Michael Berg

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Michael Berg:
Die lange Fahrt der „Liemba“.
Die unglaubliche Geschichte eines Schiffes vom Tanganjika-See.
1: Geschichte.
1.1: Deutsche Kolonialzeit.
Die Geschichte des Dampfschiffes (DS) „Goetzen“ beginnt in den letzten Jahren der
deutschen Herrschaft über Deutsch-Ostafrika. Diese größte und bevölkerungsreichste Kolonie
des deutschen Kaiserreiches bestand aus den heutigen Ländern Tansania (ohne Sansibar),
Ruanda und Burundi. Eines der Ziele der Kolonialverwaltung bestand im Aufbau einer
modernen Verkehrsinfrastruktur, welche zum einen die wirtschaftliche Entwicklung fördern,
zum anderen aber auch die politische Kontrolle der Kolonialmacht stabilisieren sollte. Um
dies zu erreichen, entstand unter anderem eine Eisenbahnverbindung von Dar es Salaam über
Dodama und Tabora nach Kigoma am Tanganjika-See. Diese Linie, die zwischen 1905 und
1914 durch die Deutsch-Ostafrikanischen Eisenbahn-Gesellschaft (DOAEG) unter der
Bezeichnung „Mittellandbahn“ erreichtet wurde, existiert noch heute unter dem Namen
„Central-Line“.
Erste Überlegungen zum Bau eines größeren Dampfschiffes auf dem Tanganjika-See gab es
allerdings bereits im Juni 1910, als die Kolonialverwaltung sich bei der Eisenbahnverwaltung
in Tabora über die Ausmaße britischer Dampfer auf dem Viktoria-See erkundigte und um
nähere Informationen über sinnvolle Größen entsprechender Einheiten auf dem TanganjikaSee bat. Zu diesem Zeitpunkt stellte man sich vor, für einen regelmäßigen Schiffsdienst auf
dem Tanganjika-See drei Einheiten zu bauen. Als ersten Schritt hierzu galt es, die Kosten für
ein in Deutschland zu bauendes Schiff einschließlich seines Transports nach Dar es Salaam zu
ermitteln. Das Schiff sollte über eine Verdrängung von etwa 1.000 Tonnen und über einen
Tiefgang von etwa vier Metern verfügen. Mit diesen Dimensionen konnte das Schiff an den
meisten Stellen am See in einer Entfernung von etwa 400 bis 500 Metern vom Land entfernt
ankern. Die Kosten für ein entsprechendes Schiff wurden auf 400.000 bis 500.000 Goldmark
geschätzt.
Weitere Korrespondenz befaßte sich im März 1911 ausführlich mit der Frage, ob das Schiff
Dieselmotoren oder einen holz- oder kohlegefeuerten Dampfantrieb erhalten sollte. Hierbei
wurde zunächst der Dieselantrieb als zukunftsweisende Technologie bevorzugt, speziell vor
dem Hintergrund vielversprechender Versuche der Treibstoffgewinnung aus verschiedenen in
der Kolonie vorhandenen Pflanzen bzw. deren Früchten, wie z. B. der Palme oder der
Erdnußpflanze.
Zwar standen diese Pflanzen für eine Nutzung zur Treibstoffgewinnung in größerem Umfang
zur Verfügung, jedoch stellte sich der Aufbau der Anlagen für eine örtliche Ölproduktion als
zu aufwendig heraus.
Im März 1914 wurde noch ein Vorschlag gemacht wurde, das DS „Goetzen“, aber auch die
Dampflokomotiven mit Kohle aus Lukuga aus Belgisch-Kongo zu beliefern. Die hierfür
benötigte Kohle sollte mit zwei Leichtern von 200 Tonnen, die durch das Dampfboot
„Hedwig von Wissmann“ gezogen werden sollten, von Albertville quer über den See nach
1
Kigoma geschleppt werden. Die Idee gelangte jedoch nicht zur Ausführung, und so blieb es
letztendlich bei dem schon früher vorgesehenen holzgefeuerten Dampfantrieb.
Nachdem sich im Jahre 1912 ein Ende der Bauarbeiten an der Mittellandbahn abzeichnete,
bestellte die DOAEG bei der Werft Joseph L. Mayer in Papenburg an der Ems bis spätestens
Januar 1913 ein Passagier- und Frachtschiff mit Doppelschraubenantrieb für den Dienst auf
dem Tanganjika-See.
Laut einer Bescheinigung des Germanischen Lloyd vom 14. April 1913 sollte das Schiff 67
Meter lang und 10 Meter breit sein, sowie über eine Verdrängung von 1.150 Tonnen
verfügen. Sein Rumpf sollte über der Wasserlinie 3,4 Meter hoch sein und über einen
Tiefgang von 3,2 Metern verfügen, dies jeweils bei einer Beladung mit 480 Tonnen Ladung,
60 Tonnen Kohle und 10 Tonnen Wasser. Seine zwei Dreifach-Expansions-Dampfmaschinen
sollten eine Leistung von zusammen 500 PS erbringen und die über einen Durchmesser von
zwei Metern verfügenden Schrauben sollten dem Schiff bei 155 U/min und in ruhigem
Wasser zu einer Geschwindigkeit von 9.5 Knoten verhelfen. Bei Testfahrten im Juni 1915
wurden allerdings nur 7 Knoten erreicht; die erzielte Höchstgeschwindigkeit lag bei 9 Knoten.
Das Schiff sollte 406.000 Goldmark kosten und in fünf Raten zwischen der
Auftragsbestätigung und der Ablieferung im Hamburg bezahlt werden. Letztere war für Ende
1913 vorgesehen. Mit seinem Namen „Graf von Götzen“ sollte es an den ehemaligen
Gouverneur der Kolonie erinnern.
Am 20. September 1913 sprach sich der Direktor der DOAEG gegenüber dem
Reichskolonialamt dafür aus, noch ein zweites Schiff in denselben Abmessungen und bei
demselben Hersteller zu ordern. Aufgrund gefallener Preise sowie bereits bestehender Pläne
waren die Kosten für diese Einheit um 16.560 Goldmark geringer. Die Genehmigung hierfür
erfolgte am 20. Oktober und das Schiff, welches in Erinnerung an den von 1906 bis 1912
regierenden Gouverneur Deutsch-Ostafrikas den Namen „Freiherr von Rechenberg“ erhalten
sollte, wurde bestellt. Aufgrund des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges konnte es jedoch nicht
mehr abgeliefert werden. Diese in Papenburg bereits zur Hälfte vorfabrizierte Einheit wurde
nachträglich zu einem Frachtschiff umgebaut und nach dem Ende des Ersten Weltkrieges
andernorts in Dienst gestellt.
Am 7. November 1913 wurden auf Anordnung des Reichskolonialamtes die Namen der
beiden geplanten Schiffe „Graf von Götzen“ und „Freiherr von Rechenberg“ in „Goetzen“
und „Rechenberg“ geändert.
__________
Exkurs I:
Gustav Adolf Graf von Götzen.
Gustav Adolf Graf von Götzen (geboren am 12. Mai 1866 auf Schloß Scharfeneck in der
Grafschaft Glatz in Schlesien; gestorben am 2. Dezember 1910 in Hamburg) war ein
deutscher Ostafrikaforscher und Gouverneur von Deutsch-Ostafrika.
Studium, Militär und diplomatische Laufbahn.
Götzen studierte von 1884 bis 1887 in Paris, Berlin und Kiel Rechts- und
Staatswissenschaften. 1885 trat er in das 2. Garde-Ulanenregiment ein und wurde 1887 zum
Offizier ernannt. Von 1890 bis 1891 war er Militärattaché an der Deutschen Botschaft in Rom
2
und unternahm von dort aus einen Jagdausflug zum Kilimandscharo, dem eine Reihe berühmt
gewordener Reisen nach Afrika und Kleinasien folgten.
Die erste Reise nach Kleinasien unternahm Götzen, der als Offizier zur Kriegsakademie
kommandiert worden war, 1892 mit Major Walther von Diest.
Die Expedition von 1893/94.
Nachdem 1885 Carl Peters mit der Inbesitznahme des Gebietes der tanganjikanischen Küste
für Deutschland begonnen hatte, stellte sich die Aufgabe, auch das Hinterland bis zum
Kongo-Territorium zu erkunden. Hierfür organisierte Götzen 1894 eine Expedition, die in das
Gebiet des heutigen Ruanda führte, das er als erster Deutscher betrat; auf dieser Reise
entdeckte er auch den Kiwusee. Mit der Absicht, Zentralafrika zu erforschen, brach Götzen
mit Georg von Prittwitz und Gaffron sowie dem Arzt Dr. Hermann Kersting am 21.
Dezember 1893 von Pangani an der deutsch-ostafrikanischen Küste auf und marschierte durch
die Gebiete der Massai, Nord-Uniamwesi und Usuwi.
Am 2. Mai 1894 überschritten die Expeditionsteilnehmer den Kagera und gingen nach
Ruanda hinein, das bis dahin nur von Oscar Baumann 1892 am Ostrand berührt worden war.
Sie bestiegen eines der höchsten Gipfel der Kirungaberge, den Msumbiro und den noch
tätigen Vulkan Kirunga-tscha-gongo. Am 29. Juni entschloß sich Götzen, westlich durch den
Urwald von Uregga vorzudringen. Nach großen Strapazen erreichten sie am 21. September
den Kongo bei Kirundu und am 29. November Matadi nahe der Mündung des großen Stroms
in den Atlantik.
Beamter.
Im Januar 1895 kehrte Götzen nach Deutschland zurück und war von 1896 bis 1898 als
Militärattaché in Washington. Nach seiner Rückkehr zum Berliner Generalstab der Armee
wurde er 1900 zum Hauptmann befördert.
Gouverneur Deutsch-Ostafrikas.
Aufgrund seiner Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten wurde Götzen nach einer Beförderung
zum Major im März 1901 zum Gouverneur Deutsch-Ostafrikas ernannt. Nachdem es schon
Ende der 1880er Jahre Aufstände der einheimischen Bevölkerung gegen die Kolonialmacht
gegeben hatte, mußte sich Götzen 1905 mit dem Ausbruch des Maji-Maji-Aufstandes
auseinandersetzen, der bald etwa die Hälfte der Kolonie erfaßte und somit kaum hinter dem
Hererokrieg in Deutsch-Südwestafrika zurückstand, wenngleich er in der Öffentlichkeit
weniger wahrgenommen wurde. Von Götzen sah sich gezwungen, Verstärkung aus
Deutschland anzufordern, mit deren Hilfe er den Aufstand niederschlug. Schätzungen der
Todesopfer der dem Aufstand folgenden Hungersnot liegen auf Seiten der Aufständischen je
nach Quelle zwischen 75.000 und 300.000, während die Schutztruppe unter Götzen offiziellen
Angaben zufolge 15 Europäer und 389 afrikanische Soldaten verlor.
Rückkehr nach Deutschland.
Im Jahre 1906 gab von Götzen den Gouverneursposten aufgrund seiner angegriffenen
Gesundheit an Freiherr von Rechenberg ab und kehrte nach Deutschland zurück. Er arbeitete
weiterhin an der deutschen Kolonialpolitik mit, insbesondere als Mitglied der Deutschen
Kolonialgesellschaft. 1908 wurde er preußischer Gesandter in Hamburg.
__________
Um die damalige Situation nachvollziehen zu können, muß man sich vergegenwärtigen, daß
sich die europäischen Kolonialmächte damals in der sogenannten Phase der
Hochkolonialisierung befanden. Es galt sowohl als Frage nationalen Prestiges als auch einer
wirtschaftlichen Notwendigkeit, über möglichst viele Kolonien zu verfügen und entsprechend
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verbreitet war das Konkurrenzdenken unter ihnen. Dem Tanganjika-See kam hierbei eine
besondere Bedeutung zu, markierte er doch über eine lange Strecke die Grenze zwischen den
Kolonien Deutsch-Ostafrika und Belgisch-Kongo. Aufgrund entgegengesetzter Interessen
befanden sich die Beziehungen dieser beiden Kolonialmächte in einem kritischen Zustand.
Und dann gab es auch am Südende des Sees auch noch die Briten in ihrer Kolonie
Nordrhodesien…
Der Wettlauf zwischen den Kolonialmächten steigerte sich mehr und mehr. Im Jahre 1913
gelangte man auf Initiative Kaiser Wilhelms II. zu der Entscheidung, ein mächtiges
Dampfschiff auf dem Tanganjika-See in Dienst zu stellen, auch, um auf diese Weise deutsche
Macht und Überlegenheit zu demonstrieren.
Die Teile des Schiffes wurden bei der Meyer-Werft in Papenburg gefertigt und erfolgreich
vormontiert. Dies geschah unter der Anleitung und Überwachung des Germanischen Lloyd
für die Klasse „100 A 4 Tanganjikasee“. Bei dieser ersten Vormontage wurden die
Schiffsteile jedoch nicht zusammengenietet, sondern lediglich lose zusammengeschraubt. Auf
der Helling wurde die Konstruktion des provisorisch zusammengefügten Schiffes geprüft,
wobei sogar die Dampfkessel befeuert und die Dampfmaschine einem Testlauf unterzogen
wurden. Für diese Vorarbeiten benötigte man zehn Monate, von Februar bis November 1913.
Danach wurde das Schiff unter der Aufsicht eines Chefingenieurs der Werft wieder in seine
Einzelteile zerlegt, in 5.000 wasserdichte Kisten verpackt und per Bahn von Papenburg zum
Hamburger Hafen transportiert.
Dort wurde die wertvolle Fracht auf die drei Überseedampfer „Admiral“, „Feldmarschall“,
„Windhoek“, und „Adolf Woermann“ verladen. Die beiden erstgenannten Einheiten liefen am
19. Dezember 1913, die „Windhoek“ am 12. Januar 1914 und die „Adolf Woermann“ am 27.
Januar 1914 via Mittelmeer und Suezkanal nach Dar es Salaam aus, der Hauptstadt der
Kolonie Deutsch-Ostafrika. Die Ladung der beiden ersten Schiffe enthielt neben den Teilen
für den Aufbau einer kompletten Werft zur Endmontage am Zielort auch sämtliches Material
für den Schiffsrumpf. Die „Windhoek“ transportierte die Masten, Dampfkessel, die
Dampfmaschine sowie weitere Zubehörteile, während die „Adolf Woermann“ die
Deckshäuser, die Ausstattung der Innenräume und Kabinen sowie Installations- und
Ersatzteile lieferte.
Angesichts der drohenden Kriegsgefahr war es allerdings auch höchste Zeit, das Schiff nach
Deutsch-Ostafrika zu bringen. In einem Telegramm des Gouverneurs der Kolonie an das
Reichskolonialamt vom Dezember 1913 war zu lesen: „Die Lieferung des Schiffes „Goetzen“
sowie der Schiffswerft sind um jeden Preis zu beschleunigen. Bitte um Entsendung von 20
geeigneten Schiffsbauern, nach Möglichkeit Beschäftigte der Eisenbahn. Wirtschaftliche
Interessen und Prestige zwingen zur Eile.“
Nach ihrer Ankunft in Dar es Salaam wurden die Kisten der „Goetzen“ auf Waggons der
Mittellandbahn verladen und gen Kigoma transportiert. Allerdings war diese im November
1913 noch nicht vollständig fertiggestellt und ihre Gleise endeten zu diesem Zeitpunkt 34
Kilometer vor Kigoma. Da die Zeit drängte, mußten zunächst die Teile für die Schiffswerft
durch hunderte afrikanische Träger nach Kigoma geschafft werden. Diese Werft bestand aus
einer elektrisch betriebenen Helling, einem elektrischen Kraftwerk sowie einer Werkstatt, die
über sämtliche Kräne, Werkzeuge und Maschinen verfügte, die zum Zusammenbau des
Schiffes und seiner weiteren Instandhaltung benötigt wurden. Die mechanischen Teile der
Werft waren ebenfalls von der Meyer-Werft in Papenburg geliefert worden. Die ersten
4
Schiffsteile gelangten ebenfalls noch durch Träger nach Kigoma, die übrigen erreichten dann
vermutlich ab Ende Januar 1914 ihr Ziel per Bahn.
Aus abgeschlossenen Versicherungspolicen geht hervor, daß das Schiff für den Zeitraum 15.
Februar 1914 bis 14. Februar 1915 unter Beteiligung von zwölf verschiedenen britischen
Gesellschaften zu einem Gesamtwert von 25.000 £ versichert war. Die Versicherung deckte
alle Risiken einschließlich Feuers während der Phase des Baus, der Ausstattung sowie der
Probefahrten ab. Nicht abgedeckt waren dagegen Risiken zu möglichen Forderungen bzw. zu
Haftpflichtfragen der Beschäftigten sowie zu möglichen mutwilligen Beschädigungen des
Schiffes im Falle eines Arbeiteraufstandes. Auch Risiken einer gewaltsamen Aneignung des
Schiffes (z. B. durch Piraten) oder im Zusammenhang mit ausbrechenden kriegerischen
Konflikten waren nicht versichert worden. Kurzum: Die britischen Versicherungsgesellschaften deckten keinerlei Risiken außer denen durch Beschädigung oder durch Feuer in
Friedenszeiten und während der Bauphase ab.
Zusammen mit den Schiffsteilen hatte die Meyer-Werft drei ihrer Mitarbeiter nach DeutschOstafrika entsandt, die mit der schwierigen Aufgabe betraut waren, das Projekt zu einem
erfolgreichen Abschluß zu bringen. Hierbei handelte es sich um den Meister Anton Rüter, den
Nieter Rudolf Tellmann und den Gesellen Hermann Wendt. Zwar hatten sich die drei Männer
noch niemals zuvor ihre engere Heimat verlassen, doch die gute Bezahlung gab ihnen die
Möglichkeit auf ein besseres Leben in der Zukunft, weshalb sie sich entschlossen, das Wagnis
einzugehen und ihre Frauen und Kinder auf unbestimmte Zeit in Deutschland zurückzulassen.
Nach ihrer Ankunft in Kigoma engagierten die drei Werftarbeiter zunächst afrikanische und
indische Arbeiter für die Endmontage des Schiffes. Die Montage, während der der
verheerende Erste Weltkrieg ausbrach, sollte mehr als ein Jahr dauern.
Aus dieser Zeit haben sich Berichte Meister Rüters an die Meyer-Werft erhalten, die ein
bezeichnendes Licht auf die Situation werfen, welche sich die drei Werftarbeiter im tiefsten
Herzen Afrikas bot:
„Außer einer fehlenden Platte des Vordecks haben wir jetzt alles in Kigoma. Es fehlen nur
zwei Kisten mit Deckschrauben, die irgendwo im Hafen von Dar es Salaam verloren
gegangen sein müssen…“
„Die Taue, die auf einem offenen Eisenbahnwagen transportiert worden waren, sind durch ein
Feuer während der Bahnfahrt vollkommen unbrauchbar geworden…“
„Wir sind alle noch gesund und haben bis jetzt kein Fieber. Wir haben zu wenig Khakianzüge
und Schuhe. Die Arbeit geht gut voran, auf daß das Schiff gut dicht wird…“
„Wir arbeiten nun schon seit drei Wochen an dem Schiff und hoffen auf den Stapellauf im
August…“
„Ich mußte die elektrische Hauptanlage alleine herstellen, und seit ein paar Tagen arbeitet
unser Kran ohne Probleme. Aber das Feuer während der Bahnfahrt hat eine Propellerwelle
verbogen…“
„Außer einem unfähigen Schreiner und einem kompetenten Elektriker habe ich hier keine
europäischen Helfer finden können. Ich beschäftige jetzt 20 fleißige Inder und 150 Schwarze.
Wenn das Nieten beginnt, werden vermutlich 100 zusätzliche Schwarze gebraucht werden…“
Ein Telegramm an die Eisenbahnverwaltung in Tabora vom Januar 1915 kündigte den
voraussichtlichen Termin des Stapellaufes für den 25. Januar an, ein Schreiben vom 18. Mai
nach dort erwähnte als Termin für die Jungfernfahrt des Schiffes und seine Übergabe an ein
Marinekommando der Schutztruppe die darauffolgende Woche. Zu beiden Ereignissen
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wurden die Vertreter der Eisenbahnverwaltung eingeladen. Aufgrund eines Schadens am
Propellerschaft waren diese Termine jedoch nicht zu halten.
Am 5. Februar 1915 glitt das Schiff zum ersten Mal von der Helling in das Wasser. Doch dies
war nicht so einfach wie man zunächst denken könnte, da nach Kriegsausbruch einige
wichtige Teile der Helling Kigoma nicht mehr erreicht hatten. Doch durch das
Improvisationsgeschick der drei Papenburger Ingenieure war es möglich, das Problem zu
meistern.
Nach dem Stapellauf wurde das Schiff fertig ausgerüstet und Anfang Juni 1915 war die Arbeit
endlich abgeschlossen. Damals verfügte das DS „Goetzen“ lediglich über sechs Einzelkabinen
für insgesamt sechs Passagiere der Ersten Klasse und über fünf Doppelkabinen für insgesamt
zehn Passagiere der Zweiten Klasse. Die Einrichtung der Kabinen bestand aus Teakholz und
war mit der auf anderen deutschen Dampfern jener Zeit vergleichbar. Das Brückendeck
verfügte über die Kapitänskabine, einen Kartenraum sowie ein Restaurant für die Erste
Klasse. In dem darunterliegenden Hauptdeck befanden sich die Kabinen für die weiße
Mannschaft bzw. die Passagiere sowie das Restaurant der Zweiten Klasse. Die
Räumlichkeiten für die schwarze Mannschaft befanden sich im Bugbereich des Schiffes. Da
dieser Raum über Pritschen für insgesamt 54 Personen verfügte, beweist, daß das Schiff auch
für den Transport von Askaritruppen ausgelegt war. Verschiedene sanitäre Einrichtungen für
die unterschiedlichen Klassen vervollständigten die Inneneinrichtung.
Diese Passagierzahl täuscht jedoch, da die „Goetzen“ als größtes Schiff auf dem TanganjikaSee in der Lage war, insgesamt 900 Personen zu transportieren, und dies in einem Viertel der
Zeit, welche die traditionellen Dhaus dafür benötigten. Speziell für schnelle
Truppenverlegungen bzw. zur Sicherung der langen Seegrenze der deutschen Kolonie stellte
dies einen unschätzbaren strategischen Vorteil dar.
Am Morgen des 1. Juni 1915 absolvierte das Schiff mit dem Ziel Bismarckburg sowie etwa
700 Angehörigen der Schutztruppe an Bord seine erste Fahrt und befand sich bei rauhem
Wellengang und einem starken Südwind in der Bucht von Kungwe. Das Schiff kam zunächst
überhaupt nicht voran. Zwischen 6 und 9 Uhr morgens legte es dann lediglich eine knappe
halbe Meile zurück. Die Leistung der 500 PS starken Dampfmaschine erwies sich als
vollkommend unzureichend und aufgrund der ungenügenden Trimmung des Schiffes tauchten
seine Schrauben immer wieder aus dem Wasser aus. Zu allem Unglück gab gegen 8 Uhr 30
auch noch die mechanische Steuerung (ein britisches Produkt) ihren Geist auf, und da auch
die Handsteueranlage außer Betrieb war, die Luken nicht dicht schlossen und die wenigen
Schotten nicht übermäßig stark dimensioniert waren, befand sich die „Goetzen“ in ernsthaften
Schwierigkeiten. Das stolze Schiff war zu einem Spielball der Wellen geworden und begann
heftig zu rollen, während in seinem Inneren alles durcheinander fiel.
Zwar funktionierte gegen 9 Uhr die Steuerung wieder, doch bereits am nächsten Tag um 3
Uhr morgens waren beide Steuerungsanlagen erneut ausgefallen. Das Schiff befand sich zu
diesem Zeitpunkt auf der Höhe von Utinta, drehte sich herum und begann zu rollen und sich
zu neigen. Es wurde dann durch den Wind nordwärts in Richtung Kigoma getrieben und
entfernte sich mit einer Geschwindigkeit von etwa drei oder vier Meilen pro Stunde ungefähr
zwei Meilen von der Küste. Aufgrund des Fehlens eines Doppelbodens und aufgrund der
wenigen Schotten befürchtete die Besatzung erneut die Gefahr eines Schiffbruchs. Gegen 4
Uhr war es dann jedoch gelungen, die Schäden zu beheben und in ruhigem Wasser erreichte
das Schiff gegen 19 Uhr Bismarckburg. Die Reisezeit von Kigoma aus hatte 50 Stunden
betragen. Die an Bord gepferchten 700 Schutztruppensoldaten und die Mitglieder der
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Mannschaft müssen Gott dankbar gewesen sein, endlich wieder Fuß auf sicheres Land setzen
zu dürfen.
Der Vollständigkeit halber sei jedoch auch auf andere Ausführungen verwiesen, wonach das
Schiff bei ruhigem Wetter vollkommen ruhig fahre und die Reise dann höchst angenehm sei.
Am 8. und 9. Juni 1915 konnten zwischen Kigoma und Lugufu in ruhigem Wasser auf einer
Strecke von insgesamt nur 33 Seemeilen die offiziellen Probefahrten absolviert werden. Dabei
wurde am ersten Tag mit frischem, unentrindetem Holz eine Durchschnittsgeschwindigkeit
von lediglich 7 Knoten erzielt. Als am zweiten Tag trockenes und entrindetes Holz verwendet
wurde, lag die Durchschnittsgeschwindigkeit bei 8,25 Knoten.
Ein Bericht dieser Probefahrten, der von einem Vertreter der DOAEG und von
Korvettenkapitän Zimmer unterzeichnet wurde, erwähnt, daß aufgrund von wichtigen
fehlenden Teilen die Kühlungs- und Beleuchtungsanlage sowie die elektrische Einrichtung
nicht in Betrieb genommen werden konnten. Aufgrund des Kriegsausbruches hatten außerdem
Kompasse, ein Anker sowie einige Ketten und Laternen ihr Ziel nicht mehr erreicht. Weitere
Unzulänglichkeiten konnten durch das Improvisationsgeschick der Eisenbahngesellschaft
ausgeglichen werden, die vier Boote, einen tragbaren Boiler sowie einen eisernen Kochherd
liefern konnte. Der Wert des fertigen Schiffes wurde mit 750.000 Goldmark beziffert. Da eine
Goldmark der Jahre 1913/14 laut Statistischem Bundesamt bzw. dem Verbraucherpreisindex
vom Oktober 2011 den Gegenwert von 4,87 € aufwies, hätten die Vormontage des Schiffes in
Papenburg, sein Transport an den Tanganjikasee und seine Endmontage in Kigoma heute
Kosten in Höhe von 3.652.500 € verursacht. Dieser Preis lag allerdings immer noch erheblich
unter den Kosten, welche die Briten zwölf Jahre später für die Bergung und Reparatur des
Schiffes aufwenden mußten. Hierzu jedoch später mehr…
In zwei weiteren Berichten, welche für die Kolonialregierung in Tabora sowie für die
Eisenbahngesellschaft bestimmt waren, listete Korvettenkapitän Zimmer in seiner Eigenschaft
als Kommandeur der deutschen Flotte am Tanganjika-See die Mängel auf, die das Schiff nach
dessen Meinung bei seiner Übernahme aufwies:
- Unzureichender Tiefgang. Dieser sollte durch eine Verlängerung des Kamins um zwei Meter
erhöht werden.
- Kein Doppelboden.
- In einen nachträglich einzubauenden Doppelboden sollten Trimmtanks integriert werden,
um das Schiff trimmen zu können.
- Zu wenige und zu schwache Schotten. Besonders die Schotten vor den Kesseln sollten
verstärkt werden.
- Die Laderäume sollten unterteilt werden, um ein Verrutschen der Ladung zu verhindern.
- Die Schiffskonstruktion sollte verstärkt werden, um die auftretenden starken Vibrationen bei
höheren Geschwindigkeiten zu verhindern.
- Zu geringe Leistung der Dampfmaschine, da die Kessel für Kohle- statt für Holzfeuerung
vorgesehen waren.
- Steuereinrichtung sehr störanfällig.
- Kojen zu kurz und zu schmal. Die Arme und Füße der Passagiere berührten hierdurch die
Moskitonetze. Anstatt der hölzernen Kojen wurde der Einbau von Eisenkojen empfohlen, die
leichter entfernt und saubergehalten werden konnten. Das dunkle Holz der Kabinen sollte
weiß gestrichen werden.
- Kräne der beiden Ladeluken zu kurz.
- Die Bootdavits sollten auf das Oberdeck verlegt werden und in Stahlrohr ausgeführt sein.
Außerdem waren die Befestigungen der Davits auf dem Deck zu schwach.
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Da am Tanganjika-See im Mai 1915 die ersten Kampfhandlungen einsetzten, wurde befohlen,
das kaum fertiggestellte Schiff einer Marineeinheit der deutschen Schutztruppe zu übergeben,
um auf diese Weise die lange Westgrenze Deutsch-Ostafrikas gegen die gegnerischen
belgischen und britischen Nachbarn zu sichern bzw. zu verteidigen. Aus diesen Gründen
wurden ein 10.5-m-Geschütz, zwei 8.8-cm-Geschütze sowie drei 3.7-cm-Revolver-Geschütze
auf dem Deck des Schiffes montiert. Sie stammten überwiegend von dem deutschen Kreuzer
„Königsberg“, den seine eigene Mannschaft einige Zeit zuvor in dem Delta des Rufijiflusses
versenkt hatte, nachdem er in einem Seegefecht schwer beschädigt worden war. Ferner
wurden Panzerungen für die Geschütze sowie für die Oberlichter montiert. Das Militär war
verpflichtet, diese Ausrüstung vor einer Rückgabe des Schiffes an die D. O. A. E. G. wieder
zu entfernen.
Dies war die Situation, in der das DS „Goetzen“ unter dem Kommando von Korvettenkapitän
Zimmer zu seiner Jungfernfahrt nach Bismarckburg, dem heutigen Kasanga aufbrach. Wenig
später fand am 19. Juni 1915 der erste Kampfeinsatz des Schiffes statt, als es vor Mpulungu
den kleineren britischen Dampfer „Cecil Rhodes“ versenkte. Bis Mitte 1916 wurde das Schiff
dann für diverse weitere Patrouillen- und Versorgungsfahrten verwendet und unterstützte
damit den Oberbefehlshaber der Schutztruppen von Deutsch-Ostafrika, General von LettowVorbeck.
Wie bereits erwähnt, wurde das Schiff auch als „Truppentransporter“ bzw. zur Versorgung
des Schutztruppenforts Bismarckburg verwendet. Diese gigantische Festung, deren Reste
noch heute zu sehen sind, lag auf einer Halbinsel an der Südgrenze Deutsch-Ostafrikas zu
Britisch-Rhodesien. Die Festung hatte im Ersten Weltkrieg eine besondere strategische
Bedeutung und spielte eine Schlüsselrolle in den erfolgreichen Operationen General von
Lettow-Vorbecks. Dieser hatte angeordnet, die deutsche Kolonie von dem zahlenmäßig
wesentlich stärkeren Gegner freizuhalten. In Bismarckburg war die 29. Feldkompanie unter
General Wahle stationiert, die zum einen durch DS „Goetzen“ von Kigoma aus mit allen
benötigten Gütern versorgt werden konnte. Zum anderen unterstützte das Schiff die
Feuerkraft der Festung aber auch mit seinem Bordgeschütz von Positionen im See aus. In
dieser Gegend tobten erbitterte Kämpfe zwischen den Deutschen einerseits und den Belgiern
und Briten andererseits, doch am 28. Juni 1915 gelang es General Wahle mit Unterstützung
der 24. Feldkompanie aus Dar es Salaam, die Briten weit in ihr eigenes Gebiet
zurückzuschlagen und die Front für ein ganzes Jahr zu halten.
Um eine vollständige Kontrolle über den See zu erlangen, wurde das DS „Goetzen“ auch für
Überraschungsangriffe auf alliierte Truppen genutzt. Allerdings erkannten auf diese Weise
auch die gegnerischen Kräfte die Notwendigkeit, den See zu kontrollieren. Unter dem
Kommando des britischen Korvettenkapitäns Geoffrey Spicer-Simson machte sich die
britische Royal Navy an den verwegenen Plan, per Schiff, Bahn, Fluß und Straße die beiden
bewaffneten Motorboote „Mimi“ und „Toutou“ von England nach Albertville (heute:
Kalemie) an das westliche Ufer des Tanganjika-Sees zu schaffen. In einem
Überraschungsangriff beschädigten diese Boote im Dezember 1915 das deutsche
Kanonendampfboot „Kingani“ und schleppten es daraufhin nach Kalemie, wo es repariert und
als „Fifi“ wieder in Dienst gestellt wurde. Ein anderer deutscher Dampfer, die „Hedwig von
Wissmann“, wurde im Februar 1916 versenkt, womit DS „Goetzen“ als letztes deutsches
Schiff am Tanganjika-See übrigblieb.
Durch diese Erfolge ermutigt, beschossen die Belgier vom See aus die Festung Bismarckburg,
bis die Deutschen diese am 6. Juni 1916 aufgaben und sich nach Tabora zurückzogen. In
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diesem Zeitraum errichteten die Belgier in Albertville zudem eine Basis für Wasserflugzeuge,
mit denen sie Bombenangriffe auf deutsche Ziele in und um Kigoma flogen. Am 10. Juni
1916 flogen vier belgische Wasserflugzeuge einen ersten Bombenangriff gegen das DS
„Goetzen“, das zu diesem Zeitpunkt im Hafen von Kigoma lag. Nach dem Angriff entsandten
die Belgier Aufklärungsflugzeuge, um sich einen genaueren Überblick über die erzielten
Beschädigungen zu verschaffen. Nach ihrer Rückkehr berichteten die belgischen Piloten, daß
sie eine Rauchwolke aus dem Achterdeck des Schiffes hatten aufsteigen sehen. Ein paar Tage
später führten die Aufklärer einen neuen Erkundungsflug nach Kigoma durch, und nachdem
sie erkannten, daß das Schiff dort auf der Helling lag und von den Deutschen repariert wurde,
bombardierten sie es erneut.
Obwohl sich die erzielten Schäden als relativ gering herausstellten und sich rasch reparieren
ließen, kam es im Zusammenhang mit dem weiteren Vorrücken der alliierten Truppen für die
Deutschen vor Ort zu weiteren Problemen. Da die Gefahr zunahm, daß der Gegner die Trasse
der Mittellandbahn erreichen und diese unterbrechen könnte, mußten die Deutschen damit
beginnen, Kigoma zu räumen und sich nach Tabora zurückzuziehen, um nicht abgeschnitten
zu werden. Um zu verhindern, daß die „Goetzen“ in feindliche Hände fiel, gab
Korvettenkapitän Zimmer den Befehl heraus, sie zu versenken. Ausführen sollten diesen
Befehl ausgerechnet die drei Papenburger Schiffbauer, die all die Strapazen und
Entbehrungen auf sich genommen hatten, daß Schiff vor mehr als zwei Jahren an den
Tanganjika-See zu bringen und anschließend dort zusammenzubauen. Doch wie sollten sich
die Männer verhalten? Natürlich hatten sie eine Weisung erhalten, die auszuführen war,
gerade in Zeiten des Krieges. Andererseits jedoch hatten sie in dieses schwierige Projekt
zuviel Mühe und Entbehrungen gesteckt, um es einfach blindlings zerstören zu können. So
gelangten sie zu dem Plan, am 26. Juli 1916 zunächst die Geschütze von dem Schiff zu
entfernen, da diese für die weiteren Kampfhandlungen noch verwendet werden konnten.
Anschließend entfernten sie einige der wichtigsten Teile der Dampfmaschine, die sie an Land
versteckten. Die restlichen Maschinenteile fetteten sie sorgfältig ein, um sie vor Korrosion zu
schützen. Die Ingenieure hatten die Hoffnung, daß Deutschland den Krieg gewinnen würde
und man nach Kigoma zurückkehren und das Schiff bergen könnte. Zuletzt überluden sie es
mit Sand (andere Quellen nennen Zement) und versenkten es in kontrollierter Weise nachts in
der seichten Mündung des Malagarasiflusses, da dort das Wasser weniger klar war. Ein
kleineres Boot, die „Adjutant“, lag auf der Helling und wurde gesprengt, während mit der
„Wami“ ein weiteres ebenfalls versenkt wurde.
Nachdem das DS „Goetzen“ auf dem Grund des Sees lag, stand Rüter, Tellmann und Wendt
ihr nächstes Abenteuer bevor: Die Flucht. Nachdem ihnen Gerüchte über Kannibalismus bei
den schwarzen Hilfstruppen im Kongo zu Ohren gekommen waren (diese Gerüchte
entsprachen zwar der Wahrheit, fanden jedoch während einer Rebellion im späten 19.
Jahrhundert statt), entschieden sich die drei Papenburger, sich statt den Belgiern den
Engländern zu ergeben. Zusammen mit 100 Askaris, die sie loyal begleiteten gelangten sie so
in Kriegsgefangenschaft, zunächst in Ostafrika, später in Ägypten. Nachdem sie dort einige
Monate verbringen mußten, versuchten die Drei zusammen mit einigen anderen, durch ein
Durchschwimmen des Nils zu fliehen. Dies scheiterte jedoch…
Erst einige Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gelangten Rüter, Tellmann und Wendt
nach Deutschland zurück – in ein Land, das sich durch Armut und politische Instabilität
dramatisch verändert hatte. Das Geld, für das sie so hart gearbeitet, hatte aufgrund der
Inflation nur noch einen geringen Wert. Noch schlimmer war, daß die Gesundheit der Männer
durch die Malaria ruiniert war…
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1.2: Belgische und britische Mandatszeit.
Nachdem Deutschland seine Kolonien verloren hatte, gelangte das Gebiet am Tanganjika-See
unter die Kontrolle der Belgier. Aufgrund von Informationen der Einheimischen gelang es
ihnen rasch, das Schiff zu finden. Es gelang ihnen bereits 1916, die „Goetzen“ zu heben und
sie zurück nach Kigoma zu schleppen. Unglücklicherweise sank sie vermutlich im Jahre 1920
dort an ihrem Liegeplatz in seichtem Wasser erneut, nach unterschiedlichen Aussagen
entweder aufgrund eines Hebefehlers oder während eines heftigen Sturmes.
Im Jahre 1921 kam die ehemalige Kolonie Deutsch-Ostafrika als Mandatsgebiet unter
britische Verwaltung. Seitens der Briten wurde sofort mit den Planungen begonnen, das
Schiff zu heben. So schrieb am 5. Mai 1921 der britische Gouverneur von Tanganjika, Sir
Horace Archer Byatt, an sein Außenministerium, daß das Schiff gehoben und von den
britischen Stellen übernommen werden sollte.
Zu diesem Vorschlag ging am 13. Oktober eine Antwort des damaligen britischen
Kolonialministers Winston S. Churchill ein, mit beiliegenden Kopien der „Korrespondenz mit
dem Finanzministerium in der Angelegenheit der vorgeschlagenen Bergung und Erwerbung
des Dampfschiffes ‚Goetzen’ durch die Regierung des Gebietes von Tanganjika.“
Aus einem dieser beiliegenden Schreiben, datiert vom 27. September 1921, ging hervor, daß
Churchill „voll und ganz mit der Meinung des Gouverneurs übereinstimmte“ und darum
ersuchte, dem geplanten Vorhaben die Genehmigung zu erteilen, „dessen Kosten auf
gegenwärtig nur 7.500 £ veranschlagt werden“.
Ein weiteres als Kopie beiliegendes Schreiben vom 5. Oktober 1921 belegte, daß seitens des
britischen Finanzministeriums die „Genehmigung für die veranschlagten Ausgaben von 7.500
£“ unter diversen Vorbedingungen erteilt werden würde. So mußte z. B. sichergestellt sein,
daß die Summe die gesamten Kosten des Vorhabens decken würde, sowie ebenso, daß
hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse des geborgenen Schiffes mit den belgischen Nachbarn
keine Streitigkeiten aufkommen würden.
Tatsächlich stellte sich die Bergung dann jedoch als ein weitaus langwierigeres und
komplizierteres Vorhaben heraus als vorhergesehen, und die Gesamtkosten betrugen
schließlich (einschließlich des gescheiterten Bergungsversuches der Belgier) das Dreifache
der ursprünglich veranschlagten Kosten. Die Arbeit dauerte mehr als zwei Jahre und erfolgte
unter der Leitung von Lieutenant-Commander T. Kerr von der Royal Navy. Nach nahezu acht
Jahren unter Wasser tauchte die „Goetzen“ am 16. März 1924 wieder auf und präsentierte sich
nach einer ersten Untersuchung zur allgemeinen Überraschung in einem unerwartet guten
Zustand. So gut, daß am 29. März 1924 Colonel G. A. P. Maxwell in seiner Eigenschaft als
Generalmanager (der Eisenbahnverwaltung?) schrieb: „Die Maschinen des Schiffes sind
offensichtlich in exzellentem Zustand.“ Und: „Commander Kerr erzählt mir, daß es überhaupt
keinen Grund gibt, weshalb die „Goetzen“ ihre volle Zuladung nicht jederzeit und mit
absoluter Sicherheit befördern können sollte.“
Nach der Bergung der „Goetzen“ setzte jedoch eine Korrespondenz über ein mögliches
weiteres Vorgehen ein. Würde die weitere Entwicklung am Tanganjika-See die enormen
Kosten für die umfassende Instandsetzung des Dampfers und die Aufnahme eines regulären
Schiffsbetriebes rechtfertigen (wofür sich Churchill aussprach), oder sollte man nicht besser
doch versuchen, das Schiff, so wie es war, möglichst gewinnbringend an die Belgier zu
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verkaufen? Selbstbewußt schrieb der Generalmanager am 17. Juli 1924 hierzu:
„Selbstverständlich sollten wir hinsichtlich des Schiffsbetriebes in unsere südlichen Häfen
sowie in diejenigen von Nordostrhodesien nicht in Abhängigkeit zu den Belgiern geraten,
sondern vielmehr mit diesen in Wettbewerb treten.“
Am 17. September 1924 erklärte sich das britische Außenministerium in einem Schreiben an
den Gouverneur grundsätzlich damit einverstanden, das Schiff für den Dienst auf dem
Tanganjika-See wiederherzurichten, und bat um eine komplette Aufstellung der
veranschlagten Kosten.
Ein solcher detaillierter Kostenvoranschlag war bereits im Mai durch den Chefmechaniker K.
C. Strahan angefertigt worden. Um das Schiff in einen seetauglichen Zustand zu bringen,
veranschlagte Strahan für den Rumpf, die Einrichtung, die Decks usw. 12.422 £, für den
technischen Teil wie Dampfmaschine, Kessel und weitere Aggregate dagegen 7.481 £.
Insgesamt war also mit Gesamtkosten in Höhe von 19.903 £ zu rechnen.
Doch auch dieses Angebot war nicht zu halten, da sich während der anschließenden
dreijährigen Instandsetzungsphase diverse weitere Instandsetzungsarbeiten als erforderlich
herausstellen sollten, und schließlich lagen die Kosten bei insgesamt 29.296 £. Rechnet man
hierzu noch die durch die Belgier und die Briten durchgeführten Bergungskosten in Höhe von
20.400 £ hinzu, so kam man auf Gesamtkosten von 49.696 £. Hinzu kamen laut einem
Schreiben des Generalmanagers vom 6. August 1926 noch geringere Beträge für die
Erneuerung der Werft (15.000 £), der Hellinganlage (10.000 £) und den Bau eines Krans
(3.000 £). Außerdem wurden noch Seezeichen und Leuchtfeuer an den östlichen und
südlichen Ufern des Sees installiert.
Um die Höhe dieser Summe nachvollziehen zu können, muß man wissen, daß seinerzeit die
deutschen Kosten für die Vormontage des Schiffes in Papenburg, seinen Transport an den
Tanganjika-See und seine dortige Endmontage umgerechnet „lediglich“ 750.000 Goldmark
bzw. 36.765 £ betragen hatten.
Für die Arbeit am Schiff wurden geeignete Taucher und Schiffsbauer benötigt. Nachdem die
Arbeit mit einem Taucher und fünf Schiffsbauern aufgenommen worden war, stellte sich bald
heraus, daß zwei weitere Taucher und drei weitere Männer benötigt werden würden. Ein
Taucher verdiente 75 £ pro Monat, ein Schiffsbauer 40 £, jeweils bei freien Reisekosten,
freier Unterkunft in Kigoma und zu stellender Ausrüstung.
Die ursprünglichen Aufbauten des Schiffes waren in einigen Punkten geändert bzw. erneuert
worden. Die originalen Teile der Dampfmaschine, die während des deutschen Rückzuges
versteckt worden waren, wurden gefunden und befanden sich in einem Zustand, der ihre
Weiterverwendung gestattete.
Angesichts der fortschreitenden Arbeiten konnte man sich allmählich auch über eine
Umbenennung des DS „Goetzen“ Gedanken machen. So stand aufgrund seines Bezugs zu der
Region zum einen der Name des britischen Afrikaforschers „Livingstone“ im Gespräch, aber
ebenso der Name „Kagaru“, was in der Sprache der Einheimischen des damaligen Rhodesiens
und des Nyasalandes „Mann mit einem kleinen Hund“ bedeutetet und sich ebenfalls auf
Livingstone bezog. Ein dritter Vorschlag lautete auf „Mnyaka“. Der Name enthält das
swahilische Wort „Nyaka“, was „fangen“, „auffangen“ bzw. „stehlen“ bedeutet. Oder,
seemännisch gesprochen: „Kapern“, „aufbringen“. Vermutlich also ein Hinweis auf die
turbulente Geschichte der „Goetzen“!
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Alle diese Namen wurden letztendlich jedoch wieder verworfen und am 8. Januar 1926
schrieb Gouverneur Sir Donald Cameron an das Außenministerium: „Bezugnehmend auf Ihr
Schreiben No. 331 vom 18. Juni bezüglich der Umbenennung des DS ‚Goetzen’ ersuche ich
darum, die nötigen Schritte zu unternehmen, um das Schiff unter dem Namen ‚Liemba’ zu
registrieren, dem Namen, den der Tanganjika-See bei den Einheimischen hatte, als Dr.
Livingstone zum ersten Mal dessen Ufer erreichte.“
Am 9. und 10. Mai 1927 konnten die Probefahrten durchgeführt werden. Dies geschah unter
der Aufsicht des Chefmechanikers, der später in seinem Bericht vermerkte, daß die
Ergebnisse
zufriedenstellend
ausgefallen
seien
und
daß
die
erzielte
Durchschnittsgeschwindigkeit bei 8,5 Knoten gelegen habe.
Schließlich waren alle Arbeiten beendet. Spezielle Einladungskarten wurden gedruckt, auf
denen die Verwaltung der tanganjikanischen Eisenbahnverwaltung viele offizielle und
nichtoffizielle Gäste „anläßlich der offiziellen Jungfernfahrt des T.R.S. ‚Liemba’ und der
Taufe des Schiffes durch Mrs. John Scott in Kigoma am Montag, den 16. Mai 1927“ einlud.
Unter den nichtoffiziellen Gästen, die zusagten, befanden sich General Olsen und der
belgische Konsul in Kigoma, ein Repräsentant der Handelskammer in Dar es Salaam sowie
Journalisten des „Tanganyika Opinion“ sowie des „African Comrade“.
Für die musikalische Umrahmung der Feierlichkeiten waren außerdem vierzig Mann des
sechsten Bataillons der King’s African Rifles von Dar es Salaam abgeordnet worden.
Der Taufzeremonie folgte eine kurze Dankesrede an den Gouverneur. Außerdem erhielt Mrs.
Scott als Taufpatin ein Präsent zum Andenken an diesen besonderen Tag. Stellvertretend für
alle übrigen an dem Projekt beteiligten Personen ihrer Teams wurde Mr. Shepherd für die
Bergung sowie Mr. Halliday und Mr. Strahan für die Instandsetzung ein besonderer Dank
ausgesprochen, danach wurde auf die Personen sowie auf den zukünftigen Erfolg der
„Liemba“ ausgiebig angestoßen. Während der sich anschließenden Jungfernfahrt wurde ein
Festmahl mit sieben oder acht Gängen, Champagne Pommery und Likören aufgetischt,
welches denen der Vorkriegszeit in nichts nachstand. Die letzten Redner waren der
amtierende Generalmanager der Eisenbahnverwaltung, der amtierende Gouverneur
Tanganjikas, sowie der Kapitän der „Liemba“, G. A. C. Sharpe.
Für die folgenden Jahre erwähnt das ohnehin recht spärlich vorhandene Material nichts über
die weitere Geschichte des Schiffes.
Regelmäßig wurden nach eigenem Gutdünken die jährlichen Überholungen ausgeführt, doch
im Jahre 1938 regte die Schiffahrtsverwaltung schließlich an, Kontakt mit der Meyer-Werft in
Deutschland aufzunehmen. Der Grund war simpel: Da keine zuverlässigen technischen
Informationen über das Schiff existierten, wollte man versuchen, über den Hersteller an Pläne,
technische Beschreibungen und andere Details zu gelangen. Ein besonderes Interesse galt
dabei – aufgrund des altbekannten Problems des fehlenden Doppelbodens – dem Rumpf und
seiner Stabilität, ebenso der zulässigen Leistung der Dampfmaschine und der Kessel, sowie
einer verbesserten Dimensionierung und Ausbildung der Propeller. Ausschlaggebend für
diesen Schritt war vermutlich auch, daß sich bis zu jenem Zeitpunkt offensichtlich die
Maschinenleistung verringert hatte und sich nur noch eine Durchschnittsgeschwindigkeit von
etwa 6 Knoten erzielen ließ.
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Der Vorschlag wurde jedoch durch die zuständigen Regierungsstellen abgeblockt. Man
wünschte keine Kontaktaufnahme mit den deutschen Herstellern des Schiffes…
Während des Zweiten Weltkrieges transportierte das DS „Liemba“ auf zahlreichen
Sonderfahrten tausende Soldaten sowie griechische und polnische Flüchtlinge. Zu diesem
Zeitraum führte das Schiff mit der kleineren „Mwanza“ überwiegend Fahrten am Ostufer des
Sees durch, aber auch einige Fahrten nach Mpulungu. Speziell diesem Hafen wurde bereits in
dem Artikel in „Tanganyika Notes and Records“ im Jahre 1947 eine zunehmende Bedeutung
im kontinentalen Reiseverkehr zugesagt, denn vor allem nach einem damals offenbar
geplanten Bau einer Bahnlinie nach Abercorn (heute Mbala) wäre ein Fahrt südwärts ohne
den Umweg über Belgisch-Kongo möglich geworden. (Zwar ist es zum Bau der Bahnlinie
nicht gekommen, doch Mpulungu, das über einen beachtlichen Warenumschlag verfügt und
sich seit vielen Jahren als südlichen Zielhafen des MS „Liemba“ etablieren konnte, ist von
Mbala aus über eine geteerte Straße relativ gut zu erreichen.)
Ebenfalls wird erwähnt, daß 1947 in Mpulungu ein neuer Pier und eine Zollstation errichtet
worden seien, sowie, daß im Juli jenes Jahres ein regulärer Schiffsverkehr in die südlich am
See gelegenen Häfen eingerichtet werden konnte. Diese Aussage läßt vermuten, daß das
Schiff diese Gegend bis zu jenem Zeitpunkt offensichtlich nur sporadisch bedient hatte. Wie
erwähnt, bediente die „Liemba“ in den Nachkriegsjahren (wie heute auch) nur noch die
damals britischen Häfen, nachdem das Schiff zuvor auch nach Albertville sowie nach
Usumbura in Urundi fuhr. Außerdem stand es im Vergleich zu heute wesentlich seltener im
Einsatz: Nur alle drei Wochen, immer donnerstags abends, legte die „Liemba“ von Kigoma
aus ab.
Nicht zuletzt ist auch die schon damals erkannte touristische Bedeutung des Schiffes von
besonderem Interesse: Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg hatte das Reiseunternehmen
„Thomas Cook and Son“ für eine vorgesehenen Tour von Kairo zum Kap auf dem Schiff
Unterkünfte für zwölf Passagiere reserviert, und bereits damals hielt man es für möglich, daß
die „Liemba“ (sowie ihre eventuellen zukünftigen Schwesterschiffe) den Reisenden
möglicherweise den entspanntesten Abschnitt auf deren Tour bieten können würde. Der Krieg
unterbrach diese hoffnungsvolle Entwicklung zwar, doch bereits wenige Jahre später
erwartete man angesichts sich normalisierender Verhältnisse eine steigende Nutzung durch
Touristen wie auch durch Geschäftsreisende.
Unglaublich aber war: Obwohl bereits um 1947 ein Ersatz des ineffizienten holzgefeuerten
Dampfantriebs zugunsten von Dieselmotoren mit mechanischem bzw. dieselelektrischem
Antrieb erwogen wurde, blieb das Schiff bis Anfang der siebziger Jahre ein Dampfer.
__________
Exkurs II:
Die „African Queen“:
Viele glauben außerdem, daß die „Liemba“ auch ein Filmstar war, die eine Rolle in dem Film
„African Queen“ spielte, doch dies ist nicht zutreffend. Tatsächlich handelte es sich bei dem
deutschen Kanonenboot in dem Film um den Dampfschlepper „Buganda“ auf dem ViktoriaSee. Doch da es ursprünglich vorgesehen war, die Außenaufnahmen auf dem Tanganjika-See
zu drehen, verhalf der Film auch dem DS „Liemba“ zu einem gewissen Ruhm…
Doch wie kam es dazu und um welche Geschichte handelte es sich dabei?
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Die ursprüngliche Version der „African Queen“ – geschrieben von C. S. Forester und erstmals
im Jahre 1934 in der britischen Zeitung „News Chronicle“, später auch als Buch
veröffentlicht – unterschied sich sehr stark von der Handlung des Films.
Das deutsche Kanonenboot „Königin Luisa“ (das von dem Helden Charlie Allnutt nur als
„Luisa“ bezeichnet wurde) in dem Film basiert zwar auf der „Kingani“, dem realen deutschen
Kanonenboot, das auf dem Tanganjika-See versenkt wurde. Trotzdem stimmen die Ereignisse
des Buches mit den historischen Tatsachen wenig überein.
Das Buch diente als Vorlage für den 1951 entstandenen Filmklassiker „The African Queen“
mit Humphrey Bogart (als Charlie) und Katherine Hepburn (als Rose) in den Hauptrollen. In
dem Film, der zur Zeit des Ersten Weltkrieges spielt, planen die beiden, das wesentlich
größere deutsche Schiff mit ihrem kleinen Dampfboot und selbstgebauten Torpedos
anzugreifen. Eine Parallele kann sowohl zu dem deutschen SMS „Königsberg“ gesehen
werden, wenn die Protagonisten den Fluß abfahren, um das gegnerische Schiff im Flußdelta
anzugreifen. Ebenso fließen die dramatischen militärischen Handlungen der Royal Navy auf
dem Tanganjika-See (weiter vorn dargestellt) in die Handlung mit ein. Wie einige ihrer realen
Weggefährten sinkt die „Luisa“ selbstverständlich am Ende des Filmes auf den Grund des
Sees, allerdings erst nach einem Zusammenstoß mit der „siegreichen“ britischen „African
Queen“.
__________
1.3: Seit der Unabhängigkeit Tansanias.
Nach der 1961 erfolgten Unabhängigkeit Tanganjikas trat Sansibar dem neuen Staat bei,
woraufhin 1964 die Vereinigte Republik von Tansania gegründet wurde. In diesem
Zusammenhang übernahm die Tansanische Eisenbahngesellschaft T.R.C. auch das Schiff,
woraufhin zum ersten Mal einer afrikanischen Mannschaft die Übernahme des Kommandos
gestattet wurde. Vor der Unabhängigkeit standen die strikten Vorgaben der britischen
Mandatsregierung diesem Schritt im Wege.
In den frühen siebziger Jahren wurde es jedoch offensichtlich, daß das Schiff seine beste Zeit
hinter sich hatte. Die T. R. C. erwog, ihre Flotte zu modernisieren, anstatt den alten Dampfer
in Fahrt zu halten. Aufgrund technischer Störungen konnte mit dem Schiff kein zuverlässiger
Fahrbetrieb mehr garantiert werden, und so galt es nur als eine Frage der Zeit, bis sich das DS
„Liemba“ unter den Schneidbrennern enden würde. Die Befürchtung wurde fast Realität, als
Arbeiter damit begannen, die Dampfmaschine, die Kessel, den Kamin sowie das Ruder zu
entfernen und zu verschrotten.
Zu jener Zeit gelangte ein pensionierter irischer Schiffsingenieur an den Tanganjika-See. Sein
Name war Patrick Dougherty und wie erzählt wird, verliebte er sich vom ersten Moment in
dieses eindrucksvolle und faszinierende Stück alter Ingenieurskunst. Möglicherweise war
seine Personalität vergleichbar mit derjenigen der drei deutschen Ingenieure, welche das
Schiff vor mehr als einem halben Jahrhundert erbaut hatten. Gerüchten zufolge verließ
Dougherty sogar Frau und Kind, um seine ganze Aufmerksamkeit dem Wiederaufbau der
„Liemba“ zu widmen. Er hatte den eisernen Willen, das Schiff wiederherzurichten und wieder
in Fahrt zu sehen. Nachdem er sich diesbezüglich der Unterstützung des tansanischen
Präsidenten Julius Nyerere versichern konnte und durch die Weltbank und aus Töpfen
diverser Entwicklungshilfsprogramme finanziert wurde, begann er mit seinem Werk. Vor
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allem wurden die Passagierkapazitäten von bis dahin 430 auf nunmehr 600 Personen
vergrößert sowie die alte Dampfmaschine durch zwei britische Caterpillar-Dieselmotoren
ersetzt. Nach zwei Jahren waren die Arbeiten im November 1976 beendet. Die „Liemba“, die
nun als MS (Motorschiff) bzw. MV (motor-vessel) bezeichnet wurde, konnte wieder in Dienst
gestellt werden. Patrick Dougherty wurde im Jahre 1978 Leiter der Schiffseinsatzstelle
Kigoma.
Ihre nächste größere Überholung und Modernisierung erhielt die „Liemba“ im Jahre 1993.
Hierbei wurde ein Teil der Aufbauten modernisiert und der Rumpf wurde statisch von innen
heraus stabilisiert. Da die Caterpillar-Motoren nicht in zufriedenstellender Weise arbeiteten,
wurden sie durch neue Fünfzylinder-Dieselmotoren der Marke MAN ersetzt. Dieses Mal
wurden die Arbeiten durch die dänische Karstensen-Werft ausgeführt, unter finanzieller
Unterstützung durch die DANIDA, eine Organisation, die innerhalb des dänischen
Außenministeriums angesiedelt ist und verschiedenen Ländern humanitäre Hilfe sowie
technische Unterstützung bietet.
Trotz all dieser Umbauten zeigt sich der Rumpf des Schiffes noch weitgehend in seinem
originalen Zustand, mit allen Problemen. Denn wenngleich alle in dem Schiff installierten
Komponenten mehr oder weniger leicht ersetzt werden können, so ist doch eine komplette
Instandsetzung des Rumpfes von innen wie außen das A und O für einen langfristigen
weiteren Einsatz des Schiffes.
Im Jahr 1997 wurden die MS „Liemba“ und das wesentlich neuere MS „Mwongozo“ durch
das Flüchtlingshilfswerk UNHCR genutzt, um nach dem Sturz des Diktators Mobutu Sese
Seko mehr als 75.000 Flüchtlinge des Ersten Kongokrieges wieder in ihre Heimat
zurückzubefordern. Während dieser fünfmonatigen Mission absolvierte MS „Liemba“ 22
Fahrten zwischen Kigoma und Uvira.
2: Gegenwart.
Im Jahre 2007 verhalf der schweizerische Schriftsteller Alex Capus dem Schiff durch seine
Novelle „Eine Frage der Zeit“ zu literarischem Ruhm. In dem Buch, das in Deutschland,
Österreich und der Schweiz auf den Bestsellerlisten landete, erzählt der Schriftsteller unter
anderem die (fiktiv ausgeschmückte) Geschichte der drei deutschen Schiffbauer auf ihrer
schwierigen Mission beim Bau der „Goetzen“. Das Buch ist mittlerweile auch in englischer
Sprache erschienen und soll in absehbarer Zeit auch auf Kishuaheli veröffentlicht werden.
Mit ihrer heutigen Verdrängung von mehr als 1.300 Tonnen und ihrem Tiefgang von drei
Metern stellt MS „Liemba“ eines der größten, aber auch eines der ältesten Schiffe auf den
afrikanischen Seen dar. Vermutlich ist es auch das älteste Passagier- und Frachtschiff
weltweit, das noch in einem solch intensiven regelmäßigen Einsatz steht. Doch die „Liemba“
befördert nicht nur Passagiere und deren Ladung, sie trägt auch ihre Geschichte mit sich –
ihre deutsche, belgische, englische und tansanische. Sie erinnert an Kriege, Konflikte und
Vertreibungen, aber auch an gute Zeiten der Freude und des Friedens. Selbst die ältesten
Bewohner am Tanganjika-See kennen die legendäre „Liemba“ von ihrer Kindheit an.
Doch wie geht die Geschichte weiter? Hat dieses Schiff aus einem anderen Land und aus
einer anderen Zeit eine Zukunft?
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2.1:Betrieb des Schiffes.
Die „Liemba“ stellt das einzige größere und zuverlässig einsetzbare Transportmittel für
Menschen und Güter auf dem Tanganjika-See dar. Eine durchgehende Transportmöglichkeit
an Land existiert nicht.
MS „Liemba“ befährt normalerweise wöchentlich die 700 km lange Strecke von Kigoma zum
sambischen Mpulungu am Südende des Sees und zurück. Der fahrplanmäßige Start erfolgt
mittwochs um 16 Uhr in Kigoma, die Ankunft in Mpulungu freitags um 8 Uhr. Die Rückfahrt
von Mpulungu aus findet am selben Tag um 20 Uhr statt, die Ankunft in Kigoma ist sonntags
um 16 Uhr.
Die Unterkünfte reichen von recht komfortablen Zweibettkabinen der Ersten Klasse über
Vierbettkabinen der Zweiten Klasse bis zu den teils im Unterdeck gelegenen Räumlichkeiten
der Dritten Klasse, die nur über Sitzplätze verfügen.
Häfen existieren nur in Kigoma, Kasanga und Mpulungu. An allen anderen Stops ankert das
Schiff auf dem offenen See. In diesem Fall müssen die Passagiere in längsseits anlegende
Boote umsteigen und werden gegen einen geringen Betrag ans Ufer gefahren.
Verwendete Quellen:








Schiffbau. Zeitschrift für die gesamte Industrie auf schiffbautechnischen und
verwandten Gebieten. 18/1915 (23. 6. 1915) und 22/1915 (25. 8. 1915).
Col. L. B. Cane:
S.S. „Liemba“
In: Tanganyika Notes and Records, 23/31.
Dar es Salaam, 1947.
Ein umfangreicher Artikel zur Geschichte des Schiffes bis 1947, der unter Auswertung
von Dokumenten der Eisenbahnverwaltung aus deutscher und späterer Zeit entstand.
Jörg Gabriel:
Tansania, Sansibar, Kilimanjaro.
4. Auflage.
Hohentann, 2007.
ISBN: 978-3-8317-1367-7
Die lange Fahrt der „Graf Götzen“. Von Papenburg nach Afrika.
Dokumentarfilm des NDR, 2001.
http://en.wikipedia.org/wiki/Liemba
http://de.wikipedia.org/wiki/MS_Liemba
http://www.traditionsverband.de/magazin/ggoetzen.html
http://www.nexusboard.net/sitemap/6365/deutsch-ostafrika-t284408/
Weitere Informationen über die Kampfhandlungen am Tanganjika-See im Ersten Weltkrieg:

http://www.geocities.com/cdferree/tanganjikasee/tangan.html
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