9. Mai 1950 Der Schuman-Plan Jean Monnet & Robert Schuman 9.Mai 2003 2 I. Der Schuman-Plan: Eine historischer Bedeutung politische Initiative von Europa im Dienste des Friedens und der Demokratie Als Robert Schuman am 9. Mai 1950 der Bundesrepublik Deutschland und den anderen interessierten europäischen Staaten vorschlug, eine Gemeinschaft im Dienste des Friedens zu gründen, vollbrachte er eine historische Tat. Indem er den Gegnern von gestern die Hand reichte, löschte er nicht nur die vom Krieg her rührenden Vergeltungsgedanken und die Last der Vergangenheit aus, sondern er setzte gleichzeitig einen im Zusammenleben der Völker völlig neuen Prozeß in Gang, indem er geschichtlich gewachsenen Nationen vorschlug, durch eine gemeinsame Ausübung ihrer Souveränität den Einfluß wiederzuerlangen, den jede einzelne für sich allein nicht mehr ausüben konnte. Europa, dessen Aufbau sich seit jenem Ereignis Tag für Tag fortsetzt, war das herausragende Projekt des 20. Jahrhunderts und ist eine Hoffnung für das 21. Jahrhundert. Seine Dynamik schöpft es aus dem visionären und mutigen Plan der Gründerväter, die den Krieg erlebt hatten und von der Absicht beseelt waren, die Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden zwischen den europäischen Völkern zu schaffen. Diese Dynamik erneuert sich ständig im Angesicht der Herausforderungen, denen sich unsere Staaten in einer Welt des raschen und tiefgreifenden Wandels gegenübersehen. Konnte irgend jemand dieses außerordentliche Streben nach Demokratie und Freiheit vorausahnen, das die Mauer zu Fall brachte, das die Völker Mittel- und Osteuropas zu Herren ihres Schicksals machte und das heute durch die bevorstehenden Erweiterungen und die damit immer weiter wachsende Einheit des Kontinents dem Ideal des europäischen Aufbauwerks eine neue Dimension verleiht? Eine historische Erfolgsgeschichte Überblickt man 50 Jahre europäischer Einigungsgeschichte, so zeigt sich die Europäische Union zu Beginn des dritten Jahrtausends als historische Erfolgsgeschichte. Staaten, die miteinander im Unfrieden lagen, die die schrecklichsten Massaker unseres Kontinents erlitten, haben heute eine gemeinsame Währung, den Euro, und gemeinsame Institutionen, die ihre Wirtschafts- und Handelsinteressen verwalten. Die Europäer regeln ihre Meinungsverschiedenheiten mit friedlichen Mitteln, auf der Grundlage des Rechts und auf dem Wege des Ausgleichs. Vormachtgefühle und Diskriminierung wurden aus den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten gestrichen, die es den Organen der Gemeinschaft, dem Rat, dem Parlament, der Kommission und dem Gerichtshof, übertragen haben, in Konflikten zu vermitteln, das Gemeinwohl der Europäer zu definieren und eine gemeinsame Politik zu betreiben. Der Lebensstandard der Bürger ist beträchtlich gestiegen, und zwar viel stärker, als es möglich gewesen wäre, wenn die einzelnen Volkswirtschaften nicht von den "economies 3 of scale" und den vom gemeinsamen Markt und vom intensiveren Handelsaustausch hervorgerufenen Wachstumssteigerungen profitieren könnten. Die Bürger, die Studenten bewegen sich ungehindert, arbeiten frei in einem Raum ohne Binnengrenzen. Die Fundamente einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sind gelegt. Und schon hat man begonnen, die gemeinsame Solidaritätspolitik im sozialen Bereich, für die Regionen, für die Umwelt, in der Forschung und beim Verkehr zu intensivieren. Das gemeinschaftliche Europa gewinnt seine Kraft aus den Werten der Demokratie und der Menschenrechte, die den Völkern Europas gemeinsam sind; dank des gemeinschaftlichen Europas konnten aber gleichzeitig die kulturelle und sprachliche Vielfalt und sein Schatz an Traditionen erhalten werden. Das gemeinschaftliche Europa ist zu einem Anziehungspunkt geworden, an dem sich alle Erwartungen benachbarter und fernerer Länder ausrichten, die mit aufmerksamem Blick auf die Dynamik der Europäischen Union ihre wiedererwachende Demokratie konsolidieren oder ihre zerstörte Wirtschaft wieder aufbauen wollen. Ab dem 1. Mai 2004 wird die Union 25 Mitgliedsstaaten umfassen. Bald werden weitere aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangene oder zur europäischen Einflußsphäre gehörende Staaten dazustoßen wollen. Zum ersten Mal in seiner langen Geschichte schickt sich der europäische Kontinent an, in Frieden und Freiheit zusammenzuwachsen. Diese Bewegung spielt für das Gleichgewicht in der Welt eine beträchtliche Rolle. Die Beziehungen Europas mit den Vereinigten Staaten, mit Rußland, mit der asiatischen Welt und mit Lateinamerika werden verändert aus diesem Prozeß hervorgehen. Europa ist schon jetzt nicht mehr einfach eine Macht, der es gelungen ist, ihren Platz in der Welt beizubehalten. Europa ist ein Bezugspunkt und ein Hoffnungsträger für die Völker, denen am Frieden und an der Einhaltung der Menschenrechte gelegen ist. Woher kommt dieser Erfolg? Ist er auf Dauer der geschichtlichen Logik dieses Kontinents eingeprägt, ist er im kollektiven Gedächtnis und im kollektiven Willen der Völker so verwurzelt, daß auch der kleinste Keim einer kriegerischen Auseinandersetzung innerhalb Europas ausgelöscht ist? Die leidvollen Erfahrungen der Vergangenheit und die Konflikte, die heute noch den Planeten erschüttern, müssen für die Europäer Grund genug sein, den Frieden nicht einfach als natürlichen, dauerhaften Zustand hinzunehmen, sondern ihm die entsprechende sorgfältige Pflege angedeihen zu lassen. Die künftigen Herausforderungen Nach einem halben Jahrhundert Gemeinschaftsgeschichte stellen sich den Europäern immer noch grundlegende Fragen: Welches sind die Grundwerte, die ihnen wichtig sind, und mit welchen Mitteln können sie am wirksamsten geschützt werden? Welcher Einigungsgrad ist wünschenswert und möglich, bei welchem Einigungsgrad läßt sich die maximale Kraft aus der Einheit erzielen, ohne die Identitäten zu verändern und die Eigenheiten, die den Reichtum unserer Nationen, unserer Regionen, unserer Kulturen ausmachen, zu vernichten? Kann man mit einheitlicher Geschwindigkeit voranschreiten 4 und sich auf die natürliche Harmonie stützen, die den Konsens zwischen 25 Staaten begünstigt, oder sollte man anerkennen, daß es unterschiedliche Konzepte gibt und es daher auch unterschiedliche Integrationsgeschwindigkeiten geben muß? Was sind die Grenzen des gemeinschaftlichen Europas, wenn so viele Nationen am Einigungsprozeß teilnehmen wollen? Wie kann man jeden einzelnen am Unternehmen Gemeinschaft teilhaben lassen, in jedem ein Gefühl der Zugehörigkeit zu Europa wecken, das sein ursprüngliches Zugehörigkeitsgefühl ergänzt und erweitert? Wie kann man den europäischen Bürger näher an die Institutionen der Europäischen Union heranführen, wie kann man jedem die Gelegenheit geben, sich das Projekt des vereinigten Europas zu eigen zu machen, das lange Zeit den Beratungen auf Ministerialebene und dem sachkundigen Wirken der Beamten vorbehalten schien? Die Aktualität der Gemeinschaftsmethode Der Konvent zur Zukunft Europas arbeitet seit 2002 an einem Verfassungsentwurf. Die Hoffnungen in ihn wachsen im gleichen Maße wie die Ansprüche und die Herausforderungen, aber das Risiko eines Scheiterns besteht weiterhin. Europa als schlichte Freihandelszone oder Europa als Akteur auf der Weltbühne? Ein technokratisches oder ein demokratisches Europa? Ein Europa mit dem Motto "Jeder für sich" oder ein solidarisches Europa? Angesichts so vieler kritischer Entscheidungen, so vieler Unsicherheiten erscheint die Gemeinschaftsmethode, beruhend auf dem Dialog zwischen den Mitgliedstaaten und den gemeinschaftlichen Institutionen, die gemeinsam die auf sie übertragenen Souveränitätsrechte wahrnehmen, von offensichtlicher Aktualität. Sie hat vor 50 Jahren die Schaffung der Europäischen Gemeinschaft ermöglicht. Die Bedeutung der Grundprinzipien des europäischen Aufbauwerks geht weit über das rein institutionelle Gefüge hinaus. Der Gemeinschaftsgeist, der von Staatsmännern geprägt und weitergegeben wurde, denen es vor allem um den Aufbau eines Europas im Dienste des Menschen ging, verleiht dem Europagedanken die Tragweite eines Zivilisationsprojekts. Damit stellt die Erklärung von Robert Schuman auch aus heutiger Sicht ein neues Konzept für Europa dar. 5 II. DER SCHUMAN-PLAN: DER HISTORISCHE KONTEXT Den Europäern war nach Einstellung der Kampfhandlungen keine Atempause vergönnt. Kaum war der Zweite Weltkrieg zu Ende, zeichnete sich schon die Gefahr eines dritten Weltkriegs zwischen Ost und West ab. Nach dem Scheitern der Moskauer Konferenz über die deutsche Frage am 24. April 1947 war der Westen davon überzeugt, daß von der Sowjetunion, mit der man Seite an Seite gegen den Nationalsozialismus gekämpft hatte, nun eine unmittelbare Gefahr für die westlichen Demokratien ausging. Die Gründung des Kominform, des Zusammenschlusses der kommunistischen Parteien weltweit, im Oktober 1947, der "Prager Putsch" vom 25. Februar 1948, mit dem die Kommunisten in der Tschechoslowakei die Herrschaft übernahmen und die Berliner Blockade im Juni 1948, mit der sich die Teilung Deutschlands ankündigte, verstärkten die Spannung noch. Durch die Unterzeichnung des Nordatlantik-Vertrags mit den Vereinigten Staaten am 4. April 1949 legten die Westeuropäer das Fundament für ihre gemeinsame Sicherheit. Aber die Explosion der ersten sowjetischen Atombombe im September 1949 und die zunehmenden Drohungen der Machthaber im Kreml trugen dazu bei, ein Klima der Angst zu verbreiten, das schon damals "Kalter Krieg" genannt wurde. Der Status der Bundesrepublik Deutschland, die mit dem am 23. Mai 1949 verkündeten Grundgesetz ihre Innenpolitik selbst in die Hand nahm, wurde damit zum Zankapfel zwischen Ost und West. Die Vereinigten Staaten wollten den wirtschaftlichen Wiederaufbau dieses Landes im Herzen des geteilten Kontinents beschleunigen, und schon wurden in Washington Stimmen laut, die die Wiederbewaffnung des ehemaligen Kriegsverlierers forderten. Die französische Diplomatie befand sich in einem Dilemma: Entweder gab sie dem amerikanischen Druck nach und stimmte gegen die öffentliche Meinung im Lande der Wiederherstellung der deutschen Hoheit über Ruhrgebiet und Saarland zu, oder sie verharrte entgegen dem Wunsch ihres wichtigsten Verbündeten auf einer starren Position und führte ihre Beziehungen zu Bonn in eine Sackgasse. Im Frühjahr 1950 war die Stunde der Wahrheit gekommen. Robert Schuman, dem französischen Außenminister, war von seinem amerikanischen und britischen Kollegen ein imperatives Mandat erteilt worden, nämlich einen Vorschlag für die Wiedereingliederung der Bundesrepublik in das Konzert der Westmächte zu unterbreiten. Ein Treffen der drei Regierungen war für den 10. Mai 1950 geplant, Frankreich konnte sich seiner Verantwortung nicht mehr entziehen. Zu den politischen Widerständen kamen wirtschaftliche Schwierigkeiten hinzu. Wegen des Stahlerzeugungspotentials mehrerer europäischer Staaten schien eine durch Überproduktion verursachte Stahlkrise unabwendbar. Die Nachfrage verlangsamte sich, die Preise fielen, und alles schien darauf hinzudeuten, daß sich die Stahlerzeuger entsprechend der Tradition der Stahlbarone der Zwischenkriegszeit zu einem Kartell zusammenschließen würden, um die Konkurrenz zu beschränken. Mitten im Wiederaufbau konnten es sich die europäischen Volkswirtschaften nicht erlauben, ihre Grundindustrien der Spekulation oder dem organisierten Mangel auszusetzen. 6 Die Vorstellungen Jean Monnets Um diesen Wust von Schwierigkeiten aufzulösen, dem die traditionelle Diplomatie machtlos gegenüberstand, wandte sich Robert Schuman an einen genialen Mann, der der Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt war, der aber im Laufe einer sehr langen und facettenreichen internationalen Karriere enorme Erfahrung gesammelt hatte. Jean Monnet, damals Leiter des Amtes für wirtschaftliche Planung, 1945 von Charles de Gaulle mit der Modernisierung der französischen Wirtschaft beauftragt, war einer der einflußreichsten Europäer der westlichen Welt. Jean Monnet und Robert Schuman. Schon im ersten Weltkrieg hatte er die gemeinsamen Versorgungsstrukturen der Alliierten organisiert. Er war stellvertretender Generalsekretär des Völkerbundes, Bankier in den Vereinigten Staaten, in Osteuropa, in China, er war ein geschätzter Berater von Präsident Roosevelt und Urheber des "Victory Program", das die militärische Überlegenheit der Vereinigten Staaten über die Achsenmächte sicherte. Ohne politisches Mandat beriet er die Regierungen, und er hatte sich den Ruf eines pragmatischen, vor allem um Effizienz bemühten Mannes erworben. Der französische Minister hatte den Leiter des Planungsamtes in seine Sorgen eingeweiht: "Was machen wir mit Deutschland?" Das war der beherrschende Gedanke dieses Lothringers und gläubigen Christen, der von dem Willen beseelt war, alles zu tun, um zu verhindern, daß es zwischen den beiden Ländern jemals wieder zu einem Krieg kommen konnte. Jean Monnet beteiligte sich mit seinem kleinen Team des Planungsamtes in der Rue de Martignac in Paris an den Überlegungen. Sein Hauptanliegen war die internationale Politik. Nach seiner Auffassung hatte der Kalte Krieg seine Ursache in der Schwäche und Teilung Europas, das zum Streitobjekt der Supermächte geworden war. Durch eine Einigung Europas würde man die Spannungen verringern. Er dachte über eine internationale Initiative nach, deren wesentliches Ziel die Entspannung und die Herstellung des Weltfriedens mit Hilfe eines wiederaufgebauten und versöhnten Europas war. Jean Monnet hatte die verschiedenen erfolglosen Einigungsbemühungen beobachtet, die unternommen worden waren, seit der von der europäischen Bewegung 1948 in Den Haag einberufene Kongreß feierlich zur Einigung des Kontinents aufgerufen hatte. Die Europäische Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1948 gegründet, hatte nur Koordinierungsaufgaben und konnte nicht verhindern, daß der wirtschaftliche Wiederaufbau in den europäischen Ländern im rein nationalen Rahmen erfolgte. Wie bei der Gründung des Europarats am 5. Mai 1949 deutlich wurde, waren die Regierungen nicht bereit, ihre Vorrechte beschneiden zu lassen. Die Parlamentarische Versammlung erhielt eine rein beratende Funktion, und jede ihrer Entschließungen, die mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden mußten, konnte durch das Veto des Ministerkomitees blockiert werden. Jean Monnet war zu der Überzeugung gelangt, daß es illusorisch wäre, mit einem Schlag ein fertiges institutionelles Gebäude schaffen zu wollen. Dies hätte auf seiten der Staaten derartige Widerstände hervorgerufen, daß jede Initiative von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Die Köpfe waren noch nicht so weit, daß man zur massiven Abtretung von Souveränitätsrechten bereit gewesen wäre; dies hätte die - wenige Jahre nach Kriegsende noch sehr wachen - nationalen Empfindlichkeiten verletzt. 7 Um Erfolg zu haben, mußte man die Ziele auf begrenzte, psychologisch wichtige Bereiche beschränken und einen gemeinsamen Entscheidungsmechanismus einrichten, an den schrittweise immer neue Zuständigkeiten übertragen werden konnten. Die Erklärung vom 9. Mai 1950 Jean Monnet und seine engsten Mitarbeiter verfaßten in den letzten Apriltagen des Jahres 1950 ein wenige Seiten umfassendes Papier, das gleichzeitig die Begründung und den verfügenden Teil eines Vorschlags enthielt, der alle Modelle der klassischen Diplomatie auf den Kopf stellen sollte. Nichts lag Jean Monnet ferner, als sich auf die traditionellen Konsultationen mit den zuständigen Ministerialbehörden einzulassen, er achtete im Gegenteil auf strengste Diskretion, um den unvermeidlichen Einwänden und Gegenvorschlägen aus dem Weg zu gehen, die zum einen den revolutionären Charakter des Vorschlags verwässert, zum anderen den vorteilhaften Überraschungseffekt verhindert hätten. Als er sein Papier Bernard Clappier, dem persönlichen Referenten von Robert Schuman, anvertraute, wußte Jean Monnet, daß die Entscheidung des Ministers den Lauf der Ereignisse verändern konnte. Damit war, als Robert Schuman nach einem Wochenende im heimatlichen Lothringen seinen Mitarbeitern ankündigte: "Ich habe diesen Entwurf gelesen, ich werde ihn zu meiner Angelegenheit machen", die Initiative in den politischen Verantwortungsbereich übergegangen. Zum gleichen Zeitpunkt, als der französische Minister seinen Vorschlag am Morgen des 9. Mai vor seinen Ministerkollegen verteidigte, überreichte ein Emissär seines Kabinetts den Vorschlag dem Bundeskanzler Adenauer in Bonn. Dessen Reaktion war spontan und begeistert. Er erwiderte sofort, daß er den Vorschlag aus ganzem Herzen unterstütze. So konnte Robert Schuman mit dieser doppelten Unterstützung von seiten der französischen und der deutschen Regierung seinen Vorschlag der Öffentlichkeit vorstellen. Er tat dies auf einer Pressekonferenz um 16 Uhr im Salon de l'Horloge am Quai d'Orsay. Seiner Mitteilung schickte er einige einleitende Sätze voraus: "Es geht nicht mehr um leere Worte, sondern um eine mutige Tat, um eine Gründungstat. Frankreich hat gehandelt, und die Folgen seines Handelns können gewaltig sein. Wir hoffen, daß sie es sein werden. Frankreich hat in erster Linie im Interesse des Friedens gehandelt. Damit der Frieden eine echte Chance erhält, muß es zunächst ein Europa geben. Fast auf den Tag genau fünf Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands tut Frankreich den ersten entscheidenden Schritt für den Aufbau Europas und beteiligt Deutschland daran. Die Verhältnisse in Europa müssen sich dadurch vollständig verändern. Diese Veränderung wird weitere gemeinsame Taten möglich machen, die bisher undenkbar waren. Daraus wird ein Europa entstehen, ein zuverlässig vereintes und ein sicher gebautes Europa. Ein Europa, in dem der Lebensstandard steigen wird dank der Zusammenlegung der Produktionen und der Erweiterung der Märkte, was zu einem Sinken der Preise führen wird ..." Der Grundtenor war damit gegeben. Es ging nicht um eine weitere diplomatische Übereinkunft, zustande gekommen im erbitterten Feilschen der Unterhändler. Frankreich reichte der Bundesrepublik Deutschland die Hand und schlug eine Zusammenarbeit auf gleichberechtigter Basis im Rahmen eines neuen Gebildes vor, das zunächst den Montanbereich der beiden Länder gemeinsam verwalten, aber auch, und dies ging viel weiter, den Grundstein der europäischen Föderation legen sollte. 8 Die Erklärung enthält eine Reihe von Grundsätzen: - Europa läßt sich nicht mit einem Schlage herstellen, es wird durch konkrete Tatsachen entstehen. Zunächst muß eine "Solidarität der Tat" geschaffen werden. - Der jahrhundertealte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland muß ausgelöscht werden: Der Vorschlag muß vor allem diese beiden Länder erfassen, aber er ist offen für alle anderen europäischen Nationen, die seine Ziele teilen. - Es muß in einem "begrenzten, doch entscheidenden" Punkt sofort zur Tat geschritten werden: die französisch-deutsche Kohle- und Stahlproduktion, die einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen ist. - Die Zusammenfassung der wirtschaftlichen Interessen wird zur Hebung des Lebensstandards und zur Schaffung einer Wirtschaftsgemeinschaft beitragen. - Die Entscheidungen der Hohen Behörde werden für die teilnehmenden Länder bindend sein. Sie wird sich aus unabhängigen Persönlichkeiten zusammensetzen, die auf paritätischer Grundlage ernannt werden. Ihre Entscheidungen sind bindend. Die Ausarbeitung des EGKS-Vertrags Um der französischen Initiative, aus der eine französisch-deutsche Initiative geworden war, möglichst große Erfolgschancen zu sichern, mußte rasch gehandelt werden. Frankreich berief für den 20. Juni 1950 in Paris eine Regierungskonferenz ein, deren Vorsitz Jean Monnet übernahm. Die drei Benelux-Staaten und Italien folgten dem Aufruf und saßen mit am Verhandlungstisch. Jean Monnet stellte klar, in welchem Geist die bevorstehenden Erörterungen geführt werden sollten: "Wir sind hier, um ein gemeinsames Werk zu vollbringen, nicht um Vorteile auszuhandeln, sondern um unseren eigenen Vorteil im gemeinsamen Vorteil zu suchen. Nur wenn wir aus unseren Diskussionen jedes partikularistische Bestreben heraushalten, wird es uns möglich sein, eine Lösung zu finden. Wenn wir, die wir hier versammelt sind, in der Lage sein werden, unsere Methoden zu ändern, wird sich auch der Gefühlszustand aller Europäer allmählich verändern" (1). Im Verlauf der Erörterungen nahm die geplante internationale Struktur immer deutlichere Konturen an. Die Unabhängigkeit und die Befugnisse der Hohen Behörde wurden nicht in Frage gestellt, da sie den Kernpunkt des Vorschlags bildeten. Auf Antrag der Niederlande wurde ein Ministerrat als Vertretung der Staaten eingerichtet, der in bestimmten Fällen seine Zustimmung geben mußte. Eine Parlamentarische Versammlung und ein Gerichtshof sollten die Struktur vervollständigen, die die Grundlage des institutionellen Systems der heutigen Gemeinschaften bildet. Die Unterhändler verloren zu keinem Zeitpunkt die Tatsache aus den Augen, daß sie das politische Mandat hatten, eine in ihren Zielen und in ihren Methoden völlig neue Organisation zu schaffen. Es war von ausschlaggebender Bedeutung, daß der im Entstehen begriffene Organismus nicht durch alle die typischen Mängel der klassischen zwischenstaatlichen Organisationen geschwächt wurde: das Erfordernis der Einstimmigkeit, die Abhängigkeit von nationalen Beiträgen, die Unterordnung der Exekutive unter die Vertreter der Einzelstaaten. 9 Am 18. April 1951 wurde der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl mit einer Laufzeit von fünfzig Jahren unterzeichnet. Er wurde von den sechs Unterzeichnerstaaten ratifiziert, und am 10. August 1952 konnte die Hohe Behörde unter dem Vorsitz von Jean Monnet in Luxemburg ihre Arbeit aufnehmen. III. DER SCHUMAN-PLAN, GEBURTSURKUNDE DES GEMEINSCHAFTLICHEN EUROPAS "Die Vorschläge Robert Schumans sind entweder revolutionär oder überhaupt nichts. Ihr Grundprinzip ist die Abtretung von Souveränität in einem begrenzten, aber entscheidenden Bereich. Ein Plan, der nicht von diesem Prinzip ausgeht, kann keinerlei nützlichen Beitrag zur Lösung der großen Probleme leisten, die uns schwächen. So wichtig die Zusammenarbeit zwischen den Nationen auch ist, sie allein löst nichts. Was wir brauchen ist eine Vereinigung der Interessen der europäischen Völker, und nicht einfach die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts dieser Interessen." Jean Monnet, „Erinnerungen eines Europäers“, S. 400 Die innovativen Grundsätze der ersten Europäischen Gemeinschaft Daß fast ein Jahr nötig war, um den Pariser Vertrag auszuhandeln, lag daran, daß im Laufe der Verhandlungen eine Reihe von Grundsatzfragen aufgeworfen wurde, für die Jean Monnet die angemessensten Antworten finden wollte. Es handelte sich nicht, wie wir schon gesehen haben, um diplomatische Verhandlungen herkömmlicher Art. Die Vertreter der sechs Regierungen saßen beisammen, um ein völlig neues juristischpolitisches System zu erfinden, das den Anspruch hatte, auf Dauer angelegt zu sein. Die Präambel des EGKS-Vertrags besteht aus fünf kurzen Absätzen und enthält die gesamte Philosophie, von der sich die Gründerväter Europas leiten ließen: - "In der Erwägung, daß der Weltfriede nur durch schöpferische, den drohenden Gefahren angemessene Anstrengungen gesichert werden kann, - in der Überzeugung, daß der Beitrag, den ein organisiertes und lebendiges Europa für die Zivilisation leisten kann, zur Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen unerläßlich ist, - in dem Bewußtsein, daß Europa nur durch konkrete Leistungen, die zunächst eine tatsächliche Verbundenheit schaffen, und durch die Errichtung gemeinsamer Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung aufgebaut werden kann, - in dem Bemühen, durch die Ausweitung ihrer Grundproduktionen zur Hebung des Lebensstandards und zum Fortschritt der Werke des Friedens beizutragen, - entschlossen, an die Stelle der jahrhundertealten Rivalitäten einen Zusammenschluß ihrer wesentlichen Interessen zu setzen, durch die Errichtung einer wirtschaftlichen Gemeinschaft den ersten Grundstein für eine weitere und vertiefte Gemeinschaft unter 10 Völkern zu legen, die lange Zeit durch blutige Auseinandersetzungen entzweit waren, und die institutionellen Grundlagen zu schaffen, die einem nunmehr allen gemeinsamen Schicksal die Richtung weisen können..." "Weltfriede", "konkrete Leistungen", "tatsächliche Verbundenheit", "Zusammenschluß ihrer wesentlichen Interessen", "nunmehr allen gemeinsames Schicksal": Diese Schlüsselworte tragen sowohl den Gemeinschaftsgeist als auch die Gemeinschaftsmethode in sich und haben ihre mobilisierende Kraft bis heute nicht verloren. Auch wenn der EGKS-Vertrag, der die Verwaltung des Kohle- und Stahlmarktes betraf, heute in seinen Zielsetzungen nicht mehr die gleiche Bedeutung für die europäische Wirtschaft hat wie in den fünfziger Jahren, so bleiben die institutionellen Grundsätze, die durch den Vertrag festgelegt wurden, nach wie vor voll aktuell. Durch sie wurde eine Dynamik ausgelöst, die immer noch ihre Früchte trägt und weiterhin tragen wird und die eine politische Vision nährt, die aus den Augen zu verlieren man sich hüten muß, will man den wertvollen gemeinschaftlichen Besitzstand nicht aufs Spiel setzen. So lassen sich aus dem Schuman-Plan vier Gemeinschaftsprinzipien ableiten, die das Fundament des heutigen Gemeinschaftsgebäudes darstellen. Das Gewicht der Institutionen Die Anwendung der innerhalb von Demokratien geltenden Prinzipien der Gleichheit, des Kompromisses und des Interessenausgleichs auf die internationalen Beziehungen stellt einen zivilisatorischen Fortschritt dar. Die Gründerväter teilten die Erfahrung von Unordnung, Gewalt und Willkür, wie sie der Krieg mit sich bringt. Alle ihre Bemühungen liefen darauf hinaus, eine Rechtsgemeinschaft zu schaffen, in der das Recht stärker ist als die Gewalt. Jean Monnet zitierte häufig den Schweizer Philosophen Amiel: "Jeder Mensch macht seine Erfahrungen immer wieder neu. Dagegen erwerben Institutionen einen höheren Grad an Vernunft: Sie sammeln die kollektive Erfahrung, und aufgrund dieser Erfahrung und dieser Vernunft werden die Menschen, die den gleichen Regeln unterliegen, nicht ihr Wesen, aber nach und nach ihr Verhalten ändern." Die Beziehungen zwischen den Staaten zu befrieden und zu demokratisieren, Herrschaftsbestrebungen und Nationalismus zu bannen, das waren die tieferen Beweggründe, aus denen die erste Gemeinschaft ihre politische Bedeutung schöpfte und die sie in den Rang einer großen historischen Tat erheben. Die Unabhängigkeit der Gemeinschaftsorgane Damit die Institutionen ihre Aufgaben erfüllen können, müssen sie über eigene Autorität verfügen. Der Hohen Behörde der EGKS wurde - und dies gilt auch für die heutigen Gemeinschaftsorgane - folgendes garantiert: - Die Ernennung der Mitglieder - heute der Kommissionsmitglieder - durch die Regierungen im gegenseitigen Einvernehmen (2); es handelt sich nicht um Delegierte der Einzelstaaten, sondern um Persönlichkeiten, die ihre Befugnisse als Kollegium ausüben und von den Mitgliedstaaten keine Anweisungen 11 entgegennehmen dürfen; der europäische öffentliche Dienst ist einzig und allein der Gemeinschaft verpflichtet; - die finanzielle Unabhängigkeit, die durch die Erhebung von Eigenmitteln zustande kommt, im Gegensatz zu den internationalen Organisationen, die auf die Überweisung nationaler Beiträge angewiesen sind, die jederzeit in Frage gestellt werden können; - die Verantwortlichkeit der Hohen Behörde und der heutigen Kommission ausschließlich gegenüber der Versammlung (heute dem Europäischen Parlament), die mit qualifizierter Mehrheit einen Mißtrauensantrag annehmen kann. Die Zusammenarbeit der Organe Die Unabhängigkeit der Hohen Behörde war für Jean Monnet der Eckstein des neuen Systems. Er räumte aber im Laufe der Verhandlungen ein, daß die Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten müßten, ihre nationalen Interessen geltend zu machen. Dies war das sicherste Mittel, um zu verhindern, daß die entstehende Gemeinschaft auf allzu technische Ziele begrenzt bleiben würde. Sie mußte in die Lage versetzt werden, auch in Bereichen tätig zu werden, wo makroökonomische Beschlüsse zu fassen waren, die in den Zuständigkeitsbereich der Regierungen fallen. Deshalb wurde neben der Hohen Behörde ein Rat mit eng begrenzten Funktionen gebildet. Er mußte nicht einstimmig, sondern konnte mehrheitlich entscheiden. Seine Zustimmung war nur in sehr begrenzten Fällen notwendig. Die Gesetzesinitiative verblieb ausschließlich bei der Hohen Behörde; diese - inzwischen auf die heutige Kommission ausgedehnte Prärogative ist wesentlich, da so die Gewähr gegeben ist, daß in einem Vorschlag des Kollegiums die Gesamtheit der Gemeinschaftsinteressen vertreten wird. Schon von 1951 an wird der Dialog zwischen den vier Organen in Form einer Zusammenarbeit, nicht als Unterordnung organisiert, wobei jedes Organ seine Funktionen innerhalb eines vollständigen präföderalen Entscheidungssystems ausübt. Die Gleichheit der Staaten Da man sich für den Grundsatz der Vertretung der Staaten im Rat entschieden hatte, mußte die heikle Frage gelöst werden, welches Gewicht die einzelnen Staaten in diesem Gremium haben sollten. Die Benelux-Staaten und Italien, die wegen ihres geringen Anteils an der Montanproduktion befürchteten, in eine Minderheitsposition zu geraten, plädierten für die Einstimmigkeitsregel. Die Bundesrepublik Deutschland befürwortete eine Vertretung entsprechend dem Anteil an der Produktion. Und dies machte seinen Partnern verständlicherweise eher Angst. Jean Monnet war überzeugt, daß es nur mit dem Grundsatz der Gleichheit der Staaten möglich sein werde, einen Mentalitätswandel herbeizuführen. Er war sich aber auch bewußt, wie schwierig es sein würde, sechs ungleich große Staaten dazu zu veranlassen, auf die Möglichkeiten des Vetorechts zu verzichten. „Das Recht, nein zu sagen, war die Sicherheit der Großen in ihren Beziehungen untereinander und die der Kleinen in ihren Beziehungen zu den Großen“ (3). So traf der Vorsitzende der Konferenz am 4. April 1951 in Bonn mit Bundeskanzler Adenauer zusammen, um ihn von den Verzügen des Gleichheitsgrundsatzes zu überzeugen: 12 "Ich bin befugt, ihnen vorzuschlagen, daß in der Gemeinschaft die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich sowohl im Rat als auch in der Versammlung und in allen heutigen und künftigen europäischen Institutionen auf dem Gleichheitsgrundsatz beruhen sollen... Ich möchte persönlich hinzufügen, daß ich von Anfang an das Angebot einer Union, das der Ursprung dieses Vertrags ist, in diesem Sinne verstanden habe. Bei unserer ersten Zusammenkunft hatte ich den Eindruck, daß Sie ebenso denken. Der Geist der Diskriminierung war die Ursache der größten Unglücksfälle in der Welt, und die Gemeinschaft ist ein Versuch, ihn zurückzudrängen." Der Bundeskanzler reagierte sofort: "Sie wissen, wieviel Wert ich auf die Gleichheit der Rechte für mein Land in der Zukunft lege und wie sehr ich die Herrschaftsunternehmungen verurteile, in die es sich in der Vergangenheit hat hineinziehen lassen. Ich bin glücklich, Ihrem Vorschlag voll zustimmen zu können, denn ich kann mir keine Gemeinschaft ohne totale Gleichheit denken." Damit war eine rechtliche Grundlage von zugleich moralischer Tragweite gelegt, durch die der Begriff "Gemeinschaft" erst seine volle Bedeutung erhielt. Die EGKS, der Grundstein des europäischen Aufbauwerks Angesichts des noch fehlenden Friedensvertrags zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern stellte die erste europäische Gemeinschaft gleichzeitig einen Akt des Vertrauens zur Bereitschaft Frankreichs und der Bundesrepublik sowie ihrer Partner dar, die Fehler der Vergangenheit zu sublimieren, und einen Akt des Glaubens an eine gemeinsame Zukunft im Geiste des Fortschritts. Den Schwankungen der Geschichte, dem Aufbäumen nationalistisch gesinnter Gegner zum Trotz kam das 1950 begonnene Werk nicht mehr zum Stillstand. _______________ (1) (2) (3) Monnet, Jean, „Erinnerungen eines Europäers“, S. 409, Nomos Verlag Baden-Baden 1988. Die Europäische Kommission unterliegt außerdem dem Zustimmungsvotum des Europäischen Parlaments. Monnet, Jean, „Erinnerungen eines Europäers“, S. 447, Nomos Verlag Baden-Baden 1988 13 IV. DIE VORSTELLUNGEN JEAN MONNETS UND ROBERT SCHUMANS Zitate: Jean Monnet GLEICHHEIT / NICHTDISKRIMINIERUNG „Das Übel war im Versailler Vertrag selbst begründet: Er war auf Diskriminierung aufgebaut. Nun habe ich bereits am ersten Tag, an dem ich begann, mich mit öffentlichen Angelegenheiten zu beschäftigen, begriffen, dass Gleichheit zwischen den Völkern wie auch in der Beziehung zwischen einzelnen Menschen eine absolute Grundforderung darstellte. Ein Frieden der Ungleichheit konnte zu nichts Gutem führen.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 4, Seite 123, 2. Absatz „Wenn die Länder Europas sich aufs neue gegenseitig abschließen, wird erneut die Schaffung großer Armeen notwendig werden. Manche Länder könnten es durch einen zukünftigen Friedens-vertrag; anderen würde es untersagt werden. Wir haben mit diesem diskriminierenden Vorgehen 1919 Erfahrungen gesammelt, und wir kennen die Konsequenzen. Es würde wieder intereuropäische Allianzen geben: Wir kennen ihren Wert.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 9, Seite 284, 1. Absatz „Der Frieden kann nur auf Gleichheit gegründet sein. (...) Wir haben 1919 die Gelegenheit zum Frieden verpasst, weil wir Diskriminierung und den Geist der Bevormundung ins Spiel gebracht haben.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 11, Seite 362, 2 Absatz „Eine Lösung, die der französischen Industrie die gleiche Ausgangsbasis wie der deutschen einräumte, während man diese von den aus der Niederlage entstandenen Diskriminierungen befreite, würde die ökonomischen und politischen Bedingungen für eine Entente schaffen, die für Europa unerlässlich war. Darüber hinaus könnte sie sogar das Ferment zu einer europäischen Einheit werden.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 12, Seite 373, 1. Absatz 14 „Wenn man das Problem der Souveränität ohne Gedanken an Revanche und Vorherrschaft anging, wenn viel mehr Sieger und Besiegte übereinkamen, sie gemeinsam über einen Teil ihrer zusammengefassten Reichtümer auszuüben, welch solides Band würde damit zwischen ihnen geschaffen, welche Möglichkeiten würden zu neuen eröffnet und welch ein Beispiel würde den anderen europäischen Völkern geboten!“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 12, Seite 373/374, 2. Absatz „Der Geist der Diskriminierung ist die Ursache für die größten Unglücksfälle der Welt gewesen, die Gemeinschaft ist eine Anstrengung, ihn zu vermeiden.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 14, Seite 448, 1. Absatz „Es kann nicht alles zur gleichen Zeit geschehen, wir werden uns dieser Organisation schrittweise annähern. Aber es ist unerläßlich, dass man beginnt. Es handelt sich nicht darum, politische Pro-bleme zu regeln, bei denen sich wie in der Vergangenheit Kräfte gegenüberstehen, die nach Vorherrschaft und Überlegenheit streben. Es handelt sich darum, der Zivilisation zu einem neuen Fortschritt zu verhelfen und damit zu beginnen, die Formen der Beziehungen zwischen den Ländern zu ändern und die Prinzipien der Gleichheit zwischen den Völkern und Ländern anzuwenden.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 20, Seite 616, 3. Absatz „Um damit beginnen zu können, Europa fünf Jahre nach dem letzten Krieg zu einen, war es wichtig, dass die Menschen verstehen, dass es keine Sieger oder Besiegte mehr gibt, sondern nur gleichberechtigte Partner vor einem gemeinsamen Gesetz.“ Quelle: „Europe-Amérique: relation de partenaires nécessaires à la paix". Ansprache von Jean Monnet anlässlich der Überreichung des Freiheitspreises in New York am 23. Januar 1963, Centre de recherches européennes de Lausanne, April 1963 „Der gemeinsame Markt wurde nicht einfach nur geschaffen, um den Warenverkehr zu verbessern oder eine neue Macht entstehen zu lassen. Unser wesentliches Ziel war und ist es, ein vereintes Europa zu schaffen und zwischen den Ländern und ihren Völkern dem Streben nach Vorherrschaft ein Ende zu setzen, das die Welt wiederholt an den Rand der Zerstörung geführt hat.“ Quelle: „Europe-Amérique: relation de partenaires nécessaires à la paix“. Ansprache von Jean Monnet anlässlich der Überreichung des Freiheitspreises in New York am 23. Januar 1963, Centre de recherches européennes de Lausanne, April 1963 15 Frieden „Es wird keinen Frieden in Europa geben, (...) wenn die Staaten auf der Basis nationaler Souveränität wiederhergestellt werden, mit all dem, was eine Politik des Machtstrebens und wirtschaftliche Protektion mit sich bringt.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 9, Seite 284, 1. Absatz „Aber Kohle und Stahl waren sowohl der Schlüssel für wirtschaftliche Macht wie auch für das Arsenal, in dem die Waffen für den Krieg geschmiedet wurden. Diese doppelte Macht gab ihnen damals eine gewaltige symbolische Bedeutung, die wir heute vergessen haben, vergleichbar etwa der, die jetzt die Kernenergie begleitet. Sie über die Grenzen hinweg zu fusionieren, würde ihnen ihren unheilvollen Nimbus nehmen und sie – im Gegenteil - zu einem Unterpfand des Friedens machen.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 12, Seite 374, 2. Absatz „Der beste Beitrag zu Zivilisation besteht darin, die Menschen in frei aufgebauten Gemeinschaften zur Entfaltung zu bringen.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 14, Seite 451, 2. Absatz „Die Gemeinschaft hat sowenig wie irgend ein anderes politisches System die Macht, Schwierigkeiten zum Verschwinden zu bringen, aber sie bietet den Rahmen und die Mittel, sie friedlich zu überwinden. Dies ist ein fundamentaler Wandel gegenüber der Vergangenheit – einer noch sehr nahen Vergangenheit.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 493, 2. Absatz „Der Friede hängt heute nicht nur von Verträgen oder Verpflichtungen ab. Er hängt im Wesentlichen davon ab, ob Bedingungen geschaffen werden, die zwar nicht das Wesen der Menschen verändern, jedoch ihr Verhalten untereinander in eine friedliche Richtung lenken. Dies ist eine der wesentlichen Folgen aus der Umgestaltung Europas, die das Ziel unserer Gemeinschaft ist. Indem sie ihre Einheit verwirklichen, indem sie Europa durch die Schaffung neuer und dauerhafter Bedingungen seine Kraft zurückgeben, tragen die Europäer zum Frieden bei.“ Quelle: Jean Monnet „Repères pour une méthode, propos sur l'Europe à faire“, Fayard 1996, S. 106, Rede, Washington, 30. April 1952 16 - „Europa schaffen heißt den Frieden schaffen“. Quelle: Jean Monnet „Repères pour une méthode, propos sur l'Europe à faire“, Fayard 1996, S. 108. Rede, Aachen, 17. Mai 1953 „Die Vereinigten Staaten von Europa sind nicht nur die große Hoffnung, sondern auch die dringende Notwendigkeit unserer Epoche, weil sie den Weg vorzeichnen für die Entfaltung jedes unserer Völker und die Festigung des Friedens.“ Quelle: Jean Monnet „Repères pour une méthode, propos sur l'Europe à faire“, Fayard 1996. S. 108 EIN WERK IM DIENSTE DER MENSCHHEIT „Wir bilden keine Koalition von Staaten, sondern eine Einheit der Völker.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988 (F.v.R.) „Die Länder Europas sind zu klein, um ihren Völkern den Wohlstand zu sichern, den die Voraussetzungen möglich machen und die folglich notwendig sind. Dazu braucht man viel größere Märkte. ... Dieser Wohlstand und die unerläßlichen sozialen Entwicklungen setzen voraus, dass die Staaten Europas sich zu einer Föderation zusammenschließen oder zu einer ‚europäischen Entität‘, die eine wirtschaftliche Einheit entwickelt.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 9, Seite 284, 2. Absatz „Wir wollen die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland auf eine gänzlich neue Basis stellen (...) und das, was uns trennt, insbesondere die Kriegsindustrien, zum gemeinsamen Nutzen wenden, was auch zum Nutzen Europas wäre. Europa wird dann seine hervorragende Rolle wiedergewinnen, die es in der Welt gespielt hat und die durch seine Zwistigkeiten verlorengegangen ist. Seine Einheit richtet sich nicht gegen seine Vielgestaltigkeit. Im Gegenteil. Diese Vielgestaltigkeit, die sein Reichtum ist, wird zum Nutzen der Zivilisation beitragen und wird auch auf die Entwicklung der Mächte – sogar auf Amerika – Einfluß haben. Der französische Vorschlag ist also in seinem Grundgedanken wesentlich politisch. Er hat sogar einen gewissermaßen moralischen Aspekt.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 12, Seite 393, 3. Absatz 17 „Menschen, die man in eine neue Lage versetzt oder in ein System mit anderen Verpflichtungen, sich den neuen Verhältnissen angleichen und zu anderen Menschen werden. Sie werden besser, wenn der neue Kontext besser ist: das ist die ganz einfache Geschichte des zivilisatorischen Fortschritts, und das ist auch die Geschichte der europäischen Gemeinschaft.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 493, 2. Absatz „ ... psychologisch beträchtliche Veränderungen, die manche bisher in gewalttätigen Revolutionen durchzusetzen versuchten, sich sehr friedlich vollziehen konnten, wenn man das Denken der Menschen auf den Punkt ausrichtete, in dem ihre Interessen konvergierten. Dieser Punkt ist immer vorhanden, man muß sich nur bemühen, ihn zu finden.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 496, 2. Absatz „Unsere Gemeinschaft ist nicht eine Assoziation von Kohle- und Stahlproduzenten: Sie ist der Beginn Europas. Der Beginn Europas, das war eine politische, mehr aber noch eine moralische Sicht.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 497, 1/2. Absatz „Wenn ich daran denke, dass Franzosen, Deutsche, Belgier, Niederländer, Italiener und Luxemburger gemeinsamen Regeln folgen und dabei ihr gemeinsames Problem im gleichen Licht sehen werden und sich deshalb ihr Verhalten gegeneinander fundamental ändert, so sage ich mir, dass in den Beziehungen zwischen den Ländern und Menschen Europas ein entscheidender Fortschritt gelungen ist.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 498, 1. Absatz „Unsere Länder sind zu klein geworden für die gegenwärtige Welt, gemessen an den modernen technischen Mitteln, gemessen an dem Amerika und Rußland von heute, dem China und Indien von morgen. Die Einheit der europäischen Völker in den Vereinigten Staaten von Europa ist das richtige Mittel, um das Lebensniveau zu heben und den Frieden zu sichern. Sie ist die große Hoffnung und die Chance unserer Epoche.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 506/507, Absatz 3 und 1. „Man muß verstehen, dass der Gemeinsame Markt ein nicht nur wirtschaftliches, sondern auch psychologisches Instrument der Veränderung ist.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 18, Seite 582, Absatz 2. 18 „ ... was uns in Europa wider aller Erwartung gelungen war, sollte gleichermaßen überall möglich sein, wo die Menschen noch in Begriffen der Vorherrschaft denken und ihre Rivalitäten mit Waffengewalt zu lösen hoffen. Diese Überlegungen überzeugen mich davon, dass die Union der Europäer nicht nur für sich selbst wichtig war, sondern auch für andere Völker den Wert eines Beispiels hatte, und dies war ein Grund mehr, sie zu einem guten Ende zu bringen.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 21, Seite 645, Absatz 2. „Die größte Gefahr für Europa ist die Verschlechterung der Situation des Einzelnen, der unfähig ist, für sein tägliches Leben und seine Sicherheit die Möglichkeiten zu nutzen, die der Fortschritt ihm bietet. Gelingt ihm dies nicht, so sind es die Bedingungen, unter denen wir leben, die Bedingungen, unter denen die Länder Europas leben, die ihn daran hindern.“ Quelle: Jean Monnet „Repères pour une méthode, propos sur l'Europe à faire“, Fayard 1996. S. 82-83 INSTITUTIONEN/SUPRANATIONALITÄT/ALLGEMEINES INTERESSE „Zu oft schon war ich auf die Grenzen der Kooperation gestoßen. Sie ist ein Verfahren, das zwar Diskussionen fördert, aber zu keiner Entscheidung führt. Sie ermöglicht keine Veränderung der Verhältnisse zwischen den Menschen und zwischen den Ländern unter Bedingungen, in denen eine Vereinigung nötig ist. Sie ist ein Ausdruck der nationalen Macht als solcher, sie kann diese Macht nicht verändern, nie eine Einheit schaffen.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 1, Seite 41/42. „Die Kooperation zwischen den Nationen wird dazu führen, dass sie sich besser kennenlernen, und dass die verschiedenen Elemente, aus denen sie sich zusammensetzen, die entsprechen-den Elemente der Nachbarnationen durchdringen. Man muß sich also besser kennenlernen, und dies gilt auch für die Regierungen und die Völker, damit sie dahin gelangen, die Probleme, die sich ihnen stellen, nicht nur unter dem Blickwinkel des eigenen Interesses, sondern im Licht des allgemeinen Interesses zu sehen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Egoismus des Menschen und der Nationen seine Ursache oftmals darin hat, dass das Problem, das sich stellt, nur ungenau bekannt ist, wobei dann jeder dazu neigt, nur den Aspekt seines unmittelbaren Eigeninteresses zu sehen.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 4, Seite 105, Absatz 3. 19 „Die Regierungen zu informieren, die Verwaltungen zur Zusammenarbeit zu bewegen, entspringt einem guten Willen, doch dieser Wille versagt beim ersten Interessenkonflikt, wenn es kein politisch unabhängiges Organ gibt, das fähig ist, gemeinsame Ansichten zu fassen und zur gemeinsamen Entscheidung zu kommen.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 4, Seite 110, Absatz 1. „Das Veto ist der tiefe Grund und gleichzeitig das Symbol für die Ohnmacht, nationale Egoismen zu überwinden. Doch es ist nur der Ausdruck einer tieferen und oft nicht eingestandenen Sperre.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 4, Seite 123, Absatz 2. „Mehr von einem System zu verlangen, das keinerlei Delegierung von Souveränität vorsah, wäre eine Illusion gewesen, und sehr rasch beschränkte sich die OEEC auf ihren technischen Rahmen, der den Marshallplan überlebte, weil sie zu einem Sammelplatz von für alle nützlichen Informationen wurde. Ich sah, dass die Organisation zwischen den Regierungen, die in Muette eingerichtet worden war, noch weniger als die interparlamentarischen Sitzungen, die aus dem Kongreß von Den Haag hervorgegangen waren, jemals der Ausdruck europäischer Einheit werden konnte. In diesen großen Zusammenfassungen von Ländern war das gemeinsame Interesse zu ungenau umrissen und die gemeinsame Disziplin zu lasch. Man mußte mit gleichzeitig pragmatischeren und ehrgeizigeren Verwirklichungen beginnen, man mußte die nationale Souveränität mit mehr Kühnheit an einer begrenzteren Stelle angehen.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 11, Seite 348/349. „Ich hatte dies beim Völkerbund gesehen, aber offensichtlich erinnerte sich niemand mehr an die Vetos, die alle Bemühungen blockiert hatten, die durch Japan, Italien und Deutschland provozierten Konflikte friedlich zu lösen. Die UNO leidet an den gleichen Gebrechen und auch der Europarat. (...) Die internatio-nalen Körperschaften geben sich den Anschein demokratischer Organisationen, die im hellen Schein des Tages den Willen der Völker zum Ausdruck bringen: Man sieht nicht, dass ihre mehrheit-lichen oder sogar einstimmigen Beschlüsse im Dunkeln durch einen Rat von Repräsentanten annulliert werden, von denen ein einziger genügt, um alle anderen handlungsunfähig zu machen.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 11, Seite 358/359. 20 „Nichts ist möglich ohne die Menschen, nichts dauerhaft ohne Institutionen.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 12, Seite 387, Absatz 3. „Die Schumanschen Vorschläge sind entweder revolutionär oder sie sind überhaupt nichts. (...) Die Kooperation zwischen den Nationen, so bedeutend sie auch sein mag, löst nichts. Was es zu suchen gilt, ist eine Vereinigung der Interessen der europäischen Völker und nicht einfach die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts dieser Interessen.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 12, Seite 400, Absatz 2. „Wenn diese Institutionen geschaffen sind, hat das Europa, das wir als Erbe unseren Kindern hinterlassen wollen, begonnen, eine lebendige Realität zu werden.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 485, Absatz 1. „Europa würde nach dem gleichen Prozeß entstehen, den jeder unserer Staaten durchgemacht hat, das heißt, indem man zwischen den Nationen eine neue Form von Beziehungen einführte, vergleichbar jenen, die sich unter den Bürgern irgend eines demokratischen Landes herausgebildet hatten – eine in gemeinsamen Organisationen organisierte Gleichheit. (...) Die Einheit Europas kann sich nicht nur auf guten Willen gründen. Dazu sind Regeln notwendig. Die tragischen Ereignisse, die wir miterlebt haben, die wir noch erleben, haben uns vielleicht ein wenig weiser gemacht. Aber die Menschen gehen und kommen. Wir können ihnen nicht unsere persönliche Erfahrung hinterlassen, die mit uns verschwindet; was wir ihnen hinterlassen können, sind Institutionen. Das Leben von Institutionen währt länger als das der Menschen, und so können Institutionen, wenn sie wohl konstruiert sind, die Weisheit aufeinanderfolgender Generationen sammeln und weitergeben.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 485/486. „Wenn Europa von Menschen, die nicht die gleiche Vorstellung von seiner Zukunft hatten, in verschiedene, gegensätzliche Richtungen gezogen wurde, so erblickte ich darin zwar viel verlorene Zeit und Mühe, aber nichts, was der Notwendigkeit zur Einigung widersprochen hätte. Lediglich die Philosophien und die Methoden waren verschieden, und wie immer hatte die Realität das letzte Wort. Dieses letzte Wort wird wohl, wie ich glaube, gerade geschrieben, und es ähnelt sehr dem ersten, dem von 1950. Es heißt so: Delegierung der Souveränität und gemeinsame Ausübung dieser delegierten Souveränität. Ich sehe nicht, was man in den 21 fünfundzwanzig Jahren anderes erfunden hätte, um Europa zu einen, trotz aller Möglichkeiten, dem Weg eine andere Richtung zu geben." Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 17, Seite 548, Absatz 1. „Die Suche nach dem gemeinsamen Interesse schließt nicht aus, dass jeder der Position des anderen Rechnung trägt, aber sie darf sich nicht auf die Pfade des Feilschens begeben. Wir hielten uns an unsere Methode, die darin besteht, zuerst zu bestimmen, was für die Gesamtheit der in der Gemeinschaft vereinigten Länder gut ist, und dann zu ermessen, wieviel Anstrengung dieser oder jener im einzelnen aufzubringen hat, ohne – wie in der Vergangenheit – vergeblichen punktuellen Ausgleich zu suchen.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 17, Seite 552, Absatz 1. „Es gibt einen fundamentalen Unterschied (...) zwischen der Gemeinschaft, die eine Methode darstellt, um die Völker zu vereinigen, und der Freihandelszone, die ein kommerzielles Arrangement darstellt. Unsere Institutionen erfassen das Ganze und schaffen eine gemeinsame Politik; die Freihandelszone versucht, einzelne Schwierigkeiten zu beheben, ohne sie in den Rahmen eines gemeinsamen Handelns zu bringen.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 18, Seite 569, Absatz 2. „Die Menschen davon zu überzeugen, dass sie miteinander reden müssen, ist das Äußerste, was man für den Frieden tun kann. Aber dazu braucht es mehrere Bedingungen, die alle gleichermaßen notwendig sind. Eine besteht darin, dass bei den Gesprächen der Geist der Gleichheit herrscht und dass keiner mit der Absicht an den Tisch kommt, einen Vorteil über den anderen erringen zu wollen. Dies setzt voraus, dass man auf die sogenannten Privilegien der Souveränität verzichtet und auch auf die schneidende Waffe des Veto. Eine andere Bedingung besteht darin, dass man von der gleichen Sache spricht; und eine dritte schließlich, dass man sich bemüht, das Interesse zu finden, das allen gemeinsam ist. Diese Methode ist den Menschen keineswegs selbstverständlich, die sich treffen, um über Probleme zu verhandeln, die gerade aus den widersprüchlichen Interessen der Nationalstaaten entstanden sind. Man muß sie dazu bewegen, diese zu sehen und anzuwenden. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass guter Wille nicht ausreicht und dass sich allen eine moralische Kraft aufdrängt, die Kraft der Regeln, die durch gemeinsame, den Individuen überlegene und von den Staaten respektierte Institutionen geschaffen werden. Diese Institutionen sind dazu da, zu vereinen – völlig zu vereinen, was sich ähnelt, anzunähern, was noch verschieden ist.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 19, Seite 600/601. 22 SOLIDARITÄT „Auch wo die Notwendigkeit zur Solidarität auf der Hand liegt, entsteht sie durchaus nicht von selbst. Man muß sie also organisieren. Die Organisation ist niemals abgeschlossen.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 7, Seite 226, Absatz 2. VERTRAUEN „ ... Vertrauensbeziehung - sie ergibt sich ganz natürlich zwischen Menschen, die das anstehende Problem unter dem gleichen Blickwinkel sehen. Wenn das Problem sich für alle in gleicher Weise stellt, wenn alle das gleiche Interesse an seiner Lösung haben, dann verschwinden die Differenzen, die gegenseitigen Verdächtigungen, und dann stellt sich häufig auch Freundschaft ein.“ Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 3, Seite 98. 23 Zitate: Robert Schuman BRÜDERLICHKEIT „Seit langen Jahren verspüren wir schmerzhaft die ideologische Demarkationslinie, die Europa in zwei Teile zerschneidet. Sie wurde uns gewaltsam auferlegt. Möge sie sich in Freiheit auflösen!“ [...] „Wir betrachten alle, die den Wunsch hegen, sich uns in einer wieder aufgebauten Gemeinschaft anzuschließen, als integralen Bestandteil des lebendigen Europas. Wir erweisen ihrem Mut und ihrer Treue ebenso die Ehre wie ihrer Leidensfähigkeit und ihrer Opferbereitschaft. Wir sind ihnen das Vorbild eines geeinten und brüderlichen Europas schuldig.“ [...] „Die Europäische Gemeinschaft muss das Umfeld für ein gegenseitiges Verständnis schaffen, in der die Besonderheiten jedes Einzelnen respektiert werden; sie bildet die feste Grundlage für eine ertragreiche und friedvolle Zusammenarbeit. So lässt sich ein neues, prosperierendes und unabhängiges Europa aufbauen. Unsere Pflicht ist es, darauf vorbereitet zu sein.“ Quelle: Robert Schuman, Revue France-Forum Nr. 52, November 1963. „Ein nachdenkender Europäer kann sich unmöglich noch mit machiavellischer Böswilligkeit über das Unglück seines Nachbarn freuen; alle sind auf Gedeih und Verderb in einer Schicksalsgemeinschaft vereint.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l'Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 43. SOLIDARITÄT „Als Antwort auf eine tiefe Sehnsucht der Völker haben die europäische Idee und der Geist gemeinschaftlicher Solidarität über die Institutionen hinaus Wurzeln geschlagen. Quelle: Robert Schuman, „Pour l'Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 16-17. 24 „Unsere Grenzen in Europa dürfen immer weniger ein Hindernis für den Austausch von Ideen, von Personen und von Gütern sein. Das Gefühl der Solidarität unter den Nationen wird über die Nationalismen siegen, die von nun an überholt sind.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 23. „Dieses Europa richtet sich gegen niemanden; es hat keine aggressiven Absichten und keine egoistischen oder imperialistischen Züge, weder in seinem Innern noch im Hinblick auf andere Länder. Es bleibt offen für diejenigen, die ihm beitreten möchten. Seine Daseinsberechtigung schöpft es aus internationaler Solidarität und Zusammenarbeit, einer rationalen Weltordnung, zu der es einen wesentlichen Beitrag leisten muss.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 25. „Jeder muss von dieser Überzeugung durchdrungen sein, die wir alle unabhängig von unserem Rang und unserer Macht benötigen.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 26-27. „Nach zwei Weltkriegen haben wir schließlich erkannt, dass der beste Garant für die Nation weder in ihrer glänzenden Abgeschiedenheit noch in ihrer eigenen Stärke liegt, wie groß auch jeweils ihre Macht sein mag, sondern in der Solidarität unter den Nationen, die vom gleichen Geist beseelt in gemeinsamem Interesse gemeinsame Aufgaben übernehmen.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 30. Die Grenzen „behalten ihre Daseinsberechtigung, wenn sie ihre Aufgabe zukünftig auf einer Art geistigen Ebene weitererfüllen können. Statt trennender Schranken müssen sie zu Linien der Kontaktaufnahme werden, über die hinweg ein immer intensiverer materieller und kultureller Austausch stattfindet. Sie begrenzen bestimmte Aufgaben jedes einzelnen Landes, die ihm eigenen Zuständigkeiten und Initiativen bei der Lösung einer Reihe von Problemen, die die Grenzen und selbst die Kontinente übergreifen und dazu führen, dass alle Länder sich untereinander solidarisch verhalten.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 34. „Bevor Europa ein Militär- oder Wirtschaftsbündnis sein kann, muss es im wahrsten Sinne des Wortes eine kulturelle Gemeinschaft bilden.“ 25 Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 35. „Wir werden und wollen unser Vaterland niemals verleugnen und die Pflichten ihm gegenüber vergessen. Doch über jedem Vaterland erkennen wir immer deutlicher das Vorhandensein eines gemeinsamen Gutes, das höher als das nationale Interesse wiegt, jenes gemeinsame Gut, in dem die einzelnen Interessen unserer Ländern aufgehen und miteinander verschmelzen.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 38. „Das Gesetz der Solidarität zwischen den Völkern setzt sich im heutigen Bewusstsein durch. Wir fühlen uns untereinander solidarisch bei der Bewahrung des Friedens, der Verteidigung gegen Angriffe, der Bekämpfung der Armut, der Einhaltung der Verträge, der Wahrung des Rechts und der Menschenwürde.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 38. „Wir müssen die Köpfe darauf vorbereiten, europäische Lösungen zu akzeptieren, indem wir überall nicht nur den Anspruch auf Vorherrschaft und den Glauben an Überlegenheit bekämpfen, sondern auch die Engstirnigkeit des politischen Nationalismus, des autarken Protektionismus, und des kulturellen Isolationismus. All diese Tendenzen, die uns aus der Vergangenheit hinterlassen wurden, müssen durch ein Gefühl der Solidarität ersetzt werden, das heißt durch die Überzeugung, dass das wirkliche Interesse jedes Einzelnen darin besteht, in der Praxis die gegenseitige Abhängigkeit aller zu erkennen und zu akzeptieren. Egoismus zahlt sich nicht mehr aus.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 47. „Das sicherste Mittel, uns gegen die Risiken von Krieg und Unterdrückung zu schützen, ist unser gemeinsamer Zusammenhalt in allen Dingen, wirtschaftlich, politisch und militärisch. Die enge Zusammenarbeit, die sich innerhalb der bereits errichteten europäischen Gemeinschaften etablieren wird, führt dazu, dass wir alles unter dem Aspekt des gemeinsamen Interesses und der gemeinsamen Verantwortung betrachten. Wir werden uns daran gewöhnen, die Dinge nicht mehr allein aus einem rein nationalen Blickwinkel wahrzunehmen. [...] So muss man, ausgehend vom Nationalen, die Lage als Ganzes sehen, in dem sich schließlich alles vereint und vervollständigt.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 149. 26 „Eine Rettung der Europäer ist möglich, sofern sie sich angesichts einer gleichen Gefahr ihrer Solidarität bewusst sind.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 184. „Eine wirkliche Gemeinschaft setzt wenigstens eine gewisse Wesensverwandtschaft voraus. Die Länder schließen sich nicht zusammen, wenn sie untereinander nicht etwas Gemeinsames verspüren. Was allen gemein sein muss, ist ein Mindestmaß an Vertrauen. Sie brauchen ebenfalls ein Mindestmaß an übereinstimmenden Interessen. Ansonsten erreicht man bloß eine Koexistenz, jedoch keine Zusammenarbeit. Ein gegenseitiges Verständnis und ein enger Zusammenschluss bedeuten nicht, dass es überhaupt keine Unterschiede mehr geben darf, aber man muss ebenfalls sicher sein, dass es genügend Bindungen und gemeinsame Vorstellungen gibt. Der Menschheit zu dienen, ist ebenso eine Pflicht wie unsere Treue zur Nation.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 196. „Europa wird weder über Nacht erschaffen noch als Gesamtbauwerk. Es entsteht durch konkrete Schritte, die zunächst eine tatsächliche Solidarität herstellen.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963. Anhang: Erklärung vom 9. Mai 1950. GLEICHHEIT „Europa kann schwerlich eine Einflusszone sein, die irgendeiner politischen, militärischen oder wirtschaftlichen Vormacht zur Ausbeutung vorbehalten ist, sondern es muss, um real zu existieren, vom Prinzip gleicher Rechte und Pflichten für alle miteinander verbundenen Länder bestimmt werden.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 24-25. „Die europäische Gemeinschaft wird nicht nach dem Vorbild eines Reiches oder einer Heiligen Allianz entstehen; sie wird sich auf die demokratische Gleichberechtigung gründen, die sich auf den Bereich der Beziehungen zwischen den Nationen überträgt.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 47. 27 „Wir können nicht die Augen davor verschließen, dass die Einigung Europas ein enorm schwieriges Unterfangen ist, das niemals zuvor versucht wurde. Es erfordert eine diametrale Veränderung der Beziehungen zwischen europäischen Staaten, insbesondere zwischen Frankreich und Deutschland. Dieses Unterfangen gehen wir gemeinsam an, auf absolut paritätischer Grundlage, in gegenseitiger Wertschätzung und gegenseitigem Vertrauen, nachdem unsere Generation ein Höchstmaß an Leid und Hass erlebt hat.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 106. „Es oblag ihm [Frankreich], die Initiative zu ergreifen und gegenüber seinem Nachbarn den Willen zum Ausdruck zu bringen, ihm zu vertrauen, und zwar nicht durch eine platonische oder an eine Bedingung gebundene Erklärung, sondern durch ein konkretes Angebot zur ständigen Zusammenarbeit, zudem noch in einem Bereich von existenzieller Bedeutung. Mit anderen Worten: Frankreich bietet an, mit Deutschland auf gleicher Ebene zu verhandeln.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 106-107. FRIEDEN „Zugunsten Europas spricht, dass es imstande ist, effektiv und unmittelbar auf die Bedürfnisse der Menschheit einzugehen eine Antwort auf das neue Streben der Völker bietet. Es handelt sich also um ein Friedensunternehmen.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 25-26. „Am Krieg und seinen Zerstörungen sowie am befreienden Sieg waren alle beteiligt. Wenn wir wollen, dass der Frieden dauerhaft über den Krieg siegt, muss er von allen Völkern gemeinsam ausgestaltet werden, einschließlich derer, die sich noch vor Kurzem bekämpft haben und Gefahr laufen, erneut in blutige Auseinandersetzungen zu geraten.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 43-44. „Ja, wir brauchen etwas anderes als bloße Worte, etwas anderes als das Brandmarken der Verbrechen, die der Krieg bedeutet, etwas anderes als das Wachrufen seiner Schrecken und seines Elends. 28 Wir müssen dem Krieg seine Daseinsberechtigung entziehen, sogar die Versuchung beseitigen, ihn zu führen. Niemand, selbst nicht die skrupelloseste Regierung, darf ein Interesse haben, Krieg zu führen. Ich gehe noch weiter: Wir wollen ihr die Mittel entziehen, einen Krieg vorzubereiten und ihn auf eigene Kosten zu riskieren. Die Rücksichtslosesten werden nunmehr außerstande sein, einen schlimmen Angriff vorzubereiten. Statt des früheren Nationalismus, statt der schreckhaften und misstrauischen Unabhängigkeit bündeln wir nun die Interessen, die Entscheidungen und das Schicksal dieser neuen Gemeinschaft von vormals miteinander rivalisierenden Staaten.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 45. „Solange es Raum für Vergeltung gibt, werden die Kriegsgefahren erneut heraufbeschworen. Eine Lösung, die zwischen Siegern und Besiegten von Angesicht zu Angesicht erarbeitet wird, kann vorübergehend Gebietsansprüche oder einen Prestigekonflikt befrieden. Doch das allein reicht niemals aus, um einen dauerhaften Frieden zu erreichen. In der Vergangenheit hat man bisweilen versucht, mit multilateralen Friedensverträgen die politische Lage in bestimmten Regionen Europas zu stabilisieren. [...] Dabei kam es immer wieder zu Enttäuschungen, weil man diesen Pseudo-Einigungen nur einen mehr oder weniger künstlichen Rechtsstatus gegeben hatte, aber versäumte, sich gemeinsamen Aufgaben zu stellen und neue Hoffnung zu schöpfen, durch die die Vergangenheit überwunden werden kann. Diese Feststellung lässt uns dieses Mal nach einer gemeinsamen Übereinkunft suchen, nach einem Frieden, der nicht nur die Beseitigung des Krieges bedeutet, sondern den Aufbau der Zukunft.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 108-109. „Doch durch diese wirtschaftlichen Perspektiven konnten wir vor allem die unmittelbaren Vorteile erahnen, die sich im politischen Bereich ergeben. Ein dauerhafter und kontrollierter Zusammenschluss der Kohleund Stahlindustrie nimmt allen teilnehmenden Ländern de facto die Möglichkeit, gegen die anderen Beteiligten einen Krieg zu führen oder vorzubereiten. Denn man führt keinen Krieg, wenn man nicht mehr frei über die Energie und das Metall verfügen kann, die die Grundlagen solcher Unternehmungen darstellen.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 164. „Der Beitrag, den ein organisiertes und lebendiges Europa zur Zivilisation leisten kann, ist unerlässlich für die Wahrung friedlicher Beziehungen. [...] Europa ist noch nicht aufgebaut worden, wir hatten Krieg.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963. Anhang: Erklärung vom 9. Mai 1950. 29 „Durch die Vergemeinschaftung von Grunderzeugnissen und die Einrichtung einer neuen Hohen Behörde, deren Entscheidungen Frankreich, Deutschland und weitere beitretende Länder miteinander verbinden werden, bildet dieser Vorschlag die ersten konkreten Grundlagen für einen europäischen Zusammenschluss, der für die Wahrung des Friedens unerlässlich ist.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963. Anhang: Erklärung vom 9. Mai 1950. CHRISTLICHE WERTE „Hier sind wir nun, unter dem Druck der Erfahrung, nach so vielen Niederlagen, die das diplomatische Geschick oder die Großzügigkeit gewisser Männer wie Aristide Briand gegenüber den schrecklichen Bedrohungen einstecken musste, die die Schwindel erregenden Fortschritte einer überheblichen Wissenschaft der Menschheit auferlegten. Hier sind wir nun, zurückgeworfen auf das christliche Gesetz durch eine edelmütige aber bescheidene Brüderlichkeit. Und durch ein Paradoxon, das uns überraschen würde, wenn wir nicht – vielleicht unbewusst – Christen wären: Wir reichen unseren gestrigen Feinden die Hand, nicht einfach, um zu vergeben, sondern um gemeinsam das Europa von morgen aufzubauen.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 44. „Diese neue Politik gründet sich auf Solidarität und wachsendes Vertrauen. Sie stellt eine Glaubenshandlung dar, nicht wie diejenige Jean-Jacques Rousseaus, bei der die menschliche Güte seit zwei Jahrhunderten so grausam zurückgewiesen wurde, sondern eine Glaubenshandlung im guten Sinne, bei der die Völker endlich überzeugt sind, dass ihr Wohl in einer Verständigung und in einer Zusammenarbeit liegt, die untereinander so fest organisiert ist, dass keine der beteiligten Regierungen sich ihr entziehen kann. Auf dass diese Idee von einem versöhnten, geeinten und starken Europa von nun zum Wahlspruch der jungen Generationen werde, die bestrebt sind, der endlich von Hass und Angst befreiten Menschheit zu dienen, und die nach allzu langer Zerrissenheit wieder Zugang zu christlicher Brüderlichkeit finden.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 45-46. 30 „Europa ist die Verwirklichung einer Demokratie im christlichen Sinne des Wortes.“ allgemein verbreiteten Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 53. „Die Demokratie verdankt ihre Existenz dem Christentum. Sie wurde an jenem Tag geboren, als der Mensch berufen ward, angesichts seines vergänglichen Lebens die Würde jedes Menschen zu erkennen, in der Freiheit des Einzelnen, in der Achtung seiner Rechte und durch die gelebte, brüderliche Liebe zu allen anderen. Niemals vor Christus wurden solche Gedanken formuliert. Die Demokratie ist folglich von der Lehre her und ideologisch an das Christentum gebunden. Mit ihm hat sie Gestalt angenommen, in Schritten, durch lange, tastende Versuche, mitunter um den Preis von Verfehlungen und der Barbarei.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 56-57. „Das Christentum lehrt die natürliche Gleichheit aller Menschen, Kinder desselben Gottes, erlöst durch den einen Christus, ohne Ansehen von Rasse, Hautfarbe, Klasse, Beruf. Es hat für die Achtung der Arbeit gesorgt und die Pflicht aller, sich ihr zu unterwerfen. Es hat den Vorrang der inneren Werte anerkannt, die allein den Menschen adeln. Das allgemeingültige Gebot der Liebe und der Nächstenliebe hat jeden Menschen zu unserem Nächsten gemacht. Auf dieses Gebot gründen sich seither die sozialen Beziehungen in der christlichen Welt.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 57-58. - „Ich komme mit Bergson zu dem Schluss, dass ‚die Demokratie per definitionem christlich ist, denn ihr Kern ist die Liebe‘.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 70. „Die Verwirklichung dieses weit reichenden Programms zur Umsetzung von Demokratie im christlichen Sinne des Wortes findet seine Entfaltung im Aufbau Europas.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 77. „Bereits die Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die Atomgemeinschaft und der Gemeinsame Markt mit dem freien Waren-, Kapital- und Personenverkehr sind Institutionen, die die Beziehungen zwischen den beteiligten Staaten tiefgreifend und entscheidend verändern; sie werden in gewisser Weise zu Gebieten, zu Provinzen desselben Ganzen. 31 Dieses Ganze kann und darf nicht nur ein wirtschaftliches und technisches Unternehmen bleiben. Es braucht eine Seele, das Bewusstsein für seine historischen Gemeinsamkeiten und seine gegenwärtige und zukünftige Verantwortung, es braucht einen politischen Willen im Dienste ein und desselben menschlichen Ideals.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 77-78. INSTITUTIONEN „Es ist letzten Endes weniger erniedrigend, sich zu vorher festgelegten Bedingungen und Modalitäten dem in freier Entscheidung akzeptierten demokratischen Gesetz der Mehrheit zu unterwerfen, das sich auf die wesentlichen Probleme des gemeinsamen Interesses beschränkt, als den vom Stärkeren aufgezwungenen Entscheidungen.“ Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 25. 32 "Europa wird (noch) lange in Schwierigkeiten sein. Es ist im Übrigen ein Irrglaube, anzunehmen, Fortschritt sei ohne Schwierigkeiten zu erreichen" [Was ist zu tun?] "Weitermachen, weitermachen, weitermachen" Quelle: Jean Monnet, „Erinnerungen eines Europäers“ 33 Verantwortlich für die Herausgabe: Pascal FONTAINE Verfasserin: Pascal FONTAINE & Laetitia DESCOIN, Praktikantin OR: FR ------------------------------------------------------------------------------Dienststelle Wissenschaft - Dokumentation - Publikationen EVP-ED-Fraktion im Europäischen Parlament 60, rue Wiertz B-1047 BRÜSSEL 34