Europa im Dienste des Friedens und der Demokratie

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9. Mai 1950
Der Schuman-Plan
Jean Monnet & Robert Schuman
9.Mai 2003
2
I.
Der Schuman-Plan: Eine
historischer Bedeutung
politische
Initiative
von
Europa im Dienste des Friedens und der Demokratie
Als Robert Schuman am 9. Mai 1950 der Bundesrepublik Deutschland und den anderen
interessierten europäischen Staaten vorschlug, eine Gemeinschaft im Dienste des
Friedens zu gründen, vollbrachte er eine historische Tat. Indem er den Gegnern von
gestern die Hand reichte, löschte er nicht nur die vom Krieg her rührenden
Vergeltungsgedanken und die Last der Vergangenheit aus, sondern er setzte gleichzeitig
einen im Zusammenleben der Völker völlig neuen Prozeß in Gang, indem er
geschichtlich gewachsenen Nationen vorschlug, durch eine gemeinsame Ausübung ihrer
Souveränität den Einfluß wiederzuerlangen, den jede einzelne für sich allein nicht mehr
ausüben konnte.
Europa, dessen Aufbau sich seit jenem Ereignis Tag für Tag fortsetzt, war das
herausragende Projekt des 20. Jahrhunderts und ist eine Hoffnung für das 21.
Jahrhundert. Seine Dynamik schöpft es aus dem visionären und mutigen Plan der
Gründerväter, die den Krieg erlebt hatten und von der Absicht beseelt waren, die
Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden zwischen den europäischen Völkern zu
schaffen. Diese Dynamik erneuert sich ständig im Angesicht der Herausforderungen,
denen sich unsere Staaten in einer Welt des raschen und tiefgreifenden Wandels
gegenübersehen.
Konnte irgend jemand dieses außerordentliche Streben nach Demokratie und Freiheit
vorausahnen, das die Mauer zu Fall brachte, das die Völker Mittel- und Osteuropas zu
Herren ihres Schicksals machte und das heute durch die bevorstehenden Erweiterungen
und die damit immer weiter wachsende Einheit des Kontinents dem Ideal des
europäischen Aufbauwerks eine neue Dimension verleiht?
Eine historische Erfolgsgeschichte
Überblickt man 50 Jahre europäischer Einigungsgeschichte, so zeigt sich die
Europäische Union zu Beginn des dritten Jahrtausends als historische Erfolgsgeschichte.
Staaten, die miteinander im Unfrieden lagen, die die schrecklichsten Massaker unseres
Kontinents erlitten, haben heute eine gemeinsame Währung, den Euro, und gemeinsame
Institutionen, die ihre Wirtschafts- und Handelsinteressen verwalten.
Die Europäer regeln ihre Meinungsverschiedenheiten mit friedlichen Mitteln, auf der
Grundlage des Rechts und auf dem Wege des Ausgleichs. Vormachtgefühle und
Diskriminierung wurden aus den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten gestrichen,
die es den Organen der Gemeinschaft, dem Rat, dem Parlament, der Kommission und
dem Gerichtshof, übertragen haben, in Konflikten zu vermitteln, das Gemeinwohl der
Europäer zu definieren und eine gemeinsame Politik zu betreiben.
Der Lebensstandard der Bürger ist beträchtlich gestiegen, und zwar viel stärker, als es
möglich gewesen wäre, wenn die einzelnen Volkswirtschaften nicht von den "economies
3
of scale" und den vom gemeinsamen Markt und vom intensiveren Handelsaustausch
hervorgerufenen Wachstumssteigerungen profitieren könnten.
Die Bürger, die Studenten bewegen sich ungehindert, arbeiten frei in einem Raum ohne
Binnengrenzen. Die Fundamente einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sind
gelegt. Und schon hat man begonnen, die gemeinsame Solidaritätspolitik im sozialen
Bereich, für die Regionen, für die Umwelt, in der Forschung und beim Verkehr zu
intensivieren.
Das gemeinschaftliche Europa gewinnt seine Kraft aus den Werten der Demokratie und
der Menschenrechte, die den Völkern Europas gemeinsam sind; dank des
gemeinschaftlichen Europas konnten aber gleichzeitig die kulturelle und sprachliche
Vielfalt und sein Schatz an Traditionen erhalten werden.
Das gemeinschaftliche Europa ist zu einem Anziehungspunkt geworden, an dem sich alle
Erwartungen benachbarter und fernerer Länder ausrichten, die mit aufmerksamem
Blick auf die Dynamik der Europäischen Union ihre wiedererwachende Demokratie
konsolidieren oder ihre zerstörte Wirtschaft wieder aufbauen wollen.
Ab dem 1. Mai 2004 wird die Union 25 Mitgliedsstaaten umfassen. Bald werden weitere
aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangene oder zur europäischen Einflußsphäre
gehörende Staaten dazustoßen wollen. Zum ersten Mal in seiner langen Geschichte
schickt sich der europäische Kontinent an, in Frieden und Freiheit
zusammenzuwachsen.
Diese Bewegung spielt für das Gleichgewicht in der Welt eine beträchtliche Rolle. Die
Beziehungen Europas mit den Vereinigten Staaten, mit Rußland, mit der asiatischen
Welt und mit Lateinamerika werden verändert aus diesem Prozeß hervorgehen. Europa
ist schon jetzt nicht mehr einfach eine Macht, der es gelungen ist, ihren Platz in der Welt
beizubehalten. Europa ist ein Bezugspunkt und ein Hoffnungsträger für die Völker,
denen am Frieden und an der Einhaltung der Menschenrechte gelegen ist.
Woher kommt dieser Erfolg? Ist er auf Dauer der geschichtlichen Logik dieses
Kontinents eingeprägt, ist er im kollektiven Gedächtnis und im kollektiven Willen der
Völker so verwurzelt, daß auch der kleinste Keim einer kriegerischen
Auseinandersetzung innerhalb Europas ausgelöscht ist?
Die leidvollen Erfahrungen der Vergangenheit und die Konflikte, die heute noch den
Planeten erschüttern, müssen für die Europäer Grund genug sein, den Frieden nicht
einfach als natürlichen, dauerhaften Zustand hinzunehmen, sondern ihm die
entsprechende sorgfältige Pflege angedeihen zu lassen.
Die künftigen Herausforderungen
Nach einem halben Jahrhundert Gemeinschaftsgeschichte stellen sich den Europäern
immer noch grundlegende Fragen: Welches sind die Grundwerte, die ihnen wichtig sind,
und mit welchen Mitteln können sie am wirksamsten geschützt werden? Welcher
Einigungsgrad ist wünschenswert und möglich, bei welchem Einigungsgrad läßt sich die
maximale Kraft aus der Einheit erzielen, ohne die Identitäten zu verändern und die
Eigenheiten, die den Reichtum unserer Nationen, unserer Regionen, unserer Kulturen
ausmachen, zu vernichten? Kann man mit einheitlicher Geschwindigkeit voranschreiten
4
und sich auf die natürliche Harmonie stützen, die den Konsens zwischen 25 Staaten
begünstigt, oder sollte man anerkennen, daß es unterschiedliche Konzepte gibt und es
daher auch unterschiedliche Integrationsgeschwindigkeiten geben muß? Was sind die
Grenzen des gemeinschaftlichen Europas, wenn so viele Nationen am Einigungsprozeß
teilnehmen wollen? Wie kann man jeden einzelnen am Unternehmen Gemeinschaft
teilhaben lassen, in jedem ein Gefühl der Zugehörigkeit zu Europa wecken, das sein
ursprüngliches Zugehörigkeitsgefühl ergänzt und erweitert? Wie kann man den
europäischen Bürger näher an die Institutionen der Europäischen Union heranführen,
wie kann man jedem die Gelegenheit geben, sich das Projekt des vereinigten Europas zu
eigen zu machen, das lange Zeit den Beratungen auf Ministerialebene und dem
sachkundigen Wirken der Beamten vorbehalten schien?
Die Aktualität der Gemeinschaftsmethode
Der Konvent zur Zukunft Europas arbeitet seit 2002 an einem Verfassungsentwurf. Die
Hoffnungen in ihn wachsen im gleichen Maße wie die Ansprüche und die
Herausforderungen, aber das Risiko eines Scheiterns besteht weiterhin.
Europa als schlichte Freihandelszone oder Europa als Akteur auf der Weltbühne? Ein
technokratisches oder ein demokratisches Europa? Ein Europa mit dem Motto "Jeder
für sich" oder ein solidarisches Europa?
Angesichts so vieler kritischer Entscheidungen, so vieler Unsicherheiten erscheint die
Gemeinschaftsmethode, beruhend auf dem Dialog zwischen den Mitgliedstaaten und
den gemeinschaftlichen Institutionen, die gemeinsam die auf sie übertragenen
Souveränitätsrechte wahrnehmen, von offensichtlicher Aktualität. Sie hat vor 50 Jahren
die Schaffung der Europäischen Gemeinschaft ermöglicht.
Die Bedeutung der Grundprinzipien des europäischen Aufbauwerks geht weit über das
rein institutionelle Gefüge hinaus. Der Gemeinschaftsgeist, der von Staatsmännern
geprägt und weitergegeben wurde, denen es vor allem um den Aufbau eines Europas im
Dienste des Menschen ging, verleiht dem Europagedanken die Tragweite eines
Zivilisationsprojekts. Damit stellt die Erklärung von Robert Schuman auch aus heutiger
Sicht ein neues Konzept für Europa dar.
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II.
DER SCHUMAN-PLAN:
DER HISTORISCHE KONTEXT
Den Europäern war nach Einstellung der Kampfhandlungen keine Atempause vergönnt.
Kaum war der Zweite Weltkrieg zu Ende, zeichnete sich schon die Gefahr eines dritten
Weltkriegs zwischen Ost und West ab. Nach dem Scheitern der Moskauer Konferenz
über die deutsche Frage am 24. April 1947 war der Westen davon überzeugt, daß von der
Sowjetunion, mit der man Seite an Seite gegen den Nationalsozialismus gekämpft hatte,
nun eine unmittelbare Gefahr für die westlichen Demokratien ausging. Die Gründung
des Kominform, des Zusammenschlusses der kommunistischen Parteien weltweit, im
Oktober 1947, der "Prager Putsch" vom 25. Februar 1948, mit dem die Kommunisten in
der Tschechoslowakei die Herrschaft übernahmen und die Berliner Blockade im Juni
1948, mit der sich die Teilung Deutschlands ankündigte, verstärkten die Spannung noch.
Durch die Unterzeichnung des Nordatlantik-Vertrags mit den Vereinigten Staaten am 4.
April 1949 legten die Westeuropäer das Fundament für ihre gemeinsame Sicherheit.
Aber die Explosion der ersten sowjetischen Atombombe im September 1949 und die
zunehmenden Drohungen der Machthaber im Kreml trugen dazu bei, ein Klima der
Angst zu verbreiten, das schon damals "Kalter Krieg" genannt wurde.
Der Status der Bundesrepublik Deutschland, die mit dem am 23. Mai 1949 verkündeten
Grundgesetz ihre Innenpolitik selbst in die Hand nahm, wurde damit zum Zankapfel
zwischen Ost und West. Die Vereinigten Staaten wollten den wirtschaftlichen
Wiederaufbau dieses Landes im Herzen des geteilten Kontinents beschleunigen, und
schon wurden in Washington Stimmen laut, die die Wiederbewaffnung des ehemaligen
Kriegsverlierers forderten. Die französische Diplomatie befand sich in einem Dilemma:
Entweder gab sie dem amerikanischen Druck nach und stimmte gegen die öffentliche
Meinung im Lande der Wiederherstellung der deutschen Hoheit über Ruhrgebiet und
Saarland zu, oder sie verharrte entgegen dem Wunsch ihres wichtigsten Verbündeten auf
einer starren Position und führte ihre Beziehungen zu Bonn in eine Sackgasse.
Im Frühjahr 1950 war die Stunde der Wahrheit gekommen. Robert Schuman, dem
französischen Außenminister, war von seinem amerikanischen und britischen Kollegen
ein imperatives Mandat erteilt worden, nämlich einen Vorschlag für die
Wiedereingliederung der Bundesrepublik in das Konzert der Westmächte zu
unterbreiten. Ein Treffen der drei Regierungen war für den 10. Mai 1950 geplant,
Frankreich konnte sich seiner Verantwortung nicht mehr entziehen.
Zu den politischen Widerständen kamen wirtschaftliche Schwierigkeiten hinzu. Wegen
des Stahlerzeugungspotentials mehrerer europäischer Staaten schien eine durch
Überproduktion verursachte Stahlkrise unabwendbar. Die Nachfrage verlangsamte sich,
die Preise fielen, und alles schien darauf hinzudeuten, daß sich die Stahlerzeuger
entsprechend der Tradition der Stahlbarone der Zwischenkriegszeit zu einem Kartell
zusammenschließen würden, um die Konkurrenz zu beschränken. Mitten im
Wiederaufbau konnten es sich die europäischen Volkswirtschaften nicht erlauben, ihre
Grundindustrien der Spekulation oder dem organisierten Mangel auszusetzen.
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Die Vorstellungen Jean Monnets
Um diesen Wust von Schwierigkeiten aufzulösen, dem die traditionelle Diplomatie
machtlos gegenüberstand, wandte sich Robert Schuman an einen genialen Mann, der
der Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt war, der aber im Laufe einer sehr langen
und facettenreichen internationalen Karriere enorme Erfahrung gesammelt hatte. Jean
Monnet, damals Leiter des Amtes für wirtschaftliche Planung, 1945 von Charles de
Gaulle mit der Modernisierung der französischen Wirtschaft beauftragt, war einer der
einflußreichsten Europäer der westlichen Welt.
Jean Monnet und Robert Schuman.
Schon im ersten Weltkrieg hatte er die gemeinsamen Versorgungsstrukturen der
Alliierten organisiert. Er war stellvertretender Generalsekretär des Völkerbundes,
Bankier in den Vereinigten Staaten, in Osteuropa, in China, er war ein geschätzter
Berater von Präsident Roosevelt und Urheber des "Victory Program", das die
militärische Überlegenheit der Vereinigten Staaten über die Achsenmächte sicherte.
Ohne politisches Mandat beriet er die Regierungen, und er hatte sich den Ruf eines
pragmatischen, vor allem um Effizienz bemühten Mannes erworben.
Der französische Minister hatte den Leiter des Planungsamtes in seine Sorgen
eingeweiht: "Was machen wir mit Deutschland?" Das war der beherrschende Gedanke
dieses Lothringers und gläubigen Christen, der von dem Willen beseelt war, alles zu tun,
um zu verhindern, daß es zwischen den beiden Ländern jemals wieder zu einem Krieg
kommen konnte.
Jean Monnet beteiligte sich mit seinem kleinen Team des Planungsamtes in der Rue de
Martignac in Paris an den Überlegungen. Sein Hauptanliegen war die internationale
Politik. Nach seiner Auffassung hatte der Kalte Krieg seine Ursache in der Schwäche und
Teilung Europas, das zum Streitobjekt der Supermächte geworden war. Durch eine
Einigung Europas würde man die Spannungen verringern. Er dachte über eine
internationale Initiative nach, deren wesentliches Ziel die Entspannung und die
Herstellung des Weltfriedens mit Hilfe eines wiederaufgebauten und versöhnten
Europas war.
Jean Monnet hatte die verschiedenen erfolglosen Einigungsbemühungen beobachtet, die
unternommen worden waren, seit der von der europäischen Bewegung 1948 in Den
Haag einberufene Kongreß feierlich zur Einigung des Kontinents aufgerufen hatte.
Die Europäische Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1948 gegründet,
hatte nur Koordinierungsaufgaben und konnte nicht verhindern, daß der wirtschaftliche
Wiederaufbau in den europäischen Ländern im rein nationalen Rahmen erfolgte. Wie
bei der Gründung des Europarats am 5. Mai 1949 deutlich wurde, waren die
Regierungen nicht bereit, ihre Vorrechte beschneiden zu lassen. Die Parlamentarische
Versammlung erhielt eine rein beratende Funktion, und jede ihrer Entschließungen, die
mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden mußten, konnte durch das Veto des
Ministerkomitees blockiert werden.
Jean Monnet war zu der Überzeugung gelangt, daß es illusorisch wäre, mit einem Schlag
ein fertiges institutionelles Gebäude schaffen zu wollen. Dies hätte auf seiten der Staaten
derartige Widerstände hervorgerufen, daß jede Initiative von vornherein zum Scheitern
verurteilt gewesen wäre. Die Köpfe waren noch nicht so weit, daß man zur massiven
Abtretung von Souveränitätsrechten bereit gewesen wäre; dies hätte die - wenige Jahre
nach Kriegsende noch sehr wachen - nationalen Empfindlichkeiten verletzt.
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Um Erfolg zu haben, mußte man die Ziele auf begrenzte, psychologisch wichtige
Bereiche beschränken und einen gemeinsamen Entscheidungsmechanismus einrichten,
an den schrittweise immer neue Zuständigkeiten übertragen werden konnten.
Die Erklärung vom 9. Mai 1950
Jean Monnet und seine engsten Mitarbeiter verfaßten in den letzten Apriltagen des
Jahres 1950 ein wenige Seiten umfassendes Papier, das gleichzeitig die Begründung und
den verfügenden Teil eines Vorschlags enthielt, der alle Modelle der klassischen
Diplomatie auf den Kopf stellen sollte. Nichts lag Jean Monnet ferner, als sich auf die
traditionellen Konsultationen mit den zuständigen Ministerialbehörden einzulassen, er
achtete im Gegenteil auf strengste Diskretion, um den unvermeidlichen Einwänden und
Gegenvorschlägen aus dem Weg zu gehen, die zum einen den revolutionären Charakter
des Vorschlags verwässert, zum anderen den vorteilhaften Überraschungseffekt
verhindert hätten. Als er sein Papier Bernard Clappier, dem persönlichen Referenten von
Robert Schuman, anvertraute, wußte Jean Monnet, daß die Entscheidung des Ministers
den Lauf der Ereignisse verändern konnte. Damit war, als Robert Schuman nach einem
Wochenende im heimatlichen Lothringen seinen Mitarbeitern ankündigte: "Ich habe
diesen Entwurf gelesen, ich werde ihn zu meiner Angelegenheit machen", die Initiative
in den politischen Verantwortungsbereich übergegangen. Zum gleichen Zeitpunkt, als
der französische Minister seinen Vorschlag am Morgen des 9. Mai vor seinen
Ministerkollegen verteidigte, überreichte ein Emissär seines Kabinetts den Vorschlag
dem Bundeskanzler Adenauer in Bonn. Dessen Reaktion war spontan und begeistert. Er
erwiderte sofort, daß er den Vorschlag aus ganzem Herzen unterstütze.
So konnte Robert Schuman mit dieser doppelten Unterstützung von seiten der
französischen und der deutschen Regierung seinen Vorschlag der Öffentlichkeit
vorstellen. Er tat dies auf einer Pressekonferenz um 16 Uhr im Salon de l'Horloge am
Quai d'Orsay. Seiner Mitteilung schickte er einige einleitende Sätze voraus: "Es geht
nicht mehr um leere Worte, sondern um eine mutige Tat, um eine Gründungstat.
Frankreich hat gehandelt, und die Folgen seines Handelns können gewaltig sein. Wir
hoffen, daß sie es sein werden. Frankreich hat in erster Linie im Interesse des Friedens
gehandelt. Damit der Frieden eine echte Chance erhält, muß es zunächst ein Europa
geben. Fast auf den Tag genau fünf Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation
Deutschlands tut Frankreich den ersten entscheidenden Schritt für den Aufbau Europas
und beteiligt Deutschland daran. Die Verhältnisse in Europa müssen sich dadurch
vollständig verändern. Diese Veränderung wird weitere gemeinsame Taten möglich
machen, die bisher undenkbar waren. Daraus wird ein Europa entstehen, ein zuverlässig
vereintes und ein sicher gebautes Europa. Ein Europa, in dem der Lebensstandard
steigen wird dank der Zusammenlegung der Produktionen und der Erweiterung der
Märkte, was zu einem Sinken der Preise führen wird ..."
Der Grundtenor war damit gegeben. Es ging nicht um eine weitere diplomatische
Übereinkunft, zustande gekommen im erbitterten Feilschen der Unterhändler.
Frankreich reichte der Bundesrepublik Deutschland die Hand und schlug eine
Zusammenarbeit auf gleichberechtigter Basis im Rahmen eines neuen Gebildes vor, das
zunächst den Montanbereich der beiden Länder gemeinsam verwalten, aber auch, und
dies ging viel weiter, den Grundstein der europäischen Föderation legen sollte.
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Die Erklärung enthält eine Reihe von Grundsätzen:
- Europa läßt sich nicht mit einem Schlage herstellen, es wird durch konkrete Tatsachen
entstehen. Zunächst muß eine "Solidarität der Tat" geschaffen werden.
- Der jahrhundertealte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland muß
ausgelöscht werden: Der Vorschlag muß vor allem diese beiden Länder erfassen, aber er
ist offen für alle anderen europäischen Nationen, die seine Ziele teilen.
- Es muß in einem "begrenzten, doch entscheidenden" Punkt sofort zur Tat geschritten
werden: die französisch-deutsche Kohle- und Stahlproduktion, die einer gemeinsamen
Hohen Behörde zu unterstellen ist.
- Die Zusammenfassung der wirtschaftlichen Interessen wird zur Hebung des
Lebensstandards und zur Schaffung einer Wirtschaftsgemeinschaft beitragen.
- Die Entscheidungen der Hohen Behörde werden für die teilnehmenden Länder
bindend sein. Sie wird sich aus unabhängigen Persönlichkeiten zusammensetzen, die auf
paritätischer Grundlage ernannt werden. Ihre Entscheidungen sind bindend.
Die Ausarbeitung des EGKS-Vertrags
Um der französischen Initiative, aus der eine französisch-deutsche Initiative geworden
war, möglichst große Erfolgschancen zu sichern, mußte rasch gehandelt werden.
Frankreich berief für den 20. Juni 1950 in Paris eine Regierungskonferenz ein, deren
Vorsitz Jean Monnet übernahm. Die drei Benelux-Staaten und Italien folgten dem
Aufruf und saßen mit am Verhandlungstisch. Jean Monnet stellte klar, in welchem Geist
die bevorstehenden Erörterungen geführt werden sollten: "Wir sind hier, um ein
gemeinsames Werk zu vollbringen, nicht um Vorteile auszuhandeln, sondern um
unseren eigenen Vorteil im gemeinsamen Vorteil zu suchen. Nur wenn wir aus unseren
Diskussionen jedes partikularistische Bestreben heraushalten, wird es uns möglich sein,
eine Lösung zu finden. Wenn wir, die wir hier versammelt sind, in der Lage sein werden,
unsere Methoden zu ändern, wird sich auch der Gefühlszustand aller Europäer
allmählich verändern" (1).
Im Verlauf der Erörterungen nahm die geplante internationale Struktur immer
deutlichere Konturen an. Die Unabhängigkeit und die Befugnisse der Hohen Behörde
wurden nicht in Frage gestellt, da sie den Kernpunkt des Vorschlags bildeten. Auf Antrag
der Niederlande wurde ein Ministerrat als Vertretung der Staaten eingerichtet, der in
bestimmten Fällen seine Zustimmung geben mußte. Eine Parlamentarische
Versammlung und ein Gerichtshof sollten die Struktur vervollständigen, die die
Grundlage des institutionellen Systems der heutigen Gemeinschaften bildet.
Die Unterhändler verloren zu keinem Zeitpunkt die Tatsache aus den Augen, daß sie das
politische Mandat hatten, eine in ihren Zielen und in ihren Methoden völlig neue
Organisation zu schaffen. Es war von ausschlaggebender Bedeutung, daß der im
Entstehen begriffene Organismus nicht durch alle die typischen Mängel der klassischen
zwischenstaatlichen Organisationen geschwächt wurde: das Erfordernis der
Einstimmigkeit, die Abhängigkeit von nationalen Beiträgen, die Unterordnung der
Exekutive unter die Vertreter der Einzelstaaten.
9
Am 18. April 1951 wurde der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft
für Kohle und Stahl mit einer Laufzeit von fünfzig Jahren unterzeichnet. Er wurde von
den sechs Unterzeichnerstaaten ratifiziert, und am 10. August 1952 konnte die Hohe
Behörde unter dem Vorsitz von Jean Monnet in Luxemburg ihre Arbeit aufnehmen.
III. DER SCHUMAN-PLAN, GEBURTSURKUNDE DES
GEMEINSCHAFTLICHEN EUROPAS
"Die Vorschläge Robert Schumans sind entweder revolutionär oder überhaupt nichts.
Ihr Grundprinzip ist die Abtretung von Souveränität in einem begrenzten, aber
entscheidenden Bereich. Ein Plan, der nicht von diesem Prinzip ausgeht, kann keinerlei
nützlichen Beitrag zur Lösung der großen Probleme leisten, die uns schwächen. So
wichtig die Zusammenarbeit zwischen den Nationen auch ist, sie allein löst nichts. Was
wir brauchen ist eine Vereinigung der Interessen der europäischen Völker, und nicht
einfach die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts dieser Interessen."
Jean Monnet, „Erinnerungen eines Europäers“, S. 400
Die innovativen Grundsätze der ersten Europäischen Gemeinschaft
Daß fast ein Jahr nötig war, um den Pariser Vertrag auszuhandeln, lag daran, daß im
Laufe der Verhandlungen eine Reihe von Grundsatzfragen aufgeworfen wurde, für die
Jean Monnet die angemessensten Antworten finden wollte. Es handelte sich nicht, wie
wir schon gesehen haben, um diplomatische Verhandlungen herkömmlicher Art. Die
Vertreter der sechs Regierungen saßen beisammen, um ein völlig neues juristischpolitisches System zu erfinden, das den Anspruch hatte, auf Dauer angelegt zu sein.
Die Präambel des EGKS-Vertrags besteht aus fünf kurzen Absätzen und enthält die
gesamte Philosophie, von der sich die Gründerväter Europas leiten ließen:
- "In der Erwägung, daß der Weltfriede nur durch schöpferische, den drohenden
Gefahren angemessene Anstrengungen gesichert werden kann,
- in der Überzeugung, daß der Beitrag, den ein organisiertes und lebendiges Europa für
die Zivilisation leisten kann, zur Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen unerläßlich
ist,
- in dem Bewußtsein, daß Europa nur durch konkrete Leistungen, die zunächst eine
tatsächliche Verbundenheit schaffen, und durch die Errichtung gemeinsamer
Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung aufgebaut werden kann,
- in dem Bemühen, durch die Ausweitung ihrer Grundproduktionen zur Hebung des
Lebensstandards und zum Fortschritt der Werke des Friedens beizutragen,
- entschlossen, an die Stelle der jahrhundertealten Rivalitäten einen Zusammenschluß
ihrer wesentlichen Interessen zu setzen, durch die Errichtung einer wirtschaftlichen
Gemeinschaft den ersten Grundstein für eine weitere und vertiefte Gemeinschaft unter
10
Völkern zu legen, die lange Zeit durch blutige Auseinandersetzungen entzweit waren,
und die institutionellen Grundlagen zu schaffen, die einem nunmehr allen gemeinsamen
Schicksal die Richtung weisen können..."
"Weltfriede", "konkrete Leistungen", "tatsächliche Verbundenheit", "Zusammenschluß
ihrer wesentlichen Interessen", "nunmehr allen gemeinsames Schicksal": Diese
Schlüsselworte
tragen
sowohl
den
Gemeinschaftsgeist
als
auch
die
Gemeinschaftsmethode in sich und haben ihre mobilisierende Kraft bis heute nicht
verloren.
Auch wenn der EGKS-Vertrag, der die Verwaltung des Kohle- und Stahlmarktes betraf,
heute in seinen Zielsetzungen nicht mehr die gleiche Bedeutung für die europäische
Wirtschaft hat wie in den fünfziger Jahren, so bleiben die institutionellen Grundsätze,
die durch den Vertrag festgelegt wurden, nach wie vor voll aktuell. Durch sie wurde eine
Dynamik ausgelöst, die immer noch ihre Früchte trägt und weiterhin tragen wird und
die eine politische Vision nährt, die aus den Augen zu verlieren man sich hüten muß, will
man den wertvollen gemeinschaftlichen Besitzstand nicht aufs Spiel setzen.
So lassen sich aus dem Schuman-Plan vier Gemeinschaftsprinzipien ableiten, die das
Fundament des heutigen Gemeinschaftsgebäudes darstellen.
Das Gewicht der Institutionen
Die Anwendung der innerhalb von Demokratien geltenden Prinzipien der Gleichheit, des
Kompromisses und des Interessenausgleichs auf die internationalen Beziehungen stellt
einen zivilisatorischen Fortschritt dar. Die Gründerväter teilten die Erfahrung von
Unordnung, Gewalt und Willkür, wie sie der Krieg mit sich bringt. Alle ihre
Bemühungen liefen darauf hinaus, eine Rechtsgemeinschaft zu schaffen, in der das
Recht stärker ist als die Gewalt. Jean Monnet zitierte häufig den Schweizer Philosophen
Amiel: "Jeder Mensch macht seine Erfahrungen immer wieder neu. Dagegen erwerben
Institutionen einen höheren Grad an Vernunft: Sie sammeln die kollektive Erfahrung,
und aufgrund dieser Erfahrung und dieser Vernunft werden die Menschen, die den
gleichen Regeln unterliegen, nicht ihr Wesen, aber nach und nach ihr Verhalten ändern."
Die Beziehungen zwischen den Staaten zu befrieden und zu demokratisieren,
Herrschaftsbestrebungen und Nationalismus zu bannen, das waren die tieferen
Beweggründe, aus denen die erste Gemeinschaft ihre politische Bedeutung schöpfte und
die sie in den Rang einer großen historischen Tat erheben.
Die Unabhängigkeit der Gemeinschaftsorgane
Damit die Institutionen ihre Aufgaben erfüllen können, müssen sie über eigene Autorität
verfügen. Der Hohen Behörde der EGKS wurde - und dies gilt auch für die heutigen
Gemeinschaftsorgane - folgendes garantiert:
-
Die Ernennung der Mitglieder - heute der Kommissionsmitglieder - durch die
Regierungen im gegenseitigen Einvernehmen (2); es handelt sich nicht um
Delegierte der Einzelstaaten, sondern um Persönlichkeiten, die ihre Befugnisse als
Kollegium ausüben und von den Mitgliedstaaten keine Anweisungen
11
entgegennehmen dürfen; der europäische öffentliche Dienst ist einzig und allein
der Gemeinschaft verpflichtet;
-
die finanzielle Unabhängigkeit, die durch die Erhebung von Eigenmitteln
zustande kommt, im Gegensatz zu den internationalen Organisationen, die auf die
Überweisung nationaler Beiträge angewiesen sind, die jederzeit in Frage gestellt
werden können;
-
die Verantwortlichkeit der Hohen Behörde und der heutigen Kommission
ausschließlich gegenüber der Versammlung (heute dem Europäischen Parlament),
die mit qualifizierter Mehrheit einen Mißtrauensantrag annehmen kann.
Die Zusammenarbeit der Organe
Die Unabhängigkeit der Hohen Behörde war für Jean Monnet der Eckstein des neuen
Systems. Er räumte aber im Laufe der Verhandlungen ein, daß die Mitgliedstaaten die
Möglichkeit erhalten müßten, ihre nationalen Interessen geltend zu machen. Dies war
das sicherste Mittel, um zu verhindern, daß die entstehende Gemeinschaft auf allzu
technische Ziele begrenzt bleiben würde. Sie mußte in die Lage versetzt werden, auch in
Bereichen tätig zu werden, wo makroökonomische Beschlüsse zu fassen waren, die in
den Zuständigkeitsbereich der Regierungen fallen. Deshalb wurde neben der Hohen
Behörde ein Rat mit eng begrenzten Funktionen gebildet. Er mußte nicht einstimmig,
sondern konnte mehrheitlich entscheiden. Seine Zustimmung war nur in sehr
begrenzten Fällen notwendig. Die Gesetzesinitiative verblieb ausschließlich bei der
Hohen Behörde; diese - inzwischen auf die heutige Kommission ausgedehnte Prärogative ist wesentlich, da so die Gewähr gegeben ist, daß in einem Vorschlag des
Kollegiums die Gesamtheit der Gemeinschaftsinteressen vertreten wird. Schon von 1951
an wird der Dialog zwischen den vier Organen in Form einer Zusammenarbeit, nicht als
Unterordnung organisiert, wobei jedes Organ seine Funktionen innerhalb eines
vollständigen präföderalen Entscheidungssystems ausübt.
Die Gleichheit der Staaten
Da man sich für den Grundsatz der Vertretung der Staaten im Rat entschieden hatte,
mußte die heikle Frage gelöst werden, welches Gewicht die einzelnen Staaten in diesem
Gremium haben sollten. Die Benelux-Staaten und Italien, die wegen ihres geringen
Anteils an der Montanproduktion befürchteten, in eine Minderheitsposition zu geraten,
plädierten für die Einstimmigkeitsregel. Die Bundesrepublik Deutschland befürwortete
eine Vertretung entsprechend dem Anteil an der Produktion. Und dies machte seinen
Partnern verständlicherweise eher Angst.
Jean Monnet war überzeugt, daß es nur mit dem Grundsatz der Gleichheit der Staaten
möglich sein werde, einen Mentalitätswandel herbeizuführen. Er war sich aber auch
bewußt, wie schwierig es sein würde, sechs ungleich große Staaten dazu zu veranlassen,
auf die Möglichkeiten des Vetorechts zu verzichten. „Das Recht, nein zu sagen, war die
Sicherheit der Großen in ihren Beziehungen untereinander und die der Kleinen in ihren
Beziehungen zu den Großen“ (3). So traf der Vorsitzende der Konferenz am 4. April 1951
in Bonn mit Bundeskanzler Adenauer zusammen, um ihn von den Verzügen des
Gleichheitsgrundsatzes zu überzeugen:
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"Ich bin befugt, ihnen vorzuschlagen, daß in der Gemeinschaft die Beziehungen
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich sowohl im Rat als auch in der
Versammlung und in allen heutigen und künftigen europäischen Institutionen auf dem
Gleichheitsgrundsatz beruhen sollen... Ich möchte persönlich hinzufügen, daß ich von
Anfang an das Angebot einer Union, das der Ursprung dieses Vertrags ist, in diesem
Sinne verstanden habe. Bei unserer ersten Zusammenkunft hatte ich den Eindruck, daß
Sie ebenso denken. Der Geist der Diskriminierung war die Ursache der größten
Unglücksfälle in der Welt, und die Gemeinschaft ist ein Versuch, ihn zurückzudrängen."
Der Bundeskanzler reagierte sofort:
"Sie wissen, wieviel Wert ich auf die Gleichheit der Rechte für mein Land in der Zukunft
lege und wie sehr ich die Herrschaftsunternehmungen verurteile, in die es sich in der
Vergangenheit hat hineinziehen lassen. Ich bin glücklich, Ihrem Vorschlag voll
zustimmen zu können, denn ich kann mir keine Gemeinschaft ohne totale Gleichheit
denken."
Damit war eine rechtliche Grundlage von zugleich moralischer Tragweite gelegt, durch
die der Begriff "Gemeinschaft" erst seine volle Bedeutung erhielt.
Die EGKS, der Grundstein des europäischen Aufbauwerks
Angesichts des noch fehlenden Friedensvertrags zwischen den ehemaligen
Kriegsgegnern stellte die erste europäische Gemeinschaft gleichzeitig einen Akt des
Vertrauens zur Bereitschaft Frankreichs und der Bundesrepublik sowie ihrer Partner
dar, die Fehler der Vergangenheit zu sublimieren, und einen Akt des Glaubens an eine
gemeinsame Zukunft im Geiste des Fortschritts. Den Schwankungen der Geschichte,
dem Aufbäumen nationalistisch gesinnter Gegner zum Trotz kam das 1950 begonnene
Werk nicht mehr zum Stillstand.
_______________
(1)
(2)
(3)
Monnet, Jean, „Erinnerungen eines Europäers“, S. 409, Nomos Verlag Baden-Baden 1988.
Die Europäische Kommission unterliegt außerdem dem Zustimmungsvotum des Europäischen
Parlaments.
Monnet, Jean, „Erinnerungen eines Europäers“, S. 447, Nomos Verlag Baden-Baden 1988
13
IV.
DIE VORSTELLUNGEN JEAN MONNETS UND ROBERT
SCHUMANS
Zitate: Jean Monnet
GLEICHHEIT / NICHTDISKRIMINIERUNG
„Das Übel war im Versailler Vertrag selbst begründet: Er war auf
Diskriminierung aufgebaut. Nun habe ich bereits am ersten Tag, an dem
ich begann, mich mit öffentlichen Angelegenheiten zu beschäftigen,
begriffen, dass Gleichheit zwischen den Völkern wie auch in der Beziehung
zwischen einzelnen Menschen eine absolute Grundforderung darstellte.
Ein Frieden der Ungleichheit konnte zu nichts Gutem führen.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 4, Seite 123, 2. Absatz
„Wenn die Länder Europas sich aufs neue gegenseitig abschließen,
wird erneut die Schaffung großer Armeen notwendig werden. Manche
Länder könnten es durch einen zukünftigen Friedens-vertrag; anderen
würde es untersagt werden. Wir haben mit diesem diskriminierenden
Vorgehen 1919 Erfahrungen gesammelt, und wir kennen die
Konsequenzen. Es würde wieder intereuropäische Allianzen geben: Wir
kennen ihren Wert.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 9, Seite 284, 1. Absatz
„Der Frieden kann nur auf Gleichheit gegründet sein. (...)
Wir haben 1919 die Gelegenheit zum Frieden verpasst, weil wir
Diskriminierung und den Geist der Bevormundung ins Spiel gebracht
haben.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 11, Seite 362, 2 Absatz
„Eine Lösung, die der französischen Industrie die gleiche
Ausgangsbasis wie der deutschen einräumte, während man diese von den
aus der Niederlage entstandenen Diskriminierungen befreite, würde die
ökonomischen und politischen Bedingungen für eine Entente schaffen, die
für Europa unerlässlich war. Darüber hinaus könnte sie sogar das
Ferment zu einer europäischen Einheit werden.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 12, Seite 373, 1. Absatz
14
„Wenn man das Problem der Souveränität ohne Gedanken an
Revanche und Vorherrschaft anging, wenn viel mehr Sieger und Besiegte
übereinkamen, sie gemeinsam über einen Teil ihrer zusammengefassten
Reichtümer auszuüben, welch solides Band würde damit zwischen ihnen
geschaffen, welche Möglichkeiten würden zu neuen eröffnet und welch ein
Beispiel würde den anderen europäischen Völkern geboten!“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 12, Seite 373/374, 2. Absatz
„Der Geist der Diskriminierung ist die Ursache für die größten
Unglücksfälle der Welt gewesen, die Gemeinschaft ist eine Anstrengung,
ihn zu vermeiden.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 14, Seite 448, 1. Absatz
„Es kann nicht alles zur gleichen Zeit geschehen, wir werden uns
dieser Organisation schrittweise annähern. Aber es ist unerläßlich, dass
man beginnt. Es handelt sich nicht darum, politische Pro-bleme zu regeln,
bei denen sich wie in der Vergangenheit Kräfte gegenüberstehen, die nach
Vorherrschaft und Überlegenheit streben. Es handelt sich darum, der
Zivilisation zu einem neuen Fortschritt zu verhelfen und damit zu
beginnen, die Formen der Beziehungen zwischen den Ländern zu ändern
und die Prinzipien der Gleichheit zwischen den Völkern und Ländern
anzuwenden.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 20, Seite 616, 3. Absatz
„Um damit beginnen zu können, Europa fünf Jahre nach dem letzten
Krieg zu einen, war es wichtig, dass die Menschen verstehen, dass es keine
Sieger oder Besiegte mehr gibt, sondern nur gleichberechtigte Partner vor
einem gemeinsamen Gesetz.“
Quelle: „Europe-Amérique: relation de partenaires nécessaires à la paix". Ansprache von Jean Monnet anlässlich der Überreichung des
Freiheitspreises in New York am 23. Januar 1963, Centre de recherches européennes de Lausanne, April 1963
„Der gemeinsame Markt wurde nicht einfach nur geschaffen, um den
Warenverkehr zu verbessern oder eine neue Macht entstehen zu lassen.
Unser wesentliches Ziel war und ist es, ein vereintes Europa zu schaffen
und zwischen den Ländern und ihren Völkern dem Streben nach
Vorherrschaft ein Ende zu setzen, das die Welt wiederholt an den Rand der
Zerstörung geführt hat.“
Quelle: „Europe-Amérique: relation de partenaires nécessaires à la paix“. Ansprache von Jean Monnet anlässlich der Überreichung des
Freiheitspreises in New York am 23. Januar 1963, Centre de recherches européennes de Lausanne, April 1963
15
Frieden
„Es wird keinen Frieden in Europa geben, (...) wenn die Staaten auf
der Basis nationaler Souveränität wiederhergestellt werden, mit all dem,
was eine Politik des Machtstrebens und wirtschaftliche Protektion mit sich
bringt.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 9, Seite 284, 1. Absatz
„Aber Kohle und Stahl waren sowohl der Schlüssel für
wirtschaftliche Macht wie auch für das Arsenal, in dem die Waffen für den
Krieg geschmiedet wurden. Diese doppelte Macht gab ihnen damals eine
gewaltige symbolische Bedeutung, die wir heute vergessen haben,
vergleichbar etwa der, die jetzt die Kernenergie begleitet. Sie über die
Grenzen hinweg zu fusionieren, würde ihnen ihren unheilvollen Nimbus
nehmen und sie – im Gegenteil - zu einem Unterpfand des Friedens
machen.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 12, Seite 374, 2. Absatz
„Der beste Beitrag zu Zivilisation besteht darin, die Menschen in frei
aufgebauten Gemeinschaften zur Entfaltung zu bringen.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 14, Seite 451, 2. Absatz
„Die Gemeinschaft hat sowenig wie irgend ein anderes politisches
System die Macht, Schwierigkeiten zum Verschwinden zu bringen, aber sie
bietet den Rahmen und die Mittel, sie friedlich zu überwinden. Dies ist ein
fundamentaler Wandel gegenüber der Vergangenheit – einer noch sehr
nahen Vergangenheit.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 493, 2. Absatz
„Der Friede hängt heute nicht nur von Verträgen oder
Verpflichtungen ab. Er hängt im Wesentlichen davon ab, ob Bedingungen
geschaffen werden, die zwar nicht das Wesen der Menschen verändern,
jedoch ihr Verhalten untereinander in eine friedliche Richtung lenken. Dies
ist eine der wesentlichen Folgen aus der Umgestaltung Europas, die das
Ziel unserer Gemeinschaft ist. Indem sie ihre Einheit verwirklichen, indem
sie Europa durch die Schaffung neuer und dauerhafter Bedingungen seine
Kraft zurückgeben, tragen die Europäer zum Frieden bei.“
Quelle: Jean Monnet „Repères pour une méthode, propos sur l'Europe à faire“, Fayard 1996, S. 106, Rede, Washington, 30. April 1952
16
-
„Europa schaffen heißt den Frieden schaffen“.
Quelle: Jean Monnet „Repères pour une méthode, propos sur l'Europe à faire“, Fayard 1996, S. 108. Rede, Aachen, 17. Mai 1953
„Die Vereinigten Staaten von Europa sind nicht nur die große
Hoffnung, sondern auch die dringende Notwendigkeit unserer Epoche,
weil sie den Weg vorzeichnen für die Entfaltung jedes unserer Völker und
die Festigung des Friedens.“
Quelle: Jean Monnet „Repères pour une méthode, propos sur l'Europe à faire“, Fayard 1996. S. 108
EIN WERK IM DIENSTE DER MENSCHHEIT
„Wir bilden keine Koalition von Staaten, sondern eine Einheit der
Völker.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988 (F.v.R.)
„Die Länder Europas sind zu klein, um ihren Völkern den Wohlstand
zu sichern, den die Voraussetzungen möglich machen und die folglich
notwendig sind. Dazu braucht man viel größere Märkte. ... Dieser
Wohlstand und die unerläßlichen sozialen Entwicklungen setzen voraus,
dass die Staaten Europas sich zu einer Föderation zusammenschließen
oder zu einer ‚europäischen Entität‘, die eine wirtschaftliche Einheit
entwickelt.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 9, Seite 284, 2. Absatz
„Wir wollen die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland
auf eine gänzlich neue Basis stellen (...) und das, was uns trennt,
insbesondere die Kriegsindustrien, zum gemeinsamen Nutzen wenden, was
auch zum Nutzen Europas wäre. Europa wird dann seine hervorragende
Rolle wiedergewinnen, die es in der Welt gespielt hat und die durch seine
Zwistigkeiten verlorengegangen ist. Seine Einheit richtet sich nicht gegen
seine Vielgestaltigkeit. Im Gegenteil. Diese Vielgestaltigkeit, die sein
Reichtum ist, wird zum Nutzen der Zivilisation beitragen und wird auch
auf die Entwicklung der Mächte – sogar auf Amerika – Einfluß haben. Der
französische Vorschlag ist also in seinem Grundgedanken wesentlich
politisch. Er hat sogar einen gewissermaßen moralischen Aspekt.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 12, Seite 393, 3. Absatz
17
„Menschen, die man in eine neue Lage versetzt oder in ein System
mit anderen Verpflichtungen, sich den neuen Verhältnissen angleichen
und zu anderen Menschen werden. Sie werden besser, wenn der neue
Kontext besser ist: das ist die ganz einfache Geschichte des
zivilisatorischen Fortschritts, und das ist auch die Geschichte der
europäischen Gemeinschaft.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 493, 2. Absatz
„ ... psychologisch beträchtliche Veränderungen, die manche bisher
in gewalttätigen Revolutionen durchzusetzen versuchten, sich sehr
friedlich vollziehen konnten, wenn man das Denken der Menschen auf den
Punkt ausrichtete, in dem ihre Interessen konvergierten. Dieser Punkt ist
immer vorhanden, man muß sich nur bemühen, ihn zu finden.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 496, 2. Absatz
„Unsere Gemeinschaft ist nicht eine Assoziation von Kohle- und
Stahlproduzenten: Sie ist der Beginn Europas. Der Beginn Europas, das
war eine politische, mehr aber noch eine moralische Sicht.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 497, 1/2. Absatz
„Wenn ich daran denke, dass Franzosen, Deutsche, Belgier,
Niederländer, Italiener und Luxemburger gemeinsamen Regeln folgen und
dabei ihr gemeinsames Problem im gleichen Licht sehen werden und sich
deshalb ihr Verhalten gegeneinander fundamental ändert, so sage ich mir,
dass in den Beziehungen zwischen den Ländern und Menschen Europas ein
entscheidender Fortschritt gelungen ist.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 498, 1. Absatz
„Unsere Länder sind zu klein geworden für die gegenwärtige Welt,
gemessen an den modernen technischen Mitteln, gemessen an dem
Amerika und Rußland von heute, dem China und Indien von morgen. Die
Einheit der europäischen Völker in den Vereinigten Staaten von Europa ist
das richtige Mittel, um das Lebensniveau zu heben und den Frieden zu
sichern. Sie ist die große Hoffnung und die Chance unserer Epoche.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 506/507, Absatz 3 und 1.
„Man muß verstehen, dass der Gemeinsame Markt ein nicht nur
wirtschaftliches, sondern auch psychologisches Instrument der
Veränderung ist.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 18, Seite 582, Absatz 2.
18
„ ... was uns in Europa wider aller Erwartung gelungen war, sollte
gleichermaßen überall möglich sein, wo die Menschen noch in Begriffen
der Vorherrschaft denken und ihre Rivalitäten mit Waffengewalt zu lösen
hoffen. Diese Überlegungen überzeugen mich davon, dass die Union der
Europäer nicht nur für sich selbst wichtig war, sondern auch für andere
Völker den Wert eines Beispiels hatte, und dies war ein Grund mehr, sie zu
einem guten Ende zu bringen.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 21, Seite 645, Absatz 2.
„Die größte Gefahr für Europa ist die Verschlechterung der Situation
des Einzelnen, der unfähig ist, für sein tägliches Leben und seine Sicherheit
die Möglichkeiten zu nutzen, die der Fortschritt ihm bietet. Gelingt ihm
dies nicht, so sind es die Bedingungen, unter denen wir leben, die
Bedingungen, unter denen die Länder Europas leben, die ihn daran
hindern.“
Quelle: Jean Monnet „Repères pour une méthode, propos sur l'Europe à faire“, Fayard 1996. S. 82-83
INSTITUTIONEN/SUPRANATIONALITÄT/ALLGEMEINES INTERESSE
„Zu oft schon war ich auf die Grenzen der Kooperation gestoßen. Sie
ist ein Verfahren, das zwar Diskussionen fördert, aber zu keiner
Entscheidung führt. Sie ermöglicht keine Veränderung der Verhältnisse
zwischen den Menschen und zwischen den Ländern unter Bedingungen, in
denen eine Vereinigung nötig ist. Sie ist ein Ausdruck der nationalen
Macht als solcher, sie kann diese Macht nicht verändern, nie eine Einheit
schaffen.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 1, Seite 41/42.
„Die Kooperation zwischen den Nationen wird dazu führen, dass sie
sich besser kennenlernen, und dass die verschiedenen Elemente, aus denen
sie
sich
zusammensetzen,
die
entsprechen-den
Elemente
der
Nachbarnationen durchdringen. Man muß sich also besser kennenlernen,
und dies gilt auch für die Regierungen und die Völker, damit sie dahin
gelangen, die Probleme, die sich ihnen stellen, nicht nur unter dem
Blickwinkel des eigenen Interesses, sondern im Licht des allgemeinen
Interesses zu sehen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der
Egoismus des Menschen und der Nationen seine Ursache oftmals darin hat,
dass das Problem, das sich stellt, nur ungenau bekannt ist, wobei dann
jeder dazu neigt, nur den Aspekt seines unmittelbaren Eigeninteresses zu
sehen.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 4, Seite 105, Absatz 3.
19
„Die Regierungen zu informieren, die Verwaltungen zur
Zusammenarbeit zu bewegen, entspringt einem guten Willen, doch dieser
Wille versagt beim ersten Interessenkonflikt, wenn es kein politisch
unabhängiges Organ gibt, das fähig ist, gemeinsame Ansichten zu fassen
und zur gemeinsamen Entscheidung zu kommen.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 4, Seite 110, Absatz 1.
„Das Veto ist der tiefe Grund und gleichzeitig das Symbol für die
Ohnmacht, nationale Egoismen zu überwinden. Doch es ist nur der
Ausdruck einer tieferen und oft nicht eingestandenen Sperre.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 4, Seite 123, Absatz 2.
„Mehr von einem System zu verlangen, das keinerlei Delegierung
von Souveränität vorsah, wäre eine Illusion gewesen, und sehr rasch
beschränkte sich die OEEC auf ihren technischen Rahmen, der den
Marshallplan überlebte, weil sie zu einem Sammelplatz von für alle
nützlichen Informationen wurde. Ich sah, dass die Organisation zwischen
den Regierungen, die in Muette eingerichtet worden war, noch weniger als
die interparlamentarischen Sitzungen, die aus dem Kongreß von Den Haag
hervorgegangen waren, jemals der Ausdruck europäischer Einheit werden
konnte. In diesen großen Zusammenfassungen von Ländern war das
gemeinsame Interesse zu ungenau umrissen und die gemeinsame Disziplin
zu lasch. Man mußte mit gleichzeitig pragmatischeren und ehrgeizigeren
Verwirklichungen beginnen, man mußte die nationale Souveränität mit
mehr Kühnheit an einer begrenzteren Stelle angehen.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 11, Seite 348/349.
„Ich hatte dies beim Völkerbund gesehen, aber offensichtlich
erinnerte sich niemand mehr an die Vetos, die alle Bemühungen blockiert
hatten, die durch Japan, Italien und Deutschland provozierten Konflikte
friedlich zu lösen. Die UNO leidet an den gleichen Gebrechen und auch der
Europarat. (...) Die internatio-nalen Körperschaften geben sich den
Anschein demokratischer Organisationen, die im hellen Schein des Tages
den Willen der Völker zum Ausdruck bringen: Man sieht nicht, dass ihre
mehrheit-lichen oder sogar einstimmigen Beschlüsse im Dunkeln durch
einen Rat von Repräsentanten annulliert werden, von denen ein einziger
genügt, um alle anderen handlungsunfähig zu machen.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 11, Seite 358/359.
20
„Nichts ist möglich ohne die Menschen, nichts dauerhaft ohne
Institutionen.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 12, Seite 387, Absatz 3.
„Die Schumanschen Vorschläge sind entweder revolutionär oder sie
sind überhaupt nichts. (...) Die Kooperation zwischen den Nationen, so
bedeutend sie auch sein mag, löst nichts. Was es zu suchen gilt, ist eine
Vereinigung der Interessen der europäischen Völker und nicht einfach die
Aufrechterhaltung des Gleichgewichts dieser Interessen.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 12, Seite 400, Absatz 2.
„Wenn diese Institutionen geschaffen sind, hat das Europa, das wir
als Erbe unseren Kindern hinterlassen wollen, begonnen, eine lebendige
Realität zu werden.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 485, Absatz 1.
„Europa würde nach dem gleichen Prozeß entstehen, den jeder
unserer Staaten durchgemacht hat, das heißt, indem man zwischen den
Nationen eine neue Form von Beziehungen einführte, vergleichbar jenen,
die sich unter den Bürgern irgend eines demokratischen Landes
herausgebildet hatten – eine in gemeinsamen Organisationen organisierte
Gleichheit. (...) Die Einheit Europas kann sich nicht nur auf guten Willen
gründen. Dazu sind Regeln notwendig. Die tragischen Ereignisse, die wir
miterlebt haben, die wir noch erleben, haben uns vielleicht ein wenig
weiser gemacht. Aber die Menschen gehen und kommen. Wir können ihnen
nicht unsere persönliche Erfahrung hinterlassen, die mit uns
verschwindet; was wir ihnen hinterlassen können, sind Institutionen. Das
Leben von Institutionen währt länger als das der Menschen, und so können
Institutionen, wenn sie wohl konstruiert sind, die Weisheit
aufeinanderfolgender Generationen sammeln und weitergeben.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 15, Seite 485/486.
„Wenn Europa von Menschen, die nicht die gleiche Vorstellung von
seiner Zukunft hatten, in verschiedene, gegensätzliche Richtungen gezogen
wurde, so erblickte ich darin zwar viel verlorene Zeit und Mühe, aber
nichts, was der Notwendigkeit zur Einigung widersprochen hätte.
Lediglich die Philosophien und die Methoden waren verschieden, und wie
immer hatte die Realität das letzte Wort. Dieses letzte Wort wird wohl, wie
ich glaube, gerade geschrieben, und es ähnelt sehr dem ersten, dem von
1950. Es heißt so: Delegierung der Souveränität und gemeinsame
Ausübung dieser delegierten Souveränität. Ich sehe nicht, was man in den
21
fünfundzwanzig Jahren anderes erfunden hätte, um Europa zu einen, trotz
aller Möglichkeiten, dem Weg eine andere Richtung zu geben."
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 17, Seite 548, Absatz 1.
„Die Suche nach dem gemeinsamen Interesse schließt nicht aus, dass
jeder der Position des anderen Rechnung trägt, aber sie darf sich nicht auf
die Pfade des Feilschens begeben. Wir hielten uns an unsere Methode, die
darin besteht, zuerst zu bestimmen, was für die Gesamtheit der in der
Gemeinschaft vereinigten Länder gut ist, und dann zu ermessen, wieviel
Anstrengung dieser oder jener im einzelnen aufzubringen hat, ohne – wie
in der Vergangenheit – vergeblichen punktuellen Ausgleich zu suchen.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 17, Seite 552, Absatz 1.
„Es gibt einen fundamentalen Unterschied (...) zwischen der
Gemeinschaft, die eine Methode darstellt, um die Völker zu vereinigen, und
der Freihandelszone, die ein kommerzielles Arrangement darstellt. Unsere
Institutionen erfassen das Ganze und schaffen eine gemeinsame Politik;
die Freihandelszone versucht, einzelne Schwierigkeiten zu beheben, ohne
sie in den Rahmen eines gemeinsamen Handelns zu bringen.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 18, Seite 569, Absatz 2.
„Die Menschen davon zu überzeugen, dass sie miteinander reden
müssen, ist das Äußerste, was man für den Frieden tun kann. Aber dazu
braucht es mehrere Bedingungen, die alle gleichermaßen notwendig sind.
Eine besteht darin, dass bei den Gesprächen der Geist der Gleichheit
herrscht und dass keiner mit der Absicht an den Tisch kommt, einen Vorteil
über den anderen erringen zu wollen. Dies setzt voraus, dass man auf die
sogenannten Privilegien der Souveränität verzichtet und auch auf die
schneidende Waffe des Veto. Eine andere Bedingung besteht darin, dass
man von der gleichen Sache spricht; und eine dritte schließlich, dass man
sich bemüht, das Interesse zu finden, das allen gemeinsam ist. Diese
Methode ist den Menschen keineswegs selbstverständlich, die sich treffen,
um über Probleme zu verhandeln, die gerade aus den widersprüchlichen
Interessen der Nationalstaaten entstanden sind. Man muß sie dazu
bewegen, diese zu sehen und anzuwenden. Die Erfahrung hat mich gelehrt,
dass guter Wille nicht ausreicht und dass sich allen eine moralische Kraft
aufdrängt, die Kraft der Regeln, die durch gemeinsame, den Individuen
überlegene und von den Staaten respektierte Institutionen geschaffen
werden. Diese Institutionen sind dazu da, zu vereinen – völlig zu vereinen,
was sich ähnelt, anzunähern, was noch verschieden ist.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 19, Seite 600/601.
22
SOLIDARITÄT
„Auch wo die Notwendigkeit zur Solidarität auf der Hand liegt,
entsteht sie durchaus nicht von selbst. Man muß sie also organisieren. Die
Organisation ist niemals abgeschlossen.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 7, Seite 226, Absatz 2.
VERTRAUEN
„ ... Vertrauensbeziehung - sie ergibt sich ganz natürlich zwischen
Menschen, die das anstehende Problem unter dem gleichen Blickwinkel
sehen. Wenn das Problem sich für alle in gleicher Weise stellt, wenn alle
das gleiche Interesse an seiner Lösung haben, dann verschwinden die
Differenzen, die gegenseitigen Verdächtigungen, und dann stellt sich
häufig auch Freundschaft ein.“
Quelle: Jean Monnet „Erinnerungen eines Europäers" Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 1988, Kapitel 3, Seite 98.
23
Zitate: Robert Schuman
BRÜDERLICHKEIT
„Seit langen Jahren verspüren wir schmerzhaft die ideologische
Demarkationslinie, die Europa in zwei Teile zerschneidet. Sie wurde uns
gewaltsam auferlegt. Möge sie sich in Freiheit auflösen!“ [...]
„Wir betrachten alle, die den Wunsch hegen, sich uns in einer wieder
aufgebauten Gemeinschaft anzuschließen, als integralen Bestandteil des
lebendigen Europas. Wir erweisen ihrem Mut und ihrer Treue ebenso die
Ehre wie ihrer Leidensfähigkeit und ihrer Opferbereitschaft. Wir sind
ihnen das Vorbild eines geeinten und brüderlichen Europas schuldig.“ [...]
„Die Europäische Gemeinschaft muss das Umfeld für ein gegenseitiges
Verständnis schaffen, in der die Besonderheiten jedes Einzelnen
respektiert werden; sie bildet die feste Grundlage für eine ertragreiche und
friedvolle Zusammenarbeit. So lässt sich ein neues, prosperierendes und
unabhängiges Europa aufbauen. Unsere Pflicht ist es, darauf vorbereitet
zu sein.“
Quelle: Robert Schuman, Revue France-Forum Nr. 52, November 1963.
„Ein nachdenkender Europäer kann sich unmöglich noch mit
machiavellischer Böswilligkeit über das Unglück seines Nachbarn freuen;
alle sind auf Gedeih und Verderb in einer Schicksalsgemeinschaft vereint.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l'Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 43.
SOLIDARITÄT
„Als Antwort auf eine tiefe Sehnsucht der Völker haben die
europäische Idee und der Geist gemeinschaftlicher Solidarität über die
Institutionen hinaus Wurzeln geschlagen.
Quelle: Robert Schuman, „Pour l'Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 16-17.
24
„Unsere Grenzen in Europa dürfen immer weniger ein Hindernis für
den Austausch von Ideen, von Personen und von Gütern sein. Das Gefühl
der Solidarität unter den Nationen wird über die Nationalismen siegen,
die von nun an überholt sind.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 23.
„Dieses Europa richtet sich gegen niemanden; es hat keine
aggressiven Absichten und keine egoistischen oder imperialistischen Züge,
weder in seinem Innern noch im Hinblick auf andere Länder. Es bleibt
offen für diejenigen, die ihm beitreten möchten. Seine Daseinsberechtigung
schöpft es aus internationaler Solidarität und Zusammenarbeit, einer
rationalen Weltordnung, zu der es einen wesentlichen Beitrag leisten
muss.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 25.
„Jeder muss von dieser Überzeugung durchdrungen sein, die wir alle
unabhängig von unserem Rang und unserer Macht benötigen.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 26-27.
„Nach zwei Weltkriegen haben wir schließlich erkannt, dass der
beste Garant für die Nation weder in ihrer glänzenden Abgeschiedenheit
noch in ihrer eigenen Stärke liegt, wie groß auch jeweils ihre Macht sein
mag, sondern in der Solidarität unter den Nationen, die vom gleichen Geist
beseelt in gemeinsamem Interesse gemeinsame Aufgaben übernehmen.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 30.
Die Grenzen „behalten ihre Daseinsberechtigung, wenn sie ihre
Aufgabe zukünftig auf einer Art geistigen Ebene weitererfüllen können.
Statt trennender Schranken müssen sie zu Linien der Kontaktaufnahme
werden, über die hinweg ein immer intensiverer materieller und
kultureller Austausch stattfindet. Sie begrenzen bestimmte Aufgaben jedes
einzelnen Landes, die ihm eigenen Zuständigkeiten und Initiativen bei der
Lösung einer Reihe von Problemen, die die Grenzen und selbst die
Kontinente übergreifen und dazu führen, dass alle Länder sich
untereinander solidarisch verhalten.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 34.
„Bevor Europa ein Militär- oder Wirtschaftsbündnis sein kann, muss
es im wahrsten Sinne des Wortes eine kulturelle Gemeinschaft bilden.“
25
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 35.
„Wir werden und wollen unser Vaterland niemals verleugnen und
die Pflichten ihm gegenüber vergessen. Doch über jedem Vaterland
erkennen wir immer deutlicher das Vorhandensein eines gemeinsamen
Gutes, das höher als das nationale Interesse wiegt, jenes gemeinsame Gut,
in dem die einzelnen Interessen unserer Ländern aufgehen und
miteinander verschmelzen.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 38.
„Das Gesetz der Solidarität zwischen den Völkern setzt sich im
heutigen Bewusstsein durch. Wir fühlen uns untereinander solidarisch bei
der Bewahrung des Friedens, der Verteidigung gegen Angriffe, der
Bekämpfung der Armut, der Einhaltung der Verträge, der Wahrung des
Rechts und der Menschenwürde.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 38.
„Wir müssen die Köpfe darauf vorbereiten, europäische Lösungen zu
akzeptieren, indem wir überall nicht nur den Anspruch auf Vorherrschaft
und den Glauben an Überlegenheit bekämpfen, sondern auch die
Engstirnigkeit
des
politischen
Nationalismus,
des
autarken
Protektionismus, und des kulturellen Isolationismus. All diese Tendenzen,
die uns aus der Vergangenheit hinterlassen wurden, müssen durch ein
Gefühl der Solidarität ersetzt werden, das heißt durch die Überzeugung,
dass das wirkliche Interesse jedes Einzelnen darin besteht, in der Praxis
die gegenseitige Abhängigkeit aller zu erkennen und zu akzeptieren.
Egoismus zahlt sich nicht mehr aus.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 47.
„Das sicherste Mittel, uns gegen die Risiken von Krieg und
Unterdrückung zu schützen, ist unser gemeinsamer Zusammenhalt in allen
Dingen,
wirtschaftlich,
politisch
und
militärisch.
Die
enge
Zusammenarbeit, die sich innerhalb der bereits errichteten europäischen
Gemeinschaften etablieren wird, führt dazu, dass wir alles unter dem
Aspekt des gemeinsamen Interesses und der gemeinsamen Verantwortung
betrachten. Wir werden uns daran gewöhnen, die Dinge nicht mehr allein
aus einem rein nationalen Blickwinkel wahrzunehmen. [...] So muss man,
ausgehend vom Nationalen, die Lage als Ganzes sehen, in dem sich
schließlich alles vereint und vervollständigt.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 149.
26
„Eine Rettung der Europäer ist möglich, sofern sie sich angesichts
einer gleichen Gefahr ihrer Solidarität bewusst sind.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 184.
„Eine wirkliche Gemeinschaft setzt wenigstens eine gewisse
Wesensverwandtschaft voraus. Die Länder schließen sich nicht zusammen,
wenn sie untereinander nicht etwas Gemeinsames verspüren. Was allen
gemein sein muss, ist ein Mindestmaß an Vertrauen. Sie brauchen
ebenfalls ein Mindestmaß an übereinstimmenden Interessen. Ansonsten
erreicht man bloß eine Koexistenz, jedoch keine Zusammenarbeit. Ein
gegenseitiges Verständnis und ein enger Zusammenschluss bedeuten nicht,
dass es überhaupt keine Unterschiede mehr geben darf, aber man muss
ebenfalls sicher sein, dass es genügend Bindungen und gemeinsame
Vorstellungen gibt. Der Menschheit zu dienen, ist ebenso eine Pflicht wie
unsere Treue zur Nation.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 196.
„Europa
wird
weder
über
Nacht
erschaffen
noch
als
Gesamtbauwerk. Es entsteht durch konkrete Schritte, die zunächst eine
tatsächliche Solidarität herstellen.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963. Anhang: Erklärung vom 9. Mai 1950.
GLEICHHEIT
„Europa kann schwerlich eine Einflusszone sein, die irgendeiner
politischen, militärischen oder wirtschaftlichen Vormacht zur Ausbeutung
vorbehalten ist, sondern es muss, um real zu existieren, vom Prinzip
gleicher Rechte und Pflichten für alle miteinander verbundenen Länder
bestimmt werden.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 24-25.
„Die europäische Gemeinschaft wird nicht nach dem Vorbild eines
Reiches oder einer Heiligen Allianz entstehen; sie wird sich auf die
demokratische Gleichberechtigung gründen, die sich auf den Bereich der
Beziehungen zwischen den Nationen überträgt.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 47.
27
„Wir können nicht die Augen davor verschließen, dass die Einigung
Europas ein enorm schwieriges Unterfangen ist, das niemals zuvor
versucht wurde. Es erfordert eine diametrale Veränderung der
Beziehungen zwischen europäischen Staaten, insbesondere zwischen
Frankreich und Deutschland. Dieses Unterfangen gehen wir gemeinsam
an, auf absolut paritätischer Grundlage, in gegenseitiger Wertschätzung
und gegenseitigem Vertrauen, nachdem unsere Generation ein Höchstmaß
an Leid und Hass erlebt hat.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 106.
„Es oblag ihm [Frankreich], die Initiative zu ergreifen und
gegenüber seinem Nachbarn den Willen zum Ausdruck zu bringen, ihm zu
vertrauen, und zwar nicht durch eine platonische oder an eine Bedingung
gebundene Erklärung, sondern durch ein konkretes Angebot zur ständigen
Zusammenarbeit, zudem noch in einem Bereich von existenzieller
Bedeutung. Mit anderen Worten: Frankreich bietet an, mit Deutschland
auf gleicher Ebene zu verhandeln.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 106-107.
FRIEDEN
„Zugunsten Europas spricht, dass es imstande ist, effektiv und
unmittelbar auf die Bedürfnisse der Menschheit einzugehen eine Antwort
auf das neue Streben der Völker bietet. Es handelt sich also um ein
Friedensunternehmen.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 25-26.
„Am Krieg und seinen Zerstörungen sowie am befreienden Sieg
waren alle beteiligt. Wenn wir wollen, dass der Frieden dauerhaft über den
Krieg siegt, muss er von allen Völkern gemeinsam ausgestaltet werden,
einschließlich derer, die sich noch vor Kurzem bekämpft haben und Gefahr
laufen, erneut in blutige Auseinandersetzungen zu geraten.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 43-44.
„Ja, wir brauchen etwas anderes als bloße Worte, etwas anderes als
das Brandmarken der Verbrechen, die der Krieg bedeutet, etwas anderes
als das Wachrufen seiner Schrecken und seines Elends.
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Wir müssen dem Krieg seine Daseinsberechtigung entziehen, sogar die
Versuchung beseitigen, ihn zu führen. Niemand, selbst nicht die
skrupelloseste Regierung, darf ein Interesse haben, Krieg zu führen. Ich
gehe noch weiter: Wir wollen ihr die Mittel entziehen, einen Krieg
vorzubereiten und ihn auf eigene Kosten zu riskieren. Die
Rücksichtslosesten werden nunmehr außerstande sein, einen schlimmen
Angriff vorzubereiten.
Statt des früheren Nationalismus, statt der schreckhaften und
misstrauischen Unabhängigkeit bündeln wir nun die Interessen, die
Entscheidungen und das Schicksal dieser neuen Gemeinschaft von vormals
miteinander rivalisierenden Staaten.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 45.
„Solange es Raum für Vergeltung gibt, werden die Kriegsgefahren erneut
heraufbeschworen. Eine Lösung, die zwischen Siegern und Besiegten von
Angesicht zu Angesicht erarbeitet wird, kann vorübergehend
Gebietsansprüche oder einen Prestigekonflikt befrieden. Doch das allein
reicht niemals aus, um einen dauerhaften Frieden zu erreichen.
In der Vergangenheit hat man bisweilen versucht, mit multilateralen
Friedensverträgen die politische Lage in bestimmten Regionen Europas zu
stabilisieren. [...] Dabei kam es immer wieder zu Enttäuschungen, weil
man diesen Pseudo-Einigungen nur einen mehr oder weniger künstlichen
Rechtsstatus gegeben hatte, aber versäumte, sich gemeinsamen Aufgaben
zu stellen und neue Hoffnung zu schöpfen, durch die die Vergangenheit
überwunden werden kann. Diese Feststellung lässt uns dieses Mal nach
einer gemeinsamen Übereinkunft suchen, nach einem Frieden, der nicht
nur die Beseitigung des Krieges bedeutet, sondern den Aufbau der
Zukunft.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 108-109.
„Doch durch diese wirtschaftlichen Perspektiven konnten wir vor
allem die unmittelbaren Vorteile erahnen, die sich im politischen Bereich
ergeben. Ein dauerhafter und kontrollierter Zusammenschluss der Kohleund Stahlindustrie nimmt allen teilnehmenden Ländern de facto die
Möglichkeit, gegen die anderen Beteiligten einen Krieg zu führen oder
vorzubereiten. Denn man führt keinen Krieg, wenn man nicht mehr frei
über die Energie und das Metall verfügen kann, die die Grundlagen solcher
Unternehmungen darstellen.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 164.
„Der Beitrag, den ein organisiertes und lebendiges Europa zur
Zivilisation leisten kann, ist unerlässlich für die Wahrung friedlicher
Beziehungen. [...] Europa ist noch nicht aufgebaut worden, wir hatten
Krieg.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963. Anhang: Erklärung vom 9. Mai 1950.
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„Durch die Vergemeinschaftung von Grunderzeugnissen und die
Einrichtung einer neuen Hohen Behörde, deren Entscheidungen
Frankreich, Deutschland und weitere beitretende Länder miteinander
verbinden werden, bildet dieser Vorschlag die ersten konkreten
Grundlagen für einen europäischen Zusammenschluss, der für die
Wahrung des Friedens unerlässlich ist.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963. Anhang: Erklärung vom 9. Mai 1950.
CHRISTLICHE WERTE
„Hier sind wir nun, unter dem Druck der Erfahrung, nach so vielen
Niederlagen, die das diplomatische Geschick oder die Großzügigkeit
gewisser Männer wie Aristide Briand gegenüber den schrecklichen
Bedrohungen einstecken musste, die die Schwindel erregenden
Fortschritte einer überheblichen Wissenschaft der Menschheit auferlegten.
Hier sind wir nun, zurückgeworfen auf das christliche Gesetz durch eine
edelmütige aber bescheidene Brüderlichkeit. Und durch ein Paradoxon,
das uns überraschen würde, wenn wir nicht – vielleicht unbewusst –
Christen wären: Wir reichen unseren gestrigen Feinden die Hand, nicht
einfach, um zu vergeben, sondern um gemeinsam das Europa von morgen
aufzubauen.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 44.
„Diese neue Politik gründet sich auf Solidarität und wachsendes
Vertrauen.
Sie stellt eine Glaubenshandlung dar, nicht wie diejenige Jean-Jacques
Rousseaus, bei der die menschliche Güte seit zwei Jahrhunderten so
grausam zurückgewiesen wurde, sondern eine Glaubenshandlung im
guten Sinne, bei der die Völker endlich überzeugt sind, dass ihr Wohl in
einer Verständigung und in einer Zusammenarbeit liegt, die untereinander
so fest organisiert ist, dass keine der beteiligten Regierungen sich ihr
entziehen kann.
Auf dass diese Idee von einem versöhnten, geeinten und starken Europa
von nun zum Wahlspruch der jungen Generationen werde, die bestrebt
sind, der endlich von Hass und Angst befreiten Menschheit zu dienen, und
die nach allzu langer Zerrissenheit wieder Zugang zu christlicher
Brüderlichkeit finden.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 45-46.
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„Europa ist die Verwirklichung einer
Demokratie im christlichen Sinne des Wortes.“
allgemein
verbreiteten
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 53.
„Die Demokratie verdankt ihre Existenz dem Christentum. Sie wurde
an jenem Tag geboren, als der Mensch berufen ward, angesichts seines
vergänglichen Lebens die Würde jedes Menschen zu erkennen, in der
Freiheit des Einzelnen, in der Achtung seiner Rechte und durch die gelebte,
brüderliche Liebe zu allen anderen. Niemals vor Christus wurden solche
Gedanken formuliert. Die Demokratie ist folglich von der Lehre her und
ideologisch an das Christentum gebunden. Mit ihm hat sie Gestalt
angenommen, in Schritten, durch lange, tastende Versuche, mitunter um
den Preis von Verfehlungen und der Barbarei.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 56-57.
„Das Christentum lehrt die natürliche Gleichheit aller Menschen,
Kinder desselben Gottes, erlöst durch den einen Christus, ohne Ansehen
von Rasse, Hautfarbe, Klasse, Beruf. Es hat für die Achtung der Arbeit
gesorgt und die Pflicht aller, sich ihr zu unterwerfen. Es hat den Vorrang
der inneren Werte anerkannt, die allein den Menschen adeln. Das
allgemeingültige Gebot der Liebe und der Nächstenliebe hat jeden
Menschen zu unserem Nächsten gemacht. Auf dieses Gebot gründen sich
seither die sozialen Beziehungen in der christlichen Welt.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 57-58.
- „Ich komme mit Bergson zu dem Schluss, dass ‚die Demokratie per
definitionem christlich ist, denn ihr Kern ist die Liebe‘.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 70.
„Die Verwirklichung dieses weit reichenden Programms zur
Umsetzung von Demokratie im christlichen Sinne des Wortes findet seine
Entfaltung im Aufbau Europas.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 77.
„Bereits
die
Gemeinschaft
für
Kohle
und
Stahl,
die
Atomgemeinschaft und der Gemeinsame Markt mit dem freien Waren-,
Kapital- und Personenverkehr sind Institutionen, die die Beziehungen
zwischen den beteiligten Staaten tiefgreifend und entscheidend verändern;
sie werden in gewisser Weise zu Gebieten, zu Provinzen desselben Ganzen.
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Dieses Ganze kann und darf nicht nur ein wirtschaftliches und technisches
Unternehmen bleiben. Es braucht eine Seele, das Bewusstsein für seine
historischen Gemeinsamkeiten und seine gegenwärtige und zukünftige
Verantwortung, es braucht einen politischen Willen im Dienste ein und
desselben menschlichen Ideals.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 77-78.
INSTITUTIONEN
„Es ist letzten Endes weniger erniedrigend, sich zu vorher
festgelegten Bedingungen und Modalitäten dem in freier Entscheidung
akzeptierten demokratischen Gesetz der Mehrheit zu unterwerfen, das sich
auf die wesentlichen Probleme des gemeinsamen Interesses beschränkt, als
den vom Stärkeren aufgezwungenen Entscheidungen.“
Quelle: Robert Schuman, „Pour l’Europe“, Editions Nagel, Paris 1963, S. 25.
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"Europa wird (noch) lange in Schwierigkeiten sein.
Es ist im Übrigen ein Irrglaube, anzunehmen,
Fortschritt sei ohne Schwierigkeiten zu erreichen"
[Was ist zu tun?]
"Weitermachen, weitermachen, weitermachen"
Quelle: Jean Monnet, „Erinnerungen eines Europäers“
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Verantwortlich für die Herausgabe: Pascal FONTAINE
Verfasserin: Pascal FONTAINE & Laetitia DESCOIN, Praktikantin
OR: FR
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