Den Feind im Nacken – Eine spinnenreitende Insektenlarve in Bernstein Wer kennt sie nicht, die grünen Insekten mit den transparenten Flügeln, die oft in Wohnungen auftauchen und von denen eine Art sogar zum „Insekt des Jahres 1999“ gekürt wurde? Es handelt sich um Florfliegen (wissenschaftlich Chrysopidae), einer Gruppe von Netzflüglern (Neuroptera). Unter den Netzflüglern weitaus weniger gut bekannt als die Florfliegen sind die Fanghafte oder Mantispidae, von denen bislang 350 Arten bekannt geworden sind. Fanghafte sehen Gottesanbeterinnen auf den ersten Blick zum Verwechseln ähnlich, da bei beiden die Vorderbeine zu effektiven Fangapparaten umgebildet sind, mit denen sie Insekten zum eigenen Verzehr fangen. Die Larven der Fanghaften ernähren sich wie alle Netzflüglerlarven von tierischer Substanz, nur die Quelle ihrer Nahrung ist mehr als ungewöhnlich. Die Larven der meisten Arten leben als Parasiten in Spinnenkokons, ein an sich bereits ungewöhnlicher Lebensraum. Das wird aber noch übertroffen von einem besonderen Verhalten vieler Fanghaft-Larven in ihrem Bemühen, überhaupt Spinnenkokons zu finden. Bei ihnen unterscheiden sich die verschiedenen Larvenstadien in ihrem Körperbau und ihrem Verhalten dramatisch. Die frisch geschlüpfte Erstlingslarve ist schlank und besitzt drei kräftige Beinpaare. Sie ist schnell und wendig und hat nur ein Ziel: Sie muss eine vorbeilaufende Spinne finden und sie in Windeseile besteigen. Ist dies gelungen, hat die Larve den ersten Teil ihrer Aufgabe erfüllt. Die Larve des Fanghafts wartet auf ihrem Reittier darauf, dass die Spinne einen Kokon für ihre Eier baut. Sobald die Spinne dies tut, verlässt die Larve die Spinne und dringt in den Kokon der Spinne ein. Dort wandelt sie sich nach kurzer Zeit in das zweite Larvenstadium um, das wie eine dicke Fliegenmade aussieht. Diese ernährt sich nun in aller Ruhe von den sie umgebenden Spinneneiern. Dieses innerhalb der Insekten ungewöhnliche Verhalten wird als „spider boarding“ bezeichnet und ist nur schwer zu beobachten. Umso ungewöhnlicher ist der Nachwies einer solchen „Spinnenreiters“ auf einer Sackspinne (Clubionoidea) in 44 Millionen Jahre altem Baltischen Bernstein. Dieser Fund ist nicht nur ungewöhnlich, weil es die erste fossile Larve eines Fanghafts überhaupt ist, sondern auch, weil dies der direkte Nachweis für die Existenz einer besonderen Verhaltensstrategie vor vielen Millionen Jahren darstellt. Nur selten lässt sich Verhalten bei Fossilien überhaupt nachweisen. Und nicht zuletzt ist dies auch der erste Nachweis von Fanghaften aus dem Baltischen Bernstein überhaupt. PD Dr. Michael Publikation Ohl, M. 2011. Aboard a spider — a complex developmental strategy fossilized in amber. – Naturwissenschaften 98: 453-456. Abbildungsunterschriften (inkl. Bildrechte!) Abb. 1. Sackspinne in Baltischem Bernstein mit der Larve eines Fanghafts, die sich in einer typischen Position auf dem Rücken der Spinne festhält. Foto: Springer Science+Business Media B.V. Abb. 2. Euclimacia hostaspoecki Ohl, ein heute lebender Fanghaft aus Thailand. Foto: S. Materna.