VomWunder des Lesens berührt

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Kultur
Nummer 26
Dienstag, 2. Februar 2016
Vom Wunder des Lesens berührt
Seine Faszination für den
großen deutschen Schriftsteller Jean Paul hat ihn dazu
gebracht, ein Museum zu
Ehren des Dichters zu
eröffnen und sein Leben
voller Hingabe und
Leidenschaft dem Schriftsteller
zu widmen. Nun ist der
Joditzer Museumsgründer
Eberhard Schmidt überraschend gestorben.
wie selber aus einem Jean-Paul-Roman entsprungen. Dort wimmelt es
ja auch nur so vor eigenwilligen Käuzen, Sammlern und Archivaren, Privatgelehrten mit abseitigen Interessensgebieten.
Die haben allerdings oft etwas Eigenbrötlerisches, ja Einsiedlerisches
an sich. Das war Eberhard Schmidt
ganz und gar nicht, sondern vielmehr ein äußerst kontaktfreudiger
Netzwerker, dem es vor allem um eines ging: die Gemeinde der JeanPaulianer erstens zu vergrößern und
zweitens sie untereinander bekannt
zu machen. Und dazu war ihm jedes
Mittel recht. So zum Beispiel auch
die Idee des Jean-Paul-Wanderweges,
die er und seine Frau Karin im Grunde als erste hatten und die auch die
erste Etappe realisierten, nämlich
von Joditz nach Hof, eine Strecke, die
Jean Paul als Kind oft selbst ging.
Von Bernhard Setzwein
Joditz. Begonnen hat alles damit,
dass Eberhard Schmidt einen Spruch
brauchte, ein schönes Zitat, einen
Slogan. Er wollte damit seine Drucksachen schmücken, Werbeanzeigen,
Rechnungen, Briefbögen, alles was
man halt so braucht, wenn man eine
Buchhandlung eröffnet. Und da dies
in der Jean-Paul-Stadt Hof geschah,
im Jahre 1980 war das, sollte es natürlich ein Zitat des großen Dichters
und Sohnes der Stadt sein.
Pilgerort Joditz
Begeistert von Anfang an
Da habe er angefangen, Jean Paul zu
lesen, hat Eberhard Schmidt später
immer wieder erzählt. Und nicht
mehr aufhören können. Er ist der
Sprachgewalt dieses wunderlichen
Autors vollkommen erlegen. So sehr,
dass er schließlich ganze Absätze
auswendig aufsagen konnte. Eine beträchtliche Leistung, wie jeder beurteilen kann, der schon mal versucht
hat, sich in den ungeheuren Bandwurmsätzen Jean Pauls zurechtzufinden. Zeuge dieser bemerkenswerten
Belesenheit konnte jeder werden, der
das Ehepaar Schmidt einmal in Joditz (Landkreis Hof) besucht hat.
Das mit der Buchhandlung in Hof
war nämlich nur eine Zwischenstation auf dem Lebensweg von Eberhard
Schmidt, der letzten Endes dahin
führen sollte, der einzig legitime
Statthalter des vor 191 Jahren verstorbenen Dichters auf dieser oberfränkischen Erde zu werden. Er gab
die Buchhandlung auf, als er erfuhr,
dass ausgerechnet in Joditz ein Haus
zum Verkauf stünde, das noch dazu
auf dem Grund des ehemaligen
Pfarrgartens steht. Diese Nachricht
hat Schmidt deshalb so elektrisiert,
Eberhard Schmidt war zeit seines Lebens großer Anhänger und Verehrer Jean Pauls.
weil sich ihm damit die Chance bot,
den Wirkungsorten jenes Menschen
noch näher zu sein, der längst zum
Mittelpunkt seiner, mit bedingungsloser Leidenschaft betriebenen, Sammel- und Forschertätigkeit geworden
war. Jean Paul verbrachte schließlich
elf Jahre seiner Kindheit in Joditz, die
„glücklichste Zeit“ seines Lebens, wie
er selber schreibt.
1765 trat Jean Pauls Vater die Pastorenstelle in Joditz an. Man wohnte
im Pfarrhof gleich neben der Kirche,
schräg gegenüber lag der Pfarrgarten.
In dem wurde später das sogenannte
Weberhäuschen hineingebaut, in das
1998 das private, vom Ehepaar
Schmidt gegründete „Joditzer JeanPaul-Museum“ einzog. „So voll, wie
die Pfarrkirche damals bei der Museums-Einweihung war, war sie vielleicht noch nie“, erzählte Eberhard
Schmidt immer wieder stolz, und er
London. (dpa) Die Mitglieder der
britischen Rockband Status Quo
wollen ihre E-Gitarren am Jahresende an den Nagel hängen. „Es
wird immer schwerer für uns,
Rick Parfitt (links) und Francis
Rossi von Status Quo. Bild: dpa
große Shows zu geben. Vor 30 Jahren haben wir das letzte Mal gesagt, dass wir aufhören – dieses
Mal ist es eine endgültige Entscheidung“, betonte Gründungsmitglied Francis Rossi (66). Die
Band plant eine Europa-Tour im
Herbst – dies werde die letzte
Tournee mit den markanten
E-Gitarren sein. „Wir werden
auch in den Jahren danach von
uns hören lassen, aber nie mehr
mit dem elektronischen Set unterwegs sein“, so Rossi.
Führung voller Hingabe
Seitdem sind nicht nur Journalisten
aller großen deutschen Zeitungen
hier gewesen, es kamen auch Hunderte von Besucher, ganze Schulklassen, aber auch immer wieder Nobilitäten, wie etwa der Jean-Paul-Preisträger Uwe Dick, der in der Pfarrkirche eine Lesung hielt. Dort, in der Johanneskirche, begann auch die Führung, die Eberhard Schmidt jedes
Mal wieder, wenn sich jemand bei
ihm anmeldete, voller Hingabe und
Leidenschaft gestaltete. Dann zitierte
er auswendig ganze Passagen aus
Jean Pauls „Selberlebensbeschrei-
bung“, nämlich wie der als Bub oben
von der Orgelempore herab nicht etwa der Predigt des Vaters folgte, sondern lieber „seine erste Geliebte, die
blatternnarbige Augusta“, das Nachbarsmädchen, beobachtete. Zu allem
wusste er kleine Anekdoten und Geschichten, so etwa zu der Christusfigur auf dem Schalldeckel der Predigerkanzel. Die hat nämlich ein komplett entblößtes Hinterteil, was man
aber nur vom Altar aus sieht.
Ein Freund von genau solchen
Skurrilitäten war ja auch Jean Paul.
Und deshalb hatte man wohl auch
den Eindruck, niemand kann die
Welt, die Lebenssicht, die Art von
Poesie, die diesen Sonderling aus der
fränkischen Provinz ausmachte, besser vermitteln und erklären als Eberhard Schmidt. Ja, er kam einem
manchmal vor, mit seiner Nickelbrille und seinen farbenfrohen Hosen,
Vergangene Woche ist Eberhard
Schmidt nun überraschend verstorben, mit 71 Jahren. Der Wahlspruch
von Jean Paul übrigens, den er damals für seine Buchhandlung gewählt hat, lautete: „Lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den
Stuben über Sterne.“ Eberhard
Schmidt jedenfalls hat seine JeanPaul-Lektüre sternenweit geführt
und ihm ferne, neue Welten eröffnet.
Dass dieses Wunder des Lesens möglich ist, dafür war sein Leben ein
leuchtendes Beispiel.
Weitere Informationen:
www.jean-paul-museum.de
Hitzewellen unter dem Eis
Kulturnotizen
Status Quo hängen
E-Gitarren an Nagel
hatte ja auch recht: In der gesamten
Geschichte des 350-Seelen-Dorfes
dürfte es kam ein zweites Ereignis gegeben haben, das Joditz so in den
Mittelpunkt gestellt hat, wie die Eröffnung des Jean-Paul-Museums.
Bild: Setzwein
Heute säumen den Weg alle zwei,
drei Kilometer Tafeln mit Zitaten aus
Jean-Paul-Werken. Seinen Endpunkt
hat der Wanderweg mittlerweile hinter Bayreuth, in Sanspareil. Das Jahr
2013 mit seinem Mammutprogramm
zum 250. Geburtstag des Dichters
hatte Joditz noch einmal zum Pilgerort aller Jean-Paul-Liebhaber gemacht. Nirgendwo anders kommt
man ihm auch dermaßen nahe, als in
dem kleinen Dorf nördlich der A 72
bei Hof. Das hat Eberhard Schmidt
sichtlich angestrengt. Man merkte
ihm eine gewisse Überforderung an.
Die vielleicht noch lastender wurde
wegen der bangen Gedanken, die er
sich machte, wie es wohl mit seinem
Museum einmal weitergehen würde.
Mitreißende Uraufführung von Miroslav Srnkas Expeditionsoper „South Pole“ an der Münchener Staatsoper
Von Michaela Schabel
München. Schneeweiß ist die einzige
Farbe, auf die die Bühne reduziert ist,
im Schnittpunkt der Flächensektoren
ein schwarzes Kreuz für den Südpol.
Welches Expeditionsteam wird ihn
zuerst erreichen? Das Team von Scott
oder Amundsen oder keines? Natürlich sind die Fakten bekannt und
durch die Optik sofort verortbar.
Scott und die Seinen in schwarzer,
glatter
Montur
fortschrittlich,
Amundsens Mannschaft signalisiert
in weiß-schwarz getigerten Fell-Anzügen adäquate Vorbereitung und
animalische Kraft. Scott muss mit
seinen Ponys und seiner technischen
Ausstattung scheitern. Der Motorschlitten gibt schnell den Geist auf.
Auch wenn Scott die Hunde schlachten muss, Amundsen führt mit dem
Instinkt des Siegers.
Kampf mit den Dämonen
Dank Miroslav Srnkas vielschichtiger
Musik, Tom Holloways doppelbödigen Librettos und Hans Neuenfels’
exzellenter Inszenierung wird „South
Pole“ zur Parabel unterschiedlicher
Erfolgsphilosophien, zur Metapher
im Kampf mit den inneren Dämonen, nicht zuletzt zum Traum-Labor
der Liebe. Der Ehrgeiz, den letzten
weißen Fleck der Erde zu erobern,
enthüllt sich als Surrogat misslungener Liebesbeziehungen.
In halluzinogenen Traumata erscheinen Kathleen Scott, von Tara Er-
raught mit großbürgerlicher Aura
souverän interpretiert, und die verlassene Geliebte Amundsens, von
Mocja Erdmanns verloren im Weißen
als unschuldiges Mädchen dargestellt. Tara Erraughts sattes, warmes
Timbre überstrahlt von den flirrenden Höhen Mocja Erdmanns, zart
wie Sonnenlicht, beide entfachen im
Eis die Hitze der Leidenschaft, im
Quartett eine telepathisch anmutende Harmonie.
Die beiden Erzählstränge werden
synchron auf der Bühne gespielt, raffiniert ausgeleuchtet, im zeitlichen
Wettlauf extrem spannend und fiktiv
verändert. Amundsen verfehlt den
Rolando Villazón (links)
als Robert Falcon Scott
und Thomas Hampson
als Roald Amundsen sind
die Gegenspieler bei der
Oper „South Pole“. Die
Premiere am Sonntag
begeisterte das Publikum.
Bild: dpa
Südpol um wenige Grade, Scott markiert ihn perfekt. „Ihm gehört der
Südpol“, ehrt Amundsen am Schluss,
von den Erfahrungen der Expedition
geläutert, das Gedenken an den toten Scott. Mit Thomas Hampson gewinnt Amundsen auch gesanglich
Oberwasser.
Großes Potenzial
Sein voluminöser Tenor beherrscht
sein Team in jeder Beziehung. Er ist
diktatorischer Macher, zielorientiert,
krankhaft ehrgeizig. Rolando Villazón
kristallisiert den Teamplayer in Scott
heraus, mitfühlend, zunächst ohne
stimmliche Markanz, die sich lang-
sam steigert, wobei die Mikrofonverstärkung im Gegensatz zu Hampson
wahrnehmbar wird. Unter dem sensiblen Dirigat von Kirill Petrenko
kommt Miroslav Srnkas Partitur als
rhythmisch expressiver Puls der Expedition subtil zum Ausdruck.
Eis, Sturm, Kampf, Ehrgeiz, Zuversicht und Verzweiflung werden simultan in komplexen Überlagerungen in immer neuen Klangfarben
hörbar. Töne klirren, surren, poetisieren, dissonieren, türmen sich zu
monumentalen Klangbergen, vereisen und verklingen. „South Pole“ hätte das Potenzial, das Repertoire anderer Opernhäuser aufzubrechen.
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