Institut für Physik Physikalisches Praktikum für Fortgeschrittene 2006 K2 1. Mößbauer-Spektroskopie Versuchsziel Die rückstoßfreie Resonanzabsorption von Gammastrahlung durch Atomkerne wurde erst 1958/59 durch R. Mößbauer entdeckt, nachdem für Lichtstrahlung der Effekt der Resonanzabsorption schon 1905 von R.W. Wood an Natriumdampf beobachtet worden war. Die Schwierigkeit bei der Kernresonanzabsorption besteht darin, daß durch die hohe Energie der Gammaquanten der Kern bei der Emission einen zu großen Rückstoß erhält und die Energie des Gammaquants dadurch nicht mehr für den entsprechenden Absorptionsübergang ausreicht. Emissions- und Absorptionslinie sind deshalb um den zweifachen Betrag der Rückstoßenergie gegeneinander verschoben. Die Absorptionskurven sind gegenüber der natürlichen Linienbreite erheblich thermisch verbreitert. Wegen der fehlenden Überlappung der beiden Linien ist eine Resonanzabsorption aber trotzdem unmöglich, d.h. Gammaquanten gehen ohne merkliche Absorption durch einen Absorber, der das gleiche Isotop wie die Quelle enthält, hindurch. Durch eine geeignete Bewegung der Strahlungsquelle kann den Gammaquanten unter Ausnutzung des Doppler-Effektes soviel Energie zugeführt werden, daß die Rückstoßverluste kompensiert werden. Baut man die emittierenden und absorbierenden Kerne in ein nahezu starres Kristallgitter ein, so können Emission und Absorption fast rückstoßfrei erfolgen. Die entsprechende Resonanzlinie hat dann die natürliche Linienbreite mit Lorentzform (Mößbauer-Effekt). Wegen der großen Schärfe der Mößbauerlinie ergeben sich viele interessante Anwendungen zur empfindlichen Messung geringster Energiedifferenzen. 1 Im Versuch werden einige Anwendungen in der Festkörperphysik behandelt. Zu messen sind der Debye-Waller-Faktor (beschreibt die thermische Wechselwirkung zwischen Fremdatom und Kristallgitter), die Isomerieverschiebung (wird durch die Änderung der chemischen Bindung vor allem der s-Elektronen von Quelle- und Absorberkernen verursacht), die Quadrupolaufspaltung (kann zur Bestimmung des Feldgradienten in der Umgebung der emittierenden Kerne ausgenutzt werden), die magnetische Hyperfeinstrukturaufspaltung (mit ihr bestimmt man innere magnetische Felder). Die Apparatur zur Aufnahme des Mößbauerspektrums besteht aus einer mit Hilfe eines Lautsprechersystems beweglichen Mößbauerquelle und einem dazu passenden Absorber, der starr vor dem Detektor (Proportionalzählrohr) befestigt ist. Steuerung, Meßwertaufnahme und Verarbeitung der Daten erfolgen mittels Computer. Zur Registrierung der absorbierten Impulse und der Zuordnung zu bestimmten Geschwindigkeiten wird ein Vielkanalanalysator verwendet. 2. Experimentelle Aufgabenstellung: 1. Anhand der Bedienungsanleitung und mit Hilfe der Demonstrationsbeispiele mache man sich gründlich mit der Software zur Meßwertaufnahme und -verarbeitung vertraut. Unter Verwendung eines Proportionalzählers und eines Szintillationszählers nehme man das Spektrum der Mößbauerquelle auf und vergleiche die Energieabhängigkeit der beiden Detektoren. Alle gemessenen Mößbauerspektren sind mit Hilfe des Programms PCMOS zu bearbeiten, so dass jedem Kanal des Vielkanalanalysators ein Geschwindigkeitswert in der Einheit mm/s zugeordnet wird. Dabei ist es bei der Messung günstig für die maximale Geschwindigkeit einen möglichst glatten Wert zu wählen Von 2- und 3-wertigem Eisen sind die Isomerieverschiebung und die Quadrupolaufspaltung zu bestimmen. 2. 3. 4. 5. 6. Von einer mit 57 Fe angereicherten Eisenfolie sind die magnetische Dipolwechselwirkung und die Isomerieverschiebung zu bestimmen. Messen Sie für eine Probe die Linienform in Abhängigkeit von der 2 Absorberdicke zur Bestimmung des Debye-Weller-Faktors. 3. Physikalische Grundlagen Bei der Emission eines Gammaquants der Energie E0 erhält der Kern der Masse M einen Rückstoßimpuls pK mit der Energie 2 E 02 pK . ER = = 2M 2Mc 2 Die Energie des emittierten Quants ergibt sich dadurch zu E γ = E 0 − ER , so daß eine Absorption durch den gleichen Kern mit der Energiedifferenz zwischen angeregtem und Grundzustand Ea − Eg = E0 nicht möglich ist. Es besteht keine Resonanz. Die natürliche Linienform ist durch eine LORENTZ-Funktion const I(E) = 2 2 ⎛ Γ0 ⎞ (E − E 0 ) + ⎜ ⎟ ⎝ 2 ⎠ analog wie in der Atom- und Molekülspektroskopie mit der natürlichen Halbwertsbreite Γ0 gegeben, die durch DOPPLER-Effekt verbreitert sein kann. Für die im Versuch verwendete MÖSSBAUER-Quelle 57Fe beträgt die Energiedifferenz E0=14,4 keV. Aus der Halbwertszeit T1/2=9,8⋅10-8s errechnet sich die Lebensdauer des angeregten Zustandes τ zu Über die HEISENBERGsche Beziehung erhält man die natürliche Linienbreite (in eV) h Γ0 = = 4,69 ⋅ 10 − 9 eV . τ Die Rückstoßenergie für Eisen (57Fe) ergibt sich unter der Voraussetzung freier Beweglichkeit zu E R = 1,95 ⋅ 10 − 3 eV . Daraus ist ersichtlich, daß die Verschiebung der Absorptions- gegen die Emissionslinie ∆E=2ER für 57Fe 106 mal größer als die natürliche Linien- 3 breite ist. Außerdem muß der DOPPLER-Effekt v⎞ ⎛ E´ = E 0 ⎜1 ± ⎟ c⎠ ⎝ berücksichtigt werden. Für die mittlere thermische Geschwindigkeit 8kT v= πM erhält man für 57Fe bei einer Temperatur T=300K v = 332 ms −1 . Damit kann man über die Beziehung ΓD ≅ 2 E 0 v c die mittlere DOPPLER-Breite abschätzen und für frei bewegliche Eisenkerne ergibt sich ΓD ≅ 3,2 ⋅ 10 −2 eV , d.h. die DOPPLER-Breite ist 10 mal größer als die Verschiebung durch den Rückstoß. MÖSSBAUER gelang es durch Einbau der radioaktiven Kerne des 191Ir in einen Festkörper die Rückstoßenergie drastisch zu verkleinern, da sie vom gesamten Kristall aufgenommen wird. Durch Kühlen von Quelle und Absorber erhöhte sich der Resonanzeffekt durch Einfrierenn der Gitterschwingungen. Im Spektrum beobachtete er eine intensive Linie von natürlicher Breite über einem kontinuierlichen Untergrund, der durch Energieaustausch mit dem Kristallgitter entsteht /1/. Als Bedingung für eine große Wahrscheinlichkeit rückstoßfreier Emission und Absorption gilt nach MÖSSBAUER E 02 < hΘ . 2 2Mc hν g ist ein Maß für die Bindungsfestigkeit Die DEBYE-Temperatur Θ = k und wird durch die obere Grenzfrequenz νg des Schwingungsspektrums des Kristalls bestimmt. Sie ist für Eisen besonders groß (Θ≤1000K), so daß ein Abkühlen wie z.B. bei 191Ir nicht erforderlich ist. 4 Durch die Schärfe der Linien genügen schon geringe Unterschiede in der Umgebung (elektrische und magnetische Felder) der Kerne von Quelle und Absorber um trotz vernachlässigbarem Rückstoß die Resonanz zu verstimmen. Dadurch wird die MÖSSBAUER-Spektroskopie zur empfindlichsten Methode zur Bestimmung von kleinsten Energiedifferenzen mit der höchsten relativen Genauigkeit. Am bekanntesten ist der Versuch von POUND und REPKA / / zur Messung der Hubarbeit der Gammaquanten im Gravitationsfeld. Für 57Fe erhält man aus dem Verhältnis Γ0 = 3,2 ⋅ 10 −13 E0 eine Vorstellung über die erreichbare Genauigkeit. Einige Beispiele aus der Festkörperphysik bzw. Chemie der Eisenverbindungen sollen dazu im Versuch studiert werden. 1. Isomerie-Verschiebung In Atomen können sich s-Elektronen nicht nur in der Hülle, sondern auch im Kern an der Stelle r=0 aufhalten. Durch diese Wechselwirkung zwischen Elektronen und Kern ändern sich auch die Energiezustände des 2 Kerns. Die Elektronendichte am Kernort wird mit Ψ(0) (Hüllenfaktor) charakterisiert. Angeregte Kerne haben eine andere räumliche Ausdehnung als im Grundzustand. Daraus folgt, daß bei gleichbleibender Elektronendichte am Kernort die elektrische Wechselwirkung in den beiden Kernzuständen verschieden ist. Daraus resultiert eine unterschiedliche Beeinflussung der Energieniveaus von Grund- und angeregtem Kernzustand. Wenn die Energiedifferenz Ea-Eg ohne s-Elektroneneinfluß mit E0 beschrieben wird, ergibt sich die durch s-Elektronen veränderte Energiedifferenz der MÖSSBAUER-Kerne zu ES. Die Verschiebung ∆E Q der Energieniveaus der Quelle ∆E Q = E s − E 0 2 wird durch die Elektronendichte am Kernort durch Ψ(0) und durch die Differenz der mittleren Kernradienquadrate im angeregten und Grundzustand (Kernfaktor) bestimmt. Für die bewegte Quelle gilt: ( ) v ⎞ Ze 2 ⎛ 2 ΨQ (0) Ra2 − Rg2 . ∆E Q = hν 0 ⎜1 + ⎟ + c ⎠ 6ε 0 ⎝ 5 Ein analoger Ausdruck gilt auch für den Absorber: ( ) Ze 2 2 ∆E A = hν 0 + ΨA (0) Ra2 − Rg2 . 6ε 0 Unterschiedliche chemische Umgebungen von Quelle und Absorber be2 einflussen vor allem die Elektronendichten, d.h. ΨQ (0) ≠ ΨA (0) 2 . Im Experiment wird die Isomerieverschiebung δ über die Differenz der Energieverschiebungen von absorbierter und emittierter Strahlung δ = ∆E A − ∆E Q = E A − E Q als Geschwindigkeit bei der Resonanz auftritt ( ) Ze 2 ⎛ 2 2 2 2 v= ⎜ ΨA (0) − ΨQ (0) ⎞⎟ Ra − Rg . ⎠ 6ε 0 hν 0 ⎝ aus der asymmetrischen Lage der MÖSSBAUER-Linien zur Geschwindigkeit v=0 bestimmt. 2. Quadrupolaufspaltung Mit Hilfe des Quadrupolmomentes können Abweichungen von der Kugelgestalt der Kerne beschrieben werden. Bei diesen Kernen erzeugen benachbarte Elektronen bzw. Atome einen elektrischen Feldgradienten ϕ z (0) am Kernort der zu einer Quadrupolaufspaltung für Kerne I>1/2 in (I+1/2) Unterniveaus führt. Für die Wechselwirkungsenergie gilt 3mI2 − I(I + 1) 1 ∆E = eQ ϕ z (0) 4 3I2 − I(I + 1) mit Q = Quadrupolmoment, mI = magnetische Kernspinquantenzahl und I = Kernspinquantenzahl. Der Feldgradient wird dabei als axial symmetrisch angenommen. Kerne mit I=0 und 1/2 haben kein Quadrupolmoment, und deshalb ist keine Aufspaltung zu beobachten. 3. Magnetische Aufspaltung r Kerne mit I>0 haben ein magnetisches Dipolmoment µ . Existiert außerr dem am Kernort ein Magnetfeld B , so erfolgt eine Aufspaltung der Energieniveaus in 2I+1 Unterniveaus r r E mI = −µB mit einem Abstand 6 ∆E = gIµ K B für mI = I, I-1, 0, -I und dem gI-Faktor gI = µ / I . Im Experiment werden die Hyperfeinstrukturspektren des Grund- und angeregten Zustandes beobachtet. Sie sind dann besonders übersichtlich, wenn entweder nur die Niveaus der Quelle oder des Absorbers aufspalten. Beobachtet werden nur Übergänge entsprechend den Auswahlregeln ∆I = ±1 und ∆mI = 0, ±1 . Das Magnetfeld am Kernort wird von den Atomen und Molekülen in der Umgebung des Kernes erzeugt und ändert sich in Abhängigkeit von Festkörpereigenschaften und chemischer Struktur. Durch Anlegen eines äußeren Feldes ist die Aufspaltung ebenfalls zu erzeugen. 4. Auswertung 1. 5. Vergleichen Sie die Energieauflösung von Proportionalzählrohr und Szintillationszähler. Ordnen Sie mit dem Programm PCMOS jedem Kanal des Vielkanalanalysators einen Geschwindigkeitswert zu. Zeigen Sie für eine ausgewählte Linie, dass sie die natürliche Linienform besitzt. Bestimmen und diskutieren Sie bei den einzelnen Spektren die Isomerieverschiebung, Quadrupolaufspaltung und magnetische Hyperfeinstrukturaufspaltung. Berechnen Sie aus der Magnetfeldaufspaltung das Magnetfeld am Kernort und das magnetische Moment des angeregten Zustandes. Ermitteln Sie den Debye-Waller-Faktor. 5. Arbeitsschutz 2. 3. 4. Die Strahlenschutzbestimmungen sind entsprechend Laborordnung und Strahlenschutzverordnung einzuhalten. Mit einem Dosimeter kontrolliere man die Dosisleistung am Arbeitsplatz ! 6. Zur Verfügung stehende Arbeitsunterlagen 7 Befristet ausgeliehen werden: Literatur /1/ - /11/ 7. /1/ Literatur Mößbauer, R. L.: Kernresonanzfluoreszenz von Gammastrahlung in 191Ir Z. Physik 151, 124 (1958) /2/ Mößbauer, R. L.: Siehe /1/ Z. Physik 14a, 211 (1959) /3/ Mößbauer, R. L.: Gammastrahlen-Resonanzspektroskopie und chemische Bindung Angew. Chemie 83, 524 (1971) /4/ Wegener, H.: Der Mößbauer-Effekt und seine Anwendungen B I, Mannheim 1965 /5/ Fluck, E.; Kerler, W.: Der Mößbauer-Effekt und seine Bedeutung für die Chemie Angew. Chemie 75, 461 (1963) /6/ Gütlich, P.: Physikalische Methoden in der Chemie: Mößbauer-Spektroskopie I Chemie in unserer Zeit 4, 133 (1970) /7/ Gütlich, P.: Mößbauer-Spektroskopie II Chemie in unserer Zeit 5, 131 (1971) /8/ Greenword, N. N.: Anwendung der MößbauerSpektroskopie auf Probleme der Festkörperchemie Angewandte Chemie 83, 746 (1971) /9/ Pound, R.V.; Rebka, G. A.:Gravitational red-shift in nuclear resonance Phys. Rev. Letters 3, 439 (1959) /10/ Pound, R.V.; Rebka, G. A.:Variation with temperature of the energy of ecoil-free gamma rays from solids Phys. Rev. Letters 4, 274 (1960) /11/ Pound, R.V.; Rebka, G. A.: Apparent weight of photons Phys. Rev. Letters 4, 337 (1960) /12/ Barb, D.: Grundlagen und Anwendungen der Mössbauerspektroskopie /13/ Mayer-Kuckuk, T. Kernphysik Stuttgart 1984 8 /14/ Kittel, C.: Quantentheorie der Festkörper München, Wien 1970 /15/ Kuzmany, H.: Festkörperspektroskopie Berlin 1989 /16/ Schatz, G., Weidinger,A.: Nukleare Festkörperphysik Stuttgart 1985 9