Frederic Bayersburg Studienkennzahl: 033641 Matr. Nr.: 0304341 VO: Medienpädagogik Bei Univ. Prof. Dr. Thomas A. Bauer WS 04/05 Musik und Identität Kurze Inhaltsangabe In seinem Beitrag zu Jan Engelmanns Buch „Die kleinen Unterschiede“ beschäftigt sich Simon Frith mit dem Zusammenhang zwischen Musik und Identitätsbildung. Dabei möchte er einen Schritt weiter gehen, als nur die Annahme zu bestätigen, dass Sounds auf irgendeine Weise die Menschen widerspiegeln. Es reicht ihm nicht, einfach eine Verbindung zwischen einem musikalischen Werk und den sozialen Gruppierungen herzustellen, die es produzieren und konsumieren, alleine deshalb nicht, da wir in einem Zeitalter kultureller Plünderung leben, wo Musiken, die aus einem bestimmten Grund an einem bestimmten Ort gemacht werden, andernorts aus ganz anderen Gründen sofort vereinnahmt werden. Genauso ist seiner Meinung nach zu berücksichtigen, dass Musik, so sehr sie von den ursprünglichen Urhebern und Benutzern geformt wird, als Erfahrung ein Eigenleben annimmt. Es geht Frith nicht um die Frage, auf welche Weise ein Musikstück die Menschen repräsentiert, sondern darum, wie es eine musikalische, ästhetische Erfahrung herstellt und konstituiert, die wir nur verstehen können, in dem wir sowohl eine subjektive als auch eine kollektive Identität annehmen. Friths Argumente beruhen somit auf zwei Prämissen: Erstens, dass Identität beweglich ist und zweitens, dass unsere Erfahrung von Musik, Musikmachen und Musikhören, sich am besten als Erfahrung eines Selbst in einem Prozess verstehen lässt. Musik ist - wie Identität – gleichermaßen ein Gegenstand von Ethik und Ästhetik. Folgender Gedanke steht dabei im Mittelpunkt: Wenn Musik eine Metapher für Identität darstellt, dann ist das Selbst ein vorgestelltes Selbst, das sich nur als eine besondere Organisationsform sozialer, physischer und materieller Kräfte entwerfen lässt. Zusammenfassung Zu Begin der Arbeit befasst sich Frith mit dem „beweglichen Selbst“ und nähert sich dem Begriff der Identität. „Wenn man über Identität spricht, dann spricht man von einer bestimmten Art von Erfahrung, oder einer Weise, mit einer bestimmten Art von Erfahrung 1 Frederic Bayersburg Studienkennzahl: 033641 Matr. Nr.: 0304341 umzugehen. Identität ist keine Sache, sondern ein Prozess – ein Prozess der Erfahrung, der sich am deutlichsten als Musik erfassen lässt“.1 In diesem Sinne definiert Frith Musik als einen Schlüssel zur Identität. Die Erfahrung von Identität beschreibt gleichermaßen einen sozialen Prozess, eine Form von Interaktion, wie auch einen ästhetischen Prozess. Indem wir entscheiden, spielen und hören, was sich richtig anhört, drücken wir uns und damit unseren Sinn für Richtigkeit aus. Es geht hier nicht um die Feststellung, dass eine soziale Gruppe (beispielsweise Rapper aus den Ghettos) über Meinungen verfügt, die sie dann in ihrer Musik artikuliert, sondern dass Musik, eine ästhetische Praxis, als solche ein Verständnis für Gruppenstrukturen und Individualität gleichermaßen artikuliert, eine Grundlage, auf der sich ethische Codes und soziale Ideologien verstehen lassen. Damit ist gemeint, dass sich soziale Gruppen, nicht auf Werte einigen, die sich dann in ihren kulturellen Aktivitäten ausdrücken, sondern dass sie sich als Gruppen durch kulturelle Aktivitäten, durch ästhetische Urteile erst konstituieren. Ein weiterer Gedanke den Simon Frith mit einigen anderen Wissenschaftlern teilt, läuft darauf hinaus, dass es keinen Unterschied zwischen Hoch- und Populärkultur gibt, sobald man von Musik als ästhetischem Prozess spricht. Er meint dass unterschiedliche Formen musikalischer Praxis, unterschiedliche Formen musikalischer Identität hervorbringen, aber die Art und Weise, wie diese Musiken eine Identität formen ist die gleiche.2 Um dieses Argument zu veranschaulichen, zitiert Frith zwei Musikkritiker, Frank Koogan und Gregory Sandet, die jeweils aus dem Bereich der Hoch- und Populärkultur kommen, und untersucht die Unterschiede zwischen ihnen. Obwohl sich die Kritiker mit Genres auseinandersetzen, die unterschiedlicher nicht sein könnten (Rap und Klassik), findet sich bei beiden die gleiche Art der Interpretation – die Bewegung von der Musikbeschreibung über die Reaktion des Hörers hin zu Überlegungen über das Verhältnis zwischen Gefühl, Wahrheit und Identität. „Was beide Reaktionen miteinander verbindet, ist die Annahme, dass uns Musik, sowohl die Erfahrung von Musik für den Komponisten oder Performer als auch für den Hörer, eine Möglichkeit in die Hand gibt, uns in der Welt zu bewegen, eine Möglichkeit, diesen Prozess als sinnvoll zu erfahren“.3 Frith kommt hierbei zu dem Schluss, dass die Wertschätzung von Musik, ihrem Wesen nach ein Prozess der Identifikation der Musik ist, und dass die ästhetische Erwiderung notwendigerweise die Form einer ethischen Übereinstimmung annimmt. 1 Frith (1999), S. 153 Frith (1999), S. 155 3 Frith (1999), S. 158 2 2 Frederic Bayersburg Studienkennzahl: 033641 Matr. Nr.: 0304341 Die Verwischung der Grenze zwischen Hochkultur und Popkultur ist Friths Meinung nach eine Entwicklung der Postmoderne. Das Recycling von klassischer Musik als Pop und die Wiederverwendung von Pop als Kunst sollen eine generelle Veränderung ästhetischer Auffassungen markieren. Hierzu liefert Frith eine interessante These: „Wenn man die Debatten aus dem 18. Jahrhundert über die Bedeutung von Musik mit heutigen Debatten vergleicht, wird deutlich, dass eine Unterscheidung zwischen „high“ und „low“ (zwischen anspruchsvoll und seicht) überhaupt nicht das Wesen des Kunstobjektes oder seine Produktionsformen betrifft, sondern die unterschiedlichen Formen der Wahrnehmung. „Allen Unterscheidungen, die nach wie vor zwischen ernster und populärer Musik vorgenommen werden, liegt eine Annahme im Hinblick auf die Quellen zugrunde, die über den Wert der Musik bestimmen“.4 Es scheint als sei ernste Musik bedeutend, weil sie soziale Kräfte überschreitet; populäre Musik ästhetisch uninteressant, weil sie von ihnen determiniert bleibt. Das Anliegen des Autors läuft in die entgegengesetzte Richtung. Es geht ihm darum, den ästhetischen Wert aller Musiken, auch der Popularmusik, ernstzunehmen. Jeder Musiker hat seine musikalische Karriere einer Reihe von Entscheidungen zu verdanken, die sowohl von Seiten der Produzenten als auch der Konsumenten abhängig ist, die darüber entscheiden was gut ist. Das Resultat all dieser scheinbar individuellen Entscheidungen folgt einem Muster von Erfolg, Geschmack, Stil, das sich soziologisch erklären lässt, aber sie gehorchen auch einem Muster, das im individuellen Urteil wurzelt. Frith verweist darauf, dass man diese Urteile und Entscheidungen, mithilfe von Pierre Bourdieus Konzept des Geschmacks, auf ihre materiellen Bedingungen zurückführen kann. Auf diese Weise lassen sich allgemeine Muster des musikalischen Geschmacks und Gebrauchs beschreiben, aber die präzise Übereinstimmung zwischen Sounds und sozialen Gruppen bleibt unklar. Die soziale Funktion der populären Musik wird allgemein in ihrer Kommerzialität verortet – in den meisten Fällen kann man davon ausgehen, dass diese Musik gemacht wird, damit sie sich verkauft. Aus der Perspektive des Konsumenten bleibt jedoch unbestritten, dass Menschen ihre Musik machen, weil sie sich gut anhört, und selbst wenn musikalische Geschmacksentscheidungen unausweichlich ein Effekt sozialer Konditionierung und kommerzieller Manipulation sind, erklären sie sich ihre Vorliebe als etwas Besonderes. Jeder in der Popwelt weiss um die sozialen Kräfte, die über den durchschnittlichen Musikgeschmack entscheiden, aber eine gute Platte oder ein guter Song zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie oder er diese Kräfte überschreitet. 4 Frith (1999), S. 161 3 Frederic Bayersburg Studienkennzahl: 033641 Matr. Nr.: 0304341 Frith interpretiert diese Erkenntnisse so: „Popularmusik ist nicht populär, weil sie etwas reflektiert, irgendeinen populären Geschmack oder eine kollektive Erfahrung authentisch artikuliert, sondern weil sie unser Verständnis von dem konstituiert, was populär ist, weil sie uns auf besondere Weise in die Welt des Sozialen einführt. Wir sollten nicht untersuchen wie wahr oder wahrhaftig sich Musik zu etwas anderem verhält, sondern vielmehr, wie sie den Gedanken der Wahrheit oder Wahrhaftigkeit überhaupt herstellt – denn erfolgreiche Popmusik ist eine Musik, die ihre eigenen ästhetischen Standards definiert“.5 Die Begegnung mit Popmusik ist eine Erfahrung der Identität – indem man auf einen Song reagiert, wird man unwillkürlich in eine emotionale Allianz mit den Interpreten und ihren anderen Fans gezogen. Da Musik über Qualitäten der Abstraktheit verfügt, ist sie ihrem Wesen nach eine individualisierende Kunstform. Zugleich und auf ebenso signifikante Weise ist Musik ganz offensichtlich kollektiv. Musik, sei es Rock, Folklore, Kammermusik oder Techno, steht für, symbolisiert und offeriert die unmittelbare Erfahrung kollektiver Identität. Insofern kommt Identität von außen, nicht von innen, es handelt sich um einen Prozess, denn Identität ist eine Qualität, die wir annehmen, oder an der wir uns versuchen, also nichts was wir einfach nur offenbaren oder entdecken können.6 Hierbei handelt es sich auch schon um die Hauptthese in Friths Arbeit. Unsere Identität, unser Selbst, ist ein vorgestelltes Selbst, da wir es aus den unterschiedlichsten Richtungen von außen beziehen. Identität ist schon immer ein Ideal gewesen, also das, was wir sein wollen, und nicht, was wir sind. Die Musik verhilft uns dabei zu einer wirklichen Erfahrung von dem, was das Ideal sein könnte. Auswertung und Besprechung Als ich Simon Friths Text, Musik und Identität, zum ersten Mal gelesen habe, viel es mir zunächst etwas schwer eine Verbindung zur Medienpädagogik herzustellen. Es dauerte allerdings nicht lange, bis mir der Gedanke kam, dass auch Musik Kommunikation und Bestandteil der Medien ist (beziehungsweise durch die Vermittlung von Information selbst als Medium gesehen werden kann) – daher auch Relevanz für die Medienpädagogik besitzt. 5 6 Frith (1999), S. 164 Frith (1999), S. 164 4 Frederic Bayersburg Studienkennzahl: 033641 Matr. Nr.: 0304341 Der Autor stellt in dieser Arbeit die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Identitätsbildung und Musik und kommt zu dem Schluss, dass Identität von außen kommt und vereinnahmt wird, nicht von selbst konstituiert wird. Bezieht man sich auf Friths Aussage, dass Identität ein Ideal ist welches unter anderem durch Musik gebildet wird, so sollte es ein Anliegen der Medienpädagogik sein, mit Kontrollen von außen darauf zu achten das junge Menschen die richtigen Ideale annehmen (Bewährungspädagogischer Ansatz). Mir persönlich gefällt Simon Friths Text trotz seiner schwierigen wissenschaftlichen Sprache sehr gut, da er versucht klarzumachen, dass es beim genießen von Musik nicht um das Genre geht, es geht nur darum die Musik zu fühlen. Schlagwörter Das bewegliche Selbst Postmoderne Ethik Ästhetik Das vorgestellte Selbst Literatur Frith, Simon (1999): Musik und Identität, in: Jan Engelmann: Die kleinen Unterschiede. Der Cultural Studies-Reader. Campus, Frankfurt am Main, 1999. 5