Zwei Wunderwaffen gegen steife Gelenke Die Pillen gegen Rheuma werden immer besser und kaum mehr Nebenwirkungen Stefan Müller Seit über fünfzehn Jahren leidet der 55-jährige Enzo Cucci an der Wirbelsäulenerkrankung Morbus Bechterew, einer Form des entzündlichen Rheumatismus. Rund ein Prozent der Bevölkerung erkrankt daran. Morbus Bechterew bedeutet häufig ein schmerzhafter, über Jahre andauernder Prozess, der die Bänder und Gelenke der Wirbelsäule irreversibel zerstört und diese oft versteift. So zwangen starke Schmerzen den selbstständigen Maschineningenieur mit der Zeit sein Arbeitspensum auf die Hälfte oder phasenweise sogar ganz hinunterzuschrauben. Die fortschreitende, kaum behandelbare Krankheit zeichnete ihren Weg vor - bis dann letzten November die Wende eintrat. Damals testete Enzo Cucci das neue Medikament Remicade, das er sich nun alle acht Wochen im Spital in die Venen spritzen lässt. Heute geht es ihm unvergleichlich besser. Die typische Morgensteifigkeit und die chronische ”Halskehre” wichen einer leichten Verspannung. Die Schmerzen und Schlafstörungen gingen so weit zurück, dass der Behandelte deswegen keine zusätzlichen Medikamente benötigt. Besonders freut ihn der therapeutische Effekt auf die Beine. Enzo Cucci kann als Folge der beweglicheren Wirbelsäule wieder gut gehen. Allgemein verbesserte sich seine Leistungsfähigkeit. In der Zwischenzeit konnte der selbstständige Maschineningenieur sein Arbeitspensum wieder erhöhen. Nicht nur der Patient, auch sein behandelnder Arzt Adrian Forster, Oberarzt an der Rheumaklinik des Universitätsspital Zürich, ist von der Wirkung der neuen, gentechnologisch hergestellten Medikamentengeneration begeistert. Enbrel und Remicade sind die ersten zwei Mittel einer ganzen Palette, die die Pharmaindustrie in nächster Zeit auf den Markt bringen wird. ”Erstmals haben wir Medikamente, womit wir die Entzündung der Wirbelsäule wegbringen und wahrscheinlich sogar die Versteifung verhindern können. Das ist eine Revolution!” Enbrel und Remicade, die seit knapp zwei Jahren auf dem Markt zugelassen sind, setzte man bisher erfolgreich bei der Rheumatoiden Arthritis (Polyarthritis), einer schmerzhaften Entzündung vieler Gelenke, ein. Der Nutzen für die entzündlichen Wirbelsäulenerkrankungen erkannte die Forschung aber erst vor kurzem. Der Berliner Rheumaspezialist Jürgen Braun und dessen Team stellten am letzten europäischen Rheumakongress in Prag eine Studie vor, die die Wirksamkeit von Remicade belegt. Für Enbrel laufen derzeit entsprechende Untersuchungen. Neben dem Stoppen der Entzündung und der Schmerzen schätzen viele Behandelte noch mehr, dass Allgemeinsymptome wie chronische Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit oder Gewichtsverlust innerhalb weniger Tagen wie weggeblasen sind. Beim entzündlichen Wirbelsäulenbefall gab es in der Schulmedizin bisher weder ein Basistherapeutikum noch eine sehr wirksame Symptombehandlung. Die 2 Therapie beschränkte sich vor allem auf die Linderung der starken Schmerzen. Mit der neuen Therapie, die seit 1999 am Universitätsspital Zürich praktiziert wird, gelang es den Forschenden der Rheumatologie erstmals, die heutigen Kenntnisse der molekularen Abläufe in einen spezifischen Wirkstoff umzusetzen. Die bislang verwendeten Medikamente “entlehnte” man grösstenteils aus anderen Therapiegebieten wie zum Beispiel aus der Krebs- und Malariabehandlung. Herkömmliche Medikamente greifen in der Zelle in den Stoffwechsel ein, was häufig mit Nebenwirkungen wie Übelkeit, Allergien, Haarausfall oder Durchfall verbunden ist. Die neuen Substanzen entfalten ihre Wirkung vor allem in den Räumen ausserhalb der Zellen. Das scheint mit ein Grund zu sein für die bessere Verträglichkeit. Im Prinzip ist Morbus Bechterew eine Krankheit des körpereigenen Abwehrsystems, in der die Signalkaskade des Immunsystems völlig aus den Fugen gerät. Die neuen Medikamente blockieren ein Eiweiss des Immunsystems, den Tumor-Nekrose-Faktor alpha (TNF). Diese Substanz reguliert als einer der wichtigsten Botenstoffe des Immunsystem Entzündungsvorgänge. Im Krankheitsfall zieht das TNF in die Gelenke viele Entzündungszellen, die dann dort ihr unseliges Zerstörungswerk an Knorpel und Knochen entfalten. Enbrel und Remicade stoppen die Entzündung, aber damit ist die Krankheit noch nicht geheilt. Die Wirkung der Therapie hält nämlich nur an, solange sie fortgesetzt wird. In absehbarer Zeit erwartet Forster Medikamente, die bereits die Entstehung von TNF hemmen werden. Er hofft, dass die Herstellung einer solchen 3 Substanz markant günstiger sein wird. Fernziel bleibt aber eine Impfung, die das entgleiste Immunsystem wieder ins Lot bringen soll. An einer Anti-TNF-Therapie kann teilnehmen, wer auf die übliche Behandlung nicht anspricht. Allerdings reagiert ein Fünftel der Behandelten nicht oder ungenügend auf diese Therapie. Als ausdrückliche Ausschlussgründe nennt Forster eine Infektion und eine MS-Erkrankung. ”Der grosse Durchbruch in der Anti-TNF-Therapie”, sagt Forster, “ist, dass sie bei den meisten Behandelten praktisch keine Nebenwirkungen verursacht. Der Haken in der Geschichte: Die TNF-Blocker sind sehr teuer. Die Kosten einer Therapie belaufen sich auf 15'000 bis 30'000 Franken pro Jahr. Die Herstellung basiert auf aufwändigen gentechnologischen Verfahren. Die Grundversicherung der Krankenkassen übernimmt die Behandlungskosten nur bei Polyarthritis. Bei Morbus Bechterew sind die Patienten auf die Freiwilligkeit der Kassenleistung angewiesen. Für Forster ist jedoch klar: Die hohen Kosten würden durch Einsparungen von Folgekosten wie krankheitsbedingte Spitalaufenthalte oder Erwerbsausfall bei weitem aufgehoben. (mü) http://www.rheuma.unispital.ch/ 4