957.321 Heinrich Grausgruber Quellen: Nespolo (2003); Le Rouzic et al. (2007) Department of Crop Sciences Division of Plant Breeding Konrad-Lorenz-Str. 24 3430 Tulln Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber MERKMALE UND VARIATION (1) Qualitative Merkmale → Diskontinuierliche Variation VK Shumny B. Steffenson X Chang Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 2 MERKMALE UND VARIATION (2) Quantitative Merkmale → Kontinuierliche Variation S Pearce et al (2011) Baron et al. (2012) Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 3 MERKMALE UND VARIATION Polygene, oligogene Vererbung 1909: H. Nilssohn-Ehle → Kornfarbe Weizen R1R1R2R2 (very dark red) × r1r1r2r2 (white) ↓ R1r1R2r2 ↓ 1:2:2:1:4:1:2:2:1 R1R1R2R2 : R1R1R2r2 : R1r1R2R2 : R1R1r2r2 : R1r1R2r2 : r1r1R2R2 : R1r1r2r2 : r1r1R2r2 : r1r1r2r2 1:4:6:4:1 very dark red : dark red : medium red : light red : white Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 4 MERKMALE UND VARIATION Aufgabe Wie sieht die Aufspaltung bei R1R1r2r2 × r1r1R2R2 aus? Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 5 MERKMALE UND VARIATION Transgression Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 6 MERKMALE UND VARIATION Transgression Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 7 UMWELTEINFLÜSSE Das an einer einzelnen Pflanze oder Nachkommenschaft gemessene Merkmal bezeichnet man als den phänotypischen Wert. Er setzt sich aus dem genotypischen Wert und dem Umwelteffekt zusammen. Der genotypische Wert ist der Mittelwert der Pflanzen eines Genotyps über alle denkbaren Umweltbedingungen. Der Umwelteffekt kann positiv oder negativ sein und führt dazu, dass der phänotypische Wert über oder unter dem genotypischen Wert liegt. P=G+E Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 8 UMWELTEINFLÜSSE 1903: Wilhelm JOHANNSEN erstmalige Erwähnung der Begriffe ‘Gen’, ‘Genotyp’, ‘Phänotyp’ Experimente über die Vererbung des Samengewichtes bei Phaseolus-Bohne → kontinuierliche Variation ist teils genetisch, teils umweltbedingt. Bohnen sind Selbstbefruchter, die Pflanzen einer Sorte sind also homozygot → die von einer homozygoten Einzelpflanze abstammenden Nachkommen sind untereinander genetisch identisch und ihre Variation ist rein umweltbedingt → ‘Reine Linie’ (‘pure line’) → Handelssorte ‘Princess’ war offenbar Gemisch von verschiedenen Genotypen mit genetischen Unterschieden in der Samengröße → erste Selektion war daher erfolgreich Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 9 UMWELTEINFLÜSSE 1903: Wilhelm JOHANNSEN No 1 No 19 0.351 g 0.358 g 0.6426 g 0.348 g 0.631 g Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 0.649 g 10 GENOTYP-UMWELT INTERAKTION Fixierte Faktoren Umweltfaktoren, die bereits vor dem Anbau festgelegt werden und bekannt sind, z.B. die klimatische Region und pflanzenbauliche Maßnahmen (Saatzeit, Saatstärke, Düngungsniveau, etc.). Zufällige Faktoren Umweltfaktoren, die eine zufallsbedingte Variation aufweisen und die nicht vorhersagbar sind, z.B. die Jahreswitterung; Zuchtlinien die eine repräsentative (zufällige) Stichprobe der Gesamtpopulation darstellen Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 11 GENOTYP-UMWELT INTERAKTION → aus einem einzigen Versuch sind kaum allgemeine Schlussfolgerungen möglich, und Ertragsprüfungen müssen immer an mehreren Orten und in mehreren Jahren durchgeführt werden → verschiedene Orte können unterschiedlich gut als Standorte für eine Ertragsprüfung geeignet sein → verschiedene Genotypen können unterschiedlich große Interaktionen aufweisen und es können Genotypen selektiert werden, bei denen diese Interaktionen möglichst gering sind. Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 12 GENOTYP-UMWELT INTERAKTION → oft ist es von Interesse, eine allgemeine Aussage darüber zu machen, wie wichtig Interaktionen im Verhältnis zu den Haupteffekten sind. Eine solche Aussage ist möglich, wenn wir die Varianzen betrachten, also danach fragen, inwieweit die auftretende Variation (Phänotyp) auf Unterschieden in den Genotypen, Umweltbedingungen und/oder Interaktionen beruht ๐²๐ท = ๐²๐ฎ + ๐²๐ฌ + ๐²๐ฎ๐ฌ Erwünscht ist ein Genotyp, der möglichst geringe Interaktionen mit der Umwelt aufweist (siehe Leistungsstabilität, Ertragssicherheit). Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 13 GENOTYP-UMWELT INTERAKTION Schema zur Entstehung von quantitativer Variation Links: kein Umwelteinfluss, zunehmende Anzahl beteiligter Gene Rechts: zwei Gene, zunehmender Umwelteinfluss Quelle: Becker (1993) Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 14 HERITABILITÄT Die Heritabilität („Erblichkeit“) erfaßt die relative Bedeutung des Genotyps für die auftretende Variabilität. Experimentelle Bestimmung, z.B. durch Schätzung von Varianzkomponenten: auf diese Weise kann die Größe der genotypischen Varianz bestimmt und zur Größe der phänotypischen Varianz in Beziehung gesetzt werden; Selektionsexperimente: je höher die Heritabilität, desto größer der Erfolg einer Selektion. Aus einem beobachteten Selektionserfolg läßt sich daher auf die Heritabilität in der Ausgangspopulation rückschließen. Zerlegung des genotypischen Wertes: ๐²๐ฎ = ๐²๐จ + ๐²๐ซ + ๐²๐ฐ Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 15 HERITABILITÄT Additiveffekt und Dominanzabweichung Additiveffekt, Zuchtwert (A): Summe der Durchschnittseffekte der Allele. Ohne Dominanz sind die Zuchtwerte gleich den genotypischen Werten. Bei partieller oder vollständiger Dominanz ist der Zuchtwert des heterozygoten Genotyps niedriger als sein genotypischer Wert, da ein Teil seiner Nachkommen homozygot für das ungünstige Allel wird. Die Differenz zwischen Zuchtwert und genotypischen Wert wird als Dominanzabweichung (D) bezeichnet. Epistasie Nicht immer kann der genotypische Wert eines Individuums einfach als Summe der genotypischen Werte einzelner Gene aufgefaßt werden. Es kommt nämlich vor, dass zwei Gene erst in ihrer Kombination eine besonders günstige oder ungünstige Wirkung zeigen. Eine solche Wechselwirkung zwischen verschiedenen Genen wird als Epistasie (I) bezeichnet. ๐²๐ท = ๐²๐จ + ๐²๐ซ + ๐²๐ฐ + ๐²๐ฌ + ๐²๐ฎ๐ฌ Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 16 HERITABILITÄT Heritabilität im weiteren Sinne (broad sense heritability, h²b) ๐²๐ = ๐²๐ฎ ๐²๐ท Heritabilität im engeren Sinne (narrow sense heritability, h²n) ๐²๐ = ๐²๐จ ๐²๐ท Die Heritabilität gibt nur an, zu welchem Anteil der Phänotyp auf den Genotyp zurückzuführen ist; sie sagt jedoch nichts über die Anzahl der beteiligten Gene, deren Lokalisation oder Genprodukte aus. Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 17 HERITABILITÄT Berechnungen in Kreuzungspopulationen Idee: Schätzung der Umweltvarianz an genetisch homogenen Populationen (Eltern, F1), Schätzung der Gesamtvarianz (s²P) an der F2-Population, die die gesamte genetische Varianz enthält, aber gleichzeitig auch Umweltschwankungen unterliegt Mahmud & Kramer ๐²๐ = ๐²๐ญ๐ − ๐²๐ท๐ × ๐²๐ท๐ ๐²๐ญ๐ Beispiel: Wuchshöhe Weizen Weber ๐²๐ = ๐²๐ญ๐ − ๐ ๐²๐ท๐ × ๐²๐ท๐ × ๐²๐ญ๐ ๐²๐ญ๐ Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 18 HERITABILITÄT Berechnungen Eltern-Nachkommen Korrelation ๐²๐ = ๐๐๐๐๐๐๐๐๐ ๐๐๐๐๐๐๐๐๐ Eltern-Nachkommen Regression ๐²๐ = ๐ Beispiel: Milchleistung Kühe Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 19 Wray & Visscher (2008) Estimating trait heritability. Nature Education 1(1) http://www.nature.com/scitable/topicpage/estimating-trait-heritability-46889 Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 20 HERITABILITÄT Berechnungen Methode nach Allard (Rückkreuzungsmethode): Varianzen von Eltern, F1, F2 und der Rückkreuzungen der F1 mit beiden Eltern (BC1 und BC2) erlauben die Auftrennung der genetischen Varianz s²G in die Komponenten s²A und s²D und damit die Schätzung der Heritabilität im weiteren und im engeren Sinne. s²F2, s²BC1, s²BC2 sowie s²P1, s²P2 und s²F1 werden aus dem Versuch ermittelt; die Heritabilität wird nach dem Errechnen von s²A und s²D durch Einsetzen der bekannten Werte in die Gleichungen der Erwartungswerte und anschließender Auflösung der Gleichungen ermittelt. Erwartungswerte ๐²๐ญ๐ = ๐²๐จ ๐²๐ซ + + ๐²๐ฌ ๐ ๐ ๐²๐ฉ๐ช๐ + ๐²๐ฉ๐ช๐ = ๐²๐จ ๐²๐ซ + + ๐๐²๐ฌ ๐ ๐ Schätzwerte ๐²๐ฌ = ๐²๐ท๐ + ๐²๐ท๐ + ๐²๐ญ๐ ๐ Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 21 HERITABILITÄT Berechnungen Operative Heritabilität (Varianzkomponentenmethode): Varianzkomponenten werden aus Feldversuchsserie berechnet und die Heritabilität entsprechend der Formel ๐² = ๐²๐ฎ ๐² ๐² ๐² ๐² ๐²๐ฎ + ๐ฎ๐ณ + ๐ฎ๐ + ๐ฎ๐ณ๐ + ๐น๐๐๐๐ ๐๐๐ ๐ต๐ณ ๐ต๐ ๐ต๐ณ๐ ๐ต๐ณ๐๐น wobei G = Genotypen, L = Orte (locations), Y = Jahre (years) und R = Wiederholungen (replications) sind; Ni = Anzahl der entsprechenden Faktoren WS 2013/14 Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 22 HERITABILITÄT Berechnungen Realisierte Heritabilität: Ziel einer Selektion auf quantitative Eigenschaften ist es, überlegene Genotypen auszulesen ⇒ Mittelwert einer Population von Genotypen in einer gewünschten Richtung verschieben. Die Änderung des Mittelwertes einer Population aufgrund von Selektion bezeichnet man als Selektionserfolg, (response to selection, R). Die phänotypische Differenz zwischen dem Mittelwert der selektierten Fraktion und dem Mittelwert der Ausgangspopulation wird als Selektionsdifferential S bezeichnet. Für die Schätzung der Heritabilität aufgrund des Selektionserfolges R werden neben R die phänotypische Standardabweichung des selektierten Merkmals in der Ausgangspopulation sP sowie die Selektionsintensität i (standardisiertes Maß für den Prozentanteil an Pflanzen, die aus der Ausgangspopulation selektiert werden) benötigt. ๐น = ๐² × ๐บ WS 2013/14 Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 23 SELEKTIONSERFOLG ๐บ = ๐๐๐๐๐๐๐๐ − ๐๐๐๐๐๐๐๐๐ ๐บ = ๐ × ๐๐ท ๐น = ๐² × ๐ × ๐๐ท ๐น ๐น ๐² = = ๐ × ๐๐ท ๐บ WS 2013/14 Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 24 SELEKTIONSERFOLG Die Selektionsintensität ist ein standardisierter Koeffizient, der angibt, um wie viele Standardabweichungen das Mittel der selektierten Pflanzen über dem Populationsmittel liegt. Selektionsintensität i in Abhängigkeit von % selektierter Pflanzen (a) Proportion Intensity of plants i ----------------------1.00 0.00 0.90 0.20 0.80 0.35 0.70 0.50 0.60 0.64 0.50 0.80 0.40 0.97 0.30 1.14 0.20 1.40 0.10 1.76 WS 2013/14 Proportion Intensity Proportion Intensity of plants i of plants i -------------------------------------------0.09 0.08 0.07 0.06 0.05 0.04 0.03 0.02 0.01 1.80 1.85 1.91 1.98 2.06 2.15 2.27 2.42 2.67 0.008 0.006 0.004 0.002 0.001 0.0008 0.0006 0.0004 0.0002 Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 2.74 2.83 2.96 3.17 3.38 3.43 3.51 3.61 3.79 25 SELEKTIONSERFOLG Der Selektionserfolg ist von drei Faktoren abhängig: (a) wie viel genetische Variation ist vorhanden (b) wie zuverlässig ist diese Variation zu erkennen (c) wie stark wird selektiert Eine Erhöhung und Maximierung des Selektionserfolges ist über jeden der drei beteiligten Faktoren möglich. ๐น = ๐² × ๐ × ๐๐ท ≡ ๐ × ๐ × ๐๐ฎ Die Heritabilität ist keine biologische Konstante, sondern sehr stark von der Art der züchterischen Prüfung abhängig. Bei Prüfungen an nur einem Standort bleibt auch bei sehr vielen Wiederholungen die Heritabilität niedrig, da die Interaktionen nicht erfasst werden. Aufgrund der Genotyp-Jahr-Interaktion ist die maximal erreichbare Heritabilität bei einjährigen Prüfungen begrenzt und kann auch durch eine sehr große Anzahl von Orten nicht auf die Höhe der Heritabilitäten von mehrjährigen Prüfungen angehoben werden. WS 2013/14 Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 26 SELEKTIONSERFOLG Selektionserfolg bei indirekter Selektion mit einem Hilfsmerkmal ๐น′ = ๐²′ × ๐′ × ๐ × ๐๐ท ′ Da der Korrelationskoeffizient r im günstigsten Fall 1 werden kann, normalerweise jedoch <1 ist, sollten i’ und/oder h²’ für das Hilfsmerkmal größer sein als i und h für das Zielmerkmal. Hilfsmerkmale sind also interessant, (a) wenn sie schnell und einfach in einer großen Anzahl an Material zu bestimmen sind, da dies eine höhere Selektionsintensität ermöglicht, (b) wenn sie eine hohe Heritabilität haben, und (c) wenn sie außerdem noch ausreichend hoch mit dem Zuchtziel korreliert sind. Weiterführende Literatur Allard RW, 1960: Principles of plant breeding. John Wiley & Sons, Inc., New York. Becker H, 1993: Pflanzenzüchtung. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart. Böhm H, Schuster W, 1985: Untersuchungen zur Heritabilität bei Mais (Zea mays L.). Z Pflanzenzüchtg 95:125-134. Bos I, Caligari P, 1995: Selection methods in plant breeding. Chapman & Hall, London. Gallais A, 1990: Théorie de la sélection en amélioration des plantes. Masson, Paris. Mahmud I, Kramer HH, 1951: Segregation for yield, height and maturity following a soybean cross. Agron J 43:605-609. WS 2013/14 Zuchtmethodik & Quantitative Genetik UX / 957.321 / Heinrich Grausgruber 27