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Es gilt das gesprochene Wort
Erzbischof Joachim Kardinal Meisner,
Vorsitzender des Trägerkreises von Renovabis
Statement bei der Renovabis Bilanz-Pressekonferenz
am 16. April 2010 in Köln
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wir stellen Ihnen heute die Bilanz von Renovabis für das Jahr 2009 vor. Als
Vorsitzender der für Renovabis zuständigen bischöflichen Unterkommission
und des Trägerkreises von Renovabis darf ich Sie zu unserer Pressekonferenz
begrüßen. Im Mittelpunkt steht natürlich der druckfrisch vorliegende Jahresbericht 2009, der eine Fülle an Zahlen, Daten und weiteren Informationen enthält.
1. Anlässlich der Bilanz 2009 von Renovabis schauen wir zurück auf das Gedenken an ein Jahr, das man immer wieder auch als „annus mirabilis“, als ein
„Wunderjahr“ bezeichnet hat. Vielleicht kann man sogar von einem „wunderbaren Jahr“ sprechen. 2009 haben wir 20 Jahre zurückgeblickt auf 1989, jenes
Jahr der friedlichen Umbrüche in Mittel-, Ost und Südosteuropa, nicht zuletzt
aber auch in unserem Land. Kaum jemand hatte damals wirklich damit gerechnet, dass die Zeit schon reif sein würde für den Zusammenbruch der kommunistischen Systeme. Auch wenn ich selber immer davon überzeugt war, dass
diese Systeme der Lüge und Unterdrückung, der Gottlosigkeit und der Menschenfeindlichkeit auf Dauer keinen Bestand haben würden, so haben mich die
rasanten Ereignisse im Jahr 1989 doch überrascht. Für viele Jahre meines Lebens war ja der „Eiserne Vorhang“ bzw. bei uns in Deutschland „die Mauer“
eine bedrückende, tagtäglich erfahrbare Realität. Wie sehr sehnten wir Menschen im Osten wie im Westen damals die Überwindung dieser unmenschlichen und absurden Grenze herbei. Aber wie gering war unsere Hoffnung, dass
es bald dazu kommen würde.
Herausgegeben von der Pressestelle des Erzbistums Köln, Marzellenstraße 32, 50668 Köln
Tel. 02 21/16 42-14 11, Fax 02 21/16 42-16 10
E-Mail: [email protected]; Internet: www.erzbistum-koeln.de
Redaktion: Christoph Heckeley
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Joachim Kardinal Meiser: Renovabis Bilanzpressekonferenz 2010 / Seite 2
Was sich da vor zwanzig Jahren ereignete, die friedlichen Revolutionen in Mittel- und Osteuropa und bei uns in Deutschland der „Fall der Mauer“ im November 1989, das waren kleine Wunder. Die damalige, unverhoffte Wende ist
für uns ohne das Wirken des Heiligen Geistes kaum zu begreifen. Dieser Geist
war wirksam in zahlreichen Christen, die als Wegbereiter der Wende gelten
dürfen, die ihren Glauben und ihre Hoffnung unverdrossen durch die finsteren
Jahrzehnte der kommunistischen Zwangsherrschaft getragen haben. In ihnen
wirkte der Geist des Herrn und machte sie so zu Botschaftern der Freiheit: der
Freiheit der Kinder Gottes, die einem gläubigen Christen nie zu nehmen ist.
An erster Stelle ist hier der große Papst Johannes Paul II. zu nennen, an dessen
fünften Todestag wir uns ja erst kürzlich erinnert haben. Wie kaum ein anderer
war er ein Wegbereiter der Wende. Denn die Wende begann nicht erst 1989,
sie wurde wenigstens zehn Jahre früher eingeleitet durch jenen Karol Wojtyla,
Erzbischof von Krakau, der im Oktober 1978 für viele überraschend zum Papst
gewählt wurde. Ich meine, schon in dieser Wahl hat sich das Wirken des Heiligen Geistes gezeigt. Johannes Paul II. reiste im Jahr nach seiner Wahl erstmals
als Papst in seine polnische Heimat und feierte am 2. Juni 1979, dem Tag vor
Pfingsten, auf dem Siegesplatz in Warschau mit einer Million Gläubigen die
heilige Messe. Er hielt dort eine Predigt, die in die Geschichte einging. Sie endete mit den Worten: „Und ich rufe, ich ein Sohn polnischer Erde und zugleich
Papst Johannes Paul II., ich rufe aus der ganzen Tiefe dieses Jahrhunderts, rufe
am Vorabend des Pfingstfestes: Sende aus Deinen Geist! Und erneuere das
Angesicht der Erde!“ Er nahm damit ein Wort aus dem Psalm 104 auf, wo es
heißt: „Renovabis faciem terrae“ – „Du (Gott) wirst das Angesicht der Erde
erneuern“. Die Gläubigen auf dem Warschauer Siegesplatz – aber auch viele
der damaligen kommunistischen Machthaber – verstanden sehr wohl, dass der
Papst hier ganz konkret von seiner Heimaterde sprach und dass in diesem Ruf
nach Erneuerung zugleich auch der Ruf nach Befreiung mit ausgesprochen
war.
Diese Befreiung begann dann zehn Jahre später – auf Einzelheiten der Ereignisse des Jahres 1989 und der Folgejahre müssen wir jetzt nicht näher eingehen. Ich möchte aber doch noch einmal daran erinnern, dass Christen im Osten
und Westen unseres Kontinents diese weitgehend gewaltlosen Umbrüche mit
bewirkt und mit gestaltet haben. Ja mehr noch: Sie waren schon vorher stets
„ein Stachel im Fleisch“ der kommunistischen Systeme gewesen, sie ließen
sich nicht gleichschalten oder vereinnahmen. Die ehemalige sowjetische Dissidentin und Christin Tatjana Goritschewa hat das sehr schön formuliert: „In der
Zeit des Kommunismus war die Kirche die einzige Insel der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Liebe in einer Gesellschaft, in der alles verboten oder ver-
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Joachim Kardinal Meiser: Renovabis Bilanzpressekonferenz 2010 / Seite 3
dreht war, in der die Menschen voller Angst lebten“ – (Sie finden dieses Wort
auf Seite 17 des vorliegenden Jahresberichts von Renovabis zitiert.)
2. Die Solidaritätsaktion Renovabis hat 2009 an die Befreiung vom Kommunismus vor zwanzig Jahren erinnert. Dazu wurde als Leitwort eine Stelle aus
dem Galaterbrief des Apostels Paulus gewählt: „Zur Freiheit befreit“ (Gal 5,1).
Dass es diese Solidaritätsaktion, dieses 1993 von der Deutschen Bischofskonferenz gegründete katholische Hilfswerk für Osteuropa, überhaupt gibt, ist ja
auch der epochalen Entwicklung der Jahre 1989 bis 1991 zu verdanken. Renovabis – das war die Antwort von uns deutschen Katholiken auf den Zusammenbruch der kommunistischen Systeme im Osten Europas, auf die Befreiung
der Menschen vom Joch des Totalitarismus und des verordneten Atheismus.
Das gerade genannte Wort aus dem Paulus-Brief „Zur Freiheit befreit“ enthält
natürlich einen Auftrag. Es fordert heraus und will deutlich machen, dass Freiheit mehr ist als nur tun und lassen zu können, was man will. In unserem christlichen Verständnis hat Freiheit ganz viel mit Verantwortung zu tun, mit Verantwortung für sich selber und für andere. Freiheit muss gestaltet werden, ist
ein dauernder Auftrag. Oder anders gesagt: Wer „zur Freiheit befreit“ ist, der
muss aus diesem Geschenk der Freiheit erst noch etwas machen. Und dieses
„etwas“ verbindet sich für uns Christen mit der Aufforderung zur Nächstenliebe und zur Solidarität mit den Menschen, denen es schlechter geht als uns, mit
denen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind. Und gerade im Osten Europas leben noch viele Menschen auf der Schattenseite der Freiheit, ihnen hat die gewonnene äußere Freiheit bis heute nicht viel gebracht. Um sie müssen wir uns
kümmern.
Es gibt natürlich vielerorts in Mittel- und Osteuropa auch eine geistig-geistliche
Wüste, die ebenso ein Erbe des Kommunismus ist. Daher haben wir bei der
Gründung von Renovabis als wichtige Zielsetzung formuliert, dass diese Aktion „die Christen in Mittel- und Osteuropa bei ihren Bemühungen um die Verkündigung des Evangeliums und bei der Erneuerung der Gesellschaft in Gerechtigkeit und Freiheit“ unterstützen solle (so steht es in Artikel 1 des Renovabis-Statuts). Wir hatten bei der Beauftragung von Renovabis also beides im
Blick: den pastoralen wie den gesellschaftlichen Dienst der Kirche, die Behebung von materieller ebenso wie von geistlicher Not. Im Blick auf die Gestaltung des künftigen Europas muss gerade auch diese geistliche Not gesehen
werden. Denn von der Behebung dieser Not hängt ganz wesentlich ab, wie das
Europa der Zukunft – im östlichen wie im westlichen Teil – aussehen wird.
Wird es ein Europa sein, das sich zunehmend von Gott abgewendet hat? Wird
es ein Europa sein, das noch um seine christlichen Wurzeln weiß? Wird es ein
Europa sein, in dem die Stimme der Kirche in Staat und Gesellschaft noch Gewicht hat? Wird das Zusammenwachsen von Ost und West in Europa überhaupt noch eine religiös-spirituelle Dimension haben im Sinne des häufig zi-
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tierten Wortes von Papst Johannes Paul II., dass Europa „auf zwei Lungenflügeln atmen müsse“, den östlichen, orthodoxen Kirchen und der westlichen
Christenheit?
In seinem Apostolischen Schreiben „Ecclesia in Europa“ aus dem Jahr 2003
richtete Johannes Paul II. einen flammenden Appell an Europa, den ich gerne
zitieren möchte: „Kehre du (Europa) selbst um! Sei du selbst! Entdecke wieder
deine Ursprünge. Belebe deine Wurzeln! Du hast im Laufe der Jahrhunderte
den Schatz des christlichen Glaubens empfangen. Dieser begründet dein soziales Leben auf den Prinzipien des Evangeliums, und seine Spuren sind in den
Künsten, in der Literatur, im Denken und in der Kultur deiner Nationen wahrnehmbar. Doch dieses Erbe gehört nicht nur der Vergangenheit an; es ist ein
Zukunftsplan zum Weitergeben an die künftigen Generationen, weil es der Ursprung des Lebens der Menschen und Völker ist, die miteinander den europäischen Kontinent geschmiedet haben.“ Soweit das Zitat. Gebe Gott, dass unsere
Verantwortlichen in den europäischen Regierungen, Parlamenten und Verwaltungen sich häufiger an dieses christliche Erbe erinnern.
3. Ich komme zum Abschluss noch einmal auf das Renovabis-Leitwort zurück: Europa und wir alle wurden und werden stets aufs Neue „zur Freiheit befreit“, wir sind – um es mit einem anderen Paulus-Wort zu sagen – „zur Freiheit berufen“. Durch diese Berufung haben wir einen beständigen Gestaltungsauftrag erhalten und haben eine Verantwortung zur „renovatio“, zur Erneuerung im christlichen Geist der Freiheit und der Liebe. Als Kirche stehen wir
dabei in besonderer Verantwortung für die Mitgestaltung unseres Kontinents,
aber auch und gerade für die Situation unserer unmittelbaren Nachbarn in Europa. Nur wenn wir diese Verantwortung wahrnehmen, wird uns in einem qualifizierten Sinne der Aufbruch in ein Europa gelingen, in dem die Menschen
aus dem Osten und Westen des Kontinents dann wirklich zusammenwachsen
und zueinander finden können. Renovabis will und wird dazu weiterhin einen
wichtigen Beitrag leisten. Unsere Solidarität mit den Menschen in ganz Mittel-,
Ost- und Südosteuropa, für die Renovabis steht, wird wohl noch auf lange Sicht
erforderlich bleiben. Das Anliegen von Renovabis bleibt also nach wie vor aktuell.
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