Krieg_der_Welten

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Proseminar: Science Fiction Hörspiele/Der Krieg der Welten
SS 1993
Seminarleiter: Dr. B. Doppler
Eine Radiosendung vom 30. Oktober 1938 und ihre Wirkungen
Medientheoretische Reflexionen zu Orson Welles' "Der Krieg der
Welten"
Rainer Lakmann
2. Semester, Magister Artium
Geschichte, Germanistik, Medienwissenschaft
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ............................................................................................ 2
1. Einleitung .................................................................................................... 3
2. Die Bedeutung des Rundfunks in den dreißiger Jahren ............................. 4
3. Das Hörspiel "Der Krieg der Welten" ........................................................ 5
3.1. Die Entstehung .............................................................................................. 5
3.2. Inhalt und Ablauf des Hörspiels .................................................................... 7
3.3. Direkte Reaktionen der Bevölkerung ............................................................ 9
4. Die Untersuchung...................................................................................... 12
4.1. Entstehung und Ablauf der Untersuchung................................................... 12
4.2. Die Ergebnisse der Untersuchung ............................................................... 14
4.2.1. Welche Ausmaße hatte die Panik? .............................................................. 14
4.2.2. Warum löste dieses Hörspiel im Gegensatz zu anderen Sendungen Furcht aus ?
............................................................................................................................... 14
4.2.3. Warum hielten diejenigen Hörer das Hörspiel für wahr, die den Hinweis zu
Beginn gehört hatten? ............................................................................................ 16
4.2.4. Warum glaubten einige Hörer an die Authenzität dieser Sendung und andere
nicht? ..................................................................................................................... 16
4.2.5. Warum brachen einige Hörer in Panik aus? ................................................ 18
5. Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse .................................. 20
5.1. Zusammenfassung ....................................................................................... 20
5.2. Fazit ............................................................................................................. 21
6. Literaturliste .............................................................................................. 22
3
1. Einleitung
Die Mobilisierung der Massen durch die Massenmedien, vor allem durch den Rundfunk,
kann man dabei nicht nur politisch verstehen, so wie Brecht es tat, sondern auch wortwörtlich.
Denn in der Geschichte der Massenmedien sind einige Radiosendungen verzeichnet, die bei
ihrer Ausstrahlung heftige Hörerreaktionen bis hin zur Panik auslösten:
1926 strahlte der englische Rundfunk am Vorabend eines Generalstreiks ein Hörspiel aus, in
dem von angeblichen Unruhen in London berichtet wurde, in deren Verlauf von Arbeitslosen
Big Ben in die Luft gesprengt, das Parlament gestürmt und sogar der Innenminister umgebracht
worden sei.
1930 wurde eine deutsche Sendung mit dem Titel Der Minister ist ermordet, die sich mit
dem 1922 auf Walther Rathenau verübten Attentat beschäftigte, als Bericht von einer
Ermordung des Außenministers Curtius mißverstanden.
1973 entstand in Südschweden eine Panik, als in einer erfundenen Nachrichtenmeldung ein
Atomunfall in einem Kernkraftwerk in Barsebäck beschrieben wurde2.
Als Paradigma in der Mediengeschichte, oder wie Eckhard Breitinger es nennt, als “cause
célèbre in der Geschichte der Massenmedien”3 gilt aber das Hörspiel The War of the Worlds
von Orson Welles, das am 30. Oktober 1938 von der CBS ausgestrahlt wurde und in weiten
Teilen der USA unter Tausenden von Hörern eine Panik hervorrief, weil die fiktiven
Ereignisse für Wirklichkeit gehalten wurden. Nicht nur die unerwartet heftige Fehlreaktion der
Bevölkerung, die den starken Einfluß der Massenmedien auf die Gesellschaft demonstrierte,
manifestiert den besonderen Charakter dieser Sendung, sondern auch die Tatsache, daß im
Anschluß daran von dem Sozialwissenschaftler Hadley Cantril zum erstenmal eine Analyse
über die Entstehung der Panik4 und die Wirkung des Mediums Rundfunk durchgeführt wurde.
Um zu ergründen, wodurch diese Panik ausgelöst wurde, muß die Komplexität des in vielfachen gesellschaftlichen, historischen und individuellen Bezügen stehenden Werks von Orson
Welles faßbar gemacht werden. Daher wird in der vorliegenden Arbeit die allgemeine Bedeutung des amerikanischen Rundfunks in den dreißiger Jahren erläutert, die Entstehung und der
Inhalt des Hörspiels beschrieben, ein Bild vom Ausmaß der Panik umrissen und schließlich
auf die Untersuchung von Hadley Cantril eingegangen.
1Zitiert
von H.M. Enzensberger, Baukasten, S. 420, aus: Brecht, Bertolt: Radiotheorie. Gesammelte Werke. Bd.
VIII (1932). S. 129ff.
2Vgl. dazu: K.E. Rosengren, Barsebäck.
3Aus: E. Breitinger, Halloween, S 147.
(von E. Barnouw, Golden Web, S. 88, zitiert aus: Cantril, Hadley: The Invasion from Mars. S. vii.)
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2. Die Bedeutung des Rundfunks in den dreißiger Jahren
Bevor auf das Hörspiel "Krieg der Welten" und die Untersuchung von Hadley Cantril eingegangen wird, soll zum besseren Verständnis der Stellenwert des Rundfunks und des Hörspiels
in den USA der dreißiger Jahre näher erläutert werden.
In den dreißiger Jahren nahm die Zahl der Radiogeräte stetig zu: Vor dem Börsencrash 1929
gab es in neun Millionen Haushalten Rundfunkapparate; 1930 wurden 10,5 Millionen Geräte
gezählt. 1938 hatten von den 32 Millionen Haushalten 27 Millionen einen oder mehrere Empfänger. 1940 gab es in 29,2 Millionen Haushalten insgesamt 54 Millionen Radios. Damit gab
es mehr Rundfunkgeräte als Telefone, Autos oder Zeitungen
.5
In den Enddreißigern hatte sich der Rundfunk als Nachrichten- und Unterhaltungsmedium
Nr. 1 profiliert. Nach neun Jahren Depression und Massenarbeitslosigkeit kam nun eine außenpolitische Bedrohung durch akute Kriegsgefahr hinzu: In Spanien tobte der Bürgerkrieg, Japan
griff China an, Österreich wurde besetzt, nach der Sudetenkrise tagte im September 1938 die
'Münchener Konferenz' zu Appeasementgesprächen.6
Der Rundfunk reagierte darauf mit Sondersendungen, Korrespondentenberichten7 und häufigen Sondermeldungen in Unterbrechung des regulären Programms. Der britische Premierminister erklärte im Rundfunk das 'Münchener Abkommen'. Präsident Roosevelt hielt über das Radio seine Ansprachen, die 'fireside chats', an das Volk.
Damit wurde der Rundfunk im Bewußtsein der Bevölkerung zum Inbegriff für Schnelligkeit,
Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit. Die Autoritätsgläubigkeit des Publikums, die allgemeine
Erwartung authentischer Informationen, übertrug sich auch auf die Unterhaltungssendungen.
Die Qualität der Unterhaltungsprogramme war allerdings nur mäßig, da sie fast ausnahmslos
auf die Verbreitung von Werbespots ausgerichtet waren. Aufgrund des Systems der
'commercial sponsorship', werbende Unternahmen finanzierten die Sendungen, setzte sich das
5Die
Zahlen stammen u.a. aus P. Hazard, Undiscovered Art, S. 222, und S. Lowery, Milestones, S. 59.
F.L. Allen wird diese Unsicherheit der Bevölkerung prägnant beschrieben:
6Von
(aus: F.L. Allen, Since Yesterday. S. 261.)
7Sehr populär waren die Korrespondentenberichte aus Europa des Starkommentators Hans Kaltenbronn. Vgl. dazu: E. Barnouw, Golden Web, S. 74-83.
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Programm überwiegend aus anspruchsloser und oberflächlicher Unterhaltung, star-shows,
variety programs und daytime serials, zusammen. Die überwiegende Mehrzahl der Hörspiele
bestand aus soap operas8, deren künstlerische Qualität sehr zu wünschen übrig ließ. Der
Hörfunk hatte für die meisten Beteiligten, Dramatiker, Skriptautoren, Akteure und Regisseure,
nur eine zweitrangige Funktion; er galt als Durchgangsstation zum Broadway oder nach
Hollywood.
Ausnahmen bildeten die Hörspiele von unabhängigen Gemeinde- und Universitätssendern
und die wenigen sustained programs9 der großen Rundfunkstationen, die nicht kommerziell
finanziert wurden. Die bekanntesten Programme dieser Art waren die Sendungen von Norman
Corwin, Words without Music und der Columbia Workshop, der NBC-Radioguild und das von
Orson Welles gegründete CBS Mercury Theater on the Air, auf das im nächsten Kapitel
eingegangen wird.
3. Das Hörspiel "Der Krieg der Welten"
3.1. Die Entstehung
Orson Welles war als Koproduzent, Regisseur und Sprecher der Hauptrolle die treibende
Kraft dieses Hörspiels. Welles10 wurde am 6. Mai 1915 in Chicago als Sohn eines Erfinders
und einer Musikerin geboren11. Als Kind lebte er unter Musikern, Malern und Schauspielern.
1930 machte er mit 16 Jahren eine erfolgreich verlaufende sketching tour durch Irland. Als
Welles nach Amerika zurückkehrte, war er nicht in der Lage, an diesen Erfolg anzuschließen
und durchlebte eine Phase der Frustration, bis er in New York den Theaterregisseur John
Houseman kennenlernte. Die beiden wurden Partner und inszenierten die Stücke Dr. Faustus
und Macbeth, die großes Aufsehen erregten12. Ihre nächste Arbeit, die Oper The Cradle Will
Rock, führte dazu, daß sie aus dem 'Federal Theater Project'13 ausgeschlossen wurden, da dem
'Federal Theater' die Oper zu linksradikal war.
8Soap,
weil sie zu 90% von Waschmittel- und Kosmetikfirmen finanziert wurden, opera, weil sie zumeist eine
sehr melodramatische, zu Tränen rührende Handlung besaßen. Vgl. dazu : A.P. Frank, Hörspiel. S. 31-32, und E.
Breitinger, Halloween, S. 148-149.
9Diese Programme wurden nicht kommerziell finanziert, sondern dank der persönlichen Energie einiger führender
Angestellten der Rundfunkstationen aus Prestigegründen selbst getragen.
10Die biographischen Daten sind zum gr. T. entnommen aus: E. Barnouw, Golden Web, S. 84-85.
11Er starb am 10. Oktober 1985.
12U.a. weil in Macbeth nur farbige Schauspieler auftraten.
13Zur Belebung des Kulturprogramms war vom 'Federal Theater' ein Projekt gegründet worden, das Künstler bei
ihrer Arbeit unterstützte.
6
Daraufhin gründeten Houseman und Welles das Mercury Theater. Als erstes Stück wurde Julius Caesar mit Schauspielern aufgeführt, die in Faschistenuniformen vor einer
Backsteinmauer agierten. Diese Produktion hatte einen so großen Erfolg, daß ihnen der
Radiosender CBS ein Angebot für eine eigene Sendung machte.
Seit Juni 1938 ging The Mercury Theater on Air jeden Sonntag zwischen 20 und 21 Uhr
(Eastern Standard Time) mit eigenen Hörspielproduktionen auf Sendung. Welles und Houseman suchten die Stücke aus und der Skriptautor Howard Koch, dessen Aufgabe bei CBS es
war, innerhalb weniger Tage Prosavorlagen in Hörspielmanuskripte umzuarbeiten, verfaßte die
sound transcripts.
Orson Welles erkannte schnell die Möglichkeiten des Rundfunks. In den meisten
Produktionen sprach er mit; er verfügte über eine vorzügliche Sprechstimme.
Das Programm war jedoch nicht sehr populär und besaß keinen Sponsor, da der Konkurrenzsender NBC zur gleichen Zeit die sehr beliebte Edgar Bergen Show mit den Komikern Edgar
Bergen und Charlie McCharthy, die sich zu der Zeit auf dem Höhepunkt ihrer Karriere befanden, ausstrahlte14.
Die Idee für Krieg der Welten stammte von Orson Welles. Howard Koch erhielt von ihm den,
erstmals 1898 in London veröffentlichten, Roman von H.G. Wells mit der Direktive, das
Skript in Form einer Nachrichtensendung anzulegen. Koch, der bei seiner Arbeit von
Produzent John Houseman überwacht wurde, begann mit der Umsetzung des Romans; doch
das Projekt stand auf der Kippe, als es zugunsten eines Stücks von George Bernhard Shaw
verschoben werden sollte. Nach rechtlichen Auseinandersetzungen mit Shaw kam Krieg der
Welten aber wieder als 17. Aufführung der Hörspielgruppe auf die Liste.
Der routinemäßige Ablauf war so, daß eine Woche lang von montags bis samstags für das
Hörspiel am Sonntag geprobt wurde. Zu Beginn der Woche wurden die Proben von Paul Stewart geleitet15; Welles kam mittwochs, hörte sich die Aufnahmen von den Proben am Dienstag
an und übernahm die Regie. Jedoch hatte es in diesem Fall keine Probe gegeben, da am Dienstag das Skript noch nicht fertig war. Koch hatte große Probleme damit, den Roman adäquat zu
übertragen und bat Houseman vergeblich darum, die Arbeit daran abbrechen zu können. Hätte
14Dem
Crossley survey of listeners zufolge hörten am 23. Oktober 1938 34,7 % die Edgar Bergen Show auf NBC
und nur 3,6 % das Programm von Houseman/Welles. (aus: S. Lowery, Milestones, S. 63.)
15Orson Welles arbeitete zu Beginn der Woche an Inszenierungen für das Mercury Theater, bereitete andere Hörspiele vor und flog regelmäßig mit dem Flugzeug von New York nach Chicago zu seiner Freundin.
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zu dieser Zeit ein ernsthaftes Alternativstück existiert, wäre Krieg der Welten aufgegeben worden16.
Bei der ersten vollständigen Probe am Donnerstag empfanden alle Beteiligten den Verlauf
der Handlung als zu langatmig; man versuchte dies zu beheben, indem der
Nachrichtencharakter noch mehr betont wurde. Koch fügte Anspielungen, u.a. auf den
Nationalsozialismus, und authentische Details, z.B. Namen von real existierenden Orten und
Institutionen, ein.
Die CBS verlangte zudem noch 38 Skriptänderungen, da ihr das Hörspiel als zu real erschien.
Beispielsweise mußte das "Museum of Natural History" umbenannt werden in "National
History Museum", "National Guard" in "Militia", "U.S. Weather Bureau" in "Government
Weather Bureau" oder "meteorological bureau"17. Damit sollte die künstliche Atmosphäre des
Hörspiels verstärkt werden, zum Unverständnis der Hörspielgruppe, der das Stück zu absurd
vorkam, um glaubwürdig zu wirken.
Samstag nachmittag wurde mit dem veränderten Skript und Hintergrundgeräuschen in Abwesenheit von Orson Welles geprobt. Am Abend wurde ihm von einem CBS-Mitarbeiter
berichtet, das Hörspiel sei nicht sehr gelungen:
3.2. Inhalt und Ablauf des Hörspiels
Howard Koch bekam von Orson Welles den Auftrag, den Wells-Roman in eine Nachrichtensendung umzuarbeiten. Später behauptete er, er habe nur H.G. Wells' Idee vom Einfall der
Marsianer und die Beschreibungen ihres Aussehens und ihrer Maschinen verwenden können;
alles andere habe er selbst erfunden und damit praktisch ein Originalhörspiel geschrieben.
Diese Behauptung trifft jedoch nicht zu. Koch übernahm außerdem die Zweiteilung der
Handlung: die Invasion, geschildert in sich überstürzendem Erzähltempo, und die Herrschaft
der Marsmenschen bis zu ihrem Ende, beschrieben in retardierendem Tempo. Beide Stücke
sind in einem dokumentarischen Stil verfaßt, das Geschehen ist in einem geographisch
16John
Houseman zufolge wäre die einzige Alternative ein Stück mit dem Titel "Lorna Doone", das von ihm aber
als langweilig eingestuft wurde, gewesen. (von S. Lowery, Milestones, zitiert aus: Houseman, John: The Men
from Mars. In: Harper's 168 [1948]. S. 76ff.)
17Beispiele entnommen aus: E. Barnouw, Golden Web, S. 85.
18Von S. Lowery, Milestones, S. 61, zitiert aus: siehe Anm. 16. S. 76.
19Aus: E. Breitinger, Halloween, S. 145, und S. Lowery, Milestones, S. 61.
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fixierten Raum verankert. Koch behielt die Grundintention des Romans bei, bürgerliche
Selbstsicherheit und Selbstzufriedenheit in Zweifel zu ziehen, wobei er geschickt die soziale
Unsicherheit in den Vereinigten Staaten in den dreißiger Jahren und die latente Kriegs- und
Existenzangst der Amerikaner ausnutzte. Außerdem wurden ganze Szenen, die Eingangsszene
und die Begegnung mit dem Artilleristen, übernommen.
Daneben ergeben sich Veränderungen durch Aktualisierungen; an die Stelle von Zeitungen,
Pferdedroschken und Kavallerie treten Rundfunk, Panzer, Autos und Flugzeuge. Die Begegnung mit dem Kuraten wurde wohl wegen ihrer antikirchlichen Tendenz ausgelassen. Dafür
wertete Koch die Begegnung mit dem Milizsoldaten wegen seines faschistisch anmutenden
Gedankenguts auf.
Der prägnante Unterschied liegt in der Form der Präsentation. Der epische Bericht von Wells'
Protagonisten wurde ersetzt durch radiospezifische Teile wie Nachricht, Interview und Reportage. Form und Inhalt des Hörspiels knüpften direkt an die Rundfunkberichterstattung der vorausgegangenen Wochen an20.
Um 20.00 Uhr fing die Sendung mit der Standardmusik der Hörspielreihe, ein Klavierstück
von Tschaikowsky, und einer Ansage der Radiostation an. Zu Beginn des Hörspiels berichtete
Orson Welles, daß seit Beginn des Jahrhunderts außerirdische Wesen das menschliche Leben
auf der Erde beobachtet hätten. Es folgte ein Wetterbericht, dann mehrere Umschaltungen zu
einem New Yorker Hotel, von wo Tanzmusik gesendet wurde. Dazwischen gab es erste Meldungen über Gasexplosionen auf dem Mars und ein Interview dazu mit dem angeblichen
Astronom Professor Pierson.
In diesen ersten Minuten wirkte das Hörspiel absolut glaubhaft; die Aktionen verliefen langsam, fast schon langweilig.
Um 20.11 Uhr kam dann die aktuelle Meldung, daß um 20.50 Uhr (!) in der Nähe von New
Jersey ein "feuriges Objekt" auf einer Farm gelandet sei.
Der Verlauf der Sendung nahm nun immer mehr an Geschwindigkeit zu; es folgte Meldung
auf Meldung, im systematischen Wechsel Sondernachrichten und ergänzende
Situationsberichte.
Innerhalb von 30 Minuten wurde gemeldet, wie Wesen vom Mars auf der Erde landeten, aus
ihrem Flugkörper stiegen, mit Hitzestrahlen und Giftgas die Menschen angriffen, die Armee
besiegten, die Kommunikations- und Verkehrswege lahmlegten und große Teile des Landes
(von E. Breitinger, Halloween, S. 149, zitiert aus: Cantril, Hadley: The Invasion from Mars. 2. Aufl. New York:
Harper & Row 1966. S. 159.)
9
besetzten. Es wurden große Militärverbände zusammengezogen, Kabinettsitzungen abgehalten
und verlustreiche Kämpfe am Boden und in der Luft ausgetragen.
Der Tenor der Meldungen lag bei der Unfaßbarkeit der Ereignisse und der Ratlosigkeit, wie
diesem jenseits aller Erwartungen liegenden Geschehen begegnet werden könnte; verstärkt
wurde dies durch die Augenzeugenberichte, die keine schlüssigen Informationen vermittelten,
sondern stets unter mysteriösen Umständen abgebrochen wurden21.
Während der Sendung erhielt der CBS-Kontrollraum einen Anruf von der Polizei: “What's
going on up there?” Ein Polizist versuchte sogar in das Aufnahmestudio einzudringen, wurde
aber von einem der Akteure wieder hinausbefördert. Um 20.31 wurde Davidson Taylor, der
CBS-Supervisor, alarmiert, da die Telefonzentrale des Senders wegen zahlreicher Anrufe blokkiert war und Gerüchte von Panikausbrüchen, Toten und Selbstmorden die Runde machten.
Von Taylor wurde verlangt, die Sendung für einen erklärenden Hinweis zu unterbrechen.
Den letzten Höhepunkt der Handlung bildeten die chiffrierten, unverständlichen Funksprüche
um 20.40 Uhr, nachdem der Bericht eines Reporters plötzlich abgebrochen war:
Danach herrschte absolute Stille, bis der von Taylor geforderte Hinweis der CBS gesendet
wurde, der auf die Fiktionalität der Sendung hinwies. Nach einer Unterbrechung kam noch einmal ein Hinweis.
Der letzte Teil des Hörspiels war klar als Fiktion erkennbar. Professor Pierson schilderte als
vermeintlich letzter Überlebender seine Aktionen und Emotionen, seinen Dialog mit einem
Fremden und seine Entdeckung, daß die Marsianer durch eine Infektion mit Bakterien zu Tode
gekommen waren. Zum Schluß wies Orson Welles darauf hin, das diese Sendung ein
"Halloween Boo", einer der derben Scherze am Vorabend des Allerheiligenfestes, gewesen sei.
Insgesamt wurden vier Hinweise ausgestrahlt, die das Stück als Hörspiel zu erkennen gaben,
der erste zu Beginn, der zweite und der dritte um 20.41 Uhr vor und nach der Unterbrechung
und einer zum Schluß.23
3.3. Direkte Reaktionen der Bevölkerung
(von E. Breitinger, Halloween, S.151, zitiert aus: Kaplan, M.A.: Radio and Poetry. New York 1949. S. 86.)
22Aus: W. Faulstich, War of the Worlds, S. 26.
23Interpretationen des Hörspiels findet man in: E. Breitinger, Halloween; Faulstich, Werner: Radiotheorie. Eine
Studie zum Hörspiel 'The War of the Worlds' (1938) von Orson Welles. Tübingen 1981; Gilbert, James B.:
Wars of the Worlds. In: Journal of Populare Culture 10 [1976]. Nr. 2. S. 326-336; Morson, Gary S.: The War
of the Well(e)s. In: Journal of Communication 29 [1979]. Nr. 3. S. 11-20.
10
Es gibt keine umfassenden Informationen über die Art und das Ausmaß der Reaktionen der
Bevölkerung, sondern nur anekdotenhaftes Material von einigen befragten Personen und aus
Zeitungsartikeln, welches man teilweise durchaus in Frage stellen kann und insgesamt den
Eindruck einer weitverbreiteten Panik vermittelt.24
Von Hadley Cantril wurden die Reaktionen so beschrieben:
Die stärksten Reaktionen wurden aus New Jersey gemeldet, wo die Marsmenschen angeblich
einmarschiert waren. In einem Wohnblock in Newark (New Jersey) rannten über zwanzig Familien aus ihren Wohnungen auf die Straße; die Gesichter aus Angst vor Gas mit nassen Tüchern verhüllt. In einer Messe beteten die Menschen um Erlösung vor dieser Katastrophe.
In New York flüchteten Hunderte von Menschen aus ihren Häusern. Die Bushaltestellen waren überfüllt, die Highways nach Philadelphia waren bereits um 20.30 derart verstopft, daß die
Polizei den Verkehr nicht mehr regeln konnte. Matrosen auf Ausgang erhielten den Befehl,
wieder auf ihre Schiffe zurückzukehren. In der Bronx kletterte ein Mann auf das Dach, als er
von der Invasion hörte und meinte, den über die Stadt ziehenden Rauch der Bomben sehen zu
können. Die New York Times bekam 875 Anrufe von verängstigten Personen26.
In Rhode Island riefen einige Leute beim dortigen Elektrizitätswerk an und verlangten, daß
alle Lichter abgeschaltet werden sollten, damit die Stadt im Dunkelen sicherer sei. Die dort
ansässige Zeitung Providence Journal bekam ebenfalls viele Anrufe von in Panik geratenen
Menschen.
In Indianapolis rannte eine Frau hysterisch schreiend in eine Kirche: “New York destroyed;
it's the end of the world. You might as well go home to die. I just heard it on the radio.” 27Der
gerade laufende Gottesdienst wurde schnell beendet.
In Boston registrierte der Boston Globe viele Telefonanrufe; eine Frau behauptete sogar,
Rauch und Feuer von Marsmenschen sehen zu können.
24Die
folgenden Beschreibungen der Reaktionen wurden entnommen aus: S. Lowery, Milestones, S. 66-67; F.L.
Allen, Since Yesterday, S. 262-263; E. Barnouw, Golden Web, S. 87-88; H. Cantril, Invasion, S. 199-200; P.D.
Hazard, Undiscovered Art, S. 225; L. Daniels, Fear, S. 144, und E. Breitinger, Halloween, S. 147-148.
25Aus: H. Cantril, Invasion, S. 199.
26Dagegen wurden während der 'Barsebäck Panik' nur sehr wenige Anrufe an Zeitungen, Radiostationen und Polizeistellen gezählt. Vgl. dazu: K.E. Rosengren, Barsebäck, S. 307, 311.
27Aus: F.L. Allen, Since yesterday. S. 262.
11
In Birmingham (Alabama) versammelten sich viele Menschen in Kirchen und beteten. Von
einem Campus im Südosten wurde folgendes berichtet:
In Pittsburgh kam ein Mann gegen 20.30 nach Hause und konnte seine Frau gerade noch
daran hindern, Selbstmord zu begehen: "I'd rather die this way than that.”29
In Concrete (Staat Washington) gab es in dem Moment, als im Hörspiel berichtet wurde, die
Marsianer würden die elektrischen Leitungen und die nationalen Energiequellen zerstören,
einen Stromausfall in der ganzen Stadt. Daraufhin entstand eine Massenhysterie; Frauen fielen
in Ohnmacht.
Das Büro der Presseagentur Associated Press (AP) in Kansas City erhielt Informationen über
angebliche Meteoriteneinschläge in Los Angeles, Salt Lake City, Beaumont (Texas) und St.
James (Missouri). AP schickte daraufhin eine erklärende Nachricht an alle Mitgliederblätter.
Insgesamt gab es keine ernsthaften Unfälle30 oder Tote, was bei dem geschilderten Ausmaß
der Reaktionen der Bevölkerung sehr verwunderlich erscheint31. Aber noch Wochen später
brachten die Zeitungen, auch im Ausland32, Artikel über die Panik.33 Orson Welles wurde von
den Journalisten scharf kritisiert; aufgebrachte Bürger lauerten ihm auf. Welles und Koch
beteuerten, mit diesen Reaktionen nicht gerechnet zu haben, obwohl vor allem Koch als
routinierter staff writer mit den Wirkungsmöglichkeiten und -mechanismen des Rundfunks
sehr vertraut war34.
28Aus:
S. Lowery, Milestones, S. 66.
siehe Anm. 28.
30Die einzige Ausnahme war eine junge Frau, die, sich auf der Flucht befindend, eine Treppe hinunterfiel und sich
dabei den Arm brach.
31Einige Jahre später wurden Adaptionen des Hörspiels Krieg der Welten in Chile und Peru ausgestrahlt. In Chile,
wo nun angeblich Santiago das Ziel der Marsmenschen war, gerieten Tausende von Menschen in Panik. Ein Mann
starb an Herzversagen; die Radiostation wurde geschlossen. In Peru waren die Reaktionen auf die Sendung nicht
so groß, da nur wenige ein Radio besaßen, dafür aber um so drastischer, die Rundfunkstation wurde angezündet
und brannte vollständig ab. Vgl. dazu: The Men From Mars. In: Newsweek vom 27. November 1944. S. 89.
32Auch die Nationalsozialisten ließen es sich nicht nehmen, die Vorfälle zu kommentieren. Vgl. dazu:" Hörspiel
verursacht Massenwahn. Eine Betrachtung mit Ironie und tieferer Bedeutung." und " Rundfunk-Hysterie in USA."
Beide in: Der Rundfunk. Blätter für nationalsozialistische Kulturgestaltung. Jg. 2 [1938]. H. 1. S. 39-40 bzw. H.
3. S. 66-67.
33Vgl. die Auswahl von Presseausschnitten in: The Day Orson Welles Frightened The World. In: Film Culture 27
[1962/63] und die Faksimilie-Abdrucke in: Koch, Howard: The Panic Broadcast. New York 1970.
34Mit der Schilderung seiner eigenen Reaktion auf die Gerüchte am Tag nach der Sendung deutet Koch ironisch
an, daß diese Beteuerungen wohl nicht ganz ernst gemeint waren:
29Aus:
12
Im nachhinein wurde in der Presse das Hörspiel primär als Warnung vor dem Schrecken
eines Expansionskrieges, ausgelöst von Hitler und Mussolini, gesehen. Ein Kommentator35
folgerte, daß mit den Reaktionen der Bevölkerung das Scheitern der Appeasementpolitik
erwiesen sei und forderte eine breite Unterstützung für Roosevelts verstärkte
Aufrüstungspolitik. Die bekannte Kolumnistin Dorothy Thompson36 bemerkte:
Die CBS erhielt zahllose Privatklagen auf Schadensersatz in Millionenhöhe, die jedoch alle
vor Gericht abgewehrt wurden, da sich der Sender darauf berufen konnte, vor ,während und
nach dem Hörspiel Hinweise gesendet zu haben38. Die CBS gab eine öffentliche
Entschuldigung ab und versprach, keine weiteren Hörspiele dieser Art mehr zu senden39. Von
der Federal Communications Commission, der staatlichen Aufsichtsbehörde für den
Rundfunk, wurde der Einsatz von fiktiven 'Vor-Ort-Reportagen' in Hörspielen verboten.
Das Mercury Theater on the Air schien nach diesen Reaktionen vor dem Aus zu stehen, doch
das Gegenteil trat ein; Sponsoren interessierten sich nun für diesen Sendeplatz, vor allem die
Suppenfabrik Campbell. Die Sendung erhielt einen hohen kommerziellen Status; aus dem
Mercury Theater on the Air ging das Campbell Playhouse hervor.40
4. Die Untersuchung
4.1. Entstehung und Ablauf der Untersuchung
(zitiert von E. Breitinger, Halloween, S. 145, aus: Koch, Howard: The Panic Broadcast. New York 1970.)
35Hugh S. Johnson in seinem Artikel " Mars Panic Useful" in Variety vom 2. 11. 1938.
36Dorothy Thompson in ihrem Kommentar "On the Record: Mr. Welles and Mass Dilution" in The New York
Tribune vom 2. 11. 1938.
37Aus: E. Breitinger, Halloween, S. 148, und F.L. Allen, Since Yesterday, S. 263.
38Eine Forderung wurde doch erfüllt. Ein Mann hatte an den Sender geschrieben:
Entgegen den Rat der Anwälte schickte die CBS ihm die Schuhe. (aus: S. Lowery, Milestones, S. 67.)
39Als 1941 der Angriff auf Pearl Harbour gemeldet wurde, hielten einige Hörer diese Meldung für einen ebensolchen Scherz.
40Welles, Houseman und Koch machten Karriere in der Filmindustrie. Welles drehte kurze Zeit später seinen
erfolgreichen Film "Citizen Kane". In dem Film "Der dritte Mann" spielte Joseph Cotton, einer der Sprecher aus
dem Hörspiel, neben ihm die Hauptrolle.
13
1937 wurde von der 'Rockefeller Stiftung' das Office of Radio Research of Princeton University gegründet. Diese Einrichtung, die die Aufgabe hatte, den Einfluß des Rundfunks auf
die amerikanischen Hörer zu untersuchen, erkannte nun die Chance, zum erstenmal panische
Reaktionen, ausgelöst durch ein Massenkommunikationsmedium, sozialwissenschaftlich
untersuchen zu können und entwickelte hastig einen Forschungsplan.
Obwohl die Vorgehensweisen der Wissenschaftler und deren Ergebnisse sehr umstritten waren, und noch sind41, und kontrovers diskutiert wurden, gilt die zum Schluß der Untersuchung
angefertigte Studie als ein Meilenstein in der Massenkommunikationsforschung. 1940 wurden
die Ergebnisse unter dem Titel "The Invasion from Mars" von Hadley Cantril und seinen
Mitarbeitern Hazel Gaudet und Herta Herzog42 veröffentlicht.
Die Untersuchung setzte sich drei Schwerpunkte:
 Wieviele Menschen hörten zu und wieviele davon gerieten in Panik?
 Warum war gerade dieses Hörspiel so furchteinflößend und andere Sendungen nicht?
 Warum löste dieses Hörspiel bei einigen Leuten Furcht aus und bei anderen nicht?
Es wurden verschiedene Techniken angewandt:
 Persönliche Interviews mit 135 Personen, von denen 107 zugaben, sich gefürchet zu haben.
 Zwei Umfragen: zum einen von der CBS in der Woche nach der Sendung unter 920 Leuten,
die das Hörspiel gehört hatten; zum anderen vom American Institute of Public Opinion (AIPO)
unter einigen tausend Erwachsenen sechs Wochen später.
 Auswertung von Briefen, die an CBS-Stationen, das Mercury Theater und die Federal
Communications Commission geschickt worden waren, und etwa 12.500 Zeitungsartikeln, die
sich mit dem Hörspiel befaßt hatten.
Es gab nur wenige Interviews, da nicht genügend Geld vorhanden war. Die Befragungen sollten nicht die Untersuchung dominieren, da man selbst keine repräsentative Umfrage durchführen konnte und wollte. Zudem klagten die Forscher über die Problematik der Gespräche, da
viele Leute nur widerwillig oder gar nicht zugegeben hätten, auf das Hörspiel hereingefallen zu
sein43. Kritiker der Untersuchung bemängelten die Planlosigkeit der Interviews und die
Verzögerungen von mehreren Wochen.
41Vgl.
dazu: K.E. Rosengren, Barsebäck.
Herzog verfaßte einige Jahre später auch einen Aufsatz darüber: Why Did People Believe in the
'Invasion from Mars'? In: Lazarsfeld, F. und M. Rosenberg (Hrsg.): The Language of Social Research. New York
1955. S. 420-428.
43Bei der ähnlich gelagerten Untersuchung der 'Barsebäck Panik' trat dieses Phänomen wider Erwarten der Forscher nicht auf, da durch die große Verbreitung der Panikausbrüche in den Medien eventuelle Schamgefühle der
Betroffenen verdrängt worden waren. Vgl. dazu: K.E. Rosengren, Barsebäck, S. 306.
42Herta
14
4.2. Die Ergebnisse der Untersuchung
44
4.2.1. Welche Ausmaße hatte die Panik?
Das AIPO kam nach seiner Umfrage zum Schluß, daß neun Millionen Erwachsene und drei
Millionen Kinder, insgesamt also zwölf Millionen Menschen zugehört hätten. Dagegen ermittelte C.E. Hooper45 eine Zahl von insgesamt vier Millionen Hörer.
Hadley Cantril entschied sich, die Zahl der Hörer mit sechs Millionen anzugeben. Dies galt
als eine sehr vorsichtige Schätzung, da die Forschungsmethoden der AIPO genauer waren und
auch Leute in kleinen Gemeinden und ohne Telefon berücksichtigten. Daher kann man wohl
davon ausgehen, daß die Zahl der Hörer näher bei zwölf als bei vier Millionen lag.
Dem AIPO zufolge hielten 28% der Hörer die Sendung für authentisch, davon gerieten 70%
in Panik. Bei sechs Millionen Hörer wären dies demnach 1,7 Millionen, die dem Hörspiel
glaubten, und 1,2 Millionen, die daraufhin panisch reagierten. Anderen Schätzungen zufolge
wurden nur eine Million Menschen erschreckt.
4.2.2. Warum löste dieses Hörspiel im Gegensatz zu anderen Sendungen
Furcht aus ?
Dafür wurden verschiedene Gründe angeführt:
 Die dramatische Qualität des Hörspiels mit einer ungewöhnlich realistischen Darstellung.
Auch für gebildete und gut informierte Hörer wirkte die Handlung glaubwürdig, vor allem der
erste Teil, der sich innerhalb der bestehenden Bewertungsmaßstäbe der Zuhörer abspielte.
 Das Prestige des Rundfunks als anerkanntes Mittel für die Verbreitung von wichtigen Informationen. Ein großer Teil der Bevölkerung, vor allem aus den unteren Einkommens- und Bildungsschichten vertraute dem Radio mehr als den Zeitungen:
 Der Einsatz von 'Experten' verlieh dem Hörspiel große Glaubwürdigkeit. In Situationen,
wenn Ereignisse schwer begreiflich sind, vertraut der Laie auf die Erklärungen und Interpreta44Bei
der Aufzählung der Ergebnisse stütze ich mich auf: S. Lowery, Milestones, S. 70-81, und H. Cantril, Invasion, S. 199-212.
45C.E. Hooper war ein Institut, das regelmäßig die Einschaltquoten in Hinblick auf die Reichweite von Werbespots ermittelte.
46Alle Zitate wurden, soweit nicht anders gekennzeichnet, von S. Lowery, Milestones, S. 71-79, entnommen aus:
Cantril, Hadley: The Invasion from Mars. A Study in the Psychology of Panic. Princeton/New York: Princeton
University Press 1940 .
15
tionen der Experten; in diesem Fall die Astronomen Professor Farrell vom Mount Jennings
Observatorium in Chicago, die Hauptfigur Professor Pierson vom Princeton Observatorium,
Professor Morse von der MacMillan Universität in Toronto, Professor Indellkoffer von der
kalifornischen astronomischen Gesellschaft und Wissenschaftler aus England, Frankreich und
Deutschland. Als die Situation organisierter Handlung und Verteidigung bedurfte, wurden
noch mehr Experten eingeführt: General Montgomery Smith von der staatlichen Miliz, Mr.
Harry McDonald vom 'Roten Kreuz', Captain Lansing von der Nachrichtentruppe und der
Innenminister beschrieben die Lage, gaben Befehle für die Evakuierung und den Angriff oder
beschworen jeden, seine Pflicht zu tun. Diese Technik, die auf die Autoritätshörigkeit der
Bevölkerung setzte, war wirkungsvoll:
 Die Verstärkung der Realistik durch Beschreibungen, die sich der Hörer leicht vorstellen
konnte. Es wurde Gebrauch gemacht von Ausdrücken, die bei solchen Gelegenheiten erwartet
wurden, z. B.: “Look, the darn thing's unscrewing !”, “It's red hot, they'll burn to a cinder!”47
Die Stellungnahmen der Experten wurden im sprachlichen Duktus üblichen offiziellen Verlautbarungen nachgebildet, um beim Zuhörer Hörgewohnheiten anzusprechen. Als Beispiel für
die Genauigkeit im Detail kann man die Ansage von General Smith (21. Minute), daß die
ganze Region unter Kriegsrecht stünde, anführen:
Als von den weniger glaubhaften Ereignissen die Rede war, gab der Reporter zu erkennen,
daß es auch ihm schwerfiel, dies zu glauben: “... well, I've never seen anything like this.”, “...
this - fantastic scene.”, “... this is the most terrifying scene I've ever witnessed.”, “This is the
most extraordinary experience. I can't find words.”49 Damit übertrug sich die Bestürzung des
Augenzeugen auf den Zuhörer.
47Aus:
W. Faulstich, War of the Worlds, S. 17.
siehe Anm. 47. S. 19.
49Aus: siehe Anm. 47. S. 15-18.
48Aus:
16
 Der Gebrauch von real vorhandenen Ortsnamen. Daher waren vor allem die Hörer aus New
Jersey und New York verängstigt. Aber auch andere Hörer, die nicht dort lebten, erkannten die
Ortsbezeichnungen und glaubten daher an die Authenzität:
 Ein wesentlicher, nach Ansicht von Cantril der entscheidene Grund für das Mißverständnis
war zu spätes Einschalten. 42% der in der CBS-Umfrage erfaßten Personen hatten zu spät eingeschaltet, davon hielten 63% das Hörspiel für wahr, von den pünktlichen Einschaltern waren
es nur 20%.
Als um 20.12 in der Edgar Bergen Show eine unpopuläre Sängerin auftrat, gingen viele der
Angewohnheit des 'dial-twisting' nach, wechselten die Station und verpaßten somit den
erklärenden Hinweis zu Beginn des Hörspiels. Andere schalteten das Radio erst ein, als sie von
aufgeregten Bekannten dazu aufgefordert wurden.
4.2.3. Warum hielten diejenigen Hörer das Hörspiel für wahr, die den Hinweis zu Beginn gehört hatten?
Einige dachten, das Hörspiel sei für eine aktuelle Nachrichtensendung unterbrochen worden.
Aktuelle Einschübe gehörten zum Radioalltag in den politischen Krisen vor Oktober:
Andere hatten gar nicht auf die Hinweise geachtet. Aufgrund der vielen Unterbrechungen des
Programms für Nachrichten, Werbung und Stationshinweise hörten sie nur dann richtig hin,
wenn interessante Dinge gemeldet wurden:
4.2.4. Warum glaubten einige Hörer an die Authenzität dieser Sendung und
andere nicht?
17
Von Cantril wurden die Hörer in vier Kategorien aufgeteilt:
 Hörer, die die Fiktionalität der Sendung erkannten:
 Hörer, die anhand anderer Informationen die Sendung als Hörspiel identifizierten. Ihnen
kam die Handlung unglaubwürdig vor und prüften deren Wahrheitsgehalt durch Umschalten
auf andere Stationen oder indem sie ins Radioprogramm der Zeitung schauten. Einige dachten,
daß die Berichte zu fantastisch seien, um geglaubt werden zu können; andere entdeckten die
unglaubliche Schnelligkeit, mit der vorgegangen wurde; während einige Hörer einfach das
Programm prüften, weil es das Vernünftigste war, das man tun konnte. Sie bestätigten ihre
Vermutungen, indem sie die Nachrichten aus der Sendung mit anderen Informationen
verglichen:
 Hörer, die versuchten, den Wahrheitsgehalt der Sendung durch andere Informationen zu
überprüfen und dann trotzdem daran glaubten. Sie wußten nicht, wie sie vorgehen sollten und
prüften nur planlos und halbherzig, z. B. indem sie aus dem Fenster blickten oder vor die Tür
gingen. Die dabei wahrgenommenen Dinge bestätigten nur die vorherige Interpretation:
18
 Hörer, die keinen Versuch der Überprüfung machten, weil sie...
 vor Angst gar nicht daran dachten:
 der Resignation verfielen; eine Überprüfung erschien ihnen als sinnlos:
 nicht länger warten, sondern handeln wollten. Sie bereiteten sich sofort auf Flucht oder Tod
vor:
 die Sendung so deuteten, daß sie nicht an einer Überprüfung interessiert waren. Sie hatten
entscheidene Szenen verpaßt und erkannten nur die Tatsache, daß ein Konflikt im Gange war.
Einige verbanden keine persönliche Gefahr damit:
4.2.5. Warum brachen einige Hörer in Panik aus?
Die Wissenschaftler meinten, verschiedene Einflüsse und Bedingungen mit der Panik verbinden zu können. Personen, die das Hörspiel für wahr hielten und in Panik gerieten, wurden von
ihnen als 'sehr beeinflußbar' eingestuft, diese Menschen glaubten alles, was sie hörten. Diejeni-
19
Fähigkeit'50;
gen, die der Sendung nicht für wahr hielten, besaßen die sogenannte 'kritische
sie
waren in der Lage, die Informationen kritisch zu verarbeiten und zu beurteilen. Die Beeinflußbarkeit eines Menschen ist nicht meßbar; die Forscher filterten aber bestimmte Faktoren
heraus, die die kritische Fähigkeit der Hörer beeinflußten:
 Fehlende Schulbildung. Fehlende Information und Bildung ließ viele Zuhörer ohne
allgemeine Bewertungsmaßstäbe. Je größer die Möglichkeit zur Überprüfung anhand
verschiedener verläßlicher Bewertungsmaßstäbe ist, desto weniger beeinflußbar ist eine
Person.51
Starke Religiösität. Menschen, die daran glaubten, daß Gott das Schicksal der Menschen
leitet und kontrolliert, hielten den Einfall der Marsmenschen für den Willen Gottes und den
nahe bevorstehenden Weltuntergang.
 Persönliche Faktoren. Die Hörer waren beeinflußt aufgrund von emotionalen
Unsicherheiten und Ängsten oder wegen Mangel an Selbstvertrauen.
 Kriegsangst. Einige waren durch die Schrecken des ersten Weltkriegs so beeinflußt worden,
daß sie glaubten, der Angriff einer fremden Macht, egal ob Japaner, Deutsche oder Marsianer,
stünde bevor und eine Invasion sei nicht unwahrscheinlich.
 Die wirtschaftliche Unsicherheit. Die langen wirtschaftlichen Schwankungen beunruhigten
viele Menschen. Das Fehlen eines stabilen wirtschaftlichen und politischen Bezugrahmens erzeugte bei ihnen ein psychologisches Ungleichgewicht.
 Falsche Bewertungsmaßstäbe. Viele Hörer unternahmen hastig Prüfungen im Geist oder in
der Tat, aber der falsche Bewertungsmaßstab, den sie sich angeeignet hatten, war so überzeugend, daß ihre Prüfungsergebnisse als bestätigende Beweise umgedeutet wurden. Zum Beispiel
fiel einer Frau die unglaubwürdige Geschwindigkeit auf, mit der die verkohlte Leiche des
Reporters Carl Phillips gefunden worden war, aber sie nahm an, daß der Ansager aufgeregt sei
50Hadley Cantril
definierte die 'kritische Fähigkeit' so:
(zitiert von S. Lowery, Milestones, S. 78, aus: Cantril, Hadley: siehe Anm. 46.)
51Im Gegensatz dazu wurde von den Erforschern der 'Barsebäck Panik' festgestellt, daß soziale Faktoren wie Geschlecht, Schulbildung und soziale Klassenzugehörigkeit genauso wie das Verhältnis der Schweden zum Rundfunk nur eine untergeordnete Rolle beim Entstehen der Panik gespielt hatten. Vgl. dazu K.E. Rosengren, Barsebäck, S. 308-310.
20
und einen Fehler gemacht habe. Andere, die auf andere Sender umschalteten und dort nichts
von einer Invasion vernahmen, glaubten, daß die Stationen absichtlich versuchten, die Hörer
zu beruhigen. Als eine Frau aus dem Fenster blickte und ein grünes Licht sah, meinte sie, es
stamme von den Marsianern52.
 Art und Weise des Zuhörens. Wer von einer aufgeregten Person informiert wurde, zu der er
Vertrauen hatte, ließ sich eher beeinflussen:
5. Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse
5.1. Zusammenfassung
Am 30. Oktober 1938 wurde vom amerikanischen Radiosender CBS eine Sendung mit dem
Titel The War of the Worlds ausgestrahlt, die in Nachrichtenform über eine angebliche
Invasion von Marsmenschen berichtete. Dieses Hörspiel war von Orson Welles und John
Houseman produziert und von Howard Koch nach dem gleichnamigen Roman von H.G. Wells
verfaßt worden.
Mindestens sechs Millionen Amerikaner hörten die Sendung, wenigstens eine Million davon
wurde in Panik versetzt. Eine vom Sozialwissenschaftler Hadley Cantril geleitete
Untersuchung erforschte die Ursachen dieser Panik und veröffentlichte die Ergebnisse in einer
Studie.
Die wichtigsten Faktoren, die zur Glaubwürdigkeit des Hörspiels führten, waren:
 das Vertrauen, das die Bevölkerung dem Rundfunk schenkte. Das Radio hatte sich in den
dreißiger Jahren zur bedeutendsten Informationsquelle der Amerikaner entwickelt, besonders
während der politischen Wirren des Jahres 1938.
 der Zeitpunkt der Ausstrahlung. Die USA steckte in einer langen wirtschaftlichen Depression, als nun auch noch außenpolitische Gefahren drohten und die Menschen sehr
beunruhigten.
 die dramatische Qualität des Hörspiels. Die ungewöhnlich realistische Darstellung wurde
verstärkt durch Einsatz von 'Vor-Ort-Reportagen' und 'Experten'.
52Beispiele
entnommen aus: H. Cantril, Invasion, S .208.
21
 zu spätes Einschalten. Dadurch versäumten die Hörer den erklärenden Hinweis zu Beginn.
Die Wissenschaftler ergründeten weiterhin, weshalb der Rundfunk auf einige Hörer so
großen Einfluß nehmen konnte, daß sie in Panik verfielen:
 Menschen mit der 'kritischen Fähigkeit' waren in der Lage, die Sendung kritisch zu
beurteilen und als Fiktion zu identifizieren.
 Leuten mit mangelnder Schulbildung fehlten allgemeine Bewertungsmaßstäbe, um eine
differenzierte Überprüfung vornehmen zu können.
 Sehr religiöse Menschen hielten die beschriebenen Vorgänge für den lange erwarteten Eintritt des Weltuntergangs.
 Persönliche Faktoren wie Kriegsangst, Resignation und Selbstunsicherheit führten bei
unterschiedlichen Anlässen schnell zu Panikausbrüchen.
 Wer von einer ihm nahestehenden Person negativ beeinflußt oder durch eine besondere Situation in seinem Denken beeinträchtigt wurde, war in diesem Moment nicht fähig, seine
'kritische Fähigkeit' einzusetzen.
5.2. Fazit
Die Vorgänge vom 30. Oktober genießen einen hohen Stellenwert in der historischen
Betrachtung der Medien und ihrer Wirkungsweise.
Durch Berichte der Massenmedien und von Augen-(bzw. Ohren-)zeugen wurde der Eindruck
einer bis heute nahezu beispiellosen Massenpanik erzeugt, so daß selbst der angesehene
Sozialwissenschaftler Irwin Rosow zu dem Ergebnis kam:
Ob allerdings das eifrig verbreitete Bild von der kollektiven Panik zutreffend ist, darf mit
Recht bezweifelt werden. Cantril gab die Menge der in Angst und Schrecken versetzten
Personen mit 1,2 Millionen an; die Quote hätte demnach bei einer Einwohnerzahl der USA
von über 120 Millionen54 bei unter zwei Prozent gelegen; wohl kaum ein Wert, den man mit
halb Amerika gleichsetzen kann.
Nicht zu Unrecht kamen die Erforscher der ähnlich gelagerten 'Barsebäck Panik' zu dem
Schluß, daß es zwei verschiedene Arten von panischen Reaktionen gibt: die tatsächlichen und
die von Journalisten beschriebenen.55
53Von
K.E. Rosengren, Barsebäck, S. 303-304, zitiert aus: Rosow, Irwin: The Social Context of the Aging Self.
In: The Gerontologist 1 [1973]. S. 82-87.
541930 wurden 123 Millionen Bewohner der USA gezählt.
55Vgl. dazu: K.E. Rosengren, Barsebäck, S. 315-318.
22
Dennoch ist auch die Zahl von über einer Million in Panik geratenen Amerikanern recht bedeutsam, macht sie doch aufmerksam auf den starken Einfluß der Massenmedien auf die
Bevölkerung, auf uns, und auf die Gefahr einer Manipulation, die bei Mißbrauch der Medien
entsteht.
6. Literaturliste
 Allen, Frederick L.: Since Yesterday. The 1930s in America. New York: Perennial Library
1939.
 Barnouw, Eric: The Golden Web. A History of Broadcasting in the United States. Bd. 2.
New York: Oxford University Press 1968.
 Breitinger, Eckhard: A Halloween Boo! Selbstironisches Spiel mit dem Medium Rundfunk
in Orson Welles' Adaption von H.G. Wells' "The War of the Worlds". In: Schröder, Konrad
und F.-R. Weller (Hrsg.): Literatur im Fremdsprachenunterricht. Beiträge zur Theorie des Literaturunterrichts und zur Praxis der Literaturvermittlung im Fremdsprachenunterricht. Frankfurt/M.: Diesterweg 1977. S. 142-158.
 Cantril, Hadley: Die Invasion vom Mars. In: Prokop, Dieter (Hg.):
Massenkommunikationsforschung. Bd. 2: Konsumtion. Frankfurt/M.: Fischer 1973. S. 198212.
 Daniels, Les: Living in Fear. A History of Horror in the Mass Media. New York: Da Capo
1975.
 Enzensberger, Hans M.: Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Prokop, Dieter (Hg.):
Massenkommunikationsforschung. Bd. 2: Konsumtion. Frankfurt/M.: Fischer 1973. S. 420433.
 Faulstich, Werner: 'The War of the Worlds'/'Der Krieg der Welten'. Vier Hörspiele. Tübingen: Narr 1981.
 Frank, Armin P.: Das Hörspiel. Vergleichende Beschreibung und Analyse einer neuen
Kunstform durchgeführt an amerikanischen, deutschen, englischen und französischen Texten.
Heidelberg: Carl Winter 1963.
 Hazard, Patrick D.: The Undiscovered Art. Drama on and off American Radio in the 30s.
In: French, Warren: The Thirties. Fiction, Poetry, Drama. 2.(überarb.) Aufl. Deland/Florida:
Everett/Edwards 1967. S. 221-227.
 Lowery Shearon und M.L. De Fleur: Milestones in Mass Communication Research: Media
Effects. New York: Longman 1983.
 Rosengren, Karl E., P. Arvidson und D. Stureson: The Barsebäck 'Panic'. A Radio Programme as a Negative Summary Event. In: Acta Sociological 18 [1978]. Nr. 4. S. 303-321.
 Wells, H.G.: Der Krieg der Welten. Zürich: Diogenes 1974.
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