ViKiS Videokonferenz mit integrierter Simultandolmetschkomponente Förderkennzeichen: 01 BN 604/7 Arbeitspaket 4 Begleituntersuchungen zum Kommunikationsverhalten unter Videokonferenzbedingungen – Abschlußbericht – Kommunikation und Dolmetschen unter Videokonferenzbedingungen Kurt Kohn, Sabine Braun, Claudius Heeger, Hans Mikasa Universität Tübingen Seminar für Englische Philologie Wilhelmstr. 50, D-72074 Tübingen Tel. +49 7071 29-72377 / -78455 Fax: +49 7071 29-5079 eMail: [email protected] www.uni-tuebingen.de/vikis Inhalt 0 EINLEITUNG ..................................................................................................................... 3 1 DIE VIKIS-BEGLEITUNTERSUCHUNGEN ....................................................................... 4 1.1 Besonderheiten der VK-Kommunikation ..................................................................... 4 1.2 Prozesse und Formen des Dolmetschens .................................................................. 5 1.3 Videokonferenz-Dolmetschen – eine einführende Betrachtung................................... 7 1.4 Gegenstand der Begleituntersuchungen zum VK-Dolmetschen.................................. 8 2 UNTERSUCHUNGSAUFBAU UND DATENBASIS ......................................................... 10 2.1 Das ViKiS-System .................................................................................................... 10 2.1.1 Dolmetscherstation und VK-Plätze ................................................................ 10 2.1.2 Bildübertragung ............................................................................................. 11 2.1.3 Tonübertragung ............................................................................................. 12 2.1.4 Audioqualität .................................................................................................. 14 2.1.5 Benutzeroberfläche am Dolmetschplatz......................................................... 14 2.2 Die Untersuchungen ................................................................................................. 16 2.2.1 Untersuchungsszenarien und Untersuchungsreihen ...................................... 16 2.2.2 Versuchsteilnehmer ....................................................................................... 16 2.2.3 Durchführung ................................................................................................. 18 2.3 Die Datenerfassung und –aufbereitung .................................................................... 18 2.4 Bewertung der Daten ................................................................................................ 20 3 VK-DOLMETSCHEN AUS TEILNEHMERSICHT............................................................. 22 3.1 Verstehen und Produzieren ...................................................................................... 22 3.1.1 Monologisierungstendenzen .......................................................................... 22 3.1.2 Redundanz .................................................................................................... 24 3.1.3 Strukturelle Schwächen ................................................................................. 24 3.1.4 Inhaltliche Mängel .......................................................................................... 25 3.2 Interaktion................................................................................................................. 27 3.2.1 Schleppendes Tempo beim Sprecherwechsel ............................................... 27 3.2.2 Nachträge durch Wartezeiten ........................................................................ 30 3.2.3 Überlappende Rede ...................................................................................... 32 3.2.4 Verlust an Spontaneität ................................................................................. 34 3.2.5 Unzureichendes Feedback ............................................................................ 35 3.2.6 Gesprächseröffnung und Gesprächsende ..................................................... 37 3.3 Wahrnehmung der VK-Verdolmetschung ................................................................. 38 3.4 Zusammenfassung ................................................................................................... 40 1 4 DAS VK-DOLMETSCHEN AUS DOLMETSCHERSICHT ................................................ 41 4.1 Verstehen und Produzieren: der Dolmetscher als Mittler .......................................... 41 4.1.1 Reduzierte Simultaneität ................................................................................ 41 4.1.2 Komprimierung und Auslassung .................................................................... 43 4.1.3 Starke Verallgemeinerung ............................................................................. 44 4.1.4 Reduzierte Produktionskapazitäten ............................................................... 45 4.1.5 Der Dolmetscher als Mittler............................................................................ 48 4.2 Interaktion: der Dolmetscher als Moderator .............................................................. 49 4.2.1 Überlappende Rede am Dolmetschplatz........................................................ 49 4.2.2 Antizipation und Signalisierung ...................................................................... 51 4.2.3 Der Dolmetscher als Moderator ..................................................................... 54 4.3 Zusammenfassung ................................................................................................... 54 5 AUSWERTUNGSERGEBNISSE...................................................................................... 56 5.1 Probleme des VK-Dolmetschens .............................................................................. 56 5.1.1 Dolmetscherseitige Probleme ........................................................................ 56 5.1.2 Teilnehmerseitige Probleme .......................................................................... 57 5.2 Rolle und Leistung des Dolmetschers....................................................................... 58 5.2.1 Vermittlung des Inhalts .................................................................................. 58 5.2.2 Versprachlichung ........................................................................................... 59 5.2.3 Vortrag .......................................................................................................... 59 5.2.4 Kommunikative Leistung ................................................................................ 60 5.3 Akzeptanz................................................................................................................. 61 5.3.1 Teilnehmerseitige Akzeptanz ......................................................................... 61 5.3.2 Dolmetscherseitige Akzeptanz....................................................................... 62 6 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK ....................................................................... 65 7 ANHANG: ZEICHENERKLÄRUNG FÜR DIE TRANSKRIPTE ........................................ 66 8 LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................................. 67 2 0 Einleitung Die Videokonferenz-Kommunikation hat sich seit einigen Jahren als eigenständiger, wirtschaftlich relevanter Kommunikationstyp etabliert. Die Kommunikation per VK ersetzt bei weitem nicht jedes persönlichen Treffen zwischen Geschäftspartnern an verschiedenen Orten. Andererseits schafft sie jedoch durch ihre Flexibilität eine Reihe zusätzlicher Kommunikationsmöglichkeiten. Während sich wohl kaum ein ganzer Mitarbeiterstab für eine kurze technische Besprechung auf Dienstreise begeben würde, eignet sich die Videokonferenz gerade für diese Kommunikationsszenario: zeitlich eng begrenzte Kleingruppengespräche wie Arbeitsbesprechungen oder Mitarbeiterschulungen. Das VK-Dolmetschen ist horizontal zu diesen Kommunikationsaktivitäten zu sehen. So ist es aus der Sicht mittelständischer Unternehmen notwendig (und lohnenswert), Videokonferenz-Lösungen auch für die mehrsprachige Kommunikation zu schaffen. Aus Dolmetschersicht ist eine Mitgestaltung der Lösungen sowie eine Anpassung an die neue Kommunikationssituation durch entsprechende Fortbildung sowie mittelfristige Integration in die Dolmetscher-Ausbildung wünschenswert. Für die Forschung stellen sich dadurch neue Aufgaben hinsichtlich der Untersuchung des Dolmetschens und unseres Kommunikations- und Konversationsverhaltens ganz allgemein. Mit der Konzeption und Implementierung des ViKiS-Prototypen wurde erstmals ein funktionierendes, PC-basiertes VK-System geschaffen, daß die simultane Verdolmetschung mehrsprachiger Videokonferenzen ermöglicht. Zur Sicherung der Benutzerrelevanz und Akzeptanz wurden die Entwicklungsarbeiten von Begleituntersuchungen flankiert. In dem vorliegenden Bericht werden die Ergebnisse der Begleituntersuchungen zusammengefaßt. In Kap. 1 wird zunächst einen Überblick über die Begleituntersuchungen gegeben und das Anliegen der Begleituntersuchungen skizziert. In Kap. 2 werden der Untersuchungsaufbau und die Datenbasis beschrieben. Die anschließenden Kapitel 3 und 4 schildern die Merkmale, Probleme und Strategien des VK-Dolmetschens aus Teilnehmer- und Dolmetschersicht. In Kap. 5 werden die Ergebnisse einer Bewertung unterzogen. 3 1 Die ViKiS-Begleituntersuchungen Im Rahmen der Begleituntersuchungen ging es darum, die Relevanz des ViKiSPrototypen durch fortlaufende Evaluationszyklen zu sichern. Im weiteren sollte die Machbarkeit des VK-Dolmetschens in einschlägigen Kommunikationsszenarien, insbesondere im Kontext mittelständischer Unternehmen, beurteilt werden. Als Grundlage wurden empirische Untersuchungen durchgeführt, und zwar zunächst zu den Bedingungen und Merkmalen der ein- und mehrsprachigen VKKommunikation in Kleingruppen und anschließend zur Spezifik des Dolmetschens unter Videokonferenz-Bedingungen. In dem vorliegenden Bericht stehen die Untersuchungen des VK-Dolmetschens im Vordergrund. Die Ergebnisse des ersten Teils der empirischen Untersuchungen, die Besonderheiten der VK-Kommunikation allgemein, werden in Kap. 1.1 im Überblick dargestellt. In Kap. 1.2 folgt ein Überblick über die spezifischen Merkmale des Dolmetschens (unter herkömmlichen Bedingungen). In Kap. 1.3 wird das VKDolmetschen kurz charakterisiert. In Kap. 1.4 werden die einzelnen Untersuchungsanliegen bezüglich des VK-Dolmetschens beschrieben. 1.1 Besonderheiten der VK-Kommunikation Für die zu Beginn des Projekts durchgeführten Untersuchungen einsprachiger Videokonferenzen wurden sowohl authentische als auch experimentelle Zwei- und Mehrpunkt-Konferenzen mit unterschiedlichem Charakter herangezogen. authentische Zweipunktund Mehrpunkt-Konferenzen, Arbeitsbesprechungen im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts; Zweipunkt-Konferenzen mit authentischem Charakter, z.B. Vorbereitung einer Gruppenpräsentationen im Rahmen eines Hauptseminars an der Universität Tübingen; Rollenspiele in Zweipunkt-Konferenzen, z.B. Simulation von Geschäftsverhandlungen durch deutsche und französische Wirtschaftsstudenten im Rahmen eines Geschäftsenglisch-Kurses an den Universitäten Tübingen und Nancy; authentische Zweipunkt-Konferenzen mit (nichtprofessioneller) Dolmetschunterstützung, z.B. Arbeitsbesprechungen im Umfeld des ViKiSProjekts. z.B. Diese Konferenzen wurden aufgezeichnet. Zu den experimentellen Konferenzen wurden mit Hilfe von Fragebögen und/oder anschließenden Kommentarsitzungen mit den Probanden ergänzende Daten erhoben. Die Kommentarsitzungen wurden ebenfalls aufgezeichnet. Alle Aufzeichnungen wurden tranksribiert und mit Hilfe der Techniken der Konversationsanalyse ausgewertet. Im Ergebnis wurden drei hauptsächliche Problemkreise der VK-Kommunikation identifiziert: 4 Infolge einer leichten Zeitverzögerung in der Tonübertragung wird der Gesprächsverlauf an den einzelnen Teilnehmerplätzen unterschiedlich wahrgenommen und kommt zu Problemen beim Sprecherwechsel sowie bei Feedback-Äußerungen der Zuhörer. Die räumliche Trennung der Gesprächspartner und die daraus resultierende Ausschnitthaftigkeit der Wahrnehmung nonverbaler Signale erzeugt ein Gefühl der reduzierten sozialen Präsenz mit einer Reihe von Beeinträchtigungen der Kommunikation. In einer Mehrpunkt-Konferenz wirken sich diese Nachteile stärker aus als in einer Zweipunkt-Konferenz. Die (unzulängliche) Tonqualität Mißverständnisse zur Folge. hat Verständnisschwierigkeiten und Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden in dreierlei Hinsicht genutzt: Sie gaben Aufschluß über die Besonderheiten der VK-Kommunikation, aus ihnen ließen sich Implikationen für das VK-Dolmetschen ableiten, und sie halfen bei der Erarbeitung geeigneter Untersuchungsszenarien für die gedolmetschte VK. 1.2 Prozesse und Formen des Dolmetschens Es ist hilfreich, zwischen Dolmetschen als Verarbeitungsprozeß und Dolmetschen als (translatorischer) Kommunikationspraxis zu unterscheiden. Als Verarbeitungsprozeß steht das simultane Dolmetschen dem konsekutiven Dolmetschen gegenüber. Beim simultanen Dolmetschen wird der Originaltext kontinuierlich und quasi ohne Zeitversetzung in eine andere Sprache übertragen. Um mit dem Redner "mitzuhalten", ohne dabei eine falsche Richtung zu dolmetschen, oder auch um die Verdolmetschung notfalls nachträglich noch zu korrigieren, sind für das simultane Dolmetschen bestimmte Strategien grundlegend (Kalina 1998b: 113-125). Eine gewisse Kenntnis des Gesprächsgegenstandes und des Redners erleichtert es dem Dolmetscher, den Sinn einer Aussage zu antizipieren. Ermöglicht und gefördert wird die Antizipation von Aussagen u. a. durch Kontextualisierungshinweise, die das Kommunikationsverhalten der beteiligten Sprecher bis zu einem gewissen Grad planbar machen (vgl. Gumperz 1982). Beim konsekutiven Dolmetschen gibt der Dolmetscher die Ausführungen des Redners abschnittsweise und somit zeitlich versetzt wieder. Bei den Abschnitten kann es sich um einzelne Sätze oder um Teilstücke von bis zu 10 oder 15 Minuten Länge handeln. Die Hauptlast beim Konsekutivdolmetschen trägt das Gedächtnis, unterstützt durch Notizen. Im Gegensatz zur simultanen Übertragung hat der Dolmetscher hier den Vorteil, daß aufgrund des zeitversetzten Arbeitens die Rednerintention klarer erkennbar ist und daß bei Unklarheiten eine Rückfrage möglich ist. Das große Manko des konsekutiven Dolmetschens liegt darin, daß durch das zeitlich versetzte Arbeiten des Dolmetschers der Zeitaufwand annähernd doppelt so hoch ist wie bei der simultanen Übertragung. Darüber hinaus kann es für die 5 Zuhörer ermüdend sein, Ausführungen in einer Sprache zu folgen, derer sie nicht mächtig sind, und stets auf die Verdolmetschung warten zu müssen. In der translatorischen Kommunikationspraxis haben sich auf der Basis simultaner oder konsekutiver Verarbeitungsprozesse unterschiedliche Formen des Dolmetschens herausgebildet. Eine der prototypischen Formen ist das Konferenzdolmetschen bei internationalen Veranstaltungen (Kongressen, Tagungen, Diskussionsforen etc.) mit Einzelvorträgen, Paneldiskussionen oder auch Diskussionen zwischen Vortragenden und dem Publikum. Hier haben die erwähnten Nachteile der konsekutiven Verarbeitung dazu geführt, daß sich das simultane Dolmetschen weitgehend durchgesetzt hat. Konferenzdolmetschen wird daher oft mit Simultandolmetschen gleichgesetzt. Bei der Verdolmetschung von Reden, festlichen Vorträgen, Festansprachen oder Tischreden steht oft keine Simultandolmetschanlage zur Verfügung oder wäre unpassend. In diesen Szenarien kommt dem konsekutiven Dolmetschen nach wie vor Bedeutung zu. Neben diesen Formen der publikumsorientierten Kommunikation hat sich für die Bedingungen und Anforderungen der dialogischen Kommunikation (in informellen Gesprächssituationen, Verhandlungen, Arbeitsgruppenbesprechungen, Schulungsveranstaltungen und dergleichen, d.h. in Kommunikationsszenarien in kleinerem Rahmen ohne Publikum) mit dem Gesprächsbzw. Verhandlungsdolmetschen eine weitere Form des Dolmetschens herausgebildet. Die Ausprägungen dieser Variante reichen vom Dolmetschen in gesellschaftlichen, staatlichen, sozialen und medizinischen Einrichtungen (engl. meist community interpreting) bis zum Dolmetschen bei geschäftlichen Besprechungen (engl. meist liaison interpreting) (Roberts 1997: 8). Die genannten Gesprächssituationen zeichnen sich durch eine schnelle Abfolge kürzerer Redebeiträge aus, die spontan als Reaktion auf vorangegangene Beiträge entstehen. Der Gesamttext wird also – im Unterschied zur monologischen Kommunikation – nicht im voraus von einem der Redner geplant. Daraus ergibt sich ein spezifischer Stil mit Redundanzen, Selbstkorrekturen sowie eher geringer Struktur und Komplexität. Zu einer wichtigen Stütze für den Dolmetscher wird in dieser offenen Gesprächssituation neben dem unmittelbaren Kontext insbesondere sein Wissen über verschiedene Formen der dialogischen Kommunikation. Dieses Wissen kann vor allem die Rederechtübergabe zwischen den Gesprächspartnern und dem Dolmetscher, die gewöhnlich durch eine Reihe von verbalen und nonverbalen Signalen geregelt ist, unterstützen. Um den Gesprächsfluß so wenig wie möglich zu unterbrechen, kommt es beim Dolmetschen hier oft zu einer Mischung aus simultanem Dolmetschen (in Form von Flüsterdolmetschen) und konsekutiver Verdolmetschung kürzerer Passagen (Kalina 1998b: 28). Insbesondere im geschäftlichen Bereich wird die Verdolmetschung in Gesprächssituationen mitunter von sprachlich versierteren Gesprächsteilnehmern übernommen – vor allem, wenn aufgrund vorhandener Fremdsprachenkenntnisse 6 der Gesprächsteilnehmer nicht alles gedolmetscht werden muß. Diese Situation soll hier deshalb angesprochen werden, weil sie auch in Videokonferenzen ihren Platz hat. Die Dolmetschenden können aufgrund ihrer Kenntnis des besprochenen Themas, der Beteiligten und deren Wissen relativ problemlos einschätzen, wann und wie sie längere Passagen bei der Verdolmetschung zusammenfassen können bzw. wann und in welcher Form sie Zusatzinformationen in die Verdolmetschung einfließen lassen sollten. Die Gefahr dabei ist allerdings, daß die sprachlich versierteren Teilnehmer aufgrund ihrer Doppelfunktion (Teilnehmer und Dolmetscher) im Gespräch dominieren und auch die Rolle des jeweiligen Gesprächspartners übernehmen. 1.3 Videokonferenz-Dolmetschen – eine einführende Betrachtung Beim Dolmetschen per Videokonferenz sind prinzipiell die folgenden Varianten denkbar (für eine Diskussion dieser und ähnlicher Konstellationen vgl. O'Hagan 1996): a) Tele-Dolmetschen: alle Teilnehmer sind an einem Ort versammelt, lediglich der Dolmetscher wird extern per VK zugeschaltet; b) Konferenzdolmetschen: auf mehrsprachigen Veranstaltungen werden die Reden externer, über VK zugeschalteter Teilnehmer in die Dolmetschkabinen eingespeist und simultan gedolmetscht; c) VK-Dolmetschen in einer Zweipunkt-VK: der Dolmetscher wird in eine VKGruppe an einem der beiden Standorte aufgenommen; d) VK-Dolmetschen in einer Mehrpunkt-VK: der Dolmetscher wird von einem zusätzlichen (normalen) VK-Platz aus als weiterer Partner in eine VK integriert; e) VK-Dolmetschen von einem speziellen Dolmetschplatz: der Dolmetscher wird von einem speziell ausgerüsteten Teilnehmerplatz – mit separatem Tonkanal für die Verdolmetschung – in eine VK integriert (ViKiS-Projekt-Konstellation). Dem Tele-Dolmetschen (Variante a) wird – wenn überhaupt – vermutlich erst längerfristig Bedeutung zukommen, da es zunächst wenig sinnvoll erscheint, die für die Herstellung der sprachübergreifenden Kommunikation verantwortliche Person als einzige außen vor zu lassen. Variante b wird auf mehrsprachigen Konferenzen bereits praktiziert. Vor allem aber zeichnet sich für die nähere Zukunft ein Bedarf an der Verdolmetschung von Kleingruppenbesprechungen per VK ab (insbesondere Varianten c, d und e). Bereits heute führen zahlreiche länderübergreifend operierende Konzerne, aber auch mittelständische Unternehmen regelmäßig Videokonferenzen durch. Den Varianten des VK-Dolmetschens – c , d, und e – ist gemeinsam, daß sie sich insbesondere für die Kleingruppengespräche eignen. Bei der Identifikation weiterer Merkmale des VK-Dolmetschens spielt natürlich die gewählte Variante und ihre 7 konkrete Ausgestaltung eine Rolle: Wie sieht die VK-Schaltung aus? Wo sitzt der Dolmetscher in dieser Schaltung? Ist ein Gespräch oder ein Monolog zu dolmetschen? Wird konsekutiv oder simultan gedolmetscht? usw. Für alle VKDolmetsch-Szenarien lassen sich aber auch Gemeinsamkeiten ausmachen: Im Vergleich zur einsprachigen VK-Situation, die ja durch die räumliche Trennung der Teilnehmer schon für sich genommen die Möglichkeiten der Interaktion zwischen den Gesprächspartnern einschränkt und damit (soziale) Distanz schafft, kommt in jeder gedolmetschten VK für die Gesprächspartner mit der sprachlich-kulturellen Trennung ein weiterer distanzschaffender Aspekt hinzu. Verglichen mit einer herkömmlichen Dolmetschsituation besteht der auffälligste Unterschied zum VK-Dolmetschen darin, daß hier im Gegensatz zu den meisten anderen Dolmetschsituationen alle Beteiligten räumlich voneinander getrennt sind. In herkömmlichen Dolmetschsituation befinden sich zumindest die Gesprächspartner im gleichen Raum; und der Platz des Dolmetschers variiert in Abhängigkeit von der Art der Verdolmetschung (Konsekutiv oder Simultan) und vom Szenario (Vortrag oder Gespräch). So sitzt der Dolmetscher beispielsweise bei einem Verhandlungsgespräch im Prinzip mit am Verhandlungstisch. Bei einer Ansprache steht er neben dem Redner, und selbst auf einer internationalen Konferenz ist der Dolmetscher mit seiner Kabine im gleichen Raum wie die Konferenzteilnehmer. Einer der Gesprächsteilnehmer an einer ViKiS-Konferenz kommentierte die Verbindung von VK und Dolmetschen so: "Through the interpreter and through not being able to see the person face to face ... I don’t think it’s a big deal, but some qualities might be lost or some things might be overlooked." (5b/291). 1.4 Gegenstand der Begleituntersuchungen zum VK-Dolmetschen (A) Adäquatheit der ViKiS- Konstellation ViKiS orientiere sich insbesondere am Kommunikationsbedarf mittelständischer Unternehmen und beschäftigte sich dementsprechend mit einer VK-Lösung, die sich insbesondere für die mehrsprachige Geschäftskommunikation mittelständischer Unternehmen eignet. Hierbei handelt es sich in der Regel um Kleingruppenbesprechungen, die unter Einbeziehung eines Gesprächs- oder Konsekutivdolmetschers stattfinden. Für diesen Kommunikationstyp können die in Kap. 1.3 genannten Varianten c und d eine Lösung bieten. Sie erlauben das Gesprächs- bzw. Konsekutivdolmetschen in einer Zwei- oder Mehrpunkt-Konferenz. Unsere Annahme und zugleich der Ausgangspunkt des ViKiS-Projekts bestand jedoch darin, daß sich das Kommunikations- und Dolmetschmanagement wesentlich vereinfachen würde, wenn in einer Videokonferenz simultan gedolmetscht werden könnte. Drei der hauptsächlichen Anliegen der Begleituntersuchungen waren damit: 8 Prüfung der Eignung Kleingruppenkommunikation Identifikation besonders geeigneter Kommunikationsszenarien Prüfung der vermuteten Vorteile des ViKiS-Szenarios gegenüber konsekutiv gedolmetschten Zwei- oder Mehrpunkt-Konferenzen der ViKiS-Konstellation für die (B) Spezifische Merkmale des VK-Dolmetschens Faktoren wie die räumliche Trennung sowie auch die leicht zeitverzögerte Übertragung von Ton (und Bild) wurden bereits in den einsprachigen Videokonferenzen als gewichtige Einflußfaktoren mit sehr vielschichtigen Auswirkungen auf die Gesprächsinteraktion identifiziert. Vor dem Hintergrund der Merkmale der VK-Kommunikation einerseits und der gedolmetschten Kommunikation andererseits (vgl. Kap. 1.1, 1.2) sollte es in den Begleituntersuchungen zum VK-Dolmetschen darum gehen, die Auswirkungen dieser Faktoren auf das VK-Dolmetschen zu bestimmen in empirischen Untersuchungen und die Besonderheiten herauszuarbeiten, die sich aus der Verbindung von VK und Verdolmetschung ergeben. Von den empirischen Untersuchungen wurden wichtige Aufschlüsse über die Bedingungen, Merkmale und Probleme dieses Kommunikationstyps erwartet. Sie sind somit der Schlüssel zu einer kompetenten Beurteilung dessen, was gegenwärtig und mittelfristig machbar ist und was man aus Dolmetscher- und Teilnehmersicht für das und vom VK-Dolmetschen erwarten kann. (C) Anpassungs- und Kompensationsstrategien in der VK-Kommunikation Bereits nach der Durchführung erste Videokonferenzen war offensichtlich, daß die Kommunikation hier erschwert ist. In den Untersuchungen galt es herauszufinden, ob und inwieweit bei den Gesprächsteilnehmern und Dolmetschern ein Gewöhnungsprozeß zu beobachten ist, d.h. ob sie mit zunehmender VK-DolmetschErfahrung eine gewisse VK-Kompetenz mit entsprechenden Anpassungs- und Kompensationsstrategien entwickeln. Für die Dolmetschpraxis geht es dabei um die Frage, inwieweit und welche Trainings- bzw. Fortbildungsmaßnahmen den Dolmetschern den Umgang mit dem VK-Dolmetschen erleichtern können. 9 2 Untersuchungsaufbau und Datenbasis In diesem Kapitel wird zunächst das ViKiS-System beschrieben, mit dem die Untersuchungen zum Simultandolmetschen durchgeführt wurden. Nach einer ersten Evaluationsphase war das System vom Projektpartner NTS weiter an die dolmetschspezifischen Bedürfnisse angepaßt worden. Es war klar, daß sich die Gestaltung des ViKiS-Dolmetschplatzes in ihren Grundzügen so eng wie möglich an das Setup einer Dolmetschkabine bzw. Konferenzdolmetschanlage halten sollte. Dies galt insbesondere für die Bedienbarkeit. Darüber hinaus ergaben sich durch die VK-Schaltung jedoch Besonderheiten, die den Kommunikations- und Dolmetschprozeß auf ganz spezifische Weise beeinflußten. Hierzu ist insbesondere die Schaltung der Ton-Übertragungskanäle zu zählen. Im weiteren werden in diesem Kapitel Art und Inhalte der Videokonferenzen, die Teilnehmer und Dolmetscher sowie die Datenerfassung und –aufbereitung beschrieben. Schließlich wird diskutiert, wie die erhobenen Daten zu beurteilen sind. 2.1 Das ViKiS-System 2.1.1 Dolmetscherstation und VK-Plätze Die Dolmetscherstation umfaßt den Rechner (mit mehreren CPUs), vier Bildschirme, eine Kamera, zwei Headsets, sowie Tastatur und Maus zur Bedienung der ViKiS-Software. Einer der Bildschirme dient als Steuerungsmonitor zur Darstellung der Benutzeroberfläche und damit zur Bedienung der Dolmetscherstation (Herstellen und Einrichten der Wählverbidungen, Hin- und Herschalten zwischen den Teilnehmern, Beenden der Verbindung). Auf zwei weiteren, links und rechts vom Steuerungsmonitor angeordneten Bildschirmen sieht der Dolmetscher die beiden Teilnehmer T1 und T2; der sichtbare Bildausschnitt hängt von der Kameraeinstellung am jeweiligen Teilnehmerplatz ab. Mit Hilfe des vierten, kleineren Bildschirms kann der Dolmetscher sein Eigenbild überprüfen, das während der Einrichtungsphasen (vor der eigentlichen Konferenzschaltung) von der Dolmetscherstation zu den Teilnehmern übertragen wird. Darüber hinaus sind 2 Headsets an das System angeschlossen. Gemäß der Spezifikation handelt es sich um offene Kopfhörer mit Schaumgummipolsterung und integriertem Mikrofon. 10 Die beiden Teilnehmerplätze wurden dem Dolmetschplatz in der ersten beiden Testreihen zum VK-Dolmetschen über je eine 2B-ISDN-Verbindung zugeschaltet. Dabei befand sich Teilnehmerplatz 1 außerhalb der Universität Tübingen. Die extern zugeschalteten Teilnehmer verfügten über standardmäßige, H.320-kompatible VKStationen (PC-basiert oder Raumsysteme) verschiedener Hersteller. Teilnehmerplatz 2 befand sich in an der Universität Tübingen. Es wurden NTS-Stationen benutzt (PCgestützter VK-Platz mit integrierter VK-Software; Darstellung von Fremdbild und Eigenbild). In der zweiten Testreihe befanden sich alle Teilnehmerplätze an der Universität Tübingen. In einem Teil der Testreihe war der Teilnehmerplatz 1 mit 6B-ISDN mit dem Dolmetschplatz verbunden. Die dazu verwendete VK-Station war ein NTSRaumsystem. Am Teilnehmerplatz 2 wurden die gleichen NTS-Stationen benutzt wie in der ersten Testreihe. 2.1.2 Bildübertragung Die Teilnehmerbilder wurden sowohl zum Dolmetschplatz als auch zum jeweils anderen Teilnehmerplatz übertragen. Der Dolmetscher sah während der gesamten VK beide Teilnehmerplätze (auf getrennten Monitoren). Die Teilnehmer sahen jeweils die andere Teilnehmerseite (und je nach benutztem VK-System eventuell auch ihr Eigenbild). In den Videokonferenzen waren pro Teilnehmerseite maximal drei Teilnehmer zugegen, die von einer einzigen Kamera abgedeckt wurden, was sich sowohl für die Dolmetscher als auch für die Teilnehmer als ausreichend erwies. Die Bilder wurden von Dolmetschern und Teilnehmern insofern als hilfreich erachtet, als sie ein gewisses Beurteilen des Teilnehmerverhaltens und der -reaktionen ermöglichten. Eine Teilnehmerin erklärte beispielsweise zu einer Stelle, in der sie bezüglich des Sprecherwechsels zunächst verunsichert war: "... und dann hab ich einfach weitergesprochen, wegen dieser Handbewegung, dieses klassische 'Mach' weiter'." (4a/48). 11 In den 2B-Konferenzen war die Bildqualität allerdings nicht optimal. Einer Teilnehmerin zufolge ließen sich Einzelheiten "nicht aus dem Bild erschließen. Ich mein, ob sie jetzt gelangweilt oder genervt guckt, das nicht, aber man sieht zumindest, sie sitzt da und guckt in die Richtung und macht sich Notizen." (4a/113). In den 6B-Konferenzen war die Bildqualität merklich besser. Den Dolmetschern bereitete das Bild in den 2B-Konferenzen auch insofern Probleme, als durch das Ruckeln des Bildes der Eindruck entstand, Bild und Ton seien nicht synchron (obwohl sie es sind). Für die Teilnehmer stellte sich dieses Problem nicht, weil sie zum Bild des Teilnehmers ohnehin nur den Dolmetschton hörten. Das Bild wurde in einigen VK-Sitzungen durch eine nicht optimale Kamerapositionierung an der Gegenstelle verschlechtert, so daß z.B. ein Proband seine Gesprächspartnerin nur als "dunklen Punkt" auf dem Bildschirm wahrnahm: "I found I couldn’t see her as well as I would have, I don’t know, I found it a bit impersonal because she’s sort of just a black spot in the background." (5a/20). Wichtige Einzelheiten gingen somit zum Teil verloren. Unabhängig von der Bildqualität bestand für die Dolmetscher ein weiteres Problem darin, daß sie die Teilnehmer auf getrennten Bildschirmen sahen. Die Dolmetscher konzentrierten sich im wesentlichen auf den Bildschirm des Sprechenden. Besser wäre es aus ihrer Sicht gewesen, beide Teilnehmer im Splitmodus auf einem Bildschirm zu sehen. So wäre es leichter gewesen, sowohl Sprecher als auch Zuhörer im Auge zu behalten und auch die Reaktionen des Zuhörers, soweit die Bildqualität dies erlaubte, zu überprüfen (drückt der Zuhörer mit seinem Gesichtsausdruck Unverständnis aus; sollte eine Aussage vielleicht noch einmal wiederholt oder präzisiert werden; lacht der Zuhörer über Scherze?). 2.1.3 Tonübertragung Der Ton der Teilnehmer (Originalton) wurde zum Dolmetschplatz übertragen und war dort im Kopfhörern des Dolmetschers zu hören. Durch entsprechendes Umschalten bestimmte der Dolmetscher der Dolmetschrichtung, für welchen Teilnehmer er dolmetschte. Die Tonkanäle von den Teilnehmerplätzen zum Dolmetschplatz waren stets beide offen, also auch der Kanal vom Zuhörer zum Dolmetscher. So konnte der Dolmetscher stets alle Äußerungen der Teilnehmer mitverfolgen und lief nicht Gefahr, z.B. durch nicht rechtzeitige Umschalten etwas von deren Redebeiträgen zu verpassen. Vom Dolmetschplatz aus wurde der Dolmetschton zur Zuhörerseite übertragen. Der Originalton war auf Zuhörerseite nicht zu empfangen1. Mit andere Worten heißt das, 1 Die Entscheidung, nur den Dolmetschton zum zuhörenden Teilnehmer zu übertragen, war getroffen worden, um zu gewährleisten, daß teilnehmerseitig keine speziell angepaßten VK-Systeme benötigt wurden. Gerade für VK-Schaltungen mit auswärtigen Beiteiligten war dies unabdingbar. Der "Verlust" durch den nicht mit übertragenen Originalton kann als gering angesehen werden, da es ja 12 daß der Tonkanal des gerade Verdolmetschten/Sprechers vom Teilnehmerplatz nur bis zum Dolmetschplatz offen war und ab dort durch den Tonkanal für den Dolmetschton "ersetzt" wurde. Demgegenüber war der "Rückkanal" vom jeweiligen Empfänger der Verdolmetschung, also dem jeweiligen Zuhörer, zum Sender des Originaltons, also dem jeweiligen Sprecher, stets offen, so daß der Verdolmetschte/Sprecher z.B. Zwischenbemerkungen vom Verdolmetschungsempfänger/Zuhörer wahrnehmen konnte. Die Öffnung bzw. Schließung der Kanäle erfolgte beim Umschalten der Dolmetschrichung. Abbildung 1 zeigt die Tonübertragung für den Fall, daß T1 Redner ist, d.h. gerade gedolmetscht wird. Abbildung 1: Schaltung der Tonkanäle in der ViKiS-Konstellation T1 Dolmetscher T2 T1 spricht T2 hört zu / empfängt Verdolmetschung T1-Ton ("O-Ton") O-Ton D-Ton D-Ton T2-Ton T2-Ton T2-Ton T1 hört Zwischenbemerkung oder Redebeginn von T2 T2 macht Zwischenbemerkung oder beginnt zu sprechen Über den offenen "Rückkanal" war bei einem Sprecherwechsel manchmal auch der Beginn der neuen Äußerung im Original zu hören, bis der Dolmetscher die Sprachrichtung umgeschaltet hatte. (Beispiel 1). Beispiel 1 (6b, T2-Platz) 1 T2: Eh, I feel I can always adapt my teaching methods to classes of any level. I can adapt my language quite easily. [...] And I don’t -- think there’s any problems with not speaking the, the native language so much, I think I can still carry on in English. -- I hope that answers your question. 2 T1: (5) Ok, ja. Ehm, wie ... = D: = (3) How are you teaching, do you teach in ... mainly individuals, in small groups [...] Dieses Beispiel gibt einen Gesprächsausschnitt am T2-Platz wieder. Man erwartet hier nur die Eigenäußerungen von T2 und die Fremdäußerungen vom Dolmetscher. Redebeitrag (2) beginnt jedoch mit einigen Worten Originalton von T1 (kursiv), die mitten im Satz abbrechen. An dieser Stelle schaltete der Dolmetscher die Sprachrichtung (zu T2) um und schloß damit gleichzeitig den Rückkanal von T1 zu T2, der offen war, solange T1 Zuhörer war. hauptsächlich darum ging, das VK-Dolmetschen zu untersuchen und somit gewünscht war, daß die Teilnehmer dem Dolmetscher zuhören und nicht versuchen, dem Originalredner zu folgen. 13 Dem Zuhörer ging dadurch nichts von der Verdolmetschung verloren. Wie in Beispiel 1 zu sehen, schaltete der Dolmetscher einige Sekunden vor dem Beginn der Verdolmetschung um. Dennoch waren die Teilnehmer uneinig darüber, ob der Kanal offen oder geschlossen sein sollte. Die "Brocken" des Originaltons waren irritierend. Ein Teilnehmer faßte den allgemeinen Eindruck gut zusammen: "Sometimes you could hear Christof [T1]. It was a bit off-putting, because --- you were kind of then waiting for the interpreter. [...] it didn't stop you from beginning to hear him [Dolmetscher]; it made you aware that it was a three-way conversation." (2a/154f). 2.1.4 Audioqualität In den Simultankonferenzen bestätigte sich, was die Untersuchungen in den einsprachigen und konsekutiv gedolmetschten Konferenzen schon vermuten lassen: Manko Nr. 1 aus Dolmetschersicht war die unzulängliche Audioqualität, zumindest in den 2B-Konferenzen. Drei Faktoren spielten hier eine Rolle: Erstens vermochte der erste ViKiS-Prototyp als 2B-ISDN-basiertes System generell nur einen begrenzten Ausschnitt des Sprachfrequenzbereichs zu übertragen. Zweitens entstanden insbesondere durch die Hardware an den Teilnehmerplätzen Nebengeräusche, die die Tonqualität beeinträchtigten. Drittens war die Tonqualität in den einzelnen VKSchaltungen recht unterschiedlich bzw. schwankte auch während der Konferenzen. In diesem Zusammenhang kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, daß eine Tonqualität, die der "normale" Zuhörer/Teilnehmer als ausreichend empfindet, nicht notwendigerweise auch für das Dolmetschen akzeptabel ist, da der Dolmetscher seine Aufmerksamkeit zwischen dem Zuhören/Verstehen, dem Umsetzen und der Kontrolle des eigenen Outputs aufteilen muß. Um ein Verstehen bei gleichzeitigem Sprechen zu ermöglichen, mußte die Lautstärke zum Teil über das normal übliche Maß hinaus erhöht werden, wodurch das Dolmetschen als Belastung für das Gehör empfunden wurde. Beim Einsatz des 6B-Codecs war die Tonqualität merklich besser. Anzumerken ist hierzu allerdings, daß die am Dolmetschplatz empfangene Tonqualität in hohem Maße davon abhängt, welche Geräte (PC-System, Raumsystem, Art des Mikrofons etc.) die Teilnehmer verwenden und damit auch Faktoren unterliegt, die vom Dolmetschplatz aus nicht beeinflußbar sind. Selbst wenn das ViKiS-System die jeweils neuesten Komponenten verwendet, wird daher nicht in allen Fällen die theoretisch mögliche Tonqualität erzielt werden. 2.1.5 Benutzeroberfläche am Dolmetschplatz Als Benutzeroberfläche diente die zuvor im Projekt konzipierte, implementierte und evaluierte graphische ViKiS-Oberfläche (Abbildung 2). 14 Abbildung 2: ViKiS-Benutzeroberfläche Zum Herstellen einer Verbindung klickte der Dolmetscher auf die Schaltfläche WÄHLEN. In dem sich öffnenden Fenster konnte dann die Nummer des gewünschten Teilnehmers entweder manuell eingegeben oder aus dem Adreßbuch aufgerufen werden. Alternativ konnte der Dolmetschplatz auch vom Teilnehmer angewählt werden. Informationen über den Verbindungsaufbau bzw. –zustand sind dem Feld VERBDINDUNGSSTATUS zu entnehmen. Nach erfolgreichem Herstellen einer Verbindung konnte der Dolmetscher sich zunächst über die Schaltfläche EINRICHTEN mit je einem der beiden Teilnehmer verbinden. Ein weiteres Fenster öffnete sich, in dem verschiedene Parameter (Lautstärke, Helligkeit, Kontrast u.a.) eingestellt werden konnten. Die Dolmteschfunktionen der Benutzeroberfläche wurden in Anlehnung an herkömmliche Dolmetschpulte im unteren Teil des Bildschirms angeordnet. Die Größe der einzelnen Schaltflächen wurde der Bedeutung der Funktionen entsprechend gewählt. Zunächst war das Mikrofon des benutzten Headsets anzuschalten (Schaltflächen MIKRO AN rechts bzw. links unten). LAUTSTÄRKE und TON konnten bei Bedarf während der VK nachgeregelt werden. Die bei jedem Sprecherwechsel und damit am häufigsten zu betätigende OUTPUTSteuerung wurde an zentraler Stelle angeordnet und mit auffälligen Pfeilen versehen, die bei Aktivierung jeweils aufleuchteten. In Abbildung 2 sind z.B. ein Münchner und ein Tübinger Teilnehmer zusammengeschaltet. Wurde der Münchner Teilnehmer verdolmetscht und der Tübinger Teilnehmer hörte zu, so war der nach rechts zeigende Pfeil zu aktivieren und umgekehrt der nach links zeigende. Die Schaltfläche STUMM fungierte als "Räuspertaste", ohne gleichzeitig die Verbindung zwischen Dolmetscher und Teilnehmer zu unterbrechen. Mit MIKRO 15 AUS konnte sich der Dolmetscher dagegen vollkommen aus der Verbindung herausschalten und die Teilnehmer direkt miteinander verbinden. Diese Funktionen wird für de Fall benötigt, daß einer der Teilnehmer in der Sprache des anderen zu sprechen beginnt und der Dolmetscher somit (kurzzeitig) nicht benötigt wird. Auch nach Betätigen von MIKRO AUS konnte der Dolmetscher aber das Gespräch noch vollständig mitverfolgen. Mit diesen Funktionen entsprach der ViKiS-Platz in seiner Funktionalität weitgehend den Gegebenheiten in einer Konferenzdolmetschkabine. 2.2 Die Untersuchungen 2.2.1 Untersuchungsszenarien und Untersuchungsreihen Im Vorfeld der Untersuchungen mit dem ViKiS-System hatten wir bereits unterschiedlich geartete Videokonferenzen aufgezeichnet und analysiert (vgl. Kap. 1.1). Für die Untersuchungen zum VK-Dolmetschen entschieden wir uns für die Durchführung von Rollenspielen, weil diese sich für die gegebenen Umstände am ehesten realisieren ließen: Es wurden verschiedensprachige Gesprächsteilnehmer benötigt, die über ein Thema sprechen konnten, das sowohl für eine VK als auch für ein gedolmetschtes Gespräch als realistisch angesehen werden konnte. Gegenstand der Videokonferenzen waren (simulierte) Bewerbungsgespräche, Informationsgespräche über Job-Aussichten im Tübinger/Stuttgarter Raum sowie Informationsgespräche über einen Auslandsstudienaufenthalt. Diese Szenarien wurden als realistisches Thema für eine Videokonferenz erachtet und ließen sich außerdem mit den zur Verfügung stehenden Gesprächsteilnehmern (Teilnehmer aus und von Partneruniversitäten der Projektgruppe sowie Studenten der Universität) sehr gut durchführen. Mit den beschriebenen Szenarien wurden drei hauptsächliche Untersuchungsreihen durchgeführt, zwei davon zum Simultandolmetschen mit dem ViKiSPrototypen und eine zum Konsekutivdolmetschen in Mehrpunkt-Konferenzen. In allen Untersuchungsreihen wurden die Rollenspiele verwendet. In der ersten ViKiS-Untersuchungsreihe war an jedem Teilnehmerplatz ein Teilnehmer zugegen. In der zweiten ViKiS-Reihe hatten die Gespräche jeweils an einem VK-Platz einen Teilnehmer und an dem anderen Platz zwei bzw. drei Teilnehmer. In den Mehrpunkt-Konferenzen waren pro Platz ein bzw. zwei Teilnehmer zugegen. Alle Konferenzen wurden von je einem Dolmetscher gedolmetscht. 2.2.2 Versuchsteilnehmer Bei der Auswahl der Gesprächsteilnehmer achteten wir darauf, daß die Rollen der realen Situation der Teilnehmer so nahe wie möglich kam. Außerdem war uns daran 16 gelegen, VK-Teilnehmer aus der Industrie in unsere Untersuchungen einzubeziehen, die die Videokonferenz bereits als gängiges Kommunikationsmedium benutzen: (A) Für die Bewerbungsgespräche konnten Mitarbeiter aus Personalabteilungen einer deutschen und einer österreichischen Firma sowie zwei Mitarbeiter einer Partneruniversität in Frankreich gewonnen werden; bei den Bewerbungskandidaten handelte es sich um Austauschstudenten aus England, USA und Kanada sowie Studenten aus Lehramts- und Magisterstudiengängen der Neuphilologischen Fakultät, die sich in ihrer Rolle um die Stelle eines Sprachlehrers oder eines Technical Writers bewarben. (B) Die Informationsgespräche über Job-Chancen in der Region führte ein NTSMitarbeiter mit englischen Austauschstudenten an der Tübinger Universität. (C) Für die Informationsgespräche über einen Auslandsstudienaufenthalt stellten sich Mitarbeiter von Partner-Universitäten in England und Frankreich zur Verfügung, die von (deutschen) Tübinger Studenten befragt wurden. (D) Weitere Informationsgespräche über das Auslandsstudium wurden in Tübingen simuliert, indem englische Muttersprachler aus der Tübinger Region die Rolle der auskunftgebenden Person einer auswärtigen Universität übernahmen und Tübinger Studenten Fragen zum Auslandsstudienaufenthalt stellten. Die auswärtigen Teilnehmer (Mitarbeiter in Personalabteilungen und an ausländischen Partneruniversitäten) waren allesamt VK-erfahren. Eine Ausnahme bildeten die englischen Muttersprachler im Szenario (D). Von den Tübinger bzw. Austauschstudenten hatte noch niemand an einer VK teilgenommen, und nur wenige von ihnen waren bereits zuvor mit dieser Technik in Berührung gekommen. Ähnlich war es mit den Dolmetscherfahrungen. Während die auswärtigen Teilnehmer bereits professionelle Dolmetschsituationen erlebt hatten, kannten die Studenten dies nur aus dem Fernsehen. Einige von ihnen hatten allerdings eigene, wenn auch nichtprofessionelle Erfahrungen damit ("Dolmetschen" im Familienkreis, für Freunde). Die an den Videokonferenzen beteiligten Dolmetscher waren Diplom-Dolmetscher mit unterschiedlicher Berufserfahrung. Neben den beiden im ViKiS-Projekt beschäftigten Dolmetschern wurden externe, freiberuflich tätige Konferenzdolmetscher hinzugezogen. In den ersten Konferenzen kamen verstärkt die im Projekt mitarbeitenden Dolmetscher zum Einsatz, weil davon ausgegangen wurde, daß die Szenarien und Arbeitsbedingungen (z.B. Länge der VK) noch zu optimieren waren. Auch später wurden die projektinternen Dolmetscher (neben den externen) noch mehrmals herangezogen, um auch die Adaptationsfähigkeit über mehrere VK-Einsätze hinweg zu prüfen. Schließlich waren in alle Videokonferenzen mehrere Versuchsleiter involviert: zur Vorbereitung und Einweisung der Teilnehmer und Dolmetscher, zur Überwachung des Ablaufs der einzelnen Konferenzen, zur Beobachtung des Konferenzgeschehens an den einzelnen Plätzen sowie zur Betreuung und Befragung der Dolmetscher und Teilnehmer nach den Konferenzen. 17 2.2.3 Durchführung Zur inhaltlichen Einweisung der Versuchspersonen in ihre Rolle bzw. in das Gesprächsszenario führten wir mit den Tübinger Studenten und den Probanden an den externen Gegenstellen wenige Tage vor der jeweiligen VK-Sitzung Gespräche und gaben ihnen eine Szenariobeschreibung. Außerdem erhielten die Teilnehmer schriftliche Vorgaben in Form einer allgemeinen Szenario-Beschreibung sowie stichpunktartiger Anregungen für den Gesprächsinhalt. Diese Vorgaben wurden für jede VK-Sitzung individuell angepaßt, um sie optimal auf die Teilnehmer abzustimmen. Zudem waren die Vorgaben für T1 und T2 – also z.B. Interviewer und Bewerbungskandidat – unterschiedlich, und jeder kannte jeweils nur seine eigenen Vorgaben. Den Dolmetschern waren die Gesprächsszenarien nur insoweit bekannt, als dies zur Vorbereitung des Dolmetscheinsatzes erforderlich und realistisch war. Sie wurden über darüber informiert, welche Personen an den Gesprächen teilnahmen und welche Themen voraussichtlich besprochen wurden. Das entspricht der üblichen Praxis im Rahmen der dolmetschspezifischen Auftragsvorbereitung. Vor jeder VK-Sitzung erhielten die Dolmetscher und Tübinger Teilnehmer eine kurze technische Einweisung. Den Dolmetschern wurde insbesondere die Handhabung des ViKiS-Systems erläutert. Mit den Tübinger Probanden wurde eine kurze (1015minütige), einsprachige Test-VK durchgeführt. Die ausgewählten Teilnehmer an den externen Gegenstellen verfügen über VK-Erfahrung. Eine technische Einweisung erübrigt sich deshalb. Allen Teilnehmern wurde das Dolmetschszenario erläutert. Zu Beginn jeder VK hatten die Teilnehmer und Dolmetscher in einer Einrichtungsphase Gelegenheit, sich direkt miteinander über die VK-Leitung miteinander zu unterhalten, damit insbesondere der Dolmetscher Lautstärke und Ton optimal einstellen konnte. In einigen Fällen trafen die Dolmetscher die Tübinger Teilnehmer auch schon vorher persönlich und nutzten dieses kurze, nicht geplante Zusammentreffen stets sofort zu einer möglichst intensiven Unterhaltung, um sich an den Teilnehmer zu gewöhnen. 2.3 Die Datenerfassung und –aufbereitung In den Begleituntersuchungen ging es vorrangig um die Prozesse der Interaktion, des Verstehens und Produzierens beim VK-Dolmetschen bzw. der VKKommunikation. Eine wichtige Rolle für die Analyse der Prozesse spielen natürlich die durch Beobachtung bzw. Aufzeichnung des VK-Geschehens gewonnenen Daten (Primärdaten) selbst. Deshalb fertigten wir von jeder VK-Sitzung an allen VK-Standorten, an denen das möglich war, Aufzeichnungen an. Im wesentlichen gelang dies am Dolmetschplatz und an den Tübinger Teilnehmerplätzen. In einigen Fällen konnten die Konferenzen auch an externen Teilnehmerplätzen aufgenommen werden. Am Dolmetschplatz 18 wurden mehrspurige Tonaufnahmen angefertigt, um später die für die Analyse des Simultandolmetschens geeigneten Daten zur Verfügung zu haben. So wichtig die Aufzeichnungen auch sind, ist es schwierig, allein aus diesen Daten genaue Aufschlüsse z.B. über die Ursachen von Problemen zu gewinnen. Deshalb sahen wir es als sinnvoll an, im Rahmen der Betreuung und Begleitung der Konferenzen, unterstützendes Datenmaterial (Sekundärdaten) zu erheben. Die durchgeführten Konferenzen ließen dies zumindest für die Teilnehmer an den Tübinger Plätzen und die Dolmetscher zu. Von ihnen wurden die folgenden Sekundärdaten erhoben: Vor der VK führten wir mit den Tübinger Gesprächsteilnehmern eine kurze VorabBefragung durch, in der wir sie zu ihren VK- und Dolmetsch-Erfahrungen, ihren Erwartungen und ihrem Befinden befragten. Außerdem nahmen die Versuchsleiter zur Beobachtung an jeder VK teil. Sie verfolgten die VK an dem Tübinger Teilnehmerplatz (bzw. an einem der Tübinger Teilnehmerplätze) und/oder am Dolmetschplatz. An dem Teilnehmerplatz stellten wir dazu an einer geeigneten Position ein zusätzlicher Bildschirm auf, der das gleiche Bild zeigte, das auch der Teilnehmer empfing. So konnte vermieden werden, daß die Versuchsleiter dem Probanden direkt über die Schulter schauen mußten. Am Dolmetschplatz konnten die Versuchsleiter das Geschehen über das zweite Headset mitverfolgen. Die Versuchsleiter machten sich Notizen zum Verlauf der VK. Im Anschluß an jede VK wurden ausführliche Kommentarsitzungen mit den Tübinger Beteiligten (Teilnehmer und Dolmetscher) durchgeführt. In der ersten Untersuchungsreihe wurden diese Kommentarsitzungen mit dem Dolmetscher und dem Teilnehmer separat durchgeführt. In der zweiten Untersuchungsreihe wurde eine Gruppensitzung mit allen Teilnehmern und dem Dolmetscher abgehalten. Die Sitzungen wurden jeweils von einem der Versuchsleiter durchgeführt. Die Probanden wurden zuerst gebeten, spontan ihre Eindrücke zu schildern. Anschließend wurde ihnen die Aufzeichnung von ihrem eigenen Platz vorgespielt. Sie sollten dazu möglichst alles kommentieren, an das sie sich erinnern konnten. Die Versuchsleiter stellen unterstützende Fragen. Die Kommentarsitzungen wurden aufgezeichnet. Sowohl von den VK-Aufzeichnungen an den verschiedenen Plätzen als auch von den Aufzeichnungen der Kommentarsitzungen wurden vollständige Transkripte angefertigt. Die Daten aus der Vorab-Befragung der Teilnehmer wurden von den Versuchsleitern jeweils in Fragebögen festgehalten. Die Primärdaten wurden nach den Prinzipien und Methoden der Konversationsanalyse ausgewertet. Außerdem stützten wir uns auf Kriterien, die üblicherweise für die Evaluation von Dolmetschleistungen herangezogen werden. Aus den Kommentarsitzungen extrahierten wir relevante Aussagen der Probanden nach einem zuvor aufgestellten Raster. So konnten Befunde aus den Primärdaten mit Hilfe der Kommentardaten überprüft werden und umgekehrt. 19 2.4 Bewertung der Daten In bezug auf die Gesprächsteilnehmer stellt sich in den experimentellen Videokonferenzen und insbesondere in den Konferenzen, die auf einem Rollenspiel basieren, zunächst die Frage nach der Authentizität des VK-Gesprächs. In den meisten Gesprächen wurde die Authentizität von den Tübinger Teilnehmern als äußerst hoch eingestuft. Das jeweilige Bewerbungsszenario war, wie bereits erwähnt, gut auf die einzelnen Probanden abgestimmt. Einige der Tübinger Studenten hatten erst kurz vor der VK an tatsächlichen Bewerbungsgesprächen teilgenommen. Auch an das Einholen von Informationen zum Auslandsstudienaufenthalt konnten sich die teilnehmenden Studenten noch gut erinnern. Die Kommentare reichten von "nicht unrealistisch, aber anders" über "ziemlich nah dran" bis zu "vollkommen realistisch". Für die Dolmetscher stellte sich das Problem der Authentizität nicht in dieser Weise. Ihre Vorbereitung bzw. Vorab-Information war so, wie für Dolmetscher üblich. Während des Gesprächs war es für sie unbedeutend, ob das Gesagte den Tatsachen oder einem Rollenspiel entsprungen war. Jedes Gespräch verlief auf seine eigene Weise, da die Teilnehmerkombination in jeder Konferenz eine andere war und die Inhalte ja nicht bis ins Detail vorgegeben waren. Lediglich in einer VK-Sitzung geschah es zufällig, daß sich die Teilnehmerin in der Rolle der Auskunftgebenden an einer Universität und einer der Studenten an der Gegenseite untereinander kannten (ohne das dies dem Versuchsleiter bewußt war) und auch über die VK-Leitung vor dem eigentlichen VK-Gespräch ausführlich darüber redeten, weil sie selbst überrascht waren, sich auf diese Weise wiederzusehen. Diese VK hatte einiges an Authentizität eingebüßt, und auch der Dolmetscher nahm sich kleinere "Freiheiten" heraus. In allen anderen Konferenzen waren die Dolmetscher bemüht, die bestmögliche Leistung zu erbringen und so professionell wie möglich zu agieren. Als "Kontrollmöglichkeit" für die Authentizität konnte auf die Aufzeichnungen authentischer Konferenzen zurückgegriffen werden. Damit war es den Versuchsleitern im wesentlichen möglich, auch unabhängig von den Aussagen der Probanden zu beurteilen, ob ein bestimmtes Problem auf mangelnde Authentizität des Szenarios oder tatsächlich auf die VK-Dolmetsch-Situation zurückzuführen war. Ein eher methodisches Problem besteht bezüglich der nach den Videokonferenzen abgehaltenen Kommentarsitzungen. Hier handelt es sich um eine spezielle Form der Methode des Lauten Denkens. Dabei verbalisiert der Proband in der Regel, während er eine zu untersuchende Tätigkeit ausführt, alles, was ihm während zu dieser Tätigkeit gerade durch den Kopf geht. Es ist klar, daß diese Parallelität von Ausführung der Tätigkeit und Verbalisierung der Gedanken dazu in der VK nicht möglich ist. Somit konnten Gedanken der Probanden erst beim nachträglichen Anhören des Mitschnittes festgehalten werden. 20 Bei einer solchen retrospektiven Verbalisierung der Gedanken besteht immer die Gefahr, daß sich die gewünschten spontanen Reaktionen der Versuchsteilnehmer mit unerwünschten, aber sich zwangsläufig einstellenden Interpretationen der Daten bzw. Tätigkeiten vermischen, so daß es zu Verzerrungen kommen kann. Bei entsprechendem Umgang mit den Kommentaren geben diese aber wichtige Aufschlüsse über die untersuchten Prozesse und bieten Informationen, die sich allein aus den Primärdaten nicht erschließen lassen. Zu diesem Schluß kommt auch Krings (1986). Er weist darauf hin, daß diese bei entsprechend behutsamer Auswertung und nach Maßgabe eines zugrunde gelegten theoretischen Modells eine wertvolle Datenquelle darstellen (vgl. Krings 1986: 63-69). Um die Verläßlichkeit der Aussagen der Versuchspersonen in den Kommentarsitzungen zu prüfen, stellten die Versuchsleiter ihnen während der Sitzungen unauffällige "Kontrollfragen". Durch die Antworten konnten einige Aussagen bestätigt werden. Andere wurden relativiert bzw. blieben wegen ihrer offensichtlichen Unzuverlässigkeit in der Analyse unbeachtet. Außerdem wurden die Kommentare in enger Verbindung mit den vorliegenden VK-Aufzeichnungen selbst analysiert. 21 3 VK-Dolmetschen aus Teilnehmersicht Zwischen der teilnehmerseitigen Wahrnehmung der gedolmetschten Videokonferenzen durch die Gesprächsteilnehmer und den dolmetscherseitigen Merkmalen, Bedingungen und Problemen des VK-Dolmetschens besteht ein enger Zusammenhang. So geben die Kommunikationsprobleme bzw. deren Bewertung durch die Teilnehmer indirekt ebenso wichtige Aufschlüsse über das VKDolmetschen wie die Betrachtung und Beurteilung der Daten aus Dolmetschersicht (Kap. 4). Aufgrund der fehlenden Erfahrung mit gedolmetschten Videokonferenzen hatten die meisten der befragten Teilnehmer kaum konkrete Erwartungen bezüglich ihres VKGesprächs. Die wenigen von ihnen, die bereits an einsprachigen VK-Sitzungen teilgenommen hatten, zeigten sich allerdings in der Mehrzahl positiv überrascht. Diese Bewertung ist angesichts der Kommunikationsprobleme, die während der VKSitzungen auftraten, bemerkenswert und weist ihnen auch ihren Stellenwert zu. Die Kommunikationsschwierigkeiten zeigten sich einerseits in einzelnen Problemen des Verstehens und Produzierens von Äußerungen in der VK und andererseits in globalen Problemen der Interaktion wie dem Herstellen eines Bezugs zum Gesprächspartner und der Organisation des Sprecherwechsels. Für viele der Kommunikationsschwierigkeiten waren zumindest ansatzweise Lösgungsstrategien erkennbar. Dies ist gerade angesichts der noch fehlenden Erfahrung der Gesprächsteilnehmer im Umgang mit gedolmetschten Videokonferenzen ein ermutigendes Signal. 3.1 Verstehen und Produzieren An verschiedenen, in den Kommentarsitzungen immer wiederkehrenden Aussagen der Teilnehmer wird deutlich, daß sie den Bezug zu ihren Gesprächspartnern oft als unzureichend empfanden. Zumindest war der Bezug ihrer Einschätzung nach schwächer als in einem direkten Gespräch. Die schlug sich in erster Linie in Besonderheiten der Äußerungsproduktion nieder. So zeigt sich in vielen Äußerungen ein Hang zum Monologisieren sowie eine erhöhte Redundanz. Die so entstehenden Gesprächsbeiträge sind gekennzeichnet durch eine schwache Strukturierung und inhaltliche Unstimmigkeiten, die bemerkenswerterweise aber nicht immer auch Verstehensprobleme nach sich zogen. Einige der Unstimmigkeiten blieben unbemerkt, und insgesamt hatten die Teilnehmer das Gefühl, ihren Gesprächspartner verstanden zu haben. 3.1.1 Monologisierungstendenzen Ein Hang zum Monologisieren war vor allem bei denjenigen Gesprächsteilnehmern erkennbar, die an ihrem VK-Platz allein waren. Dabei geht es nicht einfach um lange Gesprächsbeiträge, sondern um Beiträge, die durch ständiges spontanes 22 Hinzufügen und Wiederholen von Informationen in die Länge gezogen wurden. Bei einem größeren Teilnehmerkreis, d.h. in den Konferenzen mit zwei bis drei Teilnehmern am gleichen VK-Platz, war diese Tendenz nicht zu beobachten. Auch in einsprachigen Konferenzen war uns ein solches Verhalten nicht aufgefallen. Der amerikanische Student Jay, der in der Rolle eines Bewerbungskandidaten mit der Personalchefin einer Firma ein Gespräch führte, das man insgesamt als äußerst erfolgreich bezeichnen kann, produzierte viele lang gezogene Beiträge, weil er stellenweise das Gefühl hatte, nur mit sich selbst zu reden: "I kind of felt like I was talking to myself at times ... I wasn’t that intimidated because she wasn’t there in front of me and there was a middle man translating what I was saying, therefore, there wasn’t so much pressure put on me and what I was saying." (5b/65). "[...] I just kept talking and rambling, because she wasn’t in front of me ... (5b/103f). Bei Jay äußerte sich der fehlende Bezug zur Interviewerin so, daß er weniger Druck als in einem direkten (Bewerbungsgespräch) verspürte und "unbeschwerter" redete. Dadurch entstanden für eine Bewerbungssituation unangemessene Äußerungen. Auch die Sprachtrainerin Lucy redete in ihrem "Bewerbungsgespräch" mehr als sie wollte. Dadurch wurden ihre Redebeiträge – wie auch die anderer Teilnehmer – planlos, sie sagte gelegentlich Unüberlegtes (Beispiel 2) und verstrickte sich dadurch in Situationen, die für eine Job-Kandidatin unvorteilhaft wirken. Beispiel 2 (6b, T2-Platz) T1: Gut, können Sie mir sagen was = D: = Well, (2) are you having fun in teaching and eh are you orientating both towards children and adults? 2 T2: Ehm. Yes, I, I at the moment eh I teach only one child, but I really enjoy that still. Eh, But most of all I’m interested in teaching adults. (3) I wanted to try teaching children, I did that, and it was very nice, but I don’t think that’s really where my future lies. (7) 3 T1: Eh und warum? = 1 D: 4 T2: = Why is it more interesting to work with adults? Ehm. Well, I found the Business English area very interesting, ehm I’m interested to find out more about business, find out more about different companies, automobile industry has really interested me and obviously that’s not possible when you’re teaching children, eh I found it a little bit limiting. Ehm teaching general English to children. (7) T2 (Lucy) kommentierte diese Passage wie folgt: "I don’t think I would have got myself in that situation because as soon as you say ‘I enjoy that more than that’ ... you always get straight back ’Why?'. And you just try and not to get yourself into that situation because whatever reason you say is going to be weak. ... I think I would have been a bot more careful if the person had been in front of me then. I was trying to keep talking but I could have just shut up at that point. ... I said a bit more than I should have." (6b/37f). 23 Beim Anhören der VK-Aufzeichnung war Lucy noch mehrere Male erstaunt über das, was sie selbst gesagt hatte. An einer Stelle, an der es um ihre Zeitaufteilung bei ganztätigen Trainings ging, erklärte sie, vormittags mache sie "grammar intensive work, just tackling individual’s problems, without wasting time, well not wasting time, but spending time on other students’ problems [...]" (6b/24). In der Kommentarsitzung konnte sie kaum glauben, beinahe die Formulierung "wasting time on other students" (Zeit mit anderen Lernern verschwenden) gebraucht zu haben. Derartige "Ausrutscher" und Lucy's Reaktion darauf (Erstaunen über die eigenen Äußerungen) deuten auf die erhöhte Belastung der Teilnehmer hin – ob durch VK, Verdolmetschung oder Bewerbungssituation. Die gesamte kommunikative Situation erforderte erhöhte Konzentration beim Sprechen und hatte qualitative Mängel, insbesondere Strukturmängel und Redundanz in den Geprächsbeiträgen zur Folge. 3.1.2 Redundanz Der erwähnte unzureichende Bezug zum Gesprächspartner äußerte sich auch in einer ständigen Unsicherheit der Teilnehmer darüber, wie ihre eigenen Äußerungen vom Gesprächspartner aufgenommen wurden. Sie fühlten sich unverstanden bzw. zweifelten, ob ihre Äußerungen vom Gesprächspartner richtig (d.h. so wie beabsichtigt) verstanden wurden – und das, obwohl sie selbst kaum oder keine Verstehensprobleme hatten (vgl. 3.1.4) und daraus den Schluß hätten ziehen können, daß es dem Gesprächspartner ebenso geht. Der latenten Unsicherheit versuchten sie durch erhöhte Redundanz in ihren Äußerungen zu begegnen, die bei weitem das Maß an Wiederholung überstieg, das man aus direkten Gesprächssituationen kennt und das ein Merkmal aller mündlicher Rede ist. "It’s sort of taking a chance having someone else saying my words for me but that’s why I tried to be clear and tried to -- like I never completely finished a sentence, I was always adding things on because I wanted to be clear and make sure that I got everything in." (5a/81). Die Teilnehmer waren bei ihren Äußerungen also wenig auf Sprachökonomie bedacht, sondern wollten vielmehr der von ihnen empfundenen Notwendigkeit des Insistierens Rechnung tragen, damit ihre Äußerungen trotz der situativen und namentlich technischen "Barrieren" und trotz Verdolmetschung zum Gegenüber durchdringen. Das Problem der hier zu beobachtenden, spontanen Redundanz ist allerdings, daß sie ebenso wie die beschriebenen Monologisierungstendenzen zu strukturellen Mängeln in den Gesprächsbeiträgen führt. 3.1.3 Strukturelle Schwächen Die strukturellen Mängel in den Äußerungen forderten den Zuhörern erhöhte Konzentration ab. Zumindest einige Teilnehmer fanden die VK-Sitzung deshalb anstrengender als ein persönliches Gespräch. 24 Außerdem entstand bei einigen Teilnehmern aufgrund struktureller Mängel das Gefühl, daß ihre Gesprächspartner das Thema häufig abrupt wechselten: "It just went straight back on to the next question. I did feel as if it was kind of jumping from point to point. [...] I found it a bit kind of abrupt in many ways, I suppose." (2a/208f). Teilweise mag dieser Eindruck durch den speziellen Stil der Interviewer in den Bewerbungsgesprächen entstanden sein. Einige hatten offenbar eine Art Checkliste, die sie abarbeiteten; und bei der Konzentration, die natürlich auch sie (als Sprecher) angesichts der VK-Situation aufwenden mußten, kann der Übergang von einem Thema zum nächsten auf der Liste schon einmal abrupt geraten sein. Häufiger entging aber den Teilnehmern die eine oder andere Einzelheit oder Wendung im Gespräch einfach, und sie hatten daher einfach nur das Gefühl, es fände ein abrupter Themenwechsel statt. Als Teilnehmer konnte man Unzulänglichkeiten in einer Äußerung natürlich nur über die Verdolmetschung wahrnehmen. Daß sie trotzdem wahrgenommen wurden, sagt etwas über die Verdolmetschung aus. Inwiefern die Verdolmetschung den Eindruck planloser Rede, mangelnden Sinnzusammenhangs oder abrupter Themenwechsel beeinflußte oder gar verstärkte, wird in Kap. 4 genauer hinterfragt. 3.1.4 Inhaltliche Mängel Die Teilnehmer gaben allesamt an, keine oder höchstens unmaßgebliche inhaltliche Verstehensprobleme gehabt zu haben; die akustische Qualität der VK-Sitzungen spielte für sie gar keine Rolle. Probleme mit der Tonqualität wurden auch in den Interview-Sitzungen von den Teilnehmern gar nicht thematisiert. Auf Nachfrage der Versuchsleiter gaben die Teilnehmer an, akustisch alles verstanden zu haben. Beides ist bemerkenswert: das problemlose akustische Verstehen, weil es im krassen Gegensatz zu den akustischen Problemen der Dolmetscher steht; das problemlose inhaltliche Verstehen, weil die Transkripte zeigen, daß sowohl die Originalbeiträge als auch die Verdolmetschungen eine Reihe von Unstimmigkeiten bzw. Fehlern enthielten, auch in Gesprächen, die scheinbar reibungslos verliefen. Einige der inhaltlichen Unstimmigkeiten blieben von den Empfängern einfach unbemerkt und erzeugten somit kein Verstehensproblem. So wurde z.B. Lucys Aussage "I feel I can always adapt my teaching methods" vom Dolmetscher (akustisch) falsch verstanden als "I ... doubt my teaching methods" und demzufolge mit "Ich habe Zweifel an meinen Lehrmethoden" übersetzt. Doch diese für ein Bewerbungsgespräch recht ungewöhnliche Aussage der Bewerberin Lucy löste keine Reaktion (Nachfrage o.ä.) bei der Interviewerin aus. Man kann davon ausgehen, daß der die Interviewerin diese Aussage entgangen ist. Für die Stellen, an denen die Teilnehmer die Unstimmigkeiten in den Erwiderungen ihrer Gesprächspartner wahrnahmen, ist der Umgang damit interessant. Aus den Kommentaren der Tübinger Probanden geht hervor, daß sie sehr genau abwogen, ob sie mit einer Nachfrage Klärung einholen (Beispiel 3) oder nicht (Beispiel 4). 25 Beispiel 3 (4a, T2-Platz) 1 T2: Ja, Ich würde gerne zu Beginn des Semesters einen Einstufungstest machen, ... und ich würde sehr gerne die Leute einteilen in zwei Gruppen. [...] 2 D: Ja, ich wollte trotzdem noch was zu diesen Leistungsniveaus sagen, es gibt ja schon in der Schule Tests, sie müssen die Leute also nicht nochmal testen, nur wenn es Ihnen jetzt wirklich darum geht zu wissen, in Ihrer schwachen und Ihrer stärkeren Gruppe, wie die Leute sich genau auskennen ... Aber Sie müssen eigentlich keine Niveaugruppen bilden im eigentlichen Sinne, weil diese Tests vorher schon durchgeführt werden, und Sie haben ja schon eine stärkere und eine schwächere Gruppe ... 3 T2: Ja, kann ich dann diese Tests... = 4 D: 5 T2: Ah ja, kann ich diese Tests dann vorher einsehen, daß ich ein bißchen weiß, was da vorhanden ist an Wissen? 6 T1: D’accord, je... = = Aber es gibt keine Niveaugruppen. D: 7 T2: = Ja, ich kann Ihnen die natürlich zuschicken, die Tests. ... Ja gut, könnte ich das dann ..., ist da dann das Prinzip mit den zwei Gruppen, sind Sie damit einverstanden, oder möchten Sie, daß ich ... soll ich sie nicht aufteilen? Der Kommentar von Beate (T2) zu diesem Ausschnitt ist sehr aufschlußreich: "Gut, da mußte ich jetzt wirklich nochmal nachfragen, weil ich mir dann auch nicht mehr sicher war, nachdem sie das, sie hat zu mir gesagt, es ist okay mit der stärkeren und schwächeren Gruppe, und dann hat sie mir erzählt, daß sie Einstufungstests haben [Turn 2], und dann hat sie mir erzählt, daß es keine Niveaugruppen gibt [Turn 4], und dann war ich ein bißchen am schwimmen. Deshalb wollt ich das jetzt einfach nochmal klären, also da war ich mir nicht sicher, ob wir uns jetzt falsch verstanden hatten oder ob das jetzt einfach .... Deswegen mußt ich nochmal, was eigentlich schon ewig lang abgehakt war, nochmal irgenwie hochgraben." (4a/79) Die Aussagen (2) und (4) standen hier in einem so offensichtlichen Widerspruch zueinander, daß Beate eine Klärung benötigte. Ihr Kommentar macht allerdings deutlich, daß sie um die Schwierigkeit des Nachfragens (via Dolmetscher) wußte. Ihr war klar, daß dies das Gespräch in seiner Entwicklung aufhalten bzw. zurückwerfen könnte. Wohl aus ähnlichen Überlegungen heraus entschied sich Sibyl im folgenden Beispiel gegen eine Nachfrage. Beispiel 4 (4b, T2-Platz) 1 T2: ... Im Grammatikbereich, wenn man den reinen Grammatikbereich hat, ist es natürlich schwer, alle Möglichkeiten, die einem der Computer, das computergestützte Lernen bieten, daß man die auch alle verwendet und benutzt. Grade Hörübungen und Sprechübungen sind eben etwas schwieriger. Das heißt, da kann man viele Funktionen gar nicht so nutzen. 2 T1: Vous pensez = D: = Dann denken Sie also, daß der Computer sehr, sehr viele Möglichkeiten an sich bietet, vor allem im grammatikalischen Bereich? T2: Nicht vor allem, nein, aber er bietet eine ganze Menge Möglichkeiten auch den Leuten, die anfangen, eine Sprache zu lernen ... 3 26 Sibyl beschrieb diese Situation wie folgt: "Das war ein Moment, wo ich dachte, oje, sie [die Dolmetscherin] muß es irgendwie falsch übersetzt haben. Denn das ist eigentlich genau das Gegenteil von dem, was ich gesagt hab. Ich hab gesagt, daß das gerade im Bereich der Grammatik eingeschränkt ist, und sie sagt, das bietet also gerade im grammatikalischen Bereich Möglichkeiten. Da war ich dann so einen kurzen Moment am Schwanken, was mach ich jetzt, sag ich jetzt 'nein, das haben Sie falsch verstanden, ich meinte das so und so', oder sag ich einfach, 'sei's drum, laß laufen, mach weiter'. Ich hab mich dann für das zweite entschieden, glaub ich." (4b/74) Diese Beispiele belegen, daß die Teilnehmer strategisch entschieden, ob die Klärung von Mißverständnissen für den Fortgang des Gesprächs notwendig ist. Außerdem zeigen die Beispiele, daß die Teilnehmer auch darüber nachdachten, ob eine Unklarheit vom Gesprächspartner oder vom Dolmetscher erzeugt wurde. Dabei geht es nicht darum, ob die Teilnehmer die Fehlerquelle "korrekt" bestimmen konnten. Das ist in den beiden Beispielen ohne Kenntnis aller Redebeiträge (Original und Verdolmetschung) gar nicht möglich. Vielmehr ist es wichtig festzuhalten, daß die Teilnehmer keinesfalls alle Unstimmigkeiten automatisch dem Dolmetscher anrechneten. 3.2 Interaktion Eine gedolmetschte VK ist für die Gesprächsteilnehmer von "Distanz" und gelegentlich schleppendem Tempo geprägt. Sie müssen sich über eine Mittlerperson verständigen; durch die Verdolmetschung ist die inhaltliche Verständigung etwas mühselig. Daneben gestaltet sich aber auch der Sprecherwechsel komplexer und verlangsamt sich. Da ist es dann besonders hinderlich, daß die verschiedenen (verbalen und nonverbalen) Feedback-Signale, mit denen wir normalerweise den Sprecherwechsel organisieren, aber auch die Verstehensprozesse kontrollieren und die Äußerungsproduktion steuern, aufgrund der räumlichen Trennung, Ausschnitthaftigkeit der Bildübertragung und zeitverzögerten Tonübertragung nicht oder nur unzureichend zur Wirkung gelangen. Das Fehlen dieser Signale vermittelt den VK-Teilnehmern den Eindruck eines unzureichenden Rezipientenbezugs, der, wie beschrieben, wiederum weitreichende Konsequenzen für Verstehen und Produzieren hat. 3.2.1 Schleppendes Tempo beim Sprecherwechsel Aufgrund der gewählten Gesprächsszenarien (Bewerbungsbzw. Informationsgespräche), hatten wir vermutet, daß die mit den Szenarien verbundene Verteilung der Rollen in "Fragende" und "Antwortende" den Sprecherwechsel etwas vereinfachen würde. Es zeigte sich jedoch schnell, daß sich die Gespräche komplexer gestalteten, als die Szenarien auf den ersten Blick vermuten ließen. Oft wurden gar keine Fragen formuliert, sondern es reihte sich Aussage an Aussage, oder längere beschreibende Teile gingen einer Frage voraus. Beate kommentierte es 27 so: "Ja gut, da war's dann auch so, daß sie [T1] sehr viel beschrieben hat. Und ich fand nicht recht den Punkt, 'ne Frage zu stellen oder 'ne Antwort zu geben. Und sie hat mir auch nicht direkt 'ne Frage gestellt. Es war eben so ein Gespräch, wo man normalerweise einfach unterbricht und was dazu sagt. Und nicht eben so Frage – Antwort." (4a/35). Somit ging es in den Gesprächen ebenso "spontan" zu wie in Gesprächen ohne feste Rollenverteilung. Die Besonderheit am Sprecherwechsel bestand in der mehrfachen Verzögerung in bezug auf den Empfang des Dolmetschtons, denn zu der VK-typischen Übertragungsverzögerung kam der Abstand hinzu, den der Simultandolmetscher zum Originalredner benötigt: Zunächst setzt die Verdolmetschung beim Simultandolmetschen immer erst mit einer gewissen Verzögerung ein; durch diesen notwendigen Abstand endet der Dolmetscher auch sehr häufig nach dem gerade verdolmetschten Teilnehmer. In den Videokonferenzen war dieser Abstand oft sogar noch größer als normalerweise beim Simultandolmetschen. An den Teilnehmerseiten äußerte sich das in schleppendem Tempo mit langen Wartezeiten auf eine Erwiderung, die nicht selten 10 Sekunden und mehr betrugen (Beispiel 5). Beispiel 5 (8a): Wartezeiten in der gedolmetschten VK Zeit (s) T2-Platz D-Platz T2: Und wie sieht es aus mit Kran1,5 3,0 4,5 T2: Und wie sieht es aus mit KranT2: kenversicherung, sind wir da T2: irgendwie abgesichert als auslänT2: dische Studenten in England? 7,5 9,0 10,5 12,0 13,5 15,0 16,5 19,5 21,0 22,5 24,0 25,5 27,0 28,5 30,0 1 T2: kenversicherung, sind wir da 6,0 18,0 T1-Platz 7 D: In --- Groß- D: --- britannien --- D: --- haben die D: meisten Studenten private D: Versicherungen – ODER D: SIE D: "National D: Service". sind im Health Das 2 T2: irgendwie abgesichert als auslän3 D: Ehm, what D: Ehm, what T2: dische Studenten in England? D: about our health insurance D: about our health insurance D: ehm do-do we get the same D: ehm do-do we get the same D: health insurance as students in D: health insurance as students in D: England? 4 D: England? 5 T1: Well, the bizarre thing about T1: Well, the bizarre thing about T1: Britain is most students, in T1: Britain is most students, in T1: fact probably all students 6 probably all students T1: fact D: In --- GroßT1: don't actually have private T1: don't actually have private D: --- britannien --T1: health care – ehm everyone T1: health care – ehm everyone D: --haben die T1: just uses the National Health T1: just uses the National Health D: meisten Studenten private T1: Service. So it's up to you to T1: Service. So it's up to you to D: Versicherungen – ODER T1: individual foreign students T1: individual foreign students D: SIE sind im T1: to make sure they make T1: to make sure they make D: "National Health T1: arrangements for their own T1: arrangements for their own D: Service". Das T1: health care. T1: health care. D: bedeutet, daß also jeder D: bedeutet, daß also jeder 28 D: Student ehm selbst hier 31,5 D: Student ehm selbst hier D: Vorkehrungen treffen muß. D: Vorkehrungen treffen muß. In Beispiel 5 sind alle drei beteiligten Stellen (Teilnehmer 1, Dolmetscher, Teilnehmer 2) dargestellt. Die erste Äußerung stammte von T2. Nach ca. 6 Sekunden hatte T1 seine Frage beendet und wartete von diesem Zeitpunkt an auf eine Anwort. Diese erhielt er ca. 11 Sekunden später. Die lange Pause kam folgendermaßen zustande: 1. vk-bedingte Verzögerung bei Übertragung von T2 zu D: die Äußerung von T2 traf mit ca. 0,4 Sekunden Verzögerung (VK-bedingt) beim Dolmetscher ein. 2. dolmetschbedingter Abstand: Die Verdolmetschung begann mit ca. 4 Sekunden Verzögerung. 3. vk-bedingte Verzögerung bei Übertragung von D zu T1: Wiederum etwas verzögert war die Verdolmetschung nach insgesamt ca. 5,5 Sekunden bei T1 zu hören. 4. unmerkliche Pause vor der Antwort: Die Verdolmetschung endete am T1-Platz nach etwa 10,5 Sekunden. T1 begann ohne merkliche Pause mit der Antwort. 5. vk-bedingte Verzögerung bei Übertragung von T1 zu D: Die Antwort kam wieder etwas verzögert beim Dolmetscher an. 6. dolmetschbedingter Abstand: Dolmetscher zu sprechen. 7. vk-bedingte Verzögerung bei Übertragung von D zu T2: Schließlich wird die Wahrnehmung der Antwort bei T2 dolmetschbedingt noch einmal kurz verzögert. Ebenfalls wieder verzögert begann der Die Verdolmetschung schließlich kam nach ca. 16,5 Sekunden bei T1 an. Somit vergingen vom Ende der Frage von T2 bis zum Eintreffen der (verdolmetschten) Antwort am T2-Platz 11 Sekunden. Einen Eindruck von den Wartezeiten, zu denen es stellenweise kam, vermittelt auch die folgende Abbildung. 29 Abbildung 3 (Verzögerungen beim Sprecherwechsel) Abstand T2-D Reaktion T2-T1 18 Rückmeldung T1-D 16 14 12 Sekunden 10 8 6 4 2 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Gesprächsbeitrag (Turn) Die Tabelle in Abbildung 3 zeigt zehn aufeinanderfolgende Sprecherwechsel. Die jeweils linke Säule zeigt an, in welchem Abstand der Dolmetscher nach dem jeweiligen Sprecher endet. Die Differenz zwischen der linken und der mittleren Säule zeigt, wieviel Zeit nach dem Ende der Verdolmetschung bis zur Reaktion des Gesprächspartners vergeht: im Durchschnitt weitere 4s, wobei der extreme Wert von Turn 2 mit 8s an dieser Stelle auf erhebliche Vorsicht oder Unsicherheit beim Sprecherwechsel hindeutet. Der Abstand zwischen mittlerer und rechter Säule veranschaulicht, mit welchem Abstand der Dolmetscher die Antwort des Gesprächspartners zu verdolmetschen beginnt: Es zeigt sich, daß der jeweils als Bezugspunkt genommene Teilnehmer im Durchschnitt rund 12s, oft jedoch auch 15s auf eine hörbare Antwort warten muß und immerhin meist erst nach knapp 9s am Bildschirm erkennen kann, daß sein Gegenüber zur Reaktion den Mund öffnet. Die Versuchung, in diese lange Pause hineinzureden und damit den Sprecherwechsel zu gefährden, war groß. 3.2.2 Nachträge durch Wartezeiten Die langen Wartezeiten, die man als Teilnehmer zwischen seinen eigenen Äußerungen und einer Erwiderung des Gesprächspartners, wahrnahm, hatten ein sehr oft wiederkehrendes Verhaltensmuster zur Folge: Sie verleiteten die Wartenden häufig dazu, zu ihren (schon beendeten) Gesprächsbeiträgen noch einen Nachtrag zu produzieren (Beispiel 6). Beispiel 6 (4a, T2-Platz): Nachtrag 1 T2: Ich wollte einfach auf der einen Seite prüfen, wie weit das Deutschwissen, Grammatik und ein paar Vokabeln allgemein vorhanden sind und dann danach schon einteilen, damit ich die Leute, die recht gut in Deutsch sind direkt für ihre Spezialfachsachen ausbilden kann und Leute, denen tatsächlich auch noch Deutsch Grundkenntnisse fehlen, die miterarbeite. --- Ich würde also einfach verschiedene Übungen machen, die ich dann, die Schwierigkeit unterschiedlich stufen würde. 2 T1: D’accord, em... = 30 D: = Ja, ich wollte trotzdem noch was zu diesen Leistungsniveaus sagen [...] In Beispiel 6 erkennt man, daß T2 (Beate) im Redebeitrag (1) nach einer Pause noch etwas hinzufügt. Beate kommentierte diese Stelle anschließend so: "Eigentlich war ich da zu Ende, und dann setz' ich nochmal 'nen Satz drauf, weil ich irgendwie auf 'ne Entgegnung warte, aber die kann einfach noch nicht kommen." (4a/72). In einem direkten Gespräch zeigt eine (zu) lange ausbleibende Reaktion des Gesprächspartners meist an, daß er nichts sagen will. Der Vorredner spricht in diesen Fällen meist weiter bzw. fügt noch etwas hinzu, z.B. um seine Redeintention deutlicher oder für den Partner relevanter zu machen. Diese Strategie wurde in den gedolmetschten VK-Sitzungen oftmals übernommen. Sie ist jedoch unpassend, weil die langen Pausen, wie beschrieben, hier eine andere Ursache haben. In Beispiel 6 hatte der Nachtrag keine Auswirkungen, weil die Dolmetscherin die Pause vor dem Nachtrag in der Verdolmetschung nicht nachvollzog und somit für den Empfänger gar nicht spürbar war, daß es sich um einen Zusatz zu einem eigentlich schon abgeschlossenen Beitrag handelte. Im allgemeinen waren die Nachträge jedoch nicht unproblematisch. Sie kreuzten sich manchmal mit einer bereits begonnenen Erwiderung, und es entstanden Überlappungen (Beispiel 7). Beispiel 7 (4a, T2-Platz): Nachtrag 1 T2: 2 T1: 3 T2: Ja, Ich würde gerne zu Beginn des Semesters einen Einstufungstest machen [...] und ich würde sehr gerne die Leute einteilen in zwei Gruppen. [...] Wäre das in Ordnung wenn ich den Kurs so aufteile? --- Ich würde dann versuchen, die Zeit zwischen den einzelnen Stunden für den jeweiligen Kurs [ zu überbrücken durch Eigen/ /* [ Alors --- OK, continuez.* durch Übungen [...] Hier wurde vor dem Nachtrag eine Frage formuliert. Da dies ein deutliches Signal für den beabsichtigten Sprecherwechsel ist, begann T1 sofort, etwas zu erwidern. Die Erwiderung kommt am Platz von T2 (Beate), von dem dieses Beispiel stammt, etwas zeitverzögert an. Auf den ersten Blick sieht es deshalb so aus, als unterbreche T1 hier die Sprecherin T2 (Beate) mitten im Redefluß. Beate erklärte jedoch anschließend: "Da hab ich dann den einen Fehler gemacht, daß ich was beschrieben hab', 'ne Frage gestellt hab und dann aber trotzdem einfach weitergesprochen hab und sie [T1] ja auch keine Chance hatte. Also eigentlich hätt' ich da ja auch warten müssen, aber irgendwie hab ich dann, weil ja nicht gleich 'ne Antwort kam, hab ich dann weitergesprochen, aber praktisch einen halben Satz später gemerkt, daß es auch Unsinn ist, was ich jetzt mache, weil ich ihr auch nicht die Chance gebe, auf eine Frage, die ich ganz genau gestellt hab, zu antworten. Aber, da war's schon vorbei." (4a/46). Im Verlauf einzelner VK-Sitzungen war zu beobachten, daß die Gesprächsteilnehmer ihr Kommunikationsverhalten anzupassen versuchten und sich um Vermeidung von 31 Nachträgen bemühten. Beate und andere Versuchsteilnehmer war dies eine Sache der Gewohnheit: "Da muß an sich wahrscheinlich erst wirklich dran gewöhnen, daß man wirklich einfach kürzere Sätze oder sich einfach kürzere Dinge überlegt und dann auch wirklich 'nen Punkt macht." (4a/72). 3.2.3 Überlappende Rede Überlappende Rede ist in einem direkten Gespräch sehr häufig und wird nicht als störend empfunden, sondern ist eher ein Mittel für sehr effiziente Kommunikation ist: Man beginnt schon mit seiner Erwiderung, wenn der Gesprächspartner die letzten Silben ausspricht. In Videokonferenzen sind Überlappungen dagegen sehr problematisch, weil sie erstens andere Entstehungsursachen haben und zweitens von den VK-Partnern wegen der zeitverzögerten Übertragung nicht gemeinsam erlebt werden. In den gedolmetschten Konferenzen gab es Überlappungen zwischen dem Dolmetscher und den Teilnehmern, aber wegen des offenen "Rückkanals" auch direkt zwischen den Teilnehmern. Zu den Ursachen für überlappende Rede zählten hier nämlich neben den beschriebenen Nachträgen bzw. den zugehörigen Verdolmetschungen auch Zwischenbemerkungen der Zuhörer, die über den offenen "Rückkanal" vom Zuhörer zum Sprecher im Originalton zu hören waren (vgl. Kap. 2.1.3) und wegen der zeitverzögerten Tonübertraung zu spät an der Gegenstelle eintrafen und deshalb dort oft mitten in eine Äußerung "hineinplatzten". Schließlich entstanden Überlappungen durch versuchte Rederechtübernahmen in ungeschickt gesetzten oder einfach nur falsch (als Sprecherwechselsignal) interpretierten Pausen in einem Gesprächsbeitrag bzw. der zugehörigen Verdolmetschung. Gerade im Fall der Pausen ist es (wie auch in Beispiel 7) so, daß ein Gesprächsteilnehmer etwas in eine Pause hinein sagt, was aber an der Gegenstelle erst dann ankommt, wenn dort schon wieder gesprochen wird, so daß die Überlappung nur einseitig an der Gegenstelle wahrnehmbar ist. Demzufolge gestaltet sich auch die Auflösung von überlappender Rede sehr komplex. Die Erfahrungen mit (subjektiv empfundenen) Unterbrechungen und Überlappungen lösten wiederum bei den Teilnehmern Unsicherheit darüber aus, ob bzw. wann sie das Wort haben (Beispiel 8). Beispiel 8 (2a, T2-Platz) 1 D: [...] how long have you been in Tübingen? 2 T2: (2) Ehm, --- I only arrived ... = 3 D: = And, äh, --- how much time --- would you want to spend, --- äh, for a part-time job? 4 T2: (1) Ehm, --- I only arrived in Tübingen a couple of weeks ago, --- ehm, I'm going to be here until the end of February. --- A part-time job would suit me better as I have to study here as well. 5 D: (3) Äh, --- let me repeat my --- last question, ehm, that was --- for how long do you want 32 to stay here? /Or/ that means you will be here for --- approximately one semester or a YEAR? 6 T2: (1) Ehm, --- I'll be here until the [end of Fe* 7 D: [And* perhaps (12) O. K., l..., let me --- repeat that. (2) Are you not staying in Germany --- for --- a very long time? 8 T2: (2) Ah, I'm [going to be --- here until the end of February* [wird leiser] 9 D: [Or --- perhaps it* would be a chance for you to get a job in the educational field, for instance to offer --- private tuition, --- or to --- work --- in some form of institution ehm --- in a classroom situation. 10 T2: Right. [...] Das Beispiel zeigt einen Ausschnitt vom T2-Platz (Tammy). Von der Gegenstelle (T1; Christof) kommen mehrere Nachträge. Tammy versucht zunächst in (2) und später auch in (6) als auch in (8) relativ erfolglos, Antworten auf Christofs Fragen zu plazieren. Jedes Mal wurde sie von Christof (bzw. von der Verdolmetschung!) wieder unterbrochen, weil er noch weitere Fragen anhing. Auf ihrer Seite entstanden deshalb zahlreiche Überlappungen. Tammy fühlte sich unterbrochen und war zunächst verunsichert: "You don't know when to speak"; 2a/5). Später versuchte sie, den Überlappungen strategisch gegenzusteuern, indem sie länger wartete, bevor sie etwas sagte: "I got a bit more used to it, but I think it put me off – the fact, that several times I did start to reply and then got cut off, and I think that made me actually pause a bit longer ... because I thought 'I don't want this to keep happening'. I don't know whether it necessarily got any easier. [...] I think you'd need a couple of conversations with the same people to kind of get used to the way it works [...] I think, I think there's always going to be various pauses." (2a/283ff). Insbesondere in den Bewerbungsgesprächen ging es den Tübinger Teilnehmern (Bewerbungskandidaten) bei ihrem Bemühen um die Vermeidung bzw. Auflösung überlappender Rede auch um den "guten Eindruck" beim Interviewer. Häufig war z.B. zu beobachten, daß die Tübinger Teilnehmer, sobald sie vom Interviewer (scheinbar) unterbrochen wurden, diesem bereitwillig das Wort überließen (Beispiel 9). Beispiel 9 (6b, T2-Platz): Umgang mit Überlappungen 1 T2: 2 T1: 3 T2: 4 T1: It varies, and that’s what I like, eh I have one-to-one courses, I also teach quite large groups, large meaning anything up to ten students. Ehm --- I like -- classes of all sizes for different reasons. I find [I can * [Ahm, Und * = = Yes? (6) OK. Was ist Ihrer Mei ... = D: = (2) What is the most successful method in your opinion? ... Die Bewerberin T2 (Lucy) gerät hier in (1) ins Stocken. T1 (die Interviewerin) nahm wohl deshalb an, daß jetzt Lucy nichts mehr sagen wolle und versuchte deshalb in (2), ihre nächste Frage anbringen. Obwohl dies für Lucy wie eine Unterbrechung 33 mitten in ihrem Satz wirkte und Lucy nicht einmal sicher sein konnte, ob die Interviewerin lediglich eine kurze Zwischenbemerkung machte oder das Wort ergreifen wollte, setzte sie mit ihrem "Yes?" in (3) und einer relativ langen Pause – bis zum Eintreffen von Turn 4 bei Lucy vergingen 6 Sekunden – ein deutliches Signal für ihre Bereitschaft, der Interviewerin das Rederecht zu überlassen. Sibyl erklärte dieses Bestreben, damit, daß man denke, "'Oje, dann hab ich dem Menschen, der mich vielleicht einstellen will, dem zukünftigen Chef reingelabert.' Das kommt dann noch mit im Kopf dazu. Eine höhergestellte Persönlichkeit unterbrechen. Das ist ein bißchen theatralisch ausgedrückt, aber das steckt schon mit drin." (4b/20). 3.2.4 Verlust an Spontaneität Betrachtet man die langen Wartezeiten zwischen den Gesprächsbeiträgen (vgl. Kap. 3.2.1), ist es eigentlich erstaunlich, wieviel Geduld die Teilnehmer oftmals aufbrachten bzw. daß überlappende Rede nicht zur Dauererscheinung wurde. Vielleicht sind Erwägungen wie die von Sibyl (zum Schluß des vorangegangenen Kapitels) ein Grund dafür, zumindest was die Bewerbungskandidaten betrifft. Die Kehrseite der davon war allerdings ein zögerliches Reagieren der Gesprächsteilnehmer, wie in dem bereits zitierten Kommentar von Tammy beschrieben: "[...] I think it put me off – the fact, that several times I did start to --reply and then got cut off, and I think that made me actually pause a bit longer even -- more than ... because I thought 'I don't want this to keep happening'" (2a/283ff). Wenn der nicht unterbrochene Sprecher nun redselig veranlagt war oder zumindest aufgrund der VK-Situation die beschriebenen Monologisierungstendenzen zeigte (vgl. Kap. 3.1.1), stellte sich beim Zuhörer zuweilen das Gefühl ein, nicht bzw. nicht an der geeigneten Stelle zu Wort zu kommen. Dadurch gingen einerseits Gedanken verloren, die sich zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr sinnvoll im Gespräch unterbringen ließen. Andererseits wurde auch die Korrektur von Mißverständnissen oder das Nachfragen bei Unklarheiten schwierig. Hier zeigt sich ein enger Zusammenhang zu einer häufig beobachteten Strategie im Umgang mit inhaltlichen Unklarheiten: Im Falle von Unklarheiten wogen die Gesprächsteilnehmer genau ab, ob sich durch Nachfrage Klärung einholen oder, weil es den Gesprächsfluß zu sehr stören könnte, lieber ohne Klärung fortfahren (vgl. Kap. 3.1.4). Wie hier lassen sich auch andere Verstehens- und Produktionsprobleme auf die VK- und dolmetschbedingten Schwierigkeiten mit der Interaktion zurückführen. Für die Schwierigkeiten mit der Unterbrechung oder Nachfrage ist ein Stück weit natürlich die Verdolmetschungssituation verantwortlich beobachten. Auch in den einsprachigen Videokonferenzen hatten wir dies aber bereits beobachtet. Auch dort sagten die Teilnehmer immer wieder aus, daß Gedanken verlorengingen, weil man sie keine Gelegenheit hatten, diese rechtzeitig ins Gespräch einzubringen. Somit 34 kann man davon ausgehen, daß das Gefühl durch die Kombination aus VK-Situation und Verdolmetschung noch verstärkt wurde. Insgesamt ist damit ein gewisser Verlust an Spontaneität zu konstatieren, weil man, wie Beate es formulierte, "nicht einfach kurz unterbrechen kann, nicht sagen kann: 'O nein, so hab ich's nicht gemeint', weil in dem Moment ja die Dolmetscherin damit beschäftigt ist – also dann würde mich ja nur die Dolmetscherin hören, ich müßte ihr sagen, daß sie etwas korrigieren muß, und dann wäre also aus einer einfachen kurzen Unterbrechung so ein wahnsinniges über drei Leute Hin-und-Hersprechen kommen. Deswegen hab ich gewartet, bis sie zu Ende geredet hat, und dann erst verbessert." (4a/29). 3.2.5 Unzureichendes Feedback Bei den bisher beschriebenen Besonderheiten der VK-Dolmetsch-Situation – Hang zum Monologisieren, Unsicherheit, ob das Gesagte beim Gesprächspartner ankommt usw. – wurde immer wieder deutlich, daß es für die Gesprächsteilnehmer schwierig war, einen Bezug zum Gesprächspartner aufzubauen und aufrechtzuerhalten bzw. ausreichendes Feedback vom Gesprächspartner zu bekommen (Hat er mich verstanden? Hört er mir zu? Will er etwas sagen?). Ein (themenunabhängiger) Bezug der Gesprächspartner zueinander ist wichtig für den reibungslosen Ablauf jeder kommunikativen Situation. Hierfür ist zum einen die Bedeutung nonverbaler Signale hervorzuheben. Im direkten Gespräch genügen oft ein Blick oder eine Handbewegung der Sprecherin, um zu signalisieren, ob sie auf einen Wechsel hinarbeitet, ob sie noch überlegt, nach einer passenden Formulierung sucht usw. Ebenso reicht ein entsprechender Gesichtsausdruck des Zuhörers, um anzuzeigen, ob er das Gesagte verstanden hat, ob er zustimmt und vieles mehr. In der VK-Situation generell ist die Übertragung bzw. Wahrnehmung dieser Signale schwierig: Direkter Blickkontakt ist kaum möglich und durch die verzögerte, ungenaue und ausschnitthafte Bildübertragung geht ein Teil der Gestik und Mimik verloren oder verfehlt seine Wirkung anderweitig. Hierin lag nach Aussage von Jay eine der wesentlichen Ursachen für die Unsicherheit und die Tendenz, endlos weiterzusprechen: "[...] I just kept talking and rambling, because she wasn’t in front of me ... because I couldn’t see her face. ... By people’s non-verbal feedback you can read so much and then that was what I had trouble with.(5b/103f). In den gedolmetschten Konferenzen kam hinzu, daß man zu dem Bild des Gesprächspartners die Verdolmetschung hörte, d.h. daß das Bild, aus dem ohnehin nicht alles zu entnehmen war, noch dazu auch nicht zum Ton paßte. Somit war es auch schwierig, die Gestik und Mimik des Gesprächspartners zu interpretieren. Wenn nonverbale Signale wegfallen, wie z.B. auch beim Telefonieren, verlassen wir uns normalerweise verstärkt auf verbale Signale. Die Sprecher verlegen sich auf beispielsweise auf eine entsprechende Intonation zum Anzeigen eines 35 Sprecherwechsels; die Zuhörer machen Zwischenbemerkungen ("mhm", "aha", "ach ja?") zur Bekundung von Zustimmung, Ablehnung oder Nichtverstehen. In der ViKiS-Situation wurden die (wichtigen) Zwischenbemerkungen der Zuhörer zwar über den offenen "Rückkanal" zum Sprecher übertragen (vgl. Kap. 2.1.3), doch aus ihnen konnte nur begrenzter Nutzen gezogen werden. Erstens kamen sie im Originalton (d.h. in der Fremdsprache) an und blieben deshalb weitgehend unverständlich. Zweitens trafen sie zu spät ein, so daß ihr Bezug nicht immer klar war. Darüber hinaus muß man auch bedenken, daß eine VK immer geprägt ist von begleitenden Nebengeräuschen und davon, daß die Teilnehmer sich mehr auf das, was sie sagen wollen, konzentrieren müssen, als in einem direkten Gespräch. Drang nun in diese "angespannte" Atmosphäre plötzlich ein akustisch oft nicht genau definierbares Geräusch, konnten schon kleine, normalerweise klare Zwischenbemerkungen ihre Wirkung vollkommen verfehlen (Beispiel 10). Beispiel 10 (8b, T1-Platz): Feedback-Probleme 1 T1: Okay. You should get there in the week starting the 19th of September (4) because the week after things really get going, so you should really be there in that week. Okay? 2 T2a: (4) Mhm. 3 T1: Right. What you do as you get then, I would recommend is come to us, in the oversea students’ office. 4 T2a: (5) Mhm. 5 T1: O. k? Ehm – you can find us on the main Campus you should be [jemand hustet] --- you should be sent [ a map* ... T2b: T1: 6 T2a: 7 T1: 8 T2a: D: [ Okay.* --- hello? - [ Okay?* [ Ja?* Right = = Ähm - wie sieht es = = (2) eh – what about - what about a contact person is there a special contact person for political sciences [...] In diesem VK-Ausschnitt sprechen zwei Tübinger Studenten (am T2-Platz) zur Vorbereitung ihres Auslandsstudiums in Birmingham mit einer Mitarbeiterin der Birmingham University (T1). T1 erklärt den Studenten, wie sie bei ihrer Ankunft in Birmingham vorgehen sollen. Die Studenten signalisierten in (2) und (4), daß sie den Äußerungen folgen können und keine Zwischenfragen haben. Die FeedbackKommentare ("Mhm") in (2) und (4) störten am T1-Platz nicht, weil sie dort in den relativ langen Pausen von T1 eintrafen. Zum Problem wurde dagegen der Kommentar "Okay" von in (5). Diese Bemerkung kam bei T1 vermutlich mitten in ihrer Rede an. Sie nahm das "Okay" wohl nur als Geräusch wahr, das sie nicht genau einordnen konnte. Deshalb prüfte sie einerseits mit "hello", ob die Verbindung noch gegeben war, und andererseits mit "okay?", ob die Studenten (T2) ihr folgen konnten. Durch die daran anschließenden Feedback-Kommentare geriet das 36 Gespräch für eine Weile durcheinander. Schließlich ergriff einer der Studenten das Wort, ohne daß T1 ihre in (5) begonnene Äußerung zu Ende bringen konnte. Insgesamt reagierten die Teilnehmer recht unterschiedlich auf verbales Feedback vom Gesprächspartner. Viele nahmen die Äußerungen kaum als FeedbackÄußerungen wahr (Beispiel 11). Beispiel 11 (Standort: T2) 1 T2: 2 T1: 3 T2: OK, ehm, yeah, I’ve -- done quite a bit of teaching with that in mind, with my students then being sent over to America, for example, -- ehm, and a lot of it comes from the students themselves, ehm what they want to know. Eh there are several things that I always have to mention, for example polite language, but also very practical things eh – the most essential – items, so ‘How do you go shopping’, ‘how do you eh -- buy tickets’ - for the train [and things* [Ah, ja.* Is this what you mean? Hier erläutert T2 (Lucy) etwas und erhält von T2 ein bestätigendes "Ah, ja". Dennoch vergewissert sie sich in (3), ob ihre Antwort passend war. Lucy's eigener Kommentar dazu zeigt, daß sie die Äußerung "Ah, ja" nicht einmal als Feedback-Äußerung wahrgenommen hat. "All I really heard from her [T1] was the ‘Ehm’. The first ‘Ehm’ after I responded and eh that was the same actually all the way through. I couldn’t really gage what she thought about it." (6b/188). Sibyl erkannte das Feedback ihres Gesprächspartners als solches, war aber irritiert, weil ihr der Bezug unklar war, d.h. "weil ich nicht wußte, ob er jetzt wirklich auf das reagiert, was ich gerade gesagt hab, oder auf was von vorher" (4b/33). Dieser Kommentar zeugt davon, daß Sibyl die VK-Situation sehr gründlich durchschaut hat. Andere Teilnehmer waren sich der Auswirkungen technischer Gegebenheiten (z.B. Verzögerung oder offener Rückkanal) weniger bewußt. Beate sagte beispielsweise zu ihrem Feedback-Verhalten an einer Stelle, da habe sie "auch ständig ein 'Ja, ja' gesagt, wo mir erst dann eingefallen ist, das kommt ja gar nicht drüben an. Aber gut. Sie sieht's wenigstens." (4a/32). Da Beate selbst gelegentlich Feedback-Kommentare von ihrer Gesprächspartnerin hörte, hätte sie schlußfolgern können, daß auch ihre Bemerkungen akustisch an der Gegenstelle ankommen. Andererseits konnte sie mit den Kommentaren ihrer Gesprächspartnerin überhaupt nichts anfangen (da sie kein einziges Wort Französisch kann) und hat diese deshalb vollkommen ausgeblendet bzw. lediglich als Geräusch wahrgenommen. 3.2.6 Gesprächseröffnung und Gesprächsende Probleme bereitete die Distanz (und ganz konkret die räumliche Trennung) schließlich auch bei der Gesprächseröffnung und am Gesprächsende. Die Interaktion zwischen den Teilnehmern war nämlich auch insofern eingeschränkt, als sie lediglich über den Dolmetschplatz miteinander verbunden waren. 37 Vor den VK-Sitzungen sprachen die Dolmetscher jeweils kurz mit jedem Teilnehmer einzeln (Einrichtungsphase). Danach entstand manchmal Verwirrung, weil keiner der Teilnehmer wußte, ob und wann das eigentliche Gespräch beginnen konnte. Sibyl wußte zu Beginn "überhaupt nicht, spricht der jetzt eigentlich schon mit mir, müßte ich den Dolmetscher hören, mit wem spricht der jetzt eigentlich. Und das hat wirklich ein bißchen die Unsicherheit ausgelöst. In dem Moment war ich völlig neben mir." (4b/22). In unserem Szenario lösten sich die Probleme allerdings meist schnell, weil die Rollenverteilung nahelegte, wer das Gespräch eröffnen sollte. 3.3 Wahrnehmung der VK-Verdolmetschung Man kann den Unterschied des VK-Dolmetschens zum herkömmlichen Dolmetschen auch an der direkten Reaktion der Gesprächsteilnehmer auf die Verdolmetschung. Deshalb ist die Wahrnehmung des Dolmetschers bzw. der Dolmetschsituation innerhalb der gesamten Situation durch die Gesprächsteilnehmer ein für die Bewertung des ViKiS-Setups entscheidender Aspekt. Herauszuheben ist hier zunächst das Gefühl der Natürlichkeit, das sich bei den meisten Teilnehmer in den simultan gedolmetschten Konferenzen trotz räumlicher Trennung vom Gesprächspartner und anderer für die Kommunikation eher ungünstiger Begleitumstände der VK-Situation einstellte. Die Teilnehmer hatten das Gefühl, direkt mit ihrem Gesprächspartner zu reden, und nicht mit dem Dolmetscher. Lucy erklärte, daß sie den Dolmetscher nach einer Weile gar nicht mehr wahrnahm ("I didn’t even notice him [den Dolmetscher] after a while."; 6b, 10). Jay gab z.B. zu Protokoll: "I knew I was talking to him [Dolmetscher] but I knew I was talking for her [T1] ... I certainly wasn’t fixing anything I was saying for Hans’ [Dolmetscher] benefit, it was more just, I was speaking the way I wanted her to hear me. What I wanted to appear." (5b/105). Dies ist auch ein wesentlicher Unterschied zu den konsekutiv gedolmetschten Videokonferenzen, von deren Teilnehmer im Anschluß berichteten, daß sie teilweise glaubten, das Gespräch mit dem Dolmetscher geführt zu haben und daß sie ihren eigentlichen Gesprächspartner gar nicht richtig wahrgenommen hätten. In den simultan gedolmetschten Konferenzen (ViKiS-Situation) es dagegen nicht einmal problematisch, daß in einigen Fällen eine weibliche Teilnehmerin von einem Mann gedolmetscht wurde bzw. umgekehrt. Hierin darf kein Widerspruch zu der Aussage der Teilnehmer gesehen werden, daß sie manchmal den Bezug zum Gesprächspartner verloren und deshalb z.B. viel und sehr redundant redeten. Es handelt sich um zwei verschiedene Ebenen der Betrachtung. Die Tatsache, daß die Probanden in den simultan gedolmetschten Konferenzen einen viel besseren Bezug zum Gesprächspartner hatten als in den konsekutiv gedolmetschten, sagt etwas über die Eignung der verschiedenen Dolmetschszenarien für das Dolmetschen in der VK aus. Dies schließt nicht aus, daß 38 die Verständigung in einer VK, und erst recht in einer gedolmetschten VK, natürlich schwieriger ist als in der direkten Kommunikation (mit und ohne Dolmetscher) und daß deshalb auch der Bezug zum Gesprächspartner in einer VK generell schwächer ist als in der direkten Kommunikation. Bemerkenswert ist, daß die meisten Teilnehmer trotz dieser Probleme und ihrer Folgen wie Unsicherheit u.a. das Eindruck eines reibungslosen Verlaufs von ihrer der VK-Sitzung hatten. Für Lucy verlief die VK so reibungslos, daß sie die Anwesenheit des Dolmetschers regelrecht vergaß und sich vollkommen auf ihre Gesprächspartnerin konzentrierte: "I think it went an awful lot smoother than I expected. I thought it was going to be very jolty and that you’d sort of forget the question because there would be such a gap and then they’d have to repeat it and you’d always be speaking over each other. That’s the idea that I had. But I didn’t even notice him [den Dolmetscher] after a while - in a way. I just had this voice - he’s got a very calm voice - it was really nice just - I don’t know - just how to describe it - it just goes in and you don’t even notice it. It’s excellent." (6b/10). Noch beim nachträglichen Anhören des Gesprächs-Mittschnitts von ihrem Platz (an dem nur sie selbst und der Dolmetscher zu hören sind), hatte sie das Gefühl, sie höre ihre Gesprächspartnerin statt der Stimme des Dolmetschers. Und das, obwohl hier ein (männlicher) Dolmetscher für eine Teilnehmerin gedolmetscht hatte. Auch Beate hatte einen positiven Eindruck von ihrer VK und empfand insbesondere das für das Simultandolmetschen typische "Zurückbleiben" des Dolmetschers "hinter der Szene" als angenehm: "Ich hab das Gefühl, wenn jetzt ein Dolmetscher allem physisch neben mir sitzt, dann wüßte ich jetzt nicht, mit wem ich sprechen soll." (4a/117). Auf Nachfrage der Versuchsleiter äußerten die Teilnehmer in den Befragungen Zufriedenheit mit der Dolmetschleistung. Zu beachten ist dabei, daß die tatsächliche Leistung der Dolmetscher von einem Teilnehmer kaum beurteilt werden kann und für diesen Eindruck nicht ausschlaggebend ist. Es handelt sich um einen positiven Eindruck, den die Gesprächsteilnehmer zu Protokoll gaben und der im übrigen auch daran deutlich wird, daß die in den VK-Gesprächen aufgetretenen Verstehensprobleme nicht automatisch den Dolmetschern an. So sagte Sibyl über eines der Verstehensprobleme: "Sie [die Dolmetscherin] hat ja eigentlich deutlich gemacht, daß ER [Gesprächspartner] es auch nicht verstanden hat, sonst hätte er ja nicht nachgefragt. Ich hatte aber auch den Eindruck, daß sie es vielleicht auch nicht richtig mitgekriegt hat, war aber da nicht so sicher." (4b/44). Schließlich hatten die Teilnehmer auch inhaltlich einen positiven Eindruck von ihrem VK-Gespräch. Des gilt sogar für diejenigen, die größere Schwierigkeiten mit der Interaktion hatten und denen die Situation weniger natürlich vorkam. Zufriedenheit mit der ausgetauschten Informationsfülle äußerten alle befragten Teilnehmer. Beate schätze ein, daß "wir für eine Viertelstunde wir relativ viel geklärt haben. Also für mein Gefühl. Ich fand, ich hatte jetzt 'ne klare Aussage, ab wann ich da sein soll, was von mir in der ersten Woche erwartet wird ... für mich wäre es auf jeden Fall 39 schon mal 'ne Info, mit der ich mich selber orientieren könnte ..." (4a/107). Auch für Jay war das Gespräch nicht nur erfolgreich, sondern auch sehr authentisch: "That was a real interview ... what she needed to get she got and what was to be asked I was asked." (5b/285). Angesichts der insgesamt positiven Beurteilung der Gesprächssituation insgesamt, der Fülle der ausgesuchten Information und der Dolmetschleistung ist es nicht verwunderlich, daß eine Teilnehmerin auf die Frage, was ihnen in ihrem VKGespräch die größten Schwierigkeiten bereite, weder Aspekte der VK-Situation noch Merkmale der Dolmetschsituation hervorhob, sondern lediglich das Bewerbungsszenario: "I don’t think that an interview situation is incredibely relaxed anyway. But I think that was the only problem." (5a/15f)). 3.4 Zusammenfassung Zusammenfassend ist zunächst festzuhalten, daß die VK-Situation und die Dolmetsch-Situation die Distanz zwischen den Gesprächspartnern auf spezifische und unterschiedliche Weise erhöhen und die Kommunikation insgesamt erschweren. In einem Kommunikationsszenario wie dem Bewerbungsgespräch tritt dies besonders klar zutage (und ist deshalb besonders gut zu beobachten), denn in diesem Szenario wird auch den scheinbar nebensächlichsten Aspekten der Kommunikation größte Aufmerksamkeit geschenkt. Ausgelöst vor allem durch Probleme mit der Gesprächsinteraktion, insbesondere mit der nonverbalen Verständigung, dem Sprecherwechsel und dem Feedback vom Gesprächspartner, führte der teilweise fehlende Bezug zum Gesprächspartner zu Produktions- und Verstehensproblemen. Gerade an schwierigen Stellen in der Kommunikation wurde aber an dem strategischen Verhalten der Teilnehmer auch deutlich, daß sie von Beginn an versuchten, mit den Problemen umzugehen, sie zu lösen und sich auf die kommunikative Situation einzustellen. Der positive Gesamteindruck der meisten Teilnehmer deutet darauf hin, daß ihnen das auch weitgehend gelungen ist. Aus Sicht der meisten Teilnehmer hat ihr Gespräch auch nicht einfach nur "funktioniert", sondern war sogar erfolgreich. Sogar der Eindruck der auswärtigen Interviewer in den Bewerbungsgesprächen, also der schwierigsten der hier geschaffenen kommunikativen Situationen, waren von den (simultan gedolmetschten) Konferenzen immerhin so positiv angetan, daß sie auf diese Weise zumindest Vorgespräche mit einer Reihe von Bewerbern führen würden, auch wenn sie das entscheidende Gespräch natürlich lieber unter vier Augen führen würden. 40 4 Das VK-Dolmetschen aus Dolmetschersicht In diesem Kapitel sollen die im Laufe der Testreihe erhobenen Daten aus der Perspektive des Dolmetschers beleuchtet werden. Der Schwerpunkt wird hierbei auf den folgenden beiden Fragen liegen: Welche Faktoren beeinflussen die Dolmetschleistung in einer VK-Situation, insbesondere im Unterschied zur herkömmlichen Simultansituation? Welche Strategien verwenden bzw. entwickeln die Dolmetscher, um sich an die Besonderheiten der VK-Situation anzupassen? Wie bereits im ersten Arbeitsbericht (Kap. 4.2) angedeutet, kommt der Audioqualität und der räumlichen Trennung eine entscheidende Rolle zu. 4.1 Verstehen und Produzieren: der Dolmetscher als Mittler Ein wenig überraschendes Ergebnis der Untersuchungen war, daß die unzulängliche Audioqualität für den Dolmetscher nach wie vor das Hauptproblem des VKDolmetschens darstellt. So zeigte sich bei der Auswertung der Daten immer wieder, daß die schlechte Audioqualität für den Dolmetschprozeß alles andere als förderlich war. Zum einen wiesen alle Dolmetscher in den Befragungen auf diesen Umstand hin; zum anderen bestätigte sich dieser subjektive Eindruck auch bei der Betrachtung der Daten bzw. Transkripte. Hier waren (neben Fehlern) häufig solche Prozesse und problemorientierte Strategien zu beobachten (vgl. Kalina 1998b), die auch in anderen Simultandolmetsch-Situationen ein Indiz dafür sind, daß der Dolmetscher Schwierigkeiten hat, dem Gesagten zu folgen und gleichzeitig einen adäquaten Zieltext zu produzieren. Als weiteres Erschwernis kam hinzu, daß der Dolmetscher hier stärker als in anderen Dolmetschsituationen als Mittler gefordert zu sein schien: Er mußte nicht nur über die sprachlich-kulturelle Distanz, sondern auch über die räumlich-soziale Distanz der Teilnehmer hinweg vermittelnd tätig sein. 4.1.1 Reduzierte Simultaneität Die auffälligste Folge der schlechten Tonqualität war wohl die Reduzierung der Simultaneität in der Verdolmetschung durch Erhöhung des Abstands zum Sprecher (Décalage) und/oder eine nachträgliche Präzisierung und Explizitmachung zu nennen. Eine Erhöhung des Abstandes macht es dem Dolmetscher möglich, den Inhalt einzelner Teilbeiträge bzw. die Gesamtintention des Sprechers besser abschätzen zu können, bevor er mit der Verdolmetschung beginnt. Nachteilig wirkt sich allerdings aus, daß der zeitliche Abstand zwischen Dolmetscher und Sprecher relativ groß wird, was vom Dolmetscher durch ein erhöhtes Redetempo und ein eventuelles Nachliefern von Informationen (d.h. etliche Sekunden nachdem der Sprecher geendet hat) ausgeglichen werden muß. Das folgende Beispiel, in dem eine zeitgleiche Darstellung der Äußerungen von T2 und des Dolmetschers 41 vorgenommen wurde, soll dies verdeutlichen (das Symbol [] steht für eine stakkatoartige Sprechweise). Beispiel 12 (2b, D-Platz) 1 T2: D: Ehm, -- I think I'd be more interested in, äh – handing out 2 T2: D: Tickets at the theatre. - Because – it would help me to speak Ich glaube, daß äh der Verkauf von Theater- 3 T2: More German, --- as opposed to just -- sitting at a desk and D: Tickets T2: Write – reading through English. – And also if the people in 4 D: wär' für mich doch interessanter, könnte ich doch äh denn da mehr mit den Menschen auf Deutsch 5 T2: D: The office speak, ehm, --speak more English than Sprechen und müßte nichtsovielenglischeBücherlesen 6 T2: D: German, which I don't know if they do or not, - then - that Und 7 T2: D: Also wouldn't be very useful for my - German. So, I, I'm quite und nachdem Sie schon sagten, daß 8 T2: D: Interested in the theatre job. Ihre Mitarbeiter in der Firma sehr gut Englisch sprechen, wär' das vielleicht für mich nicht so gut, weil ich ja Deutsch lernen möchte, und deswegen wäre ich eher an der zweiten Aufgabe, an dem zweiten Job interessiert [7 Sek. nach Ende T2, trotz stark erhöhtem Sprechtempo]. In diesem Beispiel fällt auf, daß der Dolmetscher einen überdurchschnittlich hohen Abstand zu T2 hält, um sich verstärkt auf den Verstehensprozeß konzentrieren zu können. Verstandene Elemente werden mit zum Teil erhöhter Sprechgeschwindigkeit "nachgeschoben", was insbesondere für den letzten Teil der Aussage gilt. Aufgrund der schlechten Tonqualität und der zusätzlich etwas verklausulierten Ausdrucksweise von T2 war für den Dolmetscher die Rednerintention erst sehr spät erkennbar, so daß er mit seiner Verdolmetschung ganze 7 Sekunden hinter T2 zurückfällt. Bezeichnenderweise kommentierte T1 im Anschluß an die VK, daß bei ihm stellenweise der Eindruck entstanden sei, es habe sich weniger um eine Simultanals vielmehr um eine Konsekutiv-Verdolmetschung gehandelt. An solchen Stellen gerät der Dolmetscher in einen Zielkonflikt: Durch die Reduzierung der Simultaneität kann er zwar die Qualität des Zieltextes verbessern, doch da er mit dem Zieltext wesentlich später fertig ist als der Originalredner, hemmt diese Strategie den Textfluß, und die großen Pausen, bei den Teilnehmern nicht zuletzt auch den Abstand des Dolmetschers entstehen zum Originalredner entstehen, erregen bei den Teilnehmern Unsicherheit (wo bleibt die erwartete Antwort oder Reaktion?) und verleiten sie dazu, in den Pausen weitere Äußerungen 42 nachzuschieben; Sprecherwechselstörungen sind die Folge (vgl. Kap. 3.2.1, ), die dann auch dem Dolmetscher Schwierigkeiten bereiteten (vgl. Kap. 4.1.2). 4.1.2 Komprimierung und Auslassung Um nun beides – die zum Verstehen oft notwendige reduzierte Simultaneität einerseits und das Bestreben, möglichst wenig hinter dem Originaltext hinterherzuhängen, andererseits – miteinander in Einklang zu bringen, versuchten die Dolmetscher an vielen Stellen, den Originaltext in der Verdolmetschung zusammenzufassen. Komprimierung ist eine beim Simultandolmetschen häufig angewendete Strategie, bei der der Dolmetscher einzelne ausgangssprachliche Detailinformationen ausläßt, die für das Gesamtverständnis und den logischen Aufbau des Zieltextes nicht unbedingt erforderlich sind. Beispiel 13 (2a, D-Platz) Original Verdolmetschung OK. Hello? --- My name is Tammy. --- I've just arrived in Tübingen --- a couple of weeks ago --to study at the university. I come from Leicester University. And I am studying modern languages, French and Italian. I've just started learning German. --- Ehm, and --- I' m wondering if you could help me find a job --- so that I can learn a bit more German and meet some people as well. Hallo. Mein Name ist Tammy. – Ich bin seit einigen Wochen hier in Tübingen. Ich komme aus Leicester University, studiere Französisch und Italienisch. Habe erst vor kurzem mit Deutsch angefangen. -- Und vielleicht könnten Sie mir helfen, einen Job zu finden. In der vorliegenden Textpassage, die durch eine besonders schlechte Tonqualität gekennzeichnet war, ließ der Dolmetscher die kursiv gedruckten AusgangstextElemente sowie die fett gedruckte Passage am Ende des Originalbeitrages in der Verdolmetschung aus. Bei der Übertragung der kursiv gekennzeichneten Elemente kann man von einer bewußten Anwendung der Komprimierungsstrategie bei der Verdolmetschung ausgehen, denn die Elemente werden in sinnvoller Zusammenfassung wiedergegeben. So wird aus der Äußerung "I've just arrived in Tübingen --- a couple of weeks ago --- to study at the university" in der Verdolmetschung einfach "Ich bin seit einigen Wochen hier in Tübingen." Der erste Teil der Äußerung, "I've just arrived in Tübingen", kann als redundant zum wichtigeren zweiten Teil, "a couple of weeks ago", angesehen werden. Der letzte Teil, "to study at the university", dürfte bereits aus dem Kontext kar geworden sein. Schließlich wußten die Gesprächspartner vor der VK-Sitzung voneinander, was sie machen. Die Komprimierung läßt sich also gut begründen. Der fett gedruckte Teil am Ende dieses Beitrages wurde dagegen vom Dolmetscher offenbar nicht verstanden. Die geringe Komplexität dieser Aussage läßt den Schluß zu, daß das Nichtverstehen auf die schlechte Tonqualität und nicht etwa auf mangelnde Sprach- oder Sachkenntnis seitens des Dolmetschers zurückzuführen ist. 43 Als bewußt eingesetzte Strategie hat die Komprimierung durchaus ihren Nutzen und auch vorbeugenden Charakter gegenüber den Verstehensproblemen. Zu starke Komprimierung bzw. zu viele Auslassungen können jedoch schnell zum Informationsverlust führen, vor allem dann, wenn die Kapazitäten des Dolmetschers anderweitig derart in Anspruch genommen sind, daß er keine sachliche und ruhige Entscheidung über die entbehrlichen Informationen fällen kann. 4.1.3 Starke Verallgemeinerung Trotz Abstand zum Originalredner und Komprimierung hatten die Dolmetscher Verstehensprobleme. Davon zeugen die häufigen Verallgemeinerungen in den Verdolmetschungen verglichen mit dem Originaltext. Die Dolmetscher waren bemüht, nicht (genau) verstandene Elemente des Originaltextes durch eine unverfängliche, allgemeine Aussage zu ersetzen, um so den Kommunikationsfluß aufrechtzuerhalten. Im folgenden Beispiel kam es infolge einer zügigen Sprechgeschwindigkeit des Teilnehmers und schlechter Tonqualität zu einer erheblichen Überschreitung der Leistungsgrenze des Dolmetschers, der deswegen Verallgemeinerungen und Ungenauigkeiten in Kauf nehmen mußte (Beispiel 14. Beispiel 14 (5b, D-Platz): Verallgemeinerungen Original Verdolmetschung 1 Do you find it important that your work is appreciated and that people commend you for it? 2 Yes I do. I think it’s ve.. it’s very important, uh, 3 But I think it’s also important to respect, uh, the Aber es ist genauso wichtig, daß man sich in authority that is within the company den Rahmen der Firma einfügen kann, 4 And if your idea is not the best or somebody decides that it’s not the best for this particular situation und wenn jemand sagt, daß meine, meine Ideen nicht die besten sind für die jeweilige Situation, 5 and you do have to, you know, take somebody else’s course, dann muß man auch die der anderen respektieren. 6 uh, I think there is a time and a place when you need to just let your opionion slide then. Es gibt immer eine Zeit und einen Ort, wo man seine Meinung kundtun kann, 7 If you truly believe that your opinion is the best for that situation aber man muß auch immer sehen, was in der Situation am besten ist. 8 then I would never, I would not be afraid to speak that Ich hätte also keine Angst, meine Meinung zu sagen, 9 and I would not be afraid to express why I would think that my opinion is the best for that particular situation at that time. aber ich hätte auch keine Angst, davor, davon abzurücken, wenn das die Situation erfordert. 10 But I think it’s a matter of judgement Das ist also eine Frage des Urteilvermögens. Ich finde das wichtig, daß man meine Arbeit schätzt. [Pause 3s] In diesem Beispiel ist festzustellen, daß die durchgestrichenen Aussagen offensichtlich nicht verstanden wurden, was schon angesichts des geringen Schwierigkeitsgrades einerseits und der Häufung andererseits eher einem Hörproblem als anderen Verständnisschwierigkeiten zuzuschreiben ist. Doch selbst 44 bei scheinbar verstandenen Passagen drängt sich vielfach der Schluß auf, daß der Dolmetscher vor allem die hier fett markierten Schlüsselwörter herausfiltern konnte (genauso wie sie ihm an anderer Stelle, z.B. bei "slide" (6) und "express" (9) entgangen sind) und mit ihrer Hilfe den/einen Sinn bzw. Gesamtzusammenhang zu rekonstruieren suchte, die präzise Aussage des Satzes aber nur vage oder unterbewußt aufschnappen konnte. In (7) wurde beispielsweise der erste Teil des Satzes nicht verstanden; der Dolmetscher formt unter Hinzunahme einer unverfänglichen Floskel aus dem verstandenen Teil eine für den Zuhörer akzeptable Aussage. Da der Teilnehmer in (9) scheinbar parallel zu dem bereits verstandenen (8) formuliert, die Hauptaussage für den Dolmetscher hier jedoch unverständlich bleibt, schließt dieser auf eine naheliegende und daher unverfängliche Aussage – und irrt. Die Unsicherheit des Dolmetschers bei der Zieltextproduktion wird schließlich in der vielfachen Verwendung von abgeschwächten oder allgemeineren Formulierungen deutlich: In (5) stand beispielsweise das Schlüsselwort "somebody else" bei der Zieltextproduktion im Mittelpunkt, "take [their] course" wurde nur vage verstanden und durch ein wesentlich schwächeres "respektieren" wiedergegeben. Im Rahmen dieser Strategie sind paradoxerweise dem Dolmetscher ausgangstextliche Redundanzen geradezu willkommen. So wird der Hinweis auf die Situationsbedingtheit in (4), (7) und (9) stets wiedergegeben. Da Redundanzen als Wiederholungen etwas Bekanntes darstellen, sind die akustischen Verständnisprobleme geringer. Gleichzeitig erlauben sie es, überhaupt einen, wenn auch abgeschwächten oder verallgemeinerten Zusammenhang, wiederzugeben, der jedoch je nach Schärfe der Hörprobleme ans Banale grenzen kann. In dem hier beschriebenen Beispiel zog der Dolmetscher es vor, den Zieltext im Vergleich zum Ausgangstext zu verallgemeinern oder abzuschwächen, um so einem möglichen kommunikativen Schaden durch falsch wiedergegebene Details vorzubeugen. Unter Umständen hat der Dolmetscher noch die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt Einzelheiten (sofern sie verstanden wurden) zu präzisieren oder nachzuliefern, wenn das Sprechtempo dies erlaubt. Für die Verallgemeinerungen gilt ähnliches wie für die Komprimierung. Sie helfen sicher über die eine oder andere nicht (genau) verstandene Stelle hinweg. Ebenso bergen sie aber die Gefahr von Irrtümern, Ungenauigkeiten und, im schlimmsten Fall, Sinnentstellungen. In Kap. 3.1.4 wir gesehen, daß die Teilnehmer so manche Unstimmigkeit in den Äußerungen des Gesprächspartners (bzw. in der Verdolmetschung) auf sich beruhen ließen, weil sie die Aussage als weniger wichtig erachteten. Zu denken geben jedoch die Ungenauigkeiten und Unstimmigkeiten mit Blick auf den Einsatz der VK-Technik zur Behandlung fachbezogenerer Themen. 4.1.4 Reduzierte Produktionskapazitäten In Anbetracht der hohen Belastung der Dolmetscher beim Hörverstehen ist es doch erstaunlich, daß die produzierten Zieltexte immerhin so gut waren, daß die 45 Teilnehmer ein sehr positives Gefühl von den VK-Sitzungen hatten (vgl. Kap. 3.2.3). Dolmetscher selbst gingen kritischer mit ihrer Leistung um. In ihren Kommentaren verwiesen sie darauf, daß sie aufgrund der Probleme mit dem Hörverstehen oftmals ihre Produktionskapazitäten reduzieren mußten, d.h. sie reduzierten diejenigen Kapazitäten, die für die Kontrolle der Zieltextproduktion aufgebracht werden konnten, um sich verstärkt dem Hör- und Verstehensprozeß widmen zu können. Solange die reduzierten Kapazitäten für eine adäquate Produktion noch ausreichen, muß diese Vorgehensweise nicht zwangsläufig mit einer verminderten Zieltextqualität einhergehen. Ist der Dolmetscher jedoch gezwungen, ein Übermaß an Kapazitäten für die Rezeption des Ausgangstextes aufzuwenden, kann sich dies natürlich negativ auf den produzierten Zieltext auswirken. So konnte beobachtet werden, daß die Dolmetscher zum Teil gedehnt oder abgehackt sprachen, was in einer Störung des Textflusses resultierte. Weitere Indizien für die reduzierten Produktionskapazitäten sind eine auffällige Häufung von Stocklauten ("äh", "ehm" usw.), die Wiederholung bereits gesprochener Wörter sowie eine unsinngemäße Pausensetzung (Beispiel 15, Beispiel 16) oder auch das Verhaften in Ausgangstext-Strukturen (Beispiel 17). Beispiel 15 (2a, D-Platz): unsinngemäße Pausensetzung Original Verdolmetschung Dann würde ich vielleicht versuchen noch ein bißchen zu berichten, daß es verschiedene Leute, verschiedene Nationalitäten gibt. Zur Zeit gibt es sehr viele äh Leute aus Rußland, aus den ehemaligen Sowjetrepubliken. Äh, die deutscher Abstammung sind, und deshalb das Recht haben nach Deutschland zu kommen. Aber überhaupt kein Deutsch sprechen. Das heißt Sie müßten auch in der Lage sein in solchen Klassen - äh mit englisch – zu beginnen, aber natürlich sprechen Sie vermutlich kein Wort russisch. Es ist äh also ein durchaus äh für Sie auch interessantes Neuland. OK, äh, let ---, let me just --- add --- that there are various --- nationalities at the moment. There are many people from Russia and from the former republics of the Soviet Union, ethnic Germans, and they are entitled to --- come to Germany, and many of them don't speak --- German at all, --- and, äh, for you --- that means that you would have to teach in those classes using, using English as the, --- äh, language of instruction, but I don't suppose that you, that you speak Russian ---. So for that, äh, for you that would be inter..., an interesting and, äh, new experience, wouldn't it? Die Pausen in der Verdolmetschung in Beispiel 15 sind nicht besonders gravierend. Sie mindern jedoch die Qualität des Zieltextes und wirken auf Dauer ermüdend für den Zuhörer. Das folgende Beispiel zeigt aber, daß die unsinngemäße Pausensetzung auch eine Quelle der Verunsicherung der Teilnehmer sein konnte: Hier führte eine solche Pause in Turn 9 zu einer (kurzer) Unklarheit bei T2 (Sibyl). Beispiel 16 (4b, T2-Platz): unsinngemäße Pausensetzung 1 D: Haben Sie in diesen Schulen eine bestimmte Erfahrung sammeln können mit Computergestützten Sprachmitteln? 2 T2: Äm, ja, das habe ich, und zwar vor allem in der letzten Zeit sehr häufig. ... 3 T1: Oui = D: = Ja gut, könnten Sie vielleicht genauer beschreiben, wo ihre Erfahrungen da bestehen? ... 46 4 T2: Ähm, es ist unterschiedlich. Sehr großen Wert lege ich eigentlich immer darauf, daß die Dinge, die am Computer gemacht werden, auch noch einmal in der Gruppe nachbereitet werden, besprochen werden. Gegebenenfalls auch schon vorher eingeführt werden, so daß also niemand nur mit dem Computer alleine ist. ... 5 T1: C’est ca, donc... = D: = Ja, genau. Also die Teilnehmer sind meistens in einer Gruppe und Sie selbst, Sie sind eigentlich auch immer da? 6 T2: Ja ja, auf jeden Fall. 7 D: Und im Moment haben Sie keine Erfahrungen --- in denen Sie gesehen hätten daß die Studenten z.B. alleine arbeiten, also nicht direkt bei Ihnen sind, und Sie kontrollieren sie nur von Ferne, oder nach dem, nachdem die eigentliche Arbeit getan ist? Für Sibyl stellte sich diese Situation so dar, daß sie nach langem Reden über ihre Erfahrung in Turn 9 plötzlich hörte: "Sie haben also keine Erfahrungen. Sibyl kommentierte dazu: "[...] dann wartete sie [die Dolmetscherin], was als nächstes kommt von ihm [T1], und machte da eine kurze Pause. Und irgendwie hat mich diese Pause am Anfang irritiert, weil ich dachte. 'Wie, keine Erfahrungen? Ich hab doch gerade von meinen Erfahrungen geredet.' Und dann ging der Satz erst weiter ..." (4b/39). Interessant ist, daß auch hier die Unklarheit nicht direkt der Dolmetscherin angelastet wurde. Sibyl führt die Pause einfach auf eine Pause im Originaltext zurück ("dann wartete sie, was als nächstes kommt"). Beispiel 17 (4a, D-Platz): Verhaften in Ausgangstext-Strukturen Original Verdolmetschung 1 Alors, première chose, vous parlez Ja, also das erste, Sie sagen da 2 Des groupes de niveaux. Niveaus und Einstufung 3 Il faut savoir que und da müssen Sie wissen 4 Les groupes de niveaux 5 Sont déjà organisés dans l’école par le département des langues de manière générale en début de première année. daß hier schon Einstufungstests stattfinden von der Linguistikabteilung, und zwar am Ende [Hörfehler] des ersten Jahres. 6 Ce qui fait que Das führt dann dazu 7 toutes les scolarités des étudiants en cours des trois ans qui suivent sont déjà prédéfinies par groupe de niveaux. daß während der gesamten Zeit, der Studienzeit von drei Jahren die Studenten schon vordefiniert sind, was ihr Niveau angeht. In Beispiel 17 ist in der rechten Spalte (Verdolmetschung) zu sehen, daß der Dolmetscher sich eng an den Strukturen des Originaltextes orientiert und die darin angelegte Redundanz weitgehend nachvollzieht. Dieses Verhalten ist oftmals dann zu beobachten, ein Loslösen von Originaltext-Strukturen aufgrund von Hör- und Verstehensproblemen schwierig bis unmöglich erscheint. Das Verhaften an den Originaltext-Strukturen sowie die in der Aufnahme deutlich hörbare Kurzatmigkeit der Dolmetscherin lassen darauf schließen, daß dieser sich unter Druck befindet. Wie in den vorangehenden Beispielen, so ist auch hier zu vermuten, daß die Probleme im Dolmetschprozeß mit der Tonqualität zusammenhängen. Außerdem hatte der 47 Dolmetscher aber noch mit vielen anderen ungewohnten Umständen zu tun und andere bzw. neue Aufgaben zu bewältigen. 4.1.5 Der Dolmetscher als Mittler Ein wesentliches Merkmal aller Videokonferenzen ist die räumliche Trennung der beteiligten Personen, die die Kommunikation insgesamt erschwert. Dieses Kapitel befaßt sich mit der Frage, inwiefern sich diese Trennung und der damit einhergehende mangelnde Bezug zum Gesprächspartner auf den Dolmetschprozeß auswirken. Auf die Bedeutung nonverbaler Signale (Gestik, Mimik etc.) für die Herstellung dieses Bezuges wurde bereits hingewiesen. Da die nonverbalen Signale (z.B. zum Anzeigen eines Sprecherwechsels) mit dem Videobild nur in unzureichendem Maße übertragen wurden, waren die Zuhörer (auch die Dolmetscher) verstärkt auf verbale Informationen, z.B. eine entsprechende Intonation, angewiesen. Die Teilnehmer konnten diese Informationen natürlich nur aus der Verdolmetschung beziehen, so daß die Dolmetscher hier entsprechend gefordert waren. In den Äußerungen der Teilnehmer schlugen sich die räumliche Trennung bzw. ihre Folgen nun u.a. in einem Hang der Sprecher zum Monologisieren, in unstrukturierten, redundanten Redebeiträgen nieder. Um diese in der Verdolmetschung auszugleichen, erachteten die Dolmetscher gelegentlich eine Präzisierung oder explizite Bezugnahme zu früheren Aussagen für notwendig (Beispiel 18). Beispiel 18 (5a, D-Platz) Original Verdolmetschung T1: Ich würde gerne Ihnen eine ganz spezielle Stelle vorstellen.. ehm.. die...ja wo ich denke, daß es vielleicht interessant sein könnte, und..em.. zwar ist das eine Position im.. in dem technischen Bereich, die aber auch sehr viel auch an sprachlichem Gefühl erfordert, und dieses beides zusammen erscheint mir eine interessante Kombination, em, es ist ein technischer Redakteur, und dieser technische Redakteur, der soll also die Texte, die man als Kunde beispielsweise braucht, vor allen Dingen auch im englischsprachigen Raum oder auch in aller Welt, der soll diese Texte.. eben erstellen, und dazu ist es erforderlich, eine ganze Reihe von.. em.. Funktionen und von Kollegen eben.. em zusammenzubringen, um eben diese Texte korrekt abzufassen. Weiterhin wird sicherlich..em auch verlangt, daß es eben manchmal, wenn Aufträge eben termingerecht fertigwerden müssen, daß es da eben dann manchmal auch Überstunden gibt, so daß man also manchmal keine geregelten Arbeitszeiten hat. Und em.. da Sie eben diese Stellenausschreibung auch kennen, haben Sie Fragen dazu? D: Well, it seems that that was a demanding task, and I’m sure you had to work very hard. Uh - I would like to propose a specific job for you. I think that particular job might be -- interesting for you -- and that is a job in the technical field that also requires linguistic -- knowledge, and the combination of the two seems to be very interesting for you. What we’re looking for is a technical writer. The job of that technical writer would be -to write texts for our customers, our Englishspeaking customers throughout the world, so -your job would be to write texts and -- that of course requires that you -- have an overview of various functions, departments, co-operate with colleagues. And -- furthermore --- it’s important to -- meet the deadlines and it might be necessary here and there to work overtime, so that uh the working hours would have to be quite flexible. I think you have read [Ende T1] our job description, but let me ask you first: do you have any questions regarding that particular position? [Ende 5s nach T1] 48 Die Originalrednerin macht zwar anfangs die Intention ihres Beitrags deutlich, doch aufgrund der Länge und des Detailreichtums wird ihr Beitrag zu einer Art Monolog, der abrupt abgebrochen wird mit "...da Sie eben diese Stellenausschreibung auch kennen..". Dadurch wird der Sprecherwechsel sehr unvermittelt eingeleitet. Dem Dolmetscher gelingt hier mit etwas mehr Aufwand ein wesentlich sanfterer Übergang: Er rundet die Beschreibung mit einem Hauptsatz ab und kündigt die abschließende Frage, die den Sprecherwechsel einleitet, mit einem eingefügten (hier fett markierten) Satz explizit an. Seine Frage ist mit der Wiederaufnahme durch "that particular position" ebenfalls expliziter, so daß der Gesprächspartner insgesamt weniger unvermittelt zum Antworten aufgefordert wird als in der Originalfrage. Vor der vorschnellen Einordnung solcher Fälle als VK-typisches Verhalten des Dolmetschers sollte man sich stets vor Augen führen, daß es sich hier zunächst um einen speziellen Fall der Simultanverdolmetschung handelt, nämlich die simultane Verdolmetschung eines Gesprächs. Ein Gespräch ist generell durch spontane Rede gekennzeichnet, die in der Regel weniger strukturiert ist als eine vorbereitete Rede. Hinzu kommt noch eine Besonderheit, die auf das ViKiS-Setup zurückgeht: Ein einziger Dolmetscher ist für das gesamte Gespräch zuständig, d.h. er dolmetscht in beide Richtungen. Ohne zu große und unzulässige Verallgemeinerung läßt sich jedoch sagen, daß die Dolmetscher in unserer speziellen VK-Dolmetsch-Situation, d.h. bei der Verdolmetschung von Gesprächen am ViKiS-Dolmetschplatz, den Eindruck hatten, stärker als Mittler gefordert zu sein als in anderen Dolmetschsituationen. 4.2 Interaktion: der Dolmetscher als Moderator An den Teilnehmerseiten war der Sprecherwechsel in den gedolmetschten Videokonferenzen gekennzeichnet durch besonders lange Wartezeiten auf Erwiderungen der Gesprächspartner an der Gegenstelle einerseits und durch Überlappungen (z.B. durch Hineinreden in die Wartezeiten) andererseits. Auch am Dolmetschplatz kam es zu überlappender Rede beider Gesprächsteilnehmer(seiten). Auch hier belegen die VK-Sitzungen und die Dolmetscher-Kommentare verschiedene Strategien der Dolmetscher. Insbesondere waren die Dolmetscher darauf bedacht, nicht nur den Gesprächsinhalt, sondern auch den Gesprächsverlauf (Sprecherwechsel) so weit wie möglich zu antizipieren und aktuelle Wendungen im Gesprächsverlauf den Teilnehmern aktiv zu signalisieren. Insgesamt geriet der Dolmetscher dabei zuweilen in eine Rolle, die ihm sonst nicht oder nicht in diesem Maße zufiel: Er mußte teilweise als Moderator des Gesprächs agieren. 4.2.1 Überlappende Rede am Dolmetschplatz Ein wesentlicher Grund für Überlappungen am Dolmetschplatz waren die bereits beschriebenen teilnehmerseitigen "Nachträge" während des Wartens auf eine Antwort vom Gesprächspartner (vgl. Kap. 3.2.2). Ein weiterer Grund waren längere 49 Pausen des Dolmetschers in der Verdolmetschung, bedingt durch die reduzierte Simultaneität. In solchen Pausen bestand die Gefahr, daß der Hörer glaubte, sein Gesprächspartner habe den Redebeitrag beendet, und das Wort ergreifen wollte. Die Dolmetscher gerieten einige Male in die Situation, daß beide Teilnehmer gleichzeitig sprachen. Dabei war dreierlei zu beobachten: Wenn sie nichts mehr verstanden, griffen die Dolmetscher explizit in das Gespräch ein, indem sie einen der Teilnehmer baten, seine Aussage zu wiederholen. In anderen Fällen warteten sie ab und überließen es den Teilnehmern selbst, den Kommunikationsfluß wieder in Gang zu bringen. Am häufigsten aber versuchten sie, die Situation durch indirekte Eingriffe wieder zu normalisieren. Insbesondere bestimmten sie selbst, in welcher Reihenfolge sie die überlappenden Redebeiträge dolmetschten (Beispiel 19). Beispiel 19: 8a D-Platz 1 T1: D: Yes, there are a lot of sports groups at university [...] Ja, es gibt da ziemlich viel Sportgruppen [...] 2 T2b: D: Super. Klingt sehr toll. T2c: Wie schaut's mit dem Nachtleben aus [ in Birmingham * ? 3 Oh, that sounds great. T1: [ Birming * ham's a good university to go to, I can definitely recommend it. 4 D: Ja, also da ist es äh in Birmingham wirklich toll. Ich kann das empfehlen. | (zu T1 !): Ehm, what about nightclubs and going out in the ev [ ening?* T2b: [ Liegt die* Uni auch ziemlich zentral, also kann man mit dem Rad oder so sich fortbewegen – Richtung Innenstadt? Ehm, is äh the university situated ehm near the town centre? D: T1-Platz 1 T1: Yes, there are a lot of sports groups at university [...] 2 D: (7) Oh, that sounds great. 3 T1: Birmingham's a good university to go to, I can definitely recommend it. 4 D: (6) Ehm, what about nightclubs and going out in the evening? = T2b: = also kann man mit dem Rad oder so sich fortbewegen – Richtung Innenstadt? D: Ehm, is äh the university situated ehm near the town centre? T2-Platz 1 D: Ja, es gibt da ziemlich viel Sportgruppen [...] 2 T2b: Super. Klingt sehr toll. T2c: (2) Wie schaut's mit dem Nachtleben aus in Birmingham? T1: Birmingham's a good university to go to, I can definitely recomme ... = 3 50 D: = Ja, also da ist es äh in Birmingham wirklich toll ich kann das empfehlen. 4 T2b: Liegt die Uni auch ziemlich zentral, also kann man mit dem Rad oder so sich fortbewegen – Richtung Innenstadt? Beispiel 19 zeigt einen Ausschnitt aus einer VK, in der drei Studenten aus Tübingen (am T2-Platz) Fragen zum Austauschstudium an eine Mitarbeiterin der Universität Birmingham (T1-Platz) richteten. Die Präsenz mehrerer Teilnehmer am T2-Platz erschwerte die Kommunikation insofern, als die Teilnehmer am T2-Platz gelegentlich hintereinander sprachen, ohne T1 dazwischen zu Wort kommen zu lassen. In Beispiel 20 geschieht dies in (2). Ein Problem entstand hier, weil T1 glaubte, daß der Redebeitrag (2) mit der T2bÄußerung "Oh, that sounds great." beendet sei und zu sprechen begann. T2c hatte aber noch eine Frage gestellt, und die T1-Äußerung (3) platzte schließlich am Dolmetschplatz mitten in die T2c-Fage hinein. Interessant ist, daß der Dolmetscher zuerst die T1-Äußerung (3) und dann erst die T2c-Frage übertrug, obwohl die beiden Äußerungen in umgekehrter Reihenfolge bei ihm eintrafen. Auf den ersten Blick sieht es also so aus, als sei der Dolmetscher, ebenso wie T1, davon ausgegangen, daß der T2-Beitrag mit der T2b-Äußerung "oh, that sounds great." zu Ende sei und sich nach dessen Verdolmetschung auf T1 konzentrierte und deshalb die T2c-Äußerung erst später verdolmetschte. Aus dem T2-Transkript dieser Passage kann man jedoch entnehmen, daß der Dolmetscher sehr wohl noch abwartete, ob die Teilnehmer am T2-Platz noch weitersprechen. Man erkennt das daran, daß die englische Original-Äußerung (3) von T1 ("Birmingham is a good university ...") am T2-Platz noch teilweise zu hören war. Der Kanal von T1 zu T2 war also offen, und dies war immer nur dann der Fall, wenn T1 gerade in der Hörer-Rolle war. Folglich muß die Dolmetschrichtung noch eine Weile von T2 zu T1 geschaltet gewesen sein, d.h. der Dolmetscher rechnete offensichtlich noch eine Weile mit weiteren Äußerungen von T2-Seite, ehe er den Kanal umschaltete. Seine Entscheidung, die etwas später eintreffende T1-Erwiderung (3) trotzdem vor der T2c-Frage zu übersetzen, dürfte sehr bewußt gefallen sein, nämlich weil die T1Äußerung (3) inhaltlich eine Art Nachtrag zu ihrer vorangegangenen Erklärung bzw. Erwiderung auf die T2b-Äußerung "Super. Klingt sehr toll" war. Die T2c-Frage blieb somit zwar (zunächst) unbeantwortet, doch der "rote Faden" im Gespräch blieb trotz der (im T-Platz-Transkript gut sichtbaren) sehr komplexen Überlappungen erhalten. 4.2.2 Antizipation und Signalisierung An dem im vorangegangenen Kapitel ausführlich diskutierten Beispiel 19 läßt sich erkennen, daß dem Dolmetscher gerade im Falle von überlappender Rede gelegentlich die Aufgabe zufiel, den Gesprächsverlauf zu organisieren. Darüber hinaus verdeutlicht das Beispiel, wie wichtig es gerade an solchen Stellen war, daß die Dolmetscher in hohem Maße vorausschauend handelten. Nur durch 51 umfangreiches Antizipieren des Gesprächsverlaufs und -inhaltes waren die Dolmetscher in der Lage, einige Sprecherwechselprobleme dieser Art auszugleichen (vgl. auch Beispiel 20). Die Erfahrung der Sprecherwechselprobleme lehrte, daß die Dolmetscher den Teilnehmern am besten entsprechende Signale übermitteln, die diesen mitteilen, ob der Redner einen Sprecherwechsel wünscht oder nicht. Sofern für den Dolmetscher also erkennbar ist, daß der Sprecher noch weiter fortfahren will, obwohl aufgrund des Gesagten bereits angenommen werden könnte, er habe einen Sprecherwechsel intendiert, sollte der Dolmetscher dem Zuhörer durch Füllwörter und Konjunktionen (und, außerdem, ich darf hinzufügen etc.) signalisieren, daß der Sprecher noch weitere Aussagen machen möchte. Beispiel 20 (2b, D-Platz) 1 T1: D: Ja, ich hab so ein paar Vorstellungen, was wir mit Ihnen machen könnten. Äh, OK, well, I have, 2 T1: D: das eine was ich mir vorher überlegt hatte, äh, i..., in fact I have some ideas what we could offer you. 3 T1: D: ist eine Aufgabe, die eigentlich äh nicht so sehr viel mit Menschen zu tun hat. Äh, one thing 4 T1: D: Und äh das andere ist eine Aufgabe, die ziemlich viel mit Menschen zu tun hat. is a task that doesn't really involve working with people, and the other thing is a 5 T1: D: Äh in dem ersten Fall kann ich Ihnen persönlich vielleicht ein bißchen helfen. task that does involve quite a lot of working with people. As far 6 T1: D: Und im zweiten Fall müßte ich Sie bitten, sich mal mit einem Theater in as the first option is concerned, perhaps I can be of help, and as far as the 7 T1: D: Verbindung zu setzen. Nicht the second option is concerned, äh you would have to contact a theatre. 8 T1: D: T2: daß Sie dort auf der Bühne stehen müssen, sondern Sie stehen sozusagen A N D not that you would have to work as Yeah. 9 T1: D: vor der Bühne und würden Menschen begrüßen ... an actress ... T1 liefert hier einen recht langen Redebeitrag. In Zeile 7 macht er eine lange Pause. Der Dolmetscher antizipiert hier, daß T2 den Beitrag von T1 aufgrund dieser Pause als abgeschlossen verstehen könnte, merkt aber, als er mit der Verdolmetschung gerade bis zur Pause aufgeholt hat ("... conact a theatre"), daß T1 fortfährt. Zur Überbrückung des Abstandes, den er zur inhaltlichen Erfassung von T1' weiterer Rede benötigt, fügt der Dolmetscher hier schnell ein gedehntes "AND" ein und signalisiert T2 damit, daß T1 noch weitersprechen wird. Wie nützlich diese Art von Signalisierungsstrategie hier ist, erkennt man daran, daß T2 offenbar schon im Begriff war, etwas zu erwidern (Zeile 8). 52 Im weiteren Verlauf der Untersuchungsreihe wurde diese Signalisierungsstrategie sehr häufig zur Vermeidung von Überlappungen herangezogen. Diejenigen Dolmetscher, die in mehreren VK-Sitzungen arbeiteten, streuten ganz bewußt Füllelemente ein, um ein verfrühtes Reagieren des zuhörenden Teilnehmers zu vermeiden. Diese Strategie bot sich insbesondere dann an, wenn der Sprecherwechsel bereits vollzogen wurde, der Dolmetscher aber aufgrund einer anfänglichen Zögerlichkeit seitens des antwortenden Teilnehmers noch keine konkreten Aussagen machen kann. Ähnlich positive Auswirkungen auf den Gesprächsverlauf hatte die Tatsache, daß Pausen der Teilnehmer in ihren Redebeiträgen vom Dolmetscher nicht immer nachvollzogen wurden, sondern teilweise einfach zur Verdolmetschung genutzt wurden (Beispiel 21). Beispiel 21 (9a, D-Platz) Original Verdolmetschung Wenn ich im fünften Semester nach Birmingham gehen würde, also, im deutschen fünften Semester, muß ich dann direkt mit dem Professor absprechen, ob ich für den bestimmten Kurs geeignet bin oder nicht? (3) Oder entscheide ich ganz frei, welche Kurse ich belegen möchte in dem Austausch mit Tübingen und Birmingham? If I would go to Birmingham, ehm, as a fifth semester student, (2) would I have to contact the professor to make sure whether I have the right level for the courses on offer, or is that decision up to me, uh, which courses I would like to do while I am in, uh, Birmingham (1,5) as a fifth semester student? Der Originalredner war offenbar nach dem ersten Teil seiner Äußerung fertig, hängt dann aber mangels ausbleibender sofortiger Reaktion ca. 3 Sekunden später noch etwas an. Diese Pause, die leicht zu einer Überlappung hätte führen können, konnte hier Dolmetscher "aufgefangen" werden, weil sie zur Verdolmetschung genutzt wurde. Ähnlich dem bewußten Einstreuen von Füllwörtern zur Signalisierung des Sprecherwechsels handelt es sich hier um ein strategisches Vorgehen des Dolmetschers oder zumindest um eine bewußte Entscheidung, die Pause nicht nachzuvollziehen, sondern zur Vervollständigung der Verdolmetschung zu nutzen. Abgesehen davon, daß die Pausen dazu sicher recht gelegen kam, verhinderte der Dolmetscher damit, daß der Gesprächspartner das Wort zu zeitig ergriff. Die Gefahr dabei ist allerdings, daß der Hörer aufgrund mangelnder Pausen (Sprecherwechsel-Angebote) kaum Gelegenheit bekommt, etwas zu erwidern. So führen die hier erörterten Problemfällen letztlich zu der altbekannten Frage, inwieweit der Dolmetscher den Gesprächsverlauf derartig steuern und beeinflussen darf bzw. muß. Die Antwort darauf ist für das VK-Dolmetschen vermutlich komplexer als für andere Dolmetschsituationen. 53 4.2.3 Der Dolmetscher als Moderator Der Dolmetscher hat im ViKiS-Setup gegenüber den Teilnehmern eine Sonderstellung. Er kann als einziger den Gesprächsverlauf aus einer Art Vogelperspektive beobachten, denn nur er kann gleichzeitig die beiden Teilnehmer und sich selbst hören. Wie beschrieben, ist es dem Dolmetscher aus diesem Grund auch eher als den Teilnehmern möglich, Überlappungen oder Brüche im Kommunikationsfluß zu erkennen und daraufhin steuernd einzugreifen, indem er einem der beiden Teilnehmer quasi das Wort erteilt bzw. im Falle von Überlappungen die Reihenfolge der Verdolmetschung bestimmt oder indem er durch Anwendung der beschriebenen Signalisierungsstrategie dem zuhörenden Teilnehmer vermittelt, daß er mit seiner Reaktion noch warten möge. Dadurch wurden die Dolmetscher in eine Art Moderatoren-Rolle gedrängt, die jedoch nicht alle von ihnen akzeptieren wollten. Wie ebenfalls bereits erwähnt, kam gelegentlich zu einer Situation, in der beide Teilnehmer gleichzeitig das Wort ergriffen, woraufhin der Dolmetscher nichts mehr verstand. In einigen Fällen erklärte dann einem der beiden Teilnehmer, was geschehen war und bat diesen, seine Aussage noch einmal zu wiederholen. Für den Dolmetscher ist dies jedoch eine sehr heikle Situation. Nach welchen Kriterien soll er entscheiden, wer das Rederecht erhalten soll? Fühlt sich der andere Teilnehmer nicht vielleicht übergangen? Diese Überlegungen stellte offenbar auch der Dolmetscher an, denn als sich eine ähnliche Situation zum zweiten Mal in derselben VK ergab, überließ er es den Teilnehmern zu bestimmen, wer weitersprechen darf. Hierdurch kam es allerdings zu einer ungewöhnlich langen Gesprächspause von ca. 16s, was für den Gesprächsverlauf wiederum auch nicht zuträglich ist. Zur Lösung von Sprecherwechselproblemen war also das gelegentliche Eingreifen des Dolmetschers unabdingbar, was ihn in eine neue bzw. ungewohnte Rolle brachte. Die Moderatoren-Rolle des Dolmetschers läßt sich aber nicht nur an der gelegentliche Steuerung des Gesprächsverlauf festmachen, sondern auch an der Vermittlung des Inhalts. 4.3 Zusammenfassung Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich die VK-Situation mit den in den Tests vorherrschenden Bedingungen (insbesondere Audioqualität) eher den schwierigen Dolmetschsituationen zuzuordnen ist. Zur Überwindung der Probleme sind die Dolmetscher gezwungen, vorwiegend problemorientierte Strategien einzusetzen, die die Qualität der Dolmetschleistung reduzieren (vgl. Abbildung 4). Verstehens- und Produktionsprobleme resultieren hauptsächlich aus der unzulänglichen Tonqualität. Diese ist verantwortlich für reduzierte Simultaneität in der Verdolmetschung. Damit der Abstand zwischen Original und Verdolmetschung nicht zu groß wird, muß in der Verdolmetschung stellenweise komprimiert werden. 54 Darüber hinaus hat die Tonqualität Verstehensdefizite zur Folge, die die Dolmetscher zur Verallgemeinerung und zu Auslassungen zwingt. Dadurch entstehen Irrtümer und Ungenauigkeiten. Schließlich muß dem Verstehen so viel Kapazität gewidmet werden, daß die Kontrolle der eigenen Produktion (d.h. der Verdolmetschung) und schließlich auch die Verdolmetschung selbst gelegentlich leiden. So werden z.B. Mängel im Originaltext (Stocken, Redundanz u.a.) nachvollzogen. Abbildung 4: Dolmetschstrategien in der VK Mittlerfunktion Moderation Signalisierung Reduzierte Simultaneität Komprimierung Antizipation Verallgemeinerung Reduzierte Outputqualität Die Interaktionsprobleme in der ViKiS-Situation (Simultanverdolmetschung eines Gesprächs) verlangen dem Dolmetscher ein hohes Maß an Antizipationsvermögen ab und erfordern spezielle Strategien zur Signalisierung des Gesprächsverlaufs an die Teilnehmer. Darüber hinaus kommen auf den Dolmetscher gesprächssteuernde Aufgaben (Moderation) zu, die in einer normalen Simultansituation nicht auftreten und dem Dolmetscher zusätzliche Kapazitäten abfordern. Angesichts der Tatsache, daß allein für den Hör- und Verstehensprozeß schon übermäßig viele Kapazitäten aufgewendet werden müssen, ist damit die Grenze des Machbaren schnell erreicht. Als zwei äußerst wichtige Punkte für den Umgang mit einer VK-Situation hoben die Dolmetscher deshalb hervor: die Gewöhnung an die VK-Situation durch entsprechendes Training sowie eine sehr gründliche Vorbereitung auf jeden einzelnen VK-Dolmetsch-Einsatz. 55 5 Auswertungsergebnisse Gegenstand dieses Kapitels ist die Diskussion der Datenauswertung in Kap. 2.5 sowie die Bewertung gedolmetschter Videokonferenzen. In Kap. 2.5 wurde deutlich, daß Dolmetscher und Teilnehmer in der ViKiS-Situation andere Bedingungen als in gewohnten kommunikativen Situationen vorfinden und daß insbesondere der Dolmetscher auch andere Aufgaben wahrnehmen muß als in anderen Dolmetschsituationen. Beide Gesichtspunkte wirken sich wesentlich auf die Akzeptanz der ViKiS-Situation aus, und zwar auf die dolmetscherseitige Akzeptanz sowie auf die Akzeptanz der Dolmetschleistung durch die Teilnehmer und damit verbunden die teilnehmerseitige Akzeptanz. 5.1 Probleme des VK-Dolmetschens 5.1.1 Dolmetscherseitige Probleme Mit Blick auf die begrenzten Ressourcen, die vom Dolmetscher zur Aufgabenerfüllung aufgeboten werden können, muß das Augenmerk zunächst jenen Faktoren gelten, die eine Beanspruchung der Kapazitäten über das normale Maß hinaus mit sich bringen. In der ViKiS-Situation ist hier zuvörderst die Qualität des übertragenen Originaltons zu nennen. In den meisten Fällen beschrieben die Dolmetscher die Tonqualität zwar als für Dolmetschzwecke insgesamt ausreichend. Gleichwohl mußten sie an einigen Stellen eingestehen, daß insbesondere das fremdsprachliche Original in bestimmten Einzelheiten akustisch nicht verstanden wurde. Solange diese Problematik nur einzelne Textelemente betrifft und selten auftritt, stehen dem Dolmetscher Strategien zur Überbrückung entsprechender Verständnislücken zur Verfügung. Im Falle einer Häufung wird jedoch der Kontext löchrig und die Erkennbarkeit der Textintention herabgesetzt; es kann zu Sinnentstellungen kommen. Nun wäre es allerdings verfehlt, die Schwierigkeit des VK-Dolmetschens allein auf die hohe Beanspruchung der Verstehenskapazitäten zurückzuführen. Schließlich ist jede Dolmetschsituation gekennzeichnet durch eine mehr oder minder hohe Belastung der mentalen Kapazitäten des Dolmetschers und eine entsprechende Aufteilung seiner Ressourcen. Auch Unzulänglichkeiten des Originaltextes (z.B. erhöhte Vortragsgeschwindigkeit, undeutliche Artikulation seitens des Redners, eine allzu komplexe Syntax oder Gedankenführung oder gar Unstimmigkeiten in derselben) oder erhöhte Anforderungen an den Zieltext (z.B. beim Fernsehdolmetschen) strapazieren die Kapazitäten des Dolmetschers. Eine solche Kapazitätsbeanspruchung durch einen Faktor läßt sich auch ganz gut wettmachen, solange die übrigen Faktoren im Normalbereich liegen. Die Schwierigkeit beim VK-Dolmetschen erwächst aus der Tatsache, daß hier gleich 56 mehrere Faktoren dafür Gleichgewicht gerät. sorgen, daß die Ressourcenaufteilung aus dem Durch die vollkommene Trennung des Dolmetschers von den Teilnehmern und die ausschnitthafte Bildübertragung fehlen nämlich auch wichtige nonverbale Signale, die zum Ausgleich einer Verständnislücke dienlich sein könnten. Des weiteren muß der Dolmetscher einen Teil seiner Kapazitäten für Aufgaben verwenden, die ihm in herkömmlichen Dolmetschsituationen nicht abverlangt werden. Schließlich ist hier auch der Originaltext von Unzulänglichkeiten geprägt, die man in anderen kommunikativen Situationen nicht antrifft. Damit wird generell die Frage nach dem Verhalten der Teilnehmer aufgeworfen, deren Erfahrung und kommunikative Kompetenz im Umgang mit Videokonferenz und Verdolmetschung in vielen Fällen noch wenig ausgeprägt ist. Letztlich verlangt die ViKiS-Situation den Teilnehmern ein hohes Maß an Disziplin und Gespür ab; In der Befragung der Probanden zeigte sich, daß sich viele von ihnen unsicher fühlten und an manchen Stellen ihr eigenes kommunikatives Verhalten als unzulänglich empfanden. 5.1.2 Teilnehmerseitige Probleme Die der Videokonferenz eigene verminderte soziale Präsenz wird durch den zusätzlichen Zwischenschritt der Verdolmetschung natürlich weiter herabgesetzt. Erstens erfahren die (verbalen) Äußerungen, von denen die Kommunikation zum größten Teil getragen wird, eine Umkodierung durch den Dolmetscher. Zweitens fallen ist die in vielen anderen Fällen unterstützende nonverbale Kommunikation schwierig oder stellenweise gar unmöglich. Hervorgehoben wurde auch, daß die relativ neutrale Stimme des Dolmetschers kaum Schlüsse über die Haltungen des Gegenübers zulasse. Die Indirektheit geht überdies noch einher mit zeitlichen Verzögerungen, die den jedem Gespräch eigenen "Verhandlungsprozeß" behindern, mit dem die Teilnehmer ja fortlaufend ihre Beziehung zueinander, den Gesprächsgegenstand und dessen Behandlung, die Sprecherwechsel etc. abstimmen müssen. Ein schnelles Reagieren und damit auch Korrigieren einer nicht gewollten Wendung im Kommunikationsverlauf ist nicht möglich. Damit schwindet bei den Teilnehmern zuweilen auch das Vertrauen in ihre kommunikative Kompetenz, mit deren Hilfe sie in anderen kommunikativen Situationen eine beabsichtigte Wirkung erzielen können. Zum einen scheint Unsicherheit darüber zu herrschen, ob vertraute Kommunikationsmuster tatsächlich zur gewohnten Wirkung gereichen, zum andern scheint der Wirkungsaspekt durch die zeitweilig empfundene Abwesenheit des Gegenübers vorübergehend in Vergessenheit zu geraten: Beiträge weiten sich leicht zu Monologen aus, Argumente werden gleich mehrmals vorgetragen, Fragen leiten nicht notwendigerweise einen Sprecherwechsel ein. Es fehlt der Rezipientenbezug. Erst an den Stellen, an denen die Teilnehmer die zwischen ihnen liegende Distanz durch einen um so aktiveren Gestaltungswillen zu überwinden suchten, wurde die 57 Interaktion oftmals lebhafter; die Sprecherwechsel wurden häufiger, wenn konkrete Themen Klarheit über Kommunikationsgegenstand und -zweck schufen und wenn auf eine konkrete Frage eine ebenso konkrete, sprich klar umrissene und begrenzte Antwort gegeben werden konnte. Für die ViKiS-Teilnehmer ist es daher ratsam, mit den eigenen Beiträgen möglichst knapp zu bleiben und die Gesprächspartner so anzusprechen, daß auch sie ihre Beiträge kurz und konkret halten können. Häufige Sprecherwechsel mit Fragen und Antworten erscheinen besonders geeignet, um über die herrschende Distanz hinweg die Interaktion und Beziehung der Teilnehmer zu fördern. Es ergeben sich zwei Fragen: Wie kommt es, daß die Teilnehmer trotz der hier noch einmal zusammengefaßten Probleme insgesamt einen sehr positiven Eindruck von den Videokonferenzen hatten bzw. daß sie in der Lage waren, die Probleme stellenweise zu überwinden? Welchen Platz nimmt der Dolmetscher in diesem von Distanz geprägten Kommunikationsszenario ein? 5.2 Rolle und Leistung des Dolmetschers Wäre der Dolmetscher nur eine weitere Stufe im Kodierungs- und Übermittlungsprozeß, so läge der Schluß nahe, daß er die angesprochenen Probleme auf der Teilnehmerseite einfach nur weiterzuleiten hätte, ohne selbst davon berührt zu sein. Die Teilnehmer waren sich zwar darüber im Klaren, daß Kommunikationsprobleme hier keineswegs automatisch dem Dolmetscher anzulasten waren. Dennoch bestehen teilnehmerseitige Erwartungen in bezug auf die Kommunikation schlechthin, auf ihr Gelingen und damit auch auf die Dolmetschleistung. Mit Blicke auf die zu erbringende Dolmetschleistung muß der Dolmetscher ausgleichend tätig werden, um erstens eine effiziente Nutzung seiner Kapazitäten zu ermöglichen und zweitens ungewollten Kommunikationsproblemen vorzubeugen. Beeinträchtigt werden kann die Dolmetschleistung und ihre Akzeptabilität insbesondere in vier Bereichen: durch Schwierigkeiten bei Inhalt, Versprachlichung, Vortrag und kommunikativer Leistung. 5.2.1 Vermittlung des Inhalts Probleme mit dem Inhalt zeigen sich in einer lückenhaften oder falschen Wiedergabe, die in mangelndem akustischem oder auch thematischen Verstehen begründet liegt. Zwischen Inhalt und Versprachlichung besteht wiederum ein enger Zusammenhang hinsichtlich der Textkohärenz, deren Erkennbarkeit nicht nur vom Dolmetscher, sondern auch von der vom Sprecher gewählten Strukturierung abhängt. In den gedolmetschten Videokonferenzen hatten die Dolmetscher an einigen Stellen inhaltliche Probleme. Diese entstanden nach Aussage der Dolmetscher vor allem durch die unzulängliche Tonqualität. Die Dolmetscher konnten diesen Problemen nur 58 mit Verallgemeinerungen oder, im schlimmsten Fall, einzelnen Auslassungen begegnen. Allerdings soll hier nicht der Eindruck entstehen, daß inhaltliche Probleme eine ausschließlich für das VK-Dolmetschen typische Erscheinung sind. Sie sind vielmehr fester Bestandteil der alltäglichen Dolmetschpraxis. 5.2.2 Versprachlichung Probleme mit der Versprachlichung im engeren Sinn betreffen neben der sprachlichen Richtigkeit auch die Wahl der Oberflächenstrukturen. Schon im Ausgangstext ist häufig weder der Mitteleinsatz noch die intendierte Wirkung optimal. Je nach Verarbeitungsaufwand und Kapazitätsbelastung wächst damit für den Dolmetscher die Gefahr, durch mangelnde Eigenständigkeit in der Gestaltung der Mikrostrukturen zum einen sich selbst im Wege zu stehen, z.B. indem er etwa eine allzu komplexe Syntax nachzuvollziehen sucht. Zum anderen kann er durch stilistische oder idiomatische Schwächen infolge von Interferenzen, einer undurchsichtigen Syntax, durch unpräzise Kohäsionsmittel etc. auch dem Zuhörer Verständnisschwierigkeiten bereiten oder auch nur eine ungünstige Wirkung erwecken. Zwar wird der Dolmetscher etwaige Redundanzen, mangelnde Intentionalität und eine unklare Gedankenführung in der Gesamtstruktur eines Beitrags schwerlich verhindern können, bei der Gestaltung der Textoberfläche hat er jedoch durchaus die Möglichkeit, Redundanzen zu mindern und Klarheit zu schaffen. In einigen Situationen versuchte der jeweilige Dolmetscher – häufig auch aufgrund von zusätzlichen Akustikproblemen – seinen Verstehens- und Gestaltungsspielraum durch einen verlängerten Abstand zum Originalredner zu vergrößern. In anderen Situationen ermöglichte ein kürzerer Abstand teilweise mehr Vollständigkeit oder auch Wörtlichkeit, führte andererseits aber auch zu gelegentlichen Planungsschwierigkeiten und damit zu syntaktischen, idiomatischen oder sprecherischen Problemen. Sogar in den Situationen, in denen der Dolmetscher aufgrund gravierender Verständnisschwierigkeiten nur noch zu Verallgemeinerungen greifen kann oder gar Auslassungen machen muß, sagt er im schlimmsten Fall nicht nichts, sondern etwas mehr oder minder Nichtssagendes, womit zumindest der generelle Kommunikationsfluß zwischen den Teilnehmern aufrechterhalten wird. Akzeptabel ist diese Strategie aus Dolmetschersicht jedoch nur zum Zwecke der Überbrückung. 5.2.3 Vortrag Am wichtigsten ist das ausgleichende Gestalten durch den Dolmetscher beim Vortrag, von dem zu einem gewichtigen Teil die Akzeptabilität seiner Leistung abhängt. Ungünstiges Verhalten der Originalredner wie Zögerlichkeit, Monotonie, Satzbrüche oder Eilzugtempo kümmern den Zuhörer kaum mehr, sobald er der Verdolmetschung zuhört. Hier sind solche Schwächen jedoch auf Dauer kaum akzeptabel. Sie sind für den Zuhörer nicht nur unangenehm, sondern können auch 59 die Rezeption an sich stören. Hinzu kommt, Pausen und Zögern die ohnehin schon große Distanz zwischen den Gesprächspartnern weiter vergrößern, so daß bei langen Wartezeiten auch leicht der Gesprächszusammenhang verlorengeht. Da die Distanz durch die Verdolmetschung erhöht wird, sollte der Dolmetscher durch die Minderung der Verzögerungen Ausgleich schaffen. Genau dies ist aber häufig nicht möglich. In den Tests sahen sich einige Dolmetscher infolge von Kapazitätsüberlastungen und Hörproblemen gezwungen, die Hörlautstärke zu erhöhen und damit ihre Outputkontrolle herabzusetzen und auch teilweise die Simultaneität zu reduzieren. Ein Dolmetscher äußerte beispielsweise Unzufriedenheit über seinen Mangel an Redefluß. Festzustellen waren überdies unsinngemäße Pausen und Betonungen, Dehnungen und Kurzatmigkeit. Daß der Vortrag aus Dolmetschersicht in wenigen Fällen optimal war, deutet auf eine erhebliche anderweitige Kapazitätsbeanspruchung hin – ein Zustand, der zwar auch in anderen Simultansituationen auftreten kann, der aber nicht von vornherein als situationsbedingt hingenommen werden muß. Ebensogut können zugunsten von Versprachlichung und Vortrag kleine Auslassungen in Kauf genommen werden und mit einer Straffung mehr Konstanz im Redefluß erreicht werden. 5.2.4 Kommunikative Leistung Bei der Beurteilung der kommunikativen Leistung im engeren Sinne soll es um die Frage gehen, wie Sprechhandlungen oder gesprächslenkende Handlungen umgesetzt werden und wie insbesondere der Sprecherwechsel vollzogen wird. Probleme entstehen, wenn Sprechhandlungen vom Originalredner allzu unvermittelt eingeleitet werden. Unter Umständen wird der Gesprächspartner nämlich nicht schnell genug reagieren, was den bislang sprechenden Teilnehmer wiederum dazu veranlassen könnte, ein Sprecherwechsel-Angebot "zurückzuziehen", d.h. einfach weiterzusprechen. Die Folgen wurden in Kap. 3.2.1 ausführlich beschrieben. Bei derartigen Unsicherheiten in der Gesprächslenkung kann der Dolmetscher zwar nicht aktiv als Vermittler auftreten, er kann jedoch im Vorfeld eines Sprecherwechsels vorgenommene Sprechhandlungen oder Übergänge zu anderen Handlungsformen durch im Zieltext verdeutlichen (vgl. Beispiel 18). Gleichzeitig muß er jedoch darauf bedacht sein, Verzögerungen, die durch Explizitmachung entstehen können, beim Sprecherwechsel möglichst kurz zu halten, da sie für neue Unsicherheit zu sorgen vermögen. Lange Nachträge des Dolmetschers am Ende eines Redebeitrages führen schließlich bei denjenigen, die auf eine Antwort warten, zu langen Pausen. Ebenso sind dem Abwarten des Dolmetschers zu Beginn eines neuen Redebeitrages Grenzen gesetzt. Abbildung 3 vermittelt trotz der relativ kleinen Stichprobe eine Vorstellung davon, wie ungewöhnlich lang die Wartezeiten beim Sprecherwechsel hier ohnehin schon sind. Hier kann der Dolmetscher etwaigen Problemen entgegenwirken, indem er dem wartenden Teilnehmer den Vollzug des Sprecherwechsels durch Einstreuen eines Füllwortes wie etwa ‘also’, ‘nun’, ‘ja’ relativ zeitig anzeigt, ehe er mit der eigentlichen Verdolmetschung beginnt. Mit dieser 60 Strategie gewinnt der Dolmetscher Zeit und kann Gestaltungsspielraum für die Verdolmetschung schaffen. sich Planungs- und Allerdings behindert eine Wartezeit von immer noch stattlichen 6-8 Sekunden auch bei optimalen Sprecherwechseln spontane Reaktionen. Die Teilnehmer müssen erhöhte Konzentration aufwenden, um den Zusammenhang mit (weiter) zurückliegenden Äußerungen und Beiträgen herstellen zu können. Dies scheint nahezulegen, ViKiS den Teilnehmern eher bewußte und disziplinierte als emotionale Kommunikation abverlangt und bieten kann. 5.3 Akzeptanz 5.3.1 Teilnehmerseitige Akzeptanz In Kap. 3 wurde bereits deutlich, daß eine Diskrepanz zwischen den teilnehmerseitigen Kommunikationsproblemen einerseits (Kap. 3.1, 3.2) und dem Gesamteindruck der Teilnehmer andererseits (Kap. 3.3) zu herrschen scheint. Kehren wir also zu der Frage zurück, warum die Teilnehmer die Videokonferenzen überwiegend positiv beurteilten. Zum einen sind die technischen Bedingungen aus Teilnehmersicht, wenn auch ungünstig, so doch ausreichend, und die technischen Probleme sind handhabbar: Wenn den Gesprächsteilnehmern aufgrund unzureichender Ton- oder Bildqualität etwas entgeht, steht es ihnen schließlich frei nachzufragen; und selbst wenn eine Videokonferenzleitung zusammenbricht und die Verbindung mitten im Gespräch neu hergestellt werden muß, wie es während der Tests einige Male passierte, entsteht den Teilnehmern daraus kein unüberwindbares Kommunikationsproblem. Das Gespräch wird einfach wieder aufgenommen. Die hohe (und steigende) Zahl der in der Industrie und in anderen Einrichtungen bereits (täglich) durchgeführten Videokonferenzen ist Beweis dafür, daß (einsprachige) Videokonferenzen ein heute akzeptables (und akzeptiertes) Kommunikationsmittel sind. Auch in unseren Untersuchungen einsprachiger Konferenzen hatte sich immer wieder bestätigt, daß in einer VK zwei (oder auch mehr) Personen relativ natürlich miteinander kommunizieren können. Die Natürlichkeit der Gesprächssituation blieb für die Teilnehmer auch in den simultan gedolmetschten Videokonferenzen in ausreichendem Maße gewahrt. Die meisten Teilnehmer betonten dies in ihren Kommentaren, daß sie das Gefühl hatten, direkt mit ihrem Gesprächspartner zu reden (und nicht mit dem Dolmetscher) und daß eine sehr akzeptable Fülle von Informationen ausgetauscht werden konnte. Hierfür dürfte zu einem großen das Gelingen der Verdolmetschung, dem einzigen kommunikativ aktiven "Bindeglied" zwischen beiden Teilnehmerseiten, verantwortlich sein. 61 Trotz aller Schwierigkeiten, die sich im einzelnen ergaben, traten in keiner der durchgeführten Konferenzen grobe Mißverständnisse auf oder Probleme, die den Kommunikationsfluß unterbrechen oder zum Erliegen hätten bringen können. Der positive Gesamteindruck der Teilnehmer bestand nun übrigens nicht darin, daß sie hier angesichts einer Testsituation, in der es für sie um nichts ging, einfach nur staunten oder sich freuten, daß es ja funktioniert. Die Teilnehmer waren sich inhaltlicher Unstimmigkeiten im Gesprächsverlauf ebenso bewußt wie der Mängel in ihrem eigenen kommunikativen Verhalten und in dem der Gesprächspartner. Sie äußerten sich insgesamt (glücklicherweise!) auch nicht vollkommen unkritisch. Entscheidend ist die Bedeutung, die den erkannten Unzulänglichkeiten beigemessen wurde: Sie wurden nicht als unüberwindbar betrachtet. Somit ist aus Teilnehmersicht die Kommunikation in einer gedolmetschten Videokonferenz zwar teilweise schwieriger als vertrautere kommunikative Situationen, aber dennoch (gut) möglich. In erster Linie eignet sich die ViKiSKonstellation für Besprechungen in kleinen Gruppen, für eher sachliche als stark emotionalisierte Kommunikation. In einer Situation, in der ein echtes Kommunikationsanliegen besteht, daß ohne VK und ohne Verdolmetschung nicht oder nur mit sehr viel größerem Aufwand realisierbar ist, dürften diese Kommunikationsschwierigkeiten an den Teilnehmerseiten ohne weiteres hinnehmbar sein. 5.3.2 Dolmetscherseitige Akzeptanz Es scheint so, daß es Dolmetschern in der Regel gelang, die Akzeptabilität für die Rezipienten zu wahren, d.h. daß die Dolmetscher hier als Mittler der Kommunikation, wenn auch bedingt, aber doch in der Lage waren, Kommunikationsprobleme in einem für die jeweilige Situation ausreichendem Maße zu überbrücken. Allerdings entbehren dauerhaft angewendete "Übertünchungsstrategien" der Akzeptabilität für den Dolmetscher selbst, und auch die Vermittler-Rolle ist für den Dolmetscher nicht unproblematisch. Schließlich sind auch die technischen Bedingungen aus Dolmetschersicht ungünstiger als für die "normalen" Teilnehmer. Da zu der üblichen sprachlichen Trennung der Teilnehmer hier eine spürbare räumliche Trennung hinzukommt, fungiert der Dolmetscher nicht nur als Sprach- und Kulturmittler, sondern auch als Mittler zur Überwindung von räumlich und technisch bedingten Kommunikationsschwirigkeiten. Im Vergleich zur herkömmlichen Simultansituation muß er somit weitaus stärker ausgleichend und regelnd tätig werden. So sagte eine Dolmetscherin beispielsweise: "Du bist fast versucht..., das Ganze organisieren zu wollen, also zu sagen: 'Du hast jetzt das Wort'." Eine solche Moderator-Tätigkeit scheint auch deshalb nötig zu werden, weil das ViKiS-Szenario durch die ihm zugrundeliegende Gesprächssituation mehr "Interaktion" zwischen den Teilnehmern mit sich bringt als andere simultan gedolmetschte Kommunikationssituationen, in denen entweder, wie bei einem 62 Vortrag, weitgehend monologisch kommuniziert wird oder aber ein Vorsitzender den Ablauf eines Dialogs ordnet. Durch diese Regelgebundenheit wird die Gefahr von teilnehmerseitigen Schwierigkeiten entscheidend eingedämmt. Beim Flüsterbegleitdolmetschen wiederum sind die Partner eines Vieraugen- oder Kleingruppengesprächs aufgrund der Nähe selbst fähig, den Kommunikationsverlauf miteinander abzustimmen. Nach traditionellem Verständnis ist dem Simultandolmetscher ein aktives Eingreifen in die Kommunikation denn auch weitgehend fremd, d.h. er tritt nicht als eigenständiger Teilnehmer in Erscheinung. Und das mit gutem Grund: Die dolmetscherische Mittlertätigkeit findet außerhalb der Beziehung der Teilnehmer zueinander statt. Die Identifikation des Dolmetschers mit den inhaltlichen oder beziehungsaspektlichen Interessen des einen oder anderen Teilnehmers ist weder erwünscht noch unerwünscht, sondern schlichtweg irrelevant; der Dolmetscher soll die kommunikativen Interessen, die kommunikative Intention der Teilnehmer wahren. Träte er hingegen aktiv als Vermittler auf, würde er auch zwangsläufig zu den Teilnehmern direkt in Beziehung treten und hätte bald auch noch andere Interessen zu vertreten. Bemühen Dolmetscher sich zur Förderung der Kommunikation auch häufig um diplomatisches Verhalten, so etwa wenn Teilnehmer aus unwissentlich, so würden viele es doch ablehnen, Diplomat zu spielen. Und umgekehrt würden wahrscheinlich viele Teilnehmer den Dolmetscher nicht als Ver-Mittler akzeptieren. Sofern der Dolmetscher jedoch nicht als Moderator auftreten soll, kann er kommunikativen Problemen nur begrenzt, ja meist sogar nur an der Textoberfläche entgegenwirken. Die vermittelnde Tätigkeit ist somit eine Gratwanderung, die ein hohes Maß an "Fingerpsitzengefühl" verlangt. Es dürfte kaum verwundern, daß gerade vor diesem Hintergrund die Dolmetscher auch den technischen Bedingungen des VKDolmetschens kritisch gegenüber stehen: Diese trugen für sich genommen schon häufig zu einer ungebührlichen Erhöhung des psychischen wie physischen Stresses bei. So glaubten beispielsweise viele Testdolmetscher ihrem subjektiven Empfinden zufolge länger im Einsatz gewesen zu sein, als das jeweilige Gespräch tatsächlich dauerte. Streß erwächst hierbei weniger aus dem möglicherweise ungewohnt technisierten Arbeitsplatz. Die Benutzeroberfläche wurde allgemein als gebrauchsfreundlich eingestuft, obschon auch hier noch Verbesserungen möglich sind. Es geht in der Tat um die (noch) ungünstigen technischen Rahmenbedingungen. Insbesondere ist die Akzeptabilität für den Dolmetscher in bezug auf die Tonqualität in den 2B-Verbindungen bislang nur recht eingeschränkt gegeben. Daß in den Tests mit 2B-Verbindungen die Grenze des Machbaren trotz der geringen sprachlichen und inhaltlichen Anforderungen häufig schon erreicht wurde, gibt sicher mit Blick auf einen möglichen zukünftigen Nutzerkreis der ViKiS-Technologie zu denken: Mittelständische Unternehmen möchten möglicherweise mit Hilfe von Videokonferenzen auch Themen besprechen, die einen Irrtum nicht zulassen. Hier 63 stellt sich natürlich die Frage der Eignung des Mediums: Die VK eignet sich sicher nicht für alle Kommunikationstypen. Auch die Eignung der Technologie spielt jedoch eine Rolle: Sobald alle Beteiligten über eine 6B-ISDN-Verbindung verfügten, wurde das VK-Dolmetschen zu einer realistischen Option. Trotz der verständlicherweise kritischen Sicht mancher Dolmetscher haben die Untersuchungen gezeigt, daß es unter den gegebenen Umständen – mit den gegebenen technischen Rahmenbedingungen, mit den hier vertretenen Probanden, ihrer Anzahl pro VK und ihrem Verhalten, mit dem vorgegebenen Thema und seinem Schwierigkeitsgrad sowie mit der Länge der einzelnen Gespräche – möglich war, im ViKiS-Setup ein VK-Gespräch passabel zu führen und zu dolmetschen. Darüber hinaus lassen die Untersuchungen auch den Schluß zu, daß das ViKiS-Setup grosso modo für die Verdolmetschung eines VK-Gesprächs tauglich ist. 64 6 Zusammenfassung und Ausblick Unabhängig von technischen Entwicklungen, die sicher in absehbarer Zeit insbesondere qualitativ bessere Videokonferenzen per PC bringen werden, wird das VK-Dolmetschen auch langfristig zu den schwierigeren Dolmetschformen zählen. Somit erhebt sich die Frage, ob Dolmetscher das grundsätzlich höhere Risiko von kommunikativen Schwierigkeiten zu tragen bereit sind. Letztlich wird nämlich die Verantwortung für das Gelingen der Kommunikation beim Dolmetscher liegen, der sich, wie hier beschrieben, kaum darauf beschränken kann, eine rein sprachliche Mittlertätigkeit anzubieten und den Rest den Teilnehmern zu überlassen. Gleichzeitig ist aber davon auszugehen, daß die Kommunikation per VK und den kommenden Jahren noch weiter zunehmen wird und daß davon auch und gerade die mehrsprachige Kommunikation betroffen sein wird. Für diejenigen Dolmetscher, die sich dieser Herausforderung stellen, tun sich gewiß Wettbewerbsvorteile auf. Dolmetschen ist ein Dienstleistungsberuf und muß auf die Bedürfnisse des Kommunikationsmarktes reagieren, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Je früher und intensiver (und kritischer) man sich mit neuen Entwicklungen und Kommunikationsmedien auseinandersetzt, desto eher ist es sicher möglich, die verwendete Technologie so dolmetscherfreundlich wie möglich zu gestalten. Des weiteren gilt, daß in dem Maße, in dem die VK-Kommunikation zunimmt, auch mit einer Gewöhnung der Teilnehmer (und Dolmetscher) und damit auch mit steigender kommunikativer Kompetenz bezüglich der VK bei allen Beteiligten zu rechnen ist. Dies wiederum dürfte die Aufgabe des VK-Dolmetschens unabhängig von technischen Gegebenheiten erleichtern. Natürlich ist die Eignung des Mediums VK für jede Situation zu bedenken: eine VK (mit der ohne Verdolmetschung) bietet sich nicht für jede kommunikative Situation an. Die gebotene kritische Prüfung und Beurteilung der konkreten Bedingungen (Gesprächsinhalt, technische Gegebenheiten) und ihrer Eignung für die VK bzw. das VK-Dolmetschen wird aber erst dann möglich, wenn man sich mit dem Medium auseinandersetzt. Somit ist die Fähigkeit zur Beurteilung ein Teil der zunächst erst einmal zu erwerbenden kommunikativen Kompetenz für die VK. Auch dies macht deutlich, daß ein frühzeitiger Umgang mit dieser Technologie wichtig ist und auch in die Dolmetscherausbildung integriert werden sollte. Zur gezielten Verbesserung der VK-Kompetenz aktiver Dolmetscher bieten sich Trainings- und Fortbildungsmaßnahmen an. Die Beschäftigung mit dem VK-Dolmetschen ist dabei nicht gleichzusetzen mit der uneingeschränkten und unbedingten Befürwortung des VK-Dolmetschens zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Sie ist vielmehr der Schlüssel zu einer kompetenten Beurteilung dessen, was gegenwärtig und mittelfristig machbar ist und was man aus Dolmetscher- und Teilnehmersicht für das und vom VK-Dolmetschen erwarten kann. 65 7 Anhang: Zeichenerklärung für die Transkripte [ Beginn einer Überschneidung * Ende der Überschneidung --- Pause/Stocken in einer Äußerung (0,8) längere Pause (in Sekunden) zwischen zwei Sprechern = unmittelbar aufeinanderfolgende Äußerungen ... Ende einer unvollständigen, aber nicht fortgeführten Äußerung < > gedankliche Ergänzung einer unvollständigen Äußerung / / unverständliche/unsichere Äußerung XX (Großbuchstaben): besonders betonte oder laute Äußerung 66 8 Literaturverzeichnis Böcker, Martin. & Anderson, Donald (1993): "Remote Conference Interpreting using ISDN Videotelephony: A Requirements Analysis and Feasibility Study". Proceedings of the Human Factors and Ergonomics Society 37th Annual Meeting, 1993, 235-239. Braun, Sabine & Kohn, Kurt & Mikasa, Hans (1999): "Kommunikation in der mehrsprachigen Videokonferenz: Implikationen für das Dolmetschen". In Gerzymisch-Arbogast, Heidrun; Gile Daniel; House, Juliane & Rothkegel, Annely: Wege der Übersetzungs- und Dolmetschforschung (1. Jahresband der DGÜD). Tübingen: Narr. Bros-Brann, Eliane (1997): "The Video Conference Demonstration 9 January at Montreal". aiic Bulletin 3/97, S. 77. 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