Christoph Maisack Herausgeber Kommentar zum Tierschutzgesetz Autoren Prof. Dr. jur. Thomas Cirsovius, Dozent Christoph Maisack, Richter a. AG Dr. med. vet. Johanna Moritz, Veterinäroberrätin Dr. jur. Helga Müller, Rechtsanwältin Der Kommentar erscheint voraussichtlich im Herbst 2002, im Verlag Beck/Vahlen, München Hier im Vorabdruck die vorläufige Kommentierung zu § 11 b Tierschutzgesetz § 11 b [Qualzüchtung und ähnliche Maßnahmen] (1) Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch bio- oder gentechnische Maßnahmen zu verändern, wenn damit gerechnet werden muß, dass bei der Nachzucht, den bio- oder gentechnisch veränderten Tieren selbst oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten. (2) Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch bio- oder gentechnische Maßnahmen zu verändern, wenn damit gerechnet werden muß, dass bei den Nachkommen (a) mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen oder mit Leiden verbundene erbliche bedingte Aggressionssteigerungen auftreten oder (b) jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt oder (c) deren Haltung nur unter Bedingungen möglich ist, die bei ihnen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führen. (1) Die zuständige Behörde kann das Unfruchtbarmachen von Wirbeltieren anordnen, wenn damit gerechnet werden muß, dass deren Nachkommen Störungen oder Veränderungen im Sinne des Absatzes 1 oder 2 zeigen. (2) Die Absätze 1, 2, und 3 gelten nicht für durch Züchtung oder bio- oder gentechnische Maßnahmen veränderte Wirbeltiere, die für wissenschaftliche Zwecke notwendig sind. (3) Das Bundesministerium wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates, soweit es zum Schutz der Tiere erforderlich ist, die erblich bedingten Veränderungen, Verhaltensstörungen und Aggressionssteigerungen nach den Absätzen 1 und 2 näher zu bestimmen und dabei insbesondere bestimmte Zuchtformen und Rassemerkmale zu verbieten oder zu beschränken. I. Qualzüchtungen, Abs. 1 Rn 1 Entstehung. Die Vorschrift wurde durch das ÄndG 1986 erstmals eingefügt. Durch das ÄndG 1998 erfolgte u.a. eine Erweiterung um den Schutz vor biotechnischen Maßnahmen. Das Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde vom 12. 4. 2001 (BGBl I S 530) brachte eine Erweiterung von Abs 2 lit. a sowie von Abs 5. - Zum Themenkomplex der Heimtierzucht bildet das am 2. 6. 1999 von einer Gutachtergruppe im Auftrag des BML vorgelegte sog. Qualzuchtgutachten eine wichtige Entscheidungshilfe und Leitlinie für die Auslegung (vgl. BML, Gutachten zur Auslegung von § 11b TierSchG, 2000, Vorwort). Rn 2 Die einzelnen Tatbestandsmerkmale. Geschützt sind alle Wirbeltiere (s. § 4 Rn 2), gleichgültig ob Heimtiere, landw. Nutztiere, wildlebende Tiere o.ä. - Unter Züchten iSv § 11b versteht man die geplante Verpaarung von Tieren (Qualzuchtgutachten S 5). In Art. 1 § 1 des Gesetzes zur Bekämpfung gefährlicher Hunde wird definiert: „Im Sinne dieses Gesetzes ist Zucht jede Vermehrung von Hunden.“ Das Gesetz knüpft direkt an § 11b an (vgl. insbes. Art. 2 Nr. 2). Daher ist es nicht mehr möglich, den Züchtungsbegriff durch zusätzliche Merkmale weiter einzuschränken. - Nachzucht: Kommt es infolge der Tathandlung zur Schädigung eines Fetus, der noch vor der Geburt (bei Vögeln: vor dem Schlupf) abstirbt, so stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt in solchem Fall von „Nachzucht“ oder „Nachkommen“ gesprochen werden kann. Die Entwicklung eines Organismus lässt sich in drei Phasen einteilen: 1. Primitiventwicklung (primäre Organogenese); 2. feinere Ausarbeitung von Form und Struktur; 3. funktionelle Reifung und Integration der Organe. Da die Nachkommen jedenfalls mit Beginn der dritten Phase, die bei Säugetieren spätestens nach dem ersten Drittel der Gravidität und bei Vögeln etwa ab dem 6. bis 9. Bebrütungstag beginnt, Empfindungsfähigkeit entwickeln, sind sie ab diesem Zeitpunkt durch § 11 b geschützt. Während also embryonaler Frühtod nicht erfaßt wird, rechnen zur Nachzucht neben geschädigten Lebendgeburten auch Totgeburten und Feten, wenn sie erst nach dem o.e. Zeitpunkt absterben (Qualzuchtgutachten S 4; vgl. auch Herzog in: DVG-Tagungsband ‘Tierschutz und Tierzucht’ 1997, S 239, 242: Danach beginnt die dritte Phase bei Säugetieren etwa 6 - 7 Wochen nach der Konzeption, spätestens jedoch nach dem ersten Drittel der Gravidität). - Körperteile und Organe sind aus Zellen und Geweben zusammengesetzte Teile des Körpers, die genetisch festgelegte, für die Lebens- und Fortpflanzungsfähigkeit notwendige Funktionen zu erfüllen haben. Für den artgemässen Gebrauch untauglich oder umgestaltet sind sie immer dann, wenn eine dieser Funktionen infolge der züchterischen Einflussnahme nicht mehr ausreichend erfüllt oder ausgeführt werden kann (Qualzuchtgutachten S 7). Auch negative, vom Züchter ungewollte Veränderungen an Organen oder Körperteilen, die mit Zuchtmerkmalen im Zusammenhang stehen, nicht aber mit den durch Zuchtziele beeinflussten Organen oder Körperteilen identisch sind, fallen, soweit sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden einhergehen, unter § 11 b (vgl. Qualzuchtgutachten aaO; Herzog aaO S 245). - Infolge der Untauglichkeit, Umgestaltung usw. muss es zu Schmerzen, Leiden oder Schäden kommen ( s. § 1 Rn 10 - 22). Erheblichkeit braucht nicht gegeben zu sein. „Einfache“ Schmerzen, Leiden usw. reichen aus (vgl. Qualzuchtgutachten S 6). Die Verwendung der Begriffe im Plural bedeutet nicht, dass nicht auch ein einzelner Schmerz, ein einzelnes Leid oder ein einzelner Schaden ausreichend wäre. - Schmerz setzt keine unmittelbare Einwirkung auf das Tier voraus und muß auch nicht zu erkennbaren Abwehrreaktionen führen. - Unter Leiden fallen auch dauerhafte Entbehrungen bei der Befriedigung ererbter arttypischer Verhaltensbedürfnisse. - Ein Schaden liegt bereits vor, wenn der Zustand eines Tieres dauerhaft auch nur geringfügig zum Negativen verändert wird. Er kann auf körperlicher oder psychischer Grundlage erfolgen. Gleichzeitiges Leiden oder Schmerzempfinden muss nicht gegeben sein. Ausreichend sind z.B. zuchtbedingte geringfügige Gleichgewichtsstörungen, zuchtbedingte Stoffwechselstörungen, regelmäßige Schwergeburten oder Folgeschäden, die aufgrund von Zuchtmerkmalen auftreten. Der maximale Schaden, den ein Lebewesen nehmen kann, ist sein Tod (Qualzuchtgutachten S 6, 7; vgl. auch BVerwG NVwZ 1998, 853, 854). - Zuchtformen, bei denen nur durch besondere Massnahmen und Eingriffe das Auftreten von Schmerzen, Leiden oder Schäden zuverlässig und nachhaltig verhindert werden kann, fallen ebenfalls unter § 11 b. Auch eine vorbeugende Tötung eines Tieres, bevor dieses relevante Merkmale ausprägt, kann seine Einstufung als Qualzüchtung nicht verhindern (Qualzuchtgutachten aaO). - Gerechnet werden muss mit den negativen Folgen, wenn sie unter Berücksichtigung der im Zeitpunkt der Tathandlung vorliegenden objektiven Verhältnisse als eine nicht fernliegende, sondern realistische Möglichkeit erscheinen. Maßgebend dafür sind die objektiven Verhältnisse, die notfalls mittels Sachverständigengutachtens zu klären sind. Das Verbot gilt unabhängig von der subjektiven Tatseite, also unabhängig davon, ob der Züchter die Möglichkeit schädigender Folgen erkannt hat oder hätte erkennen müssen (L/M § 11b Rn 4). Rn 3 Eine Rechtfertigung durch vernünftigen Grund ist nicht möglich. Soweit einer der Tatbestände des § 11 b Abs. 1 oder 2 erfüllt ist, kann auch ein hohes menschliches oder wirtschaftliches Interesse die Maßnahme nicht rechtfertigen (vgl. L/M aaO Rn 5; zu den unterschiedlichen Normgruppen im TierSchG s. § 1 Rn 26). Einzige Ausnahmen sind Abs 4 sowie die Fälle des rechtfertigenden Notstands (§§ 34 StGB, 228, 904 BGB). Es ist nicht möglich, an die Züchtung von Tieren, die der landwirtschaftlichen Produktion dienen, einen weniger strengen Maßstab anzulegen als in der Heimtierzucht (Herzog aaO S 245). II. Bio- oder gentechnische Maßnahmen, Abs. 1 Rn 4 Biotechnologie kann definiert werden als Einsatz und Nutzung lebender Organismen (oder ihrer Bestandteile) zur Herstellung, Modifikation oder zum Abbau von Substanzen. In der Tierzucht wird unter Biotechnik die Analyse sowie Beeinflussung von Körperstrukturen und -funktionen mit Hilfe zell- und molekularbiologischer Verfahren verstanden. Diese Verfahren lassen sich in drei Hauptgruppen einteilen: Zell- und fortpflanzungsbiologische Verfahren (insbes. künstl. Besamung, Beeinflussung der Geschlechtsreife, Embryotransfer, Invitro-Produktion von Embryonen, Klonierung, Erzeugung von Chimären, Kombination von Chromosomensätzen oder Genomteilen), molekulare Gendiagnostik sowie In-vitroMutagenese und Gentransfer einschl. Gene-farming (Geldermann in: DVG-Tagungsband aaO S 25 ff). - Für gentechnische Veränderungen ist kennzeichnend, dass nicht (wie bei der Züchtung) das gesamte Erbgut zweier Individuen gekreuzt wird, sondern einzelne, fremde Gene aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang entfernt und einem anderen zugefügt werden (Idel TU 1998, 83). - Im Unterschied zur Züchtung wird hier auch das veränderte Tier selbst vor einer Untauglichkeit bzw. Umgestaltung seiner Körperteile und Organe und hierdurch verursachten (einfachen) Schmerzen, Leiden oder Schäden geschützt. III. Spezielle Verbote, Abs. 2 Rn 5 Auch ohne die Untauglichkeit bzw. Umgestaltung von Körperteilen oder Organen ist § 11 b verletzt, wenn es als Folge der Züchtung (bzw. der bio- oder gentechnischen Veränderung) zu erblich bedingten, mit Leiden verbundenen Verhaltensstörungen oder zu erblich bedingten Aggressionsteigerungen kommt (lit. a); ebenso, wenn die Haltung des Tieres nur noch unter Bedingungen möglich ist, die bei ihm zu Schmerzen, vermeidbaren Leiden oder Schäden führen (lit. c). - Verhaltensstörungen sind regelmässig mit Leiden verbunden. Nach der Rechtsprechung sind sie sogar Indikatoren für erhebliche Leiden (s. § 17 Rn 9-14; vgl. auch Qualzuchtgutachten S 32: Bereits in der Verhinderung von artgemässem Sozialverhalten als Folge hypertropher Aggressivität manifestiert sich eine Form des Leidens). - Bei Erlass des ÄndG 1998 wurde besonders an das Herauszüchten übermässiger Aggressivität bei Hunden gedacht (BT-Drs 13/7015 S. 22). Sie zeigt sich augenfällig daran, dass jeder Sozialkontakt mit Aggression und Beschädigungsbeissen beantwortet wird und sich die Beisshemmung gegenüber Sozialpartnern, insbesondere gegen Artgenossen nicht entwickeln kann (vgl. Qualzuchtgutachten S 32). Zu den Symptomen einer übersteigerten Agressivität s. auch § 3 Rn 50. - Haltungsbedingungen, die bei Hunden zu Leiden iSv lit. c führen, sind die kontinuierliche Zwinger- oder Anbindehaltung (Hackbarth/Lückert S. 65), wohl aber auch schon der andauernde Leinen- und insbesondere der Maulkorbzwang (s. § 3 Rn 51) . IV. Zuchtverbote und Empfehlungen aus dem speziellen Teil des Qualzuchtgutachtens. Rn 6 In dem BML-Gutachten heisst es: „Zuchtverbote werden empfohlen für Tiere, die Träger von Genen bzw. eindeutig erblich bedingten Merkmalen sind, welche für den Züchter direkt erkennbar oder diagnostisch zugänglich sind und bei der Nachzucht zu mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbundenen Merkmalen führen können. Dabei ist unerheblich, ob mit solchen Genen oder Merkmalen direkt oder indirekt gezüchtet wird“ (S 14). Daneben werden weitere Empfehlungen ausgesprochen, insbesondere zur Festlegung von Grenzen der Merkmalsausprägung sowie zu Überwachung und Kennzeichnung. Rn 7 Mit Bezug auf Hunde werden folgende Verbote ausgesprochen: Zuchtverbot für Tiere verschiedener Rassen mit blaugrauer Farbaufhellung (Begrd.: u.a. Disposition zu Haarausfall und Hautentzündungen). Zuchtverbot für Tiere, die neben Schwanzveränderungen (Knickund Korkenzieherschwanz, Schwanzverkürzung, Schwanzlosigkeit) auch Wirbeldefekte an weiteren Abschnitten der Wirbelsäule aufweisen. Zuchtverbot für Tiere, die mit Dermoidzysten behaftet sind. Zuchtverbot für verschiedene Collie-Zuchtlinien bei silbergrauer Farbaufhellung bzw. wenn der Hund bekannter Träger des Defektgens ist (Begrd.: u.a. Disposition zu mangelhafter Blutgerinnung und zu Infektionen). Zuchtverbot für Nackthunde und Träger des Defektgens (Begrd.: u.a. regelmässig auftretende schwere Gebissanomalien); Zuchtverbot für Merle-Weisstiger (MM) und den Paarungstyp Tiger x Tiger (Mm x Mm), u. a. wegen hierdurch bedingter Einschränkungen der Seh- und Hörfähigkeit. Zuchtverbot für Tiere mit extremer Rundköpfigkeit, insbes. disproportionierter Verkürzung der Gesichtsknochen (Begrd.: u.a. Atem- und Schluckbeschwerden und Störungen der Thermoregulation); Zuchtverbot für Tiere mit auswärtsgerolltem unterem Augenlidrand (Begrd.: unvollständiger Lidschluss, dadurch u.a. Tränenfluss). Zuchtverbot für Tiere mit einwärtsgerolltem Augenlidrand (Begrd.: u.a. hierdurch verursachte Horn- und Bindehautirritationen). Zuchtverbot für Tiere mit Hüftgelenkdysplasie. Zuchtverbot für Tiere, die einen der folgenden monogen vererbten Defekte zeigen, sowie für bekannte heterozygote Defektgenträger: Albinismus, Albinismus oculi, Augenlidkolobom, Verkürzung des Unterkiefers, Gesichtsspalten, Hämophilie A/ Hämophilie B, Hörschäden, Keratis nigricans, Linsenluxation, Lipodystrophie, idiopathische Myoklonie, Pankreas-Atrophie, progressive Retina-Atrophie, Retinadysplasie, Zahnfehler. Zuchtverbot für Tiere, bei denen einer der folgenden oligo- oder polygen vererbten Defekte nachgewiesen ist: Collie-Augenanomalie, Kiefergelenkdysplasie, Perthes-Krankheit. Ein auf bestimmte Hunderassen oder Zuchtlinien gerichtetes Zuchtverbot wegen Aggressionssteigerungen wird dagegen nicht ausgesprochen. Gefordert wird stattdessen ein Wesenstest für alle potentiellen Zuchttiere sowie ein Zuchtverbot für solche Tiere, die den Wesenstest nicht bestehen (zum Problem „gefährlicher Hund“ s. TierschutzhundeVO, Einfhrg.). - Weitere Empfehlungen u. a.: Verzicht auf Korkenzieherrute im Rassestandard; Zucht gegen die Mermalsausprägung „langer und gerader Rücken und ausgeprägte Kurzbeinigkeit“; genereller Verzicht auf Zucht mit dem Merle-Gen; Festlegung von Grenzwerten für Rundköpfigkeit und Verkürzung von Gesichtsknochen; Zuchtverbot gegen eine Übertypisierung zu schlaffer und faltiger Haut; Selektion gegen Schnellwüchsigkeit; grundsätzlicher Verzicht auf die Verpaarung von Verwandten, zumindest aber von engen Verwandten (vgl. Qualzuchtgutachten S 15-35). Rn 8 Verbote mit Bezug auf Katzen: Zuchtverbot für kurzschwänzige oder schwanzlose Manx- und Cymric-Katzen (Begrd.: u.a. ist der Schwanz zum Ausbalancieren und als Kommunikationsmittel nötig). Zuchtverbot für weisse Tiere, deren Fellfarbe durch das Gen W determiniert ist (Begrd.: Gefahr von Schwerhörigkeit bzw. Taubheit). Zuchtverbot für weiße Tiere mit Hör- oder Sehschäden. Zuchtverbot für Tiere mit Fd-Gen determinierten Kippohren (Begrd.: Ohren dienen als Signalgeber bei sozialen Kontakten). Zuchtverbot für Tiere, bei denen die Tasthaare fehlen (denn diese sind ein wesentliches Sinnesorgan der Katze). Zuchtverbot für Rex- und Sphinxkatzen, bei denen die Tasthaare stark verkürzt oder gekräuselt sind. Zuchtverbot bei Polydaktylie (d. h. überzählige Zehen an den Pfoten). Zuchtverbot für extrem kurznasige Tiere. Zuchtverbot für brachyzephale, d. h. kurzköpfige Tiere mit Geburtsstörungen oder Anomalien im Bereich des Gesichtsschädels, insbes. verkürztem Oberkiefer, verengten Tränennasenkanälen oder verengten oberen Atemwegen. Zuchtverbot für Tiere mit einwärtsgedrehtem Augenlidrand (Begrd.: Irritationen der Hornund Bindehaut); Zuchtverbote für Träger eines der folgenden monogen vererbten Einzeldefekte und bekannte Träger des Defektgens: Beidseitige Linsentrübung mit Sehstörungen, Chediak-Higashi-Syndrom, progressive neurale Funktionsstörungen, Hämophilie, Hernia cerebri, Zwerchfellhernie, Knickschwanz, Känguruhbeine, lysosomale Speicherkrankheit, Muskeldystrophie, polyzystische Nierenerkrankung, progressive RetinaAtrophie, Zahnfehler. Zuchtverbot für Tiere mit einem der folgenden oligogen oder polygen vererbten Einzeldefekte: Gesichtsspalten, Hüftgelenkdysplasie, Key-Gaskell-Syndrom, Knochenbrüchigkeit sowie Bänderschwäche, Patellaluxation. - Weitere Empfehlungen u.a.: Kurzschwänzige Japanese Bobtail-Katzen sind vor der Zulassung zur Zucht auf eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit im Schwanzbereich sowie auf mögliche Wirbelverwachsungen zu untersuchen. Genanalyse bei weissen Katzen, sofern nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Fellfarbe durch das Gen W determiniert ist (zu Gehörschäden bei weissen Katzen vgl. auch AG Kassel NStE Nr. 1 zu § 11 b TierSchG); audiometrische und ophtalmologische Untersuchung weisser bzw. vorwiegend weisser Katzen vor der Zulassung zur Zucht; Änderung des Rassestandards bei Rex- und Sphinx-Katzen zur Vermeidung von Tieren, bei denen die Tasthaare stark verkürzt oder gekräuselt sind; Verzicht auf Zucht mit Trägern des Merkmals „Kurzläufigkeit“ (vgl. Qualzuchtgutachten S 36 - 53). Rn 9 Verbote mit Bezug auf Kaninchen: Verbot der Verpaarung Schecke x Schecke (Begrd.: erhöhte Jungtiersterblichkeit und Konstitutionsschwäche). Zuchtverbot für Zwerg x Zwerg unter 1,0 kg Lebendgewicht für ausgewachsene Tiere (Begrd.: homozygote Zwergkaninchen sind nicht lebensfähig, heterozygote Tiere weisen viele Krankheitsdispositionen auf). Verbot der Erzeugung von Typenschecken als Zwerge. Zuchtverbot für Kaninchen mit Zahnanomalien bzw. Störungen des Tränenabflusses. Zuchtverbot für Träger einer der folgenden Anomalien und bekannte Träger des Defektgens: Schüttellähmung, Spastische Spinalparalyse, Spaltbildung im Rückenmark. Zuchtverbot für Widderkaninchen, deren Ohrspitzen in Kauerstellung den Boden berühren (Begrd.: Bewegungseinschränkung und hohe Verletzungsgefahr). Zuchtverbot für Tiere mit extremer Rundköpfigkeit oder Verkürzung eines Kiefers (Begrd.: u.a. findet infolge der Kieferverkürzung kein ausreichender Abrieb der Schneidezähne statt). - Weitere Empfehlungen u.a.: Vermeidung der Verpaarung von Verwandten, zumindest aber von engen Verwandten; Festlegung einer maximalen Ohrlänge, die so zu wählen ist, dass Bewegungseinschränkung und Verletzungsgefahr nicht gegeben sind (vgl. Qualzuchtgutachten S 54 - 60). Rn 10 Verbote mit Bezug auf Vögel: Zuchtverbot für seidenfiedrige Tauben (Begrd.: eingeschränktes Flugvermögen bzw. Flugunfähigkeit). Verbot der Verpaarung von Tauben, die beide Träger des „Almond“-Gens oder des „Dominant-Opal“-Gens sind (Begrd.: prä- und postnatale Jungtierverluste; häufiges starkes Kopfzittern). Zuchtverbot für Tauben mit sichtund/oder atmungsbehindernden Schnabelwarzen und Augenringen. Zuchtverbot für Tauben mit erweiterten Kropfsäcken oder Hängekröpfen (Begrd.: Kropfwandentzündungen infolge Fehlgärung und Fäulnisbildung von Kropfinhalt). Zuchtverbot für Tauben mit Anzeichen degenerativer Gelenkerkrankungen. Zuchtverbot für Tauben mit extremer Schnabelverkürzung oder Schnabelmissbildung. Zuchtverbot für Bodenpurzler (Begrd.: eingeschränktes Flugvermögen bzw. Flugunfähigkeit). Zuchtverbot für durch Federhauben oder Federwirbel sichtbehinderte Haustauben. - Zuchtverbot für Enten mit Anzeichen degenerativer Gelenkerkrankungen und/oder Gleichgewichtsstörungen. - Zuchtverbot für Hühner mit Ohrbommeln (Begrd.: hohe Embryonalsterblichkeit und signifikant gesteigerte Jungtiermortalität). Verbot der Verpaarung von Hühnern, die in beiden Geschlechtern den Krüper-Faktor, der eine Verkürzung der Läufe bewirkt, besitzen (Begrd.: hohe Embryonalsterblichkeit). Zuchtverbot für durch Federhauben sichtbehinderte Haushühner. Verbot der Verpaarung von Zebrafinken, die beide das Gen für die Ausbildung einer Federhaube oder das „Dominant-Pastell“-Gen oder das „Wangen“-Gen besitzen (Begrd.: die beiden erstgenannten Gene stellen bei Homozygotie einen Letalfaktor dar und das „Wangen“Gen führt zu gehäuften Anomalien des optischen Apparats). - Verbot der Verpaarung von Japanischen Mövchen, die beide das Gen für die Ausbildung einer Federhaube oder einer Federrossette besitzen (Begrd.: beide Gene stellen bei Homozygotie einen Letalfaktor dar). Zuchtverbot für Japanische Mövchen mit der Kombination Federhaube und Federrossette (Begrd.: eingeschränktes Flugvermögen). - Verbot der Verpaarung von Kanarienvögeln, die beide das Gen für die Ausbildung einer Federhaube, das Gen für „intensive Gefiederfärbung“ oder das Gen für „dominant weisse Gefiederfärbung“ tragen (Begrd.: diese Gene führen bei Homozygotie zu häufigem Embryonaltod). Zuchtverbot für rezessiv-weisse Kanarienvögel (Begrd.: genetisch determinierte Störung des Vitamin-A-Stoffwechsels). Zuchtverbot für durch Federhauben bzw. übermäßige periokuläre Befiederung sichtbehinderte Kanarienvögel. Verbot der Verpaarung mangelhaft befiederter Kanarienvögel untereinander. - Weitere Empfehlungen u.a.: Begrenzung der Fussbefiederung bei Tauben auf ein Ausmass, welches Verhaltens- und Lokomotionsbeeinträchtigungen vermeidet. Bezüglich der bei diversen Taubenrassen züchterisch geförderten unphysiologischen Stellung der Hintergliedmassen mit gestreckten Intertarsalgelenken wird „dringend empfohlen“, nicht auf Merkmale zu züchten, die zu einer erhöhten Belastungsanfälligkeit führen. Bei Flugrollertauben Selektion auf vermindertes Flugrollverhalten, da Rollertauben grundsätzlich auch zu normalem Schlagflug befähigt sein müssen. Begrenzung von Federhauben und Federwirbelbildungen bei Tauben auf ein Ausmass, welches keine Verhaltensbeeinträchtigungen in sich bergen darf. SchauWellensittiche dürfen nicht apathisch und nicht sichtbehindert sein. Sind bei einem Wellensittich-Zuchtpaar in der Nachzucht „feather duster“ (= abnormales Federwachstum) aufgetreten, müssen die Elterntiere und auch die nicht geschädigten Nachkommen aus der Zucht genommen werden. Die Wammenausbildung bei Toulouser Gänsen darf nur einen Ausprägungsgrad erreichen, durch den Fortbewegung, Fortpflanzung und andere Funktionskreise des Normalverhaltens nicht beeinträchtigt werden. Eine bei Enten als Zuchtziel angestrebte extrem aufrechte Körperhaltung darf keine Disposition zu Schmerzen, Leiden oder Schäden in sich bergen, und es ist vorrangig auf den Erhalt der vollen Funktionalität von Körperteilen und Organen sowie harmonischen Körperbau zu achten. Bei Hühnern, insbes. Krüpern und Chabos, müssen Übertypisierungen hinsichtlich einer extremen Laufverkürzung mit daraus resultierenden Beeinträchtigungen arttypischer Verhaltensabläufe vermieden werden. Federhaubengrössen müssen auf ein Ausmass beschränkt werden, welches das Verhalten nicht beeinträchtigt. Federbildungen unterhalb des Schnabelansatzes und an der Kehle müssen so beschaffen sein, dass eine Einschränkung des Sehfeldes ausgeschlossen werden kann. Die Fussbefiederung ist auf ein Ausmass zu begrenzen, das Verhalten und Lokomotion nicht beeinträchtigt. Das Erzielen von Überlängen des Schwanzgefieders durch tierschutzwidrige Haltungsbedingungen (z. B. bei der Haltung von Onagadori-Hähnen in „Schrankkäfigen“ auf Sitzstangen, weil bei Auslaufhaltung das Federwachstum stagnieren und die Federn in normalem Zyklus gemausert würden) ist unzulässig. Bei Zebrafinken sind übertypisierte Haubenbildungen, die zu Sichtbehinderungen führen, zu vermeiden, ebenso bei Japanischen Mövchen. Auch bei der Zucht von Kanarienvögeln mit Federhaube oder mit Langfiedrigkeit ist zu beachten, dass eine Einschränkung des Gesichtsfeldes ausgeschlossen sein muss. Bezüglich „gebogener“ Positurkanarienvögel (u. a. Gibber Italicus und Bossu Belge) wird „dringend empfohlen“, nicht auf Merkmale zu züchten, die Symptome einer erhöhten Belastungsanfälligkeit darstellen (z.B. ständiges Stehen mit durchgedrückten Intertarsalgelenken und senkrechter Körperhaltung mit nach vorn gebogenem Hals). Wachstumsanomalien der Zehenkrallen (Korkenzieherkrallen) durch tierschutzwidrige Haltungsbedingungen, insbes. durch Sitzgelegenheiten mit zu geringem Durchmesser zu begünstigen, ist unzulässig (Qualzuchtgutachten S 61-108). V. Weitere Fälle, in denen eine Verletzung von § 11 b naheliegt. Rn 11 Zahlreiche Fälle von Qualzuchten beschreiben Bartels/Wegner in: „Fehlentwicklungen in der Haustierzucht“. Folgende Beispielsfälle, die sich z.T. mit den Verboten und Empfehlungen in Rn 7-10 überschneiden, seien erwähnt: Zwergkaninchen, auch bei Heterozygoten-Verpaarung (S 3); extrem verzwergte Hunde mit Tendenzen zu Wasserköpfen und persistierenden Fontanellen (S 5, 80); vollfleischige Schweine mit rasanten täglichen Zunahmen und hierdurch bedingter Krankheitsanfälligkeit und Beinschwäche (S 9, 10; s. auch u. Rn 12); Puten mit überbetonter Brustmuskulatur und dadurch hervorgerufener Unfähigkeit zu normaler Fortpflanzung (S 9, 12; s. auch u. Rn 14); grosswüchsige, schwergewichtige und dadurch flugunfähige Gänse-, Enten- und Hühnerrassen (S 9); grosse, breit- oder rundköpfige Schauwellensittiche mit Lethargie und Erkrankungsdispositionen (S 10); auf „Doppellendigkeit“ selektierte Fleischrinder mit regelmässigen Schwergeburten und Kaiserschnittentbindungen (S 11; s. auch Wegner in Sambraus/Steiger S 557); Hunde und Katzen mit übertriebener Brachyzephalie (Kurzköpfigkeit) und/oder starker Gesichtsfaltenbildung (S 13, 15); Haubenhühner und -tauben mit blasig aufgetriebenen Stirnbeinen (S 15, 16); Goldfische mit Schädelveränderungen, abnorm verkleinerter Mundöffnung, gestauchter Wirbelsäule und/oder Blasenaugen, Teleskopaugen oder senkrecht nach oben stehenden Augen (S 18, 24; s. auch Kölle/Hoffmann, DVG-Tagungsband „Tierschutz und Tierzucht“ 1997, S 178); schwanzlose Kaulhühner mit erhöhter Kükenmortalität (S 23); Broiler mit „irrsinnigen“ täglichen Zunahmen und dadurch bewirkten Beinverdrehungen und Dyschondroplasie (S 26; s. auch u. Rn 15); Goldfische (insbes. Schleierschwänze und Triangel-Guppys) und Zuchtkarpfen mit überproprtional vergrösserten Flossen (S 28, 29; s. auch Kölle/Hoffmann aaO); Goldfische mit Epidermiswucherungen auf dem Kopf, sog. Kappenfische, Löwenköpfe oder Bullenköpfe (S 36; s. auch Kölle/Hoffmann aaO); Angorakaninchen, Goldhamster und Meerschweinchen mit exzessiver Haarfülle (S 37); Wellensittiche mit abnormem Federwachstum (S 38); Hausenten mit Federhauben und hierdurch verursachten Abweichungen in der Schädel- und Hirnanatomie (S 40; s. auch Bartels et al., DVG-Tagungsband „Tierschutz und Tierzucht“ 1997, S 154 ff.); struppfiedrige, weitgehend flugunfähige Hühner (S 48); Lockengänse mit eingeschränkter Vitalität und Fruchtbarkeit (S 48); Nackthunde und Nacktkatzen (S 49); Albino-Mutationen bei Reptilien, Amphibien und Fischen (S 57); farbverblasste Pelztiermutanten (S 58); weisse, dadurch taube Hedlund-Nerze (S 66); Appaloosa-Pferde mit Disposition zur Nachtblindheit (S 66); Laufenten, die infolge unphysiologischer Stellung der Intertarsalgelenke „Weinflaschen auf Beinen“ genannt werden (S 71); gestreckte und gebogene Positurkanarienvögel mit hoher Erregbarkeit und schlechter Fruchtbarkeit (S 71); zitterhalsige Haustauben (S 72); hyperaggressive Hunde (S 75 ff). Rn 12 Schwein. Die einseitige Züchtung auf beschleunigtes Wachstum, hohe Fleischfülle und hohen Magerfleischanteil bewirkt beim Mastschwein das gehäufte Auftreten von Belastungsmyopathien und Osteochondrosen. - Belastungsmyopathien äussern sich in Form von Todesfällen infolge von Herzinsuffizienz und kardiogenem Schock sowie in Muskeldegenerationen und -nekrosen und Fleischqualitätsmängeln. 15-30% der deutschen Schlachtschweine liefern minderwertiges PSE-Fleisch. Allein auf dem Transport sterben in Deutschland 0,5% der Tiere (zum Vergleich: Dänemark züchtet seit etwa 10 Jahren auf Stressresistenz unter Inkaufnahme kleinerer Koteletts mit der Folge, dass die Schlachttiertransportsterblichkeit dort mit 0,03% weniger als ein Zehntel beträgt; auch in England, Italien, den Niederlanden und Portugal ist sie deutlich niedriger, vgl. dazu Bickhardt in: DVG-Tagungsband aaO S 97, 106). - Osteochondrosen entstehen, weil der beschleunigte Fleischansatz im 4. und 5. Lebensmonat mit täglichen Zunahmen von bis zu einem Kilogramm das jugendliche Skelett, das erst mit drei bis vier Jahren ausgereift wäre, überfordert. Folgen sind Schmerzvermeidungshaltungen, Bewegungsstörungen, Lahmheit („leg weakness“) und später irreparable Arthrosen. - Eine wesentliche Ursache für diese Situation ist die Praxis vieler deutscher Handelsketten, Mastschweine nur dann in Markenfleischprogramme aufzunehmen, wenn sie im Alter von 175 Tagen 100 kg Lebendmasse mit einem Magerfleischanteil von über 52 % und einem Kotelett-Durchmesser von über 57 mm aufweisen. - Die genannten negativen Folgen sind Schäden und verursachen großenteils auch Schmerzen. Erforderlich sind deshalb zumindest folgende Massnahmen: 1. Vollständiger Verzicht auf Zuchttiere, die homozygote oder heterozygote Träger des an der Belastungsmyopathie beteiligten MHS-Gens sind; 2. Einführung einer Leistungsprüfung und Zuchtwertschätzung hinsichtlich der Gliedmaßengesundheit; 3. Vernünftige Begrenzung der Fleischfülle und des Magerfleischanteils (vgl. zum Ganzen: Wendt AtD 2001, 131 ff.; Bickhardt TU 1998, 129 ff.; Wenzlawowicz TU 1998, 122 ff.; Idel TU 1998, 84; L/M aaO Rn 22; Wegner in: Sambraus/Steiger S 558). Rn 13 Milchkuh. Die einseitige Leistungszucht auf hohe jährliche Milchmengenleistungen hat bei Milchkühen zu einem starken Anstieg der vorzeitigen Abgänge infolge von Stoffwechsel- und Fruchtbarkeitsstörungen, Labmagenverlagerungen sowie Klauen-, Gliedmassen- und Eutererkrankungen geführt. Mitursächlich sind Fütterungsfehler (hohe Kraftfutter- und niedrige Rauhfutteranteile) und Haltungsmängel (nicht oder nicht ausreichend eingestreute Liegebereiche trotz hoher Verletzungsanfälligkeit der Euter; Immunsuppression durch hohe Besatzdichten, fehlende Bewegung und mangelnde Klima- und Temperaturreize). - Zwischen 1960 und 1995 ist die jährliche Milchmengenleistung pro Kuh um 55 % erhöht worden. In der gleichen Zeit haben sich die vorzeitigen Abgänge infolge von Fruchtbarkeitsstörungen um 51 %, von Klauen- und Gliedmassenschäden um 367 % und von Eutererkrankungen um 600 % erhöht (Sommer, DVG-Tagungsband „Tierschutz und Tierzucht“ 1997, S. 83). In Hochleistungsherden leidet mittlerweile jede dritte bis vierte Kuh an akuten oder chronischen Euterentzündungen, denn die enorme Milchleistung wird aus gewaltig vergrösserten Drüsen erstellt, die anfällig für Traumatisierungen, Verschmutzungen und Erregereintritt sind. Diese Entzündungen sind zweifellos schmerzhaft (Wegner in: Sambraus/Steiger S 556, 557). Labmagenverlagerungen betreffen in manchen Beständen bereits 25 % der Tiere. - Diese Entwicklung ist zugleich extrem unwirtschaftlich: Die durchschnittliche Nutzungsdauer von Kühen in Hochleistungsherden beträgt etwa 3,6 Jahre, weil viele Tiere wegen Krankheit oder Sterilität vorzeitig geschlachtet werden. Demgegenüber liegt die mittlere Nutzungsdauer einer Kuh bei altersbedingtem Abgang bei etwa 8,6 Jahren. Bei vorzeitigem Abgang entgehen also dem Landwirt fünf Jahre Nutzungsdauer, d.h. über 40.000 kg Milch; hinzu kommen die Kosten für tierärztliche Behandlungen und Bestandsergänzung. - § 11b erfordert ein Abgehen von den bisherigen Zuchtzielen zugunsten einer Selektion auf Langlebigkeit, hohe Lebensleistung, Krankheitsresistenz und flache Laktationskurven (vgl. Lotthammer TU 1999, 544 ff.; Winckler/Breves TU 1998, 119 ff.; Wegner, aaO). Rn 14 Pute. Puten werden auf schnelles Wachstum, hohes Endgewicht und Überbetonung der Brustmuskulatur gezüchtet. Während ein wilder Truthahn mit ca. 26 Wochen ein Endgewicht von 7 kg erreicht, wiegt ein B.U.T Big 6-Truthahn bei Mastende nach 22 Wochen ca. 21 kg und hat einen Brustmuskelanteil (ohne Haut und Knochen) von 23-28% seines Lebendgewichts. - Folgen: Analog zum Schwein entstehen Myopathien. Zudem führt der hohe Brustmuskelanteil zu einer Verlagerung des Körperschwerpunkts nach vorn-unten. Dies bewirkt u. a. die Unfähigkeit zu normaler Fortpflanzung. Gleichzeitig werden die Oberschenkel durch das hohe Gewicht nach aussen gedrückt und die Kniegelenke unphysiologisch belastet, so daß lahmheitsbedingte Gelenk-, Knochen- und Knorpelschäden epidemische Ausmaße annehmen und die Mehrzahl der Tiere chronisch leidet (vgl. Wegner in: Sambraus/Steiger S 560). - Nach Untersuchungen, die in der Schweiz durchgeführt worden sind, haben 85-97 % der B.U.T. 9-Hähne und der B.U.T. big 6-Hähne bei Mastende keine normale Beinstellung und Fortbewegung mehr und leiden an tibialer Dyschondroplasie (= unvollständige Verknöcherung der Unterschenkelknochen). Zusätzlich zu der behinderten Lokomotion treten weitere Verhaltensstörungen auf: Erhöhte Sitzstangen können nicht mehr auf natürliche Weise erreicht werden; wegen der Brustbreite lassen sich nicht mehr alle Körperteile mit dem Schnabel erreichen und arttypisch putzen; das häufige gewichtsbedingte Liegen auf der feuchten Einstreu bedingt die Bildung von Brustblasen (bei 20-35% der Tiere, vgl Burdick et al S 88). - Die zuchtbedingte Umgestaltung von Organen führt somit zu vielfältigen Schäden, die zum Teil mit Schmerzen verbunden sind. Auch Vermehrungsbetriebe, die sich auf den Import von Eiern bestimmter Zuchtlinien beschränken und diese ausbrüten lassen, betreiben Zucht iSd § 11b (s.o. Rn 2). Erforderlich ist eine Beschränkung auf langsam wüchsige Robustrassen und Zuchtlinien mit weniger hohem Endgewicht und geringerem Brustmuskelanteil (vgl. dazu die Beispiele bei Hirt TU 1998, 137 <„Bétina“> und 139). Die tatsächliche Entwicklung verläuft indes gegenteilig: Bei der B.U.T. Big 6 plus-Hybride hat der Brustfleischanteil um weitere 5% zugenommen (vgl. Hirt aaO; vgl. weiter: Oester/Fröhlich in: Sambraus/Steiger, S 209, 210; Burdick et al S 88; Wegner aaO). Rn 15 Masthuhn. - Auch bei Masthühnern („Broilern“) wird vorrangig auf hohes Jugendkörpergewicht, extrem schnelles Muskelwachstum und die Ausbildung grosser Muskelpartien an Brust und Schenkel gezüchtet. Unter intensiver Kurzmast erreichen männliche Broiler in 35 Tagen durchschnittliche Lebendgewichte von 1,4 bis 1,6 kg, das entspricht täglichen Zunahmen von 40 bis 47g. - Folgen: Skelettanomalien (die schnell wachsenden Tiere zeigen häufig eine Abknickung in Höhe des 6. Brustwirbels, wobei dieser Wirbel verlagert und verdreht ist; dies bedingt eine schmerzhafte Einengung des Wirbelkanals); Beinschäden durch Knorpelstörungen und Knochenverformungen, weil das Knochenwachstum mit dem rasanten Muskelwachstum nicht Schritt halten kann; HerzKreislauf-Erkrankungen und zahlreiche Fälle von plötzlichem Herztod; zunehmende Verfettung (die Durchschnittswerte für Broiler nach 6 Wochen liegen bei 1,5 - 3,5 % Abdominalfett, bei männlichen Legehybriden dagegen bei 0,2 %). - „Innerhalb von fünf Wochen erreichen die Tiere das 40fache ihres Ausgangsgewichts. Herz und Knochen können bei dieser rasanten Fleischzunahme nicht mithalten, verkrüppelte Beine und Kreislaufstörungen sind die Folge“ (Aus: „Für ein Ethos der Mitgeschöpflichkeit“, Wort der Kirchenleitung der Nordelbischen Evang.-Luth. Kirche zum 4. 10. 1998). - Durch die Umgestaltung von Organen kommt es neben den beschriebenen Schäden und Schmerzen zu Störungen im Verhalten: Im Alter von 5 Wochen verbringen Broiler mehr als 80 % ihrer Zeit mit Sitzen und Liegen (Legehybriden dagegen nur 20 %); Körperpflegeverhalten fällt mehr und mehr aus; der hohe Anteil an Sitzen und Liegen bewirkt Brustblasen und Brustbeindeformationen. - § 11b erfordert die Verwendung von weniger schnellwüchsigen Rassen. Z.B. haben Tiere aus den Herkünften ISA JA 57 und Sasso 551 geringere Tageszunahmen und dementsprechend weniger Schmerzen und Schäden. Weitere Abhilfe brächte die Erhöhung der Bewegungsaktivität durch Anreize zum Erkunden, Sitzstangen und geringere Besatzdichten (vgl. Löhnert et al. DTW 1996, 92 ff.; Burdick S 60/61; Gerken DVG-Tagungsband „Tierschutz und Tierzucht“ 1997, S 116 ff.; Reiter et al DVG aaO S 162 ff.; Wegner aaO S 560). Rn 16 Legehenne. Vorrangige Zuchtziele sind hohe Eizahl und hohes Eigewicht (Legeleistung des asiat. Bankivahuhns: 6 - 12 Eier/Jahr; Legeleistung einer Hofhenne 1935: 108 Eier/Jahr; Legeleistung einer heutigen Hybridhenne 270 - 300 Eier/Jahr). - Folgen (die durch einseitige Ernährung, reizarme Umgebung und mangelnde Bewegung begünstigt werden) sind u.a.: Fettlebersyndrom (Tiere aus Käfighaltung zeigen einen hohen Anteil an Leberrupturen); Knochenschwäche und Knochenverformungen; Bindegewebs- und Muskelschwäche; erhöhte Aggressivität bei Selektion auf Frühreife; zahlreiche Verhaltensstörungen. Möglicherweise gibt es eine positive Korrelation zwischen hoher Legeleistung einerseits und Neigung zum Federpicken andererseits, insbesondere bei gleichzeitiger Selektion auf leichtes Körpergewicht. - Abhilfe: Haltungsbedingungen iSd § 2 Nr. 1 können viele der Folgen abmildern (zu den Verhaltensbedürfnissen s. TierschutzNutztierVO Rn ... ). Einen grossen Einfluss auf das Verhindern von Federpicken während der Aufzucht haben ein zum Staubbaden und Futtersuchen geeignetes Substrat, Beleuchtungsprogramme, die der Zuchtlinie angepasst sind sowie das Vorhandensein von erhöhten Sitzstangen (Oester/Fröhlich in: Sambraus/Steiger S. 205). VI. Die Absätze 4, 5 und 6. Rn 17 Nach Abs 3 kann die zuständige Behörde (s. § 15) das Unfruchtbarmachen anordnen. Gem. § 1 S. 2 muss dafür das im konkreten Fall schonendste Mitel gewählt werden, was sowohl die Entscheidung „Kastration oder Sterilisation“ als auch die Auswahl der Methode steuert (vgl. zu den Nachteilen von Kastrationen bei Hunden Etscheidt, Tierärztl. Praxis 2001; 29 K, 152, 161). Rn 18 Die Ausnahme nach Abs 4 setzt voraus, dass mit dem gezüchteten bzw. veränderten Tier ein wissenschaftlicher Zweck verfolgt wird und dass die Qualzüchtung bzw. die Veränderung dafür erforderlich ist (L/M § 11 b Rn 10). Daran fehlt es, wenn zur Erreichung des Zweckes (z. B. Beantwortung einer wissenschaftlichen Fragestellung) ein anderes, Tiere weniger stark belastendes Mittel zur Verfügung steht, mag dessen Einsatz auch mit höherem Zeit- und Arbeitsaufwand und höheren Kosten verbunden sein ( s. § 9 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 Rn ... und § 1 Rn 37; vgl. auch L/M § 1 Rn 77 und § 9 Rn 24 ). Rn 19 Die RechtsVO nach Abs. 5 soll Qualzuchten sowie bio- oder gentechnische Veränderungen näher bestimmen, verbieten oder beschränken, „soweit es zum Schutz der Tiere erforderlich ist“. Der Verordnungsgeber soll diejenigen Regelungen treffen, deren es bedarf, um Verstösse gegen Abs. 1 und Abs. 2, mit denen nach der Lebenserfahrung im Sinne einer realistischen Möglichkeit gerechnet werden muss, künftig zu verhindern. - Dabei ist zu beachten, dass die Verbote von Abs. 1 und 2, die den Ermächtigungsrahmen iSd Art. 80 GG bilden, nicht unter Abwägungsvorbehalt stehen, auch nicht für den Bereich der Züchtung landwirtschaftlicher Nutztiere (s.o. Rn 3). - Die RechtsVO wird damit die Zuchtverbote und Empfehlungen des Qualzuchtgutachtens umzusetzen haben. Sie muss darüber hinaus, weil auch dies „zum Schutz der Tiere erforderlich ist“, die in Rn 11 beschriebenen Qualzuchten verbieten oder beschränken. Für den Bereich der Nutztierzüchtung hat sie diejenigen Beschränkungen vorzusehen, die notwendig sind, damit Abs 1 künftig nicht mehr verletzt wird. Dies bedeutet: Züchtung auf lange Nutzungsdauer, hohe Lebensleistung, Krankheitsresistenz und Robustheit statt auf kurzfristige Höchstleistung. Rn 20 Sind Verstösse begangen worden oder stehen sie bevor, findet § 16 a S. 1 Anwendung (s. dort Rn 1-8). - Ist jemand Inhaber einer Erlaubnis nach § 11, so kann ein von ihm vorsätzlich oder fahrlässig zu verantwortender Verstoss gegen § 11 b Anlass sein, die Erlaubnis nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG zu widerrufen. - Steht ein Verstoss im Zusammenhang mit einem erlaubnisfrei ausgeübten Gewerbe, so kommt eine Gewerbsuntersagung nach § 35 GewO durch die hierfür zuständige Behörde in Betracht. Rn 21 Ordnungswidrigkeit. Der vorsätzliche Verstoss wird mit Geldbusse bis zu 50.000.DM, der fahrlässige bis zu 25.000.- DM geahndet (§ 18 Abs. 1 Nr. 22, Abs. 3). Für vorsätzliches Handeln ist ausreichend, dass der Täter mit der Möglichkeit des Eintritts der verbotenen Folge (z. B. mit der ernsthaften Möglichkeit, dass es zu einer Organumgestaltung und einem hierdurch verursachten Schaden kommen könnte) gerechnet hat, mag er gleichwohl auf ihr Ausbleiben gehofft und vertraut haben.