Thema Nr. 2: Kann man an DNA-Sequenzen erkennen, zu welcher Rasse ein Mensch gehört? Fragen: Durch wie viele Unterschiede unterscheiden sich zwei Menschen?: Das haploide menschliche Genom besteht aus 3 Milliarden Basenpaaren. Zwei Menschen unterscheiden sich in jedem tausendsten Basenpaar. Somit unterscheiden sich zwei Menschen in 3 Millionen Basen (= allele Unterschiede). Zwei menschliche Populationen bzw. Rassen können sich entweder nur in der Häufigkeitsverteilung ihrer Allele unterscheiden, oder es gibt Merkmale, die alle Vertreter der einen Population haben und alle Vertreter einer anderen Population nicht haben. Bitte erklären, was der Unterschied zwischen diesen beiden Möglichkeiten ist. Sind sich zwei Europäer ähnlicher als ein Europäer und ein Afrikaner oder ein Asiat? Kann man an DNA-Sequenzen erkennen, zu welcher Rasse ein Mensch gehört? relevante Seiten (u.a.): Buch-Kap. 6 und 7: bitte nach „Polymorphismus“ durchsuchen. Literatur: Dazu folgende Publikation (liegt hier als Auszug vor und als Original-pdf): Englbrecht,C. and Tautz,D. (2011). Was wissen wir über genetische Variation in menschlichen Populationen? Biuz 41, 12-13. Ref ID: 5997 Abstract: Die Debatte um den Autor Thilo Sarrazin und sein Buch "Deutschland schafft sich ab" zeigte vor allem eines: einen großen Informationsbedarf zum aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Wie viel genetische Variation gibt es im modernen Menschen und wie ist diese genetische Variation verteilt? Können Gruppen innerhalb der globalen Population unterschieden werden? Wenn ja, warum ist genetische Variation unterschiedlich verteilt? Und schließlich, warum sind die Antworten zu diesen Fragen überhaupt interessant oder wichtig?* Notes: Das menschliche Genom besteht aus ca. 3,2 Milliarden Basenpaaren (im einfachen Chromosomensatz). Vergleicht man die Genomsequenzen von zwei zufällig ausgesuchten, nicht verwandten Menschen, so findet man durchschnittlich in jedem tausendsten Basenpaar einen Unterschied, die so genannten Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs). Darüber hinaus gibt es aber auch hochvariable DNA-Regionen, wie etwa die Mikrosatelliten Loci, die beispielsweise für die Erstellung des genetischen Fingerabdrucks genutzt werden. Wie ist die Variation verteilt? Sind sich zwei Europäer ähnlicher als ein Europäer und ein Afrikaner oder ein Asiat? Zur Beantwortung dieser Frage kann man die F-Statistik heranziehen. Diese gibt durch den so genannten Fst-Wert an, wie die gefundene genetische Variation innerhalb und zwischen betrachteten Populationen verteilt ist (siehe auch Kasten). Ist der Fst-Wert bei 0, dann ist die gefundene Variation gleichmäßig über alle Populationen verteilt. Liegt der Wert hingegen nahe 1, dann ist die Variation sehr ungleich verteilt. Das heißt, dass bestimmte genetische Varianten nur in einer Population vorkommen, nicht aber in den anderen. Für menschliche Populationen wurden diverse F-Statistiken mit verschiedenen genetischen "Markern" erstellt - unter anderem für SNPs und Mikrosatelliten. Je nach Marker und Populationsvergleich variieren sie etwas, aber im Durchschnitt erhält man Fst-Werte von ca. 0,11 (0,05 bis 0,15). Was bedeutet das konkret? Etwa 89% der gesamten weltweiten genetischen Variation sind bereits in einer zufälligen Stichprobe von Individuen innerhalb einer Population, zum Beispiel eines Kontinents zu finden. In einer erweiterten Stichprobe mit Individuen aus anderen Kontinenten würde man (nur noch) etwa 11 % weitere Variationen finden. Oder anders ausgedrückt: Bereits zwischen zwei Mitgliedern einer Volksgruppe kann man ca. 89% aller Unterschiede finden, die man zwischen allen Menschen auf der ganzen Welt findet. In dieser Hinsicht ist die Spezies Mensch ungewöhnlich, denn bei den meisten anderen Spezies sind die Gruppen-Unterschiede viel größer, auch bei unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen. Diese geringen Unterschiede beim Menschen sind darauf zurückzuführen, dass er sich erst vor vergleichsweise kurzer Zeit über die Erde ausgebreitet hat und daher nur kleine lokale Unterschiede etabliert werden konnten. Ist aber auch der Umkehrschluss möglich? Kann man aufgrund von DNA-Daten errechnen, aus welcher Population ein Individuum kommt? Eine Studie, die 377 Mikrosatelliten an über 1000 Individuen untersuchte, konnte aufgrund der Daten Gruppen formen, welche den großen geografischen Regionen (Kontinenten) entsprechen. Die Zuordnung von Individuen erfolgte aber nur statistisch, das heißt nicht jedes Individuum wurde eindeutig zugeordnet. Folgestudien in den vergangenen Jahren haben ein noch komplexeres Bild entworfen: Je nachdem, welche Unterschiede (genetische Marker) betrachtet, welche Individuen beprobt und welche statistischen Verfahren benutzt werden, können sich abweichende Gruppierungen ergeben. Wenn man also mit einem Verfahren für ein Individuum eine bestimmte Populationszugehörigkeit erkennt, dann muss das nicht auch für ein anderes Verfahren zutreffen. Was bedeuten die Unterschiede in der Verteilung der genetischen Variationen? Die meisten genetischen Variationen sind nicht funktional, das heißt, sie unterlagen beziehungsweise unterliegen keinem Selektionsdruck und haben keinen Einfluss auf den Phänotyp. Die meisten Unterschiede, die innerhalb und zwischen Gruppen gefunden werden können, sagen nichts über die Eigenschaften der Individuen oder Gruppen aus. Über Gene, die der natürlichen Selektion unterlagen beziehungsweise unterliegen, und damit mit bestimmten Eigenschaften in Verbindung gebracht werden können, weiß man hingegen noch vergleichsweise wenig, weil es einfach schwierig ist, solche Gene vor dem Hintergrund der großen neutralen Variation aufzuspüren. Einige sind aber inzwischen identifiziert (zum Beispiel Gene, die in Haut· und Haarpigmentierung involviert sind). Ihre geografische Verteilung ist vergleichbar mit den Gruppen, die durch neutrale Marker gefunden wurden. [warum?] Wobei zu den "Pigmentierungsgenen" gesagt werden muss, dass viele unterschiedliche Mutationen in verschiedenen Genen zu dunkler oder heller Haut führen. Die Hautfarbe allein kann daher keinen Aufschluss über die Herkunft eines Individuums geben. So hat beispielsweise die dunkle Haut eines Südinders nicht den gleichen genetischen Hintergrund wie die eines Zentralafrikaners. Wie stark und wie häufig Anpassungen durch Selektion in menschlichen Populationen aufgetreten sind, ist weiter Gegenstand der Forschung. Es sieht aber so aus, dass neutrale Prozesse, wie Migration und genetische Drift einen starken Einfluss auf die geografische Verteilung von selektierten Varianten hatten. Warum ist es von Interesse, ob die menschliche Population eine genetische Struktur aufweist? In den vergangenen Jahren hat sich neben der anthropologischen Grundlagenforschung verstärkt auch die medizinische und pharmakologische Forschung in diesem Forschungsgebiet engagiert. Die Pharmakogenetik erforscht, wie die (Neben-)Wirkungen von Medikamenten mit der genetischen Ausstattung eines Individuums korrelieren. So wurde schon vor einigen Jahren in den USA ein Medikament gegen Herzinsuffizienz nur für AfroAmerikaner zugelassen, da es bei Menschen mit afrikanischen Wurzeln häufig gute Wirkung zeigt, bei Asiaten oder Europäern aber nicht. Solche Beispiele sind aber selten. Nach allem, was heute über die genetische Struktur menschlicher Populationen und die genetischen Ursachen von multi-faktoriellen Krankheiten bekannt ist, scheint eine solche stereotype Gruppierung auch aus medizinischer Sicht langfristig keinen Vorteil zu bergen. Das Ziel wird deshalb die individualisierte Medizin sein, in der Medikamente aufgrund individueller genomischer Profile verschrieben werden. Dafür muss aber erst eine eindeutige Korrelation zwischen genetischem Marker und Wirkung eines Medikaments hergestellt werden können. Zusammenfassend ... Die genetische Variation beim Menschen ist vergleichsweise gering und existiert größtenteils zwischen Individuen, aber nicht zwischen Populationen. Es können zwar statistisch Populations-Gruppen gebildet werden. Diese sind je nach angewandter Methode aber nicht immer konsistent und auch nicht schart voneinander abgrenzbar. Gruppierungen scheinen eher geografisch-historische Distanzen zwischen Populationen widerzuspiegeln als unterschiedliche Eigenschaften, die durch Selektionsprozesse entstanden wären. [Unterschiede in der Haut- und Haarfarbe und weitere Rassenkennzeichen werden offenbar heruntergespielt] Diese Erkenntnis hat auch wichtige Auswirkungen auf die Biomedizin. Kasten: WIE FUNKTIONIERT DIE F·STATISTIK (FST)? In die Berechnungen des Fst-Werts geht ein, wie häufig einzelne Varianten (Allele) in jeder Population sind. Aus den jeweiligen Häufigkeiten in den verschiedenen Populationen werden der Mittelwert und die Varianz ermittelt. Die Varianz ist die mittlere quadratische Abweichung der einzelnen Häufigkeiten vom Mittelwert. Je stärker die Häufigkeit der Varianten sich in den einzelnen Populationen unterscheidet, desto größer ist die Varianz und desto größer ist auch der Fst-Wert. Abb. Stark vereinfachtes Beispiel zur F-Statistik: verglichen werden jeweils zwei Populationen A und B an einem Genort mit drei Allelen (rot, blau und gelb). In I. sind die Allelhäufigkeiten annähernd gleich, was einem Fst-Wert nahe 0 entspräche, in II. und III. verschieben sich die Allelhäufigkeiten zu blau (A) bzw. rot (B). In IV. sind die drei Varianten sehr ungleich verteilt, was einem Fst-Wert nahe 1 entspräche. In die F-Statistik gehen die Daten aus mehreren genetischen Lad ein, nicht nur aus einem, wie in unserem Beispiel.