahrung weitergegeben. Die Kirche wird deshalb von Vertretern der Narrativen
Theologie auch als Erzählgemeinschaft bezeichnet. Diese Grundbestimmung greift A.
Grözinger auf, wenn er von der Grundbestimmung der Kirche als „handelnder
Erzählgemeinschaft” spricht.35
Als eine Ursache der Bibelmüdigkeit Jugendlicher wurde bereits ein Erfahrungsdefizit mit der
Bibel ausgemacht. Eben ein solches Erfahrungsdefizit wurde von den Vertretern der Narrativen Theologie nun eingeklagt, was die Theologie anbelangt. Es wurde herausgearbeitet, dass
das Erzählen die Grundform der Weitergabe von Erfahrung ist. Kirche wurde ausgehend von
diesem Befund als Erzählgemeinschaft verstanden. Was läge näher, als dem Erfahrungsdefizit
in der Bibeldidaktik mit einer stärkeren Einbindung des Erzählens in den Bibelunterricht zu
begegnen? Abromeit formuliert hierzu treffend: „Eine gelungene Erzählung ermöglicht die
Verschmelzung des biblischen Horizontes mit dem Horizont der gegenwärtigen Welterfahrung.“36
31
Vgl. hierzu Karlheinz Müller: Bedingungen einer Erzählkultur. Judaistische Anmerkungen zum Programm
einer „narrativen Theologie“, in: Zerfass: Erzählter Glaube a.a.O. S.28-51.
32
Vgl. hierzu z.B. Arens: Wer kann... a.a.O. S.21f
33
Ebd. S.40.
34
Arens: Wer kann... a.a.O. S.26.
35
Albrecht Grözinger: Erzählen und Handeln. Studien zu einer trinitarischen Grundlegung der Praktischen
Theologie, München 1989. S. 102ff.
36
Abromeit: Bibel a.a.O. S.199.
9
Doch nicht nur die Kirche als Erzählgemeinschaft gibt, wie festgestellt wurde, Erfahrung
durch Erzählen weiter. Die Erzählung ist neben dem Bekennen die zentrale Grundform
biblischen Redens von der Geschichte Gottes mit den Menschen. Auch im Bekennen wird auf
diese Geschichte Bezug genommen. Somit ist gerade das Bekennen Teil dieser narrativen
Struktur. Dies wird deutlich am apostolischen Glaubensbekenntnis, noch viel deutlicher an
dem heilsgeschichtlichen Credo Dt 26,5b-9.
Grözinger spricht von narrativer Praxis der Kirche.37 Eine solche narrative Praxis, in der sich
Form und Inhalt entsprechen können, muss auch im Religionsunterricht, ganz besonders
jedoch im Bibelunterricht eingefordert werden.
II.2. Einwände gegen das Erzählen im Bibelunterricht
Das Erzählen biblischer Geschichten ist keineswegs unumstritten. Von verschiedenen Seiten
werden Einwände vorgebracht. Diese Einwände sind trotz Überschneidungen der Sache nach
nicht identisch mit Einwänden gegen die Narrative Theologie. Manche dieser Einwände verweisen auf tatsächliche Probleme des Erzählens. Aus ihnen ergeben sich Anforderungen an
die narrative Praxis im Unterricht.
II.2.1. Rezeption und handlungsorientierter Unterricht
Ein gewichtiger Einwand gegen das Erzählen im Unterricht ist die vermeintliche Passivität
der SchülerInnen während des Erzählens.38 Köck, einer der Vertreter eines streng
handlungsorientierten Unterrichts, gibt folgende Richtlinien für die Unterrichtspraxis:
”Der Lehrer sollte sich grundsätzlich bei der Unterrichtsgestaltung von der folgenden Faustregel leiten lassen: Alles was die Schüler tun können, sie auch tun lassen! (...) Selbsttätigkeit
kann sich entfalten, wenn dem Schüler Möglichkeiten des entdeckenden Lernens, des genetischen Lernens, des erfahrungsbezogenen Lernens, des problemorientierten Lernens, des Versuch-Irrtum-Lernens angeboten werden. Der Schüler soll über Selbsttätigkeit zu Selbständigkeit befähigt werden.”39
Verbauen wir durch das Erzählen den SchülerInnen den selbstständigen Zugang zu dem
erzählten Unterrichtsstoff? Laufen wir, wenn wir erzählen, Gefahr, erfahrungsbezogenes Lernen zu verhindern?
37
Ebd. S.106ff.
Das Problem ließe sich verallgemeinern: Es steht hier sprachlich-rezeptives Lernen (AUSUBEL) dem entdeckenden Lernen (BRUNER) gegenüber - man könnte also an dieser Stelle diese alte Debatte ausbreiten.
39
P. Köck: Praxis der Unterrichtsgestaltung und des Schullebens, Donauwörth 1991.
38
10
Man muss fragen, ob das Erzählen ein rein rezeptiver Akt sein muss. Eine Möglichkeit, diese
Gefahr zu vermeiden beschreibt Neidhart. Er schlägt vor, das Erzählen im Unterricht mit
einem Gespräch zu kombinieren: ”Die Trennung von Erzählung und Gespräch engt das Spiel
zwischen Erzähler und Hörer ein und schwächt die Intensität des Erlebens ab.” 40 Er plädiert
dafür, spontane Äußerungen von SchülerInnen sofort zu berücksichtigen. Außerdem regt er
an, die Kommunikationssituation während der Erzählung zu inszenieren, z.B. durch szenische
Interpretation des Erzählten, die Diskussion von Lösungsmöglichkeiten oder Aufschreiben
von möglichen Dialogen in Gruppenarbeit.
Ich habe mich in meiner Erzählpraxis für die Trennung von Gespräch und Erzählung entschieden und werde das später entsprechend begründen.41 Für mein Erzählen im Unterricht bleiben
also zunächst noch die oben beschriebenen Gefahren virulent. Für die Erzählpraxis bedeutet
dies zunächst einmal eines: Dem Anspruch eines handlungsorientierten Unterrichts muss auch
ein Unterricht mit narrativer Struktur gerecht werden. Ein Ziel des narrativen Unterrichts
muss also sein, die SchülerInnen in die Erzählgemeinschaft nicht nur als Zuhörer, sondern
auch als Erzähler miteinzubeziehen. Die SchülerInnen sollen im Unterricht auch selbst
erzählen - das ist die Konsequenz für einen Unterricht, der Handlungsorientierung und
narrativen Charakter verbindet.
Selbst da jedoch, wo nur der Lehrer erzählt, muss der Vorwurf, es handele sich dabei um rein
rezeptives Lernen nicht all zu schwer wiegen. Rezeption, und das gilt grundsätzlich, ist immer
auch Rekonstruktion. Modelle, die in einem schlichten Sender-Empfänger-Modell denken
sind naiv und veraltet. Ohne sich komplett einem Konstruktivismus verschreiben zu wollen,
kommt man doch an dessen Erkenntnis nicht vorbei, dass der Empfänger nicht einfach die
Meldung so empfängt, wie sie gesendet wurde. Vielmehr ist der Akt des Empfangens ein
aktiver. Die Meldung wird in das System des Empfängers integriert, und dies ist allein
möglich durch eine Rekonstruktion. In eben diesem Akt der Rekonstruktion nun liegt die
eigentliche Leistung des Zuhörers einer Erzählung: Erzählte Erfahrung wird mit eigener
Erfahrung verknüpft. Gehörtes wird mit Hilfe von Phantasie und Vorstellungskraft
visualisiert. Lücken, die z.B. durch die Differenz von erzählter Zeit und Erzählzeit
aufbrechen, werden aufgefüllt. Jeder Zuhörer erschafft in seiner Vorstellung die ihm ganz eigene Geschichte, die sich mit seiner Erfahrungswelt verknüpfen und somit relevant werden
kann. Die SchülerInnen sind beim Hören einer Geschichte nur äußerlich passiv.
Man muss sich auch fragen lassen, wie man begründen will, dass ein Schüler, der einen Text
liest aktiver sein soll als einer, der einen Text hört. Es handelt sich nur um unterschiedliche
40
41
Neidhart: Erzählbuch a.a.O. S.81-84.
S.u.S.35.
11
Lernkanäle - die Schüleraktivität unterscheidet sich jedoch nicht. Hören ist nicht mehr oder
weniger passiv als Lesen.
Aus den berechtigten Ansprüchen an eine Handlungsorientierung des Unterrichts muss man
zwei Konsequenzen ziehen: Zum einen sollte man das Erzählen nicht allein dem Lehrer überlassen. Auch die SchülerInnen sollen im Unterricht erzählerisch tätig werden.42 Zudem sollte
jedoch vor allem die Lehrererzählung so gestaltet sein, dass sie dem Akt der aktiven Rekonstruktion interessantes Material liefert. Man tut gut daran, sich in diesem Zusammenhang den
Satz von Jacob Grimm in Erinnerung zu rufen: „Die beste Lehre ist die, welche nicht gleich
ganz verdaut werden kann, sondern deren Stoff lange aushält.”43
II.2.2. Ideologiebefrachtung
E. Schillerbeeckx weist auf die Gefahr hin, dass durch Erzählen Ideologie transportiert werden
kann.44 Dieser Hinweis ist natürlich berechtigt, bedenkt man, wie wirkmächtig Erzählungen
sein können.45 Man kann diesen Einwand nicht einfach damit abtun, dass die biblischen Texte
keine Ideologie vermittelten und alles andere ohnehin in der Verantwortung des Lehrers liege.
Die biblischen Erzähler vertreten Ideologien, sie sind teilweise ideologisch sogar bedenklich.
Man wird aus diesem Einwand Konsequenzen ziehen müssen, die in engem Zusammenhang
stehen mit den bereits oben skizzierten: Besonders bei älteren SchülerInnen ist zu vermeiden,
dass die Zuhörer einfache Urteile übernehmen. Das Erzählen muss vielschichtig, es muss
ambivalent sein. Die Vielfalt der Bibel, so Laubi,46 darf nicht verschwiegen werden. Es darf
kein klares Gut und kein klares Böse geben oder, wenn es diese gibt, muss der Zuhörer
zugleich ermutigt werden, diese vermeintliche Klarheit in Frage zu stellen. Neidhart führt
dazu aus:
„Dieser Tendenz zu Schwarz-weiß-Urteilen möchte ich widerstehen, nicht aus psychologischen, sondern aus theologischen Gründen. Geben wir ihr nach, können wir zwar spannende
Geschichten erzählen, aber ihre Aussagekraft erstreckt sich gerade so weit, wie die
bürgerliche Moral gilt, nach der die Guten zu lieben und die Bösen zu hassen sind.”47
42
S.u.S.21-27.45-55.
Zitiert nach Klaus Kanzog: Normtraining und Normtrauma. Erzählen für Kinder, in Sanders / Wegenast:
Erzählen. S.151-165 (hierzu S.153).
44
Vgl. Laubi: Die Himmel erzählen a.a.O. S.73
45
Ein Beispiel gewissermaßen aus der Schulpraxis sei an dieser Stelle doch nicht verschwiegen: Ian Kershaw
berichtet in seiner Hitlerbiographie über die Verachtung, die Hitler seinen Lehrern entgegenbrachte; dann: ”Nur
den Geschichtslehrer, Dr. Leopold Pötsch, nahm er in ‘Mein Kampf’ lobend davon aus, weil er Hitlers Interesse
durch lebendiges Erzählen und ‘Heldengeschichten’ aus der deutschen Vergangenheit beflügelt und in ihm die
starken deutschnationalen, gegen Habsburg gerichteten Gefühle angeregt habe...” Ian Kershaw: Hitler 18891936, Stuttgart 1998. S. 47f. Bereits Platon wusste von der Gefahr, dass den Kindern die falschen Mythen erzählt
werden; vgl. Dietrich Steinwede: Biblisches Erzählen in der religiösen Unterweisung für Kinder, in: Sanders /
Wegenast: Erzählen a.a.O. S.52-67 (hierzu S.54f).
46
Ebd. S.72.
47
Neidhart: Erzählbuch a.a.O. S.46.
43
12
Neidhart schlägt statt der Bestätigung einer unversöhnlichen Kontrastierung von Gut und
Böse vor, mit dem Schuldigwerden solidarisch zu sein und damit dem Gott zu entsprechen,
der seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute (Mt 5,45).48
Diese Konsequenz hat ihren konkreten Ort in der vorbereitenden Phantasiearbeit des
Erzählers, der sich in alle Rollen hineinversetzt und auch die Beweggründe der sogenannten
Bösen in seiner Erzählung mitreflektiert.
Es scheint mir aber auch eine Frage der Erzähltechnik zu sein, ob das moralische Urteil aufgedrängt und damit der Ideologisierung das Feld frei gemacht oder ob einer pluralistischen
Offenheit der Interpretation durch den Zuhörer Platz eingeräumt wird. Man sieht: Auch an
dieser Stelle ist einzuklagen, dass der Zuhörer die Möglichkeit haben muss, die Geschichte in
möglichst großem Maße selbsttätig zu rekonstruieren und sich dabei auch mit ambivalenten
Inhalten auseinanderzusetzen. Mit Hilfe einer Rahmenhandlung beispielsweise kann dem subjektiven Charakter einer Erzählung, die in eine Situation hineinerzählt und durch konkrete
Situationen hindurch tradiert wurde, Rechnung getragen werden.49
II.2.3. Naives Erzählen - Altersgemäßes Erzählen
Beschäftigt man sich mit Erzähltheorie und Erzählpraxis für den Bibelunterricht, so wird man
sofort feststellen, dass sich die meisten Autoren mit Erzählen für Kinder beschäftigen, aber
kaum jemand ein Erzählen für Jugendliche und junge Erwachsene reflektiert.50 Liegt das nun
daran, dass das Erzählen für Jugendliche für so einfach gehalten wird, dass es dafür keinerlei
Hilfen für den Erzähler bedarf? Das Gegenteil ist wohl eher der Fall: Jugendliche gieren nicht
mehr nach Erzählungen, sie lehnen sie, wie man von vielen Lehrern hören kann, häufig ab.
Das ‘Schweigen im Walde’ der Erzählhilfen für Jugendliche und junge Erwachsene dürfte
seine Ursache eher darin haben, dass Jugendlichen eben nicht mehr erzählt wird - und schon
gar nicht aus der Bibel. Der narrative Zugang zur Bibel wird nur den Kindern gestattet - zum
Erwachsenwerden scheint in unserer Gesellschaft der Abschied vom Narrativen zu gehören.51
48
Inwiefern die Ambivalenz des biblischen Gottesbildes beim Erzählen zum Tragen kommen soll oder darf wird
an anderer Stelle zu klären sein. S.u.S.16.37.
49
S.u.S.33-43.45-51.
50
Vgl. etwa Reinmar Tschirch: Biblische Geschichten erzählen, Stuttgart u.a. 1997; Neidhart: Erzählbuch a.a.O.;
Sanders / Wegenast: Erzählen a.a.O.; Otto Wullschleger: Anschauliche Christologie. Empirische und
theologische Aspekte zur Erzählbarkeit der Jesusgeschichte in der Grundschule Frankfurt a.M. u.a. 1977.
51
Dies ist natürlich nur ein gesellschaftliches Leitbild - auch Erwachsene sind in zahlreiche Erzählzusammenhänge verstrickt. Aber gerade im Bereich der Religion wird von Erwachsenen ein abstrakterer Zugang eingefordert - mit den entsprechenden Folgen für Gottesdienst, Theologie und Religionsunterricht.
13
Abromeit tut dies in einem Nebensatz ab: „Je älter die Schüler werden, desto mehr wird
anstelle des Erzählens das Gespräch mit dem Bibeltext treten.“52
Es wurde jedoch bereits festgestellt, dass dieser Abschied vom Narrativen sowohl ein
Abschied von der narrativen Grundstruktur von Bibel und Kirche wäre, als auch eine
Möglichkeit verstreichen ließe, erfahrungsbezogenen Unterricht zu fördern. Die Konsequenz,
die man aus diesem Dilemma ziehen muss ist: Man muss altersgemäß erzählen! Es wurde
bereits oben festgestellt, welchen Anforderungen das Erzählen entsprechen muss. Die
Forderung, eine Erzählung dürfe nicht zu leicht verdaulich sein, sondern solle Anforderungen
an eine aktive Rezeption stellen, gilt in besonderem Maße für ältere SchülerInnen. Ein naives
Erzählen ist hier nicht mehr altersgemäß. Wie umgeht man aber dieses naive Erzählen?
Sicherlich zunächst einmal, und das gilt grundsätzlich für alle Altersstufen, indem man, wie
Neidhart das ausführt, ein Schwarz-weiß-Schema vermeidet. Dies genügt jedoch noch nicht,
um beim Erzählen für junge Erwachsene das naive Erzählen zu vermeiden. Grözinger53
schlägt vor, an die Stelle eines naiven Erzählens ein hochreflektiertes Erzählen zu setzen. Ein
solches hochreflektiertes Erzählen ist nach Grözinger dann gegeben, wenn das Erzählen selbst
die Situation des Erzählens reflektiert.54 In seiner Auseinandersetzung mit einem Gegner der
narrativen Unterrichtspraxis, G. Lämmermann wird Grözingers Position deutlich:
Lämmermann hatte im Jahr 1986 für die Religionsdidaktik etwas aufgegriffen, was bereits
Jahre zuvor in der Geschichtsdidaktik diskutiert wurde.55 Die Vorwürfe, die Lämmermann an
den narrativen Ansatz im Religionsunterricht richtet, sind in etwa folgende:56
- Erzählen leistet einer Simplifizierung von Geschichte Vorschub.
- Erzählen ist immer verbunden mit einem Zwang zur Personalisierung von Geschichte.
- Erzählen fördert die Produktion willkürlicher Assoziationen, welche ein kritisches Begreifen
von Geschichte hemmen.
Die letzte These lässt sich am leichtesten entkräften: Vorstellung von Geschichte kommt ohne
Assoziationen nicht aus - diese sind ja gerade der Versuch der Vorstellung, die erzählte Erfahrung anderer mit der eigenen zu verbinden. Dass dabei auch falsche Assoziationen auftreten,
darf nicht weiter stören, bedenkt man die Alternative: Eine Geschichtswahrnehmung, die
nichts anderes wäre als ein „positivistisches Erheben von Fakten”57.
52
Abromeit: Bibel a.a.O. S.199.
Grözinger: Erzählen a.a.O. S.63-98
54
Dies geschieht in der 4.Stunde, sowie in der Thematisierung der Rahmenerzählungen. S.u.S.28.
55
Vgl. Hans Glöckel: Geschichtsunterricht, Bad Heilbrunn 21979. S.173f.
56
Godwin Lämmermann: Anmerkungen zu einem kirchengeschichtlichen Unterricht, in: Theologia Practica
21.1986. S.327-342. Vgl. Grözinger: Erzählen a.a.O. S.98-101.
57
Ebd. S.101.
53
14
Die beiden ersten Thesen erkennt Grözinger als tatsächliche Probleme, denen sich der
Erzähler zu stellen hat. Er widmet die Ablehnung des Erzählens im Unterricht durch Lämmermann dabei um in ein „Plädoyer für ein besseres Erzählen”58. Der Erzähler muss, und das ist
eben das Gegenteil von naivem Erzählen und zugleich altersgemäß (für die 11. Klasse), so
erzählen, dass zum einen das Erzählen selbst im Erzählen thematisiert wird und zugleich eine
Simplifizierung von Geschichte durch eine hohe Ambivalenz ebenso vermieden wird wie eine
naive Personalisierung durch Multiperspektivität.
Im Rückgriff auf P. Ricoeur gibt Grözinger auch einen Ausblick darauf, wie das in der
konkreten Umsetzung aussehen kann, nämlich so, dass z.B. „‘...ein Erzähler von einem
Erzähler, der von einem Erzähler erzählt, erzählt.’”59 Durch diese Erzählpraxis sieht er die
notwendige Mehrstimmigkeit einer Erzählung gewährleistet. Damit wird, und das ist wohl das
Entscheidende, der ”point of view”, oder wie man weniger sprachwissenschaftlich, dafür aber
theologisch sagen kann, der Sitz im Leben der Erzählung selbst thematisiert und zur
Disposition gestellt. Wird beim Erzählen mit solcher Vielschichtigkeit gearbeitet, so trifft
Lämmermanns Urteil, der „Zug zur Simplifizierung und Personalisierung von Geschichte“ sei
dem Erzählen „inhärent“60 sicherlich nicht zu!
II.2.4. Sind biblische Geschichten schädlich?
Ein vierter Einwand gegen das Erzählen biblischer Geschichten im Religionsunterricht richtet
sich nicht eigentlich gegen das Erzählen, sondern gegen die biblischen Geschichten selbst.61
Der selbsternannte Bewahrer des Abendlandes vor den Gefahren des Einflusses biblischer
Geschichten auf unsere Gesellschaft, F. Buggle, führt scharfe Geschütze gegen die Bibel ins
Feld. Seine Kritik richtet sich nicht gegen die Kirche an sich (die er natürlich indirekt trifft),
sondern gegen deren Basis: Er greift den Gott des Alten und Neuen Testaments an:
”Eine nicht geringe Zahl positiv motivierter bis idealistisch gesinnter Bischöfe, Pfarrer, engagierter Christen bemüht sich, aus einer redlicherweise eigentlich längst unhaltbar gewordenen
religiösen Glaubensbasis unter ungeheuren Selbstverleugnungen, Konflikten und inneren Verbiegungen (...) doch noch eine einigermaßen akzeptierbare und hilfreiche Veranstaltung zu
machen. Pointiert gesagt: Ich kenne eine große Zahl von Pfarrern und überzeugten Christen,
deren ethisches Niveau das des biblischen Gottes bei weitem übertrifft (und es stünde besser
58
Ebd. S.100.
Albrecht Grözinger: Die Sprache des Menschen: Ein Handbuch. Grundwissen für Theologinnen und Theologen, München 1991. S.169f.
60
Lämmermann: Anmerkungen a.a.O. S. 332.
61
Vgl. hierzu Laubi: Die Himmel erzählen a.a.O. S.77-83. Geschichten, die er ablehnen muss sind gerade die
Geschichten, die für meinen Unterricht besonders interessant waren. S. z.B. M10/1-4.
59
15
um diese Welt und das Schicksal der Menschen, wenn diese über göttliche Allmacht verfügten).”62
Buggle bietet in seiner Streitschrift eine seltsame Legierung von großem Scharfsinn und
tiefster Naivität. Mit großem aufklärerischem Eifer geht er daran, nachzuweisen, wie tief
inhuman die biblischen Geschichten sind.
Man sollte sich zunächst einmal auf diese Argumentation einlassen (der Nachweis größter
Brutalität in zahlreichen Texten des Alten wie des Neuen Testaments sei geschenkt). Man
muss sich beim Erzählen gerade dieser Ambivalenz stellen.63
Zunächst einmal ist es durchaus fraglich, ob es tatsächlich für Kinder schädlich ist, brutale,
vielleicht sogar grausame Erzählungen zu konsumieren. Die selbe Kritik, wie Buggle sie an
den biblischen Geschichten übt, wurde auch schon am Erzählen von Märchen geübt. Auch
hier wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass Märchen teilweise ausgesprochen grausam
sind. Was bei B. Bettelheim, der sich mit diesem Einwand auseinandersetzt, für Märchen gilt,
wird sicherlich ebenso für zahlreiche biblische Geschichten gelten:
”In unserer Kultur besteht die Neigung, besonders wenn es um Kinder geht, so zu tun als existiere die dunkle Seite des Menschen nicht. Sie verkündet einen optimistischen Fortschrittsglauben. (...) Die modernen Geschichten, die für kleine Kinder geschrieben werden,
vermeiden meist diese existentiellen Probleme, die doch für uns alle entscheidend sind. (...)
‘Heile’ Geschichten erwähnen weder den Tod noch das Altern als Grenzen unserer Existenz;
sie sprechen auch nicht von der Sehnsucht nach ewigem Leben. Das Märchen (und viele
biblische Geschichten, die Buggle als grausam abtun muss, RS) konfrontiert das Kind mit den
grundlegenden menschlichen Nöten.”64
Der gewichtigste Einwand gegen Buggles Argumentation aber ist, dass es unredlich ist, historisch gewachsene Texte an heutigen ethischen Normen zu messen.65 Gerade diese Einsicht,
dass es des historischen Kontextes bedarf um einen Text als Antwort auf eine Frage, ein
Bedürfnis zu verstehen, soll ja in der Bibeldidaktik den Jugendlichen und jungen
Erwachsenen vermittelt werden. Bei Buggle jedoch ist von dieser Einsicht nichts zu
entdecken.
Auch die Tatsache, dass er von dem biblischen Gott spricht und nicht von verschiedenen Gottesbildern innerhalb der Bibel, zeigt seine theologische Unbedarftheit. J. Miles schreibt über
den Gott der Bibel:
62
Franz Buggle: Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein
kann. Eine Streitschrift, Reinbek bei Hamburg 1992.
63
Vgl. auch Walter Neidhart: Zur Problematik von alttestamentlichen Kriegsgeschichten im Religionsunterricht,
in: Entwurf 1986/1 S.30-33.
64
Bruno Bettelheim: Kinder brauchen Märchen, Stuttgart 1977. S13.
65
Vgl. Laubi: Die Himmel erzählen a.a.O. S.78.
16
„Gott ist (...) eine Mischung mehrerer Persönlichkeiten in einer Gestalt. Die Spannung zwischen diesen Persönlichkeiten macht Gott schwierig, aber sie macht ihn auch zwingend, ja, sie
macht süchtig nach ihm.”66
Miles ist sich bewusst, dass die Widersprüchlichkeit Gottes in der Bibel durch den
historischen Prozess der Entstehung der Bibel bedingt ist. Er interpretiert ihn aber bewusst
außerhalb eines solchen historischen Verständnisses als literarische Gestalt. Was er bewusst
tut, das unterläuft Buggle unbewusst. Er erschafft damit das Bild eines rachsüchtigen,
grausamen aber zugleich gnädigen und hilfreichen und damit ambivalenten und
unberechenbaren Gottes. Er übersieht, dass es sich bei den von ihm untersuchten Texten um
einst lebendige Zeugnisse konkreter Erfahrung handelt und in verschiedenen Traditionen ein
intensives Ringen um das Verhältnis Gottes zum Bösen ebenso anzutreffen ist, wie ein naiver
Umgang mit Allmachtsprojektionen Ohnmächtiger.
Der Beitrag Buggles darf jedoch insofern als gewinnbringend verstanden werden, als er die
Bibeldidaktik an ihre Aufgaben besonders älteren SchülerInnen gegenüber erinnert: Die
Ambivalenz des biblischen Gottesbildes darf nicht verschwiegen werden. Fragen wie die nach
der Gewalt in der Bibel müssen offensiv thematisiert und als ein Lösungsmodell dieses
Problems ein historisch-kritisches Verständnis angeboten werden. Es darf nicht verschwiegen
werden: Die Bibel erzählt von Gewalt. Aber es darf auch nicht vergessen werden, was das
auch bedeutet: Sie erzählt von Gewalt, sie (insofern man die Bibel überhaupt als Einheit
sehen will) thematisiert Gewalt, häufig taucht in ihr der Ruf des Unterdrückten nach einer
befreienden Gewalt auf,67 und dennoch gilt: Gott, von dem die vielen Autoren und
Redaktoren der biblischen Texte erzählen, dieser eine Gott ist ein Gott, der sich selbst als
Liebe offenbart hat - im Alten wie auch im Neuen Testament.
II.2.5. Bedenken bei der praktischen Umsetzung: Kann ich das überhaupt?
Nun zum bedeutendsten Einwand gegen das Erzählen biblischer Geschichten: Liegt nicht die
Latte für das Erzählen biblischer Geschichten nach all diesen Ausführungen unerträglich
hoch? Für mich persönlich war dies der triftigste Einwand. Ich bin nämlich, vermutlich im
Gegensatz zu den Koryphäen des biblischen Erzählens, die so leicht über das Erzählen
schreiben, weil sie es beherrschen,68 kein Erzähler, dem das Erzählen in die Wiege gelegt
66
Jack Miles: Gott. Eine Biographie, München / Wien 1996.
Was dieser Unterschied unter therapeutischen Gesichtspunkten bedeuten kann hat B Janowski in seinem
Aufsatz über die Rachepsalmen überzeugend dargelegt: Bernd Janowski: Dem Löwen gleich, gierig zum Raub.
Zum Feindbild in den Psalmen, Evangelische Theologie 55.1995. S.155-173.
68
Laubi, Neidhart, Steinwede und co.
67
17
wurde. Zudem liegt W. Dietz wohl ganz richtig, wenn er die Schule als einen
erzählfeindlichen Ort beschreibt.69 Ich bin aber der Überzeugung, dass jeder und jede erzählen
kann, wenn er oder sie nur den richtigen, je eigenen Weg dazu findet. 70 Ich denke, dass mir
das Erzählen gut gelungen ist, und ich möchte das folgende Kapitel gerne auch als eine Hilfe
für andere verstanden wissen, die gerne erzählen würden, aber ebenfalls keine geborenen
Erzähler sind.71 Grundsätzlich gilt: Es ist vieles möglich und es müssen nicht in jeder
Erzählung alle Kriterien guten Erzählens erfüllt sein. Die SchülerInnen der 11. Klasse, und
ich bin überzeugt davon, nicht nur speziell meiner 11. Klasse, sind für jeden Versuch des
Erzählens dankbar. Ich kann aus meiner jetzigen Erfahrung nur den folgenden Eindruck
gewinnen: Man stößt hier, wenn man es wagt, im Unterricht zu erzählen, in ein Vakuum vor,
das man auch mit etwas weniger Perfektion ausfüllen kann.
III. Die Unterrichtseinheit
1. Überblick
Ich habe für die Konzeption der gesamten Einheit einen narrativen Zugang gewählt, dessen
theologische und didaktisch-methodische Grundlagen bereits oben diskutiert wurden, bzw.
konkret bei den einzelnen Stunden erläutert werden. Zugleich ging ich aber von Anfragen und
Vorschlägen der SchülerInnen zum Thema Bibel aus.
In den ersten drei Stunden der III. Einheit haben wir uns mit der Bedeutung der Bibel für den
einzelnen Schüler, die einzelne Schülerin beschäftigt, sowie einen konkreten Kontakt mit dem
Buch (bzw. mit verschiedenen Ausgaben), hergestellt. Auch die Stellung der Bibel in der
Gesellschaft kam dabei in den Blick. Zugleich habe ich ein Profil der Voreinstellungen zur
Bibel, wie sie in der Klasse vorhanden sind, gewinnen können, das mir bei der weiteren Konzeption der Einheit sehr hilfreich war und ist.
Nach dieser Einstiegsphase kam ich bei der Frage nach den Wurzeln der Bibel über die
Ursprungssituation des Erzählens von Erfahrungen zu einer Liste von Zugängen zum
Erzählen und dessen Bedeutung für den Menschen. Dabei kam zugleich die konkrete
Walter Dietz: Ist die Schule ein Ort des Erzählens? Plädoyer für eine „narrative Unterrichtskultur“, in: Entwurf
1986/1. S.54-59.
70
Vgl. hierzu auch Gerhard Martin: Erzählen probieren – Erzählen trainieren, in: RU 1980/2. S.38f.
71
Gemeint ist hier nicht eine Hilfe zur konkreten Erzähltechnik (hier sei auf Neidhart : Erzählbuch a.a.O.
verwiesen), sondern für die Integration des Erzählens in den Bibelunterricht.
69
18
Entstehungssituation der biblischen Erzählungen mitsamt ihrem historischen Ort in den Blick.
Dieser Zugang wurde mit dem heilsgeschichtlichen Credo Dt 26,5b-9 vertieft. Die Bedeutung
des historischen Rahmens für die Intention einer Erzählung wurde anhand der
Plagengeschichte erarbeitet. In der Diskussion kam der Aspekt des Verhältnisses von Glauben
und Gewalt zur Sprache. Nachdem der Ursprung der Erzählung (die Erfahrung mit Gott) und
die Überlieferungsgeschichte beleuchtet wurden, kam in den folgenden Stunden die
Verschriftlichung, deren Konsequenzen für die Erzählung und daran anschließend die
Redaktion in den Blick. Die Redaktionsgeschichte und damit die Quellenscheidung wurde am
Beispiel des Lukasevangeliums (Lk 1,1-4) eingeführt. Dabei wurde auch das synoptische
Problem diskutiert. Anschließend wurde dann aber die Methode der Quellenscheidung an der
Exodusgeschichte eingeübt. Die auf diesem Weg isolierten Erzählungen der Quellenschriften
wurden in dieser und der folgenden Stunde von den SchülerInnen in Erzählungen umgesetzt.
In den folgenden Stunden wurde anhand von Motiven der Exoduserzählung näher auf die
Wahrheitsfrage eingegangen, da diese eine der Grundfragen der SchülerInnen im Unterrichtsgang war. Dabei wurden die Begriffe äußere Wahrheit und innere Wirklichkeit herausgearbeitet.
Anschließend wurden die weiteren Schritte der Entstehung der Bibel (Textkritik, Kanonbildung, Übersetzung) erarbeitet. Als letzte Stunde vor der Klassenarbeit wurden die erarbeiteten
Themenbereiche nochmal wiederholt und die Struktur verdeutlicht.
Als ein neues Erklärungsmodell sollen die SchülerInnen verstehen, dass die Wahrheitsfrage
nicht allein nach Fakten fragt, sondern nach der Wahrheit, die eine Sache für das Individuum
gewinnt. Es soll bedacht werden, was die Entstehungsgeschichte der Bibel für unseren Umgang mit der Bibel bedeutet. Als übergeordnetes Lernziel könnte man formulieren: Die SchülerInnen sollen verstehen, dass die Bibel von Erfahrungen mit Gott erzählt. Aus der narrativen Grundstruktur der Bibel, der Kontextgebundenheit biblischer Erzählung sowie der historischen Gewordenheit der Bibel ergeben sich Konsequenzen für unseren Umgang mit der
Bibel.
1. Stunde:
Einführung: Brainstroming und Umfrage
2./3. Stunde: Bibeln erzählen aus ihrem Leben
4. Stunde:
Was bewirkt Erzählen beim Menschen?
5. Stunde:
Überlieferungsgeschichte und Sitz im Leben
6. Stunde:
Die Provokation der Situation
7. Stunde:
Verschriftlichung und Redaktion
8./9. Stunde: Quellenscheidung
19
10. Stunde:
Die Exoduserzählung und ihr erneuter Sitz im Leben schwarzer
Sklaven
11. Stunde:
Äußere Wahrheit - Innere Wirklichkeit
12. Stunde:
Konsequenzen für unser Verständnis der Bibel
13. Stunde:
Textkritik, Kanongeschichte, Übersetzung
14. Stunde:
Integrationsstunde
15. Stunde:
Klassenarbeit
III.2. Verankerung im Lehrplan
Die Konzeption meiner Unterrichtseinheit entspricht in hohem Maße dem Bildungsplan,72 in
dem Schülerorientierung und Erfahrungsbezogenheit im Vordergrund stehen. Die
Unterrichtselemente,
die
zu
einem
sachgemäßen
Verstehen
biblischer
Realien
(Entstehungsgeschichte, hermeneutische Grundfragen) anleiten, wurden von mir nicht in
einem knappen Überblick eingeführt, sondern mit der Hinleitung zu einem intellektuell
redlichen und lebensnahen Umgehen mit der Bibel untrennbar verknüpft, was m.E. der Sache
entspricht.
Die einzelnen Gliederungspunkte des Bildungsplan seien hier sehr knapp den einzelnen
Unterrichtsstunden zugeordnet.
Erfahrungen mit der Bibel:
Die SchülerInnen berichten von eigenen Erfahrungen mit der Bibel und stellen dabei fest,
dass ihre Erfahrungen unterschiedliche sind (1.-3.Stunde). Sie machen aber im Unterricht
konkrete Erfahrungen mit der Bibel, z.B. indem sie in Erzählungen verwickelt werden
(5./6./10. Stunde). Der Ursprung der Bibel wird in der Erfahrung verankert, das Erzählen
erscheint als Weitergabe von Erfahrung (4./5. Stunde). In der Unterscheidung zwischen
innerer Wirklichkeit und äußerer Wahrheit wird eine erfahrungsbezogene Hermeneutik als ein
Schlüssel zum Umgang mit der Bibel angeboten (11./12. Stunde).
72
Ministerium für Kultus Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Bildungsplan für das Gymnasium
(Kultus und Unterricht Lehrplanheft 4/1994), Stuttgart 1994. S.518.
20
Unterschiedliche Ansätze der Bibelauslegung
Auf der Suche nach einem sinnvollen Umgang der SchülerInnen mit der Bibel kommen im
Unterrichtsgespräch aus dem Kreis der SchülerInnen die grundlegenden Ansätze der
Bibelauslegung zur Sprache (besonders 6.-12.Stunde, Klassenarbeit!).
Die Historisch-kritische Methode auf dem Hintergrund anderer Zugänge
Die Historisch-kritische Methode wird nicht Schritt für Schritt durchgearbeitet. Die einzelnen
Schritte der Entstehungsgeschichte erscheinen als Lösung von Fragen, die die SchülerInnen
am Anfang der Einheit stellen (1./5.-9./13. Stunde). Der narrative Zugang zur Bibel steht als
ein anderer Zugang als die Hostorisch-kritische Methode steht, mit dieser verknüpft, ohnehin
im Mittelpunkt der Einheit.
Entstehungssituationen der Hebräischen Bibel i. Zusammenhang der Geschichte Israels
Die Geschichte Israels steht im Zusammenhang mit dem heilsgeschichtlichen Credo als
Erzählung der Geschichte Gottes mit seinem Volk im Mittelpunkt des Unterrichts (4.Stunde).
Im Zusammenhang mit der Geschichte alttestamentlicher Texte kommt ebenfalls die
Geschichte Israels zum Tragen, und zwar am Beispiels eines der zentralen Motive der
Geschichte Israels, dem Exodusgeschehen (6./8.+9. Stunde). Die nomadische Vorzeit Israels
kommt als Rahmen der Erzähltradition Israels in den Blick (5./6. Stunde).
Die Evangelien als eigenständige literarische Gattung und ihr Entstehungsprozess
Die Evangelien werden am Beispiel des Lukasevangeliums unter der Fragestellung: „Wie entstand die Jesus-Erzählung des Lukas“ auf ihren Entstehungsprozess hin untersucht. Dabei
erscheinen sie in ihrer literarischen Einzigartigkeit als vom Redaktor, dem Evangelisten, komponierte Jesuserzählungen. (7.Stunde).
Wege zum methodisch-angeleiteten Verständnis biblischer Texte
Der Anforderung, ein methodisch-angeleitetes Verständnis biblischer Texte zu vermitteln,
dient die gesamte Unterrichtseinheit. Die Frage nach der methodischen Anleitung wurde
bereits erläutert. Ich schließe mich hier K. Meyer zu Utrup an, der schreibt: „Die Reflexion
durch
die
Bibelwissenschaft
hindurch
führt
auf
Strukturen,
von
denen
eine
Vergegenwärtigung biblischer Gehalte ausgehen muss.“73 In meinem Versuch, die
Kontextgebundenheit biblischer Texte elementar in das Textverständnis der SchülerInnen zu
integrieren sehe ich
73
genau das,
was
der Bildungsplan unter
„Situations- und
Klaus Meyer zu Utrup: Die Bibel im Unterricht. Wege zur Vergegenwärtigung, Gütersloh 1977. S.80.
21
Adressatenbezogenheit“ anführt (5./6./10. Stunde). Der Themenkomplex der Wahrheitsfrage
stand in einigen Unterrichtsgesprächen im Zentrum, ein hermeutischer Schlüssel wird hier in
der 11./12. Stunde angeboten und kontrovers diskutiert.
IV. Die einzelnen Unterrichtsstunden
IV.1. Bibeln erzählen aus ihrem Leben (2./3. Stunde)
IV.1.1. Konzeption und Verlauf der Stunden
Zu Beginn der Unterrichtseinheit hatte ich nach der Einstiegsstunde das Anliegen, den SchülerInnen einen möglichst offenen, freien Zugang zu dem Buch Bibel zu ermöglichen. Ich habe
mich daher für eine zweistündige Gruppenarbeit entschieden. Die SchülerInnen sollten
zunächst einmal, und das war das vorrangige Unterrichtsziel, eine Bibel in der Hand haben
und mit ihr arbeiten. Zugleich sollte deutlich werden, dass es nicht die eine Bibel, sondern
zahlreiche verschiedene Ausgaben mit unterschiedlichen Zielgruppen gibt.
Als Einstieg erzählte ich nach einer literarischen Vorlage74 eine kurze Geschichte, in der die
besondere Stellung der Bibel innerhalb unserer Gesellschaft zum Ausdruck kommt, was in
einem kurzen Unterrichtsgespräch auch erarbeitet wurde. Zugleich schildert die Erzählung
Leseerfahrungen mit der Bibel, von denen ausgehend im Gespräch von den SchülerInnen
ähnliche Erfahrungen artikuliert wurden: Die Bibel erscheint häufig fremd und unzugänglich,
aber auch langweilig. Ein sehr leistungsstarker Schüler (Bernd)75, der als einziger in der
Klasse von sich sagte, dass er sehr viel in der Bibel lese, meinte in diesem Gespräch, dass
man sehr viel wissen müsse, um die Bibel zu verstehen.
Die kurze Erzählung zum Einstieg war zugleich eine Möglichkeit für mich, mit dem Erzählen
im Unterricht warm zu werden. Nach dem kurzen Unterrichtsgespräch habe ich die Klasse in
vier Gruppen eingeteilt und an jede der Gruppen jeweils mindestens zwei Bibeln ausgegeben.
Die Bibeln, und das scheint mir ganz entscheidend, waren als Bücher für die SchülerInnen
interessant: Es handelte sich dabei z.B. um eine Familienbibel aus meinem Familienbesitz,
eine Konfirmationsbibel aus den 20er-Jahren, eine Hochzeitsbibel aus den 30ern, Bibeln
verschiedenster Übersetzungen, eine Schulbibel, eine Senfkornbibel, meine eigene
Studienbibel, ein NT-Graece usw. Aufgrund dieser Vielfalt und Attraktivität waren für die
74
75
M1 (aus: Helmut Kurz: Entdeckungen in der Bibel. Tips, Informationen, Methoden, München 1988. S.7).
Die Namen der SchülerInnen sind in dieser Arbeit geändert.
22
SchülerInnen die Fragen, die ich auf einem Arbeitsblatt76 formuliert hatte, keine Schikane,
sondern Hilfsmittel zum Entdecken und Verstehen. Da in jeder Gruppe vier bis fünf
SchülerInnen waren und jede Gruppe über mindestens zwei Bibeln verfügte, konnte ein Teil
des Arbeitsauftrages von den SchülerInnen in Partnerarbeit erledigt werden. Die SchülerInnen
waren also relativ frei, unterschiedliche Sozialformen selbst zu wählen und taten dies auch.
Bei dem Vergleich der beiden Bibeln mussten die Ergebnisse zusammengetragen und
diskutiert werden - es war also eine Integration innerhalb der Arbeitsgruppe programmiert.
Die Gruppenarbeit ist sehr gut und zügig gelaufen. Ich hatte nun die Gelegenheit, zahlreiche
Fragen zu beantworten und in den Gruppen auf wichtige Dinge (z.B. die Einträge in der Familienbibel) hinzuweisen. Das Interesse war überraschend groß: Die allermeisten SchülerInnen
arbeiteten intensiv, Gespräche kreisten um die verschiedenen Bibeln und Entdeckungen, die
darin gemacht wurden. Manche hatten vielleicht zum ersten mal seit langem eine Bibel in der
Hand. Die Fragen waren jedenfalls für die allermeisten neu und es gab viel Klärungsbedarf.
Oft musste ich Begriffe wie Register, Anmerkungen usw. erklären.
Die meisten Gruppen sind in der ersten Stunde mit der ersten Aufgabe fertig geworden. Zu
Beginn der zweiten Gruppenarbeitsstunde, die erst ein paar Tage später stattfand, musste ich
sehr für die Arbeit werben, als sie jedoch in Gang kam, war sie außerordentlich ergiebig. Als
Ergebnissicherung habe ich einen narrativen Zugang gewählt, der dem Anspruch gerecht
wird, dass die SchülerInnen in einem narrativ orientierten Unterricht auch selbst zum
Erzählen kommen sollen.77 Die SchülerInnen sollten einen Brief einer Bibel an die jeweils
andere in der Gruppe bearbeitete Bibel formulieren, und dabei in Ich-Form aus deren Leben
erzählen.78 Die SchülerInnen ließen sich nach anfänglicher Irritation bereitwillig auf diese
ungewöhnliche Form ein. Die Ergebnisse der ersten beiden Aufgaben des Arbeitsblattes
sollten anhand der Erzählung durch den Gegenstand Bibel (als Person gedacht) gesichert und
reflektiert werden. Zugleich sollte durch die spielerische Identifikation mit dem Gegenstand
Bibel ein nicht nur rein äußerlicher Zugang zu einer Reflexion der Stellung der Bibel im
allgemeinen und der Geschichtlichkeit des Gegenstandes Bibel im Besonderen bereitet
werden. Die Ergebnisse der Gruppenarbeit wurden stolz präsentiert und von den anderen mit
Applaus bedacht. Das Erzählen wurde hier bewusst zunächst nur methodisch eingeübt und
nicht als solches thematisiert. Es sollte auch an dieser Stelle nur schriftlicher Art mit
anschließendem mündlichen Vortrag sein, um die Latte nicht all zu hoch zu hängen.
76
M4.
S.o.S.9-11.
78
Eine ähnliche Anregung findet man auch in der Geschichtsdidaktik: Ralf Langhammer: „Am Anfang war das
Wort.” Erzählsituationen für den Beginn des Geschichtsunterrichts, in: Geschichte lernen 1998/62. S.42f.
77
23
IV.1.2. Lernziele
Die SchülerInnen sollen...
LZ 1: ... erkennen, dass die Bibel innerhalb unserer Gesellschaft eine besondere Stellung hat.
LZ 2: ... ihre Leseerfahrungen in der Bibel reflektieren.
LZ 3: ... eine Bibel in der Hand haben und damit arbeiten.
LZ 4:... ein Gefühl für die Vielfalt verschiedener Bibelausgaben bekommen.
LZ 5: ... erkennen, dass die unterschiedlichen Ausgaben unterschiedliche Zielgruppen haben.
LZ 6: ... erkennen, dass Bibeln als Traditionsgut weitergegeben werden.
LZ 7: ... neugierig auf den Gegenstand „Bibel“ werden.
LZ 8: ... technische Fragen bezüglich der Verwendung einer Bibel klären.
LZ 9: ... üben, sich eine auf ihrem Arbeitsverhalten entsprechende Sozialform zu wählen.
LZ 10: ... üben, innerhalb einer Gruppe unterschiedliche Ergebnisse zu integrieren.
LZ 11: ... sich mit anderen SchülerInnen ihre Erfahrungen im Umgang mit Bibeln im
allgemeinen, sowie mit den Bibeln im Unterricht im besonderen austauschen.
zweite Gruppenarbeitsstunde:
LZ 12: ... die Stellung der Bibel in ihrem Leben, in Schule und Gesellschaft reflektieren.
LZ 13: ...selbst (erst schriftlich, dann mündlich) erzählen.
LZ 14:... sich spielerisch mit dem Gegenstand Bibel identifizieren,
LZ 15: ...und auf diese Weise u.U. Aversionen abbauen.
LZ 16: ... im Erzählen die Ergebnisse der ersten Arbeitsphase integrieren und
reflektieren.
LZ 18: ... üben, Ergebnisse zu präsentieren.
24
IV.1.3. Tabellarischer Stundenüberblick
2./3. Stunde: Bibeln erzählen aus ihrem Leben
Artikulation
2.Stunde
Einstieg:
Lern Lerninhalt
ziel
LZ
Die Bibel hat innerhalb unserer Gesellschaft eine einzig1,2
artige Bedeutung. Es ist aber auch festzustellen, dass
Menschen schlechte Leseerfahrungen mit der Bibel
machen.
Erarbeitung:
LZ 3- Die Schüler erarbeiten anhand verscheidener
11
Bibelausgaben grundsätzliche Fragen der Verwendung
einer Bibel, Besonderheiten verschiedener Ausgaben
und deren Bedeutung und vergleichen verschiedene
Bibelausgaben.
3. Stunde
LZ
Die Schüler setzen setzen ihre Arbeit in den Gruppen
12-17 fort und kommen zur dritten Aufgabe, in der sie selbst in
einem Brief aus dem Leben einer der untersuchten Bibel
erzählen und dabei das Erarbeitete umsetzen.
Erarbeitung
Integration
Lehraktivität
Methode
Medien
Lehrer erzählt frei
(nach einer Vorlage) und moderiert das Unterrichtsgespräch
Lehrer teilt das
Arbeitsblatt aus
und greift in allen
Gruppen
motivierend und
unterstützend
ein..
Lehrer motiviert
in den Gruppen
und klärt Fragen
zum Vorgehen.
Lehrererzählung,
Unterrichtsgespräch
Erzählvorlage
M1
Gruppenarbe Arbeitsblatt M4
it,
nach
Wahl auch
Einzel- oder
Partnerarbeit
Gruppenarbe Arbeitsblatt M4
it s.o.;
Schülererzählung
schriftlich
LZ
Die Schüler tragen die von ihnen erstellten Erzählungen Lehrer ermutigt Präsentation
12-18 vor und lernen aus dem von den anderen Erarbeiteten.
Schüler
zur durch
Präsentation
Schülervortrag
25
IV.1.4. Die Ergebnisse der Gruppenarbeit
Ausschnitte aus den Ergebnissen79 des konstruierten Erzählanlasses sollen hier kurz
präsentiert werden.
a) Die Stellung der Bibel in der Gesellschaft
Von den SchülerInnen wird in einigen Briefen artikuliert, wie sie den Stellenwert der Bibel in
unserer Gesellschaft einschätzen:
„Früher wurde noch viel Wert auf mich gelegt und ich wurde oft gelesen; in dieser Zeit glaubten noch sehr viele Leute daran und die Bibel war noch sehr wichtig”80
„In der letzten Zeit haben immer mehr Menschen Probleme, aus mir schlau zu werden, da
meine altdeutschen Lettern nicht ‘up to date’ sind. Der gute M. Luther, der mich übersetzt hat,
war wohl nicht sehr fortschrittlich.”81
Bei letzterem Brief werden Schriftart und Übersetzung vermischt, was natürlich sachlogisch
nicht korrekt ist. Ich denke dennoch, dass man aus dem Zitat eine außerordentlich wichtige
Erkenntnis ziehen kann: Der Zugang zu dieser Bibelausgabe wurde für den Schüler durch die
Schriftart erschwert. Die Schriftart ist jedoch nur ein Hindernis unter vielen, das den Zugang
erschwert, und dazu ein vergleichsweise geringfügiges. SchülerInnen reagieren, und das zeigt
das Zitat, auf einen solchen erschwerten Zugang ablehnend: Die Bibel ist zu alt.
b) Stellung der Bibel an der Schule
Besonders anregend finde ich den Brief der Schulbibel, in dem die Stellung der Bibel an der
Schule ironisch thematisiert wird:
„Ich bin eine der armen alten inzwischen nicht mehr knackigen, sondern labbeligen, die dazu
verdonnert wurden, eine der verkannten Schulbibeln zu werden. (...) Der Ignoranz der Schüler
ausgesetzt werde ich auch heute noch durch die Gegend geschmissen, bemalt oder zerrupft.
(...) Aber wie wir Schulbibeln uns immer trösten: Was nicht tötet härtet ab und so lebt man
vor sich hin.
Lass von Dir hören, da ich schon viel davon gehört habe, dass das Leben einer Bibel auch
ganz anders sein kann...”82
79
Vgl. M5/1-3.
M5/1. Nr.1.
81
M5/2. Nr.5
82
M5/1. Nr. 2.
80
26
c) Die Geschichte der Bibel erzählen
Die Erzählungen entsprachen dem, was sie auch anhand der Ergebnisse ihrer Untersuchung
der Bibelausgaben nachweisen konnten. In einem Bibelbrief wird jedoch darüber hinaus
erzählt:
”Mit dem Beginn des 1. Weltkriegs begann für mich die härteste Zeit meines Bibeldaseins. Im
1. W. wurde ich nach einer Bombenexplosion verschüttet, doch wiedergefunden. Obwohl ich
dann im 2. Weltkrieg den Flammen fast zum Opfer fiel, kann ich mich nicht beklagen.”83
Interessanterweise waren die Schüler dieser Gruppe solche, die leistungsmäßig ansonsten z.T.
stark hinter den anderen zurückbleiben. Sie hatten aber bewusst die interessanteste Bibel
erhalten, nämlich eine Familienbibel, in der neben der Auflistung der Todesfälle der Familie
auch recht detailliert niedergeschrieben ist, wie der Familienvater im Krieg gefallen ist. Ein
Schüler dieser Gruppe äußerte sich im Gespräch denn auch sehr emotional zu dem Eindruck,
den die Bibel bei ihm hinterlassen hatte, und meinte, er fände es sehr beeindruckend, wie die
Tradition von Generation zu Generation weitergegeben wurde und wie man anhand der Bibel
die Familiengeschichte ablesen könne.
d) Spielerische Erzählung von Erfahrung
Wenn die SchülerInnen die Stellung der Bibel innerhalb der Gesellschaft beschreiben, so
erzählen sie dabei auch indirekt von ihren Erfahrungen im Umgang mit der Bibel. So z.B. in
dem Satz:
„Ich finde es sehr schade, dass Schulbibeln wie Du nur gelesen werden, weil man sie lesen
muss...”84
Die Schüler artikulieren hier schlechte Erfahrungen im Umgang mit der Bibel im
Religionsunterricht, die sie außerhalb dieses spielerischen Zugangs vielleicht nicht
eingebracht hätten.
IV.1.5. Kritik
Ich kann sagen, dass ich mit dem Verlauf der Doppelstunde zufrieden war. Die Ergebnisse
waren mehr als zufriedenstellend. Dass die Beschäftigung mit der Stellung der Bibel im
eigenen Leben, in Schule und Gesellschaft intensiv reflektiert wurde, lässt sich aus den
einzelnen Bibelbriefen ablesen. Die Präsentation hat den SchülerInnen entsprechend großen
83
M5/3. Nr.6.
M5/1. Nr.1.
84
27
Spaß gemacht. Zudem hatte ich das Gefühl, die Unterrichtsatmosphäre hat durch den relativ
freien Umgang mit Zeit und Sozialform gewonnen.
Obwohl ich alle wichtigen Unterrichtsziele erreicht habe, sehe ich ein Problem, das bei einer
anderen Klasse den Unterricht leicht hätte scheitern lassen können: Würde ich die Stunde
noch einmal halten, so müsste ich mir genau überlegen, wie ich die SchülerInnen zu Beginn
der zweiten Stunde motiviere, um das Erzählen auch in einer vielleicht weniger
begeisterungsfähigen Klasse auf den Weg zu bringen.
An einer Stelle habe ich ein Potential entdeckt, das es auszuschöpfen gälte: Die alte Familienbibel mit den Einträgen hat viele SchülerInnen sehr beeindruckt. Ich würde beim nächsten
mal die SchülerInnen auffordern, zu Hause nachzuforschen, ob es vielleicht auch in ihrer
eigenen Familie eine solche Familienbibel mit Einträgen gibt. Hier können konkrete
Erfahrungen gemacht werden, die den SchülerInnen den buchstäblichen Staub von der Bibel
als Traditionsgut wischen könnte.
IV.2. Was bewirkt das Erzählen beim Menschen? (4. Stunde)
IV.2.1. Konzeption
Mein Vorhaben für die Erarbeitung einer Struktur des Themas ‘Bibel und Erzählen’ war, die
Entstehung der Bibel anhand der Form der Erzählung zu einzuführen. Die Grundfrage sollte
dabei immer sein, welche Konsequenzen die Entstehungsgeschichte der Bibel für unseren
Umgang mit der Bibel hat. Eine der Fragen der SchülerInnen war die nach der Entstehung der
Bibel. Ich wählte als Überschrift für die kommenden Stunden Die Wurzeln der Bibel. Unter
diesen Wurzeln, d.h. Ursprüngen, soll eben gerade das Erzählen von Erfahrungen mit Gott als
mündliche Vorform der Bibel verstanden werden. Mit der Überlieferungsgeschichte der Bibel
einzusteigen macht insbesondere dann Sinn, wenn man chronologisch vorgehen will: „...die
Erzählungen sind älter als das Alte Testament.“85
Es schien mir nun wichtig, bei den SchülerInnen zunächst das Erzählen als solches und das
Sprechen über das Erzählen einzuführen. Die wichtigste Fragestellung der Stunde zielte auf
die Wirkung des Erzählens. Entsprechend sollte diese Fragestellung gleich am Anfang an der
Tafel festgehalten werden: Was macht der Erzähler mit dem Menschen? Was bewirkt das
Erzählen bei den Menschen?
85
Westermann: Erzählungen a.a.O. S.21.
28
Um über das Erzählen zu sprechen, musste eine Erzählung im Raume stehen. Zugleich suchte
ich nach einem Einstieg ins Erzählen, der mir die Scheu vor dem Erzählen überwinden helfen
sollte. Obwohl ich bereits in der zweiten Stunde eine kurze Geschichte erzählt hatte,86 schien
mir doch das Erzählen von längeren Geschichten als etwas ausgesprochen schwieriges, an das
ich mich nicht so recht herantraute. Es ist mir wichtig, gerade im Hinblick darauf, dass auch
andere sich mit dem Schritt zum Erzählen schwer tun, für eine Politik der kleinen Schritte zu
werben. Ich entschloss mich also, zunächst eine Erzählung nur vorzulesen.87
Da das Erzählen eine universale Sprachform ist, scheint es mir durchaus sinnvoll, zunächst
nicht mit einer biblischen, sondern einer modernen Erzählung einzusteigen, die den
SchülerInnen nicht so fern ist.88 Es bot sich an, eine Erzählung zu wählen, die selbst das
Erzählen thematisiert.89 Zugleich sollte diese Erzählung aber nicht allein das Erzählen
thematisieren helfen, sondern auch eine Brücke schlagen zu der Erzähltradition der Bibel. Ich
wüsste nicht, welche Erzählung sich dafür besser anbieten würde, als die Erzählung, mit der
der syrische Erzähler Rafik Schami sein Buch Erzähler der Nacht einleitet.90
Den letzten Teil der Erzählung, eine kleine Erzählung über das Erzählen, habe ich auf das
Arbeitsblatt übernommen.91 Was mir an dem Text besonders zusagte, war die Nähe des
Textes zu biblischen Texten: Nicht nur spielt der Text geographisch im selben Umfeld wie die
biblischen Geschichten und besitzt mit der Wüste ein Motiv, das sich in zahlreichen
biblischen Geschichten findet. Es gibt auch direkte Parallelen: Es handelt sich um eine
Vätergeschichte, und der Urururgroßvater des Erzählers ist Nomade wie die Väter der
Genesis. Es wird erzählt, was ihn in die Wüste führte und welche Überlebensstrategie sie in
der harten Welt der Wüste gewählt hatten: das Erzählen. Mit diesem Erzählen, so der fiktive
Erzähler Salim, verwandelten sie den Sand in Berge und in Wasserfälle, in Urwälder und
Schnee. Halb verhungert und verdurstet erzählen sie mitten in der Wüste vom Paradies und
vom Land, wo Milch und Honig fließen. Die Parallele zum sog. heilsgeschichtlichen Credo
Dt 26, 5b-9 sticht natürlich ins Auge.92 Von dieser Erzählung her konnte das Erzählen und mit
ihm auch der historische Ort des biblischen Erzählens in der Väter- und Exodustradition in
den Blick kommen.
86
M1.
Das Vorlesen als ersten Schritt zum Erzählen schlägt auch Martin vor: ders.: Erzählen probieren a.a.O. S.39.
88
In der Tat stellte sich nach der Stunde heraus, dass ein Schüler und eine Schülerin das Buch, aus dem ich die
Erzählung gewählt hatte gerade eben lasen.
89
S.o.S.13.
90
Rafik Schami: Erzähler der Nacht, 41989. S.5-14. M6; vgl. Hörbeispiel Nr.1.
91
M8.
92
Vgl. zur Erzählstruktur des jüdisch-christlichen Urbekenntnisses Baudler: Theologische Bedeutung a.a.O.
S.40f.
87
29
In einem Vergleich der beiden Texte sollte zunächst einmal der narrative Charakter des
Credos klar werden, zum anderen aber auch die konkrete Entstehungssituation der frühen
biblischen Erzählungen in ihrer mündlichen Vorstufe: Das Erzählen in der Wüste, das
Erzählen halb verhungerter und verdursteter Wüstennomaden vom Land, wo Milch und
Honig fließen. Die Verknüpfung von erzählter Geschichte und Entstehung der Bibel war das
Endziel der Stunde, wenn auch nicht das zentrale Lernziel. Die Methode der Stillarbeit war an
dieser Stelle sinnvoll. Ich hatte damit bisher in der Klasse gute Erfahrungen gemacht, sowohl
was die Arbeitsatmosphäre, als auch was die Ergebnisse anbelangt. Nach einem
Unterrichtsgespräch, bei dem niemals alle SchülerInnen aktiv sein können, ist es angebracht,
wieder alle SchülerInnen aktiv und selbsttätig in den Unterricht einzubinden.
Vor der Stillarbeit, noch unter dem direkten Eindruck der Geschichten, sollten die SchülerInnen, ausgehend von dem Eindruck, den die Geschichte auf sie selbst gemacht hat, sowie
ausgehend von den Bildern, Motiven und Aussagen der Erzählung, überlegen, was das
Erzählen beim Menschen bewirkt. Letztlich war dies die Gelegenheit, zahlreiche Grundthesen
der Erzähltheorie, insbesondere aber der Narrativen Theologie elementar zu thematisieren und
mit einem parallelen Tafelanschrieb gesprächsbegleitend zu fixieren.93 Hier vor allem lag
mein Schwerpunkt - das Erfassen des Wesens der Erzählung ist das wichtigste Unterrichtsziel
dieser Stunde. Meinem Vorsatz, dass die SchülerInnen im Unterricht Erfahrungen machen
müssten (es genügt m.E. nicht, immer nur an Erfahrungen anknüpfen zu wollen), konnte ich
mit diesem Vorgehen entsprechen.
IV.2.2. Verlauf
Die vorgelesene Erzählung ist als Hörbeispiel Nr.1 auf der beigelegten Kassette festgehalten.
Man hört deutlich, wie ich am Anfang des Vorlesens viel zu schnell und unsicher lese und erst
gegen Ende zu einem sicheren und guten Stil finde. 94 Den SchülerInnen war das gleichgültig:
Sie haben vom Anfang bis zum Ende gebannt gelauscht und applaudierten am Schluss.
In der Stunde zuvor hatten sie eine Klassenarbeit in Mathematik geschrieben und ein Schüler
wollte mir erklären, dass ja wohl heute bei der niedergedrückten und angespannten Stimmung
in der Klasse kein richtiger Unterricht möglich sei. Ich habe bis zu diesem Zeitpunkt diese
Klasse niemals so konzentriert erlebt, wie während des Vorlesens und des anschließenden
Unterrichtsgesprächs. Auch die Breite der Beteiligung beim Unterrichtsgespräch war außeror-
93
M7.
Das Band lief beim Aufzeichnen zu schnell, so dass meine Stimme zu hoch und das ganze auch aus technischen Gründen zu schnell vorgelesen wirkt.
94
30
dentlich groß. Störungen während dem Vorlesen gab es keine - lediglich kurze Kommentare
zur Geschichte, Lachen oder akustisch geäußertes Erstaunen waren zu hören. Die SchülerInnen vermittelten nach dem Vorlesen den Eindruck, als hätten sie eben gerade wirklich etwas
zusammen erlebt, als seien sie mit dem fiktiven Erzähler Salim durch Berge und Täler
geflogen und hätten gemeinsam mit ihm auf dem Berg Ararat eine Wasserpfeife geraucht.
Dies wurde im Unterrichtsgespräch artikuliert und an der Tafel unter der Fragestellung, was
das Erzählen bei den Zuhörern bewirkt, systematisiert und festgehalten.
Die Ergebnisse scheinen mir überzeugend. Ich möchte an dieser Stelle dem Gang des Unterrichtsgesprächs kurz folgen (das Protokoll gibt das Gespräch nicht vollständig wieder):95
Der Erzähler, so ein Schüler (Markus), nehme seine Zuhörer in den Bann, er verzaubere sie.
Eine Schülerin (Ulrike) ergänzt, das Erzählen nehme einen großen Einfluss auf die Gefühle
der Menschen. Sie meint, das Erzählen wirke in der Erzählung „total echt, total wahr.“ Es
handelt sich bei dieser Schülerin um diejenige, die immer wieder im Bezug auf die Bibel die
Wahrheitsfrage thematisierte und dies in der ersten Stunde auch auf der Wandzeitung zum
Ausdruck gebracht hatte. Ich weise an dieser Stelle auf den scheinbaren Widerspruch hin: Der
Erzähler wird als der „größte Lügner“ bezeichnet und dennoch ist seine Erzählung wahr. Eine
Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Zugängen zu Wahrheit, wie ich sie später mit der
Unterscheidung zwischen äußerer Wahrheit und innerer Wirklichkeit einführte, ist hier
vorbereitet, wird jedoch von den SchülerInnen noch nicht erfasst.
Gerd weist nun darauf hin, dass jeder beim Hören der Geschichte sein „ganz persönliches,
genaues Bild“ bekomme. Dies zielte nun in Richtung der eigenen Rezeption der Geschichte.
Markus erklärt daraufhin den Unterschied zwischen Fernsehen und Zuhören bei einer Erzählung dahingehend, dass diese eigenen Phantasiebilder durch das Fernsehen zerstört werden. Er
weist dabei auf eine persönliche Erfahrung hin: Die Verfilmung seines Lieblingsbuches „Der
Herr der Ringe“, die ihm die ganze (Suggestions-) Kraft, die bis dahin von dem Buch ausging,
geraubt habe.
Marie weist auf die Reise hin, die die Erzählung mit den Zuhörern mache und meint, es sei
tatsächlich ein wenig so, als würde man da sitzen und mit Salim eine Wasserpfeife auf
„diesem Berg“ rauchen. Frank meint darauf, die Erzählung wäre ja auch nicht ganz so
harmlos: Die Erzählung von dem Kraken würde immerhin den Menschen auch Angst machen.
Darauf entgegnet Cornelius, Salim würde mit dem Erzählen umgekehrt aber auch Mut
machen.
Ich gebe nun einen überleitenden Impuls mit der Frage, was das Erzählen mit der Wüste
mache. Frank geht sehr schnell darauf ein und meint: Das Erzählen verwandelt die Wüste. Die
Wüste werde in bewohnbares Land verwandelt. Cornelius entgegnet, man müsse allgemeiner
sagen, dass das Erzählen die Realität verwandelt. An dieser Stelle breche ich das Gespräch ab
und leite über zur Einzelarbeit.
Ich denke, es wurde mit diesem Gesprächsprotokoll deutlich, welche Tiefe man mit
SchülerInnen erreichen kann, wenn diese auf gemeinsam gemachte Erfahrung im
Religionsunterricht zurückgreifen können.
Der weitere Verlauf des Unterrichts sei nur kurz skizziert: Die Stillarbeit wurde diszipliniert
durchgeführt und die wesentlichen Ergebnisse anschließend zusammengetragen. Die Gemein95
Parallel zu diesem Gespräch entstand der Tafelanschrieb M7.
31
samkeiten der Texte wurden erkannt. Es wurde deutlich, dass die Form des Credos die Erzählung ist. Bei der Verknüpfung der einzelnen Abschnitte des Credos mit biblischen
Geschichten tauchten jedoch große Lücken im Kenntnisstand auf - und dies auch bei den
Schülern, von denen ich erwartet hätte, sie würden sich aufgrund ihrer Sozialisation in der
Bibel spielerisch zurechtfinden.
Die letzte Frage des Arbeitsblatts wurde aus Zeitgründen nur noch sehr kurz angesprochen:
Dabei wurde von einer Schülerin formuliert, dass die Geschichte Israels ja eigentlich in dem
Credo nacherzählt würde. Die letzte Frage, was man daraus nun über die Entstehung der ältesten Schriften des Alten Testaments erfahre, musste in die nächste Stunde hinübergenommen
werden, was mir jedoch durchaus recht war, da mir dies als Anknüpfungsmöglichkeit
durchaus ins Konzept passte.
IV.2.3. Lernziele
Die SchülerInnen sollen...
1.)
2.)
3.)
4.)
...vorgegebene Fragen an eine Erzählung richten.
...durch das Hören einer guten Erzählung für das Erzählen selbst Interesse gewinnen.
...die Wirkung der Erzählung auf sie selbst reflektieren und artikulieren.
...ausgehend von der eigenen Erfahrung und den Bildern der Erzählung reflektieren,
welche Wirkung eine Erzählung auf den Menschen haben kann.
5.) ...das Erarbeitete in Verbindung mit der biblischen Erzähltradition setzen.
6.) ...Parallelen zwischen einer modernen Erzählung und einer biblischen Erzählung herausarbeiten.
7.) ... die Kurzform der Geschichte Israels als erzählende Bekenntnisform kennenlernen.
8.)... die erzählte Geschichte als Parallele zur Entstehungsituation der Bibel erfassen.
32
IV.2.4. Tabellarischer Stundenüberblick
4. Stunde: Was macht das Erzählen mit den Menschen?
Artikulation
Lernzie Lerninhalt
Lehraktivität
Methode
Medien
l
Einstieg
LZ 1
Impuls
LZ 1,2
Erarbeitung
LZ 3,4
Umsetzung
LZ
5,6,7,8
Das Thema der Stunde wird bekannt
gegeben: Es geht nun um die Entstehung der Bibel, um die Wurzeln
der Bibel, und diesem Thema nähern
wir uns über einen Umweg.
Folgende Fragen werden
vorgegeben: Was macht der Erzähler
mit seinen Zuhörern? Was bewirkt
das Erzählen beim Menschen?
Die SchülerInnen sollen durch eine
Erzählung verzaubert werden, die
selbst das Erzählen zum Thema hat.
Lehrer erklärt und Lehrervortrag
gibt Fragen vor
Tafel (M7)
Lehrer liest vor
Literarische
Die SchülerInnen reflektieren,
welche Wirkung das Erzählen auf sie
selbst hatte und kommen von daher
zu allgemeineren Begriffen.
Die SchülerInnen vergleichen einen
Teil der Erzählung mit dem
heilsgeschichtlichen Credo und
erarbeiten dabei das narrative
Element des israelitischen
Verständnisses des Verhältnisses
zwischen Geschichte und Glauben.
Lehrer moderiert und
fasst die Ergebnisse
an der Tafel
zusammen.
Erzählung
Erzählung (M6)
Unterrichtsgespräch Tafel (M7)
Einzelarbeit
Arbeitsblatt (M8)
33
IV.2.4. Kritik
Das Ziel, die SchülerInnen mit einer Erzählung Erfahrungen machen zu lassen habe ich in
dieser Stunde sicherlich voll und ganz erreicht. Ich denke, ich konnte die SchülerInnen auf
diese Weise für das Erzählen interessieren und damit das Thema gut auf den Weg bringen. Es
ist natürlich fraglich, ob es einer angemessenen Unterrichtsökonomie entspricht, wenn man
dem Vorlesen eines Textes, noch nicht einmal eines biblischen Textes dazu, im Unterricht so
viel Zeit einräumt. Ich würde es jederzeit wieder tun.
Die Schwäche der Stunde lag eher in der letzten Phase, in der es darum ging, das, was über
das Erzählen erarbeitet wurde, nun anzuwenden auf die Erzählung der Geschichte Israels im
heilsgeschichtlichen Credo. Wenn ich diese Stunde nochmals halten würde, würde ich die
Umsetzung in eine zweite Stunde hinüberziehen, in der dann anhand des Credos ein
Überblick über das Alte Testament und die Geschichte Israels erarbeitet werden könnte.
Dabei müsste dann zur Sprache kommen, was es für den alttestamentlichen Glauben bedeutet,
dass er ein erzählender Glaube ist.
IV.3. Überlieferungsgeschichte und Sitz im Leben (5.Stunde)
Die 5.Stunde soll als solche nicht ausführlich beschrieben werden. Ich verzichte an dieser
Stelle auch auf die detaillierte Besprechung mit Lernzielformulierung und tabellarischem
Stundenüberblick. Der Grund, weshalb ich ihr ein eigenes Kapitel widme liegt zunächst beim
Methodischen: Ich habe in dieser Stunde die Form des Erzählens zum ersten mal ausprobiert,
die ich anschließend wiederverwendete. Dabei scheint es mir besonders wichtig, darauf
hinzuweisen, dass Form und Inhalt im Hinblick auf den Rahmen / den Sitz im Leben
miteinander verschmolzen werden.
IV.3.1. Konzeption und Verlauf
Anknüpfend an die vorhergehende Stunde sollte das heilsgeschichtliche Credo in einen
historischen Kontext gestellt werden. Dabei sollte deutlich werden, dass die biblischen
Erzählungen keine überzeitlichen Phänomene sind, sondern Westermanns Hinweis gilt:
„Im Alten Testament hat das Erzählen, haben die Erzählungen eine Geschichte...“96 Diese
Überlieferungsgeschichte sollte von den SchülerInnen als Entstehungs- bzw. Tradierungsbe96
Westermann: Erzählungen a.a.O. S.15.
34
dingung erfasst werden. Unter dieser Tradierungsbedingung soll der Kontext verstanden werden, in dem die Erzählung überliefert wird.
In der Bibeldidaktik ist es entsprechend der Historisch-kritischen Methode üblich, den Sitz im
Leben im Zusammenhang mit formgeschichtlichen Fragen zu vermitteln. Der Boden für ein
leichtes Verständnis formgeschichtlicher Fragen ist didaktisch leicht zu bereiten, da hier eine
Anknüpfung an die Alltagswelt der SchülerInnen schnelles Begreifen fördert. 97 Hier scheint
mir jedoch der Unterschied zwischen Elementarisierung und Gegenwartsbezug deutlich sichtbar: Zwar lässt sich mit Verweis auf, durch die Form erkennbare, unterschiedliche Sitze im
Leben verschiedener moderner Textgattungen leicht die Methode der Formgeschichte erläutern. Welcher Fragestellung diese Methode dient, ist den SchülerInnen jedoch damit noch
nicht vermittelt. Eine sinnvollere Lernstrategie scheint mir zu sein, die SchülerInnen zunächst
zur Frage hinzuführen, und zwar auf elementare Weise, und dann erst die Methode
einzuführen, mit der nach Antworten gesucht wird. Wir haben im Studium alle die Historischkritische Methode buchstabieren gelernt. Die Verlockung, diese unvermittelt an die
SchülerInnen weiterzugeben ist groß. Ihr muss jedoch im Interesse der SchülerInnen
widerstanden werden. Die SchülerInnen müssen zunächst den Sinn der Fragestellung
begreifen. Weshalb stellt man überhaupt die Frage nach dem historischen Kontext? Was
verändert der Kontext, der Sitz im Leben einer Erzählung, für das Verständnis dieser
Erzählung? Dies sollten die Fragestellungen der kommenden Stunden sein.
Der Sitz im Leben von Erzählungen sollte nun konkret zur Sprache kommen, und zwar so,
dass er wiederum für die SchülerInnen erfahrbar sein konnte.
IV.3.2. Den Sitz im Leben erzählen
Die Erfahrbarkeit eines Sachverhalts lässt sich, wie bereits ausreichend begründet, durch
Erzählen im Unterricht fördern. Es liegt also nahe, den Sitz im Leben auf narrativem Wege zu
elementarisieren. Im Hinblick auf das Erzählen ist der Sitz im Leben nichts anderes als die
Rahmengeschichte einer Erzählung. Eine Rahmengeschichte kann man erzählen. Die im
heilsgeschichtlichen Credo tradierte Geschichte Gottes mit Israel wurde durch zahlreiche
Kontexte vermittelt tradiert. Der Text hat noch heute einen Kontext im Rahmen des
Passafestes. Es musste nun darum gehen, zunächst einen biblischen Kontext für das
geschichtliche Bekenntnis zu suchen. Ich orientiere mich im folgenden an Bergs Entwurf
einer an Casalis orientierten Kontextdidaktik, die den Versuch darstellt, Bibel und Gegenwart
97
Vgl. Klaus Koch: Was ist Formgeschichte? Neue Wege der Bibelexegese, Neukirchen 21967.
35
zu verschränken.98 In der Bibel gibt es zahlreiche Kontexte der Vätergeschichten und vor
allem der Befreiungstradition, wie sie in Dt 26, 5b-9 zusammengefasst ist. Es lag nahe, einen
Kontext zu wählen, der ohne viel Vorkenntnis zur Geschichte Israels für die SchülerInnen
verständlich sein konnte. Mit dem Vergleich des Credos mit dem Schami-Text hatte ich hier
bereits Fundamente gelegt, auf die ich nun aufbauen konnte. Der Kontext, den ich erzählen
wollte, sollte der von Wüstennomaden sein, die lange vor der Verschriftlichung die
Erzählungen mündlich weitergaben. Zunächst einmal ging es mir schlicht um die
anschauliche Beschreibung dieses Kontextes, in dem biblische Erzählungen tradiert wurden.
Dabei kam es mir noch nicht auf die „Provokation der Situation“99 an, sondern auf
anschauliches Beschreiben der Ursprungssituation biblischer Erzählungen und damit zugleich
auf eine Hinführung zur Überlieferungsgeschichte.
Ich wählte für diese Erzählung des Kontextes die Methode der Phantasiereise. 100 Diese
Methode hat verschiedene Implikationen: Lässt sich die Klasse auf eine solche Phantasiereise
ein, so ermöglicht diese eine ungeheure Konzentration. Störende SchülerInnen können die
entstehende Illusion jedoch leicht zerstören. Dies geschah in meinem Unterricht nicht. Die
SchülerInnen schließen die Augen und lassen die Erzählung vor ihren inneren Augen ablaufen
wie einen Film. Bei dieser Methode ist eine Interaktion ausgeschlossen, da Erzähler und
Zuhörer durch die Illusion der Reise voneinander getrennt sind. Der Erzähler ist nicht mehr
Ansprechperson, sondern Medium. Die Rezeption der Erzählung findet nicht im
Klassenzimmer statt, sondern in der davon abgeschlossenen Phantasie des Zuhörers. Die
Suggestionskraft dieser Methode ist sehr groß - größer als ein interaktives Erzählen. Im
anschließenden Unterrichtsgespräch müssen die Erfahrungen, die bei einer solchen Reise
gemacht werden, ausgetauscht werden. Damit wird die der Mangel, der durch die fehlende
Interaktion während des Erzählens entsteht, ausgeglichen. Die Thematisierung des Erzählens
in der vorhergehenden Stunde hat sicherlich den Boden für die Akzeptanz dieser Methode
bereitet.
Neben den didaktischen Vorteilen der Methode gibt es auch einen rein erzählpragmatischen:
Die SchülerInnen haben ihre Augen geschlossen und es steht dem Erzähler frei, den Text vorzulesen, frei zu sprechen oder, und dem entsprach meine Praxis, eine Kombination von
beidem.
Nach dem Erzählen fragte ich die SchülerInnen nach ihrem Eindruck bezüglich dieser Erzählform. Die Rückmeldungen waren insgesamt positiv und eine Schülerin meinte, sie fände es
98
vgl. hierzu Berg: Grundriss a.a.O. S.127-139.154-156.
Ebd. S.127 (Berg zitiert H. J. Kraus).
100
M9.
99
36
gut, wenn alle Lehrer am Anfang der Stunde etwas erzählen würden. Die SchülerInnen
brachten jedoch auch das Interesse zum Ausdruck, dass die Geschichten noch anschaulicher
und vor allen Dingen noch spannender sein sollten. Dem wollte ich gerne entsprechen, zumal
in der kommenden Erzählung die Provokation der Situation zum Thema gemacht werden
sollte.
Den Begriff des Sitzes im Leben hatten die SchülerInnen mit der Phantasiereise in die
Erzählsituation im Nomadenzelt der Sache nach verstanden.
Nach anfänglichen
Schwierigkeiten bezüglich des Begriffes konnte dies im anschließenden Unterrichtsgespräch
auf eine allgemeine Ebene übertragen werden. Nun konnte ich im Gespräch auch den Begriff
der Formgeschichte einführen und mit einfachen Beispielen deren Methode veranschaulichen.
Mit dem historischen Ort des Erzählens in der Zeit vor der Verschriftlichung der Bibel konnte
auch bereits die Überlieferungsgeschichte angesprochen und definiert werden. Die Ergebnisse
wurden als Schülerformulierungen an der Tafel festgehalten.
IV.3.3. Kritik
Obwohl aus Platzgründen an dieser Stelle der Arbeit nicht ausführlicher auf die Stunde eingegangen wurde, sollen doch noch zumindest die Probleme zum Wort kommen: Es war ungeheuer schwierig, den SchülerInnen, die durch die Rahmenerzählung längst verstanden hatten,
was mit Sitz im Leben gemeint ist, auch diesen Begriff als solchen zu vermitteln. Es ist mir
mit viel Mühe gelungen - jedoch auf Kosten einer gründlicheren Klärung der
formgeschichtlichen Methode.
IV.4. Die Provokation der Situation (6.Stunde)
IV.4.1. Konzeption
Nachdem in der vorhergehenden Stunde der historische Ort des Erzählens sowohl als Sitz im
Leben von Erzählungen allgemein, als auch bezüglich der Überlieferungsgeschichte der Bibel
konkret im Erzählen im familiären Rahmen von Wüstennomaden in der Zeit vor der
Verschriftlichung zur Sprache kam, sollte nun die Bedeutung des Kontextes für das
Verständnis einer Geschichte beleuchtet werden: Die Provokation der Situation.101 Unter
Provokation der Situation soll verstanden werden, dass eine Situation das Erzählen provoziert
101
Vgl. Berg: Grundriss a.a.O. S.127-139.154-156.
37
und damit nicht nur das Erzählen selbst verändert, sondern auch unser Verständnis des
Erzählens.
Es bietet sich an, hier nun altersgemäß eine ambivalente biblische Geschichte auszuwählen.
Ambivalent im Alten Testament ist vor allem der strafende und rächende Gott. Eben diese
Ambivalenz ist es ja, die Buggle dazu bewegt, bereits im Titel seiner Streitschrift zu
behaupten, man könne „redlicherweise nicht mehr Christ sein“.102 Um sich nicht diesem
Verdikt auszuliefern und in den Augen der SchülerInnen, denen diese Ambivalenz durchaus
bewusst ist, nicht unglaubwürdig zu erscheinen, indem man ihnen immer nur den lieben Gott
vermittelt, und die Ambivalenz verschweigt, muss man sich der dunklen Seite Gottes offensiv
stellen.103 Zugleich kann man jedoch mit der Rahmenerzählung, der Veranschaulichung der
Kontextgebundenheit biblischer Rede von Gott, ein Angebot machen, wie man mit dieser
dunklen Seite umgehen kann: Wird die Erzählung von einem strafenden Gott verstanden als
durch die Provokation der Situation bedingt, so kann sie durch diese Einbindung in die
Situation als ein befreiendes Gottesbild (das dennoch ambivalent bleibt) verstanden werden.
Ich hatte mich, was das Vorgehen in den nächsten Stunden anbelangt, dazu entschieden, die
Exodustradition als exemplarische Erzähltradition auszuwählen, was sich in allen Bereichen
bewährt hat. Diese Tradition ist sowohl was die Ambivalenz, als auch was die Einführung von
Elementen
der
Historisch-kritischen
Methode
anbelangt
sehr
ergiebig.
Für
die
Kontextdidaktik ist sie ideal. Dies wird im einzelnen an den entsprechenden Stellen begründet
werden. Da die Exodustradition Teil des heilsgeschichtlichen Credos ist, ist auch die
Anknüpfung an die vorhergehenden Stunden gewährleistet.
Der erste Teil der Exoduserzählung, das Leben der Israeliten in Ägypten, die Berufung des
Mose und vor allem die Plagengeschichte Ex 1--13,16 bietet ein großes Maß an Ambivalenz.
Zudem hat die Geschichte, besonders wenn man den Schwerpunkt auf die Plagengeschichte
(und die damit verknüpfte Erstgeburtengeschichte) legt, einen klaren Anfang und ein von der
darauf folgenden Auszugsgeschichte isolierbares Ende. Man kann sich gut vorstellen (und
darauf kommt es für das Erzählen an), dass damit, dass der Pharao die Israeliten ziehen lässt,
die Erzählung sinnvoll endet.
Die Erzählung,104 auf der Kassette Hörbeispiel Nr.3, sollte wiederum als Erzählung aus der
nomadischen Frühzeit erscheinen. Ob dies in allen Zügen an dieser Stelle historisch-kritisch
korrekt ist, und das gilt für das Erzählen grundsätzlich, ist nicht entscheidend. Es ist natürlich
notwendig, krasse Anachronismen zu vermeiden. Dennoch scheint es mir durchaus legitim,
102
Buggle: Denn sie wissen nicht a.a.O.
S.o.S.16.
104
M10/1-4.
103
38
erzählerische Elemente vor allem auch der Priesterschrift (an der ich mich besonders
orientiert habe) in diese nomadische Frühzeit zu verlagern. Sicherlich hörten sich die
erzählerischen Vorstufen aus dieser Frühzeit anders an, als der spätere Text sich liest. Aber
wir wissen so wenig darüber, dass wir nichts falsch machen, wenn man mit diesem
Sachverhalt relativ frei umgeht. Für die SchülerInnen entsteht kein Schaden, wenn hier
fachwissenschaftlich ein paar Dinge nicht hundertprozentig sitzen.
Das Erzählen kann sich relativ frei an dem Text orientieren und Dinge anders darstellen, als
im biblischen Text, da der fiktive Erzähler, ein israelitischer Wüstennomade, selbst sich nicht
an dem biblischen Text festhalten kann, den es damals ja noch gar nicht gab. Ich möchte an
dieser Stelle dafür plädieren, die erzählerische Freiheit stärker zu gewichten als das Korsett
historisch-kritischer Wissenschaftlichkeit. Letztere jedoch sollte der Erzähler, und das ist bei
meinen Erzählungen geschehen, als reiches Reservoir genutzt werden, aus dem der Erzähler
Anschaulichkeit und Authentizität schöpfen kann. Die Historisch-kritische Methode muss für
das Erzählen genutzt werden, darf dieses jedoch umgekehrt nicht zu absoluter Entsprechung
verpflichten.105
Die Provokation der Situation, die in der Erzählung den SchülerInnen deutlich werden sollte,
musste sich natürlich auf die Ambivalenz Gottes, auf seine Grausamkeit, wenn er die
Erstgeborenen der Ägypter ermordet zum Beispiel, beziehen. Die Situation die ich für die
Rahmenerzählung konstruierte, ist die einer bedrohten israelitischen Nomadensippe, die voller
Angst vor Sesshaften, die ihnen die Lebensgrundlage streitig machen (ein grundlegender Einblick in die Grundkonstellation der Geschichte Israels in nomadischer Frühzeit!) sich an den
Gott ihrer Väter erinnern, der diese aus der Sklaverei der Ägypter mit mächtiger Hand herausgeführt hat. Die Erzählung der Plagen sollte bewusst drastisch sein, um das Vorstellungsvermögen der SchülerInnen zu provozieren und das Vorurteil, biblische Geschichten seien doch
nur etwas für kleine Kinder, zu überwinden.
Die Erzählung als solche ist über 20 Minuten lang. Es war also klar, dass für die
Auswertungsphase nicht sehr viel Zeit bleiben würde. Ich habe mich daher entschlossen, auf
eine systematische Erarbeitung und eine damit verbundene Ergebnissicherung an dieser Stelle
zu verzichten. Es lag mir sehr viel daran, mit den SchülerInnen gerade an dieser Stelle in ein
intensives Gespräch zu kommen und Raum für Emotionen, wie ich sie auf Grund der hohen
Ambivalenz erwartete, zu geben.
105
Ähnlich auch Baudler: Theologische Bedeutung a.a.O. S.43: Zum Selbstverständnis des Religionslehrers.
39
IV.4.2. Verlauf
Wieder einmal erschien mir die Klasse an diesem Tag sehr unkonzentriert und unmotiviert.
Ich war gespannt, ob die Methode der Phantasiereise auch beim zweiten mal noch akzeptiert
werden würde, oder ob sich ihre Attraktivität mit dem ersten mal bereits abgeschliffen hätte.
Die SchülerInnen jedoch akzeptierten mein Angebot, ich werde mit ihnen wieder eine
Phantasiereise machen, dieses mal eine längere, als etwas für sie attraktives und ließen sich
wieder bereitwillig darauf ein.
Nachdem ich beim letzten mal nach Beendigung der Phantasiereise zu wenig Zeit ließ, sich
wieder auf die normale Unterrichtssituation einzustellen, hatte ich beim zweiten mal dazugelernt und eine Ruhephase von etwa zwei Minuten eingehalten, die für den Lehrer, der auf die
Reaktion gespannt ist, sehr lang erscheint. Wir konnten jedoch, und das war der große Vorteil
dieser Ruhephase, ohne einen Lehrerimpuls nun direkt in das Gespräch einsteigen, das sich
von selbst in diesem kleinen Freiraum entwickelte.
Im Interesse der Lernzielorientierung muss eine Erzählung so konzipiert sein, dass die Unterrichtsziele in diesem relativ freien Unterrichtsgespräch nicht deshalb zur Sprache kommen,
weil der Lehrer in die entsprechende Richtung lenkt (wobei dies natürlich auch von Fall zu
Fall geschehen muss). Vielmehr muss die Thematik, um die es gehen soll, in der Erzählung
nicht nur eine Rolle spielen, sondern das grundlegende Thema, Problem der Erzählung oder
der Schlüssel zu ihrem Verständnis sein, so dass die SchülerInnen mehr oder weniger von
selbst die Unterrichtsziele ansteuern, weil sie die jeweilige Thematik durch das Erzählen
bedingt beschäftigt.
Die Tragweite des Unterrichtsgesprächs spricht für die Tragfähigkeit der Methode. Deshalb
sei an dieser Stelle das Unterrichtsgespräch relativ detailliert wiedergegeben: .
Das große Thema der Diskussion, wie sie von den SchülerInnen ausging war, wie zu
erwarten, die Grausamkeit Gottes gegenüber dem ägyptischen Volk. Eine Schülerin (Ulrike)
war sichtlich empört und äußerte sich ausgesprochen emotional. Die SchülerInnen stellten im
Gespräch selbst fest, dass es eine große Diskrepanz gibt zwischen dem Gott dieser Erzählung
und dem Gott, von dem man sonst im Religionsunterricht oder im kirchlichen Rahmen hört.
Eine Schülerin (Marie) formulierte treffend: „Wir kennen irgendwie eher den Gott, der immer
gütig ist, und das hier ist ein Gott, der Rache übt.“ Ein Schüler (Gerd) meinte dazu: „Das zeigt
eben die Größe Gottes - dass dieser nicht nur der liebe Gott ist, von dem man sonst immer
erzählt.“ Man kann sagen, dass die meisten SchülerInnen in ihrer emotionalen
Aufgebrachtheit auf der Argumentationsebene Buggles operierten. Ein Schüler (Christian)
versuchte noch zu differenzieren zwischen dem grausamen Gott des Alten Testaments und
dem gütigen Gott des Neuen Testaments, was mich nun doch zu entschiedenem Widerspruch
veranlasste und eine Schülerin (Ulrike) meinte dazu, da würde in der Offenbarung Gott ja
sogar gleich die ganze Welt vernichten.
An dieser Stelle gab ich einen Impuls, der zu einem tieferen Verständnis der Geschichte
führen sollte, indem ich auf die Rahmenhandlung verwies und die Frage stellte, was für ein
Gott der Gott der Erzählung für die Menschen der Rahmenhandlung sei. Eine Schülerin
40
(Karin) schilderte sofort die Situation der Rahmenhandlung: „Die Menschen sind ja in der
Situation, dass sie Angst haben und da erzählen sie eben die Geschichte, dass Gott den
Vorfahren geholfen hat.“ An dieser Stelle wurde damit ein Teil meines Unterrichtsziels
formuliert, da die Schülerin die Provokation der Situation erkannt hatte. Die Diskussion
gewann an dieser Stelle an Tiefe und dennoch blieb die breite emotionale Beteiligung
erhalten. Ein Schüler (Markus) brachte nun nämlich folgendes ein: „Aber ich finde, das
berechtigt noch lange nicht das brutale Gemetzel. Dass die Leute eben Kraft aus einer
Geschichte nehmen, wo voll brutal gemetzelt wird finde ich nicht gut.“ Eine Schülerin
(Marie), entgegnete darauf: „Ich glaube aber trotzdem, dass es wichtig ist, dass dieser Gott für
die Israeliten eben der beschützende Gott war. Aber die Art, wie er die Israeliten beschützt, ist
schon ziemlich krass!“ Und eine andere Schülerin (Kirsten) meinte: „Ich finde auch es gibt
keine Rechtfertigung dafür, weil der Gott ist ja für alle da und nicht nur für das Volk Israel.
Ich glaube nicht an so einen Gott.“
Ich leitete nun über zu dem Wesen der Erzählung, wie wir es in der vorvorigen Stunde
entwickelt hatten. Ein Schüler (Markus) meinte hierzu: „Es ist eben auch wieder alles
ausgeschmückt. Zum Beispiel mit dem Nil - ich weiß nicht was, aber irgendwas ist halt
vorgefallen mit dem Nil und dann wurde eben so eine Plage mit dem Blut draus in der
Erzählung als die das immer weiter erzählt haben. Und das mit den Geschwüren war vielleicht
ja auch eine ganz normale Krankheit...“ Daraufhin stellte nun eine Schülerin (Ulrike) die
Gewissensfrage: „Ja wie soll ich denn dann noch an die Bibel glauben. Dann kann ich ja
genau so sagen, die Jesusgeschichte - das ist alles nur erfunden. Ich weiß ja dann gar nicht,
was wahr ist und was nicht wahr ist.“ Darauf meinte ein Schüler (Tobias): „Ich glaube nicht,
dass es auf das Nilwunder ankommt, sondern mehr auf die Hintergründe, auf die Befreiung.“
Eine Schülerin (Marie) ergänzte: „Man muss da eben irgendwie nach dem Kern suchen, nach
der Grundaussage.“ Darauf die Schülerin (Ulrike), die zuvor die Glaubensfrage eingebracht
hatte: „Dann müsste man die Offenbarung oder so ja auch ganz neu interpretieren, wenn das
alles nur ausgeschmückt ist. Ja super - und jetzt sind es nur irgendwelche Fabeln - kann ich ja
auch sagen. Ich glaube nur an irgendwelche Geschichten oder was?“ Darauf ein Schüler
(Markus): „Ja - für mich ist das eben so. Das sind eben Übertreibungen - aber um die geht’s ja
nicht - da geht’s eben um ganz grundlegende Dinge des Menschen. Dass eben ein Volk das
andere unterdrückt und das sich dann eben irgendwie befreit. Dann kommt eben noch die
Religion dazu.“ Die Diskussion entwickelte sich nun in Richtung der Frage nach dem
wörtlichen Verständnis der Bibel. Ein Schüler (Bernd): „Man kann daraus doch eigentlich nur
schließen, dass man die Bibel dann nicht mehr wörtlich verstehen kann. Sonst kann man ja die
unmöglichsten Sachen aus der Bibel rauslesen.“
Ich kam an dieser Stelle, um eine mündliche Ergebnissicherung zu gewährleisten noch einmal
zu der Frage nach der Kontextualität zurück: „Was bedeutet denn nun die Situation der Menschen, die die Geschichte erzählen, für unser Verständnis der Geschichte?“ Eine Schülerin
(Hanna) antwortete darauf: „Dass wir die Bibel eben nicht wörtlich verstehen dürfen. Wir
müssen eben immer gucken, warum jemand die Geschichte erzählt hat.“ Und ein Schüler
(Gerd): „Das verändert dann die Geschichte total. Dann wird zum Beispiel wie in der Geschichte aus einem grausamen Gott ein Gott, der den Menschen Mut macht.“
Ich hatte mich bei diesem Gespräch bewusst sehr zurückgehalten. Die Intensität des
Gesprächs und die große emotionale Betroffenheit, mit der die Diskussion geführt wurde, und
die auch SchülerInnen, die sich sonst dem Unterrichtsgespräch nur selten anschließen
(Kirsten, Tobias) in das Gespräch und zu einer Auseinandersetzung mit den Fragestellungen
führte, bestätigte mich in meinem methodisch-didaktischen Vorgehen.
41
Besonders für den Umgang mit Wundergeschichten, dies zeigt sich in der Gesprächspassage
zu dem Nilwunder der ungeheure Vorzug der Erzähltechnik, die mit Rahmenhandlungen
arbeitet. Der erzählende Lehrer setzt sich auf diese Weise nicht dem Problem aus, dass er
etwas erzählen müsste, was er selbst nicht für historisch wahr hält.106 Die SchülerInnen sehen
ihn also als Lehrer und nicht als Erzähler und können auf diese Weise leichter bedenken,
welche Bedeutung die Stellung des Erzählers für ihr Verständnis der Erzählung hat. Die
SchülerInnen müssen sich, um die Situation des Erzählers kritisch zu hinterfragen, nicht an
der Person des Lehrers reiben. G. Martin hierzu: „Indem der Lehrer mit der
Rahmengeschichte andere Adressaten und einen anderen Erzähler der Geschichte einführt,
ermöglicht er die Solidarität von Lehrer und Schüler sowohl als Fragende wie als
Gefragte.“107
In diesem Fall formuliert die Schülerin, dass es notwendig ist, hinter dem Wunder nach der
eigentlichen Grundaussage zu suchen und die zweite Schülerin erahnt, zu ihrer eigenen
Überraschung, dass man die alten Texte neu lesen muss, wenn man die Situation des
Erzählers mitbedenkt.
IV.4.3. Lernziele
Die Schüler sollen...
LZ 1: ...die Geschichte des Exodus von der Berufung des Mose bis zum Aufbruch des Volkes
Israel kennenlernen.
LZ 2: ...erkennen, dass es in der Bibel nicht nur das Bild des gnädigen Gottes gibt, sondern
auch das eines grausam richtenden.
LZ 3: ... reflektieren, wie mit diesem Sachverhalt der Gewalt in der Bibel umzugehen ist.
LZ 4: ... verstehen, dass die Situation der der Angst der Israeliten die grausame Seite des
Gottesbildes bedingt.
LZ 5: ... erkennen, dass die Situation, in die eine Erzählung hineinerzählt wird die Erzählung
verändert.
LZ 6: ... verstehen, dass es für das Verstehen von Texten der Bibel notwendig sein kann, nach
dem ursprünglichen Kontext zu fragen,
LZ 7... und von dieser Erkenntnis ausgehend den Zweck der Historisch-kritischen Methode
als die Methode, die nach dem ursprünglichen Sinn fragt begreifen.
106
Vgl. zu dieser Frage Gerhard Martin: Probleme des Lehrers beim Erzählen biblischer Geschichten, in: RU
1980/2. S.45-47.
107
Ebd. S.47.
42
IV.4.4. Tabellarischer Stundenüberblick
6.Stunde: Die Provokation der Situation
Artikulation
Einstieg:
Erarbeitung,
Ergebnissicherung
Lern Lerninhalt
ziel
LZ
In der Erzählung stehen sich auf der einen Seite die
1,2
grausame Seite eines Gottes, der mit großem Schrecken
die Ägypter straft und auf der anderen Seite die
Israeliten der Rahmenhandlung, die selbst in Angst diese
Geschichte von dem Gott, der über die Feinde
Schrecken bringt, erzählen, gegenüber.
LZ
Die Schüler formulieren den Eindruck, den die
3-7
Erzählung hinterlassen hat. Sie stellen fest, dass Gott
hier sehr grausam erscheint. Sie reflektieren die
Bedeutung der Situation für das Gottesbild der
Erzählung und finden auf diesem Weg zu einem neuen
Verständnis des Textes. Sie erfahren auf diese Weise die
Bedeutung der Frage nach dem historischen Kontext
und damit die Bedeutung der Historisch-kritischen
Methode.
LZ
Schüler fassen die offenen Fragen und die Ergebnisse
5-7
zusammen.
Lehraktivität
Methode
Medien
Lehrer erzählt
Lehrererzählung
(Phantasiereise)
M10/1-4
Lehrer gibt Raum Unterrichtsfür Emotionen.
gespräch
Er gibt Impulse,
ohne
das
Gespräch an sich
zu ziehen
Lehrer fordert die UnterrichtsSchüler
zu gespräch
Stellungnahmen
auf.
43
IV.4.5. Kritik
An dem tabellarischen Stundenüberblick erkennt man leicht, was an dieser Stunde kritisiert
werden könnte: Es gibt praktisch nur drei Unterrichtsphasen, wobei die zweite nahtlos in die
dritte übergeht, das heißt, es gibt nur einen wirklichen Methodenwechsel.
Es ist mir an dieser Stelle wichtig, diesen Umstand zu begründen, da hier Grundsätzliches zur
Debatte steht. Ich halte den Methodenwechsel für ein hilfreiches Mittel, die Aufmerksamkeit
der SchülerInnen, im optimalen Falle über verschiedene Lernkanäle mit Wiedereinstiegsmöglichkeiten, zu erhalten. Ich habe in vielen Unterrichtsstunden die Erfahrung gemacht, wie
gerade der Methodenwechsel auch Disziplinprobleme zu überwinden hilft. Das größte Übel
für unsere SchülerInnen, dem sie Tag für Tag ausgesetzt sind, ist m.E. weniger der massive
Notendruck (der ist schon Übel genug), sondern die mit diesem verbundene Langeweile. Hier
hat der Methodenwechsel sein Recht und seine Pflicht. Aber es muss auch erlaubt sein, Alternativen zu einem vielleicht letztlich eher kurzlebigen, fragmentarisierten Unterricht zu
suchen, ohne sich einem didaktischen Verdikt auszusetzen.
Ich halte es für notwendig, dass man im Unterricht auch lange Phasen hat. Diese Phasen
dürfen nicht langweilig sein, müssen Ermüdungserscheinungen auf Seiten der SchülerInnen
vermeiden. Und die Zeit, die man für sie aufwendet muss sich auch lohnen. Beides ist bei
gutem Erzählen in hohem Maße gewährleistet. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der zweiten
langen Phase der besprochenen Unterrichtsstunde, dem Unterrichtsgespräch, das von
engagierten SchülerInnen mit relativ wenig Lehrersteuerung getragen wurde. In solchen
echten Kommunikationssituationen, die weniger inszeniert erscheinen, als manche andere an
der Schule, wird eine Tiefe erreicht, für die sich der Zeitaufwand allemal lohnt. Eine solche
Tiefe, das muss hier betont werden, ist mit einem kurzen Geschichtchen am Anfang (wie z.B.
in der 2.Stunde) nicht zu erreichen. Es gehört auch zum guten Erzählen, dass man sich dafür
Zeit nimmt.
IV.5. Verschriftlichung und Redaktion (7.Stunde)
Diese Stunde soll nur in einem kurzen Überblick dargestellt werden. Es schien mir an dieser
Stelle notwendig, den SchülerInnen greifbares, strukturiertes Wissen zur Entstehung der Bibel
mit klarer schriftlicher Ergebnissicherung, nicht als Selbstzweck, sondern als Handwerkszeug,
zu vermitteln.
44
Obwohl sich gezeigt hatte, dass man ohne weiteres in drei aufeinander folgenden Stunde die
Methode des Erzählens anwenden kann, ohne dass sich diese abnutzt, habe ich mich
entschlossen, das Erzählen als Methode nicht zu überstrapazieren. Da ich in dieser Arbeit
jedoch den methodisch-didaktischen Schwerpunkt des Erzählens gewählt habe, werde ich die
nächsten Stunden nur sehr knapp beschreiben.
Die siebte Stunde hatte die Verschriftlichung der Erzählungen, die Konsequenzen der Verschriftlichung für das Erzählen und die Überlieferung, sowie die Redaktion dieser Verschriftlichung zum Inhalt.
Der Vorgang der Redaktion wurde aus einem biblischen Text entwickelt: Lk 1,1-4 beschreibt
Lukas seine Vorgehensweise und es ließ sich für die SchülerInnen anhand eines Arbeitsblatts
leicht erarbeiten, aus welchen Quellen Lukas seine Jesuserzählung zusammengesetzt hat.108 In
diese Fragestellung eingestiegen war ich mit der Frage, ob Lukas Augenzeuge von dem war,
was er in seinem Evangelium erzählt, die ich an dem Einstieg, dem van der Weyden-Bild,
dem Heiligen Lukas beim Malen der Jungfrau Maria aufwarf.109 Die Schüler entwarfen selbst
eine Strukturskizze zur Frage der Überlieferung und zur Quellenfrage und ein Schüler (Sven)
stellte seinen sehr gelungenen Versuch an der Tafel vor, auf den ich für weitere Präzisierung
meinen Tafelanschrieb aufbauen konnte.110 In dieser Unterrichtsphase führten die
SchülerInnen vor, dass sie die Grundfragen der Überlieferungs- und Redaktionsgeschichte
internalisiert hatten.
Ausgehend von der Quellenfrage führte ich das synoptische Problem als Rätsel ein und diskutierte nach einer Partnerarbeitsphase die Lösung des Problems. Diese fast mathematische
Logik im Religionsunterricht anzuwenden, hat den SchülerInnen Spaß gemacht. Einzelne
SchülerInnen, die bisher im Unterricht kaum aktiv waren, taten sich in dieser
Unterrichtsphase besonders hervor. Einzelne Schüler und Schülerinnen, die in den
Anfangsstunden noch eher zurückhaltend waren, wollten nun allmählich alles ganz genau
wissen. Anschließend bot ich den SchülerInnen mit einer Skizze auf der Rückseite des
Arbeitsblattes mit Hilfe einer OH-Folie einen Überblick über die bisher erarbeiteten Schritte
der Entstehungsgeschichte der Bibel (am Beispiel der Erzählung), die in der 13.Stunde mit
„Vervielfältigung durch Abschreiben“ , „Kanonisierung“ und „Übersetzung“ vervollständigt
wurde. Parallel zu den Schritten des Entstehungsprozesses der Bibel wurden die
methodischen Schritte der Historisch-kritischen Methode eingeführt.111
108
M12
M21; Odile Delenda: Rogier van der Weyden. Das Gesamtwerk des Malers, Zürich 1988. Abb. S.39; Text
S.54:
110
Vgl. M22/1.S.2. Eine Schülerin gibt den Tafelanschrieb des Schülers hier in ihrer Arbeit wieder.
111
Vgl. M11/1+2.
109
45
IV.6. Quellenscheidung (8./9. Stunde)
Wie bereits die vorige Stunde soll auch diese Doppelstunde nur kursorisch beschrieben werden. Es ist mir wichtig, dass die SchülerInnen zumindest exemplarisch mit der Historischkritischen Methode auch aktiv in Berührung kommen. Die Quellenscheidung bietet sich für
dieses Vorhaben natürlich an. Da ich eine Doppelstunde zur Verfügung hatte, entschloss ich
mich, nicht mit irgendwelchen Tricks zu arbeiten, sondern die SchülerInnen selbst wirklich
eine Quellenscheidung durchführen zu lassen. Ich wählte für diese Arbeit mit der
Exoduserzählung einen Text, der sich aus verschiedenen Gründen anbietet: Er schließt an die
Plagengeschichte an, die ich bereits erzählt hatte und bringt damit einen erzählerischen roten
Faden in die Einheit. Zudem ist dieser Text bezüglich seiner Quellenschriften so strukturiert,
dass man drei Quellenschriften isolieren kann, die jeweils für sich eine vollständige Erzählung
ergeben. Ich ließ diese Arbeit in Gruppenarbeit und mit Hilfe eines Arbeitsblattes
durchführen.112
Es stellte sich heraus, dass es sehr gut war, zwei Stunden für diese Arbeit zu haben. Ich
konnte in der zweiten Stunde die Ergebnisse mit OH-Folien sichern und zudem als
Vorbereitung für die kommende Stunde jeder Gruppe (insgesamt fünf Gruppen) eine
Quellenschrift zuordnen.
IV.7. Die Exoduserzählung und ihr erneuter „Sitz im Leben“ schwarzer Sklaven
IV.7.1. Konzeption
Mit der Erzählung vom Auszug aus Ägypten Ex 13,17-14,31 ließ sich in der vorhergehenden
Stunde die Quellenscheidung durchführen. Die auf diese Weise isolierten Erzählungen der
drei Quellenschriften erzählen von der elementaren Erfahrung der Befreiung aus Sklaverei,
die auf göttliches Handeln zurückgeführt wird. Das trifft auf die drei Versionen der
alttestamentlichen Quellenschriften gleichermaßen zu. Sklaverei, allgemeiner Gefangenschaft
(sehr allgemein auch psychische Gefangenschaft) ist eine Erfahrung, die Menschen nicht nur
zu biblischer Zeit machten. Für Menschen späterer Zeit, Akteure eines neuen Kontextes,
bietet der Rückgriff auf die Tradition biblischer Befreiungserzählung ein Element der
Hoffnung auf den befreienden Gott. Am explizitesten haben sich in der Neuzeit die schwarzen
Sklaven der Südstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika auf diese Befreiungstradition
112
M13/1+2. Die Quellenscheidungskriterien sind nicht durchgehend tatsächlich wissenschaftliche Kriterien. Sie
sind jedoch alle unbedingt notwendig, um die Quellen mit Erfolg eindeutig voneinander isolieren zu können. Die
Einteilung der Quellenschriften habe ich in einem AT-Seminar an der Universität erarbeitet - sie wird sicherlich
an der einen oder anderen Stelle anfechtbar sein.
46
berufen. Man denke nur an den bekannten Gospel Go down Moses. In dieser Stunde, in der
mein Fachleiter Herr Späth anwesend war, kam es mir nun in erster Linie darauf an, den
SchülerInnen diesen Akt des Rückgriffs auf biblische Erzähltradition zu vermitteln. Zu der
Feststellung, dass biblische Texte in unterschiedlichen Kontexten tradiert wurden, die große
Bedeutung für unser Verständnis dieser Texte haben, soll nun die Erkenntnis kommen, dass
diese Erfahrung, die Menschen mit der erzählten Erfahrung machen, in diesem Fall eine
Befreiungserfahrung, nicht in nachbiblischer Zeit aufhört. Es soll also der Transfer von
Erfahrung durch Aktualisierung erzählter Geschichte mit Gott im Rahmen der Tradierung
jüdisch-christlicher Tradition in den Blick gelangen, um von hier aus in den abschließenden
Stunden den eigenen Umgang mit der Bibel nochmals zu reflektieren.
Mit der Methode der Phantasiereise hatte ich bereits gute Erfahrungen gemacht. Die
Erzählung (Rahmenerzählung) dient einerseits einer sachlichen Klärung (der Rahmen einer
Geschichte entscheidet über den Charakter der Geschichte), zugleich soll hiermit jedoch auch
motiviert werden, selbst das Erzählen zu wagen.
Die Texte, wie sie in der letzten Stunde durch Quellenscheidung erarbeitet wurden, sind
bisher noch nicht als Erzählungen von den SchülerInnen erfasst worden. Ich rechne also mit
einer Neugier auf das Resultat, die die Motivation verstärken sollte.
Die Gruppen erhalten ein Arbeitsblatt, auf dem die von ihnen zusammengesetzten Quellenschrifterzählungen kopiert sind. 113 So haben die SchülerInnen einerseits das Gefühl, mit den
Erzählungen zu arbeiten, die sie selbst zusammengepuzzelt haben, zugleich wird jedoch der
Zugang zu den Erzählungen nicht künstlich erschwert indem nur die einzelnen Fragmente
ausgeteilt werden.
Die Rahmenerzählung in Form der Phantasiereise habe ich unter Verwendung verschiedener
Bücher zur Sklaverei, denen ich Details entnommen habe, recherchiert.114 Die Erzählung der
Rahmenhandlung endet, ohne dass die eigentliche Erzählung einsetzt. An dieser Stelle sollten
nun die SchülerInnen selbst zum Erzählen kommen. Das Erzählen, zu dem ich die
SchülerInnen ermutigen wollte, setzt bewusst an einem Gebiet an, das den SchülerInnen
emotional nicht so fremd ist, wie die in ihrer tatsächlichen Fremdheit den SchülerInnen gar
nicht bewusste Welt der Bibel. Ich erwartete, dass einzelne Gruppen für die Erarbeitung einer
mündlichen Erzählung längere Zeit benötigen würden, als ihnen in dieser einen Stunde zur
Verfügung stand. Dennoch wollte ich die Ergebnisse dieser Gruppenarbeit meinem Fachleiter
nicht vorenthalten. Ich spekulierte also darauf, dass einzelne Gruppen bereits in dieser Stunde
113
114
Vgl. M14/1-3.
M15/1+2. Hörbeispiel Nr.4.
47
fertig sein könnten und somit ein oder zwei Schülererzählungen bereits hier stattfinden
konnten.
IV.7.2. Verlauf
Wieder einmal waren die Rahmenbedingungen für die Unterrichtsstunden nicht optimal: Auf
die SchülerInnen wartete in der direkt folgenden Stunde eine Klassenarbeit. Dennoch haben
auch in dieser Stunde die SchülerInnen konzentriert zugehört und gearbeitet.
Bevor ich mit der Erzählung begann setzten sich die SchülerInnen bereits in die
Arbeitsgruppen der vorhergehenden Stunde, deren Anzahl, aufgrund des Fehlens mehrerer
SchülerInnen auf drei reduziert wurde.
Die Phantasiereise ist das Hörbeispiel Nr.4 auf der Kassette.115 Ich hatte das Gefühl, dass
diese Phantasiereise die SchülerInnen sehr beeindruckt hatte. Inzwischen war meine
Sicherheit was diese Erzählmethode anbelangt so groß, dass ich mich sogar überwinden
konnte, einen Vers aus dem Lied Go down Moses zu singen.
Wiederum ließ ich nach der Phantasiereise ausreichend Zeit zur Rückkehr ins Klassenzimmer.
Ich erklärte dann den SchülerInnen, was ich mit ihnen vorhatte. Es war mir an dieser Stelle
sehr wichtig, dass der Eindruck, den die Erzählung hinterlassen hatte, nicht zerredet würde,
bevor die SchülerInnen selbst eine Erzählung zu konzipieren begannen. Die SchülerInnen
machten sich, nachdem ich die Arbeitsblätter ausgeteilt hatte,116 in den einzelnen Arbeitsgruppen sehr schnell ans Werk und arbeiteten motiviert und konzentriert.
Eine Erzählung konnte in dieser Stunde aus Zeitgründen nur eine Gruppe mit sehr starken
SchülerInnen präsentieren. Diese Präsentation war jedoch um so eindrucksvoller. Ein Schüler
(Markus) hat, ausgehend von in der Gruppe erarbeiteten Stichworten, frei erzählt. Die Übernahme der Rolle des fiktiven Erzählers der Rahmenerzählung Sambo war perfekt. Er hat in
seiner Rolle die Kinder direkt angesprochen und die einzelnen Elemente der Sklavenrahmenhandlung sehr geschickt in die Exoduserzählung übertragen: Der Pharao - das war ein ganz
ganz großer Master, das Volk Israel war in Sklaverei wie wir und wurde unterdrückt, das Rote
Meer war wie der Grenzfluss, den man erreichen muss, um frei zu werden. Interessant war,
dass sie Feuer- und Wolkensäule weggelassen haben. Ich habe danach im Gespräch gefragt
und Markus meinte, er hätte in diesen Motiven nichts aus der Situation der Sklaven gefunden,
115
M15/1+2. Mein Aufnahmegerät versagte leider in dieser Stunde, so dass weder die wirklich ausgezeichnete
Schülererzählung, noch die Lehrererzählung auf aufgezeichnet ist. Auf der Kassette befindet sich als Hörbeispiel
Nr.4 eine nachträglich erstellte Version.
116
M14/1-3.
48
was damit direkt zu identifizieren gewesen wäre. Die Erzählung war an keiner Stelle peinlich
und die Klasse (wohl ebenso beeindruckt wie ich) applaudierte.
In das anschließende Unterrichtsgespräch stieg eine Schülerin (Marie) auf meine von ihr
missverstandene Frage, wie wichtig denn wohl historische Fakten für Sambo seien, im Prinzip
mit der Formulierung des Lernziels ein: dass für Sambo die historischen Fakten sehr wichtig
sind, „weil er daraus ja seine Hoffnung und den Mut schöpft, dass Gott schon einmal
Menschen aus der Sklaverei befreit hat.“ Ein Schüler (Frank) hat dies noch vertieft und
erklärt, dass die Sklaven Mut schöpfen aus den Geschichten und hoffen, der Sklaverei zu
entkommen. Auf meine Frage, ob die SchülerInnen glaubten, dass auch wir uns wie Sambo in
biblische Geschichten hineinerzählen könnten, antwortete ein Schüler (Markus) ganz
entschieden: „Nein - uns geht es viel zu gut.“ Das schien Konsens zu sein, zumindest regte
sich auf meine Rückfrage kein entschiedener Widerspruch. Dieser Befund bestätigt die bereits
ausgeführte Crux der Bibeldidaktik, dass die Bibel keinen Sitz im Leben der SchülerInnen
mehr hat. Im Nachhinein erscheint es mir als eines der vorrangigen Unterrichtsziele, dass die
SchülerInnen selbst diese Erkenntnis haben und so formulieren können, wie es in dieser
Stunde geschehen ist.
IV.7.3. Die 11. Stunde und der weitere Verlauf der Unterrichtseinheit
Die 11. Stunde, die mit der 10. Stunde eng verklammert ist, möchte ich hier nur ganz kurz
beschreiben. Zunächst sollte genügend Zeit für die weitere Ausarbeitung der Schülererzählungen gegeben werden. Eine Erzählung aus dieser Stunde findet sich als Hörbeispiel Nr.5 auf
der Kassette.
Das Ziel der Stunde war die Herausarbeitung einer Unterscheidung zwischen äußerer
Wahrheit
und
innerer
Wirklichkeit
anhand
der
Exodusmotive,
wie
sie
im
unterrichtsbegleitenden Tafelbild117 als eine, wie ich denke für die SchülerInnen hilfreiche
Grundstruktur biblischer Hermeneutik festgehalten ist. Desweiteren wurde in diesem
Zusammenhang bedacht, dass der für das Erinnern und Erzählen wirklich wichtige Zugang
der über die innere Wirklichkeit ist.
Den weiteren Verlauf der Einheit werde ich nur ganz knapp umreißen, da eine ausführlichere
Besprechung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Dies ist auch deswegen sinnvoll,
weil der narrative Ansatz in diesen letzten Stunden nicht mehr in der Weise im Zentrum
stand, wie dies für diese Arbeit interessant sein könnte.
117
M16.
49
In der 12. Stunde wurde die Konsequenz für den Umgang mit der Bibel, die sich aus der
Unterscheidung zwischen äußerer Wahrheit und innerer Wirklichkeit ergibt vertieft und
ausgesprochen kontrovers diskutiert.118
In der Stunde 13 wurde die Textkritik vorgestellt und mit der Vervielfältigung der Bibel durch
Abschreiben ein weiterer Schritt der Entstehung der Bibel erarbeitet und auf dem
stundenübergreifenden Arbeitsblatt festgehalten. Noch in der selben Stunde führte ich kurz in
die Kanongeschichte ein und sprach (dies nur noch sehr knapp, für mein Dafürhalten zu
knapp) die Frage der Übersetzung und Hermeneutik an. Die abschließende Stunde diente der
Wiederholung vor der Klassenarbeit in Form einer Strukturierung des Erarbeiteten.
IV.7.4. Lernziele 10./11.Stunde
Die Lernziele der 10. Stunde sind nur im Zusammenhang mit der anschließenden 11.Stunde
Stunde zu verstehen, da es sich eigentlich von der Konzeption her um eine Doppelstunde handelte.
Die SchülerInnen sollen...
LZ 1: ...sich in die Situation von schwarzen Sklaven Mitte des 19. Jahrhunderts
hineinversetzen.
LZ 2: ...die Quellenschriften zu Ex 13,17-14,31 (J,E,P), die sie bisher nur als Fragmente
kennen, als vollständige Erzählungen erfassen.
LZ 3: ...verstehen, dass die Form der Erzählung abhängig ist von dem historischen „Sitz im
Leben“ in dem sie verankert ist und
LZ 4: ...dieser „Sitz im Leben“ nicht allein auf die ursprüngliche biblische Situation
beschränkt
ist, sondern die Erzählung auch ihren historischen Ort in der Neuzeit
haben kann.
LZ 5: ...erkennen, dass die Tradition der mündlichen Erzählung nicht mit der
Verschriftlichung der Bibel beendet ist.
LZ 6: ...verstehen, dass die Frage nach der Wahrheit einer Erzählung nicht davon abhängig
ist, wie sich die Fakten mit der Realität decken, sondern ob die Erzählung eine Bedeutung
für die Menschen, die sie erzählen und hören gewinnt.
LZ 7: ...selbst eine Erzählung verfassen und den historischen Ort der Erzählung hierbei
bedenken.
LZ 8: ... zwischen den Quellenschriften erkennen.
LZ 9: ... bedenken, ob Texte der Bibel in ihrem eigenen Leben einen Kontext, einen „Sitz im
Leben finden.
LZ 10: ...bezüglich einzelner Motive der Exoduserzählung (Feuer- und Wolkensäule, Engel
Gottes, Meereswunder) deren tatsächliche Faktizität überdenken.
LZ 11: ... überlegen, welche Bedeutung diese Motive für die Menschen, die sie erzählen
haben
und ausgehend von diesen Überlegungen
LZ 12: ... zu einer Unterscheidung zwischen äußerlicher Wahrheit und innerer Wirklichkeit
kommen.
LZ 13: ... erkennen, dass es bei der Erinnerung und Vergegenwärtigung dieser Motive auf die
innere Wirklichkeit und nicht so sehr auf die äußere Wahrheit ankommt.
118
Einstieg M17; Erarbeitung M18.
50
IV.7.5. Tabellarischer Stundenüberblick
10./11. Stunde: Die Exoduserzählung und ihr erneuter „Sitz im Leben“ schwarzer Sklaven
Artikulation
10.Stunde
Einstieg:
Erarbeitung I:
Lern
ziel
1,3,4
5
1,2,3
4,5,6
7
Lerninhalt
Lehraktivität
Schilderung der Situation schwarzer Sklaven in Virginia Lehrererzählung
Mitte des 19.Jahrhunderts.
Die SchülerInnen sollen nun selbst eine Erzählung
verfassen, die den Rahmen der Phantasiereise verknüpft
mit der Erzählung derjenigen Quellenschrift, die in der
Gruppe erarbeitet wurde.
SchülerInnen stellen ihre Erzählung vor.
Präsentation I:
8
Integration:
Wie Phase 2:
Erarbeitung II:
Präsentation II:
3,4,5 Die Schüler diskutieren die Konsequenzen der Lehrer moderiert
6,9
Übertragung der Exoduserzählung in den neuen und gibt Impulse
Kontext, die Bedeutung äußerlicher Fakten für diese
Übertragung und überdenken, ob sie ihre eigene
Erfahrung in biblische Texte hineinerzählen können.
1,2,3 Die SchülerInnen setzen die Gruppenarbeit der
4,5,6 vorhergehenden Stunde fort. Diejenigen, die bereits
fertig sind, unterstützen die anderen.
7
SchülerInnen stellen ihre Erzählung vor
8
Integration II
unterrichtsbegleitend
schriftliche
Ergebnissicherung
3,4,5
6,10,
11,12
13
11.Stunde
Die SchülerInnen sollen die Ergebnisse vergleichen Lehrer moderiert
(Unterschiede der Quellenschriften) und reflektieren,
was die Erzählungen von der Befreiung für die
Menschen bedeuten, wobei besonders die Bilder der
Erzählungen bedacht werden.
Methode
Medien
Phantasiereise
Gruppenarbeit
M15/1+2
Arbeitsblätter
M14/1-3
Schülererzählung
Unterrichtsgespräch
Gruppenarbeit
Schülererzählung
Unterrichtsgespräch
Arbeitsblätter
M14/1-3
Tafel (M16)
IV.7.6. Kritik
Die Rahmenerzählung hat die SchülerInnen erreicht, was man an ihren Reaktionen merkte.
Die Gruppenarbeitsphase war intensiv und konzentriert. Ein Grundproblem der Doppelstunde
lag sicherlich darin, dass in der ersten Stunde, wegen des Fachleiterbesuchs, Ergebnisse
präsentiert werden sollten, die noch nicht bei allen SchülerInnen vorhanden waren. Die
Differenzierung einzelner Gruppen und die daraus folgenden zeitlichen Differenzen sind ein
Grundproblem der Gruppenarbeit. Ich denke, unter diesen Bedingungen war es die richtige
Entscheidung, die erste Gruppe, die fertig war, intensiv zu besprechen. Die anderen hätten
dabei vielleicht deutlicher akzentuiert mit der Funktion einer Metaebene betraut werden
können. Das hätte das an dieser Stelle nicht uninteressante, aber etwas zerfranste
Unterrichtsgespräch wohl besser gestützt und kanalisiert.
In der 11.Stunde bewährte sich das, was mir zunächst als Problem erschien: Die SchülerInnen
der Arbeitsgruppe, die bereits in der 10.Stunde fertig geworden waren unterstützten die anderen bei der Arbeit. Dies könnte jedoch in einer anderen Klasse, deren Klassengemeinschaft
nicht so intakt ist, wie in dieser Klasse zu einem schwerwiegenden Problem werden.
V. Lernzielkontrolle und abschließende Kritik
Die Qualität einer Unterrichtseinheit hat sich nicht allein daran zu messen, wie die einzelnen
Stunden gelaufen sind, sondern auch und vor allem daran, was die SchülerInnen gelernt
haben. Dies lässt sich bis zu einem gewissen Grad an der Klassenarbeit erkennen, wenn die
Fragen entsprechend gestellt sind.
V.1. Die Klassenarbeit
V.1.1. Die Konzeption der Klassenarbeit
Mit der Besprechung der Klassenarbeit119 und deren Ergebnisse soll kurz beleuchtet werden,
was bei den SchülerInnen tatsächlich angekommen ist: Wo liegen die Stärken meines Unterrichtskonzepts und wo liegen die Schwächen, die Missverständnisse und Wissenslücken.120
Die Arbeit ist in zwei Blöcke aufgeteilt, die mit jeweils der selben Punktzahl bedacht sind. Im
ersten Teil wird schlicht Wissen abgefragt. Die Schüler konnten sich mit der Wiederholung
119
120
M19.
Aus Platzgründen verzichte ich auf eine Darstellung des Erwartungshorizonts.
des Heftaufschriebs leicht auf die ersten drei Fragen vorbereiten. Diese verhältnismäßig
einfachen Fragen ohne wirklicher Transferleistung sollten den SchülerInnen psychologisch
einen positiven Start in die Arbeit ermöglichen. Die zweite Aufgabe fragt ebenfalls nach
konkretem Wissen, jedoch ist hier bereits ein etwas tieferes Verständnis dieses Wissens
gefragt.
Entscheidend ist jedoch mit der dritten Aufgabe der zweite Block. Mit Hilfe der zwei
Stellungnahmen sollen die SchülerInnen dazu bewegt werden, selbst eine Position zum
Umgang mit der Bibel zu formulieren. An dieser Stelle ist nun wirkliche Lernzielkontrolle
möglich, die nicht nur reines Abfragen ist.
Die Auswahl der Texte orientiert sich an den im Unterricht im Vordergrund stehenden Problemfeldern ‘Bibel und Gewalt’ und ‘Was ist wahr an der Bibel?’. Da ich das Ziel hatte, dass
die SchülerInnen etwas über ihre eigene Position erzählen, hatte ich mich entschlossen, zwei
Texte zur Auswahl zu stellen, damit das jeweilige Hauptproblemfeld ausgewählt werden
kann.
V.1.2. Ergebnisse der Klassenarbeit
Insgesamt ist die Klassenarbeit überdurchschnittlich gut ausgefallen (Durchschnitt 2,2). Dies
entspricht jedoch von der Tendenz her dem Niveau der Klasse auch in anderen Fächern.
V.1.2.1. Ergebnisse bei den Fragen nach Sachwissen
Nur in einer Arbeit wurde bei den ersten beiden Aufgaben die volle Punktzahl erzielt121 - und
dies ausgerechnet von einer Schülerin, die sich im Unterricht auffallend zurückhält und bei
Aufrufen nicht immer bei der Sache ist. Es zeigt sich hier, dass durch sauberen Heftaufschrieb
und gute Vorbereitung in der Unterrichtseinheit ein solides Grundwissen erzielt werden
konnte. Dennoch verlangen auch diese Themenfelder ein gewisses Abstraktionsvermögen, das
nicht jeder Schüler und jede Schülerin in der 11.Klasse besitzt.122 Insgesamt bin ich jedoch
mit den Ergebnissen was die reinen Sachfragen anbelangt zufrieden, wenn auch das eine oder
andere Missverständnis stutzig macht.
121
122
Im Anhang M22/1 ; vgl. auch M22/2.
Vgl. M22/3.
V.1.2.2 Ergebnisse bei der Transferfrage
Die großen Qualitätsunterschiede waren bei der 3.Frage festzustellen. Es gab SchülerInnen,
die das Erlernte weder auf die Position des Textverfassers noch auf ihren eigenen Umgang
mit der Bibel beziehen konnten.123 Diese SchülerInnen waren jedoch die absolute Ausnahme.
Es haben fast alle SchülerInnen zumindest Fragmente des im Unterricht reflektierten und
erlernten in die Formulierung ihrer eigenen Position (z.T. kritisch124) integriert. Dabei fällt
eine differenzierte Sicht der Beurteilung der Sachverhalte durch fast alle SchülerInnen ins
Auge.125 Zudem kann man feststellen, dass mein Vorhaben, den SchülerInnen in der 3.Frage
Raum für ihre eigene Position zu geben, sich bewährt hat. Dies zeigt sich beispielhaft an einer
Arbeit, in der sehr intensiv nicht nur die eigene Position, sondern ausgehend von
hermeneutischen Fragen der eigene Glaube reflektiert wird.126 Auch Schüler, die bereits eine
sehr entschiedene Position zum Umgang mit der Bibel haben, argumentieren auf der Ebene
des im Unterricht Erlernten.127 Natürlich lassen sich auch zahlreiche Missverständnisse,
Halbwissen und Unklarheiten beobachten. Ich denke dennoch, ich habe den meisten Schülern
und Schülerinnen dieser Klasse Grundlagen für ihren Umgang mit der Bibel gegeben, auf
denen sie in Zukunft aufbauen können; Grundlagen, die ihre Position zugleich klären und
kritisch hinterfragen. Ich behaupte, jeder Schüler und jede Schülerin der Klasse 11a des
Heidehof-Gymnasiums Stuttgart kann auf die Frage „Was bedeutet die Entstehungsgeschichte
der Bibel für unseren Umgang mit der Bibel?“ eine Antwort geben, die mit dem - Erlernten
(in Verbindung mit anderen Erfahrungen auch Glaubenserfahrungen) operieren wird.
V.2. Bewertung und Ausblick
V.2.1. Der Unterrichtsstoff
Eine Unterrichtseinheit zur Bibel müsste mindestens 30 Unterrichtsstunden umfassen, wollte
man alles, was unbedingt in eine solche hineingehört integrieren. Ich hätte noch sehr viel vorgehabt, wenn ich dazu genügend Zeit gehabt hätte. Ich hätte sehr viel mehr neutestamentliche
Texte bearbeitet. Besonders die Gleichnisse wollte ich eigentlich als Erzählungen, die sich
123
M22/4.
Ein Schüler (M22/5) zu T1: „Auch wenn vielmals Einwände erklingen müssen, dieses handeln das eines
grausamen Gottes werde übertrieben dargestellt, es wäre im grunde viel harmloser und solle doch bitte methaphorisch gesehen werden, kann es für ihn, in dem Punkt gebe ich Buggle voll recht, nicht sein, dass Menschen
einen gewalttätigen Gott verehren.“
125
Vgl. M22/6, 22/7.
126
Vgl. M22/8.
127
Vgl. M22/9.
124
allein auf innere Wirklichkeit beziehen und den Menschen in die Erzählung hineinziehen
unbedingt besprechen, erzählen, erfahrbar machen. Aber auch die Emmausgeschichte und die
paulinischen Briefe mit ihrer Wurzel in der Erzählung von Kreuz und Auferstehung wollte ich
gerne behandelt wissen. Erzählungen Ohnmächtiger vom Gericht und die neuen Aspekte zum
Thema Bibel und Gewalt erhoffte ich mir von der Behandlung der Apokalypse - die Intertextualität der Erzählungen von Schöpfung und Neuschöpfung, von irdischem und himmlischen
Jerusalem als zur Zukunft hin offene Erzählung, und damit Vergegenwärtigung des auf uns
zukommenden Gottes - eigentlich Stoff, der nicht fehlen darf.128 Doch leider stehen dieser
Einheit laut Lehrplan nicht mehr als 15 Stunden zur Verfügung und das ist für die
SchülerInnen auch schon sehr viel. Man muss hier der Versuchung widerstehen, die Einheit
auszudehnen. So bleibt etwas Unzufriedenheit mit der Unvollständigkeit der Bibeleinheit
zurück. Es bleibt nichts anderes, als vor der Masse von Möglichkeiten zu kapitulieren und auf
exemplarisches Lernen zu setzen. Ich denke, auf dieser Ebene eine gewisse Vollständigkeit
im Kleinen erreicht zu haben.
V.2.2. Die Methodik
Das größte methodisch-didaktische Problem der Einheit sehe ich in der schriftlichen Ergebnissicherung. Hierauf würde ich das nächste mal noch viel mehr Wert legen, als ich es getan
habe. Es wurde zwar festgestellt, dass der Heftaufschrieb reichte, um die Sachfragen der Klassenarbeit umfassend zu beantworten. Dennoch wäre etwas mehr Klarheit und Ästhetik im
Schülerheft ein Gewinn gewesen.
Mit den Erzählelementen, die im Unterricht vorkamen bin ich ausgesprochen zufrieden. Das
Erzählen der kurzen Geschichte in der 2.Stunde hätte zwar genau so gut ein Lesen sein können, aber in den Erzählteilen, wo genügend Zeit für das Erzählen gelassen wurde, wurde mit
der Methodik eine Tiefe erzielt, die beachtlich ist. Es macht keinen Sinn, das Erzählen als
Methode gegen andere ganzheitliche Methoden wie z.B. die szenische Interpretation auszuspielen. Auch mit anderen Methoden können im Unterricht Erfahrungen gemacht werden.
Zudem ist der Lehrer natürlich auch nicht Alleinunterhalter und man wird nicht in jeder
Stunde erzählen wollen. Auch ich habe, obwohl das Erzählen mein methodischer
Schwerpunkt war, in einigen Stunden auf jedes narrative Element verzichtet, weil es mir
128
Einen Text aus einer Klassenarbeit, der eine Offenheit für Eschatologisches bei SchülerInnen belegt, fand ich
so beeindruckend, dass ich ihn hier zitieren will: „...dieser Satz wenn dir einer auf die linke Wange schlägt,
halte ihm auch noch die rechte hin kam wohl zu früh. Nichteinmal heute ist er angebracht - das geht gegen unser
Gerechtigkeitsempfinden. Doch vielleicht wird er eines Tages gelten Vielleicht sind wir gerade schon auf dem
Weg zu dieser Entwicklung.“ M22/7.S.3.
pragmatischer
erschien,
anders
vorzugehen.
Ich
sehe
jedoch
die
methodischen
Verbesserungsmöglichkeiten in der Einheit nicht im Bereich der Erzählung, sondern bei
anderen Methoden. Die Ausgewogenheit von lehrer- und schülerzentrierten Methoden war
zwar gewährleistet. Wenig zufrieden war ich jedoch mit der methodischen Planung und
Organisation der 11. und der 13. Stunde. Entscheidend ist, dass meine Idee, Form und Inhalt
zu verschmelzen umsetzbar war und die Unterrichtsziele dabei erreicht wurden. Wie bereits
ausgeführt halte ich es auch nicht für notwendig, eine Stunde, in der lange erzählt wurde,
durch mehrfachen Methodenwechsel in den Unterrichtsphasen nach dem Erzählen noch
weiter zu zergliedern. Hier braucht es auch den Mut zur Ruhe, das Gespräch in die Hände der
SchülerInnen zu legen und darauf zu vertrauen (was natürlich gewährleistet sein muss) dass
die Erzählung die SchülerInnen in Richtung der Unterrichtsziele lenkt, ohne dass man mit
vielen Eingriffen übersteuern muss.
V.2.3. Ausblick
Zu Beginn wurde auf die Probleme der Bibeldidaktik hingewiesen. Es wurde festgestellt, dass
die SchülerInnen ein Relevanz-, Effektivitäts-, Plausibilitäts- und Erfahrungsdefizit im
Umgang mit der Bibel haben. Ich kann rückblickend bestätigen, dass dieser Defizitkatalog auf
viele meiner SchülerInnen vollkommen zutraf. Mit welchen dieser Defizite wurde nun in der
Unterrichtseinheit konstruktiv umgegangen? Wo wurden sie vielleicht etwas ausgeglichen?
Diese Fragen sollen Gegenstand dieses Ausblicks sein, da sich aus ihnen ergibt, welche
Perspektiven ein narrativer Zugang zur Bibel zumindest in meiner Unterrichtspraxis haben
wird.
Effektivitätsdefitit: Das Effektivitätsdefizit wurde von einem Schüler bereits in der zweiten
Stunde ausgedrückt: Markus meinte, es gäbe doch kaum Christen, die das, was in der Bibel
gelehrt wird wirklich leben. Anders formuliert: Die SchülerInnen sehen für die Moral beispielsweise der Bergpredigt keinen Sitz im Leben zeitgenössischer Christen. Durch die Frage
nach dem Sitz im Leben von Bildern innerer Wirklichkeit im Leben von aktiv politisch tätigen
Menschen, wie das mit der Aktualisierung des Turmbaus von Babel in der 12. Stunde
geschah, konnte vielleicht ein wenig vermittelt werden, welchen Sitz im Leben die Bibel im
Leben glaubwürdiger Menschen haben kann. Hier helfen jedoch letztlich keine didaktischen
Konzepte weiter - der christliche Glaube wird sich hier an der Praxis als handelnde
Erzählgemeinschaft bewähren müssen.
Relevanzdefizit: Was man nicht kennt, das kann auch nicht relevant werden. Aus diesem
Grund wird jede Bibeldidaktik ein Kennenlernen der Bibel durch die SchülerInnen anstreben.
Der zweite Schritt zu einer Relevanz ist der der Verknüpfung des Gelernten mit Erfahrung.
Anders ausgedrückt: Der Gegenstand gewinnt einen Sitz im Leben. Entscheidend ist also das
Erfahrungsdefizit auszugleichen.
Erfahrungsdefizit: Das Erfahrungsdefizit ist m.E. der Dreh- und Angelpunkt der Probleme der
Bibeldidaktik. Gerade hier jedoch setzt das Erzählen an. Es vermittelt Erfahrung nicht auf
abstraktem Weg. Im Erzählen werden, wie bereits mehrfach ausgeführt, Erfahrungen mit der
Erfahrung gemacht. Diese Erfahrungen müssen, und auch dies versuchte ich zu gewährleisten,
schwer verdaulich sein, um sie selbsttätig zu integrieren und ihnen damit einen Sitz im Leben
zu verschaffen. Ich denke, ich habe die SchülerInnen auf einen solchen Weg gebracht.
Plausibilitätsdefizit: Das Plausibilitätsdefizit wurde von mir zu Beginn der Unterrichtseinheit
konstatiert. Die SchülerInnen tun sich schwer mit den Widersprüchen der Bibel. Dass die
Bibel ihnen nicht in sich stimmig erscheint, macht sie als ganzes unglaubwürdig. In der
Einheit wurde versucht, die Mehrstimmigkeit der Bibel zu betonen. Die Wahrheitsfrage stand
häufig
im
Mittelpunkt
des
Unterrichts.
Durch
ein
Verstehen
des
historische
Wachstumsprozesses der Bibel und den damit verbundenen Konsequenzen kann die
Widersprüchlichkeit der Bibel zwar nicht aufgehoben werden, der Schluss jedoch, aus diesem
Grund die Bibel als ganzes ablehnen zu müssen ist nicht mehr zwingend, wenn man die
Widersprüchlichkeit erklären kann. Dies führt jedoch nur dann zu Plausibilität, wenn man
auch erkennt, dass hinter diesen Widersprüchen unterschiedliche Kontexte stehen, in denen
unterschiedliche Menschen Erfahrungen mit Gott machen. Dies wurde durch die Technik der
Rahmenerzählung und die Erarbeitung der Provokation der Situation herausgestellt.
Man wird die Defizite im Religionsunterricht nicht völlig ausgleichen zu können - schon gar
nicht in nur 15 Stunden des Religionsunterrichts. Letztlich will ich jedoch annehmen, den
SchülerInnen ein brauchbares Modell zum Umgang mit manchen der genannten Defiziten an
die Hand gegeben zu haben. Vielleicht wurde in dem einen oder anderen Moment des
Erzählens das Band zwischen Zuhörer und biblischem Erzähler geknüpft, wie der Rabbi Baal
Schem Tov das Band zwischen Himmel und Erde durch das Erzählen knüpfte, wenn das
Gebet versagte. Das allein wäre schon ein Erfolg.
Das jüdische Glaubensbekenntnis steht im
fünften Buch Mose (Dt 26,5b-9). Es wird
noch heute von Juden bekannt.
Die Aramäer waren ein semitisches
Nomadenvolk aus der arabischen Wüste.
Mit dem „Vater“ ist Israel (früher Jakob),
der Sohn Isaaks, der Enkel Abrahams
gemeint.
Mein Vater war ein Aramäer, dem
Umkommen nahe, und zog hinab nach
Ägypten und war dort ein Fremdling mit
wenigen Leuten und wurde dort ein großes
und zahlreiches Volk.
Aber die Ägypter behandelten uns schlecht
und bedrückten uns und legten uns einen
harten Dienst auf.
Da schrien wir zu dem HERRN, dem Gott
unsrer Väter. Und der HERR erhörte unser
Schreien und sah unser Elend, unsere
Angst und Not und führte uns aus Ägypten
mit mächtiger Hand und ausgerecktem
Arm und mit großem Schrecken, durch
Zeichen und Wunder, und brachte uns an
diese Stätte und gab uns dies Land, darin
Milch und Honig fließt.
aus Rafik Shami, Erzähler der Nacht:
Als ich Salim eines Tages fragte, warum seine
Worte die Menschen verzaubern können, antwortete er: „Weil das ein Geschenk der Wüste ist“, und
da ich nicht verstand, was er damit meinte, erklärte
er es mir: „Die Wüste, mein Freund, ist für einen
fremden Besucher schön. Leute, die nur für ein paar
Tage, Wochen oder Monate in der Wüste leben
finden sie zauberhaft, aber auf Dauer ist das Leben
in der Wüste hart. Du kannst ihr in der sengenden
Hitze des Tages und der klirrenden Kälte der Nacht
nichts Schönes mehr abgewinnen. Deshalb wollte
niemand in der Wüste leben, und sie war sehr
einsam. Sie schrie um Hilfe, doch die Karawanen
durchquerten sie und waren froh, wenn sie der
Einöde heil entkamen. Eines Tages zog mein
Urururgroßvater, er hieß auch Salim, mit seiner
Sippe durch die Sahara. Als er die Hilferufe der
Wüste hörte, beschloss er, dazubleiben, um die
Wüste nicht allein zu lassen. Viele lachten ihn aus,
da er die grünen Gärten der Städte zurückließe, um
sein Leben im Sand zu suchen. Doch mein Urururgroßvater hielt treu zur Wüste. Er glaubte sein
Leben lang, dass eine überwundene Einsamkeit das
Paradies sei. Von nun an vertrieben seine Kinder
und Kindeskinder die Einsamkeit der Wüste durch
ihr Lachen, ihre Spiele und ihre Träume. Die Pferde
meines Urururgroßvaters klopften mit ihren Hufen
die Glieder der Wüste wach, und der weiche Gang
seiner Kamele brachte der Wüste Ruhe. Aus
Dankbarkeit schenkte sie ihm und all seinen Kindern und Kindeskindern die schönsten aller Farben:
die geheime Farbe der Worte, damit sie am
Lagerfeuer und auf ihren langen Reisen etwas
erzählen konnten. So verwandelten meine Vorfahren den Sand in Berge und in Wasserfälle, in
Urwälder und Schnee. Am Lagerfeuer erzählten sie,
fast verhungert und verdurstet, mitten in der Wüste
vom Paradies, wo Milch und Honig fließen. Ja, sie
nahmen ihr Paradies mit auf ihre Reisen. Durch das
verzauberte Wort wurden alle Berge und Täler, alle
Planeten und Welten leichter als eine Feder.“
Arbeitsfragen:
1.) Welche Gemeinsamkeiten verbinden diese beiden Texte, die zeitlich Jahrtausende
auseinander liegen?
2.) In welcher Form ist das jüdische Glaubensbekenntnis überliefert?
3.) Mit welchen Geschichten ist das Glaubensbekenntnis aufzufüllen?
4.) Welche Rückschlüsse kann man daraus ziehen
a) auf die Geschichte Israels und
b) auf die Entstehung der ältesten Schriften des Alten Testaments?
Bibeln erzählen aus ihrem Leben
Was für eine Art von Bibel ist es? Welche Übersetzung liegt der Bibel zugrunde? Welchen
Eindruck macht die Sprache (modern, altmodisch, poetisch, sachlich, starr, lebendig)? Wer
hat die Bibel herausgegeben? Ist der Inhalt identisch mit dem auf der Rückseite kopierten
Inhaltsverzeichnis der Lutherbibel? Gibt es Anmerkungen zu den einzelnen Stellen oder
Einleitungen in biblische Bücher? Gibt es Bilder, Erklärungen, Register, Karten? Gibt es
Hervorhebungen im Text? Gibt es Verweise auf andere Bibelstellen? Welche Zielgruppe hat
diese Art der Bibelausgabe, welchen Zweck soll sie erfüllen?
Was für eine Geschichte hat die Bibel? Wie alt ist das Buch? Wem hat die Bibel gehört?
Was erfahren wir über ihren Besitzer? Wie gut ist sie erhalten? Wurde sie häufig gelesen? Hat
jemand Notizen in ihr gemacht? Wurde die Bibel zu einem bestimmten Anlass oder Zweck
überreicht? Liegen irgendwelche Dinge in der Bibel? Sind bestimmte Teile besonders
zerlesen und andere überhaupt nicht?
Aufgabe:
1.) Beschreibt beide Bibeln mit kurzen Notizen - nehmt als Grundlage für die Beschreibung
die obigen Fragen (nicht jede Bibel gibt Antworten zu jeder Frage). Wenn ihr weitere
Beobachtungen macht, so haltet diese fest.
2.) Stellt einen Vergleich zwischen den beiden Bibeln an: Wo liegen die Gemeinsamkeiten,
was sind die wichtigsten Unterschiede?
3.) Formuliert einen fiktiven Brief einer der Bibel an die andere (z.B. der älteren Schwester an
die jüngere), in dem diese von sich selbst und aus ihrem Leben erzählt. Verarbeitet bei
diesem Brief die Beobachtungen, die ihr bei der Bearbeitung der ersten Aufgabe gemacht
habt.
Klasse 11a Evang. Heidehof-Gymnasium Stuttgart 1998/99
Die Bibel ist ein veraltetes Buch, das nicht mehr in die heutige Zeit passt.
-2
Die Bibel enthält wichtige Aussagen über das Leben von uns Menschen.
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Die Bibel hilft, Sorgen und Ängste zu ertragen.
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Die Bibel ist ein revolutionäres Buch.
5
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Die Bibel ist nur was für alte Jungfern und verknöcherte Greise.
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-20
Die Bibel steckt voller spannender Geschichten.
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-8
Die Bibel ist voll von Widersprüchen und deshalb unglaubwürdig.
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Die Bibel ist Gottes Wort.
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Die Bibel ist ein Buch volller Grausamkeiten.
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Die Bibel hat mit dem Gott, an den ich glaube oder glauben könnte nichts zu tun.
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8
+6
Die Gebote der Bibel müssen wörtlich genommen und streng eingehalten werden.
9
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1
Die Bibel ist eine wichtige Grundlage unserer Gesellschaft in Bezug auf Werte und
Normen.
Die Bibel ist bedeutungslos.
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3
Die Bibel ist ein gutes Nachschlagewerk für geschichtlich interessierte Leser oder
für Kreuzworträtsel-Fanatiker.
Wer die Bibel nicht kennt, kann unsere Gesellschaft nicht verstehen.
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5
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Das Thema „Bibel“ im Religionsunterricht wird vermutlich ziemlich langweilig
werden.
Ich bin gespannt, was man über die Bibel noch neues lernen kann.
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Meine Eltern haben mir häufig aus der Bibel vorgelesen oder biblische Geschichten
erzählt.
Ich war als Kind häufig im Kindergottesdienst
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Ich besitze eine eigene Bibel.
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Ich gehe jeden Sonntag in die Kirche.
11 4
Ich bin in einer kirchlichen Gruppe (Jugendwerk o.ä.) engagiert.
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-7
Ich will mit der Kirche nichts zu tun haben.
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-13
Ich kenne die Bibel sehr gut.
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3
Es gibt Geschichten in der Bibel, die ich so gut kenne, dass ich sie ohne weiteres
einem Kind erzählen könnte.
Ich kenne das Alte Testament nicht so gut wie das Neue Testament.
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Es sollten viel mehr Leute die Bibel kennen.
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Bleibt mir bloß mit der Bibel vom Leibe.
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+4
-16
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Die Bibel - eine Umfrage
-2
Die Bibel ist ein veraltetes Buch, das nicht mehr in die heutige Zeit passt.
Die Bibel enthält wichtige Aussagen über das Leben von uns Menschen.
Die Bibel hilft, Sorgen und Ängste zu ertragen.
Die Bibel ist ein revolutionäres Buch.
Die Bibel ist nur was für alte Jungfern und verknöcherte Greise.
Die Bibel steckt voller spannender Geschichten.
Die Bibel ist voll von Widersprüchen und deshalb unglaubwürdig.
Die Bibel ist Gottes Wort.
Die Bibel ist ein Buch volller Grausamkeiten.
Die Bibel hat mit dem Gott, an den ich glaube oder glauben könnte nichts zu tun.
Die Gebote der Bibel müssen wörtlich genommen und streng eingehalten werden.
Die Bibel ist eine wichtige Grundlage unserer Gesellschaft in Bezug auf Werte und
Normen.
Die Bibel ist bedeutungslos.
Die Bibel ist ein gutes Nachschlagewerk für geschichtlich interessierte Leser oder
für Kreuzworträtsel-Fanatiker.
Wer die Bibel nicht kennt, kann unsere Gesellschaft nicht verstehen.
Das Thema „Bibel“ im Religionsunterricht wird vermutlich ziemlich langweilig
werden.
Ich bin gespannt, was man über die Bibel noch neues lernen kann.
Meine Eltern haben mir häufig aus der Bibel vorgelesen oder biblische Geschichten
erzählt.
Ich war als Kind häufig im Kindergottesdienst
Ich besitze eine eigene Bibel.
Ich gehe jeden Sonntag in die Kirche.
Ich bin in einer kirchlichen Gruppe (Jugendwerk o.ä.) engagiert.
Ich will mit der Kirche nichts zu tun haben.
Ich kenne die Bibel sehr gut.
Es gibt Geschichten in der Bibel, die ich so gut kenne, dass ich sie ohne weiteres
einem Kind erzählen könnte.
Ich kenne das Alte Testament nicht so gut wie das Neue Testament.
Es sollten viel mehr Leute die Bibel kennen.
Bleibt mir bloß mit der Bibel vom Leibe.
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Phantasiereise zu Ex 3-13
Wir schließen die Augen und sind bereit für die Reise. Wir gehen wieder mehr als
dreitausend Jahre zurück und finden einen Platz in dem Zelt, das wir bereits kennen. Du öffnest deine inneren Augen - schaust dich um - die Gesichter sind dir bereits vertraut der schwere Ledergeruch vermischt mit dem scharfen Geruch des Feuers steigt wieder in
deine Nase - Das Feuer knistert freundlich - der Ruf eines Wächters zerreisst die Stille Nacht du hörst das Blöken eines Schafes - es hat wohl versucht aus der Herde auszubüxen - die
Menschen um das Feuer sind erstarren unmerklich - das Geräusch hat sie erschreckt - nun
beginnt der junge Mann mit den schwarzen Locken erregt zu sprechen.
Er sagt: wir sind nun schon ein halbes Jahr in dieser Gegend - die Amoriter würden es am
liebsten sehen, wenn wir gestern schon weitergezogen wären - letzte Woche erst haben
bewaffnete Amoriter unsere Herden angegriffen, zwei unserer Hirten erschlagen und 100
Schafe mitgenommen. Mit den Amoriter ist kein Auskommen. Schon so oft haben wir
versucht, uns mit ihnen zu verständigen, und immer haben sie unsere Verträge ignoriert. Wir
haben ihnen zugesichert, nicht weiter in ihr Land einzudringen und uns von ihren Herden
fernzuhalten. Zuerst haben sie Tribut gefordert. Wir haben aber doch kaum genug, um uns
selbst zu ernähren. Dennoch haben wir ihnen ein paar unserer Mutterschafe abgegeben. Doch
sie waren nicht zufrieden. Gestern nun war eine Schar bewaffneter Amoriter in unserem
Lager. Sie haben uns gedroht, uns nachts zu überfallen. Ich weiss nicht, wie wir uns jemals
gegen eine solche Übermacht verteidigen sollten. Wir haben kaum Waffen. Ausserdem sind
die Waffen der Amoriter tödlich und sie mit ihren Rüstungen und Helmen unverletzbar. Ihre
Schilde sind aus Bronze und ihre Schwerter durchdringen unsere Lederschilde wie ein Dolch
das Fett. Wir sind ihnen schutzlos ausgeliefert. Jeden Moment könnten sie uns überfallen und
uns alle töten.
Das kleine Mädchen verbirgt seinen Kopf im Schoß der Mutter und weint leise. Die Mutter
streicht ihr tröstend über den Kopf. Der Mann, der letztes mal erzählt hat schweigt und
streicht sich nachdenklich durch seinen schwarzen Vollbart. Die junge Frau blickt verzweifelt
vor sich auf den Boden und zeichnet den Umriss eines Schwertes in den Sand.
Das Gesicht des alten Mannes scheint ungerührt. Das Licht des Feuers lässt die Furchen in
seinem Gesicht noch tiefer erscheinen. Unter seinen buschigen Augenbrauen jedoch funkelt
es. Er hebt kaum wahrnehmbar den Kopf und schaut zu seiner Frau hinüber. Die nickt ihm
leicht zu. Da hebt er seine Arme und im Zelt kehrt absolute Ruhe ein. Er spricht:
Ich will euch eine Geschichte erzählen. Ich habe sie von meinem Vater, der hat sie von
seinem Vater und sie ist bei Gott wahr!
Es liegt schon lange Zeit zurück dass unsere Vorfahren in Ägypten sesshaft geworden waren.
Jakob, unser Stammvater, hatte seine Familie nach Ägypten geführt, sein Sohn Josef hatte es
damals beim Pharao zu höchsten Würden geschafft. Wir konnten gut leben in diesem herrlich
fruchtbaren Land. Als jedoch Josef starb und auch der Pharao, bei dem er in der Gunst stand
gestorben war kam ein Pharao an die Macht, der nichts mehr davon wusste, dass sein Vorgänger versprochen hatte, unser Volk immer gut zu behandeln. Er sah, dass wir immer mehr wurden, dass wir gute Arbeit machten und den Boden gut bestellten. Da wurde er neidisch und
seine Berater warnten ihn davor, dass wir eines Tages mehr Menschen sein könnten als die
Ägypter selbst und ausserdem würden wir mit unserem Wohlstand Einfluss auf den Staat nehmen können. Wir seien eine Gefahr. Sie rieten ihm, uns den Wohlstand zu nehmen und zu
Sklaven zu machen. Sie kamen mit Waffen, plünderten unsere Häuser - denn dort in Ägypten
hatten wir uns in Häusern niedergelassen - uns verpflichteten unsere Männer zu härtester Arbeit in den Steinbrüchen und auf den großen Baustellen des Reiches. Zwei riesige ägyptische
Städte sind erbaut aus dem Schweiss und Blut unserer Vorfahren. Damit wir nicht immer
mehr wurden erließ der Pharao eine Anordnung, dass alle männlichen Neugeborenen im Nil
ertränkt werden sollten. Anfangs hatten sich die ägyptischen Hebammen geweigert das zu tun,
aber die ägyptischen Aufseher erschlugen einfach jeden hebräischen kleinen Jungen, den sie
trafen uns warfen seinen Leichnam in den Nil. Mose - der große Anführer unseres Volkes
hatte nur mit einigem Glück überlebt. Er war von der Amme der Frau des Pharao
großgezogen worden, musste aber fliehen, nachdem er im Streit einen Ägypter erschlagen
hatte. Er versteckte sich bei den Midianitern.
Wir schrien zu Gott, wir beteten und weinten. Unsere Not war riesengroß und viele
verfluchten bereits den Gott, der es zuließ, dass wir unter so schrecklicher Herrschaft litten.
Viele sahen keinen Ausweg mehr. Nachts lagen wir in unseren Häusern und zitterten vor den
Wachen der Ägypter, die durch die Straßen gingen.
Eines nachts im Traum erschien Gott dem Mose. Er rief ihm zu: Mose Mose - Mose antwortete erschreckt: hier bin ich. Gott sprach zu ihm: Ich bin es, der Gott deiner Väter, der Gott
Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs. Mose fürchtete sich vor der Erscheinung Gottes.
Gott sprach zu Moses: Ich habe gesehen, wie die Ägypter mein Volk plagen. Ich werde das
nicht weiter zulassen. Ich bin ein Gott, der für euch da ist, und deshalb ist mein Name auch
„Ich bin da“. Das ist mein Name für immer - heute und für alle kommenden Generationen.
Gott zeigte Mose einen Stab und sprach: Nimm diesen Stab - mit ihm wirst du Zeichen
vollbringen. Ich werde dich führen, mein Volk zu befreien. Dein Bruder Aaron wird dir
helfen. Geh zu meinem Volk hin.
Mose erwachte schweissgebadet. Neben ihm lag ein Stab, der am Abend noch nicht dagelegen
hatte. Da wusste Mose, dass das, was er geträumt hatte wahr war. Und er packte seine Sachen
und zog nach Ägypten zu seinem Volk in die ägyptische Landschaft Goschen.
Sein Bruder Aaron begrüßte ihn voller Freude und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. Mose
sah ihn ernst an und erzählte ihm von seinem Auftrag.
Da sprach Gott wieder im Traum mit Mose und sagte ihm: Du und dein Bruder Aaron ihr geht
zum Pharao und fordert von ihm, dass er mein Volk wegziehen lassen soll. Ich werde euch in
ein Land führen, wo Milch und Honig fließen. Ich habe es deinen Väter so versprochen.
Mose wusste nun, was zu tun war. Er ging mit seinem Bruder los zu seiner inzwischen alten
ägyptischen Amme nach Memphis. Nach tagelanger mühsamer Reise, immer versteckt vor
ägyptischen Soldaten erreichten sie die Königsresidenz. Sie fanden die Amme und diese
schloss Mose mit Tränen in die Arme, küsste ihn und versprach ihm, alles für ihn zu tun. Es
gelang ihr schließlich, die Tochter des Pharao dazu zu bringen, den beiden eine Audienz beim
Pharao zu beschaffen.
Mose war ganz weich in den Knien und auch Aaron war bleich wie ein Laken, als sie den Palast des Pharao betraten. Ein solches Gebäude hatte er noch niemals gesehen. Die bunt bemalten riesigen Säulen am Eingang jagten ihm Angst ein. Die Tiere mit Menschenköpfen und
Menschen mit Tierköpfen, Schlangen, Schakale und Katzen schienen sich zu bewegen, so lebendig waren sie gemalt. Mose hatte nie einen schwereren Gang als den durch dieses beunruhigende Tor ins innere des Palastes. Im inneren setzte sich die Wandbemalung fort. Wächter
in prachtvollen Uniformen führten die beiden durch riesige Hallen und endlose Gänge. Die
Waffen der Wachen waren viel viel schärfer als die der Amoriter. Kein Schwert der Amoriter
hätte ihre Rüstung durchschlagen. Mose und Aaron waren ganz im inneren des Zentrums des
Feindes diesem erbarmungslos ausgeliefert. Mose hatte nun ganz und gar nicht mehr das
Gefühl, er, der zerlumpte Hebräer könne hier vor den mächtigsten König der Welt treten und
von diesem, den seine Untertanen für einen Gott hielten etwas fordern.
Sie wurden vor ein mit reinem Silber beschlagene Tür geführt und als drinnen ein Gong
erklang öffnete sich langsam die Flügeltür und der Blick auf einen unbeschreiblichen Raum
wurde frei. Das war nun endgültig zu viel für unseren Mose. Er zitterte am ganzen Leib und
als er den Pharao auf seinem Thron sah hätte es gar nicht mehr die Wachen gebraucht, um ihn
auf die Knie zu drücken - diese versagten ihm ohnehin den Dienst. Nun lag er also neben
seinem Bruder auf dem Boden vor diesem Herrscher, sein Hals war ausgetrocknet und nichts
hätte ihn bewegen können, diesem Mann in die Augen zu schauen. Nun - oft sieht man sich
schon am Ende, kein Ausweg, kein Erbarmen - und gerade dann kommt einem Gott zur Hilfe
und gibt einem Kraft. So erging es Mose und er fasste wieder neuen Mut stand nun aufrecht
vor dem Pharao ohne zu wissen, wie das geschehen war. Er fand nun auch die Kraft, diesem
in die Augen zu sehen. Er konnte nun erkennen, dass sich hinter der Fassaden dieses mit
allem Schmuck und Prunk ausgestattet Herrschers, der tatsächlich aussah, als sei er ein Gott,
ein Mensch verbarg. Die Augen des Pharao musterten Mose von Kopf bis Fuß. Er war es
nicht gewohnt, dass ein Fremder so mutig vor ihm stand. Er winkte einem seiner Diener und
dieser fragte, was Mose von ihm wolle. Mose sprach von der Bedrückung seines Volkes und
bat den Pharao, das Volk ziehen zu lassen. Der Pharao sah ihn lange schweigend an. Dann
erhob er selbst seine Stimme und sagte: Warum sollte ich deine Bitte erfüllen? Mose sprach
zu ihm: Weil ich die Macht meines Gottes in mir trage und Aaron warf den Stab, den Gott
Mose im Traum gegeben hatte vor den Pharao. Der Stab verwandelte sich augenblicklich in
eine Schlange doch der Pharao hatte derlei schon gesehen und mit einem kurzen Wink warfen
drei Zauberer des Pharao ebenfalls ihre Stäbe dem Pharao vor die Füße und auch diese
verwandelten sich in Schlangen. Doch die Schlange von Aarons Stab verschlang nach kurzem
Kampf die anderen Schlangen. Der Pharao winkte verärgert nach seinen Wachen und ließ
Mose und Aaron abführen.
Da erschien Gott dem Mose wieder im Schlaf und gab ihm einen Auftrag. Am nächsten Morgen gingen Mose und Aaron zum Nil und sahen schon die Sänfte des Pharao. Als die Sänfte
am Ufer des Nils angelangt war, wo der Pharao ein Bad nehmen wollte trat Aaron vor und
hob den Stab über das Wasser er sprach: So spricht Jahwe unser Gott: Du sollst erkennen
Pharao, wer der Herr ist. Du wirst bereuen, dass du mein Volk nicht gehen lässt. Ich werde
das Wasser im Nil in Blut verwandeln. Alle Fische im Nil werden sterben und der Nil wird
stinken, so dass niemand mehr aus ihm trinken wird. In allen Sümpfen, Seitenärmen und Seen
in Ägypten soll nur noch Blut statt Wasser sein. Lässt du mein Volk gehen?
Doch der Pharao glaubte nicht was Aaron sagte und lachte. Da hob Aaron den Stab und das
Wasser des Nils war tiefschwarz vom Blut. Der schwere süßliche Geruch des Blutes breitete
sich überall aus. Die ganze ägyptische Bevölkerung litt schrecklich unter diesem Schrecken.
Die Fliegen sammelten sich in Massen über dem stinkenden Blut. Die Menschen litten Durst
und konnten den höllischen Gestank nicht ertragen.
Gott aber sprach zu Mose: Schicke Aaron wieder zum Nil - er soll den Stab wieder über den
Nil strecken. Die beiden gingen wieder zum Nilufer hinab und Aaron streckte den Stab aus
und da krochen aus dem blutigen Nil Tausende und Abertausende von Fröschen hervor. Die
Frösche krochen vom Blut verschmiert an Land und in die Häuser. Da ließ der Pharao Mose
zu sich rufen und sprach zu ihm: Gut ich will dich und dein Volk ziehen lassen, wenn du uns
von diesen Plagen befreist. Das Blut wurde wieder zu Wasser und die Frösche krochen zurück
an Land. Doch sobald der Pharao sah, dass der Schrecken ein Ende hatte vergaß er sein
Versprechen und alles ging weiter wie gehabt.
Da erschien Gott wieder dem Mose im Schlaf und sprach zu ihm: Aaron soll den Stab nehmen
und mit ihm auf den Sand schlagen. Das tat Aaron am nächsten Tag und in ganz Ägypten
wurde aus dem Sand Myriaden von Stechmücken. Die Steckmücken waren größer als alle, die
man jemals gesehen hatte und saugten den Ägypter das Blut aus den Knochen. Da trat Mose
wieder vor den Pharao und forderte von ihm: Lass mein Volk ziehen! Doch der Pharao blieb
hart und ließ Mose und Aaron packen und in den Kerker werfen. Gott erschien Mose wieder
im Schlaf und sagte ihm, was er zu tun habe. Als die Stechmückenplage immer schlimmer
wurde rief der Pharao die beiden wieder zu sich. Da nahm Mose eine Hand voll Ruß aus dem
kleinen Wächterzimmerchen des Kerkers und warf ihn vor dem Pharao in die Höhe und
sprach: Dies wird als Staub über ganz Ägypten niedergehen und an Menschen und Vieh
werden Geschwüre wachsen mit aufplatzenden Blasen. Und so kam es auch. Selbst der
Pharao und seine Zauberer waren von dem widerlichen Geschwür befallen und die grünliche
Flüssigkeit in den Blasen stank erbärmliche, wenn diese schmerzhaft aufplatzten. Doch das
Herz des Pharao blieb hart. Aus Angst vor der Macht des Mose ließ er die Brüder jedoch
gehen und die beiden zogen zurück zu ihrem Volk nach Goschen.
Zurück in Goschen sprach Gott wieder zu Mose: Höre zu Mose: Am zehnten Tag dieses Monats soll jede Familie meines Volkes ein Lamm nehmen und schlachten. Das sollt ihr dann
essen und dabei an mich denken. Zuvor aber sollt ihr etwas von dem Blut des Lammes an den
Türpfosten eures Hauses streichen. In der darauf folgenden Nacht werdet ihr sehen, was ich
mit den Feinden meines Volkes mache. Mose sagte das am nächsten Tag allen Israeliten
weiter und die den Familien, die sich kein Lamm leisten konnten wurden bei den
wohlhabenderen Familien eingeladen. Alle bestrichen den Türpfosten ihrer Häuser mit dem
Blut und legten sich satt schlafen. In der Nacht ging Gott selbst in Ägypten von Tür zu Tür.
Die Häuser, deren Türpfosten mit Blut beschmiert war ließ er links liegen. Aber bei allen
anderen Häusern trat er ein und erschlug in jedem ägyptischen Haus den männlichen
Erstgeborenen bei Vieh und Menschen, ob Säugling oder jungen Mann. An den israelitischen
Häusern jedoch ging er vorüber. In den Häusern der Ägypter jedoch war am nächsten Tag, als
die Menschen die Bluttat sahen großes Geschrei und Geheule.
Da waren die Ägypter mitsamt dem Pharao so erschreckt, dass sie nun endlich das Volk Israel
ziehen ließen und die Israeliten packten gleich am nächsten Tag die nötigsten Dinge
zusammen und zogen aus Ägypten hinaus in die Wüste - in die Freiheit. So hat Jahwe, der
Gott unserer Väter uns aus der Sklaverei der Ägypter mit starker und strafender Hand hinaus
geführt.
Die Kinder sehen den alten Mann mit großen Augen an. Der junge Mann nickt - in Gedanken
noch halb in Ägypten. Das Feuer flackert kurz auf. Vor dem Zelt ist es nun ruhig. Auch die
Gesichter der Menschen um das Feuer sind entspannter. Es macht sich eine behagliche Atmosphäre breit. Die junge Frau, die zuvor noch so verzweifelt war sagt: Auch wenn die Waffen
der Amoriter die besseren sind, so müssen wir doch keine Angst haben. Denn der Gott, der
Israel aus der Gewalt der Ägypter gerettet hat wird auch uns beschützen. Der Mann mit dem
schwarzen Vollbart spricht leise ein Gebet: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts
mangeln... Friedlich ist der Säugling in den Armen seiner Mutter eingeschlafen. Vor dem Zelt
blökt ein Lämmchen leise. Das Feuer verlöscht langsam und es wird kühler im Zelt. Bald
werden sich die Menschen zur Ruhe legen.
Du nimmst nun Abschied von dem Feuer und dem strengen Ledergeruch, schließt deine inneren Augen und kehrst langsam zurück ins Klassenzimmer.
Entstehung der Bibel am Beispiel der Erzählung
Wie entstand die Jesus-Erzählung von Lukas?
Lk 1,1-4:
1
Schon viele haben es unternommen,
einen Bericht über all das abzufassen,
was sich unter uns ereignet und erfüllt
hat. 2 Dabei hielten sie sich an die Überlieferung derer, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren. 3 Nun habe auch ich mich entschlossen, allem von Grund auf sorgfältig nachzugehen, um es für dich, hochverehrter
Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben. 4 So kannst du dich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen, in der
du unterwiesen wurdest.
Arbeitsauftrag:
1.) Unterstreiche die an der Entstehung des Lukasevangeliums beteiligten Personen bzw.
Personengruppen mit verschiedenen Farben.
2.) Woher haben die jeweiligen Personengruppen ihre Informationen? Skizziere den
Informationsfluss mit einem Schaubild.
Rätsel: Das synoptische Problem
Auf welche Quellen greifen die drei ersten Evangelien (Synoptiker) zurück? Wer hat bei wem
abgeschrieben? Wer hat die gleiche Quelle benutzt?
Voraussetzungen: Es kommt eher selten vor, dass ein Evangelist Texte, die er in einer Quelle findet
nicht in sein Evangelium einbaut.
In manchen Fällen sind die Evangelisten auch Autoren der Texte, greifen also auf keine (schriftliche
oder mündliche) Quelle zurück. Dies ist jedoch ebenfalls in der Mehrzahl der Fälle nicht anzunehmen.
Es sind verschiedene Lösungen denkbar!
MkMtLk129
129
MtLk130
Mt131
Lk132
Texte, die sich mit teilweise wörtlichen Zitaten bei Matthäus, Markus und Lukas finden.
die nur Mt und Lk gemeinsam haben.
131Texte, die sich nur bei Mt finden.
132Texte, die sich nur bei Lk finden.
130Texte,
Die Erzählung vom Auszug (Exodus) aus Ägypten
Der Elohist:
Als nun der Pharao das Volk hatte ziehen lassen, führte sie Gott nicht den Weg durch das
Land der Philister, der am nächsten war; denn Gott dachte, es könnte das Volk gereuen, wenn
sie Kämpfe vor sich sähen, und sie könnten wieder nach Ägypten umkehren. Darum ließ er
das Volk einen Umweg machen und führte es durch die Wüste zum Schilfmeer. Und Israel
zog wohlgeordnet aus Ägyptenland.
Als es dem König von Ägypten angesagt wurde, dass das Volk geflohen war, wurde sein Herz
verwandelt und das Herz seiner Großen gegen das Volk.
Und (der Pharao) nahm sechshundert auserlesene Wagen und was sonst an Wagen war mit
Kämpfern auf jedem Wagen.
Und (die Israeliten) sprachen zu Mose: Waren nicht Gräber in Ägypten, dass du uns
wegführen musstest, damit wir in der Wüste sterben? Warum hast du uns das angetan, dass du
uns aus Ägypten geführt hast? Haben wir’s dir nicht schon in Ägypten gesagt: Lass uns in
Ruhe, wir wollen den Ägyptern dienen? Es wäre besser für uns, den Ägyptern zu dienen, als
in der Wüste zu sterben.
Da erhob sich der Engel Gottes, der vor dem Heer Israels herzog, und stellte sich hinter sie.
Und (Gott) hemmte die Räder ihrer (der ägyptischen) Wagen und machte, dass sie nur schwer
vorwärtskamen.
Die Erzählung vom Auszug (Exodus) aus Ägypten
Der Jahwist:
So zogen sie (die Israeliten) aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste.
Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu
führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht
wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volke bei Tage noch die
Feuersäule bei Nacht.
Und die Ägypter jagten ihnen nach mit Rossen, Wagen und ihren Männern und mit dem ganzen Heer des Pharao.
Und sie (die Israeliten) fürchteten sich sehr und schrien zu dem HERRN.
Da sprach Mose zum Volk: Fürchtet euch nicht, stehet fest und sehet zu, was für ein Heil der
HERR heute an euch tun wird. Denn wie ihr die Ägypter heute seht, werdet ihr sie niemals
wieder sehen. Der HERR wird für euch streiten und ihr werdet stille sein.
Und die Wolkensäule vor ihnen erhob sich und trat hinter sie und kam zwischen das Heer der
Ägypter und das Heer Israels. Und dort war die Wolke finster und hier erleuchtete sie die
Nacht, und so kamen die Heere die ganze Nacht einander nicht näher.
Der HERR ließ das Meer zurückweichen durch einen starken Ostwind die ganze Nacht.
Als nun die Zeit der Morgenwache kam, schaute der HERR auf das Heer der Ägypter aus der
Feuersäule und der Wolke und brachte einen Schrecken über ihr Heer.
Da sprachen die Ägypter: Lasst uns fliehen vor Israel; der HERR streitet für sie wider Ägypten.
und das Meer kam gegen Morgen wieder in sein Bett, und die Ägypter flohen ihm entgegen.
So stürzte der HERR sie mitten ins Meer.
So errettete der HERR an jenem Tage Israel aus der Ägypter Hand. Und sie sahen die Ägypter
tot am Ufer des Meeres liegen. So sah Israel die mächtige Hand, mit der der HERR an den
Ägyptern gehandelt hatte. Und das Volk fürchtete den HERRN, und sie glaubten ihm und
seinem Knecht Mose.
Die Erzählung vom Auszug (Exodus) aus Ägypten
Die Priesterschrift:
Und der HERR redete mit Mose und sprach: Rede zu den Israeliten und sprich, dass sie
umkehren und sich lagern bei Pi-Hahirot zwischen Migdol und dem Meer, vor Baal-Zefon;
diesem gegenüber sollt ihr euch lagern. Der Pharao aber wird sagen von den Israeliten: Sie
haben sich verirrt im Lande; die Wüste hat sie eingeschlossen. Und ich will sein Herz
verstocken dass er ihnen nachjage, und will meine Herrlichkeit erweisen an dem Pharao und
aller seiner Macht, und die Ägypter sollen innewerden, dass ich der HERR bin. - Und sie taten
so.
(Der Pharao aber sprach): Warum haben wir das getan und haben Israel ziehen lassen, so dass
sie uns nicht mehr dienen? Und er spannte seinen Wagen an und nahm sein Volk mit sich.
Und der HERR verstockte das Herz des Pharao, des Königs von Ägypten, dass er den
Israeliten nachjagte. Aber die Israeliten waren unter der Macht einer starken Hand
ausgezogen.
(Sie) holten sie ein, als sie sich gelagert hatten am Meer bei Pi-Hahirot vor Baal Zefon. Und
als der Pharao nahe herankam, hoben die Israeliten ihre Augen auf, und siehe, die Ägypter
zogen hinter ihnen her.
Und der HERR sprach zu Mose: Was schreist du zu mir? Sage den Israeliten, dass sie
weiterziehen. Du aber hebe deinen Stab auf und recke deine Hand über das Meer und teile es
mitten durch, so dass die Israeliten auf dem Trockenen mitten durch das Meer gehen. Siehe
ich will das Herz der Ägypter verstocken, dass sie hinter euch herziehen, und will meine
Herrlichkeit erweisen an dem Pharao und aller seiner Macht, an seinen Wagen und Männern.
Und die Ägypter sollen innewerden, dass ich der HERR bin, wenn ich meine Herrlichkeit
erweise an dem Pharao und an seinen Wagen und Männern.
Mose reckte seine Hand über das Meer.
Und (der HERR) machte das Meer trocken, und die Wasser teilten sich. Und die Israeliten
gingen hinein mitten ins Meer auf dem Trockenen, und das Wasser war ihnen eine Mauer zur
Rechten und zur Linken. Und die Ägypter folgten und zogen hinein ihnen nach, alle Rosse
des Pharao, alle Wagen und Männer, mitten ins Meer.
Aber der HERR sprach zu Mose: Recke deine Hand aus über das Meer, dass das Wasser
wiederkomme und herfalle über die Ägypter, über ihre Wagen und Männer. Da reckte Mose
seine Hand aus über das Meer.
Und das Wasser kam wieder und bedeckte Wagen und Männer, das ganze Heer des Pharao,
das ihnen nachgefolgt war ins Meer, so dass nicht einer von ihnen übrigblieb. Aber die
Israeliten gingen trocken mitten durchs Meer, und das Wasser war ihnen eine Mauer zur
Rechten und zur Linken.
Quellenscheidung
Die Erzählung Ex 13,17-14,31 ist aus drei ursprünglich selbständigen Quellenschriften zusammengestellt:
Jahwist (J), Elohist (E) und Priesterschrift (P). Dies sind die wichtigsten Quellenschriften des Alten
Testaments. Ziel der Quellenscheidung ist es, mit Hilfe von bestimmten Kriterien (Regeln) die ursprünglichen
Quellenschriften (also J, P, E) wiederherzustellen.
Arbeitsauftrag: Scheidet die Quellen mit Hilfe der Kriterien und notiert die zugeordnete Quelle (J,P oder
E) am Rand!
Kriterien für die Quellenscheidung Exodus 13,17-14,31:
1.) Jeder Absatz im Text bedeutet, dass eine andere Quelle einsetzt. Es kommt also z.B. niemals zweimal J
hintereinander.
2.) Jede einzelne Erzählung der Quellenschriften hat einen vollständigen, ungebrochenen Ablauf.
3.) Wiederholungen deuten auf unterschiedliche Quellen hin.
4.) E verwendet als Gottesname immer „Gott“, J und P immer „HERR“ (daher auch die Bezeichnung: HERR
entspricht hebr. Jahwe; Gott hebr. Elohim).
5.) P erzählt wie in der Plagengeschichte von der Verstockung des Pharao und Mose reckt bei ihm die Hand über
das Meer wie Aaron zuvor den Stab.
6.) Wolken- und Feuersäule finden sich nur bei J.
7.) Nur P verwendet den Begriff „Volk“ nicht nur für die Israeliten, sondern auch für die Ägypter.
8.) Nur bei E spricht Volk Israel.
9.) Die Reihenfolge bleibt gegenüber dem biblischen Text in den einzelnen Quellenschriften unverändert!
Die Erzählung vom Auszug (Exodus) aus Ägypten
Als nun der Pharao das Volk hatte ziehen lassen, führte sie Gott nicht den Weg durch das Land der Philister, der
am nächsten war; denn Gott dachte, es könnte das Volk gereuen, wenn sie Kämpfe vor sich sähen, und sie
könnten wieder nach Ägypten umkehren. Darum ließ er das Volk einen Umweg machen und führte es durch die
Wüste zum Schilfmeer. Und Israel zog wohlgeordnet aus Ägyptenland.
So zogen sie (die Israeliten) aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. Und der HERR zog
vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer
Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule
von dem Volke bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.
Und der HERR redete mit Mose und sprach: Rede zu den Israeliten und sprich, dass sie umkehren und sich
lagern bei Pi-Hahirot zwischen Migdol und dem Meer, vor Baal-Zefon; diesem gegenüber sollt ihr euch lagern.
Der Pharao aber wird sagen von den Israeliten: Sie haben sich verirrt im Lande; die Wüste hat sie
eingeschlossen. Und ich will sein Herz verstocken dass er ihnen nachjage, und will meine Herrlichkeit erweisen
an dem Pharao und aller seiner Macht, und die Ägypter sollen innewerden, dass ich der HERR bin. - Und sie
taten so.
Als es dem König von Ägypten angesagt wurde, dass das Volk geflohen war, wurde sein Herz verwandelt und
das Herz seiner Großen gegen das Volk.
(Der Pharao aber sprach): Warum haben wir das getan und haben Israel ziehen lassen, so dass sie uns nicht mehr
dienen? Und er spannte seinen Wagen an und nahm sein Volk mit sich.
Und (der Pharao) nahm sechshundert auserlesene Wagen und was sonst an Wagen war mit Kämpfern auf jedem
Wagen.
Und der HERR verstockte das Herz des Pharao, des Königs von Ägypten, dass er den Israeliten nachjagte. Aber
die Israeliten waren unter der Macht einer starken Hand ausgezogen.
Und die Ägypter jagten ihnen nach mit Rossen, Wagen und ihren Männern und mit dem ganzen Heer des
Pharao.
(Sie) holten sie ein, als sie sich gelagert hatten am Meer bei Pi-Hahirot vor Baal Zefon. Und als der Pharao nahe
herankam, hoben die Israeliten ihre Augen auf, und siehe, die Ägypter zogen hinter ihnen her.
Und sie(die Israeliten) fürchteten sich sehr und schrien zu dem HERRN.
Quellenscheidung
Und (die Israeliten) sprachen zu Mose: Waren nicht Gräber in Ägypten, dass du uns wegführen musstest, damit
wir in der Wüste sterben? Warum hast du uns das angetan, dass du uns aus Ägypten geführt hast? Haben wir’s
dir nicht schon in Ägypten gesagt: Lass uns in Ruhe, wir wollen den Ägyptern dienen? Es wäre besser für uns,
den Ägyptern zu dienen, als in der Wüste zu sterben.
Da sprach Mose zum Volk: Fürchtet euch nicht, stehet fest und sehet zu, was für ein Heil der HERR heute an
euch tun wird. Denn wie ihr die Ägypter heute seht, werdet ihr sie niemals wieder sehen. Der HERR wird für
euch streiten und ihr werdet stille sein.
Und der HERR sprach zu Mose: Was schreist du zu mir? Sage den Israeliten, dass sie weiterziehen. Du aber
hebe deinen Stab auf und recke deine Hand über das Meer und teile es mitten durch, so dass die Israeliten auf
dem Trockenen mitten durch das Meer gehen. Siehe ich will das Herz der Ägypter verstocken, dass sie hinter
euch herziehen, und will meine Herrlichkeit erweisen an dem Pharao und aller seiner Macht, an seinen Wagen
und Männern. Und die Ägypter sollen innewerden, dass ich der HERR bin, wenn ich meine Herrlichkeit erweise
an dem Pharao und an seinen Wagen und Männern.
Da erhob sich der Engel Gottes, der vor dem Heer Israels herzog, und stellte sich hinter sie.
Und die Wolkensäule vor ihnen erhob sich und trat hinter sie und kam zwischen das Heer der Ägypter und das
Heer Israels. Und dort war die Wolke finster und hier erleuchtete sie die Nacht, und so kamen die Heere die
ganze Nacht einander nicht näher.
Mose reckte seine Hand über das Meer.
Der HERR ließ das Meer zurückweichen durch einen starken Ostwind die ganze Nacht.
Und (der HERR) machte das Meer trocken, und die Wasser teilten sich. Und die Israeliten gingen hinein mitten
ins Meer auf dem Trockenen, und das Wasser war ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken. Und die
Ägypter folgten und zogen hinein ihnen nach, alle Rosse des Pharao, alle Wagen und Männer, mitten ins Meer.
Als nun die Zeit der Morgenwache kam, schaute der HERR auf das Heer der Ägypter aus der Feuersäule und der
Wolke und brachte einen Schrecken über ihr Heer.
Und (Gott) hemmte die Räder ihrer (der ägyptischen) Wagen und machte, dass sie nur schwer vorwärtskamen.
Da sprachen die Ägypter: Lasst uns fliehen vor Israel; der HERR streitet für sie wider Ägypten.
Aber der HERR sprach zu Mose: Recke deine Hand aus über das Meer, dass das Wasser wiederkomme und
herfalle über die Ägypter, über ihre Wagen und Männer. Da reckte Mose seine Hand aus über das Meer.
und das Meer kam gegen Morgen wieder in sein Bett, und die Ägypter flohen ihm entgegen. So stürzte der
HERR sie mitten ins Meer.
Und das Wasser kam wieder und bedeckte Wagen und Männer, das ganze Heer des Pharao, das ihnen
nachgefolgt war ins Meer, so dass nicht einer von ihnen übrigblieb. Aber die Israeliten gingen trocken mitten
durchs Meer, und das Wasser war ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken.
So errettete der HERR an jenem Tage Israel aus der Ägypter Hand. Und sie sahen die Ägypter tot am Ufer des
Meeres liegen. So sah Israel die mächtige Hand, mit der der HERR an den Ägyptern gehandelt hatte. Und das
Volk fürchtete den HERRN, und sie glaubten ihm und seinem Knecht Mose.
Phantasiereise Sklaverei
Ihr schließt wieder die Augen - setzt euch ganz entspannt hin - lasst allen Stress abfallen - vergesst alles, was um euch ist - du bist im Süden der Vereinigten Staaten - in Virginia Mitte des
19.Jahrhunderts - du öffnest jetzt deine inneren Augen - du siehst dich um - du bist in einer
Hütte - die Hütte ist völlig leer - die Wände sind aus grobem Holz - es sind keinerlei persönliche Gegenstände in der Hütte, kein Tisch und keine Stühle - in der Ecke ist ein verrußter
Kamin - es brennt kein Feuer - die Hitze liegt schwer in der Luft - der Boden ist aus Lehm gestampft - ein wenig Stroh liegt darauf - du spürst den Geruch von Schweiss und Urin in deiner
Nase, der sich mit dem Lehmgeruch mischt Du wartest Stunden - dann hörst du Stimmen - es sind rauhe, kehlige Stimmen - die Tür wird
mit einem lauten Knall aufgeschlagen und die müden Bewohner strömen zurück in ihre
Behausung - Frauen und Männer - alle mit dunkler Hautfarbe - sie tragen beschmutzte,
zerrissene Kleider - ihre Gesichter sind mürrisch, stumpf - sie sind nicht in der Laune, dich
mit freundlichen Blicken anzusehen - es sind Männer und Frauen, Alte und Junge - dabei
auch zwei Kinder, ein Mädchen - etwa zehn Jahre alt und ein ungefähr gleichaltriger Junge
diese Menschen kommen vom Feld - sie haben den ganzen Tag in der sengenden Hitze
gearbeitet - sie haben mit Messern und Scheren die Baumwolle geerntet - eine harte Arbeit, es ist gerade die Haupterntesaison - diese Menschen waren 15 Stunden auf dem Feld - 15
Minuten Mittagspause - jeden Morgen werden sie eine Stunde vor Sonnenaufgang geweckt wer vor Erschöpfung nicht aufgewacht ist, der wird im Türbogen an den Füßen aufgehängt
und mit einem flachen Brett, in das Nägel gehauen sind geschlagen - wenige, die das
überleben - wer auf dem Feld nicht schnell genug arbeitet spürt die Peitsche - die Peitsche
droht den ganzen Tag über dem gekrümmten Rücken - die Aufseher mit ihren Pferden sind
überall gleichzeitig - wenn jemand sich gegen den Aufseher wehrt, rammt der ihm einen
Haken zwischen die Rippen und hängt ihn daran auf - das Geheul des Todeskampfes soll
jeden Widerstand im Keime ersticken Du stehst auf und trittst vor die Tür - draußen schlägt dir die Hitze entgegen wie eine Wand die siehst mehr solcher Baracken wie die, aus der du kommst - die Baracken bilden ein kleine
Straße von roh gezimmerten Schuppen - sie sehen öde aus - liederlich und verlassen - du
siehst etwas weiter hinten ein schönes großes Haus, mit einer weißen Veranda, davor eine
Schaukel eine räudige Katze streicht um die Baracken - die Luft summt vor Insekten - du siehst wie ein
alter Mann mit dem Mädchen und dem Jungen im Arm im Schatten eines Baumes sitzt etwas abseits von der Barackenstraße - du gehst dort hin und setzt dich zu ihnen in den
Schatten - die Kinder schmiegen sich an den alten Mann mit dem weißen Bart und der
zerlumpten Latzhose - Lucy und Tom sind Geschwister - sie wurden als sie kaum gehen
konnten von ihrem Besitzer an einen durchfahrenden Händler verkauft - an ihren Vater oder
ihre Mutter können sie sich noch kaum erinnern - der alte Mann, er heißt Sambo, kümmert
sich um sie und hilft ihnen zu überleben Sambo, glaubst du, dass wir einmal fliehen können in die Freiheit? - sei ganz leise wenn du
von so etwas sprichst, sie würden nicht zögern, ein Kind dafür zu Tode zu prügeln - wenn ihr
flieht werden sie euch mit Bluthunden jagen - es gibt Kopfjäger, die tun nichts anderes als
entflohene Sklaven zu jagen - die wenigsten schaffen es in die Freiheit - wenn sie Glück
haben, dann hilft ihnen die heimliche Eisenbahn - was ist das Sambo, die heimliche
Eisenbahn? - das sind Menschen, die helfen den Flüchtlingen, den rettenden Fluss zu
erreichen, der die Nordstaaten von den Südstaaten trennt, aber die wenigsten kommen durch
und schaffen den Weg aus der Sklaverei in die Nordstaaten - aber seid nur leise und redet
nicht in Gegenwart der Aufseher oder des Master - erst neulich hat die Missis ihrer
Haussklavin die Unterlippe an die Schürze festnähen lassen, nur weil sie fand, dass die zu viel
reden würde - wenn man über solche Dinge wie Flucht spricht, bedeutet das den Tod - lasst
euch auch niemals dabei erwischen, wie ihr eine der Geschichten erzählt, die ich euch erzählt
habe - Sambo woher kennst du all diese Geschichten? - Ich habe sie von einem Sklaven, der
Phantasiereise Sklaverei
lesen kann - er hat sie mir vorgelesen - aber ich dachte, kein Sklave kann lesen - ja, die
Weißen wollen nicht, dass wir lesen lernen, das könnte für sie gefährlich werden - wir
könnten dann in ihrer Bibel lesen und das könnte zu einem Aufstand führen - Joe hieß der
Mann, er hat das Lesen unter der Erde gelernt - wieso unter der Erde? - sie haben sich
heimlich in einer Erdhöhle versteckt und dort lesen gelernt - dann haben sie sich gegenseitig
aus der Bibel vorgelesen - er hat mir die ganzen Geschichten erzählt - wenn der Master
wüsste, dass ich die Geschichten der Bibel kenne, würde er mir die Zunge herausschneiden Sambo, singst du uns das Lied, das du immer auf dem Feld singst, wenn kein Aufseher in der
Nähe ist? - gut, ich singe es:
When Israel was in Egyptsland
let my people go
oppressed so hard they could not stand
let my people go,
go down Moses,
way down in Egyptsland
tell the old Pharao,
to let my people go Sambo, wer ist denn das - Mose? Und die Israeliten - wer sind die? Und hat der Gott die
gehen lassen? Erzähl uns die Geschichte
Bibeln erzählen aus ihrem Leben: Schüler-Bibelbriefe
1.) Konfirmationsbibel (Psalmen und NT) von 1922:
Liebe rote kleine Schwester!
Du wirst mich nicht kennen, was auch schwierig ist, wenn man so viele Schwestern hat. Ich
bin eine alte schwarze Bibel. Auch ich wurde von Martin Luther übersetzt. Anders als in
deiner heutigen Zeit wurde ich noch viel gelesen und gut gepflegt. Ich war ein
Konfirmationsgeschenk und wurde 1922 verschenkt. Leider enthalte ich nur das neue
Testament, Du dagegen enthältst ja beide. Früher wurde noch sehr viel Wert auf mich gelegt
und ich wurde sehr oft gelesen; in dieser Zeit glaubten noch sehr ´viele Leute daran und die
Bibel war noch sehr wichtig. Obwohl ich altmodisch und starr geschrieben bin, las man mich
gerne. Ich glaube, dass Du als Schulbibel nicht so oft gelesen wirst - oder? Ich werde auch
nicht mehr sehr oft gelesen, allerdings bin ich wertvoll und sehr wichtig, weil ich an den
Menschen erinnere, dem ich einst gehörte. Ich finde es sehr schade, dass Schulbibeln wie Du
nur gelesen werden, weil man sie lesen muss und dass man Euch auch nicht pflegt, obwohl
Du modern und lebendig extra für die jungen Leute geschrieben bist. Naja, vielleicht ändert
sich das ja irgendwann einmal. Ich jedenfalls bin schon alt und habe schon das meiste hinter
mir. Du dagegen bist noch jung; ich hoffe, dass Du bald aus Deinem Schulalltag entrinnen
kannst.
Ich wünsche Dir alles Gute
Deine schwarze Bibel-Schwester
2.) Zürcher Schulbibel::
Liebe ältere Schwester!
Ich bin eine der armen alten inzwischen nicht mehr knackigen, sondern labbeligen, die dazu
verdonnert wurden, eine der verkannten Schulbibeln zu werden. Mein Leben fing unter
tausenden von Zwillingsschwestern im Verlag der Züricher Bibel in Zürich in der Schweiz an,
wo wir alle gedruckt wurden. Durch die Deutsche Bibelstiftung wurde ich nach Deutschland
ausgeliefert und kam ans EHG. Dort ging es mir wie so vielen anderen; der Ignoranz der
Schüler ausgesetzt werde ich auch heute noch durch die Gegend geschmissen, bemalt oder
zerrupft. Selten kam ich an einen Schüler, der mich mit gewisser Hochachtung betrachtete.
Hat es doch tatsächlich ein Schüler gewagt, in meinem Inhaltsverzeichnis die Bücher Mose
mit ö-Punkten zu versehen, so dass ein recht vulgäres Wort für die weiblichen
Geschlechtsteile entstand. Aber wie wir Schulbibeln uns immer trösten: Was nicht tötet härtet
ab und so lebt man vor sich hin.
Lass von Dir hören, da ich schon viel davon gehört habe, dass das Leben einer Bibel auch
ganz anders sein kann.
Deine ISBN 3-438-01272-3/1982 EHG 777/138
Bibeln erzählen aus ihrem Leben: Schüler-Bibelbriefe
3.) NT-Graece:
Liebe Tante!
Vielen Dank für Deinen Geburtstagsbrief!! Ich konnte das schöne neue Band gut gebrauchen,
mein altes war nämlich dreckig und ausgefranst. Jetzt kann ich mich im Bibelkreis endlich
wieder sehen lassen. Wie Du weißt sind ja jetzt 10 Jahre vergangen seit ich in Deutschland
gedruckt worden bin. Zusammengestellt haben mich seit 1898 die Nestle-Brüder und später
dann das Ehepaar Aland. Obwohl ich nur griechisch spreche hat mich 1990 der Deutsche
Reinhard Storz gekauft, weil er mich nämlich für sein Theologiestudium gebraucht hat. Man
sieht mir mein Alter schon ein bisschen an, obwohl er mich gehegt und gepflegt hat. Ich
verspürte nie Langeweile, weil er mich so oft las. Ganz besonders gefallen hat ihm an mir,
dass oft auch noch andere Übersetzungsmöglichkeiten angegeben sind und die schönen
Landkarten hinten. Zum Glück hat er keine Notizen an meinen Rand geschrieben, das mag ich
nämlich gar nicht.
Vielleicht komme ich Dich mal bald besuchen.
Bis dann, Deine
ISBN 3-438-05101-7 Leder
4.) Hochzeitsbibel (1933) :
Ich wurde zur Trauung von einem Pfarrer an das Brautpaar verschenkt. Ich bin eine optisch
aufgewertete Bibel und hauptsächlich zum Aufstellen und als Vorzeigestück verwendet.
Verzierungen und ein stabiler Einband kennzeichnen mein Äußeres. Da ich schon eine ältere
Ausgabe bin, nämlich aus den 30er Jahren, ist meine Schrift altdeutsch. Geboren wurde ich in
Stuttgart-Möhringen im Biblia-Haus, meine Heimat war dann lange in Ulm. Mein Text ist die
Übersetzung Luthers und die Kopfzeile in jeder Seite gibt einen kleinen Hinweis über den
Inhalt. Kupferstiche veranschaulichen den Text. Auch Karten und Photographien im hinteren
Teil zeigen auch schön das Land meines Volkes. Aber leider nützte das nicht sehr viel. Ich
wurde nicht oft aufgeschlagen und gelesen. Oft setzte sich der Staub auf mich. Ich hätte gern
etwas mehr Zuneigung erfahren. Leider erfasste man auch wahrscheinlich nicht den Sinn der
Bibel. Das Aussehen reicht nicht, außerdem geht es um den Inhalt.
5.) einfache Lutherbibel (1926):
Hallo Schwesterchen!
In der letzten Zeit haben immer mehr Menschen Probleme, aus mir schlau zu werden, da
meine altdeutschen Lettern nicht „up to date“ sind. Der gute M. Luther, der mich übersetzt
hat, war wohl nicht sehr fortschrittlich. An der Stätte unserer Geburt im Bibelhaus Möhringen
(neben Thomas G.) hat sich auch einiges verändert. Ich habe 1926 das Haus verlassen und bin
in den Besitz einer gewissen Familie Mei übergegangen. Dort wurde ich sehr oft gelesen aber
nicht zerlesen. Genauso wenig wurden Notizen in meine Seiten gemacht. Meine großen
Anfangsbuchstaben erleichterten der Familie das Lesen in mir. Nun bin ich alt und schwach.
Leb wohl
Bibeln erzählen aus ihrem Leben: Schüler-Bibelbriefe
6.) Familien- und Hochzeitsbibel (1901)
Liebe Senfkorn,
ich will Dir nun ein wenig aus meinem Leben erzählen. Du bist noch sehr jung und
unverbraucht, vielleicht kann ich dir ein wenig von meiner Erfahrung auf deinen Lebensweg
mitgeben.
Vor 97 Jahren wurde ich in der Vereinsdruckerei Stuttgart auf die Welt gedruckt. Ich lag in
den folgenden 3 Jahren in einem Bücherregal der Buchhandlung neben der Kirche in
Tuttlingen, bis ich 1904 einem jungen Storzschen Paar zur Trauung überreicht wurde. Hätte
ich damals gewusst, was auf mich zukommt, wäre ich lieber im Bücherregal geblieben. Oft
wurde ich gelesen und manchmal auch zu hart zugeschlagen, doch eigentlich war es eine
schöne Zeit. Mit dem Beginn des 1.Weltkriegs begann für mich die härteste Zeit meines
Bibeldaseins. Im 1. W. wurde ich nach einer Bombenexplosion verschüttet, doch
wiedergefunden. Obwohl ich dann im 2. Weltkrieg den Flammen fast zum Opfer fiel, kann
ich mich nicht beklagen. Ich wurde von Generation zu Generation stets gut behandelt und in
Ehren gehalten. Ich muss sagen, ich fühle mich bis zum heutigen Tag im Hause Storz überaus
wohl.
Ich bin trotz meines Alters und meiner Geschichte gut erhalten. In mir sind alle Todesfälle der
Familie aufgeschrieben und sortiert. Selbstverständlich wurde ich in altdeutscher Schrift
verfasst. In mir ist alles enthalten, was eben eine gute und sachliche Bibel auszeichnet - mit
Karten, Verzeichnissen usw., usw. Also das war´s schon. Ich könnte Dir natürlich noch viel
mehr erzählen, aber ich will es dabei belassen. Ich hoffe, ich konnte dir ein bisschen helfen.
Tafelanschrieb 4.Stunde
Die Wurzeln der Bibel
Was macht der Erzähler mit seinen Zuhörern?
Was bewirkt das Erzählen beim Menschen?
Erzählen
- unterhält
- entführt in fremde Welten
- verwandelt Menschen
- gibt Erfahrungen weiter
- verwandelt die Welt
- mach schweres leichter erträglich
- macht die Wüste bewohnbar
- ist ein Geschenk der Wüste
- macht Angst und Mut
- hilft gegen Einsamkeit
Wenn die Bibel recht hätte...
...wäre Noahs Arche so lang gewesen wie der Kölner Dom.
...wäre Lots Weib zur Salzsäule erstarrt.
...hätten die Wasser des Roten Meers wie Mauern gestanden.
...wären Jerichos Mauern durch Posaunenschall eingestürzt.
...hätte Elia 450 Baalspriester ermordet.
...hätte Jona im Bauch des Fisches gesessen.
Quelle:
******
Religion 11a:
Klassenarbeit Nr.1
Name:
1.) Erkläre folgende Begriffe (in ganzen Sätzen!):
a) Überlieferungsgeschichte
b) Sitz im Leben
c) Quellenscheidung
22.1.1999
Punktzahl:
Note:
(6 Punkte)
2.) An welchem Schritt des Entstehungsprozesses der Bibel lag die Arbeit des Evangelisten
Lukas? Erläutere seine Vorgehensweise.
(4 Punkte)
3.) Wähle dir einen der beiden Texte aus und gebe die Stellungnahme des Verfassers zur
Bibel in eigenen Worten wieder. Beziehe selbst Stellung zu dieser Position und begründe
deine eigene Meinung! Merke: Es steht dir frei, dich für oder gegen die Position eines der
Verfasser auszusprechen (die beiden Texte widersprechen sich gegenseitig!).
Entscheidend ist, dass du deine Position gut begründest.
(10 Punkte)
T 1: Einen Gott, der Eroberungskriege inklusive der ausdrücklich angeordneten Hinschlachtung
von Kindern, Frauen und Greisen befiehlt, der eine inhuman grausame Blutjustiz immer
wieder eindringlich fordert und die extrem grausame Hinrichtung seines eigenen Sohnes als
Sühnopfer ausdrücklich wünscht, der Minderheiten wie etwa Frauen und Sklaven extrem
diskriminiert, der die Ausrottung Andersgläubiger befiehlt, Geisteskrankheit auf Besessenheit
zurückführt oder ewige (!) Höllenstrafen androht, einen solchen Gott, auch wenn er, extrem
widersprüchlich, an anderer Stelle Nächstenliebe, ja sogar Wehrlosigkeit fordert, als höchstes
absolutes Vorbild und Verhaltensmodell zu propagieren, scheint (mir) schwer zu
rechtfertigen: Die Geschichte hat ja gezeigt, wie sehr der Mensch dann auch darin zum
Ebenbild Gottes wurde. (Anmerkung: ...Wer sich über die Bibel nicht empört, kennt sie nicht.
Oder ist zu feige oder innerlich zu unfrei, sich zu empören).
(Franz Buggle: Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann. Eine Streitschrift,
Reinbek bei Hamburg 1992. S.33)
T 2: Erzählt die Bibel Märchen, oder berichtet sie über Dinge, die tatsächlich einmal geschehen
sind? Diese Frage scheint sich aufzudrängen. Doch sie ist falsch gestellt.
Die alten Schriftsteller kannten dieses Entweder-Oder gar nicht. Sie wollten zuerst ihren Mitmenschen etwas sagen. Sie wollten ihnen eine ganz bestimmte Botschaft bringen. Sie fanden
aber nur dann offene Ohren, wenn sie in der Sprache der Leute redeten. Darum ist ihre Botschaft oft in Geschichten verpackt. Manchmal baut ein Verfasser viele Berichte zusammen,
um seinen Lesern die gegenwärtige Situation zu deuten. Er fragt gar nicht, ob das Berichtete
so oder anders, ja ob es überhaupt geschehen ist. Er fragt etwas Neues durch die überlieferten
Geschichten, läßt sie zu seinen Lesern und Hörern sprechen. Er hält keine Geschichtsstunde,
sondern erteilt Lebenskunde. Ihm kommt es auf die Botschaft an. Er will seinen Mitmenschen
Zeit und Geschichte vom Glauben an Gott her deuten.
(W. Hinker / K. Speidel, aus W. Tiemann, Bibel kontrovers)
Literaturverzeichnis
Die üblichen Hilfsmittel der biblischen Exegese wie Bauer/Aland, Nestle/Aland, Synopse,
ThWNT sowie der Theologie überhaupt wie TRE, RGG, LThK usw. werden nicht aufgeführt.
Abromeit, Hans-Jürgen: Die Bibel im Religionsunterricht. In der Spannung zwischen
Historischer Kritik und unmittelbarer Begegnung, in: Ulonska, Herbert / Dormeyer,
Detlev (Hrsg.): Die Bibel: Erleben, Verstehen, Weitersagen. Elementare und neue
Zugänge zur Bibel, Rheinbach-Merzbach 1994. S.177-205 (hier S.178).
Arens, Edmund: „Wer kann die großen Taten des Herrn erzählen?“ (Ps 106,2). Die
Erzählstruktur christlichen Glaubens in systematischer Perspektive, in: Rolf Zerfass:
Erzählter Glaube - Erzählende Kirche (Quaestiones Disputatae 116), Freiburg i.Brsg.
u.a. 1988. S.13--27.
Baldermann, Ingo: Biblische Didaktik. Die sprachliche Form als Leitfaden unterrichtlicher
Texterschließung am Beispiel synoptischer Erzählungen, Hamburg 21964.
Ders. u.a. (Hrsg.): Bibel und Elementarisierung, Frankfurt a.M. 1979.
Ders.: Die Bibel. Buch des Lernens, Göttingen 1980.
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1986.
Baudler, Georg: Zur theologischen Bedeutung des Erzählens, in: RU 1980/2. S.40-44.
Berg, Horst Klaus: Ein Wort wie Feuer. Wege lebendiger Bibelauslegung (Handbuch des
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Berger, Klaus: Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984.
Bettelheim, Bruno: Kinder brauchen Märchen, Stuttgart 1977.
Bröking-Bortfeld, Martin: Schüler und Bibel. Eine empirische Untersuchung religiöser
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Buggle, Franz: Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht
mehr Christ sein kann. Eine Streitschrift, Reinbek bei Hamburg 1992.
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Neidhart, Walter / Eggenberger, Hans (Hrsg.): Erzählbuch zur Bibel. Theorie und Beispiele,
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Neidhart,
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Zur
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Ders.: Erzählbuch zur Bibel Band 2. Geschichten und Texte für unsere Zeit weitererzählt,
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Ders.: Erzählbuch zur Bibel Band 3. Geschichten und Texte für unsere Zeit weitererzählt,
Lahr / Zürich 1997.
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Elementarisierung
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Zum
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theologischer, anthropologischer und entwicklungspsychologischer Perspektiven in
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