1 Mein Schauspiel heute 00 Das Schauspiel hat die idealisierten Bedingungen eines naturwissenschaftlichen Experiments. Beider Merkmal ist die Künstlichkeit. 00 Schauspiele bestehen auf der Künstlichkeit des Experimentellen. 00 Die Idealisierung der Experimentbedingungen gilt für das naturwissenschaftliche wie für das künstlerische Experiment. 00 Idealisierung eines Stückes ist die Arbeit auf das ästhetische Urteil >schön< hin. 00 Bleibt die Idealisierung unzureichend, dann ist das Als-ob geschwächt. Die Folge ist, das >bedrohliche< oder >lächerliche< der Situation verhindert ein ästhetisches Urteil. 00 Die Fähigkeit zum ästhetischen Urteil über die Glaubwürdige Künstlichkeit ist die Katharsis, d. i. die Lösung aus der Abhängigkeit des unmittelbaren Einbezogenseins. 00 Die ästhetische Kultur braucht die Verzögerung zwischen Aktio und Reaktio, sie hebt die Unmittelbarkeit der Natur-Kausalität auf zugunsten einer verdelten, menschengemäßeren KulturNotwendigkeitsbeziehung. 00 Kulturen sind Experimente einer Menschengemäßheit, die über die Natur hinausgeht, sie vielleicht sogar überwindet. 00 Idealisierung ist die Veredlung der Experimentalbedingungen ohne Verfälschung der Erlebenswirklichkeit. 00 Experimente behalten trotz ihrer Wirklichkeitsnähe den Charakter der Wirklichkeitsabwicklung. 00 Idealisierung ist Veredlung der Ausgangsbedingungen eines Experiments auf eine >ja/nein<-, ein >schön/nicht-schön<- Urteil hin. 00 Der experimentelle Versuch beantwortet sich nur mit dem erkennenden Urteil >ja< oder >nein<, nicht aber begrifflich. Bei einem naturwissenschaftlichen Experiment >nickt< die Natur zustimmend oder sie tut es nicht. Die Begriffe erschöpfen sich in denen der Versuchsbedingungen. 00 Das ästhetische Urteil kann nur >schön< oder >nicht-schön< sein. Die begrifflichen Voraussetzungen des Experiments werden mit dem polaren Ausgang jeden Experiments bestätigt oder nicht. 2 00 Das ästhetische Urteil bestätigt nur die Form/Inhalt-Bewältigung der Vollkommenheit nach. 00 Vollkommenheit als Wirkung ist die Erhabenheit des Schönen. 00 Die Schönheit des Erhabenen ist das Erhabene der Schönheit. 00 Der Grad der Vollkommenheit ist eine Wirkungserfahrung, nicht aber eine Wahrheits-oder Falschheitsbestätigung. 00 Der Grad der Vollkommenheit ist eine Einschätzung der Glaubwürdigkeit des Experiments hinsichtlich seiner Relevanz bei der Bestimmung von Menschengemäßheit. 00 Glaubwürdigkeit ist das Heraustreten aus der institutionellen Deckung. 00 Die Künstlichkeit des Experimentellen ist das Als-ob, das für die ästhetische Wahrnehmung unverzichtbar ist. 00 Ohne das Als-ob wird alles bedrohlich oder lächerlich, in jedem Falle ästhetisch nicht wahrnehmbar. 00 Das Ästhetische ist die Transformation des Bedrohlichen ins Erhabene. Das Erhabene ist die nicht-mehr-existentiell-bedrohliche, schöne Wahrnehmung eines Problems. 00 Das Ästhetische ist die Transformation des Lächerlichen ins Schöne. Das Schöne ist die nicht-mehr-existentiell-lächerliche, schöne Wahrnehmung einer Frage, die als Schein-Problem auftritt. 00 Die Künstlichkeit hat Distanz zur Voraussetzung. Das, was uns unmittelbar bedroht, kann keine Kunst sein. 00 Erhaben ist das Unfaßbare aus der Distanz wahrgenommen und in die Künstlichkeit der Form gebracht. Das Unfaßbare, in die Form des Erhabenen gebracht, ist schön. 00 Alle Kulturen sind Experimente der Menschengemäßheit. Das Schauspiel ist das Experiment im Experiment. 00 Schauspiele sind Experimente der Aufdeckung des Menschentypischen in der Zeit. 00 Das Komische kennt Typen und Rollen, die Ver-Ernstung zeigt sich im Verlust des Typischen. Das Tragische kennt keine Rollen mehr. 3 00 Die aktuelle Philosophie ist die Wissenschaft der Probleme; d.h., sie formuliert jeweils in ihrer Zeit präzise neu, was für die Menschen unlösbar ist. Ein Schauspiel ist die Veranschaulichung eines Problems. Es bleibt stets offen 00 Ein Problem ist etwas auf immer Unlösbares. Es unterscheidet sich von der Frage, die zur Lösung führt, grundsätzlich eine Antwort erwartet. 00 Eine Frage leitet sich immer von einer schon bestehenden, aber nichtoffenliegenden Antwort ab. D.h.: Die Antwort ist die Voraussetzung einer Frage. 00 Ein Problem ist die Formulierung einer Unmöglichkeit. 00 Es ist eine die Lebensform der Intellektuellen, Probleme in Fragen umzuwandeln und falsche Fragen als Probleme zu deklarieren.