Der Anlass - Die Kali- und Steinsalzschächte Deutschlands

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„Freies Wort“ vom 18.Febr. 2014:
Die Monuments Men von Merkers (von Ilga Gäbler)
Im April 1945 schrieb Merkers Weltgeschichte. Die Amerikaner fanden dort im
Bergwerk den Goldschatz der Nazis. Nun, fast 70 Jahre später, rückt der
Hollywood-Film „Monuments Men" den Ort erneut in den Fokus der
Weltöffentlichkeit. Eine Spurensuche (erster Teil). Von Ilga Gäbler
Bei Siegfried Baumgardt, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsvereins in
Merkers im Wartburgkreis, klingelt das Telefon in diesen Tagen häufiger als
sonst. Der Ortschronist ist vor allem bei Journalisten ein gefragter Mann. Wie
war das, als die Amerikaner in Merkers einmarschierten, wollen sie wissen. Doch
Baumgardt war damals nicht einmal geboren. Den derzeitigen Medienhype hat
wiederum ein Amerikaner losgetreten: Hollywood-Star George Clooney mit
seinem zur Berlinale vorgestellten Film „Monuments Men". Er setzte damit jenen
US-Kunstexperten in Uniform ein Denkmal, die in Feindesland auf der Suche
nach von den Nazis geraubten Kulturschätzen waren oder diese vor
Bombenhagel retten wollten. Drei der Männer rückten kurz vor Kriegsende mit
General Pattons 3. US-Panzerarmee in Merkers ein. Und wurden fündig. Dort
hatte das NS-Regime im sogenannten Raum 8 der Kali-Grube nahezu die
gesamten Gold- und Devisenbestände der Reichsbank und Kunstwerke von
unschätzbarem Wert versteckt. Sie stammten aus den Berliner Museen und der
Nationalgalerie. Darunter waren die berühmte Büste der Nofretete, Rembrandts
„Mann mit dem Goldhelm" oder Manets „Im Wintergarten". Doch davon ahnten in
jenen denkwürdigen Apriltagen die wenigsten Merkerser etwas. „Merkers war für
einige Tage das reichste Dorf der Erde und kaum ein Einwohner wusste es",
sagt Siegfried Baumgardt. Und wo waren die Monuments Men? Auf diese Frage
zucken viele Merkerser heute ahnungslos mit den Achseln. Sie sahen weder ein
Kamerateam, geschweige denn George Clooney. Aber immerhin gab's eine
Anfrage bei der K+S Kali GmbH für eine Drehgenehmigung im Erlebnisbergwerk.
Die Merkers-Szene im Clooney- Film entstand in den Babelsberger Studios. Was
aber geschah tatsächlich im April 1945 in Merkers? Viele Zeitzeugen leben nicht
mehr. Der 79-jährige Schustermeister Erich Gehb war damals ein Schuljunge,
gerade zehn Jahre alt. Seine Eltern betrieben eine Schusterwerkstatt und einen
Schuhladen. Heute stehen er und Siegfried Baumgardt im Andreas-Fack-Haus
am Fenster und schauen hinunter auf die Straße. Erich Gehb erinnert sich: „Es
war am Nachmittag des 4. April als die Amerikaner kamen. Auf der Straße stand
ein Panzer am anderen." Die GIs befahlen den Merkersern, alle Häuser oberhalb
der Bahnschienen zu räumen. „Das betraf den halben Ort. Die Amerikaner
brauchten Unterkunft", erzählt Erich Gehb. „Auch wir nahmen Ausquartierte auf.
Unser Haus war voller Leute, bis unters Dach." Schon Wochen zuvor war
Rätselhaftes passiert. Züge mit geheimer Ladung kamen an. Die ersten
Goldbarren und Banknoten sollen am 11. Februar gut verstaut in 22 Waggons
eingetroffen sein. Ein nächster Transport folgte im März. Gefangene brachten
Geld und Gold unter Tage. Kisten und Koffer mit Zahngold, Zigarettenetuis,
Diamanten, Ringen, Münzen und fremden Währungen folgten. Es war Raubgut
der SS. Das verriet die Aufschrift „Melmer" auf den Behältnissen. Es stammte
von Opfern in den Konzentrationslagern schreibt US-Historiker Greg Bradsher in
seiner Schrift „Nazi Gold: The Merkers Mine Treasure". Die Berliner Kunstwerke
erreichten Merkers trotz Luftangriffen vom 11. bis 31. März. Die promovierte
Kunsthistorikerin Tanja Bernsau aus Wiesbaden verfolgte den Weg in ihrer
Dissertation. Sie stützt sich auf Aussagen des Bevollmächtigten der Berliner
Sammlungen, Paul Ortwin Rave. Er hatte die kostbare Fracht nach Thüringen
begleitet. Schon 1943 hatte sich Rave bemüht, die Kunstwerke wegen der
Luftangriffe der Alliierten aus der Hauptstadt heraus zu bringen. Das lehnte Hitler
rigoros ab. Berlin sei uneinnehmbar. Also blieben die Bilder dort. Nunmehr
wurden sie jedoch in Tresoren der Deutschen Reichsmünze, in Flaktürmen am
Zoo und in Friedrichshain verwahrt. Ein sogenannter Führerbefehl, nach dem sie
zu sichern waren, erging erst am 6. März 1945. Da rückte die Rote Armee schon
auf Berlin vor. Eile war geboten. Die Kunstwerke wurden nur notdürftig verladen.
Etliche blieben ganz und gar zurück. Katja Bernsau will deshalb nicht
ausschließen, dass einige davon verbrannten, heute Berliner Wohnstuben
schmücken oder in russischen Museen hängen. Die anderen wurden hastig in
Berlin verpackt und ebenso hastig von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen
in den Schacht gebracht. Aber wie kamen die Amerikaner dem Schatz überhaupt
auf die Spur? Dazu gibt es unterschiedliche Geschichten. Die erste: USSoldaten sollen zwei französische Zwangsarbeiterinnen im Jeep mitgenommen
haben. Eine der Frauen war schwanger und wollte zur Hebamme. Als sie am
Bergwerk vorüberfuhren, redeten die Französinnen über das Gold im Schacht.
Die zweite Version: Ein englischer Gefangener soll den Amerikanern den Tipp
gegeben haben. Der Mann aus Südafrika hatte die Goldbarren mit in den KaliSchacht schaffen müssen. Er hatte auf Anhieb bemerkt, was er da gut umhüllt in
den Händen hielt. Schließlich war er von Beruf Bankangestellter. Einer dritten
Variante zufolge soll ein Reichsbank-Beamter das Versteck verraten haben. Wie
auch immer-Kunsthistorikerin Tanja Bernsau ist sich sicher: „Die Amerikaner
haben gezielt gesucht." Salzbergwerke waren sichere Plätze für Kunstwerke.
Auch wegen der gleichbleibenden Temperaturen eigneten sie sich gut als
Aufbewahrungsort. In der Merkerser Grube wurde nicht mehr gearbeitet. Aber
die US Truppen bewachten alle Zugänge streng. Zeitweise waren dafür mehr als
2000 Gls abgestellt. Auch Panzer gingen in Stellung. Am 7. April 1945 fuhren die
Amerikaner erstmals in den Schacht ein. Zeugen waren unerwünscht. Sie
bestellten
einige
wenige
deutsche
Fachleute
Elektriker
und
Fördermaschinisten- zum Werk. Ohne deren Hilfe fanden sich die US-Offiziere
im unterirdischen Labyrinth wohl kaum zurecht. Siegfried Baumgardts Onkel,
Hermann Fleischer, gehörte zu den Herbeigeholten. Wie viele andere
Augenzeugen auch, lebt der Elektromeister nicht mehr. Aus den Erzählungen
des Onkels und aus einem Schriftstück weiß der Neffe, was damals geschah.
Plötzlich stand der Trupp vor einer stählernen Tresortür. Die aber ließ sich nicht
öffnen. Deshalb sprengten sie die Ziegelmauer, die sie umschloss. Vor ihnen
breiteten sich zig Tausende auf dem Boden liegende braune Beutel aus. Sie
waren mit Gold und Geldscheinen gefüllt. In einem benachbarten Raum stießen
sie auf Gemälde. Die Offiziere beorderten am nächsten Tag Robert Posey und
Lincoln Kirstein nach Merkers, beide waren Monuments Men der 3. US-Armee.
Der texanische Ölmilliardär Robert M. Edsel suchte sie später in den USA auf
und hielt ihre Erlebnisse - wie die anderer Mitstreiter auch - in einem Buch fest.
Es lieferte den Stoff für Clooneys Film. Edsel schreibt: „Allmählich begriffen die
Monuments Men, was in den Stollen des Bergwerks in Merkers alles versteckt
war. Skulpturen in Kisten, eilig verpackt und mit Fotos aus Museumskatalogen
versehen, damit man wusste, was sich in den Kisten befand. Alte ägyptische
Papyrusurkunden in Metallbehältern, die durch das Salz im Bergwerk zu weicher
Pappe geworden waren. Es war keine Zeit, die kostbaren Objekte darin zu
untersuchen, denn in anderen Räumen befanden sich griechische und römische
ornamentale Kunstwerke, byzantinische Mosaiken, islamische Tapisserien,
Mappen aus Leder oder Steifleinen. Versteckt in einem unscheinbaren
Nebenraum entdeckten sie die Original-Holzschnitte von Albrecht Dürers
berühmter Apokalypse-Serie aus dem Jahr 1498. Außerdem befanden sich noch
weitere Kisten mit Gemälden - ein Rubens, ein Goya und ein Cranach waren mit
weniger bedeutenden Bildern zusammengepackt."
Geheime Operation:
Posey und Lincoln informierten George Stout, den Leiter der Spezialeinheit
„Monuments Men". Im Hollywood-Film wird er von George Clooney gespielt. Drei
Tage später schlug Stout in Merkers auf. Er sollte die Pläne für die Räumung der
Grube ausarbeiten. Die Merkerser spürten, um sie herum passierte
Spektakuläres. „Auf den Werrawiesen landeten kleine Flugzeuge", entsinnt sich
Erich Gehb. „Eines Tages hieß es, Dwight D. Eisenhower sei dagewesen." Und
es stimmte sogar. Der Oberbefehlshaber der Alliierten in Westeuropa und
spätere US-Präsident war tatsächlich in Merkers. Hochrangige US-Generäle im
Schlepptau inspizierte er am 12. April persönlich den Nazi-Schatz. Überstürzt
transportierten die Amerikaner zwischen dem 15. und 17. April Gold, Geld und
Kulturgüter ab. Keinesfalls wollten sie, dass die Rote Armee davon Wind bekam.
Nach dem Abkommen von Jalta sollte Thüringen - und damit auch Merkers russische Besatzungszone werden. Die Amerikaner hätten den Schatz an die
Russen abtreten müssen. Das aber wollten sie nicht. Der Abtransport verlief
darum streng geheim. Sie verhängten im ganzen Dorf eine Ausgangssperre.
„Alle mussten in den Häusern bleiben. Es durfte sich keiner blicken lassen - auch
nicht am Fenster", erklärt Erich Gehb. GIs säumten die Straße – jederzeit die
Gewehre im Anschlag - als der Kunst- und Gold-Konvoi Merkers in Richtung
Frankfurt am Main verließ. „Wir versuchten trotzdem, einen Blick auf die
Fahrzeuge zu erhaschen und sahen darauf die vielen Säcke", erzählt Erich
Gehb. Was drin war, sollten die Merkerser aber erst viel später erfahren.
Eine Spezialeinheit von Kulturschützern in Uniform:
• Die Monuments Men waren von 1943 bis 1951 Soldaten einer amerikanischbritischen Spezialeinheit in den Streitkräften der westlichen Alliierten. Sie trugen
allerdings keine Maschinengewehre.
• Ihr Auftrag bestand darin, geraubte Kulturgüter aufzuspüren und
zurückzuführen. Zudem setzten sie sich dafür ein, Kulturgüter in Kampfgebieten
des Zweiten Weltkriegs vor der Zerstörung zu bewahren.
• Im Zivilleben waren sie beruflich in Kunst und Kultur tätig.
• Insgesamt waren in dieser Spezialeinheit etwa 350 Frauen und Männer aus 13
Ländern tätig.
• George Clooneys neuer Film „The Monuments Men" (deutscher Titel:
„Ungewöhnliche Helden") läuft ab Donnerstag bundesweit in den
Lichtspielhäusern an, darunter beispielsweise auch in Suhl und Bad Salzungen.
„Freies Wort“ vom 01. März 2014:
Die Odyssee der bunten Königin (von Ilga Gäbler)
Die Amerikaner entdeckten im April 1945 den Nazi-Schatz in der Kali-Grube in
Merkers. Dazu gehörten auch viele wertvolle Kulturgüter aus den Berliner
Museen - unter anderem die Nofretete. Kunsthistorikerin Tanja Bernsau folgte
ihrer Spur (zweiter Teil). Von Ilga Gäbler.
„Ich war einfach fasziniert von ihr", schwärmt Ingeborg Häuser von jenem
Moment, als sie der weltbekannten Nofretete erstmals gegenüberstand.
Mittlerweile ist das 58 Jahre her. Die Bad Salzungerin, die demnächst ihren 80.
Geburtstag feiert, begegnete der berühmten Ägypterin 1956. 47 Zentimeter groß
und 3300 Jahre alt war die schöne Königin der Blickfang einer Ausstellung im
Landesmuseum im hessischen Wiesbaden. „Zu dieser Zeit konnte man noch
problemlos mit dem Zug vom Osten in den Westen fahren", erzählt Ingeborg
Häuser, die ihre Verwandten in Wiesbaden besuchte. „Ich hatte noch nicht von
der Nofretete gehört." Geschweige denn davon, dass die wertvolle
Kalksteinplastik, nur wenige Kilometer von Bad Salzungen entfernt, im Merkerser
Kalibergwerk in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs versteckt worden war.
Als Ingeborg Häuser in unserer Zeitung über die „Monuments Men" und George
Clooneys Film liest, erinnert sie sich wieder an diese Begebenheit. Wie aber kam
Nofretete in jenen Apriltagen 1945 vom thüringischen Merkers ins hessische
Wiesbaden? Kunsthistorikerin Tanja Bernsau kann darüber Auskunft geben. Sie
schrieb ihre Doktorarbeit über die Monuments Men, jene anglo-amerikanischen
Kunstschutz-Offiziere, die im Zweiten Weltkrieg europäische Kulturgüter vor der
Zerstörung retten wollten. Drei dieser Denkmal-Männer wurden kurz vor
Kriegsende auch nach Merkers im heutigen Wartburgkreis gerufen. Die
Amerikaner hatten dort tief unter der Erde Kulturgüter der Berliner Museen sowie
die Gold- und Devisenbestände der Reichsbank aufgestöbert. Es waren George
Stout, der Leiter der Kunstschützer, seine Mitarbeiter Robert Posey und Lincoln
Kirstein, die den spektakulären Fund begutachteten und dessen Abtransport
organisierten. Tanja Bernsau folgte nicht nur der Spur der Monuments Men, sie
erforschte auch, was aus den Kunstwerken wurde. Doch zurück nach Merkers.
Die US-Soldaten holen Gold, Geld und Kunst in einer streng geheimen Aktion
aus dem Schacht. Während des Abtransports verhängen sie eine
Ausgangssperre. Kein Bürger darf sich im Dorf blicken lassen. Die ersten der 32
Zehn-Tonnen-Laster rollen am 14. April 1945 - voll beladen mit Schätzen vom
Werksgelände der damaligen Kasseler Wintershall AG. Flugzeuge kreisen über
dem Tross. Zudem sichert eine motorisierte Infanterie-Eskorte die kostbare
Fracht ab. Immer wieder kursieren Gerüchte um den Nazi-Schatz. Auf dem Weg
nach Frankfurt soll plötzlich einer der Laster verschwunden sein. Andere Quellen
berichten gar von drei „umgelenkten" Lkw. Ebenso soll so manches Souvenir ins
Sturmgepäck der GIs gewandert sein. Aber auch das gab es: US-WeltkriegsVeteran Robert Thomas kehrt viele Jahre später über den großen Teich nach
Merkers zurück. Dabei hat er zwei kostbare Bücher aus dem 16. Jahrhundert.
Als 18-jähriger Soldat hatte er sie aus dem Schacht im hessischen Ransbach unweit von Merkers - mitgehen lassen. Inzwischen ist er weit über 80 und meint:
Die Bücher sollen dorthin, wo sie hingehören. Über die Ankunft der Kunstgüter in
Frankfurt am Main schreibt Robert Edsel, der Autor des Buches „Monuments
Men": „Auf Stouts Liste waren 393 Gemälde (noch nicht in Kisten verpackt),
2091 Kartons mit Grafiken, 1214 Körbe und 140 Textilien verzeichnet, die den
Großteil der preußischen Staatssammlung darstellten." Nach mehr als fünf
Stunden Fahrt ab Merkers stoppt der Konvoi vor dem Reichsbankgebäude in
Frankfurt. Dort ist erst einmal Zwischenstation für die Kunstwerke. Doch schon
bald geht die Reise weiter nach Wiesbaden, ins Landesmuseum. Da hat die USArmy einen jener „Collecting Points" – sogenannte Sammelpunkte - eingerichtet.
Beim Gros der dort eingelagerten Kunstwerke habe es sich weniger um
Beutekunst der Nazis gehandelt, sondern um deutschen Museumsbesitz, erklärt
Bernsau. Sie stammten nicht nur aus den Berliner Museen wie im Fall von
Merkers, sie kamen ebenso aus dem Wallraff-Richartz-Museum in Köln, der
Gemäldegalerie in Mannheim oder aus dem Städel in Frankfurt am Main. Anders
verhalte sich das beim Münchner Collecting Point, meint die Expertin. Die dort
zusammengetragenen Werke seien in erster Linie Raubkunst gewesen. Die
meisten davon sollten das „Führermuseum" schmücken, das Hitler im
österreichischen Linz plante. Wie viele Kulturgüter strandeten nun eigentlich in
Wiesbaden? Tanja Bernsau zuckt mit den Schultern. Auf eine Zahl will sich die
Kunsthistorikerin nicht festlegen. „Vielleicht waren's 700000. Darunter befanden
sich auch die aus Merkers, unter anderem der Welfenschatz, Rembrandts
Gemälde „Der Mann mit dem Goldhelm", Manets „Im Wintergarten" und die
Nofretete." Sie alle kommen in die Obhut von Walter Farmer – ein Monuments
Man, der den Collecting Point in Wiesbaden leitet. Als die ersten Kunstwerke im
Sommer 1945 eintrudeln, sind sie in Kisten verpackt: Manche sind arg
beschädigt, haben Risse. Andere sind verschmutzt oder es hat sich Salz auf
ihnen abgelagert. „Bei der Vielzahl der Güter konnte das kleine Team um Walter
Farmer nur das Allernötigste tun, um sie zu retten", sagt Tanja Bernsau.
Unterstützt
werden
die
amerikanischen
Besatzer
von
deutschen
Museumsmitarbeitern. Tanja Bernsau erzählt die Geschichte von Sergeant
Kenneth Lindsay. Dem damals 20-jährigen US-Kunsthistoriker fiel im
Sammelpunkt eine Kiste besonders auf. „Bunte Königin" stand darauf. Lindsay
öffnete sie vorsichtig und erblickte plötzlich die Nofretete. In einem
Fernsehinterview soll Lindsay später gesagt haben: In diesem Moment sei er
völlig aus dem Häuschen gewesen. Schließlich habe er die schönste Frau der
Welt in Händen gehalten. Die Kunstschutzoffiziere organisieren in der
Wiesbadener Sammelstelle Ausstellungen. Immer ist die Nofretete der Star und
Publikumsliebling, um die geheimnisvolle Ägypterin zu sehen. Ebenso Gemälde
von Rembrandt, Dürer, Holbein oder von Vermeer. Und das trotz großer
Alltagssorgen. Denn viele hungern in diesen schweren Zeiten und hausen in
Ruinen. Die erste Schau 1946 zählt 63000 Besucher. Im November 1945
erreicht Direktor Farmer eine Hiobsbotschaft. In einem Telegramm befiehlt ihm
sein Vorgesetzter General Clay, 200 Gemälde in die USA zu schicken. In
Deutschland seien sie nicht sicher, lautet die Begründung. Und dabei bewachen
bewaffnete GIs den Sammelpunkt. Farmer befürchtet Schlimmes. Sollen die
Kunstwerke nie wieder nach Deutschland zurückkehren? Will die US-Regierung
reiche Beute machen? Ihm schießen die wildesten Szenarien durch den Kopf.
Wollen sich die Amerikaner etwa auch als Kunsträuber gebärden? Mit Farmer ist
das nicht zu machen. Er war nach Deutschland gekommen, um Kulturgüter zu
schützen und das Kulturerbe einer Nation, auch das der Deutschen, zu
bewahren, sagt Bernsau. Er schlägt Alarm, ruft die in Europa stationierten
Monuments Men zusammen. Sie verfassen das „Wiesbadener Manifest". Darin
machen sie der US-Regierung klar, dass die Kunstwerke in Deutschland bleiben
müssen. Das Protestschreiben aber erreicht Washington vorerst nicht. Ein
Vorgesetzter hat es nicht weitergeleitet. Zum Glück. Denn die Denkmal-Männer
sind auch Soldaten. „Man hätte sie wegen Befehlsverweigerung vor ein
Kriegsgericht stellen können", erläutert Bernsau. Die 200 Kunstwerke werden
indessen verschifft. Doch viele der inzwischen heimgekehrten Monuments Men
geben in den USA keine Ruhe. Sie informieren die Öffentlichkeit über die
Gemälde aus Deutschland. „Schließlich wird das Wiesbadener Manifest im New
Yorker publiziert", erzählt Tanja Bernsau. Der öffentliche Druck ist groß. USPräsident Harry S. Truman lenkt ein. Nach einer Ausstellungstournee gelangen
die Kunstwerke wieder nach Deutschland. Bis aber die Nofretete wieder in Berlin
- früher in Charlottenburg, heute auf der Museumsinsel - zu bewundern ist,
sollten viele Jahre vergehen. Tanja Bernsau sieht die Rolle der Monuments Men
freilich nicht so patriotisch wie George Clooney. Doch sie mag den
Hollywoodstar. „Sein Film hat das Thema und meine Dissertation ins Gespräch
gebracht. Und Ingeborg Häuser sammelt weiter Geschichten, die in Bad
Salzungen und Umgebung passierten. Die vom Goldschatz in Merkers und von
der bunten Königin gehört dazu.
• Tanja Bernsaus Dissertation „Die Besatzer als Kuratoren? Der Central
Collecting Point Wiesbaden als Drehscheibe für einen Wiederaufbau der
Museumslandschaft nach 1945" ist 2013 im LIT Verlag erschienen.
• Ingeborg Häusers „Geschichten und Erzählungen" sind in der Bad Salzunger
Geschäftsstelle dieser Zeitung im Medienzentrum erhältlich.
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