Skript von Gregor Herbort

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Inhaltsverzeichnis
1 Grundlagen
1.1 Elemente der Mengenlehre . . . . . . . . . . . . .
1.2 Zahlenbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Das Auflösen von Gleichungen und Ungleichungen
1.4 Induktionsprinzip und Anwendungen . . . . . . .
2 Vektorrechnung
2.1 Vektoren in der Ebene . . . . . . . . . . . . .
2.1.1 Rechenoperationen . . . . . . . . . . .
2.1.2 Geometrische Anwendungen . . . . . .
2.1.3 Winkel und Abstände . . . . . . . . .
2.2 Der Raum R3 . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.1 Rechenoperationen . . . . . . . . . . .
2.3 Projektionen, Abstände und Volumina . . . .
2.3.1 Projektionen und Abstandsberechnung
2.3.2 Flächen, Volumina und Schnittwinkel
2.3.3 Anhang: Determinanten . . . . . . . .
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3 Lineare Gleichungssysteme
3.1 Matrixkalkül . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Das Eliminationsverfahren . . . . . . . . . . . . . .
3.2.1 Die Zeilenstufentransformation einer Matrix
3.2.2 Berechnung des Lösungsraumes . . . .
3.3 Anhang:Matrixmultiplikation . . . . . . . . . . . .
3.3.1 Matrixprodukt . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.2 Invertierbare Matrizen . . . . . . . . . . . .
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3
3
8
15
24
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33
33
33
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50
50
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61
65
68
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73
75
78
78
83
92
92
93
4 Analysis - Folgen und Funktionen
101
4.1 Konvergenz bei Zahlenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
4.1.1 Konvergenz von Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
4.2 Stetige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
1
2
INHALTSVERZEICHNIS
4.3
4.4
4.5
Rationale Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
Trigonometrische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Die Exponentialfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
5 Differenzialrechnung
149
5.1 Definition und Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
5.2 Lokale Extremalstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
5.3 Taylorentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
Kapitel 1
Grundlagen
1.1
Elemente der Mengenlehre
Dem Mathematiker Georg Cantor (1845 - 1918) folgend, stellen wir uns unter einer Menge das
folgende vor:
Definition. Unter einer Menge verstehen wir die Zusammenfassung von bestimmten Objekten
unserer Anschauung oder unseres Denkens zu einem Ganzen.
Wir bezeichnen Mengen mit großen Buchstaben: M, N, X, Y, .... Ist M eine Menge, so sind
die zu M gehörenden Elemente alle paarweise verschieden. Um auszudrücken, dass ein Objekt a
zu M gehört, schreiben wir a ∈ M . Wollen wir ausdrücken, dass es nicht zu M gehört, schreiben
wir a ∈
/ M.
Beispiele . a) Die ganzen Zahlen bilden eine Menge, die wir mit dem Symbol ZZ bezeichnen.
Wir haben also 1 ∈ ZZ, oder 289 ∈ ZZ, aber 1/2 ∈
/ ZZ.
b) Diejenigen ganzen Zahlen, die sich als Quadrat einer ganzen Zahl schreiben lassen, bilden
eine Menge. Bezeichnen wir diese mit S, so ist etwa 16, 25, 256, 1024, 56644 = 2382 ∈ S, aber
123 ∈
/ S.
Wenn M und X zwei Mengen sind, so schreiben wir X = M , wenn jedes Element von M zu
X und jedes Element von X zu M gehört.
Haben wir eine Menge M gegeben, so bezeichnen wir als Teilmenge von M jede Menge T ,
deren Elemente alle auch schon zu M gehören. Wir schreiben dann
T ⊂ M.
Wir notieren, dass genau dann T = M , wenn T ⊂ M und M ⊂ T gilt. Man kann den Sachverhalt
T ⊂ M auch beschreiben durch M ⊃ T (M ist Obermenge von T )
3
4
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
Eine Menge M mit nur endlich vielen Elementen (wir sprechen dann von einer endlichen
Menge) kann man durch Aufzählen ihrer Elemente darstellen:
M = {x1 , ..., xn }
wenn n die Anzahl der Elemente ist. Zum Beispiel steht
{0, 2, 4, 6, 8, 10, 12}
für die Menge aller geraden natürlichen Zahlen, die nicht größer sind als 12.
Haben wir eine Menge M gegeben, so können wir jede Teilmenge T ⊂ M durch eine Eigenschaft kennzeichnen, die die Elemente von T haben müssen, wenn sie zu T gehören sollen. Diese
Kennzeichnung ist vor allem sinnvoll, wenn T unendlich ist, d.h. unendlich viele Elemente hat.
Zum Beispiel ist die Menge IN der natürlichen Zahlen zu kennzeichnen als Menge aller ganzen
Zahlen, welche nicht-negativ sind:
IN = {m ∈ ZZ | m nicht − negativ}
Die Menge aller durch 3 teilbaren natürlichen Zahlen ist zu beschreiben durch
{0, 3, 6, 9, 12, 15, 18, ....} = {n ∈ IN : Es gibt ein k ∈ IN mit n = 3k}
Will man ausdrücken, dass in einer Menge M keine Elemente existieren, die eine gewisse
Eigenschaft, nennen wir sie kurz E , besitzen, so schreiben wir
{x ∈ M | x hat die Eigenschaft E } = ∅
Das Symbol ∅ steht für die sog. leere Menge. Sie ist eine Menge, die keine Elemente enthält.
Beispiele. a) Es gibt keine ganze Quadratzahl, deren Einerziffer gleich 8 ist:
{n ∈ ZZ | n2 hat Einerziffer 8} = ∅
b) Es gibt keine ganze Zahl n mit n2 = 7:
{n ∈ ZZ | n2 = 7} = ∅
c) Es gibt keine Dezimalzahl x mit x2 = −1:
{x | x Dezimalzahl und
x2 = −1} = ∅
Mengenoperationen (Rechnen mit Mengen)
Wie erhalten wir aus gegebenen Mengen neue Mengen ?
1.1. ELEMENTE DER MENGENLEHRE
5
Definition. Sei M eine Menge.
a) (Vereinigung von Mengen) Sind A, B Teilmengen von M , so nennen wir die Menge
A ∪ B := {x ∈ M | x ∈ A oder x ∈ B}
die Vereinigung von A und B. Dabei ist zugelassen, dass ein Element aus A ∪ B sowohl zu A als
auch zu B gehört.
A
B
b) (Durchschnitt von Mengen) Sind A, B Teilmengen von M , so nennen wir die Menge
A ∩ B := {x ∈ M | x ∈ A und x ∈ B}
den Durchschnitt von A und B.
A
A∩B
B
Wenn A ∩ B = ∅, A und B also keine gemeinsamen Elemente haben, so nennen wir A und B
disjunkt.
6
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
c) (Komplement) Ist A ⊂ M , so definieren wir das Komplement von A in M als
Ac := {x ∈ M | x ∈
/ A}
Ist B ⊂ M , so schreiben wir
B \ A := B ∩ Ac
A
Ac
Beispiele. a) Jede ganze Zahl ist gerade oder ungerade:
ZZ := {x ∈ ZZ : es gibt k ∈ ZZ mit x = 2k} ∪ {x ∈ ZZ : es gibt k ∈ ZZ mit x = 2k + 1}
b) Wenn x ganz ist und x2 > 4, so kann nicht x ∈ {−2, −1, 1, 2} sein:
{x ∈ ZZ : x2 > 4} ∩ {−1, 1, −2, 2} = ∅
Weiter haben wir
{x ∈ ZZ : x2 > 4} = {−2, −1, 0, 1, 2}c
c) Ist eine ganze Zahl durch 2 und durch 3 teilbar, so auch durch 6. Die Umkehrung hierzu ist
offensichtlich. Wir schreiben M2 := {x ∈ ZZ | x ist durch 2 teilbar}, entsprechende Bedeutung
haben die Mengen M3 und M6 . Dann haben wir
M2 ∩ M3 = M6
Denn: Ist x ∈ M2 ∩ M3 , so haben wir x = 2k = 3` für geeignete ganze Zahlen k und `. Dann
ist aber x = 3x − 2x = 6k − 6` = 6(k − `), also x ∈ M6 .
1.1. ELEMENTE DER MENGENLEHRE
7
Wir notieren den folgenden
Satz (Regeln für die Mengenoperationen). Sei M eine Menge. Dann gilt für alle Mengen
A, B, C ⊂ M :
a) (A ∪ B) ∪ C = A ∪ (B ∪ C), und (A ∩ B) ∩ C = A ∩ (B ∩ C)
b) (A ∪ B) ∩ C = (A ∩ C) ∪ (B ∩ C)
c) (A ∩ B) ∪ C = (A ∪ C) ∩ (B ∪ C)
d) (Ac )c = A,
e) (A ∪ B)c = Ac ∩ B c , und (A ∩ B)c = Ac ∪ B c
f) Genau dann ist A ⊂ B, wenn A ∩ B = A
g) Genau dann ist A ⊂ B, wenn A ∪ B = B
Zu b):
A
B
C
A
C
B
C
Beispiele. In der Wahrscheinlichkeitsrechnung ist man an der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten gewisser Ereignisse interessiert. Diese werden als mögliche Ergebnisse
von sog. Zufallsexperimenten interpretiert.
Man führt dazu sog. Ergebnisräume ein: Alle möglichen Ausgänge eines solchen Zufallsexperimentes werden zu einer Menge Ω zusammengefasst. Darin bildet man Teilmengen A ⊂ Ω. Diese
bezeichnet man als Ereignisse. Sind A, B ⊂ Ω Ereignisse, so entspricht A ∩ B dem gleizeitigen
Eintreten der Ereignisse A und B, Ac dem Nichteintreten von A und A \ B dem Ereignis, dass
A eintritt und B gleichzeitig nicht.
Beispiel: Würfeln mit 2 Würfeln. Ist man an der Gesamtaugenzahl interessiert, so ist Ω =
{2, ..., 12}. Eine gerade Zahl zu werfen entspricht dem ”Ereignis” A = {2, 4, 6, 8, 10, 12}, eine
Zahl größer als 6 zu werfen, dem Ereignis B = {7, 8, 9, 10, 11, 12}. Eine gerade Zahl größer als 8
zu werfen entspricht dem Ereignis (A ∩ B) \ {8}.
8
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
1.2
Zahlenbereiche
Natürliche, ganze und rationale Zahlen
Jeder kennt die natürlichen Zahlen, d.h. die nicht-negativen ganzen Zahlen. Sie bilden eine
Menge, die wir mit IN bezeichnen.
In der Menge IN kann man nicht zwei beliebige Zahlen voneinander subtrahieren. Diesen
Nachteil beseitigt man durch Erweiterung auf den Bereich der ganzen Zahlen, welche auch die
negative Zahlen enthalten. Für sie haben wir schon das Symbol ZZ kennengelernt. Innerhalb
der Menge ZZ lässt sich aber nicht jede Divisionsaufgabe lösen. Man überwindet dies durch
nochmalige Erweiterung zum Bereich Q der rationalen Zahlen. Eine rationale Zahl x ∈ Q ist
durch einen Bruch x = pq mit ganzzahligen p, q darstellbar, wobei q > 0. Eine andere Darstellung
von x ist diejenige als Dezimalbruch, der endlich viele Stellen hinter dem Komma haben kann,
wie
5/8 = 0, 625
oder unendlich viele, wobei sich eine gewisse Zahlenfolge stets wiederholt, etwa:
8
1
1
= 8, 142857142857142857......,
= 0, 076923 076923 076923 ....
7
13
oder
1/3 = 0, 333333333333333333....
Jedermann rechnet mit dieser Art von Zahlen, insbesondere alle Computer, seien sie nun groß
oder klein (Tianhe-2 (mit 33.800 TeraFLOPS) oder Taschenrechner).
Rechnen mit Potenzen
Definition. Für eine Zahl a ∈ Q und n ∈ ZZ setzen wir, wenn n > 0 ist:
an := a
· · · a}
| · ·{z
n−mal
(So wird etwa ( 38 )4 =
81
).
4096
Für negative Exponenten n definieren wir die Potenzen so:
an :=
1
a−n
.
Weiter vereinbaren wir, dass a0 = 1 sein soll.
1.2.1 Hilfssatz. (Potenzrechenregeln) i) Sei a ∈ Q. Dann gilt
an · am = an+m , (am )n = amn
1.2. ZAHLENBEREICHE
9
für n, m ∈ ZZ.
ii) Weiter wird
(ab)n = an bn
für alle n ∈ ZZ und a, b ∈ Q \ {0}.
Beweis. i) Der Fall n, m ≥ 0 ist leicht nachzurechnen. Wenn n, m < 0, haben wir
an am =
1 1
1
1
1
= −n −m = −n−m = −(n+m) = am+n
|n|
|m|
a a
a a
a
a
Nun zum Fall m ≥ 0 > n.
Ist jetzt m ≥ |n|, so gilt (wegen m − |n| = n + m ≥ 0)
an am = am
1
= am−|n| = an+m
a|n|
Sei jetzt also m < |n|. Dann ist m + n < 0 und −(m + n) = |n| − m, und damit (Kürzen von
Faktoren a)
1
1
an am = |n| am = |n|−m = am−|n| = an+m
a
a
Der Fall n ≥ 0 > m wird in analoger Weise behandelt. Die zweite Behauptung zu zeigen, ist
eine Übungsaufgabe.
Zu ii). Ist n ≥ 0, so folgt es aus der Definition der Potenz. Sei n < 0. Dann ist
(ab)n =
1
1
1 1
= −n −n = −n −n = an bn
−n
(ab)
a b
a b
Reelle Zahlen
Innerhalb der rationalen Zahlen lässt sich aber nicht jede Gleichung der Form x2 = r für
r ∈ Q, r > 0, lösen.
10
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
Beispiel. Angenommen, man will die Länge der Diagonalen d in einem Würfel mit einer
Kantenlänge a bestimmen.
d
d1
a
Nach dem Pythagorassatz finden wir d2 = d21 +a2 = 3a2 . Wir müssen also die Gleichung x2 = 3
lösen. Das ist aber innerhalb der rationalen Zahlen (also der Dezimalzahlen) nicht möglich.
Warum nicht? Angenommen, es ginge doch. Dann fände man ganze Zahlen p, q > 0 mit
p2 /q 2 = 3, oder, was dasselbe ist, p2 = 3q 2 . Wir dürfen annehmen, dass p und q keine gemeinsamen Teiler haben.
Zunächst sehen wir, dass p2 durch 3 teilbar ist. Dann muss dasselbe auch schon für p gelten,
anderenfalls wäre doch p = 3m+k mit einer ganzen Zahl m und einem Rest k ∈ {1, 2}. Aber dann
hätten wir p2 = (3m + k)2 = 9m2 + 6mk + k 2 . Da p2 durch 3 teilbar ist, ist k 2 = p2 − (9m2 + 6mk)
es ebenfalls. Stattdessen ist aber k 2 ∈ {1, 4}, ein Widerspruch. Ist aber p selbst schon durch 3
teilbar, haben wir p = 3m mit einer ganzen Zahl m. Aus 3q 2 = p2 = 9m2 folgt jetzt q 2 = 3m2 .
Wie eben folgt jetzt, dass auch q durch 3 teilbar sein müsste, also mit der Zahl 3 ein gemeinsamer
Teiler von p und q gefunden wäre. Das widerspricht der Annahme über p und q.
Zwar kann man sich in dieser Lage mit Näherungslösungen für die Gleichung x2 = 3 helfen,
etwa x0 = 1.732050807568877293527 (dann hat die Dezimalbruchdarstellung von x0 2 − 3 erst ab
der 1 069 762 528.ten Nachkommastelle von Null verschiedene Einträge), doch das aufgezeigte
mathematische Problem bleibt bestehen.
Man erweitert den Bereich der rationalen Zahlen nochmals und gelangt zum Bereich der
reellen Zahlen, den wir mit R bezeichnen wollen. Dieser Bereich von Zahlen ist anschaulich
durch die Punkte auf der ”Zahlengeraden” darstellbar. Jede reelle Zahl entspricht einem Punkt
auf dieser Geraden und umgekehrt.
Für das Rechnen mit reellen Zahlen gelten dieselben Regeln wie im Bereich der rationalen
Zahlen. Die Ordnungsrelation auf Q kann auf R erweitert werden. Jede reelle Zahl x besitzt eine
1.2. ZAHLENBEREICHE
11
Darstellung als endlicher oder unendlicher Dezimalbruch. Denn ist k ∈ IN beliebig, so ist
xk := 10−k−1 [10k+1 x] ∈ Q
und 0 ≤ x − xk ≤ 10−k−1 . Dabei ist für eine Zahl t ∈ R der ganzzahlige Teil [t] von t definiert
als die größte ganze Zahl, die kleiner oder gleich t ist. Somit stellt xk die Zahl x bis auf k
Nachkommastellen genau dar.
Definition. Wir nennen eine Menge A ⊂ R nach oben (unten) beschränkt, wenn eine Zahl
S ∈ R so gefunden werden kann, dass x ≤ S für alle x ∈ A ( bzw. x ≥ S für alle x ∈ A) gilt.
In R gilt das folgende Archimedische Vollständigkeitsaxiom:
Jede nach oben beschränkte Menge A ⊂ R hat in R eine kleinste obere Schranke. Jede nach
unten beschränkte Menge B ⊂ R hat in R eine größte untere Schranke.
Beispiel. Die Menge A := {x ∈ Q| x2 < 3} hat in Q eine obere Schranke, aber keine kleinste
obere Schranke. Denn ist S ∈ Q eine obere Schranke für A, so ist S 2 > 3, also t := S 2 − 3 > 0.
Nun bilden wir SN := S − N1 und rechnen aus, dass
2
SN
= S2 −
1
2S
1
2S
2S
+ 2 =3+t−
+ 2 >3+t−
N
N
N
N
N
2
Ist also N genügend groß, so wird SN
> 3, da dann t > 2S
wird. Dann ist also x < SN für jedes
N
x ∈ A. Auch SN ist eine obere Schranke für A und kleiner als S.
Weitere irrationale Zahlen:
a) Die Zahl π
Bei Kreisen ist das Verhältnis von Umfang zu Durchmesser stets dasselbe. Die alten Griechen
haben dies schon beobachtet. Es wurde 1706 erstmals mit dem Buchstaben π bezeichnet. Der
Flächeninhalt eines Kreises mit Radius 1 ist π.
Die Aufgabe, allein mit Zirkel und Lineal eine Strecke der Länge π zu konstruieren ist in der
Vergangenheit als das Problem der Quadratur des Kreises bekannt geworden. Es ist unlösbar,
was 1882 durch F. Lindemann bewiesen wurde.
Diese Zahl lässt sich durch die Bruchzahlen niemals exakt, aber in guter Näherung, darstellen.
Etwa approximiert der Bruch 22/7 die Zahl π auf 2 Kommastellen genau, beim Bruch 355/113
sind es 6 Stellen und bei 104 348/33 215 schon 9 Kommastellen. Man hat z. B.
π
1 1 1 1
= 1 − + − + − ....
4
3 5 7 9
Auf 12 Stellen genau hat man
π = 3, 141 592 653 589.....
12
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
b) Die Eulersche Zahl e.
n
Man bilde die Zahlen xn = 1 + n1 . Mit immer größer werdendem n wird auch xn immer
größer und strebt einer nach Euler benannten Zahl e zu, von der man ebenfalls zeigen kann, dass
sie keine rationale Zahl ist. Man hat
e=1+1+
1
1
1
1
1
+
+
+
+
+ ..... ≈ 2, 718281828.....
2 2·3 2·3·4 2·3·4·5 2·3·4·5·6
Diese Zahl tritt bei der Beschreibung von Wachstumsprozessen auf.
Quadratwurzeln
Innerhalb der reellen Zahlen kann man jede Gleichung x2 = a lösen, √
sofern a > 0√ist. Dabei
gibt es eine positive und eine negative Lösung, die wir mit dem Symbol a (bzw. − a )
bezeichnen.
1
a
a
1
a
Das Rechteck√hat die Fläche a, und nach dem Höhensatz ebenso das Quadrat. Seine Seitenlänge ist also a.
√
Wir können zu jeder vorgegebenen Approximationsgüte durch folgendes Verfahren a näherungsweise berechnen.
√
√
Sei dazu a > 1. Wir wählen x1 so, dass a < x1 < a + 0.1 und weiter
1
a
x2 = (x1 + ),
2
x1
1
a
x3 = (x2 + ),
2
x2
1
a
x4 = (x3 + ), .....
2
x3
1.2. ZAHLENBEREICHE
13
Allgemein: Ist xk schon berechnet, so
a
1
xk+1 = (xk + )
2
xk
für k ≥ 1. Dann gilt
x2k − a =
1
(x2 − a)2 ≥ 0
4x2k−1 k−1
für alle k ≥ 2. Es folgt:
xk+1
1
a
= (1 + 2 ) ≤ 1
xk
2
xk
√
a ≤ xk+1 ≤ xk ≤ x1 für alle k ≥ 1. Weiter haben wir aber
√
√
√
√ 2
1
(xk + xak − 2 a)
xk+1 − a
x2k − 2 axk + a
xk − a
2
√ = 1
√
√
√ = 2
=
xk+1 + a
xk + 2 axk + a
xk + a
(xk + xak + 2 a)
2
für k ≥ 1, also
also
0 ≤ xk+1 −
√
√
√
√
√
√
xk+1 + a (xk − a)2
(xk − a)2
(xk − a)2
√
√ ≤
√ ≤
√
a=
≤ (xk − a)2
xk + a xk + a
xk + a
2 a
für k ≥ 1.
√
√
√
√
Da nun x1 − a < 0.1, folgt x2 − a ≤ 0.01, x3 − a < 0.0001 ,x4 − a < 0.00000001. Von
Schritt zu Schritt verdoppelt sich die Zahl der korrekten Nachkommastellen nahezu: Ist xk bis
auf 2k−2 − 1 Nachkommastellen korrekt, so ist es xk bis auf 2k−1 − 1 Nachkommastellen.
Beispiele. 1)√Sei a = 3. Dann
ist x1 := 1.74 eine Zahl mit x21 = 3.0276 > 3 und (x1 − 0.1)2 =
√
2.9929, also ist 3 < x1 < 3 + 0.1. Dann wird x2 = 1.7320689655, und x3 = 1.732050807664,
x4 = 1.7320508075688. Schon x4 ist bis auf 10 Nachkommastellen korrekt.
√
√
2) Sei a = 235. Wir wählen x1 = 15.33. Dann ist 235 < x1 < 235 + 0.1. Nun rechnen wir
aus
x2 = 15.329709719505424, x3 = 15.32970971675589, x3 − x4 < 10−14
Also ist x3 bis auf 13 Nachkommastellen korrekt.
Das oben für die Quadratwurzeln beschriebene Argument ist mit etwas technischem Aufwand
verallgemeinerbar und eignet sich dann für den Nachweis der Existenz höherer Wurzeln aus
positiven Zahlen.
Zur praktischen Berechnung der n.-ten Wurzel :
Sei x > 0. Dann geht man ähnlich vor wie bei der Quadratwurzel:
• Man wähle einen Startwert x0 > 0,
14
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
• Berechne x1 = n1 ((n − 1)x0 +
x
)
xn−1
0
,
• Angenommen, es seien x1 , x2 , ..., xk schon gefunden. Dann berechne man xk+1 durch
xk+1 =
1
x
((n − 1)xk + n−1 )
n
xk
Wenn irgendwann, (d.h.: für großes k) die Zahlen xk und xk+1
√ sich kaum noch voneinander
unterscheiden, so hat man in xk einen guten Näherungswert für n x gefunden.
Beispiele: a) x = 5, n = 5 und x0 = 2. Dann wird
x1 = 1.6625
x2 = 1.460904141
x3 = 1.38826304
x4 = 1.379833925
x5 = 1.37972967
x6 = 1.379729661
x7 = 1.379729661
√
In guter Näherung gilt also 5 5 = 1.379729661. Es gilt in der Tat |x57 − 5| < 10−8 .
1.2.2 Satz. a) Ist t ≥ 1 ( bzw. t > 1), so auch tn ≥ 1 (bzw. tn > 1) für alle n ∈ IN . Wenn
a ≥ b > 0 (bzw. a > b), so ist auch an ≥ bn (bzw. an > bn ) für alle n ∈ IN .
b) Ist n√≥ 2 ganz und x > 0, so lässt sich aus x genau eine n-te Wurzel ziehen. Wir bezeichnen
diese mit n x.
Beweis. a) ist klar. Wenn (a/b) ≥ 1 ist, so an /bn = (a/b)n ≥ 1.
Zu b) Ist x > 0 und sind a, b > 0 Lösungen zu an = bn = x, so kann nach a) nicht mehr a < b
oder b < a sein.
Es gilt wieder die folgende Regel:
1.2.3 Hilfssatz. Für positive Zahlen x, y und ganze Zahlen n, k > 1 wird:
√
n
√ √
xy = n x n y,
q
n
√
k
x=
√
nk
x
√ √
√
Beweis. Denn n xy und n x n y lösen beide die Gleichung T n = xy, stimmen also überein.
Analog begründet man die 2. Gleichung.
1.3. DAS AUFLÖSEN VON GLEICHUNGEN UND UNGLEICHUNGEN
1.3
15
Das Auflösen von Gleichungen und Ungleichungen
Lineare Gleichungen
Eine lineare Gleichung hat die Form
ax + b = 0
wobei a und b reelle Zahlen sind und a 6= 0. Sie hat genau eine Lösung, diese ist leicht anzugeben:
x = −b/a.
Etwas weniger leicht ist der Fall der
Gleichungen 2. Grades
Das sind Gleichungen der Form
ax2 + bx + c = 0,
wobei wieder a, b, c ∈ R und a 6= 0. Setzen wir p = b/a und q = c/a, so ist x genau dann Lösung
dieser Gleichung, wenn
x2 + px + q = 0
(1.3.1)
(Man nennt dies auch die Normalform einer quadratischen Gleichung, denn der Koeffizient bei x2
ist auf 1 normiert ). Wir formen (1.3.1) um, indem wir p2 /4 − q auf beiden Seiten hinzuaddieren
und erhalten:
x2 + px +
p2 − 4q
p2
=
4
4
oder
p2 − 4q
p
(1.3.2)
(x + )2 =
2
4
Hier sehen wir, dass unsere quadratische Gleichung nicht uneingeschränkt lösbar ist: Alles
hängt von der Größe
D1 := p2 − 4q
ab, die man daher auch die Diskriminante der quadratischen Gleichung nennt. Wir finden
i) Keine Lösung in R, wenn D1 < 0 ist, da die linke Seite von (1.3.2) immer ≥ 0 sein muss.
ii) Genau eine Lösung, wenn D1 = 0 ist. Sie ist gegeben durch x = −p/2
iii) Genau zwei Lösungen x1 , x2 , wenn D1 > 0 ist. Es gilt
x1 = −
Ein kleines
p 1p
p 1p
+
D1 , x2 = − −
D1
2 2
2 2
16
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
Beispiel: Die Gleichung
35
176
x+1=
153
51
1600
und daher D1 = 23409
= r2 , wobei r =
x2 −
Hier ist p = − 176
,q =
153
16
51
x1 =
40
.
153
Wir erhalten die Lösungen
12
68
4
108
= , x2 =
=
153
17
153
9
Beispiel. Ein Auto mit einer Geschwindigkeit v ≥ 40 km/h hat je 100 km einen Benzinverbrauch B(v), der etwa durch B(v) = av 2 + bv + c berechnet werden kann.
Angenommen, es sei B(v) = 0.0004v 2 − 0.03v + 5. Wie schnell ist das Auto gefahren, wenn
es 8 Liter Benzin auf 100 km verbraucht hat?
Wir müssen also eine quadratische Gleichung lösen, nämlich
0.0004v 2 − 0.03v + 5 = 8
√
2
2
d.h. also
√ v − 75v = 7500. Als rechnerische Lösungen haben wir v1,2 = 37.5 ± 37.5 + 7500 =
37.5 ± 8906.25, doch relevant ist v1 . Also war die Geschwindigkeit des Wagens v1 = 37.5 +
94.37 = 131.87.
Wollen wir aber alle quadratischen Gleichungen lösen, müssen wir unseren Zahlenbereich R
nochmals erweitern, was auf die komplexen Zahlen führt. Dazu später mehr.
Einfache kubische Gleichungen
Wir betrachten zunächst nur Gleichungen vom Typ
x3 + px2 + qx = 0
(1.3.3)
Offenbar ist 0 eine Lösung. Jede Lösung der quadratischen Gleichung x2 + px + q = 0 ist eine
weitere Lösung der kubischen Gleichung.
Nun kommen wir zur kubischen Gleichung
x3 + px + q = 0
(1.3.4)
Wir notieren zuerst, dass
(a2 + ab + b2 )(a − b) = a3 − b3
für alle a, b ∈ R gilt. Angenommen, wir haben zu (1.3.4) eine Lösung x0 gefunden. Dann können
wir durch Untersuchen der quadratischen Gleichung
x2 + x0 x + p + x20 = 0
(1.3.5)
1.3. DAS AUFLÖSEN VON GLEICHUNGEN UND UNGLEICHUNGEN
17
entscheiden, ob es weitere Lösungen zu (1.3.4) gibt. Denn ist x1 eine Lösung zu (1.3.5), so ist
wegen x30 + px0 = −q:
x31 + px1 + q = x31 − x30 + p(x1 − x0 )
= (x21 + x0 x1 + x20 )(x1 − x0 ) + p(x1 − x0 )
= (x21 + x0 x1 + x20 + p)(x1 − x0 ) = 0
So lässt sich eine kubische Gleichung manchmal auf eine quadratische zurückführen.
Beispiel: Die Gleichung x3 −
46
x
3
+
592
27
= 0 hat die Lösung x0 = 8/3. Die Gleichung
8
46 64
x2 + x −
+
=0
3
3
9
also
74
8
=0
x2 + x −
3
9
hat die Lösungen
4 √
4 √
x2 = − + 10, x3 = − − 10
3
3
Unter günstigen Umständen kann man im Reellen eine Lösung der kubischen Gleichung x3 +
px + q = 0 ausrechnen, nämlich dann, wenn
p
q
∆ := ( )3 + ( )2 ≥ 0
3
2
ist. Wir probieren jetzt x := t − 3tp . Einsetzen in x3 + px + q = 0 ergibt dann, dass t3 die
quadratische Gleichung T 2 + qT = ( p3 )3 löst. Das führt auf
q √
T =− ± ∆
2
√
√
3
Wir wählen T := − 2q + ∆ und bilden t0 := T . Das liefert uns
r
r
p
q √
q √
3
x=t−
= − + ∆− 3 + ∆
3t
2
2
Beispiel: Die Gleichung x3 + 23
x − 32 = 0.
16
74375
Jetzt ist also p = 23
, q = − 32 . Das ergibt ∆ = 110592
= ( 25
)2 119
. Damit erhalten wir
16
64
27
s
s
r
r
25 119
3
25 119
3
3 3
3
x=
+
− − +
=
4 192
3
4 192
3
4
18
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
Rückführung auf die Normalform
Die allgemeine kubische Gleichung
x3 + a2 x2 + a1 x + a0 = 0
kann durch die Substitution
x=t−
überführt werden in
(t −
a2
3
a2
a2
a2 3
) + a2 (t − )2 + a1 (t − ) + a0 = 0
3
3
3
Das ist aber gerade
a22
2a3 a1 a2
)t + 2 −
+ a0 = 0
3
27
3
Ist t0 eine Lösung dieser Gleichung, so wird x = t0 − a32 eine Lösung zur Gleichung x3 + a2 x2 +
a1 x + a0 = 0.
Beispiel. Die Gleichung x3 +6x2 +4x+5 = 0. Wir schreiben x = t−2 und finden t3 −8t+13 = 0.
. Die Cardanosche Formel liefert x0 := −3, 43316 als
Jetzt ist also q = 13, p = −8, also ∆ = 2515
108
gute Näherungslösung. Also ist x1 := −5, 43316 eine Lösung zu x3 + 6x2 + 4x + 5 = 0.
t3 + (a1 −
Beispiele. a) Aus einer rechteckigen Platte mit Breite a und Höhe b sollen an den 4 Ecken
quadratische Stücke herausgeschnitten werden. Durch Hochbiegen der Seiten entsteht dann eine
Wanne mit den Maßen a−2x, b−2x, x, also einem Volumen V = x(a−2x)(b−2x). Angenommen,
a = 150cm,b = 90cm. Wie muss x gewählt werden, soll V = 91 Liter werden? Dazu müssen
wir die Gleichung (90 − 2x)(150 − 2x)x = 91000 lösen, also erfüllt u = x/10 die Gleichung
(9 − 2u)(15 − 2u)u = 91, also 4u3 − 48u2 + 135u − 91 = 0. Wir teilen durch 4 und finden
u − 91
= 0. Nun schreiben wir u = v + 4 und setzen √ein. Es
die Gleichung u3 − 12u2 + 135
4
4
57
63
3
entsteht √v − 4 v − 4 = 0. Eine Nullstelle liegt bei v1 = −3. Daraus folgt, dass v2 := 3−2 30 und
√
v3 := 3+2 30 weitere Nullstellen sind. Zu ihnen gehören die x-Werte x1 = 10, x2 = 5(11 − 30)
√
und x3 = 5(11 + 30). Aber x3 > 82 ist zu groß und scheidet aus. Technisch relevant sind nur
x1 und x2 .
Spannungsabfall an einer Glühlampe. Angenommen, der Spannungsabfall (in Volt) an einer
Glühlampe sei durch U = 1000I 3 + 200I gegeben, wobei I die Stromstärke (in Ampère) bedeute. Dann kann man ausrechnen, welcher I-Wert auf U = 60 führt. Man löst nämlich die
kubische Gleichung
I 3 + 0.2 I − 0.06 = 0. Also ist hier p = 0.2 und q = −0.06. Das ergibt
√
∆ = 0.00119, ∆ = 0.0346. Mit der Cardanoformel folgt I = 0.23506 .
Biquadratische Gleichungen
Diese Gleichungen haben die Gestalt
ax4 + bx2 + c = 0
(1.3.6)
1.3. DAS AUFLÖSEN VON GLEICHUNGEN UND UNGLEICHUNGEN
19
mit a, b, c ∈ R und a 6= 0. Man erhält nur dann Lösungen x ∈ R, wenn die quadratische Gleichung
at2 + bt + c = 0 eine reelle nicht negative Lösung hat.
Beispiel. Die Gleichung 3x4 − 2x2 − 5 = 0 kann in x4 − 23 x2 =
5
3
umgeformt werden. Es folgt
q
1±4
5
2
(x2 − 13 )2 = 16
,
also
x
=
.
Wir
erhalten
daher
2
reelle
Lösungen:
x
=
±
.
1,2
9
3
3
Ungleichungen
Ordnungsrelation und Betrag
Für zwei Zahlen x, y ∈ R, schreiben wir x < y, wenn x kleiner als y ist und x > y, wenn x
größer als y ist. Wenn x kleiner oder gleich y gilt, so schreiben wir auch x ≤ y, entsprechende
Bedeutung hat die Notation x ≥ y. Offenbar gilt stets eine der beiden Ungleichungen x ≤ y oder
y ≤ x. Wir nennen eine Zahl x ∈ R positiv, wenn x > 0 und negativ, wenn x < 0. Als Betrag
einer Zahl x ∈ R definieren wir |x| := x, wenn x ≥ 0 und |x| = −x, wenn x < 0.
1.3.1 Hilfssatz. Für Ungleichungen in R gelten folgende weitere Regeln:
i) Aus a ≤ b und b ≤ c folgt: a ≤ c. Gilt hierbei a < b oder b < c, so ist stets a < c.
ii) Genau dann ist a ≤ b (bzw. a < b), wenn −a ≥ −b (bzw. −a > −b)
iii) a) x ≤ y impliziert x + z ≤ y + z für alle z ∈ R. Ist z ≥ 0, so folgt weiter xz ≤ yz.
b) Wenn x ≤ y und z < 0, so hat man xz ≥ yz
c) Sind x und y positiv, so gilt x2 < y 2 genau dann, wenn x < y
iv) Genau dann besteht für a, b > 0 die Ungleichung a ≥ b, wenn 1/a ≤ 1/b. Entsprechend
ist a > b mit 1/a < 1/b äquivalent.
Die Betragsfunktion erfüllt folgende Regeln:
v) |x|2 = x2 ; ist t ≥ 0, so ist |z| ≤ t genau dann, wenn −t ≤ z ≤ t,
vi) |x| = 0 genau dann, wenn x = 0, |xy| = |x||y| und
|x + y| ≤ |x| + |y|
(Dreiecksungleichung)
Beweis. Zu iii). Der erste Teil ist klar. Zum zweiten: Wenn z < 0, (insbesondere −z > 0, so folgt
xz − yz = (−z)(y − x) ≥ 0, also xz ≥ yz. Sind x, y > 0, so ist y 2 − x2 = (y − x)(x + y) genau
dann positiv, wenn y − x es ist.
Zu iv). Man teile die Ungleichung a ≥ b (bzw. a < b) durch ab und benutze iii).
Punkt v) folgt aus der Definition des Betrages einer Zahl.
Zu vi) Die erste Behauptung ist klar. Zur zweiten: Wenn x = 0 oder y = 0 ist alles klar.
Angenommen, es sei x, y 6= 0. Dann wird (|xy| − |x||y|)(|xy| + |x||y|) = |xy|2 − |x|2 |y|2 =
(xy)2 − x2 y 2 = 0. Dann ist aber |xy| = |x||y|, denn |xy| + |x||y| > 0.
20
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
Zur Dreiecksungleichung: Es gilt −|x| ≤ x ≤ |x| und −|y| ≤ y ≤ |y|, woraus durch Addieren
der Ungleichungen folgt: −(|x|+|y|) = −|x|−|y| ≤ x+y ≤ |x|+|y|. Aus v) folgt die Behauptung.
Intervalle
Sind a, b ∈ R mit a < b, so sei
(a, b) := {x ∈ R | a < x < b},
(a, b] := {x ∈ R | a < x ≤ b} ,
[a, b) := {x ∈ R | a ≤ x < b},
[a, b] := {x ∈ R | a ≤ x ≤ b}
Analoge Bedeutung haben die Intervalle, wenn a durch −∞ oder b durch ∞ ersetzt wird.
Beispiele für das Lösen von Ungleichungen
Wir sehen uns dazu zwei Typen von Ungleichungen an:
i) Seien a, b und c reell, a > 0. Wir untersuchen die Menge
M := {x ∈ R | |ax + b| ≤ c}
Ist c < 0, so ist M = ∅. Ist c ≥ 0, so ist
x ∈ M ⇔ −c ≤ ax + b ≤ c ⇔ −c − b ≤ ax ≤ c − b ⇔ −
c−b
c+b
≤x≤
a
a
Das zeigt, dass
c+b c−b
,
]
a
a
, 12+7
] = [− 35 , 19
]
Beispiel: {x | |3x − 7| ≤ 12} = [− 12−7
3
3
3
M = [−
ii) Sei
M := {x | x2 + px + q ≥ s}
für beliebige p, q und s.
Nun gilt
p 2
p2
x ∈ M ⇔ (x + ) ≥ s − q +
2
4
Wenn also s − q +
M , wenn
p2
4
≤ 0, so ist M = R. Ist dagegen s − q +
p2
4
> 0, so gehört x genau dann zu
r
p
p2
|x + | ≥ s − q +
2
4
Dann wird aber M = M− ∪ M+ , wobei
r
r
p
p2
p
p2
M− = {x | x + ≤ − s − q + } = (−∞ , − − s − q + ]
2
4
2
4
1.3. DAS AUFLÖSEN VON GLEICHUNGEN UND UNGLEICHUNGEN
und
p
M+ = {x | x + ≥
2
Graphische Darstellungen:
r
p
p2
s − q + } = [− +
4
2
r
s−q+
21
p2
, +∞)
4
Zu (i) M = {x | |3x − 7| ≤ 12}
|3x-7|
12
M
x
-5/3
0
7/3
19/3
22
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
Zu (ii) mit p = 4, q = −3, s = 5.
10
5
M_
-4
M+
-2
-5
Weitere Beispiele. iii) Was ist
M := {x ∈ R | |4x − 1| > |2x + 2|} ?
Dazu überlegen wir
x ∈ M ⇔ (4x − 1)2 > (2x + 2)2
⇔ 16x2 − 8x + 1 > 4x2 + 8x + 4
⇔ 12x2 − 16x > 3
1
4
⇔ x2 − x >
3
4
2 2 4 1
5
⇔ (x − ) > + = ( )2
3
9 4
6
2
5
⇔ |x − | >
3
6
Das zeigt, dass
1
3
M = (−∞, − ) ∪ ( , ∞)
6
2
(iv) Was ist die Menge
M := {x ∈ R | |3x − 2| > |x|} ?
1.3. DAS AUFLÖSEN VON GLEICHUNGEN UND UNGLEICHUNGEN
23
Wir zerlegen M als M = M+ ∪ M− , wobei
M+ := {x ∈ M | 3x − 2 ≥ 0},
M− := {x ∈ M | 3x − 2 < 0}
und bestimmen M+ und M− einzeln. Es gilt
M+ = {x ∈ M | 2 − 3x < x < 3x − 2}
= {x ∈ M | − 2x < −2 und 4x > 2}
= {x ∈ M | x > 1} = (1, ∞)
und
M− = {x ∈ M | 3x − 2 < x < 2 − 3x}
= {x ∈ M | 4x < 2 und 2x < 2}
1
1
= {x ∈ M | x < } = (−∞ , )
2
2
1
Also ist M = (−∞ , 2 ) ∪ (1, ∞).
1 2x − 3 Beispiel. Berechne die Menge M := {x 6= ≤ x}. Zunächst ist M ⊂ (0, ∞) und
4
4x − 1
M = {x 6= 41 | |2x − 3| ≤ x|4x − 1|}. Wir zerlegen dann M = M1 ∪ M2 ∪ M3 , mit
h3
1 3
1
, ), M2 := M ∩ , ∞), M3 := M ∩ (0, )
M1 := M ∩
4 2
2
4
Dann rechnen wir aus:
1
M1 = {x > | 3 − 2x ≤ 4x2 − x}
4
1
1
3
1
= {x > | 4x2 + x ≥ 3} = {x > | x2 + x ≥ }
4
4
4
4
1 3
h 13
1
1 2
7 2
15 i
= {x > | (x + ) ≥ ( ) } =
, )∩
, ∞) ∪ (−∞, −
=∅
4
8
4
4 2
8
8
Weiter ist
h3
h3
2
M2 =
, ∞) ∩ {x 2x − 3 ≤ 4x − x} = , ∞) ∩ {x 4x2 − 3x ≥ −3}
2
2
h3
=
, ∞)
2
und schließlich
1
M3 = (0, ) ∩ {x | 3 − 2x ≤ x − 4x2 }
4
1
= (0, ) ∩ {x | 4x2 − 3x ≤ −3}
4
1
3
3
= (0, ) ∩ {x | x2 − x ≤ − }
4
4
4
1
3 2
3 2 3
= (0, ) ∩ {x | (x − ) ≤ ( ) − } = ∅,
4
8
8
4
24
da
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
( 38 )2
1.4
−
3
4
< 0. Also erhalten wir M = M2 =
h
3
, ∞).
2
Induktionsprinzip und Anwendungen
Das Induktionsprinzip ist der folgende Grundsatz:
Ist n0 ∈ IN und E ⊂ IN eine Menge mit den beiden Eigenschaften:
• n0 ∈ E und
• Ist n ≥ n0 und n ∈ E, so ist auch n + 1 ∈ E,
so besteht E aus allen natürlichen Zahlen, welche ≥ n0 sind.
Das erlaubt es, Formeln über natürliche Zahlen zu beweisen.
Beispiel. Es gilt für alle n ∈ IN die Beziehung:
n(n + 1)
(1.4.7)
2
Ein möglicher Beweis mit dem Induktionsprinzip (man sagt auch Induktion nach n) verläuft
so: Hier ist E die Menge der natürlichen Zahlen n, für die (1.4.7) zutrifft: Sicherlich ist n0 := 1 ∈
E. Gilt nun (1.4.7) für n, so haben wir
1 + 2 + 3 + 4 + ... + n =
1 + 2 + 3 + 4 + ... + (n + 1) = (1 + ... + n) + (n + 1)
n(n + 1) + 2n + 2
(n + 1)(n + 2)
n(n + 1)
+n+1=
=
=
2
2
2
Das ist gerade die Formel (1.4.7), wenn man n durch n + 1 ersetzt. Das zeigt: n + 1 ∈ E, wenn
n ∈ E.
Summennotation: Haben wir endlich viele Zahlen a1 , ...., an ∈ R gegeben, so schreiben wir
ihre Summe a1 + a2 + a3 + ... + an als
a1 + a2 + a3 + ... + an =:
n
X
k=1
Die Formel (1.4.7) lässt sich also auch als
n
X
k=1
schreiben.
k=
n(n + 1)
2
ak
1.4. INDUKTIONSPRINZIP UND ANWENDUNGEN
25
Man kann nun nach demselben Schema nachweisen, dass
n
X
n(n + 1)(2n + 1)
6
k2 =
k=1
und
n
X
3
k =
k=1
n(n + 1)
2
2
Geometrische Summenformel
1.4.1 Hilfssatz. Ist q 6= 1, so haben wir für alle n ∈ IN :
n
X
qk =
k=0
q n+1 − 1
q−1
(1.4.8)
Beweis. Auch das zeigen wir induktiv: Für n = n0 = 0 ist die Behauptung klar. Gilt sie für n,
so auch für n + 1:
n+1
X
q
k
=
n
X
q k + q n+1
k=0
n+1
k=0
−1
+ q n+1
q−1
q n+1 − 1 + q n+1 (q − 1)
q n+1 − 1 + q n+2 − q n+1
q n+2 − 1
=
=
=
q−1
q−1
q−1
=
q
Das war zu zeigen.
Als erste Anwendung erinnern wir uns an die Geschichte über die Erfindung des Schachspiels.
Der Erfinder dieses Spiels, der Brahmane Sissa, soll von seinem Herrscher, dem König Shrihram,
wie folgt belohnt worden sein: Auf das erste der 64 Felder des Schachbrettes kommt ein Weizenkorn, auf das 2. Feld 2, auf das 3. Feld 22 auf das 4. Feld 23 und immer so fort, allgemein auf das
n.te Feld 2n−1 . Wie viele Weizenkörner kommen so zusammen?
Die Antwort lautet
N :=
64
X
n=1
n−1
2
=
63
X
2n = 264 − 1
n=0
= 18 446 744 073 709 551 615
Soviel Weizen wächst auf der ganzen Erde nicht!
26
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
Angenommen, ein Weizenkorn wiegt ca. 0,05 Gramm. Dann erhalten wir als Weizenmenge
N · 0.05 = 922337203685477580, 75
Gramm, also über 922, 337203 Milliarden Tonnen Weizen. Das ist etwa das 1300 - Fache der
Weizenernte des Jahres 2013/14, als weltweit 709 Millionen Tonnen Weizen geerntet wurden.
Wollte man diese Weizenmenge auf Lastwagen mit 10 Tonnen Nutzlast verladen, so bräuchte
man 92,2337 Milliarden solcher LKWs. Hat jeder eine Länge von 10 Metern und führen die LKW
Stoßstange an Stoßstange, so entstünde ein Konvoi von 922 Millionen km Länge, was das 6-fache
Entfernung Erde-Sonne wäre. Er könnte etwa 23000 Mal um den Äquator gewickelt werden.
Die Formel (1.4.8) ist verallgemeinerbar:
1.4.2 Hilfssatz. Ist n 6= 0 ganz, so haben wir für alle a 6= b:
n−1
X
ak bn−1−k =
k=0
an − b n
a−b
(1.4.9)
Beweis. Wenn wir in (1.4.8) mit n − 1 statt n setzen q := ab , so wird
n−1
n−1
n−1 k
n
X
X
X
an − b n
a
n−1 q − 1
n−1
k
n−1
=b
=b
=
ak bn−1−k
q =b
k
a−b
q−1
b
k=0
k=0
k=0
Ein weiteres Beispiel:
1.4.3 Hilfssatz (Bernoulli-Ungleichung). Wenn x ≥ −1 und n ∈ IN , so gilt immer
(1 + x)n ≥ 1 + nx
Beweis. Auch das ist induktiv nachzuweisen: Für n = 1 ist nichts zu tun. Angenommen, die
Ungleichung gilt für n ≥ 1. Dann gilt sie auch für n + 1, denn
(1 + x)n+1 = (1 + x)n (1 + x) ≥ (1 + nx)(1 + x) = 1 + (n + 1)x + nx2 ≥ 1 + (n + 1)x
wobei die Ungleichung (1 + x)n (1 + x) ≥ (1 + nx)(1 + x) aus der Induktionsannahme und der
Voraussetzung 1 + x ≥ 0 folgt.
Die geometrisch-arithmetische Ungleichung
1.4.4 Satz Sind x1 , ..., xn ≥ 0, so gilt
(x1 · ... · xn )1/n ≤
x1 + ... + xn
n
1.4. INDUKTIONSPRINZIP UND ANWENDUNGEN
27
Beweis. Auch das zeigen wir durch Induktion nach n. Für n = 1 ist nichts zu tun, da dann
beide Seiten übereinstimmen.
Angenommen, die Ungleichung gelte für n Zahlen. Sind dann x1 , ...., xn+1 ≥ 0, so dürfen wir
n
und schreiben
annehmen, es sei xn+1 die größte unter ihnen. Dann setzen wir An := x1 +...+x
n
x1 + ... + xn+1
(n + 1)An
n+1
=
nAn + xn+1
(n + 1)An
n+1
xn+1 − An
=
1+
(n + 1)An
xn+1 − An
≥ 1+
An
xn+1
=
An
n+1
Damit folgt
x1 + ... + xn+1
n+1
n+1
≥ Ann xn+1 ≥ (x1 · ... · xn )xn+1 = x1 · ... · xn+1
da ja laut Induktionsannahme gilt Ann ≥ x1 · ... · xn . Das beweist die Behauptung für n + 1.
Aus der Kombinatorik
Fakultät und Binomialkoeffizienten
Ist n ∈ IN , so definieren wir n! := 1, wenn n = 0 und sonst n! = 1 · 2 · 3 · ... · n (also ist n! für
n ≥ 2 das Produkt der ersten n natürlichen Zahlen!)
Beispiele. 4! = 24, 6! =720, 10! = 3628800, 15! = 1 307 674 368 000.
Die Binomialkoeffizienten sind so definiert: Sind n und k ∈ IN , so setzen wir
n
k
Ferner setzen wir
n
0
:= 1 und
0
0
=
n!
(n − k)!k!
= 1.
Wo kommen die Binomialkoeffizienten vor?
Anwendungen der Binomialkoeffizienten
Befinden sich in einer Urne n Kugeln, so gibt es nk verschiedene Möglichkeiten, k Kugeln
herauszunehmen, (wobei natürlich die Zahl k nicht größer
als n sein soll).
n
Allgemeiner gesagt: Eine n-elementige Menge hat k verschiedene k-elementige Teilmengen.
28
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
Beim Lottospiel kann man auf
49
6
verschiedene Weisen 6 Zahlen ankreuzen, das sind
44 · 45 · 46 · 47 · 48 · 49
= 13 983 816
720
Möglichkeiten.
So berechnen wir die Binomialkoeffizienten systematisch:
1.4.5 Hilfssatz. a) Die Binomialkoeffizienten sind symmetrisch:
n n =
k
n−k
n
b) Man kann n+1
aus nk und k−1
berechnen:
k
n+1
k
=
n
k
+
n
k−1
Beweis. a) klar. Zu b)
n n + 1
n n n
n+1
k
)=
=
+
=
(1 +
k
k−1
n+1−k
k n+1−k
k
k
Das folgende Schema zur Berechnung der Binomialkoeffizienten basiert auf diesem Hilfssatz
und heißt (nach dem französischen Mathematiker Blaise Pascal) auch
1.4. INDUKTIONSPRINZIP UND ANWENDUNGEN
29
Pascalsches Dreieck:
0
k
1
k
2
k
3
k
4
k
5
k
6
k
7
k
1
1
1
2
1
1
1
1
1
7
3
4
5
6
1
3
6
10
15
21
1
4
10
20
35
1
1
5
15
35
1
6
21
1
7
1
Hier ist eine kombinatorische Anwendung des Binomialkoeffizienten:
1.4.6 Satz Gegeben sei eineMenge Sn = {x1 , ..., xn } mit n Elementen und k ∈ {0, 1, 2, ..., n}.
n
Dann findet man exakt
Teilmengen in Sn , die k Elemente besitzen.
k
Beweis. Auch hier eignet sich ein Induktionsargument. Der Fall n = 1 ist klar. Angenommen,
die Aussage gelte für n-elementige Mengen. Ist nun A ⊂ Sn+1 := {x1 , ..., xn+1 } eine Teilmenge
mit k Elementen, so gehört A zu genau einer der beiden Teilmengensysteme:
T1 := {L ⊂ Sn+1 | xn+1 ∈
/ L},
T2 := {L ⊂ Sn+1 | xn+1 ∈ L}
Aber T1 steht in 1-zu-1-Korrespondenz mit T := {Z ⊂ Sn | Z hat k Elemente} und T2 in 1zu-1-Korrespondenz mit T3 := {X ⊂ Sn | X hat k − 1 Elemente}, denn genau dann gehört eine
Teilmenge A zu T2 , wenn X := A\{xn+1 } zu T
3 gehört.
Aber dann hat T1 genau soviele Elemente
n
wie T , und das sind nach Induktionsannahme
an der Zahl und T2 genau soviele Elemente
k
n
n
n
wie T3 , und das sind
an der Zahl. So finden wir, dass für A exakt
+
=
k
−
1
k
k
n+1
Möglichkeiten bestehen.
k−1
Die Regel (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 , (a − b)2 = a2 − 2ab + b2 lässt sich verallgemeinern zum
Binomischen Lehrsatz:
30
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
1.4.7 Satz (Binomischer Lehrsatz). Für zwei Zahlen a, b ∈ R und n ∈ IN gilt:
(a + b)n =
n X
n
k=0
k
an−k bk
Auch dies ist mit Induktionsverfahren und der Rekursionsformel für die Binomialkoeffizienten
zu zeigen.
Der Induktionsanfang ist n = 1 ist klar. Nehmen wir an, die Formel gelte für n, so gilt sie
auch für n + 1, denn
n+1
(a + b)
= (a + b)
n X
n
l=0
=
n X
n
l=0
n+1
X
l
a
l
an−l bl
n−l+1 l
b +
n X
n
k
k=0
n+1 X
an−k bk+1
n
n n+1−l l
a
b +
an+1−l bl
=
l
−
1
l
l=1
l=0
n
X
n
n
n+1
= a
+
+
an+1−l bl
l
l−1
l=1
n+1 X
n+1
=
an+1−k bk
k
k=0
Zwei kleine Anwendungen:
1.4.8 Folgerung. Es gilt
n X
n
k=0
k
= 2n ,
n X
n
k=0
k
(−1)k = 0
Wähle im Binomialsatz einmal a = b = 1 und das andere Mal a = −1, b = 1.
Kapitel 2
Vektorrechnung
2.1
2.1.1
Vektoren in der Ebene
Rechenoperationen
Die Punkte in der Ebene lassen sich durch ein Paar reeller Zahlen eindeutig beschreiben. Diese
beiden Zahlen nennen wir auch die Koordinaten des Punktes. Die Ebene wird auch mit dem
Symbol R2 bezeichnet.
(x,y)
Ist P ein Punkt der Ebene und sind x und y seine Koordinaten, so schreiben wir dies in der
Form P = P (x, y).
33
34
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
Defintion Unter einem Vektor verstehen wir einfach eine Spalte
v1
~v =
v2
mit den reellen Zahlen v1 und v2 als Einträgen. Jedem Punkt P (x, y) ordnen wir seinen ”Ortsvektor”
x
P~ =
y
zu.
Für Vektoren
erklärtmandie folgenden Rechenoperationen:
x
a
Ist ~v =
,w
~=
, so setzen wir
y
b
x+a
~v + w
~ :=
y+b
und, wenn α ∈ R beliebig gewählt ist:
α~v =
αx
αy
v+w
w
2v
v
Folgende Rechenregeln sind routinemäßig zu überprüfen:
i)Assoziativgesetz: (~v + w)
~ + ~u = ~v + (w
~ + ~u),
ii) Kommutativgesetz: ~v +w
~ =w
~ + ~v ,
0
iii) ~v + ~0 = ~v , wobei ~0 :=
sein soll.
0
2.1. VEKTOREN IN DER EBENE
35
iv) ~v − ~v := ~v + (−1)~v = ~0. (Wir schreiben natürlich (−1)~v =: −~v ).
v) (α + β)~v = α~v + β~v
vi) α(~v + w)
~ = α~v + αw,
~
vii) (αβ)~v = α(β~v ),
für alle ~v , w,
~ ~u ∈ R2 und α, β ∈ R.
−→
~ − A.
~ Wir sagen, zwei PunkteSind A und B Punkte in der Ebene, so schreiben wir AB := B
−→
−→
paare (A, B) und (C, D) definieren denselben Vektor, wenn AB = CD. So können wir auch mit
Vektoren arbeiten, die nicht vom Nullpunkt ”ausgehen”. Der Vektor, der von A ausgeht und nach
B verläuft (Pfeilspitze in B) wird nicht mehr unterschieden von dem Vektor, welcher parallel zu
−→
AB liegt und im Nullpunkt ansetzt.
Definition. Wir nennen 2 Vektoren linear abhängig, wenn ~v = ~0 oder w
~ = ~0 gilt oder wenn
~v = tw
~ mit einer geeigneten reellen Zahl t.
Entsprechend heißen ~v und w
~ linear unabhängig, wenn sie nicht linear abhängig sind.
Wie überprüfen wir lineare Unabhängigkeit durch Nachrechnen ?
2.1.1 Satz. Genau dann sind zwei Vektoren ~v1 =
a1
b1
und ~v2 =
a2
b2
linear unabhängig,
wenn a1 b2 − a2 b1 6= 0 gilt.
Beweis. Angenommen, ~v1 und ~v2 seien linear unabhängig. Dann ist a1 6= 0 oder a2 6= 0. Sei
etwa a1 6= 0. Wäre a1 b2 − a2 b1 = 0, so folgte b2 = aa21 b1 und damit ~v2 = aa21 ~v1 , was nicht sein sollte.
Es muss also a1 b2 − a2 b1 6= 0 sein.
Sind nun ~v1 und ~v2 linear abhängig, also etwa ~v1 = λ~v2 mit einer Zahl λ ∈ R, so folgte ja
a1 = λa2 , b1 = λb2 , also a1 b2 − a2 b1 = λa2 b2 − λa2 b2 = 0.
a
b
Definition. Sind ~v =
,w
~=
∈ R2 , so bezeichnen wir mit
c
d
a b := ad − bc
det(~v , w
~ ) = c d a b a c a b
=
.
die Determinante der Matrix
. Es gilt c d
c d b d Für die Determinante gelten folgende Regeln:
2.1.2 Satz. Sind ~u, ~v , w
~ ∈ R2 und t ∈ R, so haben wir
det(~u + ~v , w)
~ = det(~u, w)
~ + det(~v , w)
~
36
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
det(~v , ~u + w)
~ = det(~v , ~u) + det(~v , w)
~
det(t~v , w)
~ = det(~v , tw)
~ = t det(~v , w)
~
det(w,
~ ~v ) = − det(~v , w),
~
det(t~v , ~v ) = 0
Beispiele. a)
243 23
25 89
220 23 55 23 = −64 89 = 4 −16 89 32 23 = 4
−105 89 = 4(32 · 89 + 23 · 105) = 4 · 5263
= 21052
b)
562 28
112 82
= 2 281 28 56 82 1
28
= 2 56 − 820 82
1
14
= 4 −764 41 = 4(41 + 764 · 14)
= 42948
1
28
= 2
−764 82 2.1.1.1 Satz. Sind die Vektoren ~v , w
~ ∈ R2 linear unabhängig, so ist jeder Vektor ~x ∈ R2
darstellbar als
~x = t~v + sw
~
mit geeigneten t, s ∈ R.
v1
w1
Beweis. Wir schreiben ~v =
und w
~=
. Soll es für ein ~x ∈ R2 Koeffizienten t, s
v2
w2
geben, für die ~x = t~v + sw
~ ist, so sind t und s festgelegt. Denn dann ist
det(~x, w)
~ = t det(~v , w),
~
det(~v , ~x) = s det(~v , w)
~
Da nun det(~v , w)
~ 6= 0, haben wir dann
t=
det(~x, w)
~
,
det(~v , w)
~
s=
det(~v , ~x)
det(~v , w)
~
2.1. VEKTOREN IN DER EBENE
37
Umgekehrt ergibt die Rechenprobe, dass wirklich
~x =
Beispiele. a) Die Vektoren
4
7
det(~v , ~x)
det(~x, w)
~
~v +
w
~
det(~v , w)
~
det(~v , w)
~
und
1
9
sind linear unabhängig, denn
4 1
∆ := 7 9
so dass man ~x :=
8
5
= 29
als Linearkombination dieser beiden Vektoren schreiben kann, und zwar
8 1 5 9 8
=
5
29
6
b) Die Vektoren
und
7
4 8 7 5 1
67 4
36 1
4
+
=
−
7
9
29
29 7
29 9
−2
sind linear unabhängig, da
12
6 −2 = 86
∆ := 7 12 Es gilt
5 −2
4 12
5
=
4
86
6
+
7
6 5
7 4
29
−2 34 6 11 −2 =
−
12
12
43 7
86
38
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
Hier ist eine Veranschaulichung der Beweisidee:
w
sv
v
x=sv+tw
tw
Das Skalarprodukt
y1
x1
definieren wir das ”Skalarprodukt”
, ~y =
Definition. Für ~x =
y2
x2
h~x, ~y i := x1 y1 + x2 y2
2.1.1.2 Satz a) Für das Skalarprodukt gelten die Regeln:
h~x, ~y i = h~y , ~xi
h~x, ~y + ~ui = h~x, ~y i + h~x, ~ui
h~x + ~u, ~y i = h~x, ~y i + h~u, ~y i
b) Der Abstand eines Punktes x mit Ortsvektor ~x von Nullpunkt ist gegeben durch
p
k~xk := h~x, ~xi
Weiter gilt für ~x, ~y ∈ R2
k~x + ~y k2 = k~xk2 + k~y k2 + 2h~x, ~y i
c) Genau dann bilden 2 Vektoren ~x, ~y ∈ R2 \ {~0} einen Winkel von 90◦ , wenn h~x, ~y i = 0 ist.
2.1. VEKTOREN IN DER EBENE
39
Beweis. a) und b) rechnet man nach. Zu c) Bilden ~x und ~y einen Winkel von 90◦ , so gilt der
Pythagorassatz: Der Pythagorassatz, den wir auf das Dreieck mit Ecken ~0, ~x und ~y anwenden
können, lehrt
k~xk2 + k~y k2 = k~x − ~y k2
x
x-y
y
Andererseits ist aber auch
k~x − ~y k2 = k~xk2 + k~y k2 − 2h~x, ~y i
Vergleichen wir beides miteinander, erhalten wir h~x, ~y i = 0.
~ := 1 (~x +~y ) und R = 1 k~x −~y k.
Umgekehrt nehmen wir an, es sei h~x, ~y i = 0. Dann setzen wir M
2
2
~ k = k~x − M
~ k = k~x + ~y − M
~ k = R, so dass ~0, ~x und ~x + ~y auf
Aus h~x, ~y i = 0 erhalten wir, dass kM
~ mit Radius R liegen. Der Satz von Thales sagt, dass nun ~x auf ~y senkrecht
dem Halbkreis um M
stehen muss.
x + y
x
M
0
40
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
Definition. Wir nennen 2 Vektoren ~v , w
~ ∈ R2 orthonormiert, wenn k~v k = kwk
~ = 1 und
h~v , wi
~ = 0.
2.1.1.3 Satz Sind ~v , w
~ ∈ R2 orthonormiert, so gilt für jedes ~x ∈ R2
~x = h~x, ~v i~v + h~x, wi
~ w
~
und
k~xk2 = h~x, ~v i2 + h~x, wi
~ 2
Beweis. Es gilt ~v , w
~ 6= ~0 und wegen h~v , wi
~ = 0 kann nicht ~v = tw
~ für irgendein t ∈ R gelten.
Also lässt sich jedes ~x ∈ R2 als ~x = t~v + sw
~ schreiben. Wir bilden die Skalarprodukte mit ~v und
w
~ und finden
h~x, ~v i = ht~v + sw,
~ ~v i = t, h~x, wi
~ = ht~v + sw,
~ wi
~ =s
Weiter rechnen wir aus, dass
k~xk2 = kt~v + swk
~ 2
= t2 + s2 + 2tsh~v , wi
~ = t2 + s2
Anmerkung. Ist ~v =
a
b
−b
~
6 0, so ist w
=
~ senkrecht auf ~v genau dann, wenn w
~ =t
a
mit einer Zahl t ∈ R.
Beispiel. Seien ~v =
5
7
und w
~ =
7
−5
. Dann ist h~v , wi
~ = 0, und
√1 ~
v
74
und
√1 w
~
74
sind
orthonormiert. Weiter ist
34 5
130
17 5
65
10
7
7
=−
+
=−
+
−12
−5
74 7
74
37 7
37 −5
Der oben behandelte Satz hat viele Anwendungen.
2.1.2
Geometrische Anwendungen
Schnittpunkte bei Geraden
~ und B
~ 6= A
~ auf
Man kann eine Gerade G ⊂ R2 eindeutig beschreiben, wenn man 2 Punkte A
~ und die Richtung ~v der Geraden angibt. So kommen
ihr vorgibt, oder wenn man einen Punkt A
wir zu den folgenden 2 Darstellungen für die Gerade G:
(ZP F )
~ + R(B
~ − A)
~ := {A
~ + t(B
~ − A)
~ | t ∈ R}
G=A
2.1. VEKTOREN IN DER EBENE
41
oder alternativ
(P RF )
~ + R~v := {A
~ + t~v | t ∈ R}
G=A
~ und B
~ −A
~ linear abhängig
Nach (ZPF) liegt ein Punkt ~x genau dann auf G, wenn ~x − A
sind.
~ und ~v linear abhängig sind.
Nach (PRF) liegt ~x genau dann auf G, wenn ~x − A
Wir untersuchen jetzt die Schnittmenge zweier Geraden G1 und G2 .
~ 1 + R~v1 und G2 = A
~ 2 + R~v2 zwei Geraden, so gilt folgendes
2.1.2.1 Satz. Sind G1 = A
~1 − A
~ 2 und ~v1 linear unabhängig, so ist G1 ∩ G2 = ∅,
a) Sind ~v1 und ~v2 linear abhängig und A
also G1 parallel zu G2 .
~1 − A
~ 2 und ~v1 linear abhängig, so ist G1 = G2 .
Sind ~v1 und ~v2 linear abhängig und A
~ wobei
b) Sind ~v1 und ~v2 linear unabhängig, so ist G1 ∩ G2 = {S},
~
~
~=A
~ 1 + det(A2 − A1 , ~v2 ) ~v1
S
det(~v1 , ~v2 )
Beweis. a) Angenommen, ~v2 = s~v1 mit einer reellen Zahl s 6= 0. Gäbe es einen Punkt ~x ∈
~ 1 + t1~v1 = A
~ 2 + t2~v1 für geeignete t1 , t2 ∈ R. Dann wäre ja A
~1 − A
~ 2 = (t2 − t1 )~v1 ,
G1 ∩ G2 , so ~x = A
~ 1 und A
~ 2.
Widerspruch zur Annahme über A
~1 − A
~ 2 = r~v1 , und ~x = A
~ 1 + t~v1 ∈ G1 , so folgt ~x = A
~ 2 + (r + t)~v1 = A
~ 2 + (r + t)s−1~v2 ∈ G2 .
Ist A
Also ist G1 ⊂ G2 . Entsprechend zeigt man G2 ⊂ G1 . Also folgt G1 = G2 .
~1 − A
~ 2 in der Form A
~1 − A
~ 2 = t1~v1 + t2~v2 schreiben. Dann
b) Nach Satz 2.1.1.1 kann man A
ist aber
~ 1 − t1~v1 = A
~ 2 + t2~v2 =: S
~ ∈ G1 ∩ G2
A
~
Die Formeln aus dem Beweis von Satz 2.1.1.1 ergeben den behaupteten Ausdruck für S.
2.1.2.2 Beispiel (Schwerpunkt im Dreieck). Angenommen, wir haben ein Dreieck mit Ecken
A, B und C gegeben. Dann schneiden sich die Seitenhalbierenden in einem Punkt S. Zu den
~ B
~ und C.
~ Für den Schwerpunkt S und den zugehörigen
Punkten A, B und C gehören Vektoren A,
~ haben wir
Vektor S
~ = 1 (A
~+B
~ + C).
~
S
3
~ − A,
~ w
~ − A.
~
Beweis. Wir schreiben ~v := B
~ := C
42
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
Die Winkelhalbierenden sind dann die drei Geraden
~ + R(~v − 1 w),
~
WB = B
2
~ + R(~v + w),
WA := A
~
~ + R( 1 ~v − w)
WC = C
~
2
C
a
b
S
x
y
B
z
c
A
Der vorherige Satz sagt dann
WA ∩ WB = {SAB },
WA ∩ WC = {SAC },
WB ∩ WC = {SBC }
mit
SAB
~ − A,
~ ~v − 1 w)
det(B
~
2
~
= A+
(~v + w)
~
1
det(~v + w,
~ ~v − 2 w)
~
~+
= A
det(~v , ~v − 21 w)
~
(~v + w)
~
det(~v + w,
~ ~v − 12 w)
~
{z
}
|
= 13
~ + 1 (B
~ +C
~ − 2A)
~
= A
3
1 ~ ~ ~
=
(A + B + C)
3
2.1. VEKTOREN IN DER EBENE
43
Ebenso errechnen wir
~
~ 1
~
~ + det(C − A, 2 ~v − w)
(~v + w)
~
SAC = A
1
det(~v + w,
~ 2 ~v − w)
~
~+
= A
det(w,
~ ~v − 12 w)
~
(~v + w)
~
det(~v + w,
~ ~v − 12 w)
~
{z
}
|
= 13
=
1 ~ ~ ~
(A + B + C)
3
~+B
~ + C)
~ ist.
Entsprechend rechnen wir aus, dass SBC = 13 (A
Ein weiteres
Beispiel: Bestimmung von Teilungsverhältnissen.
Gegeben sei ein Parallelogramm mit Ecken A, ..., D. Die Seite BC werde durch den Punkt P
von B aus im Verhältnis 2:1 geteilt, und M sei Mittelpunkt der Seite CD.
In welchem Verhältnis teilt dann der eingezeichnete Punkt S die Strecke AP ?
M
C
D
P
w
S
B
A
v
−→
Es sei ~v der zur Seite AB und w
~ der zu AD gehörige Vektor. Dann haben wir AP = ~v + 23 w
~ und
−→
−→
−→
−→
~
AM = 21 ~v + w.
~ Weiter folgt BM = AM − AB = − 21 ~v + w.
~ Die Gerade AP ist G1 = A+R(~
v + 32 w)
~
1
~
und die Gerade BM ist gegeben durch G2 = B + R(− ~v + w).
~ Ihr Schnittpunkt ist jetzt
2
~=A
~+
S
−→
det(~v , − 12 ~v + w)
~
2
~ + 3 AP
(~
v
+
w)
~
=
A
3
4
det(~v + 23 w,
~ − 21 ~v + w)
~
Damit lautet die Antwort auf die gestellte Frage so:
Die Strecke AP wird durch S von A aus im Verhältnis 3:1 geteilt.
44
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
Die Cramersche Regel
Als weitere Anwendung sehen wir uns die sog. Cramer-Regel an:
2.1.2.3 Satz. Angenommen, wir haben ein Gleichungssystem gegeben in der Form
ax + by = t
cx + dy = s
a b
mit Matrix A =
, so dass det A 6= 0.
c d
Dann existiert genau eine Lösung zu dem Gleichungssystem, nämlich
t b a t s d c s x=
, y=
det(A )
det(A )
Beweis. Wir schreiben das Gleichungssystem als
a
c
x+
b
d
y=
t
s
und wenden Satz 2.1.1.1 an.
2.1.3
Winkel und Abstände
Ist α ein Winkel, α < 90◦ , so bilden wir irgendein rechtwinkliges Dreieck, bei dem α als Winkel
zwischen einer Kathete und der Hypotenuse auftritt.
B
c
a
α
A
b
C
Dann hängen die Verhältnisse
ab. Wir schreiben
a
c
und
b
c
nicht von der Wahl des Dreiecks, sondern nur von α
a
b
sin α = , cos α =
c
c
Wir definieren für Winkel α zwischen 90◦ und 180◦
sin α = sin(180 − α), cos α = − cos(180 − α)
2.1. VEKTOREN IN DER EBENE
45
2.1.3 Hilfssatz Schließen α und ~y den Winkel α ein, so ist
h~x, ~y i = k~xkk~y k cos(α)
Beweis. Wir sehen uns die Zeichnung an:
C
C
y
B
y
β
α
x
A
α
F
A
F
x
B
Wir beobachten, dass für 0 < α < 90◦ gilt AF = k~y k cos α und für 90◦ < α < 180◦ die
Beziehung AF = k~y k cos β = k~y k cos(180◦ − α) = −k~y k cos α besteht. In beiden Fällen ist
F B = k~xk − k~y k cos α. Wenden wir den Pythagorassatz auf das Dreieck CF B an, so folgt mit
sin β = sin α
(k~xk − k~y k cos α)2 + k~y k2 sin2 α = k~x − ~y k2
Der Term auf der linken Seite ist aber genau k~xk2 + k~y k2 − 2k~xkk~y k cos α und der auf der rechten
Seite gleich k~xk2 + k~y k2 − 2h~x, ~y i. Vergleichen wir beides, folgt h~x, ~y i = k~xkk~y k cos α.
Das liefert die Behauptung.
1
−11
Beispiel. Der Winkel α zwischen den Vektoren
und
erfüllt die Gleichung
−2
−12
cos α =
13
13
13
h~x, ~y i
=√ √
= √ =
= 0.357137
k~xkk~y k
36.4005
5 265
5 53
Das ergibt α = 69◦ 40 .
Als weitere Anwendung finden wir einen Beweis des Cosinussatzes:
46
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
2.1.4 Satz. Bilden in einem Dreieck 2 Seiten ~x und ~y einen Winkel α, so ist das Quadrat über
der dritten Seite gerade gleich
k~x − ~y k2 = k~xk2 + k~y k2 − 2k~xkk~y k cos α
Beweis. Denn
k~x − ~y k2 = k~xk2 + k~y k2 − 2h~x, ~y i,
und h~x, ~y i = k~xkk~y k cos α.
Beispiel (Heronische Formel). Hat ein Dreieck die Seiten a, b und c und setzen wir S =
so gilt für seinen Flächeninhalt F die Beziehung:
p
F = S(S − a)(S − b)(S − c) .
a+b+c
,
2
Wir beachten folgendes:
b
a
α
c
a2 = k~ak2 = k~b − ~ck2 = b2 + c2 − 2bc cos α
Mit 2F = bc sin α folgt 4F 2 = b2 c2 sin2 α = b2 c2 − b2 c2 cos2 α und damit
16F 2 =
=
=
=
=
4b2 c2 − 4b2 c2 cos2 α
4b2 c2 − (a2 − b2 − c2 )2
(2bc + a2 − b2 − c2 )(2bc − a2 + b2 + c2 ) = (a2 − (b − c)2 )((b + c)2 − a2 )
(a − b + c)(a + b − c)(b + c − a)(a + b + c) = 2(S − b) · 2(S − c) · 2(S − a) · 2S
16S(S − a)(S − b)(S − c)
Daraus folgt alles.
2.1. VEKTOREN IN DER EBENE
47
Beispiel: Resultierende aus mehreren Kräften
Angenommen, an einem Punkt greifen vier Kräfte an, wie im folgenden Bild gezeigt wird:
F (2)
F
F (1)
45
61 30
20
F (3)
15
F (4)
Dabei sind die Beträge der Kräfte gegeben durch
kF~ (1) k = 500N, kF~ (2) k = 300N, kF~ (3) k = 250N, kF~ (4) k = 200N
Dann ist die resultierende Kraft F~ gerade die Summe aus F~ (1) , ..., F~ (4) .
Im einzelnen wird nun wegen cos(200◦ ) = − cos 20◦ = −0.939693, sin 20◦ = 0.342 und
◦
cos 15◦ = 0.965, sin
15 =◦ 0.258:
cos 30
433N
(1)
F = 500N
=
sin 30◦
250N
◦
cos 135
−212.1N
(2)
F = 300N
=
sin 135◦
212.1N
◦
cos 20
−234.92N
(3)
F = −250N
=
sin 20◦
−85.5N
◦
cos 15
193.2N
(4)
F = 200N
=
.
sin 15◦
−51.8N
Es folgt also
4
X
433
−
212.1
−
234.92
+
193.2
179.18N
(i)
F~ =
F =
N=
250 + 212.1 − 85.5 − 51.8
324.8N
i=1
Kraftzerlegung an einem Keil. Angenommen, auf einen Keil mit Öffnungswinkel 2α wirkt eine
Kraft F~ . Wie groß sind die Komponenten F~1 und F~2 von F~ , die auf den Seitenflächen senkrecht
stehen:
48
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
α
A
F
1
F
2
2β
F
cos α
− cos α
~
, F2 =
und
− sin α
− sin α
damit det(F~1 , F~2 ) = −2 sin α cos α. Weiter ist det(F~ , F~2 ) = det(F~1 , F~ ) = −kF~ k cos α. So finden
~k
F
wir mit Satz 2.1.1.1 heraus: F~ = 2ksin
(F~1 + F~2 )
α
Beispiel: Ist etwa kF~ k = 15N und α = 5◦ , so wird 2 sin α = 0.1743 und folglich kF~1 k =
~
kF k
15
= 0.1743
N = 86N.
2 sin α
Zunächst beachten wir β = 90 − α. Es folgt F~1 =
◦
Abstandsberechnungen
~ + R~v und ein Punkt ~x ∈ R2 .
2.1.3.1 Satz. Gegeben sei eine Gerade G = A
a) Dann gilt für jeden Punkt ~y ∈ G:
k~x − ~y k ≥ d(~x, G) :=
~+
b) Für den Punkt PG (~x) := A
~ ~v i
h~
x−A,
~v
k~v k2
~ ~v )|
| det(~x − A,
k~v k
gilt:
PG (~x) ∈ G,
~x − PG (~x) ⊥ ~v
und
k~x − PG (~x)k = d(~x, G)
Der Punkt PG (~x) wird daher die Senkrechtprojektion von ~x auf G genannt.
~ + t~v ∈ G beliebig, so gilt
Beweis. Ist ~y = A
~ − t~v |2
k~x − ~y k2 = k~x − A
~ 2 + t2 k~v k2 − 2th~x − A,
~ ~v i
= k~x − Ak
!2
~ ~v i2
~
h~x − A,
h~x − A, ~v i
2
~
= k~x − Ak + tk~v k −
−
k~v k
k~v k2
2
~
~ 2 − h~x − A, ~v i
≥ k~x − Ak
k~v k2
2.1. VEKTOREN IN DER EBENE
Schreiben wir ~u :=
2.1.1.3 haben wir
−v2
v1
49
, so sind
~v
k~v k
und
~
u
k~v k
eine Orthonormalbasis für R2 . Aus Satz
2
2
~
~
~ 2 − h~x − A, ~v i = h~x − A, ~u i
k~x − Ak
k~v k2
k~v k2
~ ~u i = − det(~x − A,
~ ~v ) folgt dann die erste Behauptung. Wählen wir
Zusammen mit h~x − A,
~ vi
h~
x−A,~
~ + t~v = PG (~x) und
t := k~vk2 , finden wir A
k~x − PG (~x)k = d(~x, G)
Weiter rechnen wir nach, dass
~
~ ~v i − h~x − A,
~ ~v i = 0
~ − h~x − A, ~v i ~v , ~v i = h~x − A,
h~x − PG (~x), ~v i = h~x − A
k~v k2
Flächenberechnung
2.1.3.2 Satz. Sei P ein Parallelogramm mit Ecken A, B, C und D, wie im
50
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
Bild:
C
D
w
B
A
v
Dann hat P den Flächeninhalt
~ − A,
~ B
~ − A)|
~
F (P) = | det(D
~ + R~v .
Beweis. Denn die Grundseite von P ist k~v k und seine Höhe d(D, G), wobei G = A
~ − A:
~
Dann ist aber wegen ~v = B
~ − A,
~ B
~ − A)|
~
F (P) = k~v k · d(D, G) = | det(D
2.2
Der Raum R3
2.2.1
Rechenoperationen
Ähnlich wie in der Ebene beschreiben wir die Punkte des Anschauungsraumes durch Zahlentripel,
die Koordinaten, also


x1
P~ =  x2  ,
x3
weshalb man den Anschauungsraum auch als den R3 bezeichnet, und definieren für die Vektoren
des Raumes die entsprechenden Rechenoperationen:

  0 






x1
x1
x1 + x01
x1
αx1
 x2  +  x02  :=  x2 + x02  , α  x2  :=  αx2 
x3
x03
x3 + x03
x3
αx3
2.2. DER RAUM R3
51
Ebenso erklären wir den Nullvektor als denjenigen Vektor, dessen 3 Komponenten Null sind.
Die Rechenregeln, die für ebene Vektoren gelten, übertragen sich sinngemäß.
Definition. Gegeben seien 3 Vektoren ~v , w,
~ ~u ∈ R3
a) Wir nennen ~v , w
~ und ~u linear unabhängig, wenn gilt: Sind t, s, r ∈ R reelle Zahlen, die
nicht alle gleich 0 sind, so ist auch t~v + sw
~ + r~u 6= ~0.
b) Ist es möglich, Zahlen t, s, r ∈ R zu finden, welche nicht alle gleich 0 sind, aber trotzdem
t~v + sw
~ + r~u = ~0 wird, so heißen ~v , w
~ und ~u linear abhängig.
c) Ist ~x als ~x = t~v + sw
~ + r~u darstellbar, so bezeichnen wir ~x als Linearkombination von ~v , w
~
und ~u.
Man hat im R3 die ”kanonischen” Einheitsvektoren
 
 
 
1
0
0





0 , ~e2 =
1 , ~e3 =
0 
~e1 =
0
0
1
Sie sind linear unabhängig, und jeder Vektor ~x ∈ R3 ist Linearkombination dieser Vektoren.
Im Raum R3 haben wir den entsprechenden Satz, den man ähnlich wie Satz 2.1.1.1 zeigt:
2.2.1.1 Satz. Sind ~v , w
~ und ~u linear unabhängige Vektoren in R3 , so ist jedes ~x ∈ R3 eine
Linearkombination von ~v , w
~ und ~u.
Beweis. (Skizze) Es kann nicht die 1. Koordinate aller 3 Vektoren ~v , w
~ und ~u gleich0 sein,

v1
sonst wären diese Vektoren linear abhängig. Wir können daher annehmen, es sei ~v =  v2 
v3
u1
w1
~
und v1 6= 0. Dann sind auch ~a := w
~ − v1 ~v und b := ~u − v1 ~v linear unabhängig. Beachten wir,




0
0
~



a2 , b =
b2  als linear unabhängig im R2 anzusehen sind. Ist ~x ∈ R3 beliebig,
dass ~a =
a3
 b3
0
x1

x
e2 . Nach Satz 2.1.1.1 gibt es also t, s ∈ R mit ~x − xv11 ~v = t~a + s~b. Das
so ist auch ~x − v1 ~v =
x
e3
bedeutet aber, dass
x1
w1
u1
~v + t( w
~ − ~v ) + s( ~u − ~v )
v
v1
v1
1
x1
w1
u1
=
−t
−s
~v + tw
~ + s~u
v1
v1
v1
~x =
Definition. Ein System {~u, ~v , w}
~ aus 3 linear unabhängigen Vektoren heißt Basis von R3 .
52
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
Ein Beispiel hierzu:
Wir sehen uns das folgende Dreibein 
mit 
gelenkig gelagerten Stäben an. Das Gelenk liege
0
~ =  0  ∈ R3 , die Fußpunkte der Stäbe sind die drei
in einem Punkt S mit Ortsvektor S
2 
 



2
−1
1
~ =  1 ,B
~ =  1  und C
~ =  −2 . In S greife eine
Punkte mit Ortsvektoren A
0
0
0


0
~

0  an. Diese Kraft soll in ihre Komponenten in Richtung der Vektoren ~xA :=
Kraft G =
−18
~ − S,
~ ~xB = B
~ −S
~ und ~xC = C
~ −S
~ zerlegt werden,
A
S
x
C
G
x
C
B
x
A
B
A
~ als Linearkombination von ~xA , ~xB und ~xC darstellen. Die Koeffizienten
Wir müssen dazu G
in der Darstellung
~ = α~xA + β~xB + γ~xC
G
lösen das lineare Gleichungssystem
2α − β + γ = 0
α + β − 2γ = 0
−2α − 2β − 2γ = −18
Subtrahieren der 3. von der 2. Gleichung ergibt: 3α + 3β = 18, also α + β = 6. Einsetzen in
die 3. Gleichung liefert γ = 9 − α − β = 3. Die 1. und 2. Gleichung ergeben dann 2α − β = −3
2.2. DER RAUM R3
53
und α = 1, β = 5. Durch Nachrechnen überprüft man leicht, dass
~ = ~xA + 5~xB + 3~xC
G
Geraden und Ebenen
~ B
~ ∈ R3 verschiedene Vektoren im R3 , so beschreibt
Sind A,
~ + R(A
~ − B)
~
G := A
~ und B
~ verlaufende Gerade. Analog wie früher können wir eine Gerade in
wieder die durch A
”Punkt-Richtungsform”
~ + R~v
G=A
darstellen, wobei ~v 6= ~0.
~ B
~ und C
~ festgelegt, wenn diese
Eine Ebene wird eindeutig durch Vorgabe dreier Punkte A,
~ −A
~ und C
~ −A
~ linear
nicht alle auf ein und derselben Geraden liegen. Das ist der Fall, wenn B
unabhängig sind.
Die Ebene E durch diese 3 Punkte wird dann durch
~ + R(B
~ − A)
~ + R(C
~ − A)
~ = {A
~ + t(B
~ − A)
~ + s(C
~ − A)
~ | t, s ∈ R}
E=A
dargestellt.
~ und zweier
Alternativ hierzu kann man eine Ebene auch durch Vorgabe eines Punktes A
linear unabhängiger Richtungen ~v und w
~ beschreiben:
~ + R~v + Rw
~ + t~v + sw
E=A
~ = {A
~ | t, s ∈ R}

 

 
2
2
1





3
−3
1  verlaufenden Ebene. Was ist die
Beispiel. Sei E die durch
,
und
−4
 8
 5
0
2
Schnittmenge zwischen E und der durch  3  und  0  verlaufenden Geraden G?
1
9
Dazu schreiben wir


 
     
2
0
2
0
0
G =  3  + R  0  −  3  =  3  + R  −3 
1
9
1
1
8
54
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
und



 
2
2
E =  3  + R  −3  − 
−4
8



2
=  3  + R
−4


2
3  + R 
−4


0
−1


1
+ R −2
−2
9
 

1
2
1  −  3 
5
−4


Wenn






2
0
−1
α  −3  + β  1  + γ  −2  = ~0 ,
8
−2
9
so folgt γ = 2α und β = 7α. Aus dem Vergleich der dritten Koordinaten folgt 12α = 0, also
α = β = γ = 0.
~ der die Darstellungen
Daher existiert genau ein Schnittpunkt S,




 

 

−1
0
0
2
2
~ =  3  + t  −3  =  3  + s1  1  + s2  −2 
S
9
−2
1
8
−4
hat. Es folgt

 
  



 





2
2
0
0
−1
2
0
−1
t  −3  =  3 − 3 +s1  1 +s2  −2  =  0 +s1  1 +s2  −2 
8
−4
1
−2
9
−5
−2
9
Also





 

2
0
−1
2
t  −3  − s1  1  − s2  −2  =  0 
8
−2
9
−5
Das heißt
2t + s2 = 2
−3t − s1 + 2s2 = 0
8t + 2s1 − 9s2 = −5
Aus den ersten beiden Gleichungen folgt s2 = 2 − 2t, s1 = −7t + 4. Das, in die 3. Gleichung
eingesetzt, ergibt 12t = 5. Wir erhalten also




 
2
10
0
~ =  3  + 5  −3  = 1  21 
S
12
12
8
−28
1
2.2. DER RAUM R3
55
Skalarprodukt
Analog zum Skalarprodukt im R2 definieren wir das Skalarprodukt im R3 durch
h~x, ~y i := x1 y1 + x2 y2 + x3 y3




x1
y1



x2 , ~y =
y2 .
für ~x =
x3
y3
Durch Nachrechnen bestätigt man, dass dieselben Rechenregeln wie im Fall des R2 gelten.
Der Winkel α zwischen ~x und ~y ist wieder aus der Gleichung
h~x, ~y i = k~xkk~y k cos α
p
zu berechnen, wobei wieder k~xk = h~x, ~x i sein soll.




2
−3
Beispiel. Sei α der Winkel zwischen den Vektoren ~x =  4  und ~y =  −1 . Dann ist
−1
11
r
21
−21
= −0.400381,
=−
cos α = √ √
131
21 131
also α = 113◦ , 360 .
Definition. Unter einer Orthonormalbasis von R3 verstehen wir eine Basis {~u, ~v , w}
~ des R3 ,
so dass alle 3 Vektoren die Länge 1 haben und paarweise senkrecht aufeinander stehen.
Analog zu dem entsprechenden Satz in der Ebene haben wir:
2.2.1.2 Satz. Sind ~u, ~v , w
~ eine Orthonormalbasis des R3 , so gilt für jeden Vektor ~x ∈ R3
~x = h~x, ~ui~u + h~x, ~v i~v + h~x, wi
~ w
~
Beweis. Denn wir können schreiben: ~x = t1~b1 + t2~b2 + t3~b3 mit geeigneten t1 , t2 , t3 ∈ R. Es
folgt dann t1 = h~x, ~b1 i. Analog finden wir die behaupteten Werte für t2 und t3 .
Vektorprodukt
Im R3 kann aber auch noch ein vektorielles Produkt zwischen 2 Vektoren gebildet werden,
wir setzen nämlich :


a2 b 3 − a3 b 2
~a × ~b =  a3 b1 − a1 b3 
a1 b 2 − a2 b 1
Wir beachten zuerst folgendes:
56
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
2.2.1.3 Hilfssatz. Genau dann sind ~a und ~b 6= ~0 linear abhängig, wenn ~a × ~b = ~0 ist.
Beweis. Denn ist ~a = t~b mit einer Zahl t, so finden wir ~a × ~b = t~a × ~a = ~0.
Umgekehrt nehmen wir an, es sei ~a × ~b = ~0. Dann haben wir

a1 ~

 b1 b , wenn b1 6= 0
a2 ~
~a =
b , wenn b2 6= 0
b

 a23~b , wenn b 6= 0
3
b3
Es gilt weiter
2.2.1.4 Hilfssatz. a) Für ~a, ~b ∈ R3 wird
~a × ~b = −~b × ~a,
h~a, ~a × ~bi = 0,
h~b, ~a × ~bi = 0
Weiter gilt
h~a × ~b, ~ci = h~a, ~b × ~ci = −h~a × ~c, ~bi
b) Angenommen, ~a und ~b seien linear unabhängig. Dann ist jeder Vektor ~v ∈ R3 , der auf ~a und
~b gleichzeitig senkrecht steht, schon ein Vielfaches von ~a × ~b.
Beweis. a) Nachrechnen.
a,~bi~
b) Wir setzen ~a 0 := ~a − h~
b. Da ~a × ~b 6= ~0, ist auch ~a 0 × ~b = ~a × ~b 6= ~0 und damit
k~bk2
~a 0 k~a 0 k−1 , ~bk~bk−1 und ~a × ~bk~a × ~bk−1 eine Orthonormalbasis. Wir können also schreiben:
~v = h~v , ~a 0 ik~a 0 k−2~a 0 + h~v , ~bik~bk−2~b + h~v , ~a × ~bik~a × ~bk−2~a × ~b
= h~v , ~a × ~bik~a × ~bk−2~a × ~b
da ja h~v , ~a 0 i = h~v , ~bi = 0 ist.
Wir notieren einige Rechenregeln für dieses ”Vektorprodukt”:
2.2.1.5 Satz. Seien ~a, ~a0 , ~a00 , ~b, ~c ∈ R3 und λ ∈ R. Das Vektorprodukt hat folgende Eigenschaften:
i) (~a0 + ~a00 ) × ~b = ~a0 × ~b + ~a00 × ~b und ~a × (~b 0 + ~b 00 ) = ~a × ~b 0 + ~a × ~b 00
ii) λ(~a × ~b) = (λ~a) × ~b = ~a × (λ~b)
iii) k~a × ~bk2 = k~ak2 k~bk2 − h~a, ~bi2 .
Schließen also ~a und ~b den Winkel φ ein, so ist
k~a × ~bk = k~akk~bk| sin φ|
2.2. DER RAUM R3
57
Beweis. i), ii) rechnet man einfach nach.
Zu iii). Es gilt
k~ak2 k~bk2 = (a21 + a22 + a23 )(b21 + b22 + b23 )
= (a1 b1 )2 + (a2 b2 )2 + (a3 b3 )2
+(a1 b2 )2 + (a2 b1 )2
+(a1 b3 )2 + (a3 b1 )2 + (a2 b3 )2 + (a3 b2 )2
und
h~a, ~bi2 = (a1 b1 )2 + (a2 b2 )2 + (a3 b3 )2
+2(a1 b2 )(a2 b1 ) + 2(a1 b3 )(a3 b1 ) + 2(a2 b3 )(a3 b2 )
Subtrahieren wir beide Gleichungen voneinander, finden wir
k~ak2 k~bk2 − h~a, ~bi2 = (a1 b2 )2 + (a2 b1 )2 + (a1 b3 )2 + (a3 b1 )2 + (a2 b3 )2 + (a3 b2 )2
−2(a1 b2 )(a2 b1 ) − 2(a1 b3 )(a3 b1 ) − 2(a2 b3 )(a3 b2 )
= (a2 b3 − a3 b2 )2 + (a3 b1 − a1 b3 )2 + (a1 b2 − a2 b1 )2
= k~a × ~bk2




3
−2
Beispiele. 1) Das Vektorprodukt von  −6  mit  4  ist gegeben durch:
−1
−1


10
−6 4 ~e1 − 3 −2 ~e2 + 3 −2 ~e3 =  5 
~a × ~b = −1 −1
−1 −1
−6 4 0
2) Physikalische Anwendung. In der Physik definiert man den Drehimpuls eines Teilchens als
das Vektorprodukt aus Ortsvektor ~r und Impulsvektor p~:
~ = ~r × p~
L
Greift an das Teilchen die Kraft F~ an, so definiert man das Drehmoment als das Vektorprodukt
~ = ~r × F~ .
M
~
Auf ein Teilchen mit der Ladung q, das sich mit der Geschwindigkeit ~v in einem Magnetfeld B
bewegt, wirkt die Lorentzkraft
~
F~ = q ~v × B
58
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
ein.
axb
b
φ
a
Beispiel: Die Vektoren






3
2
−11
~v1 =  4  , ~v2 =  7  , ~v3 =  1 
−2
−1
1


8
sind wegen ~v2 × ~v3 =  9  und
79

 

3
8
h 4  ,  9 i = −98
−2
79
linear unabhängig.
2.2.1.6 Satz. Folgende Aussagen über die 3 Vektoren ~a, ~b, ~c sind äquivalent:
i) h~a, ~b × ~ci = 0,
ii) ~a, ~b, ~c sind linear abhängig
2.2. DER RAUM R3
59
Beweis. Ist ~a = t~b + s~c eine Linearkombination von ~b und ~c, so h~a, ~b ×~ci = th~b, ~b ×~ci + sh~c, ~b ×
~ci = 0. Ist ~b = t~a + s~c, so ist h~a, ~b × ~ci = h~a, (t~a + s~c) × ~ci = 0. Analoges gilt, wenn ~c = t~a + s~b.
Angenommen, es sei h~a, ~b × ~ci = 0 und weiter seien ~b und ~c linear unabhängig. Dann haben
wir
~a = t~b + s~c + r~b × ~c
Es folgt 0 = h~a, ~b × ~ci = rk~b × ~ck2 , also schon r = 0 und damit ~a = t~b + s~c, so dass ~a, ~b, ~c linear
abhängig sein müssen.
2.2.1.7 Hilfssatz. Angenommen, G1 = P~1 + R~v1 und G2 = P~2 + R~v2 seien zwei Geraden.
a) Wenn dann hP~1 − P~2 , ~v1 × ~v2 i =
6 0, so ist G1 ∩ G2 = ∅ und G1 verläuft nicht parallel zu G2 .
(G1 und G2 liegen ”windschief” zueinander).
b) Wenn hP~1 − P~2 , ~v1 × ~v2 i = 0, so liegen G1 und G2 parallel oder G1 ∩ G2 6= ∅.
~ ∈ G1 ∩ G2 ,
Beweis. a) Angenommen, es sei hP~1 − P~2 , ~v1 × ~v2 i =
6 0. Gäbe es einen Punkt S
also wäre mit passenden Parametern λ, µ ∈ R :
~ = P~1 + λ~v1 = P~2 + µ~v2
S
Das heißt aber: P~1 − P~2 = −λ~v1 + µ~v2 wäre dann Linearkombination von ~v1 und ~v2 , hP~1 − P~2 , ~v1 ×
~v2 i = 0, Widerspruch!
b) Wenn hP~1 − P~2 , ~v1 × ~v2 i = 0, so gilt mit Koeffizienten α, β, γ, die nicht alle verschwinden:
α(P~1 − P~2 ) + β~v1 + γ~v2 = 0
Wenn nun α 6= 0, ist
γ
β
P~1 + ~v1 = P~2 − ~v2 = 0
α
α
Ist aber α = 0, so liegen G1 und G2 zueinander parallel und G1 = G2 , wenn P~1 ∈ G2 . Anderenfalls
ist G1 ∩ G2 = ∅.
60
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
Im folgenden Bild liegen G1 und G2 zueinander windschief.
G
1
90 o
G
2






1
1
3
Beispiel. Wo schneiden sich die Ebenen E =  −2  + R  0  + R  −4  und die
−1
1

 

3

0
3
−1
Ebene E 0 durch die Punkte  −2  ,  0  und  2  ?
5
−1
0
0
Wir schreiben E in der Form

E0


0
=  −2  + R 
5



0
=  −2  + R 
5

 


 

3
0
−1
0
 0  −  −2   + R   2  −  −2  
−1
5
0
5



3
−1


2
4 
+R
−6
−5
Sei

 
 

 
3
−1
14
2
~ν =  2  ×  4  =  21  = 7  3 
−6
−5
14
2
2.3. PROJEKTIONEN, ABSTÄNDE UND VOLUMINA
61
~ ∈ E ∩ E 0 gibt es λ, λ0 , µ, µ0 ∈ R mit
Für jeden Punkt S





 





1
1
3
0
3
−1
~ =  −2  + λ  0  + µ  −4  =  −2  + λ0  2  + µ0  4 
S
3
−1
1
5
−6
−5
Es folgt






 
 

3
−1
1
3
0
1
λ  0  + µ  −4  =  −2  −  −2  +λ0  2  + µ0  4 
−6
−5
−1
1
5
3
{z 
}
|

−1 



= 0 


2

Wir bilden das Skalarprodukt mit ~ν und finden






1
3
−1
−28µ = λh 0  , ~ν i + µh −4  , ~ν i = h 0  , ~ν i = 14
−1
1
2
Das bedeutet aber µ = −2 und damit

E ∩ E0
2.3
2.3.1





1
1
3
= { −2  + λ  0  − 2  −4  | λ ∈ R}
3
−1
1




−5
1
=  6  + R 0 
1
−1
Projektionen, Abstände und Volumina
Projektionen und Abstandsberechnung
Projektion eines Vektors auf eine Richtung
Ist eine Richtung G := R~v vorgegeben, so definieren wir für einen Vektor ~x ∈ R3 die Projektion in Richtung ~v als
h~x, ~v i
~v
~x~v =
k~v k2
62
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
Da dann
h~x − ~x~v , ~v i = 0
gilt, nennen wir ~x~v auch die Senkrechtprojektion von ~x auf ~v .
x
v
PG ( x )
Die Länge von ~x − ~x~v ist dann
s
k~x − ~x~v k =
k~xk2 −
h~x, ~v i2
k~x × ~v k
=
2
k~v k
k~v k
Projektion eines Punktes auf eine Ebene
Definition. Es sei E eine Ebene. Ist dann ~x ∈ R3 , so sei der Projektionspunkt pE (~x) von p~
auf E derjenige Punkt in der Ebene E, für welchen ~x − pE (~x) auf E senkrecht steht.
Wir berechnen den Projektionspunkt pE (~x).
~ + R~v1 + R~v2 mit linear unabhängigen Richtungsvektoren ~v1 , ~v2 .
Dazu schreiben wir E = A
Dann haben wir mit geeigneten Zahlen t, λ und µ:
~ + λ~v1 + µ~v2
~x + t~v1 × ~v2 = pE (~x) = A
also
~ − ~x + λ~v1 + µ~v2 .
t~v1 × ~v2 = pE (~x) − ~x = A
Wir bilden das Skalarprodukt mit ~n := ~v1 × ~v2 und erhalten
~ − ~x, ~ni
tk~nk2 = hA
und damit
pE (~x) = ~x +
~ − ~x, ~ni
hA
~ − ~x)~n .
~n = ~x + (A
k~nk2
2.3. PROJEKTIONEN, ABSTÄNDE UND VOLUMINA
63
Projektion einer Geraden auf eine Ebene
~ + λ~v | λ ∈ R} und eine Ebene
Definition. Gegeben sei eine Gerade in der Form G = {B
~ + R~v1 + R~v2 . Dann wollen wir unter der Projektion GE von G auf E die Bildmenge
E = A
pE (G) = {pE (~x) | ~x ∈ G} verstehen.
Was entsteht bei der Projektion von G auf E? Ist λ ∈ R beliebig, so finden wir
~ ~
~ + λ~v ) = B
~ + λ~v + hA − B − λ~v , ~ni ~n
pE (B
k~nk2
~ ~
~ + hA − B, ~ni ~n + λ(~v − h~v , ~ni ~n)
= B
k~nk2
k~nk2
~ + λ(~v − ~v~n )
= pE (B)
Somit ist GE = {~p}, wenn ~v ⊥ E (äquivalent mit ~v = ~v~n ) und eine Gerade, wenn ~v 6= ~v~n .
~
Die Projektionsgerade kann man aber auch so bestimmen: Wenn nicht schon pE (P~ ) = pE (Q)
~
~
~
~
ist nimmt man 2 Punkte P , Q ∈ G und berechnet die Gerade durch pE (P ) und pE (Q).
Abstand eines Punktes von einer Geraden
~ + R~v eine Gerade und P~ ein Punkt. Dann ergibt dieselbe Rechnung, die wir im
Sei G = A
Falle eines Punktes und einer Geraden in der Ebene angestellt haben, auf
2
~
~
~ 2 − k(P~ − A)
~ ~v k2 = kP~ − Ak
~ 2 − |hP − A, ~v i|
d(P~ , G)2 = kP~ − Ak
k~v k2
also
q
~ 2 − k(P~ − A)
~ ~v k2 =
d(P~ , G) = kP~ − Ak
s
~ 2−
kP~ − Ak
~ ~v i|2
|hP~ − A,
k~v k2
Das gilt für Geraden im R2 und im R3 . Im letzteren Fall lässt sich der Ausdruck für d(P~ , G)
noch etwas weiter umformen, und zwar in
d(P~ , G) =
~ × ~v k
k(P~ − A)
.
k~v k
Abstand eines Punktes von einer Ebene
2.3.5 Hilfssatz . Sei E eine Ebene, so ist für einen beliebigen Punkt P~ ∈ R3
kP~ − ~xk2 ≥ kP~ − pE (P~ )k2 ,
wenn ~x ∈ E.
64
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
Beweis. In der Tat ist für jedes ~x ∈ E:
kP~ − ~xk2 = kP~ − pE (P~ ) − (~x − pE (P~ ) )k2
= k~x − pE (P~ )k2 + k~p − pE (P~ ) )k2 , da P~ − pE (P~ ) ⊥ E, und ~x − pE (P~ ) parallel zu E,
≥ kP~ − pE (P~ )k2
~
Wir bezeichnen den kleinsten Wert, den kP − ~xk haben kann, wenn ~x die Punkte aus E
durchläuft, als den Abstand d(P~ , E) von P~ zu E.
2.3.6 Satz. Ist eine Ebene E in Punkt-Richtungsform gegeben, also
~ + λ~v1 + µ~v2 | λ, µ ∈ R},
E = {A
so gilt für den Abstand eines beliebigen Punktes P~ ∈ R3 von der Ebene:
d(P~ , E) =
~ ~v1 × ~v2 i|
|hP~ − A,
.
k~v1 × ~v2 k
Beweis. Mit der Formel für pE (P~ ) folgt:
~ ~v1 × ~v2 i|
~ ~v1 × ~v2 i|
|hP~ − A,
|hP~ − A,
k~
v
×
~
v
k
=
.
kP~ − pE (P~ )k =
1
2
k~v1 × ~v2 k2
k~v1 × ~v2 k


 


3
1
−5
Beispiele. Der Punkt P~ =  −4  hat von der Geraden G durch  0  und  2  den
1
4
7
Abstand

 



2
−6
−6
k  −4  ×  2  k
k  12  k
−3
3
−20
2√


d=
=
145
=
7
7
−6
k 2 k
3

  


2
1
5
Gegeben sei die Ebene E durch die Punkte  −5  ,  6  und  −1 . Dann ist also
1
8
1
2.3. PROJEKTIONEN, ABSTÄNDE UND VOLUMINA
65






2
−2
4
E =  −5  + R  11  + R  −7  und damit der Abstand von P~ zu E gleich
1
7
−7
 
  
 
   

3
14 E
2
−2
4
D 1
D
E
  

1
−4  −  −5  ,  11  ×  −7  21  ,
0
1
15
1
7
−7
35


 


=√
=
d=
4
862
−2
14 

11  ×  −7  21  7
15
−7
2.3.2
Anwendung auf die Berechnung von Flächen und Volumina
Fläche eines Parallelogramms
Hier ist eine Anwendung auf das Problem der
2.3.1 Satz. Sind die Vektoren ~a und ~b linear unabhängig, so hat das von ihnen aufgespannte
Parallelogramm den Flächeninhalt
A = k~a × ~bk.
a
h
α
0
b
Beweis. Wir arbeiten in der Ebene E = R~a + R~b. Es gilt
A = k~bk · h = k~bkk~ak| sin α| = k~a × ~bk.
 


4
3
~ =  7 , B
~ =  −2  und C
~ =
Beispiel. Gegeben sei ein Dreieck mit den Ecken A
4
7


1
 2 .
−2
Was ist sein Flächeninhalt?


−1
~ −A
~ =  −9  und
Die ”aufspannenden Seiten” für das Dreieck sind ~x = B
3
66
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG



 
 

−3
−1
−3
69
~ −A
~ =  −5 . Dann erhalten wir ~x × ~y =  −9  ×  −5  =  −15 . Der
~y = C
−6
3
−6
−22
1
Flächeninhalt des Dreiecks ist somit gleich 2 k~x × ~y k = 36, 97.
Anwendung auf Volumenberechnungen:
2.3.2 Satz. Sind ~a, ~b und ~c linear unabhängig, so gilt:
a) Das Parallelotop mit Kanten ~a, ~b und ~c hat das Volumen
V0 = |h~a, ~b × ~ci|.
b) Die Pyramide mit dem von ~b und ~c erzeugten Parallelogramm als Grundfläche und der
Spitze ~a hat das Volumen VP = 31 V0 .
c) Das Tetraeder mit den Kanten ~a, ~b und ~c hat das Volumen
1
VT = V0 .
6
Beweis. a) Denn seine Grundfläche ist F = k~b × ~ck und seine Höhe h gleich dem Abstand
~ B
~ und D
~ liegen, also h = |h~a, ~b × ~ci|/k~b × ~ck. Das ergibt
von ~c zur Ebene V , in der die Punkte A,
zusammen mit V0 = F · h die Behauptung. b) folgt aus a).
Zu c):
C
D
a
E
c
A
B
b
2.3. PROJEKTIONEN, ABSTÄNDE UND VOLUMINA
Die Pyramide mit Ecken A, B, C, D und E hat das Volumen V1 = 13 V0 , was gerade
doppelte von VT ist.
 


 


3
1
2
−3
~ =  2 , B
~ =  0 ,C
~ =  2  und D
~ =  1 , so hat
Beispiel: Sind A
4
−1
1
4
1
~ ..., D
~ das Volumen VT = V0 , mit
Tetraeder mit Ecken A,
6

 
 


 
−1
−6 E D −2
−3
D −2


~
~
~
~
~
~







−2 ,
0
−2 ,
18
V0 = |hB−A, (C−A)×(D−A)i| = × −1
=
−5
−3
0
−5
1
Also VT =
35
6
= 5.838
67
das
das

E
 68
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
2.3.3
Anhang: Determinanten
Folgendes technisches Hilfsmittel eignet sich zur schnellen Klärung der Frage, ob Vektoren linear unabhängig sind.
Definition. Man definiert 3 × 3-Matrizen als Schema mit 3 Zeilen und Spalten, also


a1 b 1 c 1
A =  a2 b 2 c 2 
a3 b 3 c 3
Wir wollen mit Determinanten
solcher Matrizen
rechnen.


a1 b 1 c 1

a2 b2 c2  eine Matrix, so setzen wir
Definition. Ist A =
a3 b 3 c 3
a1 b 1 c 1 det A := a2 b2 c2 = h~a, ~b × ~ci
a3 b 3 c 3 b2 c 2 b1 c 1 b 1 c1 − a2 = a1 b 3 c 3 + a3 b 2 c 2 b3 c 3 = a1 b2 c3 + b1 c2 a3 + c1 a2 b3 − c1 b2 a3 − a1 c2 b3 − b1 a2 c3
Die Berechnung der Determinante verläuft nach der (Regel von Sarrus):
Man schreibt die drei Spalten von A hintereinander und dann dahinter nochmals die ersten beiden Spalten
von A :
a1 b 1 c 1 a1 b 1
a2 b2 c2 a2 b2
a3 b 3 c 3 a3 b 3
Man zieht 3 Diagonalen, die von links oben nach rechts unten gehen. Die auf jeder dieser Diagonalen liegenden
Zahlen werden multipliziert und die entstehenden 3 Produkte addiert. Dann ziehen wir 3 weitere Diagonalen, die
von links unten nach rechts oben verlaufen, multiplizieren wieder die auf jeder von ihnen liegenden Zahlen und
subtrahieren die entstandenen 3 Produkte.
Mit Hilfe der Determinante können wir lineare Unabhängigkeit 3er Vektoren ~
a, ~b und ~c überprüfen:
Genau dann ist
det(~a, ~b, ~c ) 6= 0, wenn ~a, ~b und ~c linear unabhängig sind.
Beispiel. Die Matrix


23 7 −8
A =  12 −3 −11 
4 3
10
2.3. PROJEKTIONEN, ABSTÄNDE UND VOLUMINA
hat die Determinante
69
−1463.
Das finden wir mit der Sarrusregel.
det A
= 23 · (−3) · 10 + 7 · (−11) · 4 + (−8) · 12 · 3
−(−8) · (−3) · 4 − 23 · (−11) · 3 − 7 · 12 · 10
= −690 − 308 − 288 − 96 + 759 − 840
= −1463
Wir sehen, dass im Laufe der Rechnung manchmal ”unhandlich große” Zahlen vorkommen. (Das wird erst
recht zu erwarten sein, wenn die Einträge der Matrix komplizierter werden).
Einfache Umformungsregeln für die Berechnung der Determinante sind also wünschenswert. Zunächst beobachten wir, dass durch geschicktes Umformen der Determinantenformel folgende neue Ausdrücke für die Determinante zu finden sind:
2.3.3.1 Hilfssatz. a) Sei A = (~a, ~b, ~c ) eine 3 × 3- Matrix mit den Spalten ~a, ~b und ~c. Dann
gilt, wenn eine der Spalten von A der Nullvektor ist, so ist det(A ) = 0.
b) Vertauschen wir in A irgendwelche 2 Spalten, so ist die Determinante der entstandenen
Matrix gerade − det(A ), also z.B.: det(~b, ~a, ~c) = − det(A ).
c) Ist ~a 0 ein Vektor, so ist
det(~a + ~a 0 , ~b, ~c ) = det(~a, ~b, ~c ) + det(~a 0 , ~b, ~c )
Ist λ ∈ R ein Skalar, so folgt
det(λ~a, ~b, ~c ) = λ det(~a, ~b, ~c )
und
det(~a + λ~b + µ~c, ~b, ~c ) = det(~a, ~b, ~c )
Addiert man also zur ersten Spalte eine Linearkombination der anderen Spalten, so ändert sich
die Determinante der Matrix nicht.
d) Entsprechendes gilt bezüglich der 2. bezw. 3. Spalte.
Beweis. a) und b) folgen sofort aus der Sarrusregel, ebenso c). Auch d) folgt jetzt leicht:
det(~a + λ~b + µ~c, ~b, ~c ) = det(~a, ~b, ~c ) + det(λ~b, ~b, ~c ) + det(µ~c, ~b, ~c )
= det(~a, ~b, ~c ) + λ det(~b, ~b, ~c ) + µ det(~c, ~b, ~c )
= det(~a, ~b, ~c )
70
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
Beispiel.
4 2 19
3 7 11
4 3 10
4 2 3 0 2
= 3 7 −1 = −11 7
4 3 −6 −2 3
−11 13 + 7 −11
= −2 −2
−2 0 3 0 2 7 −1 = −11 7 13 −6 −2 3 0 7 = −52 − 7 · 19 = −185
3 Cramerregel
Sind nun 3 Vektoren als linear unabhängig erkannt, so kann man jeden weiteren Vektor als Linearkombination von diesen darstellen. Jetzt wollen wir aber auch die benötigten Koeffizienten bestimmen.
Dazu können wir etwa benützen wir Determinanten zur Lösung linearer Gleichungssysteme mit 3 Variablen. Das Ergebnis, die Cramerregel, ist eine Verallgemeinerung der Cramerregel für 2 Variablen:
2.3.3.2 Satz. Ist ein lineares Gleichungssystem in der Form
a11 x1 + a12 x2 + a13 x3 = t1
a21 x1 + a22 x2 + a23 x3 = t2
a31 x1 + a32 x2 + a33 x3 = t3


a11 a12 a13
mit der Matrix A =  a21 a22 a23  gegeben und ist det A 6= 0, so gibt es genau eine Lösung
a31 a32 a33


x1
~x =  x2  des Gleichungssystems, nämlich
x3
t1 a12 a13
t2 a22 a23
t3 a32 a33
x1 =
det A
a11 t1 a13
a21 t2 a23
a31 t3 a33
, x2 =
det A
a11 a12 t1 a21 a22 t3 a31 a32 t3 , x3 =
.
det A
Beweis. Der Beweis geschieht durch (geduldiges) Nachrechnen.


z1
Es kann aber auch keine weitere Lösung geben. Ist nämlich ~y eine Lösung, so erfüllt ~z :=  z2  :=
z3
~x − ~y die Bedingungen:
a11 z1 + a12 z2 + a13 z3 = 0
a21 z1 + a22 z2 + a23 z3 = 0
a31 z1 + a32 z2 + a33 z3 = 0
2.3. PROJEKTIONEN, ABSTÄNDE UND VOLUMINA
71
oder äquivalent






a11
a12
a13
 a21  z1 +  a22  z2 +  a23  z3 = ~0
a31
a32
a33
Da aber det A 6= 0, sind die Spalten von A linear unabhängig, also bleibt nur z1 = z2 = z3 = 0, d.h.
~y = ~x.
Beispiel. Wir sehen uns die 3 Vektoren






−2
12
−6
~v1 =  −1  , ~v2 =  −1  , ~v3 =  0 
3
4
9
an. Frage: Erzeugen diese 3 Vektoren den ganzen Raum? Dazu bilden wir die Matrix


−2 12 −6
A =  −1 −1 0 
3
4
9
Ihre Determinante ist
−1 0
det(A ) = (−2) 4 9
12 −6 + 3 12 −6 = 18 + 132 − 18 = 132
+
−1 0 4
9 Die gegebenen Vektoren sind daher linear unabhängig.


4
Der Vektor ~v =  2  lässt sich als Linearkombination der Spalten von ~v1 , ~v2 und ~v3 schreiben,
11
also
~v = α~v1 + β~v2 + γ~v3
Die Koeffizienten sind nun
und
4 12 −6 2 −1 0 11 4
9 366
61
=−
=−
α=
det A
132
22
−2 4 −6 −1 2
0 3 11 9 102
17
β=
=
=
det A
132
22
−2 12 4 −1 −1 2 3
4 11 238
119
γ=
=
=
det A
132
66
Also
~v = −
61
17
119
~v1 + ~v2 +
~v3
22
22
66
72
KAPITEL 2. VEKTORRECHNUNG
Kapitel 3
Lineare Gleichungssysteme
Beispiele
1) Schwingungsgleichung. In der Technik (elektrische Wechselstromkreise, gekoppelte Schwingungen)
wird am auf sog. Differenzialgleichungen der Form
y 00 + a(t)y 0 + b(t)y = f (t)
geführt, wobei f, a und b ”vernünftige” Funktionen bedeuten. Gesucht ist die Gesamtheit aller Funktionen, die diese Gleichung lösen.
Ein Ansatz ist die ”Diskretisierung”, d.h.: Man unterteilt das Definitionsintervall in äquidistante
Teilpunkte t0 < t1 < ... < tn und ersetzt y durch die Werte yi = y(ti ), mit i = 0, ..., n und y 0 durch
yi+1 − 2yi + yi−1
yi+1 − yi
und y 00 durch
. Dabei sei h = ti+1 − ti . Setzt man das in die Differenzialgleih
h2
chung ein, erhält man
yi+1 + yi−1 − 2yi + ai hyi+1 − ai hyi + h2 bi yi = fi ,
i = 1, ..., n − 1
Dabei ist ai = a(ti ), analog für bi und fi . Ordnen wir das nach den i-Werten, so finden wir
yi−1 − (2 − ai h − bi h2 )yi + (1 + ai h)yi+1 = fi ,
i = 1, ..., n − 1
Für n = 5 wird daraus
y0 − (2 − a1 h − b1 h2 )y1 + (1 + a1 h)y2 = f1
y1 − (2 − a2 h − b2 h2 )y2 + (1 + a2 h)y3 = f2
y2 − (2 − a3 h − b3 h2 )y3 + (1 + a3 h)y4 = f3
y3 − (2 − a4 h − b4 h2 )y4 + (1 + a4 h)y5 = f4
Das sind 4 lineare Gleichungen für die 6 Variablen y0 , ..., y5 .
73
74
KAPITEL 3. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME
2) Lineare Optimierung. In einem Unternehmen wurde die Produktion einer verlustbringenden Produktionslinie eingestellt. Hierdurch wurden 70 Maschinenstunden für eine Fräsmaschine, 21 Stunden für
eine Drehbank und 48 Stunden für eine Schleifbank frei. Es sollen nun drei neue Produkte hergestellt
werden, die wir A, B und C nennen wollen. Folgende Anzahl von Maschinenstunden werden pro Woche
benötigt:
Maschinentyp Produkt A Produkt B Produkt C
Fräsmaschine
2
5
4
Drehbank
1
1
2
Schleifbank
3
1
2
Produkt A bringe 200 EUR Gewinn (je Einheit), B bringe 100 EUR Gewinn, bei C seien es 50 EUR
(je Einheit). Wie viele Einheiten von A, B und C muss man produzieren, um maximalen Gewinn zu
machen, wenn das Unternehmen davon ausgeht, dass von B und C maximal 10 Einheiten pro Woche
und von A beliebig viele Einheiten verkauft werden können?
Sei x1 die Anzahl der produzierten Einheiten zu Produkt A, x2 die Anzahl der produzierten Einheiten
zu Produkt B und x3 die Anzahl der produzierten Einheiten zu Produkt C. Dann unterliegen x1 , x2
und x3 wegen der begrenzten Maschinenkapazitäten gewissen Einschränkungen. Im Einzelnen:
i) x2 ≤ 10, da man einplant, pro Woche höchsten 10 Einheiten von B verkaufen zu können,
ii) x3 ≤ 10, da man einplant, pro Woche höchsten 10 Einheiten von C verkaufen zu können,
iii) 2x1 + 5x2 + 4x3 ≤ 70 (Bilanz für die Fräsmaschine)
iv) x1 + x2 + 2x3 ≤ 21 (Bilanz für die Drehbank)
v) 3x1 + x2 + 2x3 ≤ 48 (Bilanz für die Schleifbank)


x1
Sei S die Menge der  x2 , die i) -iv) erfüllen. Dann wird also der Punkt ~x0 ∈ S gesucht, für den
x3
200x1 + 100x2 + 50x3 unter allen Punkten aus S den maximalen Wert annimmt.
Eine Technik zur Behandlung dieses Problems ist
dass ein lineares Gleichungssystem entsteht, nämlich

0 1 0 1 0 0 0
 0 0 1 0 1 0 0

 2 5 4 0 0 1 0

 1 1 2 0 0 0 1
3 1 2 0 0 0 0
etwa, weitere Variable x4 , ..., x8 einzuführen, so
0
0
0
0
1






 ~x = 




10
10
70
21
48






Sei nun S1 der Durchschnitt von S 0 := {~x ∈ R8 | x1 , ..., x8 ≥ 0} mit der Lösungsmenge dieses linearen
Gleichungssystems. Anschaulich ist dies ein (unregelmäßiges) Polyeder. Der gesuchte Punkt ~x0 ist einer
der Punkte von S1 .
(Bei nur 2 Variablen löst man das Optimierungsproblem graphisch, aber entsprechende Probleme
mit mehr als 3 Produkten geht man ebenso mit der oben angedeuteten Methode an).
In der Realität, etwa in der Strömungslehre (Navier-Stokes-DGL’s, Flugzeugbau, Wetterprognose)
oder bei Kosten-Nutzenrechnungen ist n viel größer.
3.1. MATRIXKALKÜL
3.1
75
Matrixkalkül
Jedes Gleichungssystem in den Unbekannten x1 , ..., xn lässt sich in der Form
a11 x1 + a12 x2 + · · · + a1n xn = b1
a21 x1 + a22 x2 + · · · + a2n xn = b2
..
.
ad1 x1 + ad2 x2 + · · · + adn xn = bd
schreiben, wobei d und n natürliche
Das Zahlenschema

a11 ,
 a21 ,

 a31 ,

A =
 .
 .

 .
ad1 ,
ganze Zahlen und aij ∈ R und b1 , ..., bd ∈ R vorgegeben sind.
a12 ,
a22 ,
a32 ,
.
.
.
ad2 ,
,
,
,
.
.
.
,
...,
...,
...,
.
.
.
...,
a1n
a2n
a3n
.
.
.
adn





 =: (aij )

i = 1, ..., d


j
= 1, ..., n

wird als Koeffizientenmatrix des Gleichungssystems bezeichnet.
Fragen: a) Welche Bedingungen müssen A und der Vektor


b1
 b2 

~b = 
 .. 
 . 
bd
erfüllen, damit es eine Lösung ~x gibt?
b) Angenommen, wir haben eine Lösung.
diese?
Beispiel: Zu a) Ist etwa

1 4
A = 0 2
0 4
Welche weiteren Lösungen gibt es und wie finden wir

 
3
1
1  und ~b =  2  ,
2
3
so gibt es keine Lösung.




1
−5
Zu b) Ist A wie eben und ~b =  2 , so gibt es die Lösung ~x0 =  0 . Doch das ist nicht die
4
2


2
einzige Lösung: Weitere Lösungen sind etwa ~x0 + λ  1 , für beliebiges λ ∈ R.
−2
Wir entwickeln nun einen Kalkül für lineare Gleichungssysteme, der es ermöglicht
76
KAPITEL 3. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME
• zu entscheiden, ob eine Lösung existiert,
• alle Lösungen auszurechnen
Dazu führen wir das Rechnen mit Matrizen ein:
Zwei natürliche Zahlen d und n seien gegeben. Dann
ein Schema

a11 , a12 , . . . , . . . , a1n
 a21 , a22 , . . . , . . . , a2n

 a31 , a32 , . . . , . . . , a3n

.
.
.
.
A =
 .
 .
.
.
.
.

 .
.
.
.
.
ad1 , ad2 , . . . , . . . , adn
verstehen wir unter einer (d × n)-Matrix A





 =: (aij )1≤i≤d, 1≤j≤n




bestehend aus d Zeilen und n Spalten reeller Zahlen. Sie bilden eine
 Menge,
 die wir mit M (d, n)
a1j


bezeichnen. Ist A eine Matrix, so bezeichnen wir den Vektor Sj (A ) :=  ...  als den j.ten Spaltenadj
vektor und Zi (A ) := (ai1 , ..., ain ) als i.ten Zeilenvektor von A .


x1


Eine Matrix A ∈ M (d, n) kann mit einem Vektor ~x =  ...  multipliziert werden. Das Ergebnis
xn
ist



A · ~x = 

a11 x1 + a12 x2 + · · · + a1n xn
a21 x1 + a22 x2 + · · · + a2n xn
..
.

n

X

Sj (A ) · xj
 ∈ Rd =

j=1
ad1 x1 + ad2 x2 + · · · + adn xn
Ein Beispiel dazu:



4
3 −1 4 2
4
 2 
  14 
 2 3 1 −1  
 −1  =
0 1 2 0
0
−1



Wir notieren folgende Rechenregel:
3.1.1 Hilfssatz. Für jede Matrix A ∈ M (d, n), alle Vektoren ~x, ~y ∈ Rn und Skalare λ, µ gilt
A (λ~x + µ~y ) = λA ~x + µA ~y
3.1. MATRIXKALKÜL
77
Beweis. Nachrechnen.
Jedes Gleichungssystem mit Koeffizientenmatrix A und rechter Seite ~b lässt sich jetzt in der Form
schreiben:
A · ~x = ~b
Definition (Matrixprodukt). Sind B ∈ M (d, n) und B ∈ M (n, k) Matrizen, so sei A · B diejenige
Matrix aus M (d, k), deren Spalten gerade A · S1 (B), ..., A · Sk (B) sind.
Beispiel Es gilt






2
3 1
61 −1 12
1 5 4 −2

 7
4 1  
−7 17
3 
a)  2 0 −1 3  · 
 5 −5 2  =
−26 53 −12
1 2 −8 1
−2 2 1

 

1 5 4 −2
2 3 1
b) Das Produkt  2 0 −1 3  ·  7 4 1  ist dagegen nicht definiert, da die rechts
1 2 −8 1
5 −5 2
stehende Matrix nicht soviele Zeilen hat, wie die linke Matrix Spalten besitzt.
Für die Matrixmultiplikation gelten folgende Regeln:
3.1.2 Satz. Sind A ∈ M (d, n), B ∈ M (n, k) und C ∈ M (k, s) Matrizen, so haben wir das Assoziativgesetz
(A · B) · C = A · (B · C )
und für S ∈ M (n, k) das Distributivgesetz
A · (B + S ) = A · B + A · S
Mit En bezeichnen wir diejenige Matrix

1
anderen Einträge 0 sind. (Beispiel E3 =  0
0
aus
0
1
0
M
(n, n), in deren Diagonalen 1 steht, während alle
0
0 ).Dann ist A · En = A . Analog gilt Ed · A = A .
1
Zeilenvektoren.
Man arbeitet zweckmäßigerweise manchmal auch mit Zeilenvektoren:
x = (x1 , ..., xn )
Die Menge der Zeilenvektoren bezeichnen wir mit Rn . Die Begriffe ”Linearkombination” und ”linear
unabhängig ” bzw. ”Unterraum” haben die entsprechende Bedeutung.
Definition. Ist A ∈ M (d, n), so ist der Spaltenraum SR(A ) als
SR (A ) := Lin (S1 (A ), ..., Sn (A ))
78
KAPITEL 3. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME
und der Rang als rg(A ) := dim SR (A ) definiert.
Es folgt jetzt, dass das Gleichungssystem genau dann lösbar ist, wenn ~b ∈ SR (A ). Das bedeutet,
dass
SR (A , ~b) = SR (A )
und letzteres ist mit
rg (A , ~b) = rg (A )
äquivalent
3.2
3.2.1
Das Eliminationsverfahren von Gauß
Die Zeilenstufentransformation einer Matrix
Zunächst gilt es zu klären ob ein lineares Gleichungssystem mit vorgegebenen A ·~x = ~b A ∈ M (d, n)
und ~b ∈ Rd lösbar ist.
Dazu werden bestimmte Umformungen an der ”erweiterten Matrix” (A , ~b) vorgenommen, nämlich
die elementare Zeilenumformungen:
• Vertauschen der i.-ten und j.ten Zeile,
• Addieren eines Vielfachen der i.-ten Zeile zur j.ten Zeile, wobei j 6= i.
• Multiplizieren einer Zeile mit einer Zahl λ 6= 0
Elementare Zeilenumformungen lassen sich rückgängig machen, da jede Zeilenumformung durch eine geeignete andere wieder aufgehoben werden kann.
Daraus resultiert der folgende einfache aber auch wichtige
3.2.1.1 Hilfssatz. Gegeben sei einlinearesGeichungssystemA · ~x = ~b mit einer Matrix A ∈ M (d, n)
d
∗
∗
und ~b ∈ R . Geht dann die Matrix A , ~b aus der Matrix A , ~b durch Zeilenoperationen hervor,
so gilt
(a) Der Vektor ~x ist genau dann Lösung zu
A ~x = ~b ,
(1)
wenn ~x das System
3.2. DAS ELIMINATIONSVERFAHREN
79
A ∗ ~x = ~b∗
(2)
löst.
(b) Es gilt rg (A , ~b) = rg (A ∗ , ~b∗ ).
(c) Genau dann ist das Gleichungssystem lösbar, wenn rg (A ∗ , ~b∗ ) = rg (A ∗ ) gilt.
Das systematische Verfahren zur Klärung der Frage, ob und gegebenenfalls welche Lösungen ein
gegebenes lineares Gleichungssystem hat, wird auch Gauß - Algorithmus oder Eliminationsverfahren
genannt.
Dieses Verfahren sehen wir uns jetzt an:
Angenommen, es sei





A =







~
eine Matrix und b = 

b1
b2
..
.
a11 ,
a21 ,
a31 ,
..
.
..
.
ad1 ,
a12 ,
a22 ,
a32 ,
..
.
..
.
ad2 ,
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
a1n
a2n
a3n
..
.
..
.
adn













 ein Vektor.

bd
Dann schreiben wir die erweiterte Matrix (A | ~b ) an, also

a11 , a12 , . . .
...


 a21 , a22 , . . .


 a31 , a32 , . . .

 .
..
A |~b = 
.
...
 ..


 .
..
 .
.
...
 .


ad1 , ad2 , . . .
...
...
...
...
...
a1n a2n a3n .. . .. . adn b1



b2 


b3 

.. 

. 


.. 

. 


bd
Soll x1 in dem Gleichungssystem vorkommen, darf die erste Spalte nicht der Nullvektor sein. Nach
Vertauschen geeigneter Zeilen sei also a11 6= 0. Dann subtrahieren wir für k = 2, ..., d von der k.-ten
80
KAPITEL 3. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME
Zeile das
a1k
a11
- fache der 1. Zeile. Es entsteht eine neue Matrix A (2)

ai1 1 , ai1 2 , . . . . . . . . . ai1 n

 0
0
0 ... ...
0

A (2) = 
..
 ..
 .
.

0
0
0 ... ...
0
oder

A (2)








=








a11 , a12 , . . .
a1 j2
...
...
...
...
...
...
0
0
...
a02 j2
0
0
...
a03 j2
...
...
..
.
0
...
...
...
...
..
.
0
...
...
...
...
0
0
...
a0d j2
...
... ...

der
Form

b1

b02 


.. 
. 

b0d
a1n a02n a03n .. . .. . a0dn b1



b02 


b03 

.. 

. 


.. 

. 


b0d
a02 j2
..  =
.  6 ~0.
a0d j2
eine gewünschte Zeilenstufenform von A |~b .


Dabei ist j2 > 1 die Nummer der ersten Spalte mit 
Im Fall 1 ist A (2)
Angenommen, der 2. Fall trete ein. Nach einer Zeilenvertauschung können wir annehmen, es sei
a02 j2 6= 0. Dann verfahren wir mit der Kästchenmatrix


0
0
a2 j2 . . . . . . . . . a2n b02


 0
0 
0
. . . . . . a3n b3 
 a 3 j2


 .
. 
.
 .
.. .. 
... ... ...
 .





a0d j2 . . . . . . . . . a0dn b0d
genauso, wie zuvor mit A |~b und überführen sie in die Form


a02 j2 . . . . . . . . . a02n b02




... ...
0 b03 
 0


 .
.. .. 

 .
... ... ...
. . 
 .




0
... ... ...
0 b0d
3.2. DAS ELIMINATIONSVERFAHREN
oder in die Form
81

a02 j2
...
...









0
...
...
..
.
...
...
0
...
...
wobei j3 > j2 die Nummer der ersten Spalte mit
a02n b02
a003 j3 . . . a003n b003
.
...
. . . ..
a00d j3 . . . a00dn b00d
 00 
a3 j3
 ..  ~
 .  6= 0 ist.
a02 j3 . . .










a00d j3
Mit dem Kästchen

a003 j3






..
.
...
a00d j3
...
...
a003n .. . 00
adn b003

..
.






b00d
verfahren wir in ensprechender Weise wie zuvor.
Nach spätestens d Schritten haben wir (A |~b) in eine neue Matrix A ZSF der Form

ZSF
A | ~b








=








A11 , ....................................................................................., A1 n A2 j2 , ....................................................................., A2 n .
....................................................... .. ... Ar−1 jr−1 , ....................., Ar−1 n Ar jr , ................., Ar n überführt, wobei 1 < j2 < j3 < ... < jr und A2 j2 6= 0, ..., Ar jr 6= 0.
Nun folgt rg A = r und das
Lösbarkeitskriterium
Genau dann ist rg (A , ~b ) = r, wenn b∗r+1 = ... = b∗d = 0.
Beispiele
Wir untersuchen das System mit 5 Unbekannten:
b∗1

b∗2
..
.
b∗r−1
b∗r

















b∗r+1
..
.
b∗d
82
KAPITEL 3. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME
x1
−x1
2x1
x1
+
−
+
+
2x2
2x2
4x2
2x2
+ x3
− 2x3
+ 3x4
+ 2x3
+ x4 + x5
+ 2x4 + x5
− x4
− 2x4 − x5
=
=
=
=
6
8
a3
a4
(3.2.1)
Die zugehörigen Koeffizientenmatrix ist nun

1
2
1
1
1
 −1 −2 −2 2
1 

A =
 2
4
3 −1 0 
1
2
2 −2 −1

Wir verfolgen wieder die Idee aus dem 1. Beispiel
1. Schritt: Durch Zeilenumformungen überführe (3.2.1) in ein Gleichungssystem, dessen Koeffizientenmatrix in der 1. Spalte ab der 2. Stelle nur noch Nullen aufweist.
Dazu müssen wir
• die 1. Zeile zur 2. addieren
• das 2-fache der 1. Zeile von der 3. Zeile subtrahieren
• die 1. Zeile von der 4.Zeile subtrahieren
Es entsteht




A =



6
0 0 −1 3
2 14
0 0 1 −3 −2 a3 − 12
0 0 1 −3 −2 a4 − 14

1 1 6
0 0 −1 3 2 14
0 0 0 0 0 a3 + 2
0 0 0 0 0 a4 + 8

1 2
1
1
1







Zur Gewinnung von A ZSF wird
• die 2. Gleichung zur 3. addiert
• die 2. Gleichung zur 4. addiert
Heraus kommt:

A ZSF



=



1 2
1







3.2. DAS ELIMINATIONSVERFAHREN
83
Das Gleichungssystem A · ~x = ~b ist überführt in A ∗ · ~x = ~b∗ , wobei



6
1 2 1 1 1
 14
 0 0 1 3 2 
∗
∗
~b = 

A =
 a3 + 2
 0 0 0 0 0 ,
a4 + 8
0 0 0 0 0




Wir lesen ab, dass rg A = r = 2 und j2 = 3 ist. Soll A ∗ · ~x = ~b∗ gelten, muss a3 = −2 und a4 = −8
sein. Sonst kann es für dieses Gleichungssystem keine Lösung geben.
3.2.2
Berechnung des Lösungsraumes
Wir beginnen mit linearen Gleichungssystemen, deren Matrix quadratisch mit oberer Dreiecksgestalt
ist.


b11 b12 . . . b1r
 0 b22 . . . b2r 


3.2.2.1 Hilfssatz Ist B =  .
..  mit b11 , ..., brr 6= 0, so ist das Gleichungssystem
..
 ..
.
. 
0 ... ...
B · ~y = ~c für jedes ~c ∈ Rr eindeutig lösbar.
brr
Beweis. Wir lösen das Gleichungssystem ”von unten nach oben”. Zunächst wählen wir yr :=
cr
. Im
brr
cr−1 − cr−1 r yr
. Angenommen, wir haben schon yr , ..., yk+1 gewählt,
br−1 r−1
1
(ck − bk k+1 yk+1 − ... − bk r yr ). Dann stellen wir fest, dass der Vektor ~y mit den
so setzen wir yk := bkk
so definierten Koordinaten ein Lösungsvektor zu dem gegebenen Gleichungssystem ist. Umgekehrt zeigt
man ebenfalls induktiv, dass, sollte ~z ein Lösungsvektor sein, dan ~y − ~z als Lösung zu B · ~v = ~0 bereits
der Nullvektor sein muss.
Ist A ∈ M (d, n), so bezeichnen wir als Nullraum von A die Menge
nächsten Schritt setzen wir yr−1 :=
NA := {~x ∈ Rn | A · ~x = ~0}
Dann ist NA ein Unterraum des Rn .
3.2.2.2 Hilfssatz Ist r der Rang von A , so hat NA die Dimension n − r.
Beweis. Ist A ZSF eine Zeilenstufenform von A , so ist NA = NA ZSF . Nun haben wir ja
A
ZSF
=
AfZSF
0
,
84
KAPITEL 3. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME
wobei

AfZSF



=


A11 . . .
0 ...
0 ...
..
.
A 1 j2
A 2 j2
...
0
...
...
...
...
...
A3 j3
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
Ar jr
...
...
A1n
A2n
A3n
..
.







Arn
Wir ordnen die Elemente der Menge {1, ..., n}\{1, j2 , ..., jr } der Größe nach und schreiben {1, ..., n}\
{1, j2 , ..., jr } = {k1 , ..., kn−r }. Wir schreiben das Gleichungssystem A ZSF · ~x = ~0 um, indem wir alle
Variablen xk1 , ..., xkn−r auf die rechte Seite bringen. Wir erhalten dann das Gleichungssystem







A11 A1 j2
0 A2 j 2
0
0
..
.
0
...
...
...
A3 j 2
...
...
...
...
...
..
.
A 1 jr
A 2 jr
A 3 jr
..
.
...
Ar jr







x1
x j2
x j3
..
.


n−r

X

AfZSF · ~ek` xk`
=−

`=1

xjr
Wir lösen das Gleichungssystem auf nach x1 , xj2 , ..., xjr und erhalten







x1
xj2
xj3
..
.


 n−r
 X


=



 `=1
x jr



mit irgendwelchen Vektoren 

v1`
v2`
..
.
v1`
v2`
..
.



 xk`

vr`


x1
x2
..
.




r . Dann setzen wir in ~
∈
R
x
=




vr`
ein. Es entsteht dann eine Darstellung von ~x als
~x =
=
=
r
X
+
n−r
X
xk` ~ek`
`=1
vm` xk` ~ejm +
`=1


 die Werte für x1 , xj2 , ..., xjr

xn
xjm ~ejm
m=1
n−r
r
XX
`=1 m=1
n−r
r
X X

n−r
X
xk` ~ek`
`=1
vm`~ejm + ~ek` xk`
m=1
Linearkombination von gewissen n − r linear unabhängigen Vektoren aus NA .
3.2. DAS ELIMINATIONSVERFAHREN
85


1
2
1
1
1
 −1 −2 −2 2
1 
. Dann haben wir schon gesehen, dass A ZSF =
Beispiel. Sei wieder A = 
 2
4
3 −1 0 
1
2
2 −2 −1


1 2 1 1 1
 0 0 −1 3 2 


 0 0 0 0 0 . Nun ist r = 2 und j2 = 3. Weiter ist k1 = 2, k2 = 4 und k3 = 5. Wir lösen das
0 0 0 0 0
Gleichungssystem
1 1
x1
2x2 + x4 + x5
=−
0 −1
x3
3x4 + 2x5
und finden
x1
x3
=
−2x2 − 4x4 − 3x5
3x4 + 2x5
=
−2
0
x2 +
−4
3
x4 +
−3
2
x5
Also wird



~x = 


−2x2 − 4x4 − 3x5
x2
3x4 + 2x5
x4
x5


 
 
=
 
 
−2
1
0
0
0






 x2 + 




−4
0
3
1
0






 x4 + 




−3
0
2
0
1



 x5


Insbesondere sehen wir, dass dim(NA ) = 3 ist.
Der folgende Struktursatz gilt für ein lineares Gleichungssystem:
3.2.1 Satz Ist A ∈ M (d, n) und ~b ∈ Rd , so gilt, eine Lösung ~x0 des linearen Gleichungssystems
existiert: Genau dann ist ~x eine Lösung, wenn ~x − ~x0 ∈ NA . Der Lösungsraum L (A , ~b) des linearen
Gleichungssystems ist also in der Form L (A , ~b) = ~x0 + NA darstellbar.
Beweis. Sind ~x, ~x0 ∈ L (A , ~b), so ist A · (~x − ~x0 ) = ~0, also ~x − ~x0 ∈ NA . Umgekehrt ist für jedes
~v ∈ NA der Vektor ~x0 + ~v in L (A , ~b) gelegen.
Die Berechnung einer speziellen Lösung
ist
nun nicht mehr schwer.
~
Wir bringen die erweiterte Matrix A , b auf Zeilenstufenform. Das zugehörige Gleichungssystem
A11 x1 + . . .
+ A1j2 xj2
A2j2 xj2
+ ...
+ ...
...
...
...
Arjr xjr
...
+ A1n xn = b∗1
+ A2n xn = b∗2
..
.. ..
.
. .
..
.. ..
.
. .
+ Arn xn = b∗r
ist zum vorgegebenen äquivalent. Wir setzen hierin xk` = 0 für alle ` = 1, ..., n − r. Es entsteht ein
Gleichungssystem in x1 , xj2 , xj3 , ..., xjr , das wir lösen, wie es im Beweis zum Hilfssatz 3.2.2.1 beschrieben
wurde.
86
KAPITEL 3. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME
Beispiel. Wir sehen uns noch einmal das Gleichungssystem
x1
−x1
2x1
x1
+
−
+
+
2x2
2x2
4x2
2x2
+ x3
− 2x3
+ 3x4
+ 2x3
+ x4 + x5
+ 2x4 + x5
− x4
− 2x4 − x5
=
=
=
=
6
8
a3
a4
(3.2.2)
an. Angenommen, es sei a3 = −2 und a4 = −8. Dann muss nur noch Gleichungssystem
1 1
x1
6
=
0 −1
x3
14



gelöst werden. Als Lösung erhalten wir: ~x0 = 





~
L (A , b) = 


20
0
−14
0
0






 + R




20
0
−14
0
0
−2
1
0
0
0



 und damit den Lösungsraum








 + R




−4
0
3
1
0






 + R




−3
0
2
0
1



.


Weitere Beispiele
Beispiel 1. Wir studieren das Gleichungssystem
5x1 + 4x2 − 4x3 −
x4 = 2
3x1 + 2x2 + 2x3 + 4x4 = t
−14x1 − 12x2 + 20x3 + 12x4 = s
 
2
~

t , und die erweiterte Koeffizientenmatrix ist
Hier ist d = 3, n = 4 und b =
s


5
4
−4 −1 2






2
2
4 t 
 3
A ~b = 







−14 −12 20 12 s
Dieses Gleichungssystems ist genau dann lösbar, wenn s − 2t + 8 = 0.
3.2. DAS ELIMINATIONSVERFAHREN
87
Die Operation: 2.Zeile- 53 mal 1. Zeile überführt (A , ~b) in

5
4
−4 −1 2



23
A1 =  0
− 25 22
t−
5
5


−14 −12 20 12 s

6
5
Die Operation: 3.Zeile+ 14
5 mal 1. Zeile überführt A1 in

5 4 −4 −1 2



22
23
2
A2 =  0 − 5 5
t − 65
5


44
46
0 −4
s + 28
5
5
5
5
Schließlich subtrahieren wir von der 3. Zeile das 2-fache der
 

5 4 −4 −1 2
 

 

 

23
6
t
−
A ZSF :=  0 − 52 22
=
5
5
5
 

 

6
0 0
0
0 s + 28
−
2(t
−
)
5
5














2
2. Zeile und erhalten
5 4 −4 −1 23
0 − 25 22
5
5
0 0
0
0 
die neue Matrix

2



t − 56



s − 2t + 8
Nun ist j1 = 1, j2 = 2, und r = 2. Ferner: ~b∗ = 
14
5
. Daran können wir alles ablesen.
s − 2t + 8
Für den Fall t = 4, s = 0 berechnen wir alle Lösungen. Wir müssen dazu das zu A ZSF gehörige
Gleichungssystem
5x1 +
4x2 −
− 52 x2 +
4x3
22
5 x3
−
+
x4
23
x
5 4
= 2
= 14
5
lösen.
Wir bringen x3 und x4 auf die rechte Seite und erhalten
5x1 +
4x2 = 2 + 4x3 + x4
23
− 52 x2 = − 22
5 x3 − 5 x4
Es folgt
x2 = −7 + 11x3 + 23
2 x4
x1 = 6 − 8x3 − 9x4
Also folgt

 
6
−8
 −7   11
 
~x = 
 0 +  1
0
0


−9


 23 
 x3 +  2  x4

 0 
1
88
KAPITEL 3. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME
Die Lösungsmenge L (A , ~b) unseres Gleichungssystems



6
−8
 −7 
 11


L (A , ~b) = 
 0 +R  1
0
0
ist damit durch



−9

 23 
+R  2 

 0 
1
zu beschreiben.
Beispiel 2:
2x1
6x1
−2x1
2x1
+ 6x2
+ 18x2
− 10x2
+
x2
− 5x3
− 15x3
+ 13x3
+ 5x3
+
+
−
−
12x4
36x4
32x4
13x4
= −15
= −45
= 43
=
t
Die erweiterte Koeffizientenmatrix dazu ist

2
6
−5
12 −15



18 −15 36 −45
 6


~

A b = 
 −2 −10 13 −32 43




2
1
5
−13 t
Vertauschen der 2. und 4. Zeile ergibt




1
5
−13  2


~

A b = 
 −2 −10 13 −32 



6
18 −15 36 2
6
Folgen Umformungen werden nun ausgeführt:
• 2. Zeile - 1. Zeile
• 3. Zeile + 1. Zeile
• 4. Zeile - 3× 1. Zeile
−5
12
−15
t
43
−45




























3.2. DAS ELIMINATIONSVERFAHREN
89
Wir gelangen zu

2
6



 0 −5


A ~b = 

 0 −4




0 0
−5
10
8
0
−25 −20 0
12
−15




t + 15 




28





0
Weitere Umformung:
• 3. Zeile - 54 × 2. Zeile
mit Resultat

2
6



 0 −5


A ~b = 

 0 0




0 0
−5
10
0
0
−25 0
0
12

−15



t + 15





− 54 t + 16 




0
Es ist damit L (A , ~b) 6= ∅ genau dann, wenn − 45 t + 16 = 0, also t = 20.
Wir sehen, dass r = 2 und j2 = 2. Dann berechnen wir x1 , x2 in Abhängigkeit von x3 , x4 durch
Lösen des Gleichungssystems
2x1 + 6x2 = −15 + 5x3 − 12x4
−4x2 = 28 − 8x3 + 20x4
Es folgt
x2 = −7 + 2x3 − 5x4 ,
x1 =
und damit
1
2
27 7
− 15 + 5x3 − 12x4 − 6(−7 + 2x3 − 5x4 ) =
− x3 + 9x4
2
2




−7/2
27/2

 −7 


 + x3  2  + x4 
~x = 
 1 

 0 
0
0


9
−5 

0 
1
Ergebnis:





27/2
−7/2
 −7 
 2 





L (A , ~b) = 
 0  + R 1  + R
0
0

9
−5 

0 
1
90
KAPITEL 3. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME
Beispiel 3.
9x1
6x1
12x1
−9x1
− 8x3
− 3x3
− 10x3
+ 5x3
+ 10x2
+ 8x2
+ 14x2
− 12x2
− x4
− 2x4
− 4x4
+ 5x4
+
+
+
−
2x5
2x5
3x5
3x5
=
=
=
=
1
−1
0
t
In der erweiterten Matrix







~
(A ,b) = 






6
8
−3 −2 2 12 14 −10 −4 3 −9 −12
5
5 −3 9
10
−8
−1
2
1




−1 




0 




t
führen die Zeilenoperationen:
• 2. Zeile - 32 × 1. Zeile
• 3. Zeile - 34 × 1. Zeile
• 4. Zeile + 1. Zeile
zu

9
10
−8 −1



7
− 43
 0 43
3


( A , ~b ) = 

2
− 83
 0 23
3




0 −2 −3 4
Die nächsten Zeilenoperationen sind:
• 3. Zeile - 12 × 2. Zeile
• 4. Zeile + 23 × 2. Zeile
2
3
1
3
−1 2
1
− 53
− 43
t+1














3.2. DAS ELIMINATIONSVERFAHREN
91
mit dem Ergebnis

9 10 −8



 0


~
(A ,b) = 

 0




0
und nach der Operation : 4. Zeile + 3. Zeile

9



 0


( A , ~b ) = 

 0




0
−1
4
3
7
3
− 43
0
− 21
−2
0
1
2
2
2 2 3 0 0 entsteht schließlich
10 −8 −1 2 7
4
2 4
−
3
3
3
3 0 − 21 −2 0 0
0
0 0 
1













− 53
− 12
t−
3
2
1
− 53
− 12
t−2














Das Gleichungssystem hat genau eine Lösung, wenn t = 2. Es ist r = 3, j2 = 2, j3 = 3.
Wir berechnen x1 , x2 und x3 in Abhängigkeit von x4 , x5 durch Lösen des Gleichungssystems
9x1 + 10x2 − 8x3 = 1 + x4 − 2x5
4
3 x2
+ 37 x3 = − 53 + 43 x4 − 23 x5
− 21 x3 = − 12 + 2x4
und finden
x1 =
also
13 37
1
− x4 + x5 ,
3
3
3
 13 
3
 −3

~x = 
 1
 0
0
1
x2 = −3 + 8x4 − x5 , x3 = 1 − 4x4 ,
2
 37 
 1 
−3
3

 8 
 −1 

 2 


 + x4  −4  + x5  0 






 1 
 0 
0
1
Ergebnis:

13
3


 −3 




~


L (A , b) = 
 1  + R
 0 

0
− 37
3
8
−4
1
0


1
3

 −1

 2
 + R 0



 0
1






92
KAPITEL 3. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME
3.3
3.3.1
Anhang:Matrixmultiplikation
Matrixprodukt
Wir können zwei Matrizen miteinander multiplizieren:
Ist A ∈ M (d, n) und B ∈ M (n, p), so ist A · B diejenige Matrix aus M (d, p), deren j .te Spalte gerade
gleich A · (B~
ej ) ist, 1 ≤ j ≤ p.


b1j
 b2j 


Ist (ai1 , ai2 , ..., ain ) die i.-te Zeile von A und  .  die j .-te Spalte von B , so steht in der i.-ten Zeile
 .. 
bnj
und j .-ten Spalte von A B die Zahl
ai1 b1j + ai2 b2j + .... + ain bnj
Zur Berechnung des Produktes 2er Matrizen kann man das folgende (nach Falk benannte) Schema benutzen:
B
A
AB
Beispiel. Wenn
A :=
so erhalten wir das
2 −9
−5 2
, B=
1 −4 −2
−2 3
0
,
3.3. ANHANG:MATRIXMULTIPLIKATION
93
Schema:
1
−4
−2
−2
3
0
2
−9
20
−35
−4
−5
2
−9
26
10
Also ist
AB =
20 −35 −4
−9 26 10
Das Matrixprodukt genügt folgenden Regeln:
3.3.1 Hilfssatz. i) Wenn A ∈ M (d, n) und B, C ∈ M (n, p), so gilt:
A (B + C ) = A B + A C
ii) Wenn A ∈ M (d, n), B ∈ M (n, p) und C ∈ M (p, q), so gilt
A (BC ) = (A B)C
3.3.2
Invertierbare Matrizen
Sei n ≥ 1 ganz.
Definition. Mit En bezeichnen wir die Matrix En = (eij )ni,j=1 ∈ M (n, n), deren Diagonalelemente eii gleich
1 sind, während eij = 0, für alle i 6= j . Es gilt
En A = A
für alle A ∈ M (n, p).
Definition. Wir nennen eine n × n-Matrix A invertierbar, wenn es eine n × n-Matrix B mit A B = BA =
En gibt.
Man kann leicht zeigen, dass für eine invertierbare Matrix A diese Matrix B eindeutig bestimmt ist. Man
verwendet dann das Symbol A −1 für sie.
3.3.1 Hilfssatz. a) Ist A invertierbar, so auch A −1 , und es ist (A −1 )−1 = A .
b) Mit A und B ist auch A B invertierbar, und es gilt (A B)−1 = B −1 A −1 .
94
KAPITEL 3. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME
Wie können wir Invertierbarkeit einer Matrix feststellen?
3.3.2 Hilfssatz. Folgende Aussagen über die Matrix A ∈ M (n, n) sind äquivalent:
i) A ist invertierbar,
ii) Die Spalten von A sind linear unabhängig,
iii) Man kann A auf die Zeilenstufenform


1 a012 , . . . , . . . , a01n
 0 1 a0 , . . . , a0 
23
2n 

A ZST =  .
.
.. 
..
 ..
. 
0 0
... ...
1
bringen.
Folgendes ist einfach überprüft:
3.3.3 Hilfssatz. a) Sind A , B ∈ M (n, n) invertierbar, so auch A B, und (A B)−1 = B −1 A −1 .
b) Ist die Matrix A invertierbar, so kann man sie mit Zeilenoperationen in die Einheitsmatrix
überführen.
Berechnung der Inversen
Man überführe eine gegebene invertierbare Matrix A durch Zeilenumformungen in die Einheitsmatrix und
nehme dieselben Umformungen auch an der Einheitsmatrix vor.
3.3. ANHANG:MATRIXMULTIPLIKATION
95
Ein Beispiel dazu:

1
4
2
 −1 2 −1
A =
 0 −1 2
3
2 −2
2. + 1.Z.
4. − 3 × 1.Z.
2.←→3.Z.

0
6 

1 
3
0
1
0
0
0
0
1
0

0
0 

0 
1
1
4
2
 0
6
1

 0 −1
2
0 −10 −8

0
6 

1 
3

1
 1

 0
−3
0
1
0
0
0
0
1
0

0
0 

0 
1


0
1 

6 
3

0
0
1
0
0
1
0
0

0
0 

0 
1
1
4
2
 0 −1
2

 0
6
1
0 −10 −8

1 0
10
4
 0 −1
2
1 


 0 0
13 12 
0 0 −28 −7

2.Z. × (−1)
3.Z. × 2
4.Z. × (−1)
1
 0

 0
0


1. + 4 × 2.Z
3. + 6 × 2.Z
4. − 10 × 2.Z

1
 0

 0
0

0 10 4
1 −2 −1 

0 26 24 
0 28 7
1
 0

 1
−3

1
 0

 1
−3

1
 0

 2
3
0
4
0
1
1
6
0 −10

0
0 

0 
1

0 4
0
0 −1 0 

2 12 0 
0 10 −1
96
KAPITEL 3. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME
3. − 4.Z.
4.Z+17×3.Z

1
 0

 0
0

0 10 4
1 −2 −1 

0 −2 17 
0 28 7


0 10
4
1 −2 −1 

0 −2 17 
0 0 245
1
 0

 0
0

2.Z. − 3.Z
1.Z. + 5 × 3.Z.
3.Z. × (−1/2)
1
 0

 0
0
0
1
0
0


0 4
0
0 −1 0 

2 2
1 
0 10 −1
1
 0

 −1
3


1
0
4
0
 0
0 −1 0 


 −1 2
2
1 
−11 28 38 13

0
89
0 −18 

1 −17/2 
0
245

−4 10 14
5
 1
−2 −3 −1 


 1/2 −1 −1 −1/2 
−11 28 38
13

89
1.Z.− 245
× 4.Z
18
2.Z.+ 245
× 4.Z.
17
× 4.Z.
3.Z.+ 490

1
 0

 0
0
0
1
0
0
0
0
1
0

0
0 

0 
1


−1 42 48
68

14 −51 −11 
1  47
 = A −1
245  29
−7 78 −12 
−11 28 38
13
4.Z/245
Die Matrix


3 1 −1
A = 2 1 4 
−1 2 −1
hat die Inverse

A −1

9 1 −5
1 
2 4 14 
=
34
−5 7 −1
3.3. ANHANG:MATRIXMULTIPLIKATION
97
Das Schema zur Berechnung von A −1 :
Vertausche 1. und 3.Z
2.Z.+2 × 1.Z
3.Z.+3 × 1.Z.


−1 2 −1
 2 1 4 
3 1 −1




0 0 1
 0 1 0 
1 0 0

−1 2 −1
 0 5 2 
0 7 −4

0 0 1
 0 1 2 
1 0 3

(−1) × 1.Z.
3. Zeile − 75 × 2. Zeile


1 −2
1
 0 5
2 
0 0 − 34
5
0 0
 0 1
1 − 75

5
(− 34
) × 3.Z.

1 −2 1
 0 5 2 
0 0 1

1. Z. − 3.Z.
2. Z. − 2 × 3.Z.
2.Z. × 15
1. Z. + 2 × 2.Z.

0
 0
5
− 34

1 −2 0
 0 5 0 
0 0 1

A
7
34
1
5

1
2 
1
− 34

5
34
7
− 34
− 33
34






5
17
10
17
35
17
5
− 34
7
34
1
− 34






1 0 0
 0 1 0 
0 0 1
0
1

1
2 
−1

5
34
1
34
− 33
34



=


1
17
2
17
7
17
9
34
1
34
5
− 34





98
KAPITEL 3. LINEARE GLEICHUNGSSYSTEME
Kapitel 4
Analysis - Folgen und Funktionen
4.1
Konvergenz bei Zahlenfolgen
Definition. Unter einer Folge von reellen Zahlen verstehen wir eine Familie (an )n≥n0 von reellen Zahlen, deren
Glieder an nummeriert sind, wobei die Zählung von einer Zahl n0 ∈ IN 0 an beginnt.
Hier sind einige
Beispiele. a) Konstante Folge: Alle Glieder haben dengleichen Wert c ∈ R, also an = c, für alle n ≥ 1
b) Geometrische Folgen: Sei q > 0. Dann nennen wir eine Folge (an )n≥1 eine geometrische Folge,
wenn an+1 /an = q für alle n gilt. Es ergibt sich nun an = a1 q n−1 .
c) Rekursiv definierte Folgen. Das sind Folgen, bei denen zwar nicht an explizit definiert wird, wohl
aber das erste Folgenglied a1 . Statt an explizit anzugeben, gibt man vor, wie man an+1 aus den Gliedern
a1 , ..., an berechnen kann.
√
√
Ein Beispiel haben wir früher gesehen: Ist a > 0, so wählen wir a1 zwischen a und a + 0.1 und
definieren an+1 := 12 (an + aan ), wenn n ≥ 1. Das definiert eine Folge, so dass für großes n der Unterschied
√
|an − a| verschwindend klein wird.
Bei Folgen (an )n≥n0 interessiert uns vor allem, ob die an einem Wert zustreben (Wir werden das
bald präzisieren).
Definition. Gegeben sei eine Folge (an )n≥n0 und ein a ∈ R. Wir nennen a einen Grenzwert der Folge
(an )n≥n0 , wenn gilt:
Zu jedem ε > 0 gibt es ein n(ε) ≥ n0 , so dass |an − a| < ε, wenn n ≥ n(ε).
(4.1.1)
Wir sagen auch: Fast alle an liegen in (a − ε, a + ε).
So klein auch ε ist, stets liegen höchstens endlich viele der an außerhalb (a − ε, a + ε).
Die Zahl a heißt Häufungswert der Folge (an )n≥n0 , wenn für jedes ε > 0 die Menge {n ∈ IN | |an −
a| < ε} unendlich viele Elemente hat.
101
102
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
a- ε
a+ ε
a
Wichtig:
4.1.1 Hilfssatz. a) Eine Folge (an )n≥n0 kann nicht zwei verschiedenen Grenzwerte a, a0 haben. Es
gibt also höchstens einen Grenzwert für diese Folge.
b) Eine konvergente Folge ist immer beschränkt, das heißt: Es gibt eine Schranke S, so dass |an | ≤ S
für alle n.
c) Hat (an )n einen Grenzwert a, so ist a auch Häufungswert, und es existiert kein weiterer Häufungswert.
Beweis. Sonst wäre ε := |a − a0 |/2 > 0. Nun gilt aber für fast alle n:
|an − a| < ε/2, und |an − a0 | < ε/2
Das heißt aber für diese n:
2ε = |a − a0 | ≤ |an − a − (an − a0 )| ≤ |an − a| + |an − a0 | < ε/2 + ε/2 = ε
Das ist ein Widerspruch.
b) Sei a der Grenzwert der Folge (an )n . Für fast alle n gilt dann |an − a| < 1, also |an | ≤ |a| + 1.
c) Ist a Grenzwert von (an )n , so ist sogar für jedes ε > 0 die Menge {n | |an − a| ≥ ε} endlich, also
a ein Häufungswert. Angenommen, es sei a0 Häufungswert, aber a0 6= a. Wieder sei ε = 21 |a − a0 |. Dann
existiert ein n0 ∈ IN mit |an − a| < ε für alle n ≥ n0 . Aber auch die Menge {n ∈ IN | |an − a0 | < ε} ist
unendlich, so dass mindestens ein n1 > n0 in ihr vorkommt. Es folgt dann aber
ε > |an1 − a| ≥ |a − a0 | − |an1 − a0 | = 2ε − |an1 − a0 | > ε
ein Widerspruch.
Notation. Hat eine Folge (an )n einen Grenzwert a, so sagen wir, sie konvergiere gegen a. Wir schreiben
auch
lim an = a
n→∞
oder
an −→ a, wenn n −→ ∞
und bezeichnen a als den Limes der Folge.
Konvergiert eine Folge gegen 0, so nennen wir sie auch Nullfolge.
Beispiele. a) Eine konstante Folge konvergiert stets Ihr Grenzwert ist gleich dem Wert dieser Konstanten.
b) Die arithmetische Folge (a1 + (n − 1)d )n konvergiert genau dann, wenn d = 0. Für d ≥ 0 ist sie
nach unten und für d < 0 nach oben beschränkt.
c) Sei a1 6= 0. Die geometrische Folge (a1 q n )n konvergiert genau dann, wenn −1 < q ≤ 1 ist.
4.1. KONVERGENZ BEI ZAHLENFOLGEN
103
Für q = 1 ist dies klar. Sei |q| < 1. Dann haben wir (Bernoulli-Ungleichung)
|q|−n = (1 +
1
1
− 1)n ≥ 1 + n( − 1)
|q|
|q|
also
n
|q| ≤
1
|q|
−1
n
−→ 0
mit n → ∞.
Für |q| > 1 gilt entsprechend
|q|n ≥ 1 + n(|q| − 1)
d) Sei
an = (−1)n
n2 − n + 4
, f ür n ≥ 1
n3
Dann wird
|an | ≤
n2 + n + 4
6
≤
−→ 0
n3
n
mit n → ∞.
√
e) Für a > 0 setzen wir an = n a, für n ≥ 2. Dann ist (an )n≥2 konstant, wenn a = 1 und an+1 < an ,
wenn a > 1, an+1 > an , wenn a < 1.
Die Folge konvergiert gegen 1. Denn es gilt, wenn a ≥ 1:
a = (1 +
√
√
n
a − 1)n ≥ 1 + n( n a − 1)
(Bernoulliungleichung!), also
√
a−1
−→ 0, wenn n −→ ∞
| n a − 1| ≤
n
Ist 0 < a < 1, so schreiben wir statt dessen:
0≤1−
√
n
a=
√
n
r
a
n
1
−1
a
!
r1
n
≤
− 1 −→ 0, wenn n −→ ∞
a
f) Rekursiv definierte Folgen: Man definiert ein Anfangsglied, etwa a1 und sagt, wie man aus an das
Glied an+1 berechnen soll.
Zum Beispiel sei a1 = 2, an+1 = a2n . Was ist dann an√?
Oder: Sind a und b positiv und setzen wir a1 = ab, b1 :=
√
n
an bn , bn+1 = an +b
2 .
a+b
2
so definieren rekursiv an+1 =
Wir kommen zu ein paar Regeln für konvergente Folgen. Der Grund hierfür ist beschrieben in:
104
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
4.1.2 Hilfssatz. a) Unbeschränkte Folgen konvergieren niemals.
Genau dann konvergiert (an )n≥n0 gegen a, wenn (an − a)n≥n0 eine Nullfolge ist.
b) Ist (an )n≥n0 eine Folge und (bn )n≥n0 eine Nullfolge mit |an | ≤ bn für alle n ≥ n0 , so ist auch
(an )n≥n0 eine Nullfolge.
c) Sind (bn )n≥n0 und (cn )n≥n0 Folgen mit
bn ≤ an ≤ cn f ür alle n,
so gilt:
Wenn (bn )n≥n0 und (cn )n≥n0 beide gegen eine Zahl a konvergieren so auch die Folge (an )n≥n0 .
d) Ist (an )n≥n0 eine Nullfolge und ist die Folge (bn )n≥n0 beschränkt, so ist auch (an bn )n≥n0 eine
Nullfolge.
e) Wenn (an )n und (bn )n konvergente Folgen mit Grenzwerten a bzw. b sind, und gilt an ≤ bn für
alle bis auf endlich viele n, so ist auch a ≤ b.
Beweis. Zu c) Es gilt
bn − a ≤ an − a ≤ cn − a
für alle n. Es folgt hieraus:
|an − a| ≤ |bn − a| + |cn − a|
für alle n. Die Behauptung folgt jetzt aus b).
Zu d) Ist S > 0 mit |bn | ≤ S für alle n ≥ n0 , so hat man |an bn | ≤ S|an |. Mit b) folgt die Behauptung.
Zu e) Angenommen, es sei a > b. Dann wählen wir in der Definition der Konvergenz ε = (a − b)/2.
Von einem geeigneten nε an gilt für alle n, dass |an − a| < ε und |bn − b| < ε. Also haben wir
an − bn = a − b + an − a + b − bn ≥ 2ε − |an − a| − |bn − b| > 0,
entgegen unserer Voraussetzung über die an und bn .
Rechenregeln für Grenzwerte
Für die Herleitung solcher Rechenregeln benötigen wir eine Folgerung aus der Dreiecksungleichung.
4.1.3 Hilfssatz. Für x, y ∈ R gilt
||x| − |y|| ≤ |x − y|.
Beweis. Sei |x| ≥ |y|. Es gilt |x| = |x − y + y| ≤ |x − y| + |y|, also ||x| − |y|| = |x| − |y| ≤ |x − y|.
Wenn |y| ≥ |x|, so wird entsprechend ||x| − |y|| = |y| − |x| ≤ |y − x| = |x − y|.
4.1.4 Satz. Sind (an )n≥n0 und (bn )n≥n0 konvergente Folgen mit Grenzwerten a bzw. b, so sind auch
(an + bn )n≥n0 , (an bn )n≥n0 , und (|an |)n≥n0 konvergent. Unter der Voraussetzung b 6= 0 ist auch ( abnn )n≥n1
definiert für geeignetes n1 und konvergent. Es ist
4.1. KONVERGENZ BEI ZAHLENFOLGEN
105
a)
lim (an + λbn ) = a + λb, f ür λ ∈ R
n→∞
b)
lim an bn = ab
n→∞
c)
lim
n→∞
a
an
= , wenn b 6= 0
bn
b
d)
lim |an | = |a|
n→∞
Weiter gilt:
e) Wenn k > 0 ganzzahlig ist, so gilt
lim ak
n→∞ n
= ak
f) Sind alle an nicht-negativ, so haben wir
lim
n→∞
√
k
an =
√
k
a
Beweis. a) Folgt aus |an + λbn − (a + λb)| ≤ |an − a| + |λ||bn − b|.
b) Es gibt ein S > 0 mit |an | ≤ S für alle n. Die Behauptung folgt jetzt aus
|an bn − ab| = |(an − a)b − an (b − bn )| ≤ |b||an − a| + |an ||b − bn | ≤ |b||an − a| + S|b − bn |
c) Wenn bn −→ b 6= 0, so gilt |bn − b| < |b|/2 für fast alle n. Dann ist aber |bn | = |b − (b − bn )| ≥
|b| − |b − bn | ≥ |b|/2 > 0. Damit ist b1n für n ≥ n1 definiert. Nun schreiben wir
1
−
bn
|bn − b|
|bbn |
2
|bn − b| −→ 0, wenn n −→ ∞
|b|
1 =
b
≤
Dies zusammen mit b) beweist c).
d) Folgt aus ||an | − |a|| ≤ |an − a|.
e) Induktion nach k. Im Fall k = 1 ist nichts zu zeigen. Gilt der Satz für k, so auch für k + 1. Das
sieht man mit Hilfe von b).
Zu f). 1.Fall: a = 0. Dann wählen wir zu ε > 0 eine ganze Zahl n(ε) mit |an | < εk für alle n ≥ n(ε).
√
Es folgt 0 ≤ k an < ε für diese n.
√
√
2.Fall: Sei nun a > 0. Wir schreiben bn := k an und b := k a und müssen zeigen, dass |bn − b| −→ 0
mit n −→ ∞. Dazu benutzen wir die verallgemeinerte geometrische Summenformel und erhalten
|an − a| =
|bkn
k
− b | = |bn − b|
k−1
X
bjn bk−1−j ≥ bk−1 |bn − b|
j=0
|
{z
≥bk−1
}
106
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
Das liefert |bn − b| ≤ b1−k |an − a| −→ 0, wenn n −→ ∞
Verfeinern wir die Bernoulliungleichung,was mit dem Binomialsatz möglich ist, so können wir weitere
nicht offensichtliche Grenzwerte bestimmen.
Beispiele. a) Es gilt für jedes q ∈ (−1, 1) und jedes ganzzahlige k ≥ 1 schon
lim nk q n = 0
n→∞
1
Dazu schreiben wir T := √
k
|q|
(dann ist T > 1 !) und benutzen den Binomialsatz:
T n = (1 + T − 1)n =
n X
n
j=0
j
Tj ≥
also
p
n k |q|
n
= nT −n ≤
n
2
T2 =
n(n − 1) 2
T
2
2
T −2
n−1
Bilden wir die k.-te Potenz hiervon, entsteht
|nk q n | ≤
2
T −2
n−1
k
−→ 0, wenn n −→ ∞
√
b) Es gilt limn→∞ n n = 1.
Dazu schreiben wir (ähnlich wie eben)
n √
√
n = (1 + ( n n − 1) )n ≥
( n n − 1)2
2
oder
0≤
c) Es gilt limn→∞
Denn
n! ≥
1
√
n
n!
n−1≤
√
n
r
2
−→ 0, wenn n −→ ∞
n−1
= 0.
n n/2
2
r
√
n
,
n! ≥
n
1
, also √
≤
n
2
n!
r
2
−→ 0, wenn n −→ ∞
n
d) Es sei
an :=
4n4 + 72n2 − 11n + 9
.
8n4 − 5n
Dann ist limn→∞ an = 12 . Denn für großes n ist der Nenner nicht Null. Wir erweitern in Zähler und
Nenner mit 1/n4 und finden
4 + 72n−2 − 11n−3 + 9
an =
8 − 5n−3
Die Regeln zur Grenzwertberechnung ergeben dann die Behauptung.
4.1. KONVERGENZ BEI ZAHLENFOLGEN
107
e) Die Folge
an :=
43n3 + 72n − 119
12n4 − 5n3 + 44
konvergiert gegen 0. Denn erweitern wir mit 1/n3 , so folgt
1 43 + 72n−2 − 119n−3
43 + 72n−2 − 119n−3
=
12n − 5 + 44n−3
n 12 − 5n−1 + 44n−4
−2 −119n−3
konvergiert, also erst recht beschränkt bleibt, aber 1/n gegen Null
Da die Folge 43+72n
12−5n−1 +44n−4
n
konvergent, gilt auch an −→ 0, wenn n −→ ∞.
f) Die Folge
3n6 + 371n2 − n − 2
an :=
7n4 − 59n3 + 414
an :=
wird unbeschränkt, wenn n −→ ∞. Denn wir klammern im Zähler n2 aus und finden
−4 − n−5 − 2n−6
3n4 + 371 − n−1 − 2n−2
2 3 + 371n
=
n
7n4 − 59n3 + 414
7 − 59n−1 + 414n−4
−4 −n−5 −2n−6
Da nun 3+371n
gegen 37 strebt, während n2 unbeschränkt wird, folgt die Behauptung.
7−59n−1 +414n−4
an = n2
Die Beobachtungen der letzten 3 Beispiele lassen sich verallgemeinern zu dem
4.1.5 Satz. Seien α0 , ..., αr , b0 , ..., bs ∈ R, und αr , bs 6= 0. Wir untersuchen die Folge (an )n≥n0 , wobei
an :=
α0 + α1 n + · · · + αr nr
b0 + b1 n + · · · + bs ns
Dann gilt:
a) Der Nenner wird für genügend großes n0 nicht Null.
b) Die Folge ist unbeschränkt, wenn r > s,
c) Ist r ≤ s, so konvergiert die Folge, und für r = s ist
lim an =
n→∞
αr
br
Im Falle r < s ist limn→∞ an = 0.
Beispiel. Es gilt
n 1
1
=
k
n→∞ k n
k!
lim
Denn
n 1
n(n − 1) · · · · · (n − (k − 1))
nk + αk−1 nk−1 + ... + α1 n
=
=
k nk
nk k!
nk k!
Die Folge ist von dem oben behandelten Typ, (αk−1 , ..., α1 sind irgendwelche Zahlen. Hier ist r =
s = k und αk = 1, bk = k!).
108
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
Was haben die reellen Zahlen den rationalen voraus?
Jede beschränkte F olge (an )n hat in R einen Häuf ungswert!
(4.1.2)
√
√
Das ist innerhalb Q im Allgemeinen nicht richtig: Die Folge xn := [n n 2] hat 2 als einzigen Häufungswert und der ist irrational. Dabei bedeutet
[x] := maximale , ganze Zahl ≤ x
den ganzzahligen Teil einer reellen Zahl x.
4.1.6 Hilfssatz. Ist (an )n eine Folge, so ist a0 ∈ R genau dann ein Häufungswert für (an )n , wenn eine
Teilfolge (ank )k mit Grenzwert a0 aus (an )n ausgewählt werden kann.
Beweis. (1) Kann eine Teilfolge (ank )k mit Grenzwert a0 aus (an )n ausgewählt werden, so gibt es zu
jedem ε > 0 ein k0 mit |ank − a0 | < ε für alle k ≥ k0 . Somit ist {ν | |aν − a0 | < ε} ⊃ {nk | k ≥ k0 } eine
unendliche Menge, also a0 ein Häufungswert für (an )n .
(2) Angenommen umgekehrt, a0 sei ein Häufungswert für (an )n . Dann wählen wir ein n1 ∈ IN mit
|an1 − a0 | < 1. Angenommen, wir haben schon Indizes nk > nk−1 > ... > n2 > 1 gefunden, so dass
1
|an` − a0 | < 1` für alle ` ∈ {1, ..., k} ist. Dann finden wir aber ein nk+1 > nk mit |ank+1 − a0 | < 1+n
. Da
k
1
1
0
aber nk ≥ k, folgt 1+nk ≤ k+1 . Dann ist aber (ank )k eine Teilfolge mit Grenzwert a .
Definition. Wir nennen eine Teilmenge M ⊂ R nach oben beschränkt, wenn ein S ∈ R existiert, so
dass M ⊂ (−∞, S], und nach unten beschränkt, wenn für eine geeignete Zahl T gilt M ⊂ [T, ∞).
4.1.7 Satz (Vollständigkeitsaxiom). In den reellen Zahlen hat jede nach oben (unten) beschränkte
Menge M eine kleinste obere ( größte untere) Schranke, die man obere (untere) Grenze von M nennt.
Manchmal trifft man auf Folgen, bei denen man durch Berechnen einiger Glieder den Eindruck von
Konvergenz gewinnt, ohne aber keinen Kandidaten für einen möglichen Grenzwert angeben zu können.
Das folgende Konvergenzkriterium kann hier von Nutzen sein.
4.1.8 Satz. a) Eine monoton wachsende (bzw. fallende) Folge (an )n konvergiert genau dann, wenn sie
nach oben (bzw. unten) beschränkt ist. (Dabei heißt (an )n monoton wachsend, wenn gilt an ≤ an+1 für
alle n und monoton fallend, wenn an ≥ an+1 für alle n.)
Beweis. Sei (an )n eine Folge. Konvergiert sie, so muss sie beschränkt sein. Umgekehrt nehmen
wir jetzt an, die Folge sei monoton wachsend und nach oben beschränkt. Dann hat die Menge M =
{an | n ≥ 1} eine kleinste obere Schranke a. Wir beweisen jetzt, dass limn→∞ an = a. Dazu nehmen wir
ein beliebiges ε > 0 her. Da a−ε keine obere Schranke mehr für M sein kann, muss es ein n(ε) ≥ 1 geben,
so dass a − ε ≤ an(ε) . Nach Wahl von a ist nun an ≤ a für alle n. Wegen des monotonen Wachstums der
Folge haben wir daher
a − ε ≤ an ≤ a < a + ε, f ür alle n ≥ n(ε)
4.1. KONVERGENZ BEI ZAHLENFOLGEN
109
Das bedeutet aber |an − a| < ε, für solche n. Das war zu zeigen.
Der Fall monoton fallender Folgen wird entsprechend behandelt.
Beispiel: Die Eulersche Zahl
Wir untersuchen die Folgen (en )n≥1 und (sn )n , wobei
n
X 1
1
en = (1 + )n , sn =
n
k!
k=0
Zunächst ist en+1 ≥ en . Das sehen wir so ein:
en+1
en
n+1
n+2
n+1
n+1 n
n
(n + 2)n+1 nn
(n + 1)2n+1
n+1
(n + 2)n n+1 n + 1
1
n+1
=
= 1−
2
2
(n + 1)
n
(n + 1)
n
=
=
Die Bernoulliungleichung sagt aber, dass
1−
1
(n + 1)2
n+1
≥ 1 − (n + 1)
1
n
=
2
(n + 1)
n+1
Setzen wir das ein, erhalten wir en+1
en ≥ 1.
Der nächste Schritt ist: en ≤ sn ≤ 3 für alle n. Dazu beachten wir
en = (1 +
n X
1 n
n 1
) =
k nk
n
k=0
= 2+
n
X
1
1
2
k−1
(1 − )(1 − ) . . . (1 −
) ≤ sn
k!
n
n
n
k=2
≤ 2+
n
X
k=2
n
X 1
1
1
=2+
−
k(k − 1)
k−1 k
k=2
1
= 2+1− ≤3
n
Es folgt en ≤ sn ≤ 3. Somit existieren die Grenzwerte
e = lim en , s = lim sn
n→∞
n→∞
und es gilt e ≤ s. Man nennt e die Eulersche Zahl. Die Konvergenz dieser Folge (en )n geht so langsam
vonstatten, dass die en selbst für eine näherungsweise Berechnung von e nicht geeignet erscheinen. In
der Tat haben wir
e100 = 2.704813829, e500 = 2.715568521, e1000 = 2.716923932,
e2000 = 2.717602569
110
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
e3000 = 2.71782892.
Aber es gilt sogar e = s, und die Folge der sn konvergiert viel besser.
Dazu beachten wir, dass für alle 2 ≤ k ≤ n gilt:
(1 −
2
k−1
(k − 1)2
1
)(1 − ) . . . (1 −
)≥1−
n
n
n
n
Das zeigt man etwa mit der Bernoulliungleichung.
(1 −
1
2
k−1
k − 1 k−1
k−1
(k − 1)2
)(1 − ) . . . (1 −
) ≥ (1 −
)
≥ 1 − (k − 1)
=1−
n
n
n
n
n
n
Damit erhalten wir aber :
en = 2 +
n
X
1
1
2
k−1
(1 − )(1 − ) . . . (1 −
)
k!
n
n
n
k=2
n
n
X
(k − 1)2
1 X (k − 1)2
3
1
≥ 2+
(1 −
) = sn −
≥ sn −
k!
n
n
k!
n
k=2
denn
Pn
k=2
(k−1)2
k!
≤
Pn
1
k=2 (k−2)!
≤
k=2
Pn
1
m=0 m!
≤ 3.
Hieraus folgt s ≤ e.
Weiter haben wir
s10 = 2.718281801,
s20 = 2.718281828,
s30 = 2.7182818284
Ferner ist s30 − s20 < 10−19 .
Beispiel: Die k.te Wurzel
Sei a > 0 und k ≥ 2 ganz. Dann definieren wir rekursiv eine Folge:
x1 = a, wenn a > 1, und x1 = 1, sonst
und weiter
xn+1
1
=
k
(k − 1)xn +
a
xk−1
n
, n≥1
Ein einfaches Induktionsargument liefert, dass xn > 0 für alle n ∈ IN ist. Nun behaupten wir, es sei
√
sogar xn ≥ k a . Für n = 1 ist dies richtig, da x1 so gewählt ist. Angenommen, es sei xkn ≥ a. Schreiben
wir dann s := − k1 (1 − xak ), so wird
n
xn+1 = xn (1 + s)
also mit der Bernoulliungleichung
xkn+1 = xkn (1 + s)k ≥ xkn (1 + ks) = a
4.1. KONVERGENZ BEI ZAHLENFOLGEN
111
Gleichzeitig sehen wir:
xn+1
1
= xn
k
a
(k − 1) + k
xn
≤ xn
Die Folge ist also monoton fallend und nach unten beschränkt. Sie hat daher einen Grenzwert x0 .
Die Rechenregeln für Grenzwerte greifen auch hier und liefern
!
1
a
x0 =
(k − 1)x0 + k−1
k
x0
Lösen wir das nach x0 auf, so erhalten wir x0 =
√
k
a.
Für Nichtkonvergenz einer Folge haben wir dieses Kriterium
4.1.9 Hilfssatz. Sei (an )n≥n0 eine Folge. Konvergiert sie gegen einen Wert a, so konvergiert auch jede
Teilfolge (aνk )k gegen a. (Dabei ist (νk )k streng monoton wachsend und unbeschränkt).
Insbesondere kann eine Folge nicht konvergieren, wenn es zwei Teilfolgen gibt, die gegen unterschiedliche Grenzwerte streben.
Beweis. Zu ε > 0 wählen wir eine ganze Zahl n(ε) > 0, so dass |an − a| < ε, wenn n ≥ n(ε). Nun
gibt es aber ein k(ε), so dass νk ≥ n(ε) für alle k ≥ k(ε). Folglich |aνk − a| < ε für alle k ≥ k(ε).
Beispiele. 1) Die Folge ((−1)n )n konvergiert nicht.
2 −2
2) Die Folge an := (−1)n n2n+1 konvergiert gegen Null, die Folge an := (−1)n nn2 +1
hat keinen Grenzwert.
4.1.1
Konvergenz von Reihen
Reihen sind Summen mit unendlich vielen Summanden. Wir überlegen in diesem Abschnitt, wann solche unendlichen Summen sinnvoll sind.
P
Definition. Sei (xn )n=0 eine Folge. Wir sagen die Reihe ∞
n=0 xn sei konvergent, wenn die Folge (sk )k der
Pk
Partialsummen sk = n=0 xn konvergiert. Ist s der Limes dieser Folge, so schreiben wir auch
s=
∞
X
xn .
n=0
Die Reihe
P∞
n=0 xn
wird absolut konvergent genannt, wenn die Reihe
P∞
n=0 |xn |
konvergiert.
P
n
Beispiel: a) Die geometrische Reihe. Ist −1 < q < 1, so konvergiert die Reihe
P∞ n=0 qn absolut:
Denn die geometrische Summenformel liefert uns für die Partialsummen von n=0 |q| bereits
sk =
k
X
n=0
|q|n =
k
X
1 − q k+1
1 − |q|k+1
, und
qn =
1 − |q|
1−q
n=0
112
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
Wir wissen schon, dass |q|k −→ 0, wenn k −→ ∞. Somit erhalten wir die absolute Konvergenz der geometrischen
Reihe und zugleich
∞
X
qn =
n=0
b) Die Reihe
(k ≥ 3):
sk =
P∞
k
X
n=2
1
n=2 n(n−1) .
1
1−q
1
1
− n1 . Es folgt für die k .te Partialsumme
Wir beobachten, dass n(n−1)
= n−1
k
X
1
=
n(n − 1)
n=2
1
1
−
n−1 n
Dies ergibt
∞
X
n=2
4.1.10 Hilfssatz. Ist die Reihe
P∞
n=0 xn
=
k
X
n=2
k
k−1
k
n=2
n=1
n=2
X1
X1 X1
1
1
−
=
−
=1−
n−1
n
n
n
k
1
=1
n(n − 1)
konvergent, so muss (xn )n eine Nullfolge sein.
Beweis. Denn xk = sk − sk−1 . Da beide Folgen gegen denselben Limes konvergieren, folgt die
Behauptung.
Beispiel: (Harmonische Reihe). Sind die Glieder einer Reihe
Peine 1Nullfolge, so muss sie deshalb noch
nicht konvergieren. Das zeigt sich bei ”harmonischen” Reihe ∞
n=0 n .
Wäre sie konvergent, so müsste die Folge der Partialsummen (sk )k konvergieren. Stattdessen ist
aber s2k − sk ≥ 1/2 für alle k.
Folgender Satz erfordert wieder das Vollständigkeitsaxiom für R:
4.1.11 Satz. Jede absolut konvergente Reihe konvergiert.
Indem wir die Rechenregeln über konvergente Folgen auf die Partialsummen konvergenter Reihen
anwenden, können wir sofort folgende Rechenregeln für konvergente Reihen gewinnen:
P
P∞
4.1.12 Satz. Angenommen, die Reihen ∞
n=0 xn und
n=0 yn seien konvergent (bzw. absolut konvergent). Dann gilt
P
a) Auch die Reihe ∞
n=0 (xn + λyn ) konvergiert. Es gilt
∞
X
(xn + λyn ) =
n=0
∞
X
xn + λ
n=0
∞
X
yn
n=0
Pn b) Wenn beide Reihen absolut konvergieren, so auch das Cauchyprodukt
ν=0 xν yn−ν , für n ≥ 0. Es gilt
! ∞
!
∞
∞
X
X
X
zn =
xn
yn .
n=0
n=0
n=0
P∞
n=0 zn ,
wobei zn =
4.1. KONVERGENZ BEI ZAHLENFOLGEN
113
Beweis. a) Klar. b) Die (2k).te Partialsumme s2k von
2k
X
!
|xn |
n=0
2k
X
P∞
n=0 |zn |
ist nicht größer als
!
|yn |
n=0
Da jeder Faktor nach oben beschränkt ist, ist es auch die Folge (s2k )k . Da weiter (sk )kP
monoton wächst,
existiert der Limes dieserP
Folge. Damit haben P
wir absolute Konvergenz der Reihe ∞
n=0 zn gesehen.
n
Schreiben wir jetzt Sn := k=0 |xk | und Tn := l=0 |yl |, so folgt
|
n
X
k=0
!
xk
n
X
!
yl
−
n
X
zp |
≤
p=0
l=0
n
X
|yn−l |
l=0
X
≤
l≤[n/2]
≤
n
X
|xj |
j=l+1
n
X
|yn−l |
|xj | +
j=l+1
(Tn − T[n/2] )
∞
X
X
|yn−l |
n≥l>[n/2]
|xj | + (Sn − S[n/2] )
j=0
n
X
|xj |
j=[n/2]+1
∞
X
|yj |
j=0
−→ o
Konvergenzkriterien
P
4.1.13 Satz. Sei ∞
n=0 an eine Reihe. P
a) (Majorantenkriterium).
Ist dann ∞
n=0 bn eine konvergente Reihe und |an | ≤ bn für alle n, so
P∞
konvergiert die Reihe n=0 an absolut.
P
b) (Verdichtungskriterium) . Wenn an ≥ an+1 ≥ 0 für alle n, so konvergiert ∞
n=0 an genau dann,
wenn die Reihe
∞
X
2n a2n
n=0
konvergiert.
c) (Quotientenkriterium). Wenn an 6= 0 für fast alle n und
lim
n→∞
|an+1 |
< 1,
|an |
P
so konvergiert die Reihe ∞
n=0 an absolut.
d) (Wurzelkriterium). Wenn für fast alle n und
lim
n→∞
so konvergiert die Reihe
P∞
n=0 an
absolut.
p
n
|an | < 1 ,
114
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
Beweis. a) Es ist für alle k:
k
X
|an | ≤
k
X
n=0
n=0
n+1
2X
n
bn ≤ S :=
∞
X
bn
n=0
woraus alles folgt.
b) Wir haben
n
2
X
aj ≤ 2 a2n ≤ 2
j=2n +1
aj ,
j=2n−1 +1
denn al ≤ a2n ≤ aj für alle j = 2n−1 + 1, ..., 2n und l = 2n + 1, ..., 2n+1 also
k+1
2X
n+1
am ≤ a0 + a1 +
k
2X
X
aj
n=0 j=2n +1
m=0
≤ a0 + a1 +
k
X
2n a2n
n=0
k
X
≤ a0 + a1 + 2
n=0
n
2
X
aj
j=2n−1 +1
2k
≤ 2
X
an
n=0
Hieraus erhalten wir die Behauptung.
4.2. STETIGE FUNKTIONEN
4.2
115
Stetige Funktionen
Der Funktionsbegriff
Definition. Sind A und B Mengen, so verstehen wir unter einer Abbildung f : A −→ B eine Regel,
nach der jedem Element a ∈ A ein eindeutig bestimmtes Element b ∈ B zugeordnet werden soll. Wir
bezeichnen dieses Element b, da es durch a und f festgelegt ist, mit f (a). Wenn B ⊂ R, sprechen wir
statt von Abbildungen von Funktionen.
Bei uns wird A ⊂ R oder A ⊂ Rn sein.
Beispiele.
Weg-Zeit-Gesetz.Im freien Fall nimmt die Geschwindigkeit eines Körpers jede Sekunde um g =
9, 81m/s2 zu. Hatte der Körper eine Anfangsgeschwindigkeit v0 , so ist die nach t Sekunden erreichte
Geschwindigkeit
v = g · t + v0
Die vom Körper durchfallene Strecke ist gegeben durch
1
s = g t2 + v0 t
2
Wir sehen hier, dass die Geschwindigkeit und die zurückgelegte Strecke von der Zeit abhängen. Bei
vorgegebener Zeit lassen sich beide durch die angegebenen Gleichungen berechnen.
Energie
Die Bewegungsenergie eines sich in gerader Richtung bewegenden Teilchens hängt von dessen Gechwindigkeit v ab:
1
E = mv 2
2
Ohmsches Gesetz. Hat ein Körper einen elektrischen Widerstand R, und wird er von Strom durchflossen, der von einer Spannungsquelle der Stärke U erzeugt wird, so ist die Stromstärke gerade
I=
U
R
Wieviel Strom durch den Körper fließt, hängt also von dessen elektrischem Widerstand ab.
Pendel. Schwingt ein Pendel mit kleiner Auslenkung an einem Faden der Länge l, so ist die Schwingdauer T durch
s
l
T = 2π
g
gegeben. Sie ist also eine Wurzelfunktion der Fadenlänge.
Schwerkraft
116
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
Zwei Körper der Massen m1 und m2 mit Abstand r üben aufeinander eine Anziehungskraft F aus.
Nach Newton ist diese durch
m1 m2
F =γ 2
r
gegeben. (Dabei ist γ die Gravitationskonstante).
Relativistische Masse
Nach Einsteins Relativitätstheorie hängt die Masse eines Teilchens von seiner Geschwindigkeit v ab:
m= p
m0
,
1 − ( vc )2
wobei c die Lichtgeschwindigkeit und m0 die Ruhemasse des Teilchens bedeuten.
Schwingendes Teilchen
Hängt ein Teilchen an einer Feder mit Federkonstanten k, so ist seine Auslenkung aus der Ruhelage
durch
√
x = x0 sin( kt)
zu beschreiben, wobei x0 die Maximalauslenkung (Amplitude) bedeutet.
Glühbirne
Bei einer Glühbirne gilt das Ohmsche Gesetz für die Beziehung zwischen Spannung und Stromstärke
nicht mehr. Stattdessen hat man
U = AI 3 + BI 2 + CI + D
mit geeigneten Konstanten A, ..., D.
Zu einer Funktion f : I −→ R gehört ein Graph, das ist die folgende Menge in R2 :
Graph(f ) := {(x, y) | y = f (x)}
Beispiele: a) Lineare Funktionen. ( Sie spielen beim Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz ( freier Fall) eine
Rolle ). Das ist eine Funktion vom Typ
f (x) = ax + b
4.2. STETIGE FUNKTIONEN
117
mit a 6= 0.
a
y
1
b
x
0
Dabei bedeutet b den y-Achsenabschnitt und a die Steigung der Geraden. Folgende beiden Punkte
liegen auf der Geraden und legen daher ihren Verlauf eindeutig fest: Durch b wird angegeben, wo die
Gerade die y-Achse schneidet und a beschreibt die Steigung der Geraden.
b)Parabeln
Wir sehen uns die folgende Funktion an:
f (x) = ax2 + bx + c
Dabei ist a 6= 0. Ihr Schaubild sieht so aus:
Ist a > 0, so ist die Parabel nach oben geöffnet
6
5
4
3
-2
-1
1
2
3
4
118
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
und für a < 0 nach unten:
-2
-1
1
2
3
4
5
-2
-4
-6
-8
Ist a > 0, so können wir den tiefsten Punkt auf der Parabel ausrechnen:
Eine kleine Rechnung liefert uns:
f (x) = a(x +
D
b 2
) −
2a
4a
mit D = b2 − 4ac (Diskriminante). Der erste Term ist immer ≥ 0 und verschwindet, wenn x = xS =
−b/2a. Dann wird f (xS ) = −D/4a. Der tiefste Punkt auf der Parabel, der sog. Scheitel der Parabel ist
also
b
D
S = (xS , f (xS )) = − , −
.
2a
4a
Entsprechendes gilt, wenn a < 0 ist. Dieselbe Rechnung führt wiederum auf den Punkt S. Er ist
jetzt der höchstgelegene Punkt auf der Parabel.
Wir können ausrechnen, ob und ggf. wo die Parabel die reelle Achse trifft. Wir müssen nur die
Gleichung f (x) = 0 lösen. Lösungen gibt es genau dann, wenn D ≥ 0 ist. Diese sind gegeben durch
x1,2
√
b
D
=− ±
2a
2a
Man nennt x1 , x2 auch die Nullstellen der Funktion f .
In den beiden Beispielen haben wir f (x) = 2x2 − 4x − 1 mit Nullstellen
x1 = 1 +
1√
6,
2
x2 = 1 −
1√
6
2
und Scheitel bei S = (1 | − 3).
Beim zweiten Beispiel ist f (x) = − 12 x2 + x + 3 mit Nullstellen bei
x1 = 1 +
und Scheitel bei S = (1 | − 7/2).
c) Kurven 3. Grades:
√
7,
x2 = 1 −
√
7
4.2. STETIGE FUNKTIONEN
119
Das sind die Graphen folgender Funktionen
f (x) = ax3 + bx2 + cx + d, mit a 6= 0
Ihr Schaubild ist komplizierter. Je nach Größe von a, ..., d kann es drei oder nur eine Nullstelle geben
(wie wir schon sahen, ist ihre Berechnung mühsam):
4
2
-2
4
2
-2
Schaubild von f (x) = 0.2x3 − 0.5x2 − 2x + 2.
Oder:
60
40
20
-3
-2
-1
1
2
3
4
-20
c) Hyperbelfunktionen.
Das sind Funktionen vom Typ
a
, wobei a 6= 0
x
Man beachte, dass diese Funktionen in 0 nicht definiert sind.
f (x) =
120
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
Das Schaubild sieht so aus:
40
20
-1
-0.5
1
0.5
-20
-40
d) Wurzelfunktionen: Diese haben die Gestalt
f (x) = x1/k , x ≥ 0, mit k ∈ ZZ, k > 1
und sind nur auf R+ erklärt.
1.75
1.5
1.25
1
0.75
0.5
0.25
0.5
1
1.5
2
2.5
3
Dies ist der Graph für k = 2, und hier ist der Graph für k = 4:
1.2
1
0.8
0.6
0.4
0.2
0.5
1
1.5
2
2.5
3
Begriffsbildungen bei Funktionen
Definition. Sei a > 0 und f : (−a, a) −→ R eine Funktion. Wir nennen f gerade (ungerade), wenn
ihr Graph symmetrisch zur y-Achse (bzw. punktsymmetrisch zum Ursprung) ist, also:
4.2. STETIGE FUNKTIONEN
121
i) f ist gerade, wenn gilt:
(−x, y) ∈ Graph(f ) genau dann, wenn (x, y) ∈ Graph(f ).
ii) f ist ungerade, wenn gilt:
(−x, −y) ∈ Graph(f ) genau dann, wenn (x, y) ∈ Graph(f ).
a) Eine Funktion der Form f (x) = x2 + bx + c ist genau dann gerade, wenn b = 0.
b) Eine Hyperbelfunktion: f (x) = a/x ist stets ungerade.
c) Eine lineare Funktion f (x) = ax + b ist ungerade genau dann, wenn b = 0.
Anders als bei Zahlen kann es vorkommen, dass eine Funktion f weder gerade noch ungerade ist,
etwa die Funktion f (x) = x + 2.
Definition. Ist I ein Intervall und f : I −→ R eine Funktion, so sagen wir
a) Ein Wert x0 ∈ I sei eine Nullstelle von f , wenn f (x0 ) = 0 gilt,
b) f sei monoton wachsend, wenn für x0 , x00 ∈ I gilt: Ist x0 < x00 , so ist f (x0 ) ≤ f (x00 )
c) f sei monoton fallend, wenn für x0 , x00 ∈ I gilt: Ist x0 < x00 , so ist f (x0 ) ≥ f (x00 )
d) f sei streng monoton wachsend, wenn für x0 , x00 ∈ I gilt: Ist x0 < x00 , so ist f (x0 ) < f (x00 )
e) f sei streng monoton fallend, wenn für x0 , x00 ∈ I gilt: Ist x0 < x00 , so ist f (x0 ) > f (x00 ).
Beispiele. a) Lineare Funktionen f (x) = Ax + B mit A 6= 0 sind streng monoton wachsend, wenn
A > 0 und streng monoton fallend, wenn A < 0.
b) Die Parabelfunktion f (x) = x2 + x + 4 ist auf (−∞, −1/2) streng monoton fallend und streng
monoton wachsend auf (−1/2, ∞).
Definition. Eine Funktion f : R −→ R wird periodisch genannt, wenn eine Zahl p > 0 existiert, so
dass f (x + p) = f (x) für alle x ∈ R gilt.
Beispiel. Sei etwa f (x) = x − [x] − 1/2. Dann hat f die Periode 1.
Rechnen mit Funktionen
Definition. Sind f, g : I −→ R Funktionen und ist α ∈ R, so definieren wir die Funktionen f + g, αf
und f g durch:
(f + g)(x) := f (x) + g(x),
(αf )(x) := αf (x)
(f g)(x) := f (x)g(x)
Wenn N die Menge der Nullstellen von g bedeutet, so setzen wir für x ∈ I \ N :
f
f (x)
(x) :=
g
g(x)
p
√
√
Ist f (x) ≥ 0 für alle x ∈ I, so können wir k f durch k f (x) := k f (x) erklären.
Allgemeiner trifft man die folgende
Definition. a) Sind I und J Intervalle und f : I −→ J und g : J −→ R Funktionen, so setzen wir
g ◦ f (x) := g( f (x) ), f ür x ∈ I
122
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
und nennen g ◦ f die Hintereinanderschaltung oder auch Komposition von g mit f .
b) Wenn I und J zwei Intervalle sind, so nennen wir eine Funktion f : I −→ J auch invertierbar
(oder umkehrbar), wenn eine Funktion g : J −→ I existiert mit g◦f (x) = x für alle x ∈ I und f ◦g(y) = y
für alle y ∈ J. Ist f invertierbar, so ist die zugehörige Abbildung g : J −→ I eindeutig bestimmt und
wird als Umkehrfunktion von f bezeichnet. Man schreibt auch g = f −1 .
Achtung: f −1 (y) darf nicht 1/f (y) verwechselt werden!
Beispiel. Sei etwa I = (−1/2, ∞) und f : I −→ R definiert durch f (x) = x2 + x + 4. Dann wird
f (x) = (x + 1/2)2 + 15/4, also ist f (x) > 15/4 für x ∈ I. Setzen wir J = (15/4, ∞), so wird f : I −→ J
invertierbar, und es wird
r
1
15
−1
.
f (y) = − + y −
2
4
Stetigkeit
Definition. a) Sei I ein offenes Intervall und f : I −→ R eine Funktion. Ist x0 ∈ I, so sagen wir, f
strebe mit x −→ x0 gegen einen Wert c, wenn gilt:
Für jede Folge (xn )n von Punkten aus I, die gegen x0 konvergiert, ist die Folge der Bilder (f (xn ))n
gegen c konvergent.
Wir schreiben auch einfach:
lim f (x) = c
x→x0
b) Wir nennen eine Funktion f : I −→ R in einem Punkte x0 ∈ I stetig, wenn gilt
lim f (x) = f (x0 )
x→x0
f wird stetig auf I genannt, wenn es in jedem Punkt von I stetig ist.
Entsprechend wird Unstetigkeit erklärt.
Beispiele. i) Jede konstante Funktion ist überall stetig.
ii) Die Funktion f (x) = [x], für I = R.
Diese Funktion ist in allen Punkten x0 ∈ R \ ZZ stetig und unstetig in den Punkten x0 ∈ ZZ.
Denn: Ist x0 ∈ R \ ZZ, so ist f auf einem kleinen x0 enthaltenenden offenen Intervall konstant, also
stetig.
Ist nun x0 ∈ ZZ, so sehen wir uns die Folge (xn )n an, wobei xn := x0 + (−1)n /n sein soll. Es gilt
xn −→ x0 , aber die Folge (f (x2n ) )n ist konstant, alle Glieder sind gleich [x0 ], und die Folge (f (x2n+1 ))n
ist ebenfalls konstant, alle ihre Glieder sind gleich [x0 ] − 1. Somit kann die Folge (f (xn ))n keinen
Grenzwert haben.
iii) Die Funktionen f (x) = xk sind für ganzzahlige k > 0 auf ganz R stetig.
4.2.1 Satz. Sei f : I −→ R eine Funktion und x0 ∈ I. Genau dann ist f in x0 stetig, wenn gilt
(1) Zu jedem ε > 0 gibt es ein δ > 0, so dass |f (x) − f (x0 )| < ε, für alle x ∈ I mit |x − x0 | < δ.
4.2. STETIGE
FUNKTIONEN
f(x)
f(x )
0
123
2ε
x
x0
2δ
Beweis. Angenommen, das Kriterium (1) sei erfüllt. Ist dann (xn )n ⊂ I eine Folge mit Limes x0 ,
so konvergiert (f (xn )n gegen f (x0 ). Zum Beweis sei ε > 0 beliebig gewählt und δ w, width=10cmie im
Kriterium (1) zu ε. Es gibt ein n0 ∈ IN mit |xn − x0 | < δ für alle n ≥ n0 . Für diese n haben wir dann
|f (xn ) − f (x0 )| < ε.
Angenommen nun, das Kriterium (1) ist verletzt. Dann gibt es ein ε > 0 mit der folgenden Eigenschaft: Zu jedem k ≥ 1 (ganzzahlig) gibt es ein xk ∈ I mit |xk − x0 | < 1/k, aber |f (xk ) − f (x0 )| ≥ ε.
Offenbar konvergiert (xk )k gegen x0 , aber (f (xk ))k nicht gegen f (x0 ), ein Widerspruch zur Stetigkeit
von f in x0 .
Beispiel. Ist etwa f (x) = 3x3 − 2x und x0 = 1, und ε = 0.1, so können wir δ = 1/70 wählen. Denn
wegen f (1) = 1 ist
|f (x) − f (1)| ≤ |3(x3 − 1) − 2(x − 1)| = |x − 1||3x2 + 3x + 3 − 2| = |x − 1||3x2 + 3x + 1| < 7|x − 1|
wenn nur |x| < 1.25. Wenn daher |x − 1| < 1/70, wird |f (x) − 1| < 0.1.
Folgerung.Ist f wie zuvor in x0 stetig und f (x0 ) 6= 0, so gibt es ein Intervall J ⊂ I mit f (x) 6= 0
für alle x ∈ J.
Zum Beweis wende man das Kriterium (1) auf ε = |f (x0 )|/2 an.
Rechenregeln für Stetigkeit
4.2.2 Satz. Sei I ein offenes Intervall und f, g : I −→ R stetig in einem Punkt x0 ∈ I. Dann sind
f + g, αf (mit α ∈ R), und f g ebenfalls in x0 stetig, und es ist
lim (f + g)(x) = f (x0 ) + g(x0 ), lim (αf )(x) = αf (x0 ), lim (f · g)(x) = f (x0 ) · g(x0 )
x→x0
x→x0
x→x0
Wenn g(x0 ) 6= 0, so ist weiter:
f
f (x0 )
lim ( )(x) =
x→x0 g
g(x0 )
4.2.3 Satz. Sind I und J offene Intervalle und f : I −→ J und g : J −→ R Funktionen, so gilt: Ist f
in x0 ∈ I stetig und g in y0 := f (x0 ), so ist auch g ◦ f in x0 stetig und
lim (g ◦ f )(x) = g(f (x0 ))
x→x0
124
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
Beweis. Dies alles folgt aus den Rechenregeln über Grenzwerte von Folgen.
4.2.4 Folgerung. Sei I ein offenes Intervall und x0 ∈ I. Ist f : I −→ R in x0 stetig, so auch |f |, und
limx→x0 |f (x)| = |f (x0 )|.
Definition. Ist I ein offenes Intervall und x0 ∈ I, so sagen wir, eine Funktion f : I \ {x0 } −→ R habe
in x0 eine Definitionslücke. Man nennt f in x0 stetig fortsetzbar, wenn ein Wert c existiert, so dass die
durch
f (x) , wenn x ∈ I \ {x0 }
fb(x) :=
c , wenn x = x0
nunmehr auf ganz I erklärte Funktion in x0 stetig wird.
Ist f in x0 nicht stetig fortsetzbar, so nennen wir f wieder in x0 unstetig.
Beispiele. Die Funktion f (x) = 1/x, ist auf R \ {0} erklärt mit einer Definitionslücke in 0. Man kann
f in 0 nicht stetig fortsetzen. Denn: Für keinen Wert c ist limx→0 f (x) = c, da die Folge (f ((−1)n /n)n
nicht konvergiert.
3 +1
b) Die Funktion g(x) = xx+1
ist auf R \ {−1} definiert, kann aber in x0 = −1 stetig fortgesetzt
3
2
werden: Denn x + 1 = (x + 1)(x − x + 1). Man wähle c = 3.
Wichtige Sätze über stetige Funktionen
Die folgenden Sätze beschreiben grundlegende Eigenschaften stetiger Funktionen und basieren auf
der Eigenschaft (4.1.2)der reellen Zahlen.
4.2.5 Satz. Ist I = [a, b] ein beschränktes abgeschlossenes Intervall, so ist jede auf I stetige Funktion
f dort beschränkt: Es gibt ein S > 0 mit |f (x)| ≤ S für alle x ∈ I und weiter Punkte xmin , xmax ∈ I
mit f (xmin ) ≤ f (x) ≤ f (xmax ) für alle x ∈ I, insbesondere ist f (I) ⊂ [f (xmin ), f (xmax )].
Beweis. Anderenfalls gäbe es eine Folge (xn )n mit |f (xn )| > n. Wir können hieraus eine Teilfolge
auswählen, die gegen einen Punkt x0 ∈ I konvergiert. Dann könnte aber limx→x0 |f (x)| nicht existieren,
ein Widerspruch.
Sei nun S+ die kleinste obere Schranke von f (I). Dann gibt es eine Folge (tj )j ⊂ I mit f (tj ) −→ S+
mit j −→ ∞. Aus dieser können wir eine konvergente Teilfolge auswählen. Ihren Limes nennen wir
xmax . Dann ist f (xmax ) = S+ . Entsprechend argumentieren wir beim Nachweis von xmin .
4.2.6 Satz (Zwischenwertsatz). Sei I = [a, b] ein beschränktes abgeschlossenes Intervall und f : I −→
R stetig. Angenommen, es sei f (a) < f (b). Dann gibt es zu jedem t ∈ (f (a), f (b)) ein xt ∈ I mit
f (xt ) = t.
4.2. STETIGE FUNKTIONEN
125
Beweis. (Bisektionsverfahren). Wir setzen a01 = (a + b)/2. Wenn f (a01 ) = t, sind wir fertig. Sonst gilt:
1.Fall: f (a01 ) < t. Dann sei a1 := a01 , b1 := b – 2.Fall: f (a01 ) > t. Dann sei a1 = a, b1 := a01 .
Es folgt nun a ≤ a1 ≤ b1 ≤ b, und b1 − a1 = (b − a)/2, sowie (f (a1 ) − t)(f (b1 ) − t) < 0. Angenommen,
wir haben schon a1 ≤ ... ≤ aj ≤ bj ≤ bj−1 ≤ ... ≤ b1 gefunden, so dass bj − aj = (b − a)/2j
und (f (aj ) − t)(f (bj ) − t) < 0, dann setzen wir a0j+1 = (aj + bj )/2 und unterscheiden 3 Fälle: Wenn
f (aj+1 ) = t, ist das Verfahren beendet. Wenn f (a0j+1 ) < t, sei aj+1 = a0j+1 , bj+1 = bj . Wenn f (a0j+1 ) > t,
sei aj+1 = aj , bj+1 = a0j+1 . Dann ist bj+1 − aj+1 = (b − a)/2j+1 und (f (aj+1 ) − t)(f (bj+1 ) − t) < 0.
Die Folgen (aj )j und (bj )j streben einem gemeinsamen Grenzwert xt zu, für den (f (xt ) − t)2 ≤ 0, also
f (xt ) = t ist.
Beispiel. Gesucht sind die Nullstellen von f (x) = x3 + x − 3. Da für x > y gilt: f (x) − f (y) =
(x − y)(x2 + xy + y 2 + 1) > 0, kann es höchstens eine Nullstelle geben. Da f (1) < 0 < f (1.5), gibt es
also genau eine Nullstelle für f .
Im Bisektionsverfahren wählen wir a = 1 und b = 1.5, sowie a01 = (a + b)/2 = 1.25.
Da f (a01 ) > 0, muss a1 = a, b1 = a01 = 1.25 genommen werden. Sei a02 := (a1 + b1 )/2 = 1.125.
Da f (a02 ) < 0, wählen wir nun a2 = 1.125, b2 = b1 = 1.25. Sei a03 := (a2 + b2 )/2 = 1.1875.
Da f (a03 ) > 0, wählen wir nun a3 = a2 = 1.125, b3 = a03 = 1.1875. Sei a04 := (a3 + b3 )/2 = 1.15625.
Da f (a04 ) < 0, wählen wir a4 = a04 , b4 = b3 .
So fahren wir fort. Irgendwann finden wir f (1.2134) ≈ −0.00006 und f (1.2135) ≈ 0.0004.
4.2.7 Folgerung: Ist f : I −→ R stetig und nicht-konstant, und haben xmin , xmax dieselbe Bedeutung
wie bisher, so gilt f (I) = [f (xmin ), f (xmax )].
Anwendung auf quadratische Ungleichungen. a) Sei f : R −→ R stetig und habe genau 2
Nullstellen x1 , x2 . Wir setzen M := {x | f (x) < 0} und P := {x | f (x) > 0}. Es sei x1 < x2 . Angenommen, es gebe t, s1 , s2 ∈ R mit s1 < x1 < t < x2 < s2 mit f (t) < 0 < f (s1 ), f (s2 ). Dann ist M = (x1 , x2 )
und P = R \ [x1 , x2 ].
Denn es gilt t ∈ M . Wäre f (y) > 0 für ein y ∈ (x1 , x2 ), so hätte f zwischen t und y eine weitere
Nullstelle, entgegen der Annahme, f habe nur die Nullstellen x1 und x2 . Somit ist (x1 , x2 ) ⊂ M .
Umgekehrt sei x ∈ M . Wäre x ≤ x1 , so folgte wegen f (s1 ) > 0, dass eine Nullstelle für f zwischen
x und s1 vorkommen müsste, Widerspruch. Also x > x1 . Genauso kann x ≥ x2 nicht sein. Das ergibt
M = (x1 , x2 ). Klar ist nun P = R \ (M ∪ {x1 , x2 }) = R \ [x1 , x2 ].
b) Die Berechnung der Menge S := {x | |4x − 1| < |3x + 5|} vereinfacht sich nun. Zunächst haben
wir
M
= {x | 16x2 − 8x + 1 < 9x2 + 30x + 25} = {x | 7x2 − 38x − 24 < 0}
24
38
< 0}
= {x | x2 − x −
7
7
= {x | f (x) < 0},
24
4
wobei f (x) = x2 − 38
7 x − 7 . Berechnen wir die Nullstellen x1 , x2 von f , so finden wir x1 = − 7 , x2 = 6.
4
Da f (−10), f (10) > 0 und f (0) < 0, folgt nun S = (− 7 , 6).
126
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
Schließlich zeigen wir noch, dass die Umkehrfunktion zu einer invertierbaren stetigen Funktion wieder
stetig ist.
4.2.8 Satz. Sei f : [a, b] −→ [c, d] stetig und invertierbar. Dann ist auch die Umkehrfunktion g =
f −1 : [c, d] −→ [a, b] stetig.
Beweis. Sei y0 ∈ [c, d]. Angenommen, g sei in y0 unstetig. Dann gibt es ein ε > 0 und eine Folge (yn )n
mit Limes y0 , so dass |g(yn ) − g(y0 )| ≥ ε für alle n. Wir schreiben xn = g(yn ) und x0 = g(y0 ). Wir
finden eine konvergente Teilfolge (xnk )k von (xn )n mit einem Limes x0 . Es gilt
f (x0 ) = lim f (xnk ) = lim ynk = y0 = f (x0 )
k→∞
k→∞
woraus folgt, dass x0 = x0 sein muss. Auf der anderen Seite ist aber |xnk − x0 | = |xnk − x0 | = |g(yn ) −
g(y0 )| ≥ ε für alle k, ein Widerspruch.
Der Graph der Umkehrfunktion zu einer stetigen Funktion entsteht aus dem Graphen von f durch
Spiegeln an der Geraden y = x.
-1
f (x)
f( x )
x
4.3
Rationale Funktionen
A) Polynome
4.3. RATIONALE FUNKTIONEN
127
Definition. Unter einer ganzrationalen Funktion oder einem Polynom verstehen wir eine Funktion
f : R −→ R von der Form
f (x) = an xn + an−1 xn−1 + ... + a1 x + a0
mit Koeffizienten an , ...., a0 , wobei an 6= 0. Man nennt n den Grad des Polynoms und an seinen Leitkoeffizienten.
Beispiele. a) Sei U > 0. Der Flächeninhalt eines Rechtecks mit Umfang U , bei dem eine Seite die
Länge x hat, ist gegeben durch
1
f (x) = x(U − 2x) : Polynom vom Grad 2
2
b) Wird ein Kapital K0 mit x Prozent pro Jahr verzinst, so wächst es in 10 Jahren auf
K(x) = (1 +
x 10
) K0 : Polynom vom Grad 10
100
Der Nutzen der Polynome ist durch ihre guten Eigenschaften begründet:
Z.B.: a) Polynome sind rechnerischen Methoden besonders gut zugänglich
b) Die bei der Bearbeitung von Problem aus Naturwissenschaft und Technik auftretenden Funktionen lassen sich in guter Näherung durch Polynome ersetzen. (Man denke an Interpolationen)
c) Alle stetigen Funktionen lassen sich auf beschränkten Intervallen ”gut” durch eine geeignete
Polynomfolge (fk )k approximieren:
√
Zum Beispiel kann man auf [−1, 1] für die Funktion g(t) = 1 − t die Polynome
k
fk (t) := 1 −
1 X 12 (1 − 21 )(2 − 12 ) . . . (n − 1 − 21 ) n
t
2
n!
n=1
verwenden.
Das bedeutet, dass die Polynome fk (1 − x2 ) die Betragsfunktion x 7−→ |x| gut approximieren.
Wir untersuchen zunächst elementare Eigenschaften von Polynomen.
4.3.1 Hilfssatz. a) Jedes Polynom f ist stetig auf ganz R.
b) Ist f ein Polynom und k ≥ 0 ganz, so dass xk f (x) = 0 für alle x, so ist schon f (x) = 0 für alle x.
c) Ist f (x) = an xn + an−1 xn−1 + ... + a1 x + a0 ein Polynom, so ist genau dann f (x) = 0 (wir sagen
auch f = 0, oder f sei das Nullpolynom), wenn alle Koeffizienten von f Null sind.
d) Sind f (x) = an xn + an−1 xn−1 + ... + a1 x + a0 und g(x) = bm xm + bm−1 xm−1 + ... + b1 x + b0
Polynome, so folgt aus f = g, dass m = n und ak = bk für alle k gilt.
Beweis. a) Ein Polynom ist aus stetigen Funktionen zusammengesetzt. Die Rechenregeln für Stetigkeit greifen in diesem Falle.
b) Für alle x 6= 0 folgt zuerst f (x) = 0. Weiter ist aber auch: f (0) = limn→∞ f (1/n) = 0, da ja
f (1/n) = 0 für alle n.
c) Wir argumentieren durch Induktion: a0 = f (0) = 0. Sei k < n. Angenommen, wir wissen schon,
dass a0 = a1 = ... = ak = 0 ist. Dann haben wir aber xk+1 f1 (x) = f (x) = 0, mit f1 (x) = ak+1 + ak+2 x +
... + an xn−k−1 . Also folgt nach a) schon, dass f1 = 0, also ak+1 = f1 (0) = 0.
128
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
d) Man wende c) auf f − g an.
Nullstellen bei Polynomen
4.3.2 Hilfssatz. a) Ist x0 ∈ R beliebig, so gilt:
a) Zu jedem ganzen k ≥ 1 findet man ein Polynom hk vom Grad k − 1 mit
xk − xk0 = (x − x0 )hk (x)
b) Ist f ein Polynom, so gibt es (genau) ein Polynom f1 mit:
f (x) = f (x0 ) + (x − x0 )f1 (x)
Der Grad von f1 ist n − 1.
Beweis. a) Mit der geometrischen Summenformel können wir direkt sehen, dass
xk − xk0
k−1
= xk−1 + x0 xk−1 + x20 xk−2 + ... + xk−2
0 x + x0
x − x0
Das Polynom auf der rechten Seite eignet sich daher als hk (x).
Zu b) Wir schreiben f (x) = an xn + an−1 xn−1 + ... + a1 x + a0 . Dann wird
f (x) − f (x0 ) =
n
X
k
ak (x −
xk0 )
= (x − x0 )
k=1
n
X
ak hk (x)
k=1
P
Das Polynom f1 = nk=1 ak hk leistet das Gewünschte.
Ist g1 ein Polynom mit derselben Eigenschaft, so ist f1 (x) = g1 (x) für alle x 6= x0 . Analog zu früher
erhalten wir daraus f1 = g1 .
4.3.3 Folgerung. a) Hat ein Polynom f in x0 eine Nullstelle, so ist f (x) = (x − x0 )f1 (x) mit einem
geeigneten Polynom (n − 1).ten Grades.
b) Es gibt eine Zahl ν0 ≤ n und ein (eindeutig bestimmtes) Polynom g1 vom Grade n − ν0 , so dass
f (x) = (x − x0 )ν0 g1 (x) und weiter g1 (x0 ) 6= 0.
c) Hat f die paarweise verschiedenen Nullstellen x1 , ..., xr , so gibt es ν1 , ..., νr ∈ {1, ..., n} und ein
Polynom g vom Grade n − ν1 − ... − νr mit g(x) 6= 0, für alle x ∈ R und
f (x) = (x − x1 )ν1 · · · · · (x − xr )νr g(x)
Beweis. a) Klar. b) und c): Man iteriere das Resultat aus a).
Definition. Man nennt die Zahlen ν1 , .., νr die Vielfachheiten der x1 , ..., xr .
4.3. RATIONALE FUNKTIONEN
129
4.3.4 Folgerung. Ein Polynom f vom Grad n kann niemals mehr als n Nullstellen (mit Vielfachheit
gezählt) haben.
Die systematische Berechnung der Nullstellen eines Polynoms ist stets möglich, solange dieses einen
Grad von höchstens 4 hat. Für Polynome vom Grad ≥ 5 gibt es kein allgemein anwendbares Berechnungsverfahren. (Beispiel: f (x) = x5 − x − 1).
Auswertung von Polynomfunktionen mit dem Hornerschen Schema
Hier ist ein Beispiel einer Situation, in der man eine Polynomfunktion auswerten muss:
Beispiel: Biegelinie eines Balkens
Ein homogener Balken der Länge l mit konstanter Querschnittsfläche wird einseitig fest eingespannt
und an freien Ende durch eine Kraft F auf Biegung beansprucht.
x0
l
x
0
y(x0 )
F
Biegelinie
y
Ist E der Elastizitätsmodul des Materials und I das Flächenträgheitsmoment des Balkenquerschnitts,
so ist für x ∈ [0, l] die Durchbiegung des Balken an der Stelle x durch:
y(x) =
F · l3 x 4
x
x ( ) − 4( )3 + 6( )2 .
24E · I
l
l
l
gegeben.
Es stellt sich die Frage, wie man jetzt mit möglichst kleinem Rechenaufwand Polynomfunktionen
auswerten kann. Das Horner-Schema ist ein Rechenverfahren, das gerade dies erlaubt.
Sei
f (x) = an xn + an−1 xn−1 + ... + a1 x + a0
ein Polynom vom Grade n ≥ 1 und x0 ∈ R. Wir können f als
f (x) = f (x0 ) + (x − x0 )f1 (x)
130
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
schreiben. Mit dem Hornerschema finden wir f (x0 ) und zusätzlich die Koeffizienten des Polynoms f1 .
Das funktioniert so:
Wenn wir f1 als
f1 (x) = bn−1 xn−1 + bn−2 xn−2 + ... + b1 x + b0
schreiben, so folgt durch Ausmultiplizieren:
f (x) − f (x0 ) = (x − x0 )(bn−1 xn−1 + bn−2 xn−2 + ... + b1 x + b0 )
= bn−1 xn + (bn−2 − x0 bn−1 )xn−1 + (bn−3 − x0 bn−2 )xn−2 + ... + (b0 − x0 b1 )x − x0 b0
Durch Koeffizientenvergleich finden wir:
bn−1 = an
bn−2 − x0 bn−1 = an−1
bn−3 − x0 bn−2 = an−2
.. .. ..
. . .
b0 − x0 b1 = a1
−x0 b0 = a0 − f (x0 )
also
bn−1 = an
bn−2 = an−1 + bn−1 x0
bn−3 = an−2 + x0 bn−2
.. .. ..
. . .
bn−k = an−k+1 + bn−k+1 x0
.. .. ..
. . .
b1 = a2 + b2 x0
b0 = a1 + b1 x0
f (x0 ) = a0 + b0 x0
= an−1 + an x0
= an x20 + an−1 x0 + an−2
..
.
= an xk−1
+ an−1 xk−2
+ ... + an−k+1
0
0
..
.
+ ... + a2
= an x0n−2 + an−1 xn−3
0
+ ... + a2 x0 + a1
= an x0n−1 + an−1 xn−2
0
Zum praktischen Ausrechnen von f (x0 ) verfahren wir so:
• Wir legen wir ein Schema von zunächst 3 Zeilen und n + 1 Spalten an,
• In die erste schreiben wir jetzt die Koeffizienten, angefangen bei an bis zum konstanten Term a0 .
In der j. ten Spalte der ersten Zeile steht also an−j+1 .
Die erste Stelle der zweiten Zeile bleibt leer. In die erste Stelle der dritten Zeile wird an ( = bn−1 )
eingesetzt.
• An der zweiten Stelle der zweiten Zeile setzen wir x0 an ein. An der zweiten Stelle der dritten Zeile
tragen wir die Summe aus der zweiten Stelle der ersten und zweiten Zeile ein. Das Ergebnis ist
nichts anderes als bn−2 .
• An der dritten Stelle der zweiten Zeile setzen wir x0 bn−2 ein An die dritte Stelle der dritten Zeile
kommt die Summe aus den Einträgen der dritten Stelle der ersten und zweiten Zeile. Das ist
gerade bn−3 .
4.3. RATIONALE FUNKTIONEN
131
So fahren wir fort und erhalten an der n.ten Stelle der dritten Zeile gerade den Koeffizienten b0 . Die
(n + 1).te Stelle dieser Zeile aber enthält das gewünschte f (x0 ).
an
·x0
+
bn−1
an−1
an x0
= an−1 + an x0
bn−2
bn−3
an−2
bn−2 x0
= bn−2 x0 + an−2
...
...
...
...
...
...
...
...
b1
a1
b1 x0
b0
a0
b0 x0
f (x0 )
Ein Beispiel dazu:
Sei f (x) = 2x4 − 3x3 + x + 4 und x0 = 3.
Dann haben wir folgendes Hornerschema:
2
·3
+
2
-3
6
3
0
9
9
1
27
28
4
84
88
Es folgt weiter:
f (x) = 88 + (x − 3)(2x3 + 3x2 + 9x + 28)
Wenn wir das Hornerschema nun für f1 (x) = 2x3 + 3x2 + 9x + 28 zu dem obigen Hornerschema
hinzufügen, so erhalten wir:
2
·3
+
·3
+
2
2
-3
6
3
6
9
0
9
9
27
36
1
27
28
108
136
4
84
88
Das bedeutet:
f1 (x) = 136 + (x − 3)(2x2 + 9x + 136)
Das Hornerschema für f2 (x) = 2x2 + 9x + 36 führt auf
2
·3
+
·3
+
·3
+
2
2
2
-3
6
3
6
9
6
15
0
9
9
27
36
45
81
1
27
28
108
136
4
84
88
Es folgt f2 (x) = 81 + (x − 3)(2x + 15)
und das Hornerschema für f3 (x) = 2x + 15 ergibt schließlich das sogenannte
132
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
vollständige Hornerschema:
2 -3
0
1
4
·3
6
9
27
84
+ 2 3
9
28 88
·3
6 27 108
+ 2 9 36 136
·3
6 45
+ 2 15 81
·3
6
+ 2 21
Damit haben wir gefunden:
f (x) = 88 + (x − 3)f1 (x)
= 88 + (x − 3)(136 + (x − 3)(2x2 + 9x + 36))
= 88 + (x − 3)(136 + (x − 3)(81 + (x − 3)(21 + 2(x − 3) ) )
= 2(x − 3)4 + 21(x − 3)3 + 81(x − 3)2 + 136(x − 3) + 88
Das heißt: f (x + 3) = 2x4 + 21x3 + 81x2 + 136x + 88. Das ist die Entwicklung von f um den Punkt
x0 = 3.
Wir kehren noch einmal zurück zu unserem Beispiel über die Biegung eines Balkens. Angenommen,
der Balken sei 7.20m lang und habe einen rechteckigen Querschnitt von 25×15 cm. Wie stark ist die
Durchbiegen bei x = 4, 20m ? (Dabei soll die Maßeinheit jedesmal cm sein.) Dazu beachten Sie, dass
1 3
das Flächenträgheitsmoment eines Balkens mit rechteckigem Querschnitt gerade I = 12
h b ist, wenn h
die Höhe und b die Breite des Querschnitts ist.
Bei x = l0 = 4.05m haben wir also eine Durchbiegung von
F · 7203
y0 =
24 · 19531.25 E
405 4
405 3
405 2
796.262F
(
) − 4(
) + 6(
) =
· f (x0 )
720
720
720
E
wobei f (x) = x4 − 4x3 + 6x2 und x0 = l0 /720 = 0.5625. Das Hornerschema für die Berechnung von
f (x0 ) sieht so aus:
1
· 0.5625
+
1
Also wird y0 =
-4
0.5625
-3.4375
796.262F
E
6
-1.93359
4.06641
0
2.28736
2.28736
0
1.28664
1.28664
F
· 1.28664 = 1024.5031 E
.
4.3. RATIONALE FUNKTIONEN
133
Asymptotisches Verhalten eines Polynoms
4.3.5 Hilfssatz. Ist f (x) = an xn + an−1 xn−1 + ... + a1 x + a0 ein Polynom vom Grade n, so gilt:
a) Zu jedem ε > 0 existiert ein r0 > 0, so dass
f (x)
−1 <ε
an xn
für |x| ≥ r0 . Für genügend großes |x| verhält sich also f wie an xn .
b) Angenommen, an > 0. Dann haben wir:
Ist n gerade, so
f (x) −→ +∞ mit x −→ ±∞
und für ungerade n ist
f (x) −→ +∞ mit x −→ +∞
f (x) −→ −∞ mit x −→ −∞
c) Angenommen, an < 0. Dann haben wir:
Ist n gerade, so
f (x) −→ −∞ mit x −→ ±∞
und für ungerade n ist
f (x) −→ −∞ mit x −→ +∞
f (x) −→ +∞ mit x −→ −∞
d) Ist n ungerade, so hat f mindestens eine reelle Nullstelle.
Beweis. Zu a) In der Tat ist
n−1
n−1
j=0
j=0
X
X |aj |
|aj |
f (x)
−
1
≤
<
< ε,
an xn
|an ||x|n−j
|an |r0n−j
sofern nur r0 1 gemacht wird.
Zu b) Wir können jetzt für große Werte von x die Ersetzung f (x) −→ an xn vornehmen. An dieser
Darstellung lässt sich alles ablesen.
Zu c) Man argumentiere für −f statt f .
Zu d) Es gibt x1 , x2 , mit x1 6= x2 so dass f (x1 ) < −1 und f (x2 ) > 1. Der Zwischenwertsatz sagt,
dass im Intervall mit Eckpunkten x1 , x2 jeder Wert zwischen −1 und 1 angenommen wird, also auch
Null.
Bem. Polynome geraden Grades müssen i. a. keine reelle Nullstelle haben. Man denke an f (x) =
x2 + 1.
134
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
Gebrochen rationale Funktionen
Definition. Wir nennen eine Funktion f : R \ M −→ R, wobei M = {x1 , ..., xr } mit beliebigen
x1 < ... < xr oder M = ∅ sein soll, gebrochen rational, wenn sie als
f (x) =
g(x)
h(x)
darstellbar ist, mit Polynomen g und h, wobei h außerhalb der Menge M keine Nullstellen hat.
Die Elemente von M heißen Definitionslücken von f .
Die Polynome sind Spezialfälle hiervon: Hier ist M = ∅, h = 1.
Wir untersuchen das Verhalten rationaler Funktionen für große Werte von |x| (Asymptotisches
Verhalten) und für x nahe eines Poles. Das verläuft ähnlich wie bei Polynomen. Dabei reduzieren wir
alles auf den Fall, dass der Grad des Zählers kleiner als der Nennergrad ist. Das wird möglich durch den
Divisionsalgorithmus.
4.3.6 Satz (Divisionsalgorithmus). Sind g(x) = an xn + ...a1 x + a0 und h(x) = bk xk + ...b1 x + b0
Polynome, so gibt es eindeutig bestimmte Polynome p und r, wobei grad (r) < k, so dass g = ph + r.
Beweis. Existenz: Ist n < k, so wählen wir p = 0, r = h. Sei also n ≥ k. Dann hat das Polynom
r1 (x) = g(x) − abkn xn−k h(x) einen Grad n1 < n, und es ist
g(x) =
an n−k
x
h(x) + r1 (x)
b
| k {z }
=:p1 (x)
Wenn jetzt n1 < k, wählen wir p = p1 , r = r1 und sind fertig. Sonst schreiben wir p1 als p1 = an1 xn1 +....
a
und erhalten mit r2 (x) = r1 (x) − bnk1 xn1 −k h(x) ein Polynom vom Grad n2 < n1 .
Es gilt
g(x) = p1 (x)h(x) + r1 (x)


a

an
 n

=  xn−k + 1 xn1 −k  h(x) + r2 (x)
b

 bk
|
{z k
}
=:p2 (x)
Sollte jetzt n2 < k sein, sind wir fertig, da p = p2 , r = r2 das Gewünschte leisten. Anderenfalls
fahren wir fort und nehmen mit r2 dasselbe vor wir zuvor mit r1 . Nach spätestens n − k + 1 Schritten
endet das Verfahren und liefert gewünschte Polynome p und r.
Eindeutigkeit: Angenommen p, pe, r und re seien Polynome mit g = ph + r = peh + re und Grad (r),
Grad (e
r) < k. Wir zeigen dann, dass p = pe und r = re sein muss. Es gilt r − re = (e
p − p)h. Wenn p 6= pe,
wäre, so hätte r − re einen Grad von mindestens k, Widerspruch! Daraus folgt alles.
4.3. RATIONALE FUNKTIONEN
135
Beispiele: Polynomdivision. a) Seien g(x) = x3 +2x2 −13x+10 und h(x) = x+5. Dann wird g = ph,
mit p(x) = x2 − 3x + 2. Das finden wir so heraus:
(x3 + 2x2 − 13x + 10) : (x + 5) = x2 − 3x + 2
x3 + 5x2
−3x2 − 13x
−3x2 − 15x
2x + 10
2x + 10
0
b) Sei g(x) = x3 + 1 und h(x) = x2 + 2x. Dann wird g = ph + r mit p(x) = x − 2 und r(x) = 4x + 1,
wie mit dem folgenden Rechenschema gefunden wurde:
(x3 + 1) : (x2 + 2x) = x − 2
x3 + 2x2
−2x2
−2x2 − 4x
4x + 1
4.3.7 Hilfssatz. Seien g(x) = an xn +an−1 xn−1 +...+a1 x+a0 und h(x) = bk xk +bk−1 xk−1 +...+b1 x+b0
Polynome. Es sei g = ph + r die Darstellung von g mit Polynomen p und r, wobei Grad (r) < k. Dann
gilt für das Verhalten von f = hg folgendes:
a) Zu jedem ε > 0 gibt es ein r1 > 0, so dass
|f (x) − p(x)| < ε
für |x| ≥ r1 . Für genügend großes |x| verhält sich also f wie p.
b) Angenommen, x0 sei eine Nullstelle von h, also h(x) = (x − x0 )s h1 (x), wobei h1 ein Polynom ist
mit h1 (x0 ) 6= 0. Ist dann r(x) = (x − x0 )σ r1 (x), wobei r1 die entsprechende Bedeutung hat, dann gilt
i) im Fall σ = s:
r1 (x0 )
f (x) −→ p(x0 ) +
mit x −→ x0
h1 (x0 )
ii) im Fall σ > s:
f (x) −→ p(x0 ) mit x −→ x0
f ist damit in beiden Fällen in x0 stetig fortsetzbar.
iii) im Fall σ < s und σ − s gerade:
f (x) −→ ∞, wenn
r1 (x0 )
> 0, x −→ x0
h1 (x0 )
und
f (x) −→ −∞, wenn
r1 (x0 )
< 0, x −→ x0
h1 (x0 )
136
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
iv) im Fall σ < s und σ − s ungerade:
f (x) −→ ∞, wenn
und
r1 (x0 )
> 0, x −→ x0 , x > x0
h1 (x0 )
f (x) −→ −∞, wenn
r1 (x0 )
> 0, x −→ x0 , x < x0
h1 (x0 )
f (x) −→ −∞, wenn
r1 (x0 )
< 0, x −→ x0 , x > x0
h1 (x0 )
und
f (x) −→ ∞, wenn
r1 (x0 )
< 0, x −→ x0 , x < x0
h1 (x0 )
Man spricht in den Fällen iii) und iv) von einem Pol der Ordnung |σ − s|.
Beispiele. a) Zylindrische Dose mit vorgegebenem Volumen V0 .
Eine zylindrische Dose mit Radius x > 0 und der Höhe h hat das Volumen V = πx2 h. Soll V = V0
werden, muss h = V0 /πx2 sein. Die Oberfläche der Dose ist
f (x) = 2πx2 + 2πhx = 2πx2 +
2V0
,
x
eine rationale Funktion von x.
Der Graph von f sieht so aus:
25
20
15
10
5
0.5
1
1.5
2
b) Sei
f (x) =
0.5x3 − 1.5x + 1
1 x3 − 3x + 2
=
x2 + 3x + 2
2 x2 + 3x + 2
Wir haben hier g(x) = x3 − 3x + 2 und h(x) = 2(x2 + 3x + 2) und finden, dass 1 und −2 Nullstellen
von g und −1, −2 Nullstellen von h sind. Es gilt, wie wir etwa mit dem Hornerschema finden:
g(x) = (x − 1)2 (x + 2), h(x) = 2(x + 1)(x + 2),
also
4.4. TRIGONOMETRISCHE FUNKTIONEN
f (x) =
137
2
(x − 1)2
= 0.5x − 1.5 +
2(x + 1)
x+1
Für große Werte von |x| verhält sich f daher wie p(x) = 0.5x − 1.5 und −1 ist ein einfacher Pol von
f . Es gilt
lim
f (x) = −∞,
lim
f (x) = ∞
x→−1,x<−1
x→−1,x>−1
Der Graph von f hat etwa das folgende Aussehen:
f(x)
0
x
1
0
0
1
0
1
00
11
0
1
1
0
0
1
0
1
0
1
0
1
0
1
1
0
0
1
0
1
4.4
Trigonometrische Funktionen
Wir haben die trigonometrischen Funktionen sin und cos schon für Winkel 0 < α < 90◦ definiert. Nun
erweitern wir die Definition auf alle Winkel zwischen 0 und 360◦ :
Dazu setzen wir:
sin α := sin(180◦ − α)
, wenn 90◦ < α ≤ 180◦
cos α := − cos(180◦ − α)
und ferner:
138
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
sin α := − sin(360◦ − α)
, wenn 180◦ < α ≤ 360◦
cos α := cos(360◦ − α)
Wir beobachten, das sich aus diesen Definitionen ergibt:
4.4.1 Hilfssatz. Es gilt für alle α zwischen 0◦ und 90◦ :
i) | sin α|, | cos α| ≤ 1,
ii) sin α = cos(90◦ − α) und cos α = sin(90◦ − α)
iii) Satz von Pythagoras: sin2 α + cos2 α = 1.
Folgerung: Wir haben folgende
spezielle Werte für sin und cos:
√
◦
◦
i) sin 45 = cos 45 = 1/√ 2
ii) sin 60◦ = cos 30◦ = 21 3
iii) sin 30◦ = cos 60◦ = 12 .
Wir streben jetzt an, sin und cos auf den reellen Zahlen zu definieren. Diese Definition basiert auf
der folgenden Korrespondenz zwischen Winkel und Bogenmaß.
Im Kreis um 0 mit Radius 1 schneidet ein Winkel α aus dem Kreisbogen ein Segment der Länge
x(α) =
π
α
180
4.4. TRIGONOMETRISCHE FUNKTIONEN
139
aus.
R=1
x
α
Umgekehrt gehört zu einem des Kreisbogensegment mit der Länge x der Winkel
α(x) =
180
x
π
Mit dieser Korrespondenz identifizieren wir jede Zahl x ∈ [0, 2π] mit dem Winkel
folgende kleine Tabelle:
α 30◦ 45◦ 60◦ 90◦ 120◦
x π/6 π/4 π/3 π/2 2π/3
Für nicht-negative reelle Zahlen treffen wir nun die
Definition:
sin x := sin α(x), cos x := cos α(x), wenn 0 ≤ x ≤ 2π,
Beide Funktionen werden auf R periodisch mit der Periode 2π fortgesetzt.
Der Hilfssatz 4.4.1 bleibt sinngemäß richtig. Es gilt
4.4.2 Hilfssatz. Es gilt für alle x ∈ R:
i) | sin x|, | cos x| ≤ 1,
ii) sin x = cos( π2 − x) und cos x = sin( π2 − x)
iii) Satz von Pythagoras: sin2 x + cos2 x = 1
iv) sin(−x) = − sin x, cos(−x) = cos x.
v) | sin x| ≤ |x|, | sin x| ≥ |x| cos x, wenn |x| < 1.
Beweis. Zu zeigen sind nur iv) und v).
180
π x.
Wir haben
140
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
Zu iv) Wir können annehmen, es sei x ∈ (0, 2π). Angenommen, 0 ≤ x < π. Dann ist −π < −x ≤ 0,
also π < −x + 2π ≤ 2π. Aus der getroffenen Definition für sin folgt jetzt
sin(−x) = sin(−x + 2π) = − sin(2π − (−x + 2π) ) = − sin x
cos(−x) = cos(−x + 2π) = cos(2π − (−x + 2π) ) = cos x
Wenn π < x < 2π, haben wir −2π < −x < −π, also 0 < x0 = −x + 2π < π, und damit
sin(−x) = sin(−x + 2π) = sin x0 = − sin(−x0 ) = − sin(x − 2π) = − sin x
Entsprechend für cos.
Zu v) Wir brauchen es nur für x ∈ (0, 1) zu zeigen, d.h.:
sin x ≤ x, und sin x ≥ x cos x.
Haben wir das gezeigt, so folgt die Behauptung im Fall x ∈ (−1, 0) aus | sin x| = − sin x = sin(−x) =
sin |x| und cos |x| = cos x. Für positive x kann alles aus der Grafik abgelesen werden:
000
111
00
11
00000
11111
11
00
0
1
000
111
00
11
00000
11111
00
11
0
1
000
111
0
1
00
11
00000
11111
00
11
0
1
000
111
0
1
00000
11111
00
11
0
1
0
1
00000
11
00
sin11111
x
00
11
0
1
000
111
11
00
00
11
R=1
000
111
000
111
00
11
000
111
000
111
00
11
000
111
000
111
α
000
111
000
111
00
11
0
1
00
11
000
111
0
1
cos
000
111
0x
1
000
111
000
111
000
111
0
1
000
111
000
111
0
1
000
111
000
111
000
111
000
111
00
11
000
111
000
111
00
11
00
11
0000
1111
000
111
00
11
00
11
0
1
00
11
0000
1111
000
111
00
11
0
1
0000
1111
000
111
00
11
00
11
011
1
00
xcos x
x
Additionstheoreme
Wir können für zwei Zahlen x, y die Werte sin(x + y) und cos(x + y) durch sin x, ..., cos y ausdrücken.
4.4.3 Satz. Für x, y ∈ R haben wir:
a) sin(x + y) = sin x cos y + cos x sin y
b) cos(x + y) = cos x cos y − sin x sin y
4.4. TRIGONOMETRISCHE FUNKTIONEN
141
x−y
x+y
sin x − sin y = 2 sin x−y
c) sin x + sin y = 2 sin x+y
2 cos 2 ,
2 cos 2
x−y
x+y
d) cos x + cos y = 2 cos x+y
cos x − cos y = −2 sin x−y
2 cos 2 ,
2 sin 2
e) sin(2x) = 2 sin x cos x
f) cos(2x) = cos2 x − sin2 x = 1 − 2 sin2 x
Beweis. Die schwierigsten Teile sind a) und b). Der Rest folgt aus a) und b).
Beim Beweis von a) und b) beschränken wir uns auf solche Werte x, y > 0 mit x + y < π/2. Dann
können wir die Behauptungen an der folgenden Grafik ablesen:
Q
x
C
P
y
x
O
A
B
Sei OQ = 1. In der Tat ist dann sin(x + y) = QA = QP + P A und cos(x + y) = OA = OB − BA.
Nun ist aber QC = sin y und OC = cos y, also
QP = QC cos x = sin y cos x
P A = CB = OC sin x = sin x cos y
OB = OC cos x = cos x cos y
AB = P C = QC sin x = sin x sin y
Zu c) Wir schreiben t =
x+y
2 ,s
=
x−y
2 .
Dann wird x = t + s und y = t − s. Mit a) erhalten wir
sin(x) = sin(t + s) = sin t cos s + cos t sin s
und
sin(y) = sin(t − s) = sin t cos(−s) + cos t sin(−s)
= sin t cos s − cos t sin s
Addieren wir beides, folgt die Behauptung.
142
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
Zu d) Analog zu c).
Zu e) und f) Man wähle in a) und b) jeweils y = x.
Diese Formeln können wir zum Beweis der Stetigkeit der Sinus- und Cosinusfunktion benutzen.
4.4.4 Satz. Die Funktionen sin und cos sind überall stetig. Weiter gilt:
a) Für |x| < 1 ist
x2
,
0 ≤ 1 − cos x ≤
2
x
Die Funktion x 7−→ 1−cos
ist durch 0 stetig in 0 fortsetzbar.
x
b) Für 0 < |x| < 1 ist
0≤1−
Die Funktion x 7−→
sin x
x
x2
sin x
≤
.
x
2
ist durch 1 stetig in 0 fortsetzbar.
Beweis. In Satz 4.4.3, Teil c) wählen wir y = −x0 und erhalten mit v) von Hilfssatz 4.4.2 :
x − x0
x + x0
cos
≤ |x − x0 |
2
2
Wenden wir dies an und beachten, dass cos(x) = sin( π2 + x), folgt
| sin x − sin x0 | = 2 sin
| cos x − cos x0 | = | sin(
π
π
+ x) − sin( + x0 )| ≤ |x − x0 |
2
2
Zu a) Mit f) von Satz 4.4.3 mit x/2 statt x folgt
1 − cos x = 1 − cos 2 ·
x
x
x2
= 2 sin2 ≤
2
2
2
Zu b) Es genügt, das für 0 < x < 1 zu zeigen. Wir haben nach v) von Hilfssatz 4.4.2:
1≥
also
0≤1−
sin x
x2
≥ cos x ≥ 1 − ,
x
2
sin x
x2
x2
≤ 1 − (1 − ) =
x
2
2
Auf gewissen Intervallen in R sind sin und cos umkehrbar.
4.4.5 Satz. a) Auf [− π2 , π2 ] ist sin streng monoton wachsend und sin : [− π2 , π2 ] −→ [−1, 1] invertierbar.
Ihre Umkehrfunktion wird Arkussinus arcsin genannt.
b) Auf [0, π] ist cos streng monoton fallend und cos : [0, π] −→ [−1, 1] invertierbar. Ihre Umkehrfunktion wird Arkuskosinus arccos genannt.
4.4. TRIGONOMETRISCHE FUNKTIONEN
143
Beweis. a) Wenn − π2 < x0 < x00 < π2 , so folgt
sin x00 − sin x0 = 2 sin(
00
x00 + x0
x00 − x0
) cos(
)
2
2
0
00
0
Aber x −x
∈ (0, π), wo der sin positive Werte annimmt. Weiter ist x +x
∈ [− π2 , π2 ], wo die Werte
2
2
0
00
der cos-Funktion positiv sind. Also ist sin x < sin x . Mit sin(−π/2) = −1, sin(π/2) = 1 und dem
Zwischenwertsatz erhalten wir die erste Behauptung.
b) Ähnlich wie unter a) sehen, dass für π > x00 > x0 > 0 gilt
00
0
00
0
sin x +x
< 0. Aus cos 0 = 1, cos π = −1 und dem Zwischenwertsatz
cos x00 − cos x0 = −2 sin x −x
2
2
folgt die Behauptung.
Weitere trigonometrische Funktionen: Tangens und Cotangens
Neben den bisherigen Funktionen arbeitet man ferner mit den Funktionen
tg x :=
sin x
,
cos x
ctg x :=
cos x
1
=
sin x
tg x
Diese Funktionen sind nicht auf ganz R definiert, sondern nur außerhalb der Nullstellen des Nenners,
also:
tg x ist definiert, solange cos x 6= 0, d.h. x 6= 2k+1
Z,
2 π für alle k ∈ Z
ctg x ist definiert, solange sin x 6= 0, d.h. x 6= kπ für all k ∈ ZZ.
Aus den Eigenschaften von sin und cos leiten sich folgende Eigenschaften von tg und ctg leicht ab:
4.4.6 Hilfssatz. Die Funktionen tg und ctg haben folgende Eigenschaften:
a) Beide sind ungerade und haben die Periode π.
b) Beide sind auf ihren Definitionsbereichen stetig
c) Es gelten folgende Additionstheoreme:
Wenn x, y ∈ R, cos x, cos y 6= 0 und tg xtg y 6= 1, so wird
tg (x + y) =
tg x + tg y
1 − tg xtg y
Wenn x, y ∈ R, sin x, sin y 6= 0 und ctg x + ctg y 6= 0, so wird
ctg (x + y) =
ctg x ctg y − 1
ctg x + ctg y
Beweis. a) Klar, da sin ungerade und cos gerade ist. Weiter ist sin(x + π) = − sin x, cos(x + π) =
− cos x, woraus die Behauptung über die Perioden von tg und ctg folgt.
c) und d) folgen aus den Additionstheoremen von sin und cos.
Hier sind die Graphen von sin und cos:
Graph von sin.
144
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
1
0.5
-2 -0.5
-1
2
4
6
8
2
4
6
8
Graph von cos
1
0.5
-2 -0.5
-1
und hier von tg und ctg :
ctg x
ctg x
tg x
tg x
π/2
0
π
3π/2
x
4.4.7 Satz. Die Tangensfunktion tg : (−π/(2 , π/2) −→ R ist streng monoton wachsend und invertierbar. Ihre Umkehrfunktion nennt man Arkustangens arctg.
Beweis. Es gilt
tg(x00 ) − tg(x0 ) =
sin(x00 − x0 )
>0
cos(x0 ) cos(x00 )
wenn π/2 > x00 > x0 > π/2. Daraus erhalten wir alles, wie schon in den Beweisen zur Invertierbarkeit
von sin oder cos .
4.5. DIE EXPONENTIALFUNKTION
4.5
145
Die Exponentialfunktion
Wir gehen jetzt daran, Potenzen mit beliebigen (nicht nur rationalen) Exponenten zu definieren.
Dazu studieren wir die Funktion
x n
)
n
Dass diese Definition sinnvoll ist, überlegen wir uns zuerst:
exp(x) := lim (1 +
n→∞
x
> −1
4.5.1 Hilfssatz. Für beliebiges x ∈ R setzen wir en (x) := (1+ nx )n . Ist nx ∈ IN so groß, dass n+x
1
für alle n ≥ nx ist, so wird en (x) ≤ en+1 (x) für alle n ≥ nx . Für x ≥ − 2 kann nx := 1 genommen
werden.
Ist |x| ≤ k, so ist |en (x)| ≤ ek für alle n ≥ 1.
Insbesondere ist dann exp(x) für jedes x ∈ R definiert.
Beweis. Wir gehen so vor wie bei der Einführung der Eulerzahl e. Für genügend große nx ist
> −1 für alle n ≥ nx . Nun schreiben wir
x
n+x
en+1 (x)
en (x)
=
=
=
=
≥
(n + 1 + x)n+1 nn
(n + x)n (n + 1)n+1
( (n + 1 + x)n )n+1 n + x
·
( (n + x)(n + 1) )n+1
n
n+1
2
n + n + nx
n+x
·
2
n + n + nx + x
n
n+1
x
n+x
1−
·
(n + x)(n + 1)
n
x
n+x
(1 −
)·
=1
n+x
n
Die letzte Abschätzung erhalten wir aus der Bernoulli-Ungleichung. Das liefert uns die Monotonieeigenschaft.
Ist |x| ≤ k, so folgt
en (x) ≤ (1 +
k
1
|x| n
) ≤ (1 + )n ≤ (1 + )kn ≤ ek
n
n
n
(denn aus der Bernoulliungleichung folgt (1 + n1 )k ≥ 1 + nk .
4.5.2 Satz. Für alle x ∈ R gilt
n
X
xk
exp(x) = lim
n→∞
k!
k=0
146
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
Beweis. Es gilt zunächst
n
1+
X
2
k − 1 xk
x n
1
=1+x+
)
(1 − )(1 − ) . . . (1 −
n
n
n
n
k!
k=2
Nun ist
(k − 1)2
1
2
k−1
1−
≤ (1 − )(1 − ) . . . (1 −
)≤1
n
n
n
n
Das ermöglich den Beweis, dass
n
X
x n Cx
xk − 1+
≤
k!
n
n
k=0
mit einer nur von x nicht aber von n abhängigen Konstanten Cx > 0.
Das liefert mit n → ∞ die Behauptung.
4.5.3 Satz. Die Exponentialfunktion genügt der Funktionalgleichung:
exp(a + b) = exp(a) exp(b)
für alle a, b ∈ R.
Beweis. Wir beachten
a n
a + b ab n
a+b n
b n
1+
= 1+
+ 2
= 1+
cn
1+
n
n
n
n
n
mit
cn = 1 +
ab/n2
1 + (a + b)/n
n
Ab einem genügend großen n ist nun ab/n2 ≥ −1/3 und 1 + (a + b)/n ≥ 1/2. Damit folgt mit der
Bernoulliungleichung
2
(1 + 2|ab|/n2 )n ≥ cn ≥ 1 −
3n
Daraus kann man cn −→ 1 gewinnen, wenn n → ∞.
Aus dieser Funktionalgleichung ergeben sich einige Folgerungen
4.5.4 Folgerung. a) Die Exponentialfunktion hat keine Nullstellen, es gilt exp(0) = 1 und exp(−x) =
1/ exp(x). Alle Werte der Exponentialfunktion sind positiv.
b) Für die Exponentialfunktion bestehen die Abschätzungen:
exp(x) ≥ 1 + x,
f ür alle x
und
| exp(x) − (1 + x)| ≤ 3x2 , wenn |x| < 1
c) Die Exponentialfunktion ist überall stetig und streng monoton wachsend.
4.5. DIE EXPONENTIALFUNKTION
147
Beweis. a) Es ist
exp(x) exp(−x) = exp(x − x) = exp(0) = 1
Es ist ferner exp(x) = ( exp(x/2) )2 ≥ 0. Negative Werte sind also nicht möglich. Da auch 0 als Wert
nicht auftreten kann, folgt die erste Behauptung.
Zu b) Wir zeigen zuerst, dass exp(x) ≥ 1 + x. Für x ≥ 0 ist das klar. Wenn aber −1 ≤ x < 0 ist,
kann nx = 2 genommen werden, also ex ≥ e2 (x) ≥ 1 + x. Ist x < −1, wird schon 1 + x < 0, also die
Behauptung trivial.
Es gilt für alle x die Ungleichung e−x ≥ 1 − x, also auch (1 − x)ex ≤ 1. Da 1 + x ≥ 0, folgt
(1 − x2 )ex ≤ 1 + x, also ex ≤ 1 + x + x2 ex . Das liefert uns
1 + x ≤ ex ≤ 1 + x + ex x2 ≤ 1 + x + 3x2
Zu c) Ist x0 beliebig, so schreiben wir für alle x ∈ R mit |x − x0 | < 1:
exp(x) − exp(x0 ) = exp(x0 )(exp(x − x0 ) − 1 )
und mit Teil b) ergibt sich
| exp(x) − exp(x0 )| ≤ exp(x0 )(|x − x0 | + 3(x − x0 )2 ) ≤ 4 exp(x0 )|x − x0 | −→ 0, wenn x −→ x0
Damit ist die Stetigkeit gezeigt. Ferner haben wir
exp(b)/ exp(a) = exp(b − a) ≥ 1 + b − a > 1
wenn nur b > a ist.
Zur Frage der Invertierbarkeit haben wir
4.5.5 Hilfssatz. Es gibt zu jedem positiven Wert t genau ein x ∈ R, so dass exp(x) = t. Zur Exponentialfunktion gibt es damit eine stetige Umkehrfunktion, die auf R+ erklärt ist.
Beweis. In der Tat können wir den Zwischenwertsatz anwenden. Ist nämlich t ≥ 1, so gilt exp(t) > t
1
und exp(−t) = 1/ exp(t) ≤ 1+t
< t. Es gibt also ein x ∈ (−t, t) mit exp(x) = t. Wenn 0 < t < 1, so ist
0
1/t > 1, und es gibt ein x mit exp(x0 ) = 1/t. Dann ist aber t = exp(−x0 ).
So sehen wir, dass jedes t > 0 ein Urbild hat. Wegen der strengen Monotonie gibt es aber kein
weiteres Urbild mehr.
Die Umkehrfunktion zur exp-Funktion wird nun definiert wie folgt: Ist t > 0, so sei exp−1 (t) das
eindeutig bestimmte Urbild xt zu t unter der exp-Funktion. Das definiert uns wieder eine stetige Funktion
von R+ mit Werten in R.
k
Für alle k ∈ ZZ gilt jetzt aber exp(k) = e . Das überträgt sich auf rationale Zahlen r = k/m mit
k, m ∈ ZZ, so dass m > 0:
( exp(r) )m = exp(mr) = exp(k) = ek
148
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
also
exp(r) = er
Wir verwenden daher ab jetzt die folgende Notation:
Definition. Für x ∈ R setzen wir ex := exp(x).
Die Umkehrfunktion zur Exponentialfunktion wird als natürlicher Logarithmus bezeichnet und als
ln geschrieben. Wir haben also
eln x = x, f ür x > 0, ln (ea ) = a, f ür alle a
Erste Anwendungen
a) Jemand legt Geld bei einer Bank an, etwa einen Betrag K0 . Als Zinssatz werde q% vereinbart.
q 4
Es soll vierteljährlich verzinst werden. Dann ist nach einem Jahr das Guthaben auf K0 (1 + 400
) , nach
q 8
2 Jahren auf K0 (1 + 400 ) usw. angewachsen. Nach wieviel Jahren hat es sich verdoppelt?
Man suche nach der Lösung der Gleichung
(1 +
q 4m
) =2
400
Es folgt
m=
1
ln 2
q
4 ln (1 + 400
)
Ist nun q = 4, so findet man m = 17.415, also braucht man 17 Jahre und 5 Monate.
b) Mit L(t) bezeichnen wir die Menge eines Lernstoffes, der in t Zeiteinheiten von einer Person
aufgenommen werden kann. Je länger die Person lernt, desto weniger kann sie aufnehmen. Die Funktion
L(t) hat, wie durch Experimente gut bestätigt wurde die Form
L(t) = Lmax (1 − e−k t )
wobei k > 0 eine Konstante ist.
c) Bei einer Serienschaltung von Widerstand R und Spule mit Induktivität L erreicht die Stromstärke
i(t) erst nach einiger Zeit ihren Maximalwert I = U/R. Man hat nämlich
i(t) = I(1 − e−Rt/L )
Wenn t = τ = L/R, wird i(τ ) = (1 − e−1 )I = 0.632I.
d) Angenommen, ein Seil werde an 2 Masten gleicher Höhe frei aufgehängt. Dann hängt es durch
und sieht aus wie der Graph der Funktion
a cosh(x/a) =
a x/a
(e
+ e−x/a )
2
Dabei ist a durch Seil-und Gewichtskräfte bestimmt.
Zu jeder Basis a > 0 können wir jetzt mit beliebigem x ∈ R die Potenz ax definieren:
4.5. DIE EXPONENTIALFUNKTION
149
Wir setzen
ax := ex·ln a , f ür x ∈ R
Dann gilt wieder
a0 = 1, ar+s = ar · as , f ür alle r, s ∈ R
Auch die Funktion, die x nach ax abbildet, hat eine Umkehrfunktion, nämlich
loga t :=
ln t
ln a
Man arbeitet in der Regel mit a = 2 und a = 10.
Es gilt dabei
log2 x = 1.4427 · ln x, log10 x = 0.43429 · ln x.
150
KAPITEL 4. ANALYSIS - FOLGEN UND FUNKTIONEN
Graphen von Exponential-und Logarithmusfunktion
Diese haben folgendes Aussehen:
3.5
3
2.5
2
1.5
1
0.5
-1.5
-2
-1
-0.5
0.5
1
für die Exponentialfunktion und
1
0.5
1
-0.5
-1
-1.5
für den Logarithmus.
2
3
4
Kapitel 5
Differenzialrechnung
5.1
Definition und Beispiele
Beispiel. Eine zylindrische Dose soll ein festes Volumen V0 haben. Wie müssen ihre Maße gewählt
werden, damit der Blechverbrauch möglich klein ausfällt?
Wir haben früher gesehen, dass die Oberfläche einer solchen Dose durch
f (r) = 2πr2 +
2V0
r
gegeben ist, wobei r den Radius bedeutet. Die Frage ist also:
Für welches r wird f (r) minimal?
Der Graph von f sieht etwa so aus:
250
2*%pi*r2+20/r
200
150
100
50
0
0
1
2
3
4
r
149
5
6
150
KAPITEL 5. DIFFERENZIALRECHNUNG
Wie können wir das Minimum von f , also die ”tiefste Stelle” im Graphen von f , berechnen?
Der Mathematiker G.W. Leibniz hat ein Verfahren erdacht, mit dem das möglich wird: Die Differentiation einer Funktion.
Definition. Es sei I ⊂ R ein offenes Intervall und f : I −→ R eine Funktion. Für zwei Punkte
x 6= x0 ∈ I hat die Sekante zum Graphen von f durch die Punkte (x, f (x)) und (x0 , f (x0 )) die Steigung
s(f ; x, x0 ) :=
f (x) − f (x0 )
x − x0
5
4.5
4
3.5
(x, f (x))
3
2.5
2
1.5
(x0 , f (x0 ))
1
0.5
-0.5
0
0.5
1
1.5
2
2.5
Es ist nahegelegt, nun den Wert x gegen x0 streben zu lassen. Man kann erhoffen, dass dann
s(f ; x, x0 ) sich einem Wert nähert, den man dann als Steigung der ”Tangente an den Graphen von
f ” im Punkte (x0 , f (x0 )) ansehen kann. All dies gelingt für allgemeine Funktionen nicht immer. Wir
befassen uns im Folgenden mit solchen Funktionen, bei denen der oben angedeutete Grenzwert existiert.
Definition. Es sei I ⊂ R ein offenes Intervall und f : I −→ R eine Funktion. Wir nennen f in x0 ∈ I
differenzierbar, wenn der Grenzwert
f 0 (x0 ) := lim
x→x0
f (x) − f (x0 )
x − x0
existiert. Der Wert f 0 (x0 ) heisst die Ableitung von f an der Stelle x0 .
Wegen ihrer geometrischen Deutung wird die Gerade mit der Gleichung
y = f (x0 ) + f 0 (x0 )(x − x0 )
als Tangente an den Graphen von f in (x0 , f (x0 )) bezeichnet.
5.1. DEFINITION UND BEISPIELE
151
Die Differenzierbarkeit von f in x0 ist gleichwertig mit der stetigen Fortsetzbarkeit der Funktion
s(f ; x, x0 ) in x0 . Diese stetige Fortsetzung ist eindeutig bestimmt, und wir bezeichnen sie mit f1 (x; x0 ).
5.1.1 Hilfssatz. Ist die Funktion f : I −→ R in x0 differenzierbar, so ist sie dort auch stetig.
Beweis. Denn wir können schreiben:
f (x) = f (x0 ) + (x − x0 )f1 (x; x0 ), x ∈ I
und auf der rechten Seite steht eine in x0 stetige Funktion.
Wir untersuchen jetzt zur Differenzierbarkeit ein paar
Beispiele. 0) Konstante Funktionen. Hier ist die Ableitung in jedem Punkt definiert und hat den
Wert 0.
1) Die Funktionen f (x) := xn , für x ∈ R. Dabei sei n eine ganze Zahl ≥ 1. Ist jetzt x0 beliebig, so
gilt (siehe Übungsaufgabe)
f (x) − f (x0 ) = (x − x0 )
n−1
X
x0n−1−k xk ,
k=0
also für alle x 6= x0 :
s(f, x, x0 ) =
n−1
X
x0n−1−k xk
k=0
Aber die rechte Seite ist überall stetig und wir können ablesen, dass
lim s(f, x, x0 ) = nxn−1
0
x→x0
gilt.
2) Die Funktion f (x) = xn mit n ∈ ZZ, n < 0. Wir schreiben f (x) =
erklärt, also erst recht nicht differenzierbar. Sei daher x0 6= 0. Dann ist
|n|−1
s(f ; x, x0 ) = −
−|n|x0
1
s(x|n| ; x, x0 ) −→
|n|
2|n|
(xx0 )
x0
= −|n|
1
.
x|n|
1
|n|+1
x0
In x0 := 0 ist f nicht
= nx0n−1
3) Sei g die durch g(x) = x2 für x ≥ 0 und g(x) = −x2 für x < 0 erklärte Funktion. Für jedes x0
existiert die Ableitung. Ist x0 > 0, so haben wir für x nahe bei x0 :
g(x) − g(x0 )
= x + x0 −→ 2x0 , wenn x −→ x0
x − x0
Ist x0 < 0, so wird
g(x) − g(x0 )
= −x − x0 −→ −2x0 , wenn x −→ x0
x − x0
152
KAPITEL 5. DIFFERENZIALRECHNUNG
Ist x0 = 0, so ist
g(x) − g(x0 ) x − x0 = |x| −→ 0, wenn x −→ 0
Wir erhalten somit g 0 (x0 ) = 2|x0 | für alle x0 .
4) Die Funktion h(x) = |x|. Ist x0 > 0, so erhalten wir leicht h0 (x0 ) = 1 und für x0 < 0 wird
±1
h0 (x0 ) = −1. Ist aber x0 = 0, so gilt s(h; x, 0) = |x|
x . Da s(h; n , 0) = ±1, kann s(h; x, 0) in 0 nicht stetig
fortsetzbar sein.
Trigonometrische Funktionen und Exponentialfunktion.
1) Es gilt sin0 = cos und cos0 = − sin.
Denn ist x0 beliebig, so gilt
sin x − sin x0
x − x0
= 2
=
0
sin( x−x
x + x0
2 )
)
cos(
x − x0
2
!
0
sin( x−x
x + x0
x + x0
2 )
) + cos(
)
− 1 cos(
x−x0
2
2
2
Nun gilt aber
sin( x−x0 )
(x − x )2
0
2
−
1
−→ 0
x−x0
≤
8
2
mit x −→ x0 . Das ergibt die Behauptung.
Die Ableitung von cos finden wir nun leicht: Es gilt cos(x) = sin(x + π2 ), also
sin(x + π2 ) − sin(x0 + π2 )
cos x − cos x0
π
−→ cos(x0 + ) = − sin(x0 )
=
π
π
x − x0
x + 2 − (x0 + 2 )
2
2) Es gilt exp0 = exp.
Denn ist x0 ∈ R, so haben wir
ex−x0 − 1
ex − ex0
= e x0
x − x0
x − x0
Es genügt also zu zeigen, dass
et − 1
= 1.
t→0
t
lim
Dazu beachten wir:
1 + t ≤ et ≤ 1 + t + t2 et
also für 1 > t > 0:
0≤
et − 1
− 1 ≤ tet ≤ 3|t|
t
0≥
et − 1
− 1 ≥ tet ≥ −|t|,
t
und für −1 < t < 0:
5.1. DEFINITION UND BEISPIELE
153
also in jedem Fall
t
e − 1
− 1 ≤ 3|t|
t
für |t| < 1. Hieraus folgt die Behauptung.
5.1.2 Satz (Differentiationsregeln). Angenommen, f, g : I −→ R seien auf einem offenen Intervall I
definiert und in x0 ∈ I differenzierbar. Dann gilt:
a) Auch f + αg ist für jedes α ∈ R in x0 differenzierbar, mit
(f + αg)0 (x0 ) = f 0 (x0 ) + αg 0 (x0 )
b) Das Produkt f g ist in x0 differenzierbar mit
(f g)0 (x0 ) = f (x0 )g 0 (x0 ) + f 0 (x0 )g(x0 )
c) Wenn g(x0 ) 6= 0, so ist
1
g
in x0 differenzierbar mit
0
1
g 0 (x0 )
(x0 ) = −
g
(g(x0 ))2
d) Weiter gilt unter den Voraussetzungen aus c):
0
f
f 0 (x0 )g(x0 ) − f (x0 )g 0 (x0 )
(x0 ) =
g
(g(x0 ))2
Beweis. a) Es gilt auf I \ {x0 }:
s(f + αg; x, x0 ) = s(f ; x, x0 ) + αs(g; x, x0 )
Daraus folgt die Behauptung.
b) Wir haben auf I \ {x0 }:
s(f g; x, x0 ) = f (x)s(g; x, x0 ) + g(x0 )s(f ; x, x0 )
und die rechte Seite ist in x0 stetig fortsetzbar, da f in x0 stetig ist. Aus der Formel lässt sich (f g)0 (x0 )
ablesen.
c) Für x ∈ I \ {x0 }, und x nahe x0 ist g(x) 6= 0. Daher haben wir für solche x:
1
1
s(g; x, x0 ),
s( ; x, x0 ) = −
g
g(x)g(x0 )
woraus wir alles ablesen können.
d) Kombiniere b) mit c).
Zusammengesetzte Funktionen
154
KAPITEL 5. DIFFERENZIALRECHNUNG
5.1.3 Satz (Kettenregel). Angenommen, f : I −→ J und g : J −→ R seien Funktionen, auf den
offenen Intervallen I und J.
a) Ist f in x0 ∈ I und g in y0 = f (x0 ) differenzierbar, so ist auch g ◦ f in x0 differenzierbar, und es
ist
(g ◦ f )0 (x0 ) = g 0 (f (x0 ))f 0 (x0 )
b) Ist f : I −→ J invertierbar, stetig und in x0 differenzierbar mit f 0 (x0 ) 6= 0, so ist f −1 in y0
differenzierbar, und es gilt:
1
(f −1 )0 (y0 ) = 0
f (x0 )
Beweis. a) Man beachte:
f (x) = y0 + (x − x0 )f1 (x; x0 ), x ∈ I
und
g(y) = g(y0 ) + (y − y0 )g1 (y; y0 ), y ∈ J
Nun wählen wir y = f (x). Was wir erhalten, ist:
g ◦ f (x) − g ◦ f (x0 ) = g(y) − g(y0 ) = (y − y0 )g1 (y; y0 )
= (x − x0 )f1 (x; x0 )g1 (y; y0 )
(5.1.1)
woraus folgt
s(g ◦ f ; x, x0 ) = f1 (x; x0 ) g1 (y0 + (x − x0 )f1 (x; x0 ); y0 )
Da g1 (·; y0 ) in y0 stetig ist, ist die rechte Seite in x0 stetig, also können wir x −→ x0 streben lassen und
erhalten als Grenzwert f 0 (x0 )g 0 (y0 ).
Zu b). Wir wissen schon, dass f −1 im Punkt y0 stetig ist. Wenn f 0 (x0 ) 6= 0, so ist f1 (x; x0 ) 6= 0,
wenn nur x nahe genug bei x0 liegt. Liegt nun y nahe genug bei y0 , so liegt f −1 (y) nahe bei x0 , also
wird f1 (f −1 (y); x0 ) 6= 0 für solche y, und ferner ist
y − y0 = f (f −1 (y)) − f (x0 ) = (f −1 (y) − x0 )f1 (f −1 (y); x0 )
= (f −1 (y) − f −1 (y0 ))f1 (f −1 (y); x0 )
Es folgt
s(f −1 ; y, y0 ) =
1
1
1
−→
= 0
, wenn y −→ y0
f1 (f −1 (y); x0 )
f1 (x0 ; x0 )
f (x0 )
Beispiele. 1) Sei f (x) =
x4 +2x+8
.
x2 +2
Dann ist
(x2 + 2)(4x3 + 2) − 2(x4 + 2x + 8)x
(x2 + 2)2
x5 + 4x3 − x2 − 8x + 2
= 2
(x2 + 2)2
f 0 (x) =
5.1. DEFINITION UND BEISPIELE
155
2) Sei g(x) = x3 sin(2ex ). Dann ist
g 0 (x) = 3x2 sin(2ex ) + 2x3 ex cos(2ex )
3) tg 0 (x) =
Denn
1
cos2 x
für alle x ∈ R \ {(2m + 1)π/2 | m ∈ ZZ}.
tg 0 (x) =
cos2 x + sin2 x
1
sin0 (x) cos(x) − sin(x) cos0 (x)
=
=
2
2
cos x
cos x
cos2 x
4) ctg 0 x = − sin12 x für x ∈
/ {mπ | m ∈ ZZ}. Das folgt aus der Quotientenregel.
ctg 0 (x) = −
tg 0 (x)
1
1
=−
=−
2
2
2
tg (x)
cos x tg x
sin2 x
Logarithmusfunktion
Die Exponentialfunktion ist von R −→ R+ invertierbar, wie wir schon sehen konnten. Die Funktion
ln : R+ −→ R, die jedem t ∈ R+ das Urbild unter der Exponentialfunktion zuordnet, ist sogar Umkehrfunktion von exp. Denn eln x = x per definitionem, und ln (ex ) und x selbst sind Urbilder zu ex unter
exp, müssen also auch übereinstimmen. Damit ist auch ln differenzierbar auf R+ mit
ln 0 x =
1
exp0 (ln x)
=
1
.
x
Beispiel (Arcustangens). Die Funktion tg : I := (− π2 , π2 ) ist streng monoton wachsend, da tg 0 =
cos−2 > 0 überall auf I. Da weiter tg (x) −→ ±∞ für x −→ ± π2 , hat die Funktion nach dem Zwischenwertsatz für jeden Wert t ∈ R ein Urbild in I, das wegen der strengen Monotonie eindeutig bestimmt ist.
Es gibt damit eine Umkehrfunktion arctg : R −→ I der Tangensfunktion. Auch sie ist streng monoton
wachsend. Wir berechnen ihre Ableitung:
arctg0 (x) =
1
1
= cos2 (arctg(x)) =
tg 0 (arctg(x)
1 + x2
Die letze Beziehung folgt aus der Identität:
cos2 (s) =
Hier ist der Graph von arctg.
cos2 s
1
=
.
2
2
1 + tg 2 s
sin s + cos s
156
KAPITEL 5. DIFFERENZIALRECHNUNG
1.5
1
atan(x)
0.5
0
-0.5
-1
-1.5
-2
-1.5
-1
-0.5
0
x
0.5
1
1.5
2
Beispiel (Arcussinus). Auf dem Intervall I := (− π2 , π2 ) ist auch die Sinusfunktion streng monoton
wachsend, da sin0 = cos positiv auf I ist. Es gilt sin(x) −→ ±1, wenn x −→ ± π2 . Mit dem selben
Argument wie zuvor folgt: Es existiert auf J := (−1, 1) eine Umkehrfunktion von sin, die wir arcsin
nennen. Ihre Ableitung ist:
arcsin0 (x) =
1
1
1
=
=√
.
sin (arcsin(x)
cos(arcsin(x)
1 − x2
0
5.1. DEFINITION UND BEISPIELE
157
Hier ist der Graph von arcsin.
2
1.5
1
asin(t)
0.5
0
-0.5
-1
-1.5
-2
-1
-0.5
0
t
0.5
1
Beispiel (Kurbeltrieb). Ein Kolben ist über eine Stange mit einer rotierenden Scheibe mit Radius r
verbunden, wie im folgenden Bild dargestellt:
D
l
r
α
φ
A
0
B
C
x(t)
Die Kurbelbewegung wird in eine geradlinige Bewegung eines Kolbens umgewandelt.
Mit f (φ) bezeichnen wir den Kolbenweg (als Funktion des Winkels φ). Die Verbindung AD habe
die Länge l. Dann wird
f (φ) = 0C − AB − BC = r + l − l cos α − r cos φ
Nun haben wir aber (Sinussatz)
r
l
r
=
=⇒ sin α = sin φ
sin α
sin φ
l
also wird
r
q
r 2 2
2
2
f (φ) = r + l − r cos φ − l 1 − ( ) sin φ = l 1 + λ − λ cos φ − 1 − λ sin φ ,
l
wobei λ = r/l das Schubstangenverhältnis bedeutet. Angenommen, der Kurbel wird mit einer Winkelgeschwindigkeit ω gedreht, also φ(t) = ωt, wobei t die Zeit bedeutet. Schreiben wir s(t) = f (φ(t)),
158
KAPITEL 5. DIFFERENZIALRECHNUNG
so erhalten wir
0
cos(ωt)
!
s (t) = ωr sin(ωt) 1 + λ p
1 − λ2 sin2 (ωt)
Der Term in den Klammern (...) wird nie Null, wenn 0 < λ < 1. Die Funktion s0 hat Nullstellen bei
kπ/ω, wobei k ∈ {0, 1, 2}.
Höhere Ableitungen
Definition. Ist I ⊂ R ein offenes Intervall, x0 ∈ I und f : I −→ R eine auf ganz I differenzierbare
Funktion, so nennen wir die Funktion x 7−→ f 0 (x), auch die Ableitung von f . Wir nennen eine Funktion
f : I −→ R zweimal differenzierbar in x0 , wenn die Ableitung f 0 von f auf einem x0 enthaltenden
Intervall definiert und ihrerseits in x0 differenzierbar ist. Die Ableitung von f 0 in x0 bezeichnen wir mit
f 00 (x0 ). Analog zu f 0 nennen wir f 00 die zweite Ableitung von f , wenn f 00 (x) in jedem Punkt von I
existiert.
Dies lässt sich induktiv verallgemeinern: Man nennt eine Funktion f : I −→ R in x0 (k + 1)-mal
differenzierbar, wenn sie in einem Intervall um x0 k-mal differenzierbar ist und die k.-te Ableitung f (k) in
x0 differenzierbar ist. Wir schreiben: f (k+1) (x0 ) = (f (k) )0 (x0 ). Die Notation f (0) bedeutet die Funktion
f selbst.
Mitunter ist die folgende Schreibweise günstig:
df
dk f
:= f 0 ,
:= f (k) .
dx
dxk
Man bezeichnet f als k-mal stetig differenzierbar, wenn die k-te Ableitung von f stetig ist.
Beispiele: 1) Die Funktionen f (x) = xn , mit n ∈ ZZ. Ist k ∈ ZZ + , so haben wir für n > 0:
n(n − 1) · · · · · (n − k + 1)xn−k wenn k ≤ n
f (k) (x) =
0 wenn k > n
Ist n < 0, so ist für alle x 6= 0:
f (k) (x) = n(n − 1) · · · · · (n − k + 1)xn−k
2) Die trigonometrischen Funktionen sin und cos. Hier ist
sin(2k) = (−1)k sin, cos(2k) = (−1)k cos
sin(2k+1) = (−1)k cos, cos(2k+1) = (−1)k+1 sin
3) Weiter gilt exp(k) = exp.
Warnung:
Nicht zu jeder differenzierbaren Funktion lassen sich Ableitungen beliebig hoher Ordnung bilden:
Setzen wir etwa
2k+1
x
sin x1
, wenn x 6= 0
f (x) =
,
0 , wenn x = 0
so ist f k-mal differenzierbar auf ganz R, aber in 0 nicht (k + 1)-mal differenzierbar.
5.2. LOKALE EXTREMALSTELLEN
5.2
159
Lokale Extremalstellen
Mit Hilfe der ersten und zweiten Ableitungen lässt sich untersuchen, ob und wo eine (zumindest 2-mal
differenzierbare) Funktion f Extremwerte hat, und von welcher Art diese sind.
Definition. Sei f : I −→ R eine auf dem Intervall I stetige Funktion und x0 ∈ I. Dann sagen wir,
f habe in x0 lokales Maximum ( bzw. Minimum), wenn ein Intervall J ⊂ I um x0 existiert, so dass
f (x) ≤ f (x0 ) für alle x ∈ J ist (bzw. f (x) ≥ f (x0 ) für alle x ∈ J). Entsprechend sagen wir, f habe in
x0 ein absolutes Maximum (Minimum), wenn f (x) ≤ f (x0 ) (bzw. f (x) ≥ f (x0 )) für alle x ∈ I.
5.2.1 Hilfssatz. Sei f : (a, b) −→ R differenzierbar. Angenommen, x0 ∈ (a, b) sei ein Punkt, in dem
f ein lokales Maximum annimmt, d.h. also, dass f (x) ≤ f (x0 ) für alle x ∈ (x0 − δ, x0 + δ) (mit einer
kleinen Zahl δ > 0). Dann ist f 0 (x0 ) = 0.
Entsprechendes gilt, wenn f bei x0 ein lokales Minimum annimmt.
Beweis. Es gilt
f 0 (x0 ) = lim n(f (x0 +
n→∞
1
1
) − f (x0 )) = lim (−n)(f (x0 − ) − f (x0 ))
n→∞
n
n
Der erste Limes ist ≤ 0 und der zweite ist ≥ 0.
Als Folgerung haben den Satz von M. Rolle:
5.2.2 Satz. Ist f : [a, b] −→ R stetig und auf (a, b) differenzierbar und gilt f (a) = f (b), so hat f 0 auf
(a, b) eine Nullstelle.
Beweis. Ist f konstant, so ist dies klar. Sonst ist das Maximum von f über [a, b] größer als f (a) oder
das Minimum von f über [a, b] kleiner als f (a). Die entsprechende Extremumsstelle t liegt in (a, b) und
erfüllt f 0 (t) = 0.
5.2.3 Satz (1. Mittelwertsatz). Sei f : [a, b] −→ R stetig und auf (a, b) differenzierbar. Dann gibt es
ein ξ ∈ (a, b) mit
f (b) − f (a)
f 0 (ξ) =
.
b−a
Beweis. In der Tat erfüllt die Funktion
g(x) = f (x) −
f (b) − f (a)
(x − a)
b−a
die Voraussetzungen des Satzes von Rolle: g(b) = g(a) = f (a). Ist g konstant, wählen wir t beliebig.
Sonst wählen wir t ∈ (a, b) so, dass g ein Maximum oder Minimum bei t annimmt.
Wir wollen nun Monotoniebereiche einer differenzierbaren Funktion f durch ihre erste Ableitung
kennzeichnen.
160
KAPITEL 5. DIFFERENZIALRECHNUNG
5.2.4 Hilfssatz. Angenommen, f : I −→ R sei differenzierbar.
i) Gilt dann f 0 > 0 auf I, so ist f auf I streng monoton wachsend. Ist f 0 ≥ 0, so ist f auf I monoton
wachsend.
ii) Gilt dann f 0 < 0 auf I, so ist f auf I streng monoton fallend. Ist f 0 ≤ 0, so ist f auf I monoton
fallend.
iii) Ist f 0 = 0 auf I, so ist f auf I konstant.
iv) Ist f monoton wachsend (bzw. fallend), so ist f 0 ≥ 0 (bzw. f 0 ≤ 0) auf I.
Beweis. i) Sind t, s ∈ I und t < s, so gibt es ein ξ ∈ (t, s) mit f (t) − f (s) = f 0 (ξ)(t − s). Aber
f 0 (ξ)(t − s) < 0. Also ist f (t) < f (s). Der zweite Teil der Behauptung wird genauso bewiesen.
ii) Man ersetze f durch −f .
iii) Siehe i).
iv) Wir behandeln den Fall, dass f monoton wachsend ist. Ist dann x0 ∈ I, so gilt
f 0 (x0 ) = lim n(f (x0 + n−1 ) − f (x0 )) ≥ 0
n→∞
Zur Klassifikation der Extrema hat man folgendes
5.2.5 Satz. Ist f : (a, b) −→ R eine 2-mal stetig differenzierbare Funktion, so gilt an einer Stelle x0
mit f 0 (x0 ) = 0 folgendes:
a) Ist nahe bei x0 schon f 00 ≥ 0, so hat f bei x0 ein lokales Minimum,
b) Ist nahe bei x0 schon f 00 ≤ 0, so hat f bei x0 ein lokales Maximum,
c) Ist f 00 (x0 ) > 0, so hat f bei x0 ein lokales Minimum,
d) Ist f 00 (x0 ) < 0, so hat f bei x0 ein lokales Maximum
Beweis. Wir behandeln nur a). Zunächst ist f 0 monoton wachsend. Da f 0 (x0 ) = 0, folgt auf einem
kleinen Intervall [x0 − δ, x0 + δ] nun: f 0 ≤ 0 auf [x0 − δ, x0 ], also fällt f auf [x0 − δ, x0 ] mononton und
f 0 ≥ 0 auf [x0 , x0 + δ], also wächst f hier monoton. Daraus folgt die Behauptung.
Aus a) folgt c), denn wenn f 00 (x0 ) > 0 ist, so ist für eine kleine Zahl δ > 0 auch f 00 (t) > 0, wenn
|t − x0 | ≤ δ. Nun wende man a) an.
Man erhält b) und d) durch Anwenden von a) auf die Funktion −f an Stelle von f .
Definition. Sei f : I −→ R 2-mal stetig differenzierbar.
a) Wenn f 00 ≥ 0 auf I, so nennen wir f auch konvex,
b) Ist f 00 ≤ 0, so heißt f auch konkav.
c) Sei x0 ∈ I. Dann nennen wir x0 eine Wendestelle (bzw. (x0 , f (x0 )) einen Wendepunkt von f ),
wenn ein δ > 0 existiert, so dass f 00 (x0 ) = 0 und f links von x0 konvex (bezw. konkav) und rechts von
x0 konkav (bezw. konvex) ist.
Die Funktion f 00 wechselt bei x0 das Vorzeichen.
Es folgt:
Anmerkung: Ist etwa f sogar 3-mal stetig differenzierbar mit f 00 (x0 ) = 0 und f 000 (x0 ) 6= 0, so muss
f bei x0 einen Wendepunkt haben.
5.2. LOKALE EXTREMALSTELLEN
161
Beispiel: Die kubische Funktion f (x) = x3 + px + q. Ihre ersten beiden Ableitungen sind f 0 (x) =
+ p, und f 00 (x) = 6x. Es gibt genau eine Wendestelle und zwar bei 0. Auf R− ist f konkav, auf R+
konvex. p
Wenn p ≥ 0, gibtpes keine Extrema für f . Ist dagegen p < 0, so hat f 0 Nullstellen genau bei
x− = − |p|/3 und x+ = |p|/3. Bei x− hat f ein lokales Maximum, bei x+ ein lokales Minimum.
3x2
Die kubische Funktion f (x) = x3 − 6x2 + 8x − 2. Nun schreiben wir y = x − 2 und setzen ein:
= y 3 + 3 · 2y 2 + 3 · 22 y + 23 = y 3 + 6y 2 + 12y + 8 Weiter ist x2 = y 2 + 4y + 4 und 8x = 8y + 16.
Insgesamt
x3
f (x) = y 3 + 6y 2 + 12y + 8 − 6y 2 − 24y − 24 + 8y + 16 − 2 = y 3 − 4y − 2 = g(x − 2),
wobei
g(y) = y 3 − 4y − 2
Wir lesen folgendes ab: f hat genau eine Wendestelle,
und zwar bei x = 2, ist also auf (−∞, 2)
p konkav
p
und auf (2, ∞) konvex. Es gibt bei x− = 2 − 4/3 ein lokales Maximum und bei x+ = 2 + 4/3 ein
lokales Minimum.
162
KAPITEL 5. DIFFERENZIALRECHNUNG
Hier ist der Graph:
50
40
30
t3-6*t2+8*t-2
20
10
0
-10
-20
-30
-40
-2
-1
0
1
2
t
3
4
5
6
Anwendungen der Extremumsberechnung
Zunächst zum Anfangsbeispiel.
Beispiel. Eine zylindrische Dose soll ein festes Volumen V0 haben. Wie müssen ihre Maße gewählt
werden, damit der Blechverbrauch möglich klein ausfällt?
Wir haben früher gesehen, dass die Oberfläche einer solchen Dose durch
f (r) = 2πr2 +
2V0
r
gegeben ist, wobei r den Radius bedeutet. Die Frage ist:
Für welches r wird f (r) minimal? Dazu berechnen wir die 1. Ableitung und erhalten
f 0 (r) = 4πr −
2V0
2πr3 − V0
=
2
r2
r2
p
Wir sehen: f 0 (r) = 0 genau dann, wenn r3 = V0 /2π. Weiter ist f 0 (r) < 0, wenn r < r0 := 3 V0 /2π und
f 0 (r) > 0, wenn r > r0 . Die Funktion f hat also bei r0 ein absolutes Minimum auf ganz R+ .
Beleuchtung eines Punktes. Angenommen, auf einer Bühne befinde sich ein Punkt A, der von einer
(als punktförmig angenommenen) Lichtquelle beleuchtet werden soll, welche in der Höhe x
5.2. LOKALE EXTREMALSTELLEN
163
über der Bühne angebracht ist.
L
α
x
O
a
A
Für welches x ist die Beleuchtungsstärke, mit der der Lichtstrahl auf A trifft, maximal?
Ist I0 die Leuchtstärke der Lichtquelle L, so ist nach dem Lambert-Gesetz die fragliche Beleuchtungsstärke B gerade
I0 cos α
B=
r2
√
Wir drücken cos α und r durch x aus und erhalten wegen cos α = x/r und r = a2 + x2 :
B(x) = I0
x
.
(a2 + x2 )3/2
Wir berechnen die Nullstellen von B 0 und erhalten
√
a2 − 2x2
(a2 + x2 )3/2 − 3x2 a2 + x2
0
=
I
=0
B (x) = I0
0 2
(a2 + x2 )3
(a + x2 )5/2
√
√
√
genau dann, wenn x = a/ 2. Ferner ist B 0 > 0 auf (−∞, a/ 2) und B 0 < 0 auf (a/ 2, ∞). Damit
sehen wir, dass
√
√
2I0 3
B ≤ B(a/ 2) =
9a2
Verbraucherwiderstand. Eine Stromquelle mit Spannung Uq hat einen inneren Widerstand Ri . Welche
Leistung kann man ihr mit dem Verbraucherwiderstand R maximal entnehmen?
Uq
Das Ohmsche Gesetz sagt in diesem Falle, dass die zu entnehmende Stromstärke gerade I = Ri +R
ist und die entnommene Leistung
P (R) = R · I 2 =
RUq2
(Ri + R)2
Die Ableitung von P nach R ist
P 0 (R) = Uq2
(Ri + R)2 − 2R(Ri + R)
Ri − R
= Uq2
(Ri + R)4
(Ri + R)3
164
KAPITEL 5. DIFFERENZIALRECHNUNG
Genau dann verschwindet P 0 (R), wenn R = Ri . Weiter ist P 0 (R) > 0, wenn R < Ri und P 0 (R) < 0,
wenn R > Ri . Somit nimmt P sein Maximum bei R = Ri an. Es gilt
Pmax = P (Ri ) =
Uq2
4Ri
Snelliussches Brechungsgesetz
Tritt Licht von einem Medium I in ein anderes Medium II über, so werden seine Strahlen gebrochen.
das Brechungsgesetz sagt, wie die Brechungswinkel und die Ausbreitungsgeschwindigkeiten des Lichtes
in den beiden Medien miteinander zusammenhängen. Wenn cI die Lichtgeschwindigkeit im Medium I
und cII die im Medium II ist, so ist der Brechungsindex von Medium I gerade nI = c/cI und der von
Medium II ist nII = c/cII , wobei c die Vakuumlichtgeschwindigkeit ist.
Das Prinzip von P. Fermat sagt, dass das Licht denjenigen Weg nimmt, zu dessen Durchlaufung es
die kleinste Zeitspanne benötigt.
Das wenden wir nun an.
I
a
α
d
x
β
b
II
Mit dem Weg-Zeit-Gesetz erhalten wir für die Laufzeiten des Lichtes
√
a2 + x2 = tI (x) · cI Medium I
p
2
b + (d − x)2 = tII (x) · cII Medium II
Gesucht ist der Wert x, für den t(x) = tI (x) + tII (x) minimal wird.
Die Ableitung ist
t0 (x) =
cI
√
x
d−x
p
−
2
2
2
a +x
cII b + (d − x)2
5.2. LOKALE EXTREMALSTELLEN
165
Aus t0 (x) = 0 folgt nun
cI
√
d−x
x
p
=
a2 + x2
cII b2 + (d − x)2
Beachten wir den Zusammenhang mit α und β:
cI
√
x
= sin α,
a2 + x2
d−x
cII
p
b2
+ (d − x)2
= sin β
finden wir, dass
1
1
sin α =
sin β
cI
cII
oder
sin α
nII
=
:
sin β
nI
das Snelliussche Brechungsgesetz .
Konvexität
f 00
Erinnerung. Wir nennen eine 2-mal stetig differenzierbare Funktion f : [a, b] −→ R konvex, wenn
≥ 0 gilt. Ist f 00 ≤ 0, so heißt f konkav.
Beispiel. 1) Die Funktion f (x) = ax2 + bx + c ist genau dann konvex, wenn a ≥ 0.
2) Die Funktion x 7−→ ex ist überall konvex
3) Die Funktion g(x) = x3 − 4x2 + 3 hat als 2. Ableitung g 00 (x) = 6x − 8, ist also auf [4/3, ∞)
konvex.
5.2.6 Satz. Ist eine Funktion f : [a, b] −→ R konvex, so gilt f (ty + (1 − t)x) ≤ t(f (y) + (1 − t)f (x)
für alle x, y ∈ [a, b] und alle t ∈ [0, 1].
Das bedeutet: Sind (x, f (x)) und (y, f (y)) Punkte auf dem Graphen von f , so verläuft der Graph
von f zwischen x und y stets unterhalb der Sekanten durch (x, f (x)) und (y, f (y)).
Beweis. Halten wir nämlich x, y ∈ [a, b] fest, so ist die Funktion g(t) := f (ty + (1 − t)x) − t(f (y) −
(1 − t)f (x) ebenfalls konvex, also ihre 1. Ableitung monoton wachsend. Wir müssen zeigen, dass g ≤ 0
auf [0, 1]. Dazu unterscheiden wir 3 Fälle:
i) g 0 (1) ≤ 0. Dann ist g 0 ≤ 0 auf [0, 1], also g(t) ≤ g(0) = 0 für alle t,
ii) g 0 (0) ≥ 0. Dann ist g(t) ≤ g(1) = 0,
iii) Es gilt g 0 (0) < 0 < g 0 (1). Es gibt dann ein t0 ∈ (0, 1) mit g 0 (t0 ) = 0. Nun gilt links von t0 , dass
g ≤ g(0) = 0 und rechts von t0 , dass g ≤ g(1) = 0. Also stets g ≤ 0.
5.2.7 Satz. Hat eine konvexe Funktion f : [a, b] −→ R bei x0 ein lokales Minimum, so ist hier schon
ein absolutes Minimum.
166
KAPITEL 5. DIFFERENZIALRECHNUNG
Beweis. Anderenfalls gäbe es ein z0 ∈ [a, b] mit f (z0 ) < f (x0 ). Dann hätte man aber f (tz0 + (1 −
t)x0 ) ≤ tf (z0 ) + (1 − t)f (x0 ) für alle t ∈ (0, 1]. Aber die rechte Seite ist stets kleiner als f (x0 ), ein
Widerspruch.
5.2.8 Satz. Ist f : [a, b] −→ R konvex und x0 ∈ (a, b), so ist
f (x) ≥ f (x0 ) + f 0 (x0 )(x − x0 )
Beweis. Denn g(x) := f (x) − f (x0 ) − f 0 (x0 )(x − x0 ) ist konvex und hat wegen g 0 (x0 ) = 0 bei x0 ein
lokales und damit absolutes Minimum mit g(x0 ) = 0, also ist g ≥ 0.
Näherungsverfahren zur Nullstellenberechnung nach Newton
Sei f : (a, b) −→ R eine zweimal stetig differenzierbare konvexe Funktion, mit f 0 (x) 6= 0 für x ∈ (a, b).
Angenommen, f (a) < 0 < f (b) und f 0 (x) > 0 auf (a, b). Dann gibt es genau eine Nullstelle x0 ∈ (a, b).
Wir wählen x1 < b mit f (x1 ) > 0. Dann ist x1 > x0 . Dann sehen wir uns die Tangente an die Kurve
von f bei (x1 , f (x1 )) an. Sie hat die Gleichung
y = f1 (x) := f 0 (x1 )(x − x1 ) + f (x1 )
Nun definieren wir x2 als die Nullstelle von f1 . Es folgt
x2 = x1 −
f (x1 )
< x1
f 0 (x1 )
Angenommen, wir haben xn schon definiert und f 0 (xn ) > 0. Dann setzen wir
fn (x) = f 0 (xn )(x − xn ) + f (xn )
(Tangente an die Kurve von f bei (xn , f (xn )). Sie hat bei
xn+1 = xn −
f (xn )
f 0 (xn )
eine Nullstelle.
Es gilt (wegen der Konvexität von f ):
fn (xn+1 ) = 0 = f (x0 ) ≥ fn (x0 ),
also xn+1 ≥ x0 . Weiter gilt: f 0 (xn+1 ) ≥ f 0 (x0 ) > 0. Damit ist auch xn+2 = xn+1 − (f /f 0 )(xn+1 )
wohldefiniert. So fortfahrend erhalten wir eine Folge (xn )n , die nach unten durch x0 beschränkt ist. Da
n)
xn+1 = xn − ff0(x
(xn ) ≤ xn , konvergiert diese Folge. Ihr Grenzwert ist eine Nullstelle von f , also x0 selbst.
Wenn f (a) > 0 > f (b) und f 0 (x) < 0 für x ∈ (a, b), so wird die Folge wie oben definiert,
5.2. LOKALE EXTREMALSTELLEN
167
nur wählen wir jetzt x1 ∈ (a, x0 ). Diesmal wächst (xn )n monoton gegen die Nullstelle x0 von f .
f
f
1
f2
0
x
x0
5x4
x
3
x
2
x
1
Beispiele: a) Es sei f (x) = x5 − x − 1 und a = 1, b = 1.3. Nun gilt f 00 (x) = 20x3 > 0, f 0 (x) =
− 1 > 4 auf [a, b]. Es sei x1 = 1.2 Wir müssen jetzt Werte der Iterationsfunktion
g(x) = x −
f (x)
x5 − x − 1
4x5 + 1
=
x
−
=
f 0 (x)
5x4 − 1
5x4 − 1
berechnen. Wir erhalten
x2
x3
x4
x5
= g(x1 ) = 1.169222
= g(x2 ) = 1.167311
= g(x3 ) = 1.167303
= g(x4 ) = 1.167303
In der Tat ist f (x5 ) = −0.000008.
x
b) Die erste Extremalstelle von f (x) = sinx x . Wir leiten ab und erhalten f 0 (x) = x cos x−sin
. Damit
x2
3
0
wird also f (x) = 0, wo tgx = x ist. Die erste positive Nullstelle liegt im Intervall [π, 2 π]. Wir bilden
nun
g(x) = tgx − x
Dann ist g 0 (x) =
1
cos2 x
− 1 > 0, also ist g monoton. Ferner haben wir
g 00 (x) = 2
sin x
>0
cos3 x
auf [π, 32 π]. Es sei jetzt
R(x) = x −
g
tgx − x
sin x cos x − x cos2 x
(x)
=
x
−
=
x
−
= x − tgx + x (tgx)2
1
2
g0
sin
x
−
1
2
cos x
168
KAPITEL 5. DIFFERENZIALRECHNUNG
Nun wählen wir x1 = 4.7 und erhalten
x2
x3
x4
x5
x6
x7
x8
x9
= R(x1 ) = 4.68833
= R(x2 ) = 4.66698
= R(x3 ) = 4.63118
= R(x4 ) = 4.58047
= R(x5 ) = 4.52843
= R(x6 ) = 4.49914
= R(x7 ) = 4.49356
= R(x8 ) = 4.49341
|x10 − x9 | < 10−5
In der Tat ist f 0 (x9 ) = 1.177 · 10−7 .
1
0.8
sin(x)/x
0.6
0.4
0.2
0
-0.2
-0.4
-1
0
1
2
3
4
5
6
x
Beispiel (Kurbeltrieb). Ein Kolben ist über eine Stange mit einer rotierenden Scheibe mit Radius r
verbunden, wie im folgenden Bild dargestellt:
D
l
r
α
A
0
φ
B
C
x(t)
Die Kurbelbewegung wird in eine geradlinige Bewegung eines Kolbens umgewandelt.
Mit f (φ) bezeichnen wir den Kolbenweg (als Funktion des Winkels φ). Die Verbindung AD habe
die Länge l. Dann wird
5.2. LOKALE EXTREMALSTELLEN
169
r
q
r 2 2
2
2
f (φ) = r + l − r cos φ − l 1 − ( ) sin φ = l 1 + λ − λ cos φ − 1 − λ sin φ ,
l
wobei λ = r/l das Schubstangenverhältnis bedeutet. Angenommen, der Kurbel wird mit einer Winkelgeschwindigkeit ω gedreht, also φ(t) = ωt, wobei t die Zeit bedeutet. Schreiben wir s(t) = f (φ(t)),
so erhalten wir für die Kolbengeschwindigkeit
!
cos(ωt)
v(t) := s0 (t) = ωr sin(ωt) 1 + λ p
1 − λ2 sin2 (ωt)
Was ist die Maximalgeschwindigkeit des Kolbens?
Wir schreiben nun X := λ2 sin2 (ωt) und finden
√
v = ωl
r
X
1+
λ2 − X
1−X
!
Die zeitliche Ableitung ist nun
v 0 (t) =
dv
dv 0
X (t) = 2λ2 ω sin(ωt) cos(ωt)
dX
dX
dv
Dieser Term verschwindet bei t = 0, π/ω sowie t = π/2ω, 3π/2ω und dort, wo dX
= 0 wird. Die ersten
beiden Nullstellen führen auf v(t) = 0, sind also irrelevant. Die Nullstellen t = π/2ω, 3π/2ω ergeben
dv
|v| = ωr. Nun suchen wir Nullstellen für dX
. Es gilt
!
r
1 dv
1
λ2 − X
1
1√
1 − λ2
q
1+
= √
−
X
2
ωl dX
1−X
2
(1 − X)
λ2 −X
2 X
1−X
Setzen wir
dv
dX
√ q
= 0 und multiplizieren mit 2 X 1 −
r
1−λ2
1−X ,
folgt
λ2 − X
X 2 − 2X + λ2
=−
1−X
(1 − X)2
Wir quadieren und formen noch etwas um. Dann finden wir
−X 3 + X 2 + X − λ2 = 0
Auf die Funktion f (X) = −X 3 + X 2 + X − λ2 kann über dem Intervall (0, 13 ) das Newtonverfahren
p
angewendet werden, sofern λ < 11/27 ist.
Wir nehmen an, es sei λ = 0.2. Dann gilt f (0.04) > 0.001 und f (0) = −0.04. Also liegt zwischen 0
und 0.04 eine Nullstelle von f . Im Interval [0, 0.1] ist nun f 0 (x) = −3( (x − 13 )2 − 49 ) > 0, und ebenso
ist f 00 (x) = −6x + 2 = −6(x − 13 ) > 0. Wir setzen wieder
R(x) = x −
f (x)
f 0 (x)
170
KAPITEL 5. DIFFERENZIALRECHNUNG
und x1 = 0.04, sowie xn+1 = R(xn ). Dann wird x2 = 0.0385714 und x3 = 0.0385698, die Werte x4 , x5 , ...
unterscheiden sich nur noch in der 8. Nachkommastelle von x3 . Wir setzen daher X = 0.0385698 in die
Gleichung für v ein und finden
|v| = 1.02ωr
5.3
Taylorentwicklung
Wir beginnen mit der folgenden Beobachtung:
5.3.1 Hilfssatz. Ist f : (x0 − a, x0 + a) −→ R eine k-mal stetig differenzierbare Funktion, so hat das
Taylorpolynom
k
Tf,x
(x) :=
0
k
X
f (`) (x0 )
`=0
`!
(x − x0 )`
der Ordung k zum Entwicklungspunkt x0 die Eigenschaft:
k
f (j) (x0 ) = (Tf,x
)(j) (x0 ), f ür alle j = 0, ..., k
0
k
In x0 stimmen also alle Ableitungen von Tf,x
mit den entsprechenden Ableitungen von f überein.
0
k
Das hat zur Folge, dass sich die Schaubilder von f und Tf,x
nahe x0 von hoher Ordnung aneinander
0
x
schmiegen. Das Bild zeigt f (x) = e und das Taylorpolynom 2. Ordnung um den
5.3. TAYLORENTWICKLUNG
171
Entwicklungspunkt x0 = 1.
14
12
10
8
6
4
2
0
-1
-0.5
0
0.5
1
1.5
2
2.5
x
Wir wenden uns der Frage zu, inwieweit man eine unendlich oft differenzierbare Funktion f durch
ihre Taylorreihe darstellen kann.
Der Satz von Taylor ist die folgende Verfeinerung des Mittelwertsatzes:
5.3.2 Satz. Angenommen, f : (x0 − a, x0 + a) −→ R sei (k + 1)-mal stetig differenzierbar. Dann gibt
es zu jedem x ∈ (x0 − a, x0 + a) eine Zwischenstelle ξ zwischen x und x0 , so dass
f (x) =
k
X
f (j) (x0 )
j=0
Man nennt dabei den Term
f (k+1) (ξ)
(k+1)! (x
j!
(x − x0 )j +
f (k+1) (ξ)
(x − x0 )k+1
(k + 1)!
− x0 )k+1 das Restglied .
Wenn nun f unendlich oft differenzierbar ist und das Restglied gegen Null geht, so kann man f
durch seine Taylorreihe
∞
X
f (j) (x0 )
(x − x0 )j
j!
j=0
darstellen. Das ist der Inhalt des folgenden Satzes:
5.3.3 Satz (Konvergenzsatz). Angenommen, es sei f : (x0 − a, x0 + a) −→ R sei unendlich oft differenzierbar, und es gebe eine Zahl C > 0, so dass für jedes x ∈ (x0 − a, x0 + a) gilt:
f (k) (x) k
a ≤ C
k!
so konvergiert die Taylorreihe von f überall auf (x0 − a, x0 + a) gegen f .
172
KAPITEL 5. DIFFERENZIALRECHNUNG
Beweis. In der Tat ist für jedes x ∈ (x0 − a, x0 + a) das Restglied nun durch
f (k) (ξ) |x − x0 | k
)
|x − x0 |k ≤ C(
k!
a
abzuschätzen. Da aber
|ξ−x0 |
a
< 1, strebt die rechte Seite gegen 0, wenn k −→ ∞.
Der Konvergenzsatz lässt sich noch erweitern:
5.3.4 Satz. In der Situation des Konvergenzsatzes kann man die Taylorreihe von f gliedweise differenzieren und integrieren, um Ableitung und Stammfunktion von f zu finden.
Beispiele (i) Polynome. Ist f ein Polynom vom Grade n, so gilt stets
f (x) = Txn0 f (x)
für jeden Entwicklungspunkt x0 . Die Taylorkoeffizienten sind durch das Hornerschema zu berechnen.
Ist nämlich
f (x) = f (x0 ) + (x − x0 )f1 (x)
mit einem Polynom f1 , so wird f1 (x0 ) = f 0 (x0 ), und f1 (x0 ) ist mit dem Hornerschema zu berechnen.
Wenn dann
f1 (x) = f1 (x0 ) + (x − x0 )f2 (x)
mit einem Polynom f2 , so wird
f (x) = f (x0 ) + (x − x0 )f1 (x0 ) + (x − x0 )2 f2 (x)
Das liefert
f2 (x0 ) =
f 00 (x0 )
2!
So fahre man fort.
Ist etwa f (x) = x3 und x0 = 10, so wird
1
1
f (x) = f (10) + f 0 (10)(x − 10) + f 00 (10)(x − 10)2 + f 000 (10)(x − 10)3
2
6
= 1000 + 300(x − 10) + 30(x − 10)2 + (x − 10)3
(ii) Die Exponentialfunktion. Nun sei x0 ∈ R. Dann wird
exp(j) (x0 )
e x0
=
j!
j!
Für jedes k ∈ ZZ + und jedes a > 0 und ξ ∈ (x0 − a, x0 + a) ist dann
exp(k) (ξ) k
a ≤ Ca := ex0 +2a
k!
5.3. TAYLORENTWICKLUNG
173
mit einer geeigneten Konstanten Ca . Es folgt
n
Texp
,x0 (x)
x0
=e
n
X
(x − x0 )k
k!
k=0
exp(x) = e
x0
n
lim Texp
,x0 (x)
n→∞
(iii) Logarithmus. Sei f (x) = ln (1 + x). Dann ist für jedes j ≥ 1:
f (j) (x)
(−1)j−1
=
j!
j (1 + x)j
Das ergibt für alle x, ξ ∈ (0, 1):
f (j) (ξ) xj
j
x ≤
j!
j
Somit wird
n
(x)| ≤
|f (x) − Tf,0
Kombinieren wir das mit
n
Tln
(1− ·),0 = −
xn
1
≤
n
n
n
X
1
j=1
so folgt für h(x) := ln
1+x
1−x ,
j
xj ,
dass
2n+1
Th,0
(x) =
n
X
k=0
2
x2k+1
2k + 1
Als Beispiel bestimmen wir näherungsweise ln 6. Es gilt h(5/7) = ln 6, also
7
X
5
2
15 5
Th,0
( ) =
( )2k+1
7
2k + 1 7
k=0
5 1 5 3 1 5 5 1 5 7 1 5 9
1 5 11
1 5 13
1 5 15
= 2
+ ( ) + ( ) + ( ) + ( ) +
( ) +
( ) +
( )
7 3 7
5 7
7 7
9 7
11 7
13 7
15 7
= 1.79104
(iv) Trigonometrische Funktionen. Sei x0 = 0 und f (x) = sin x. Dann ist f (k) (0) = 0, wenn k gerade
ist und f (2k−1) (0) = (−1)k für alle k ≥ 1. Ist jetzt a > 0 beliebig, so gilt für jedes ξ ∈ (−a, a):
f (2k−1) (ξ) 1
2k−1
≤
a2k−1 C := ea .
a
(2k − 1)!
(2k − 1)!
Das ergibt
2n+1
Tsin,0
(x) =
n
X
(−1)k 2k+1
x
(2k + 1)!
k=0
174
KAPITEL 5. DIFFERENZIALRECHNUNG
In entsprechender Weise findet man
2n
Tcos
x,0 =
n
X
(−1)k
k=0
(2k)!
x2k
Beispiel. Gegeben sei ein Bogenstück s mit Winkel α. Man kenne die Längen der beiden Sehnen,
die zu α/2 und α/4 gehören.
Dann gilt näherungsweise
8b − a
s=
.
3
s
a
α/2
b
α/2
Zunächst ist ja s = rb
α, wobei α
b=
α
180◦
π und
α
b
a = 2r sin( ),
2
also
α
b
b = 2r sin( ) ,
4
8b − a
2r
α
b
α
b
= ( 8 sin( ) − sin( ) ) .
3
3
4
2
Nun setzen wir ein, dass
sin
α
b
α
b 1 α
b
1 α
b
= − ( )3 +
( )5 + R 1
4
4
6 4
120 4
sin
α
b
α
b 1 α
b
1 α
b
= − ( )3 +
( )5 + R2 ,
2
2
6 2
120 2
und
wobei
|R1 | ≤
1 α
b
( )6 ,
720 4
|R2 | ≤
1 α
b
( )6
720 2
5.3. TAYLORENTWICKLUNG
175
Das ergibt
8b − a
3
2r 3b
α 8 α
b
1 α
b
1 8
1 5
− ( )3 + ( )3 +
( 5 − 5 )b
α + 8R1 − R2
3 2
6 4
6 2
120 4
2
r
2r
= s−
α
b5 + (8R1 − R2 )
7680
3
1
1
4
5
≈ s 1+
α
b +
α
b
7680
61440
=
Für |α| ≤ 60◦ ist der Klammerterm ≈ 1.000170026, so dass der relative Fehler < 0.2% wird.
1
1
2
(v) Arcustangens. Es gilt (arctg )0 (x) = 1+x
2 und mit der Kettenregel, auf ϕ(t) := 1+t und x 7−→ x
angewendet:
(arctg )(2k+1) (0) = (−1)k (2k)!
und
2n+1
Tarctg,0
(x) =
n
X
(−1)k 2k+1
x
2k + 1
k=0
Das führt uns auf eine Formel für π, nämlich
n
X (−1)k
π
= lim
4 n→∞
2k + 1
k=0
Aber die Folge auf der rechten Seite konvergiert nur langsam: Ab n = 2475 sind die ersten 3 Nachkommastellen korrekt, für 4 korrekte Nachkommastellen muss n > 30000 werden.
Stattdessen kann man eine Formel von J. Machin (etwa 1700) benutzen, die aus dem Additionstheorem für die Tangensfunktion gewonnen werden kann:
π
1
1
= 4arctg( ) − arctg(
)
4
5
239
(M )
Dazu beachten wir
tg (4α) − tg (β)
1 − tg (4α)tg (β)
4tg (α) (1 − tg 2 (α) ) − tg (β) (tg 4 (α) − 6tg 2 (α) + 1)
(tg 4 (α) − 6tg 2 (α) + 1) + 4tg (α)tg (β) (1 − tg 2 (α) )
tg (4α − β) =
=
Nun schreiben wir für festes x > 0 und n > 0 noch x =
1
wird aus x = tg (4α−β)
die Gleichung
(C)
1
tg (4α−β ,
1
α = arctg ( x+n
) und t = tg (β). Dann
1
1
arctg ( ) = 4α − β = 4arctg (
) − arctg t
x
x+n
Setzen wir die Größen x, n und t in (B) ein, finden wir
1
=
x
4
x+n (1
1 2
1 2
1 4
− ( x+n
) ) − t · (1 − 6( x+n
) + ( x+n
) )
1 2
1 4
1 − 6( x+n
) + ( x+n
) +
4t
x+n (1
(B)
1 2
− ( x+n
) )
176
KAPITEL 5. DIFFERENZIALRECHNUNG
Nun wählen wir x = 1 und n = 4. Dann entsteht
1=
4
5 (1
− ( 15 )2 ) − t · (1 − 6( 15 )2 + ( 15 )4 )
=
1 2
1 − 6( 15 )2 + ( 51 )4 + 4t
5 (1 − ( 5 ) )
480−476t
625
476+480t
625
=
480 − 476t
476 + 480t
4
956
= 1 . So wird aus (C) die behauptete Gleichung (M).
P10239(−1)k
Setzen wir darin die Näherung arctg (x) = k=0 2k+1 ein, finden wir π bis auf 14 Nachkommastellen
genau.
Das kann nach t aufgelöst werden, mit t =
(vi) Allgemeine Potenz. Wir betrachten für α ∈ R die Funktion
fα (x) = (1 + x)α
auf dem Intervall (−1, 1). Dann ist
fα(k) (x) = α(α − 1) · · · · · (α − k + 1)xα−k ,
also
(k)
fα (0) α =
,
k!
k
wenn wir
α
k
α
0
:=
α(α − 1) · · · · · (α − k + 1)
k!
für k ≥ 1 und
= 1 setzen.
Nun bilden wir
fα(k+1) (0) k+1 |α − k|
|α|
(k+1)! a
a≤(
+ 1)a
=
(k)
fα (0) k k+1
k+1
a
k!
Die rechte Seite ist für genügend großes k nach oben durch eine Zahl b < 1 abzuschätzen. Das ergibt
f (k+1) (0) f (k) (0) α
k+1
α
k
≤ b
a
a
(k + 1)!
k!
oder, wie nun induktiv folgt
f (k) (0) α
k
a ≤ bk < 1
k!
Damit haben wir auf (−1, 1) sogar
fα (x) = lim Tfnα ,0 (x)
n→∞
√
Wir berechnen 3 6. Es gilt mit α = 1/3 nun
√
1
3
6 = 2f1/3 (−1/4) ≈ 2Tf4α ,0 (− )
4 1
1
1
1
1/3
1/3
1/3
= 2 1−
+
−
+
2
3
4
12
16
64
256
1
1 1
10 1
80
1
= 2 1−
−
+
−
12 9 16 6 · 27 64 24 · 81 256
= 1, 817
5.3. TAYLORENTWICKLUNG
177
Die Regel von De L’ Hospital
5.3.5 Satz. Angenommen, es seien f, g : (a, b) −→ R 2-mal stetig differenzierbar und x0 ∈ (a, b) ein
Punkt.
a) Angenommen, es sei f (x0 ) = g(x0 ) = 0, aber g 0 (x0 ) 6= 0, Dann gilt
lim
x→x0
f
f0
(x) = 0 (x0 ).
g
g
b) Es seien f und g beliebig oft differenzierbar und f (x0 ) =, ..., = f (k−1) (x0 ) = 0, ebenso g(x0 ) =
f0
f
, ..., = g (k−1) (x0 ) = 0, während g (k) (x0 =6= 0, so wird lim (x) = 0 (x0 ).
x→x0 g
g
0
c) Wenn g auf (x0 , b) keine Nullstelle hat und f (x), g(x) −→ +∞ für x & x0 , und existiert der
Grenzwert
f0
c := lim 0 (x) ,
x&x0 g
so ist wieder
lim
x→x0
f
(x) = c.
g
Beweis. Zu a) Ist (tn )n eine Folge in I \ {x0 }, die gegen x0 konvergiert, so haben wir f (tn )/g(tn ) =
f (x0 ) + f 0 (t0n )(tn − x0 )
f 0 (t0n )
=
, wobei t0n und t00n zwischen tn und x0 liegen. Dann ist aber
g(x0 ) + g 0 (t00n )(tn − x0 )
g 0 (t00n )
lim f 0 (tn )/g 0 (tn ) =
f0
(x0 ).
g0
f (k) (t0n )
(tn
k!
(k)
00
g (tn )
(tn
k!
=
n→∞
Zu b) Nun schreiben wir
f (tn )/g(tn ) =
k−1
Tf,x
(tn ) +
0
k−1
Tg,x
0 (tn ) +
− x0 )k
− x0 )k
f (k)
f (k) (t0n )
−→
(x0 ),
g (k) (t00n )
g (k)
wenn n → ∞.
Zu b). Zu beliebigem ε > 0 finden wir ein δ > 0 mit
c−ε<
f0
(x) < c + ε
g0
für alle x ∈ (x0 − δ, x0 + δ). Sei x1 ∈ (x0 , x0 + δ) fest gewählt. Wir überlegen uns, dass mit geeigenten
Konstanten k1 , k2 und alle x ∈ (x0 , x1 ) gilt:
(1)
(c − ε)g(x) + k1 < f (x) < (c + ε)g(x) + k2
Denn der 2. Mittelwertsatz sagt, dass zu x ∈ (x0 , x1 ) eine Stelle tx ∈ (x0 , x) existiert, für die
f (x) − f (x1 )
f 0 (tx )
= 0
g(x) − g(x1 )
g (tx )
178
KAPITEL 5. DIFFERENZIALRECHNUNG
Die rechte Seite liegt aber zwischen c − ε und c + ε, also haben wir
c−ε<
f (x) − f (x1 )
<c+ε
g(x) − g(x1 )
Wegen der Annahme, es sei g 0 (x) 6= 0 überall folgt aus g(x) → ∞, dass g(x) > g(x1 ), somit
(c − ε)g(x) − (c − ε)g(x1 ) + f (x1 ) < f (x) < (c + ε)g(x) − (c + ε)g(x1 ) + f (x1 )
Also können wir k1 = −(c − ε)g(x1 ) + f (x1 ), k2 = −(c + ε)g(x1 ) + f (x1 ) wählen. Teilen wir in (1) alles
durch g(x) so erhalten wir
f (x)
k2
k1
<
−c<ε+
−ε +
g(x)
g(x)
g(x)
Lassen wir dann noch x → x0 gehen, folgt die Behauptung.
Beispiele. a) Freier Fall mit Berücksichtigung des Luftwiderstandes. Angenommen, ein Körper mit
der Masse m fällt nach unten. Nach dem Fallweg s ist seine Geschwindigkeit bei einem Reibungskoeffizienten k > 0:
r
mg
v(k) =
1 − e−2ks/m
k
Was ist der Grenzwert, wenn k −→ 0?
Dazu setzen wir f (k) := mg 1 − e−2ks/m und g(k) = k. Dann ist die Regel von Bernoulli-L’Hospital
anwendbar und ergibt
f
f0
(−2s)
(k) = lim 0 (k) = lim f 0 (k) = lim mg · (−1)e−2ks/m ·
= 2gs
k−→0 g
k−→0 g
k−→0
k−→0
m
√
Es folgt limk−→0 v(k) = 2gs.
b)
1
lim (1 + x) x = e
lim
x−→0
denn
1
ln (1 + x) x =
also
ln (1 + x)
,
x
1
ln (1 + x)
1
lim ln (1 + x) x = lim
= lim
= 1,
x→0
x→0
x→0 1 + x
x
woraus folgt:
1
1
lim (1 + x) x = exp lim ln (1 + x) x
=e
x−→0
x→0
c)
1 − cos(x/2)
1
=
x→0 1 − cos x
4
lim
Wir wählen f (x) = 1 − cos(x/2), g(x) = 1 − cos x und erhalten f 0 (x) = 12 sin x2 , g 0 (x) = sin x. Wir sehen,
dass 0 eine isolierte Nullstelle von g, g 0 und g 00 ist. Ferner haben wir f 00 (x) = 41 cos(x/2), g 00 (x) =
5.3. TAYLORENTWICKLUNG
179
cos x. Somit existiert limx→0 f 00 (x)/g 00 (x) und hat den Wert 1/4. Nach obiger Regel für f 0 , g 0 existiert auch limx→0 f 0 (x)/g 0 (x) = 1/4 und nach nochmaliger Anwendung der Regel sehen wir, dass
limx→0 f (x)/g(x) = 1/4.
d) Was ist limx→0 x ln x ? Dazu schreiben wir
x ln x = −
f (x)
g(x)
mit f (x) = −ln x und g(x) = x−1 . Dann ist Regel b) von De L’Hospital anwendbar, da g 0 (x) = −x−2 < 0
0
auf (0, ∞). Weiter gilt f (x), g(x) −→ +∞ mit x & 0 und f 0 (x) = −1/x, also fg0 (x) = x −→ 0 mit x → 0.
Somit finden wir, dass
lim x ln x = 0 .
x→0
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