Zum Glück

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Zum Glück
Vorwort:
Thema war die Liebe, ein entscheidendes Gefühl für mindestens alle
Wirbeltiere, selbst für Fische (Bindungsgefühle in Schwärmen, bei der
Ablaiche und Brutpflege). Sie ist wichtig für die Arterhaltung sowie
für persönliches Glück – oder Unglück. Das wird das neue Thema
sein:
„Zum Glück“
Glück ist in!
Seit langem besetzen die ersten beiden Plätzen der Bestsellerliste der
Sachbücher des Spiegel die Bücher Die Glücksformel von Stefan
Klein und Der Weg zum Glück des Dalai Lama. Die Spannweite von
den Neurowissenschaften zur Spiritualität belegt den Trend, im
Schnittpunkt bewegt sich die Psychologie: ein paar Seiten weiter
erscheint sie mit einer Anzeige im gleichen Heft mit Wege zum Glück
von Reiner Gödtel.
(Hier und im Folgenden ist Glück immer verstanden als das Gegenteil
von Unglück, nicht von Pech. Das Gegenteil „von Glück“ haben in
unserem Sinne ist „Schwein haben“. Ebenso bleibt Drogengenuss, die
Simulierung von Glücksgefühlen, eine Abkürzung ohne
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Verbundenheit mit den wirklichen Gefühlen, außer Betracht. Denn:
Was wir wollen ist nicht immer das, was wir wirklich brauchen:
Kurt Halbritter (?): Karikatur einer fülligen weiblichen Person, die
sich im Sessel räkelt: „Ich liebe, wen ich will, ich esse, was ich will,
ich tue, was ich will – warum bin ich nicht glücklich?“)
Im breiten Spektrum der Erklärungsansätze von Glück habe ich den
Klientenzentrierten Ansatz bisher nicht gefunden, wiewohl das Glück
ja eine Herausforderung für ihn ist. Anders als die anderen Verfahren
ist unser humanistisch-psychologisches Konzept angetreten, von der
Gesundheit, von der vollentwickelten Person auszugehen. Es müsste
also möglich sein, Glück klientenzentriert zu verstehen. Hier ist ein
erster Ansatz.
In der Psychotherapie geht es natürlich um das Glücklichsein, nur
vordergründig um das Nicht-länger-unglücklich-sein-Wollen.
Wie machen wir uns glücklich – wenn die anderen es nicht schaffen,
uns glücklich zu machen?
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Meine Gedanken beruhen auf Phänomenen, die ich in meinen
Therapien beobachte:
1. In der Therapie erfahren Klienten mitunter Glücksgefühle, die für
sie unglaublich, unbeschreiblich, neu und überwältigend sind.
2. Der Therapeut ist gewöhnlich an diesem Prozess beteiligt, ohne
dass er selbst derlei Gefühle des Glücks empfindet. (Ricarda Huch:
Glück ist etwas, was man geben kann, ohne es zu besitzen.)
3. Glücksempfindungen sind immer verbunden mit einer neuen
Öffnung gegenüber Gefühlen. Verschlossene Menschen äußern
vielleicht eine Gefühlssehnsucht, empfinden aber keine
Glücksgefühle.
4. Glücksgefühle sind zeitlich begrenzt, aber immer wieder erlebbar.
5. Nach Höhen des Glück folgen Phasen der Zufriedenheit, nicht
Phasen tiefen Unglücks.
6. Menschen weinen unter Schmerzen und bei Erfüllung ihrer
Bedürfnisse, in Momenten des Glücks.
7. In Therapiegruppen, in denen viel geweint und geschrieen wird,
wird in den Pausen mehr gelacht.
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8. Wir Therapeuten sehen bestätigt, dass jeder seines Glückes
Schmied ist: Glück ist machbar. ( = Psychotherapie ist
wirkungsvoll.)
Wenn Glück machbar ist, muss Glück einen Sinn haben. Was ist der
Sinn von Glück?
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Evolutionäre Begründung von Glück
Gefühle sichern unsere Existenz und dienen der Arterhaltung. Gefühle
im Normbereich (wir wollen krankhafte Fälle ausschließen, es geht ja
um uns!) machen alle einen Sinn – auch solche, die wir nicht haben
wollen. Sie wirken wie Zuckerbrot und Peitsche. Wie die Peitsche
vermeiden wir Schmerzen, Angst vor Schmerzen, Verletzungen und
jede Art von Beeinträchtigungen von Bedürfnissen, und suchen
andererseits Glück wie das Zuckerbrot. Es gibt ein Kontinuum
zwischen Zuckerbrot und Peitsche, es ist das gleiche wie jenes
zwischen Unzufriedenheit und Zufriedenheit. Dazwischen ist die
Langweile – das Paradies, der Ort ohne Bedürfnisse, ohne Schmerzen
und ohne Lust?
Diesen Ort der Bedürfnislosigkeit gibt es kaum. Man braucht nur
zuzuwarten und es werden sich Bedingungen ändern: So müssen wir
z.B. Sorge tragen, dass wir nicht hungrig werden, nicht frieren – und
auch, dass wir uns nicht langweilen. So gibt es diesen
Zwischenbereich nicht, immer tauchen Bedürfnisse auf, die es zu
berücksichtigen gilt. Dabei ist es charakteristisch, dass unsere
Bedürfnisse hierarchisch gegliedert sind. Wer Hunger hat, spürt seine
Bedürfnisse nach Liebe nicht, (wer Angst hat, hat keine sexuellen
Bedürfnisse). Und der Hunger verschwindet ungestillt sofort, wenn
das Leben bedroht ist, nämlich das Bedürfnis nach Sicherheit verletzt
ist. Wer nicht hat, kann auch nicht sein. Brecht bringt es auf den
Punkt:
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Vom großen Brotlaib (Die Dreigroschenoper)
Erst kommt da Fressen, dann kommt die Moral.
Das Fressen (Mahagonny)
Erstens, vergesst nicht, kommt das Fressen
Zweitens kommt der Liebesakt.
Drittens das Boxen nicht vergessen
Viertens Saufen laut Kontrakt
Vor allem aber achtet scharf
Dass man hier alles tun dürfen darf...
Höhere Bedürfnisse sind solche der Moral und Selbstverwirklichung
(Dürfen dürfen).
Die Hierarchie der Bedürfnisse klärt auch, warum die Nächstenliebe –
obgleich fundamental – nicht immer praktiziert wird. Es ist leichter zu
geben, wenn man satt ist. Sind zu viele Bedürfnisse unerfüllt, fällt das
Gebens schwer. Menschen, die sich zu kurz gekommen fühlen,
können kaum geben, auch wenn sie noch so reich sind. Geben sie
doch, ist das Kalkül: „Ich kauf’ mir den!“ oder: „Ist ja doch egal!“ Mit
Nächstenliebe hat das nichts zu tun.
Unser Leben besteht aus einem Geflecht von wechselnden
Bedürfnissen, von genügend Luft bis zu Bedürfnissen der
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Selbstverwirklichung. Bedürfnisse werden gefühlt, damit sie
befriedigt werden können: Hunger, Kälte, Einsamkeit, Eifersucht,
Sinnlosigkeit. Würden sie nicht gefühlt, wäre Existenz, gar Wachstum
der Existenz, nicht möglich. Hier sind Gefühle Bewertungen von
Gleichgewichtsstörungen: etwas ist zu viel oder zu wenig. Darüber
hinaus gibt es Gefühle 2. Art, Gefühle der Bewertung von Gefühlen,
sie reichen von der Enttäuschung bis zur Erfüllung, vom Schmerz zum
Glück: nämlich vom Schmerz, damit wir ihm begegnen; zum Glück,
dass hoffen lässt, den Weg weist, Erfüllung verheißt.
Da es nun konfligierende Bedürfnisse gibt, ist auch die Erfüllung
schwierig: Was ist mir wichtiger, das Bedürfnis nach Ruhe oder das
Bedürfnis, meiner Frau zu gefallen, was manches Mal heißt, auf
meine Ruhe zu verzichten.
In der Psychotherapie gilt der Satz: „Unzufriedenheit liefert die
Energie zur Veränderung.“ Und manchmal reicht die Energie nicht,
nicht die Schwere der Unzufriedenheit: So kann es Aufgabe in der
Psychotherapie sein, das Ausmass der Unzufriedenheit deutlich zu
machen. Ein anderer Satz, der in der Psychotherapie gilt, ist die Frage
„Wie hast du das gemacht?“, wenn jemand von seiner Zufriedenheit
spricht. Beide Sätze sprechen die Selbstverantwortlichkeit an: Glück
ist machbar.
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Zur Theorie des Glücks
Rogers
geht davon aus, dass der voll entwickelte Mensch sich seinen
Gefühlen öffnet. Diese Öffnung bezieht sich in erster Linie auf die
Bedürfnisse des Menschen (siehe Bedürfnishierarchie).
Klienten zeichnen sich dadurch aus, dass sie diese Bedürfnisse (und
die Bewertung ihrer Befriedigung: Erfüllung oder Frustration) nicht
mehr wahrhaben wollen. Weder wollen sie die Schmerzen der
unerfüllten Bedürfnisse spüren, noch mögen sie der Erfüllung bisher
unerfüllten Hoffnungen nachhängen. Gefühle sind verdächtig, ihnen
wird mit Misstrauen begegnet, die Menschen verschließen sich ihnen.
Mit diesem Verschließen versagen sie sich alle Gefühle, denn es ist
nicht möglich, sich nur gezielt bestimmten Gefühlen zu entziehen,
sondern es ist immer nur möglich, sich überhaupt Gefühlen zu
verschließen, erwünschten oder unerwünschten. Umgekehrt ist die
Bereitschaft gesund, sich allen Gefühlen zu stellen. Diese
Öffnungsbereitschaft ist unteilbar, sie gilt immer allen Gefühlen, und
sowohl der Wahrnehmung der frustrierten Bedürfnisse als auch der
Wahrnehmung einer Erfüllung. Abwehr von Gefühlen bedeutet
Stagnation der Selbstaktualisierung (Selbstinkongruenz) und kann zu
emotionalen und körperlichen Störungen führen. Die
Öffnungsbereitschaft heilt.
Glück geschieht nur dann, wenn sich Menschen ihren Bedürfnissen
öffnen und den damit verbundenen Gefühlen (auch den
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schmerzlichen) und sich dann auch den Erfüllungen dieser
Bedürfnisse öffnet, auch wenn diese Erfüllung nicht vollständig ist.
Indem der Therapeut hilft, dass der Klient seine Bedürfnisse (und die
damit verbundenen Schmerzen) wahrnimmt, sozusagen gegen dessen
Abwehr, ermöglicht er dann auch, die Erfüllung zu erfahren. Diese
Erfüllung ist dann die Grundlage für das Glück (evolutionär: es ist die
Verstärkung der Glückssehnsucht, so dass der Organismus sich wieder
in die Lage versetzen möchte, seine Bedürfnisse befriedigt zu
bekommen, um wieder in den Zustand des Glücks zu gelangen).
So bedarf es der Paradoxie, dass der Therapeut dem Klienten hilft,
seine Bedürfnisse zu erfahren, auch gegen seine Angst vor
Schmerzen. Damit ist die Angstreduktion in der Beziehung der erste
Schritt gegen die mangelhafte Öffnungsbereitschaft, die ja (durch Symptome der
Inkongruenz)
den Klienten in die Therapie geführt hat. Der Klient muss die
Widerspruch akzeptieren, dass er zum Glück nur über den Schmerz
gelangt. Minette Walters beschreibt diese Angst treffend in ihrem
Roman Dunkle Kammern (Goldmann, Seite 166:)
„... es war ihre (der Heldin) Einsamkeit, die ihn (den Therapeuten) am
meisten beeindruckte. Er fragte sich, ob es ratsam oder überhaupt
möglich wäre, die eiserne Kontrolle zu lockern, die sie über ihre
Emotionen ausübte, denn er zweifelte daran, dass glücklich sein
überhaupt etwas war, das sie erstrebte. Sie könnte es nicht ertragen, so
verletzlich zu sein.“
Zur Notwendigkeit von Schmerzen
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Friedrich Nietzsche: „Solchen Menschen, die mich etwas angehen,
wünsche ich Leiden, Verlassenheit, Misshandlung, Entwürdigung ich wünsche, dass ihnen das Elend der Überwundenen nicht
unbekannt bleibt: ich habe kein Mitleid mit ihnen, weil ich ihnen das
Einzige wünsche, was heute beweisen kann, ob einer Wert hat, oder
nicht - dass er standhält.“ Standhalten: die Kränkung sehen, und
durchstehen, durchleiden, beweinen.
Das ist das Missverständnis: Der Versuch der Vermeidung von
Verletzungen ist legitim, nicht jedoch der Versuch, die damit
verbundenen Schmerzen, wenn nun die Verletzung stattgefunden hat,
zu vermeiden.
Die Kunst ist, Verletzungen zu vermeiden, aber geschehene
Verletzungen zu akzeptieren: durch Trauerarbeit: das ist Annahme des
Schmerzes und seines Ausdrucks.
Die fundamentale Rolle des Schmerzes und seines Ausdrucks erklärt
auch eine andere Paradoxie: Wir weinen bei Schmerzen - Warum
weinen wir auch bei Glück? Die Antwort ist: Wir weinen bei
Berührung, wenn etwas unsere Seele berührt, bei Rührung. Etwas
berührt uns, wenn es bis in die Tiefen unserer Seele reicht, wenn wir
uns dem öffnen, was uns widerfährt. Wieder gilt: Es ist die
Selbstöffnung, die uns sowohl weinen als auch Glück erfahren lässt.
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Belege
Verwöhnung
Diese Betrachtung erklärt das Phänomen der Verwöhnung: Verwöhnte
Menschen sind nicht mehr glücklich zu machen, da ihre Bedürfnisse
weitgehend befriedigt sind und eine Erfüllung erschwert ist, nicht
mehr wahrgenommen werden kann. Es erklärt auch das Phänomen des
Paradieses, das am Ende langweilig ist, weil das Bedürfnis nach
Erkenntnis, die Neugier unbefriedigt bleibt. Glück kann dann nur
erwartet werden, wenn das Paradies verlassen, d.h. wenn vom Baum
der Erkenntnis genascht wird. Wissen-Wollen ist die generelle
Unzufriedenheit mit dem derzeitigen Zustand und die permanente
Suche nach dem Glück, nach der Erfüllung, die im Paradies nicht
möglich ist.
Trevrizent, der Weise aus Parsival: Gott aber will, dass wir sehend
und wissend werden, darum schickt er uns in die Schule der Schuld.
(Ich zitiere gerne Worte, die Gott gesagt haben soll. Immerhin werden
ihm viele weise Worte in den Mund gelegt. Und ich liebe Weisheiten.)
Veränderung der Erwartungshaltung: Bescheidenheit
Wer erwartet, dass alle seine Wünsche in Erfüllung gehen, hängt einer
unrealistischen, kindlichen Kognition an: Wer sagt "Ich will alles
haben!“ sieht nur, dass das Glas halb leer ist und übersieht, dass es
halb voll ist.
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Leonardo da Vinci
Verachte mich nicht zu sehr! Ich bin nicht arm. Arm ist eher der, der
vieles wünscht.
Die Notwendigkeit der Bescheidenheit beschreibt vortrefflich Ernst
Jünger: „Ihr alle kennt die wilde Schwermut, die uns bei der
Erinnerung an Zeiten des Glückes ergreift. Wie unwiderruflich sind
sie doch dahin, und unbarmherziger sind wir von ihnen getrennt als
durch alle Entfernungen. Auch treten im Nachglanz die Bilder
lockender hervor; wir denken an sie wie an den Körper einer toten
Geliebten zurück, der tief in der Erde ruht und der uns nun gleich
einer Wüstenspiegelung in einer höheren und geistigeren Pracht
erschauern lässt. Und immer wieder tasten wir in unseren durstigen
Träumen dem Vergangenen in jeder Einzelheit, in jeder Falte nach.
Dann will es uns erscheinen, als hätten wir das Maß des Lebens und
der Liebe nicht bis zum Rande gefüllt gehabt, doch keine Reue bringt
das Versäumte zurück. O möchte dieses Gefühl uns doch für jeden
Augenblick des Glückes eine Lehre sein!
Und süßer noch wird die Erinnerung an unsere Mond- und
Sonnenjahre, wenn jäher Schrecken sie beendete. Dann erst begreifen
wir, wie sehr es schon ein Glücksfall für uns Menschen ist, wenn wir
in unseren kleinen Gemeinschaften dahinleben, unter friedlichem
Dach, bei guten Gesprächen und mit liebevollem Gruß am Morgen
und zur Nacht. Ach, stets zu spät erkennen wir, dass damit schon das
Füllhorn reich für uns geöffnet war.
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(Ernst Jünger: Auf den Marmorklippen 1938)
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Untrennbar zur Bescheidenheit: Dankbarkeit
Neben dieser Bescheidenheit, die Glück ermöglicht, ist es
Dankbarkeit, die mit der Erfahrung von Glück verbunden ist. Das
erklärt auch, warum die meisten Klienten am Beginn einer Therapie
undankbar zu sein scheinen: Sie bekommen nicht das, was sie
brauchen. Es gibt Therapien, die damit beginnen, dass die Klienten
spüren, dass sie etwas bekommen, was sie gebrauchen können, weil
sie für ihren Mangel offen sind, mindesten eine Ahnung davon haben.
Solche Klienten haben von Beginn an Gefühle der Dankbarkeit und
können das auch äußern. Bei anderen Klienten ist zu beobachten, dass
im Laufe der Therapie, meistens plötzlich und verbunden mit
Gefühlen des Glücks, mindestens der Zufriedenheit, Gefühle der
Dankbarkeit aufkommen. Dies erklärt auch, warum nach Beendigung
einer Therapie sehr häufig Briefe mit Dank von den Klienten
geschrieben werden. Verwöhnte Menschen sind nur eines formalen
Dankes fähig. Im Paradies gibt es keinen Dank. Der wäre nur möglich,
wenn ein Mangel hereinbräche, und dieser spürbar würde.
Emanuel Kant
Du bist nicht reich durch das, was du besitzest, sondern durch das,
worauf du mit Würde verzichten kannst.
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Zur Praxis:
Psychotherapie ist in diesem Sinne Glückssuche und die Paradoxie
besteht darin, dass der Klient sozusagen gegen seinen Entschluss, sich
seinen Gefühlen zu versagen, verführt werden muss, doch
hinzuschauen, was sich da rührt, egal wie schmerzhaft es ist. Der Weg
des Glücks für Klienten geht damit immer über den Weg des
Schmerzes (Eleonore von Straten-Sternberg: Der Hochofen des
Herzens ist der Schmerz.). Dieses Modell erklärt auch, warum wir
nicht immer im Paradies sein können. Empfindungen der Dankbarkeit,
des Glücks, der Erfüllung sind endlich (wie alle Affekte).
Das besonders Schwierige ist, dass auf dem Weg der Glückssuche die
derzeit bedeutsamen Mängel erlebt werden, ohne dass eine Erfüllung
winkt. Andererseits wird damit die Grundlage gelegt, dass, wann
immer ein wenig Erfüllung erreicht ist, diese auch empfunden werden
kann, so dass die Chance des Glücks sich eröffnet.
Das Spezifische der Gesprächspsychotherapie ist, dass es auf der
Beziehungsebene das einzige Bedürfnis in den Mittelpunkt rückt, das
der Mensch sich selbst nicht befriedigen kann: das Bedürfnis nach
Nähe. Es ist jenes, was menschliches Glück am meisten betrifft, da
hier immer auch Partner betroffen sind, und wenn auch nur in der
Phantasie. Klienten leiden darunter, dass sie in einer sensiblen Phase
ihrer Entwicklung eine inadäquate Beziehung zu ihrer Bezugsperson
vorfanden, d.h. eine Mutterfigur, die wenig empathisch und nur
bedingt wertschätzend gewesen ist. Die Arbeit des Therapeuten ist es,
diesen Mangel auszugleichen, d.h. dass er spezifische Forderungen
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und Bedürfnisse des Menschen nach Verstehen und damit nach
angemessener Nähe erfüllt. Damit ist es naheliegend, dass der
Therapeut das Objekt der Bedürfnisse nach Nähe des Klienten ist,
dass der Therapeut für ihn sehr wichtig werden kann und dass sich die
Bindungsgefühle (Liebe) auf ihn beziehen. So kann der Therapeut das
Ziel der Sehnsüchte des Klienten werden, auch wenn die
Nähebedürfnisse nur punktuell befriedigt werden.
Wenn nun der Klient sich so weit geöffnet hat, dass er seine
Bedürfnisse wahrnehmen kann und zugleich wahrnehmen kann, dass
diese Bedürfnisse (innerhalb oder außerhalb der Therapie) auch ein
wenig befriedigt werden, kann es zu Glücksgefühlen des Klienten
kommen. Bei schwer deprivierten Klienten ist dieses Gefühl neu und
umwerfend. Es reißt sie aus der Einsamkeit und wirft sie in die
Sehnsucht, die sich von der Einsamkeit dadurch unterscheidet, dass
sie zwar schmerzhaft, aber eben auch damit hoffnungsvoll
wahrgenommen werden kann. Die Einsamkeit ist ein Zurückziehen in
den Panzer und eine Abwehr von Gefühlen, wo weder Schmerz noch
andere Gefühle, gar Glück möglich sind. Sehnsucht ist ein Ausdruck
von Lebendigkeit, die auch genossen werden kann.
Der Schritt von der Einsamkeit zur Sehnsucht ist wesentlich, macht
die Menschen lebendig und ist die Basis der Erfüllung. Punktuell kann
der Therapeut des Klienten Sehnsucht erfüllen, damit glücklich
machen. Im günstigen Falle begibt sich der Klient auf die
Glückssuche, d.h. er wird versuchen, den unerreichbaren Therapeuten
durch einen anderen Menschen zu ersetzen, dem er sich auch öffnen
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kann, weil auch andere, hinreichend gesunde Menschen (wie der
Therapeut) der Empathie fähig sind.
Im ungünstigen Fall kommt es zum Klammern des Klienten, eine
Stufe der Entwicklung, häufig bei BorderlinePersönlichkeitsstörungen, die überwunden werden muss.
In dem aufgewühlten Zustand zwischen Schmerz und Glück sind dann
Briefe aus dem Urlaub wie folgender möglich: „Die Vorstellung, dass
Du irgendwo lebst und dass es Dich gibt und Du manchmal einen
Gedanken an mich verlierst, hilft mir, das Leben zu ertragen.“
Dieser Brief zeigt eine starke Leistung einer Borderline-Klientin, die
auf ihrem Weg ist. Reif ist diese Leistung nicht nur, weil sie eine
Öffnung gegenüber den Gefühlen zeigt, sondern auch, dass sie diese
Gefühle im Rahmen sehen kann, nämlich einer typische Falle für
Borderline-Patienten widersteht, der Gefährdung zu klammern.
Klammern resultiert aus dem Bedürfnis, endlich einen Menschen
gewonnen zu haben, der Bedürfnisse erfüllt, die ansonsten frustriert
wurden.
Die Theorie des Glücks erklärt, wie Phänomene des Klammerns, der
Liebe und der Erfüllung zu verstehen sind. Die Beziehung zum
Therapeuten wird beispielhaft sein, für Beziehungen, die der Klient
nun mit anderen Menschen mit verminderter Angst aufnehmen kann.
Wenn er offen ist für das Glück, das er in der Beziehung zum
Therapeuten erfährt, wird er sich auch öffnen können der Erfüllungen,
die andere Beziehungen zu bieten in de Lage sind, auch jene
Beziehungen, in denen die Gefühle bislang nicht zugelassen werden
konnten und eine Erfüllung damit unmöglich war.
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Generell: die Erfahrung von Bedürfnissen und ihrer Befriedigung ist
Erfüllung. Dieses Glück ist am ehesten verbunden mit einem
besonderem Bedürfnis, dem einzigen Bedürfnis, das der Mensch sich
nicht selbst erfüllen kann: Nähe. Es ist die Liebe in allen ihren
Erscheinungsbildern
Um Glück wird nicht gebetet, Glück ist Lohn für die gute
Bewältigung des Lebens, Erfüllung durch Weisheit.
Sich öffnen als Voraussetzung zum Glück:
Marc Aurel
Heb mich auf und wirf mich, wohin du willst! Denn ich werde auch
dort eine Seele haben, die zufrieden ist, wenn sie so sein und handeln
darf, wie es ihrer besonderen Veranlagung entspricht.
NN (Kulturrecycling)
Das Beste im Leben ist sowieso, sich ständig selbst zu überraschen.
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Organismische Aktualisierungstendenz
Sie ist gekennzeichnet durch primäre (nicht gelernte*) Bedürfnisse:
physikalische und physiologische Bedürfnisse:
atmosphärischer Druck, optimale Wärme
physische Sicherheit, Besitz, Ressourcen, Zeit
Stoffwechsel: Sauerstoff, Wasser, Nahrung
Physische Gesundheit, Unversehrtheit, Schmerzlosigkeit, Genuss
sensorische Reizung, Funktionslust, Sexualität, Erholung, Muße
Bewegung und Ruhe, Schlaf und Wachen (optimaler Wechsel)
Licht und Dunkelheit (optimaler Wechsel)
mentale Bedürfnisse:
Neugier, Transparenz, Anregung (Eustress - Flow),
Faszination: Angezogen werden, ohne zu wissen warum
Struktur, Ordnung, Grenzen, Kategorisierung,
Orientierung, Bedürfnis zu deuten, zu verstehen
Ästhetik, Vergnügen, Spaß
Kontinuität, Identität (Individualität: Ich-Sein), Selbstkonzept
Einfachheit, Widerspruchsfreiheit, Stringenz des Selbst
Selbstwirksamkeit
soziale Bedürfnisse:
Bezogenheit (Bezugsperson)
Bindung und Ablösung
Nähe / Liebe / Geborgenheit / Intimität
Empathie: für sich und für das Du
soziale Teilhabe, Zugehörigkeit, sexuelle Identität
soziale Kontrolle, Einfluss, Nepotismus
Sicherheit, Vertrauen, Gerechtigkeit
soziale Anerkennung: Sozialstatus / Respekt
Wertschätzung, Anerkennung durch andere: Achtung
Identität (Unverwechselbarkeit: Anders-Sein), Selbstwert
Wachstumsbedürfnisse (Bedürfnisse nach Selbstaktualisierung):
Selbstanerkennung: Selbstachtung
Selbstverwirklichung
Identität, Eins-Sein mit sich selbst im sozialen Kontext:
(Individualität plus Bezogenheit)
Autonomie (nicht: Autarkie)
Transpersonalität, Selbst-Transzendenz (Spiritualität?)
* Ein gelerntes Bedürfnis hingegen wäre der Wunsch nach Sicherheit durch
unangemessene Abgrenzung.
NB: Es gibt keine einfachen Bedürfnisse, sondern immer ein Bedürfnissystem,
d.h. ein System kohärenter sowie konfligierender Bedürfnisse.
Über die Regulierung der Bedürfniserfüllung ist die Herstellung von Glück immer
möglich.
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Klein, Stefan. Die Glücksformel. Rowohlt.
Dalai Lama. Der Weg zum Glück. Herder.
Gödtel, Reiner. Wege zum Glück. Universitas.
Minette Walters. Dunkle Kammern. Goldmann, Seite 166
Yalom, Irving D. (1989). Existentielle Psychotherapie
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