Zusammenfassung des Textes

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Simon Frith
Music and Identity
(aus: Questions of cultural Identity, Stuart Hall / Paul du Gay (Hrsg.), Sage, 1996)
Abstract
Dieser Artikel handelt davon, wie der Konsum von Musik Einfluss auf die
Bildung unserer Identität hat. Er beschäftigt sich infolgedessen mit Themen wie
Kulturangehörigkeit, Gemeinschaftsgefühl, Erfahrung, dem Verständnis des
eigenen Selbst und dem Zusammenspiel von Ästhetik und Ethik.
Schlagwörter
Musik, Identität, Gemeinschaft, Persönlichkeit, Gesellschaft, Kultur, Erfahrung,
Aktivität
Juliette Bendele, 0204216
Carina-Patricia Schierz, 0309609
696511 VO Medienpädagogik: Medienbildung, Medienkompetenz, Medienkultur
Univ.-Prof. Dr. Thomas A. Bauer, Institut für Publizistik und
Kommunikationswissenschaft, Universität Wien, WS 2004/2005
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Zusammenfassung des Textes
Akademische Studien zum Thema „Populärmusik“ gingen ursprünglich davon
aus, dass die Musik die Menschen und ihr soziales Umfeld widerspiegelt und
repräsentiert, also dass jede Gesellschaftsgruppe nur ihre eigene Musik produziert
und konsumiert. Man war also der Annahme, dass Kultur und Musik untrennbar
miteinander verbunden sind. Jedoch blieb durch diese eingeengte Sichtweise, dass
Musik nur innerhalb der eigenen gesellschaftlichen Grenzen produziert und
konsumiert wird, die Frage ungeklärt, wie es dann möglich sein kann, dass
Menschen auch Musik aus anderen Kulturkreisen konsumieren und einen
persönlichen Zugang zu ihr finden können.
Simon Frith behandelt in seinem Artikel „Music and Identity“ dieses Phänomen.
Er dreht die bisherigen Fragestellungen um, indem er der Musik nicht Grenzen
durch Herkunft, Gesellschaft, Geschlecht und Kultur setzt, sondern Musik als
etwas Eigenständiges betrachtet, das sehr wohl unabhängig von dem
gesellschaftlichen Umfeld, in dem es entsteht, sein kann. Musik wird zwar von
dem geformt, der sie macht, bekommt aber ein Eigenleben durch die Erfahrung
durch den Rezipienten. Es geht nicht darum, die äußeren Einflüsse durch die
Musik zu reflektieren, sondern darum, sich selbst in ihr und durch sie auf eine
gewisse Art zu erfahren. Musik „produziert“ die Leute, die sie hören (und dadurch
ihre eigene Identität), indem sie eine ästhetische Erfahrung kreiert und konstruiert,
die nur dann Sinn hat, wenn man als subjektive und kollektive Identität daran Teil
hat. Musik ermöglicht es, uns als Individuum und Teil einer Gemeinschaft zu
erfahren. Sie fördert das Soziale im Individuum und das Individuum im Sozialen.
Durch dieses Erleben und diese Erfahrung von Musik bildet sich unser „Selbst“.
Jedoch ist unser Selbst nur ein vorgestelltes Selbst; Identität ist nicht fest und
starr, sondern beweglich und veränderbar – kein Zustand, sondern ein Prozess.
„…identity is mobile, a process not a thing, a becoming not a being; (…) our
experience of music – of music making and music listening – is best understood as
an experience of this self-in-process.“1
1
Frith, Simon: Music and Identity. In: Hall, Stuart / du Gay, Paul (Hrsg.): Questions of cultural
identity. London: Sage, 1996. S. 109
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Wir können uns selbst in der Musik finden, uns aber ebenso gut in ihr verlieren.
Es kommt nicht zu einer Reflektion der Realität, sondern zu einer Ritualisierung
der Realität. Dieses Ritual erzeugt durch das Teilen von Glauben, Gedanken,
ethischen Codes und sozialen Ideologien ein Gemeinschaftsgefühl, selbst dann,
wenn wir die Musik alleine konsumieren. Die Gruppe selbst erfährt sich aber als
solche erst über diese gemeinsame kulturelle Aktivität, über das Teilen einer
gewissen Art von Erfahrung.
„…music, the experience of music for composer/performer and listener alike,
gives us a way of being in the world, a way of making sense of it.”2
Es besteht kein Zweifel daran, dass verschiedene Arten von Musik, verschiedene
musikalische Identitäten formen, aber wie die Musik arbeitet, um Identität zu
formen, ist die gleiche. Die Unterscheidung in „minderwertige“ und
„hochwertige“ Musik ist eigentlich unwesentlich. Denn ist es bei der
musikalischen Erfahrung nicht egal, ob man „minderwertige“ oder „hochwertige“
Musik konsumiert? Im Endeffekt geht es um dieses Gefühl der Erfahrung – der
Erfahrung von sich selbst und sich selbst als Teil einer Gemeinschaft. Ob das jetzt
durch sogenannte „minderwertige“ oder „hochwertige“ Musik geschieht, ist völlig
zweitrangig. Denn Musik ist und bleibt – egal welcher Art sie ist – eine
körperliche und spirituelle Erfahrung. Alle Arten von Musik kann man
letztendlich nur erleben und genießen durch das „Fühlen“. Es geht in beiden
Fällen um das subjektive Empfinden einer ästhetischen Sensibilität, der
Beziehung zwischen Gefühl, Wahrheit und Identität. Generell wird eine klare
Grenze gezogen zwischen dem Verständnis einer hohen Kunst, die nur einer
kleinen Elite von Menschen zugänglich ist, und einer Massenkunst, die den
Großteil der Bevölkerung anspricht. Für Frith ist das wirklich interessante nicht,
wie man die verschiedenen Musikrichtungen unterscheidet und kategorisiert,
sondern, ob man eine Trennung von der Aufnahme dieser Musikrichtungen
machen kann; ob die implizite Trennung von Emotion und Gefühl, Sinn und
Sinnlichkeit und von Körper und Geist zweckvoll ist. Denn die Wahrnehmung des
eigenen Selbst in der Musik ist immer das Zusammenspiel von sozialen,
materiellen und physischen Kräften.
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Ebd., S. 114
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Menschen produzieren das, was ihn ihren Möglichkeiten steht. Verschiedene
soziale Gruppen haben verschiedene Mittel, verschiedenes Wissen und
verschiedene Fähigkeiten, und all diese Faktoren prägen natürlich die Musik, die
sie produzieren. Aus der Sicht der Konsumenten machen die Menschen eine
bestimmte Musik, weil sie „gut klingt“. Und auch wenn Geschmack ein Produkt
sozialer Konditionierung und kommerzieller Manipulation ist – je mehr sich die
Musik unabhängig von den sozialen Kräften macht, die sie organisieren, desto
mehr gewinnt sie an ästhetischem Wert.
Erfolgreiche Populärmusik definiert ihren eigenen ästhetischen Standard.
Populärmusik ist nicht populär, weil sie etwas reflektiert oder authentisch einen
populären Geschmack formuliert, sondern weil sie unser Verständnis dafür formt,
was „Popularität“ ist, weil sie uns auf eine bestimmte Art und Weise in der
sozialen Welt platziert.
Die Aufnahme von Musik setzt sich aus zwei wichtigen Komponenten
zusammen, nämlich einer räumlichen und einer zeitlichen. Ursprünglich ging man
davon aus, dass Musik als eine der „performing arts“ (Musik, Theater, Tanz) im
Gegensatz zu den „fine arts“ (Literatur, Malerei, Bildhauerei) eine rein zeitliche
und somit begrenzte Erfahrung sei. Wobei auch andersherum die Annahme
vorherrschte, dass die „fine arts“ über den Gebrauch des Platzes bzw. Raumes
organisiert seien – eine räumliche Erfahrung also.
In zeitlicher Kunst wird der Wert der Arbeit als etwas Momentanes erfahren, und
es geht um den Prozess. Die subjektive Wahrnehmung und Bewertung im
Augenblick des Geschehens ist von Bedeutung. Man erkannte aber, dass das
Betrachten eines Bildes und das Lesen eines Buches oder Gedichtes auch in
einem zeitlichen Rahmen stattfinden und ebenso die Musik durch ihren Text und
ihren Klang eine räumliche Ebene besitzt. Das verbindende Konzept ist die
erzählend strukturierte Zeit und der temporäre Raum. So ist zwar in dem Moment
der Aufnahme Zeit wichtiger als Raum, Klang wichtiger als das Sehvermögen
und der Text bekommt eine Dynamik, doch man kann die zwei Komponenten von
Raum und Zeit nie vollständig trennen. Und, wenn die Erzählung den „fine arts“
ihre Dynamik verleiht, so gibt sie den „performing arts“ ihre Struktur. In dem
Moment der Aufnahme von Musik entsteht also eine Art „Schwanken“, eine
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Dynamik, nichts ist repräsentiert, dass nicht von dem Rezipienten als repräsentiert
wahrgenommen wird. Quasi ein „de te fabula narratur“3 – „von dir handelt die
Geschichte“ – also der Rezipient liest sich selbst und hört sich selbst mit, da er ein
Faktor des ganzen Prozesses der Aufnahme ist. Aus diesem Grund kann es in
diesem Fall auch nicht von so großer Wichtigkeit sein, die Kunstformen zu
unterscheiden, sondern die verschiedenen Annäherungen an die Kunstformen, da
ja hier das Subjekt sich selbst in dem Moment der Annäherung in ihr reflektiert.
Auch dann, wenn Musik abstrakt ist, kann sie uns eine Geschichte erzählen,
indem sie sich entweder in unser Verständnis von kultureller Logik integrieren
lässt, oder eben dadurch, dass sie es nicht tut. Durch das Verständnis von dieser
Ästhetik lässt sich ein Verständnis der Ethik ableiten. Das Wahrnehmen einer
„Geschichte“, wird sie nun tatsächlich erzählt oder lediglich subjektiv gefühlt, ist
die Vorraussetzung dafür, dass Musik den Anspruch erheben kann, einen
Zusammenhang mit dem Leben zu besitzen. Dadurch, dass der Rezipient der
Musik eine gewisse Authentizität zuschreibt, gewinnt sie für ihn von Bedeutung
und es kommt zu einer Übereinkunft zwischen Performer und Zuhörer, zu einer
„unausgesprochenen Absprache“.
Ebenso wie Musik in und mit der einzelnen Person eine Identität konstruiert und
Form verleiht, so bildet sie in Folge dessen ein ganzes Netz von Identitäten, da sie
ja nicht nur dem Einzelnen zugänglich ist. Musik überschreitet soziale Zwänge,
ebenso wie nationale Grenzen. Dadurch lokalisiert sie uns nicht an einem
kontinentalen Ort, sondern platziert uns in der sozialen Welt und diese Platzierung
muss nicht zwingend mit dem direkten globalen Umfeld übereinstimmen. Musik
symbolisiert und bietet die sofortige Erfahrung der kollektiven Identität, da unser
Selbst nicht greifbar, sondern nur vorstellbar ist. Identität ist immer ein Ideal, das
was wir gern sein würden, nicht das, was wir sind. Identität ist etwas, das wir
anziehen und ausprobieren.
„Identity, that is to say, comes from the outside not the inside; it is something we
put or try on, not something we reveal or discover.“4
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Eco, Umberto: Der Name der Rose. München: Süddeutsche Zeitung GmbH, 2004. S. 323
Frith, Simon, a.a.O., S.122
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Identität resultiert also daraus, dass wir uns nach außen über erfahrene äußere
Einflüsse definieren. So wie bei der Musik, die ja ihre Struktur durch das
Narrative erhält, wird auch unsere Identität durch viele Geschichten geformt und
die Art und Weise, wie diese Geschichten erzählt, reproduziert und reflektiert
werden verändert sich mit dem Lauf der Zeit, obwohl die Geschichten an sich
dieselben bleiben. Laut Jonathan Ree ist unsere Identität die Vollendung eines
Geschichtenerzählers.
„…that personal identity… is therefore the accomplishment of a storyteller,
rather than the attribute of a character.”5
Auswertung und Besprechung des Artikels
In der Medienpädagogik geht es um die Reflektion von Kommunikation.
Kommunikation ist die Ressource von Identität, Kultur und Gesellschaft.
Musik ist ein Medium zur Kommunikation – Musik bildet Identität.
Kommunikation ist die Vergemeinschaftung von Unterschieden. Erst durch dieses
Prinzip der Vergemeinschaftung machen Unterschiede überhaupt einen Sinn.
Wenn man sie nicht zusammenbringt, sind sie nicht vergleichbar.
Entähnlichung ist also ein sinnstiftendes Ergebnis von Kommunikation. Sie ist ein
positiv geeignetes Modell für eine Gesellschaft der Individualitäten. Die
Entähnlichung, Differenzierung und das Herauskristallisieren dieser Unterschiede
führt auch zur Bewertung von Musik.
Kultur ist ein Wertverständnis, eine Schablone, die wir dafür verwenden, um
Erlebtes und Reales analysieren und aufzunehmen. Musik ist auch etwas, das wir
durch unseren kulturellen Verstand aufnehmen. Die Musik ist somit ein Aspekt,
der unsere Identität und somit einen Teil unseres Lebens bildet.
All die verschiedenen Musikrichtungen kann man fast als „eigene Kultur“ oder
„eigene Gesellschaft“ ansehen: denn unter Menschen, die gemeinsam eine
Musikrichtung bevorzugen, kommt es zu einer Szenenbildung, indem sie sich von
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Ebd., S. 123
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anderen gesellschaftlichen Gruppen durch ihre typischen Szenecodes abgrenzen:
so passen sich etwa Kleidung, Sprache und Verhalten dieser Szene an und es
kommt zu gemeinsamen gesellschaftlichen Aktivitäten. Eine Zuordnung zu einer
Gruppe findet statt, über die man sich versucht, zu definieren – die es einem
ermöglicht, einen Platz in der Gesellschaft zu finden.
Musik lässt sich in alle möglichen Modelle einbauen, so zum Beispiel in die
„Stimulus-Response-Theorie“: jede Aktion führt zu einer Reaktion – Musikhören
bewirkt etwas in uns; wobei die Reaktion nicht unbedingt die sein muss, die der
Musiker von uns erwartet.
Kommunikation, Kultur und Gesellschaft stehen in einer Wechselwirkung
zueinander. So kann man Kommunikation als kulturellen Ausdruck der
Gesellschaft, Kultur als kommunikativen Ausdruck der Gesellschaft, Gesellschaft
als kulturellen Ausdruck von Kommunikation, und Gesellschaft als
kommunikativen Ausdruck der Kultur verstehen. Musik lässt sich mühelos in
diese Wechselwirkung integrieren, da sie ein Teilaspekt jedes einzelnen Faktors
ist.
Musik ist also ein Ausdruck unserer Kultur – Musik bildet an sich Kultur. Denn
Musik hat Anteil an der Gesellschaft und bildet Untergruppen dieser Gesellschaft.
Die Frage ist nicht, wie ich Musik machen muss, damit sie verstanden wird,
sonder wie ich Musik machen muss, damit ich verstanden werde. Ein Künstler
soll also nie seine Werte aufgeben, um erfolgreich zu sein.
Und genauso sollte man als Konsument nicht bestimmte Musik bevorzugen, nur
weil es die anderen auch tun.
Simon Friths Artikel zum Thema „Music and Identity“ ist zwar interessant, aber
er ist lediglich eine „Feststellung“, dass es das Phänomen des Zusammenspiels
von Musik und Identität gibt. Frith schneidet das Thema an, setzt das Thema fest,
aber als ausreichende Erklärung des Phänomens reicht der Artikel an sich nicht
aus. Frith bringt gute Erklärungsansätze und macht einen neugierig auf mehr.
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BIBLIOGRAPHIE
Primärliteratur
Frith, Simon: Music and Identity. In: Hall, Stuart / du Gay, Paul (Hrsg.):
Questions of cultural Identity. London: Sage, 1996. (S. 108 – 127)
Sekundärliteratur
Eco, Umberto: Der Name der Rose. München: Süddeutsche Zeitung GmbH, 2004.
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