Prof. Dr. S. Weigelin-Schwiedrzik Wintersemester 2000/2001 Vorlesung: Einführung in die chinesische Geschichte des 20.Jahrhunderts Teil VI: Der Chinesisch-Japanische Krieg 6.1 Der Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke und seine Folgen Es wird allgemein davon ausgegangen, daß der chinesisch-japanische Krieg am 7. Juli 1937 begann. An diesem Tag nämlich lieferten sich chinesische und japanische Soldaten an der Marco-Polo-Brücke in der Nähe von Peking ein Feuergefecht, das den Höhepunkt einer Reihe von militärischen Vorstößen darstellt, welche die japanische Armee von der seit 1931 besetzten Mandschurei aus gegen Chinas Nordosten lanciert hatte. Doch kann von einer bewußten Ausweitung der militärischen Operationen mit dem Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke aus heutiger Sicht nicht die Rede sein. Vielmehr war es in der Dunkelheit zu einem Schußwechsel gekommen, der, so die japanische Version, von chinesischen Soldaten provoziert worden war. Die japanische Seite vermißte einen Soldaten und forderte Einlaß in die Garnison von Wanping. Diesen verschaffte sie sich mit militärischen Mitteln, da die chinesische Seite den Zutritt verwehrt hatte. Am 9. Juli informierte die japanische Armee ihre Gegner, daß der vermißte Soldat wieder aufgefunden worden sei, und erweckte damit den Anschein, der nächtliche Zwischenfall vom 7. Juli sei als abgeschlossen zu betrachten und habe keine über ihn hinausweisende Bedeutung1 . Die chinesische Version der Ereignisse verweist freilich auf den systematischen Charakter des Vorgehens seitens der japanischen Armee und unterstellt, daß japanische Soldaten den ersten Schuß an der Marco-Polo-Brücke abgegeben haben. Die kommunistische Partei rief bereits einen Tag nach dem Zwischenfall das Volk des ganzen Landes zum Widerstand gegen Japan auf, während sich die Nationalregierung unter Tschiang Kaishek erst am 7. August zu einem umfassenden Widerstandskrieg entschließen konnte. Tschiang Kaishek und seine Berater beschlossen, zu diesem Zwecke Elitetruppen nach Shanghai zu verlagern und sich dort der militärischen Auseinandersetzung mit Japan zu stellen. Nach anfänglichen Erfolgen der chinesischen Truppen erhielten die Japaner Verstärkung, und es kam zu einer drei Monate währenden Schlacht, in deren Verlauf 270000 chinesische Soldaten und 40000 Japaner, ganz zu schweigen von den zahlreichen zivilen Opfern, getötet und verwundet wurden. Auch bezogen auf die internationale Lage kam es im Jahr 1937 zu entscheidenden Veränderungen: Die japanische Seite hatte Ende Juli durch Prinz Konoe Fumimaro verkünden lassen, es müsse eine grundlegende Lösung in China gefunden werden. Dabei ging man von der Zurückhaltung Amerikas und Englands gegenüber den Forderungen Tschiang Kaisheks, China in seinem Konflikt mit Japan zu unterstützen, aus und rechnete damit, daß auch die Sowjetunion sich Beschränkungen auferlegte, obwohl sie von der japanischen Besetzung der Mandschurei direkt tangiert war. Erst Ende 1937, wenige Monate nach dem Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke, änderte sich diese Lage: Nachdem im August 1937 der Nicht-Angriffspakt zwischen China und der Sowjetunion abgeschlossen worden war, erklärte sich die Sowjetunion bereit, die chinesische Armee mit Flugzeugen und Panzern auszurüsten. Präsident Roosevelt verkündete im Oktober 1937, die Aggressoren müßten von allen friedliebenden Völkern in ihre Schranken verwiesen werden, und auch 1 Vgl. hierzu insbesondere: Eastman, Lloyd E.: Nationalist China During the Sino-Japanese War 1937-1945. In: Fairbank, John K. und Albert Feuerwerker (hg.): The Cambridge History of China (CHOC), Vol. 13, Republican China 1912-1949, Part 2, Cambridge/Ma. 1986, S. 547-608. 1 Großbritannien war bereit, sich an der Isolierung Japans zu beteiligen. Damit hatte Tschiang Kaishek endlich das seit Anfang der dreißiger Jahre verfolgte Ziel erreicht: die internationale Unterstützung für China und damit die nach seiner Auffassung wichtigste Voraussetzung dafür, daß China sich erfolgreich gegen die japanische Aggression zur Wehr setzen konnte.2 6.2 Erfolge der japanischen Truppen und Niederlagen auf seiten der chinesischen Truppen Die japanischen Truppen stellten sich im weiteren Verlauf der Aufgabe, die beiden Kriegsgebiete im Nord- und Südosten Chinas zu vereinigen. Nach dem Fall Shanghais griffen sie Nanking an und nahmen die Hauptstadt der Republik China unter Inkaufnahme einer hohen Zahl von zivilen Opfern (Massaker von Nanking) am 12.Dezember 1937 ein. Die Regierung verlegte ihren Sitz schrittweise ins Hinterland, wobei sie sich vor der vorrückenden japanischen Armee bis nach Sichuan flüchten mußte und Chongqing zur provisorischen Hauptstadt machte. Gleichzeitig konzentrierte sie die best ausgebildeten und ausgerüsteten Truppen bei Wuhan. Im Juli 1938 standen 380000 Mann unter General Shunroku Hata, mit schwerer Artillerie, Flugzeugen und einer Flotte von Landungsbooten, Kreuzern und Zerstörern ausgerüstet, 800000 chinesischen Soldaten vor den Toren Wuhans gegenüber. Bis Ende September dauerte die Schlacht, bevor die japanische Armee durch zahlreiche Verletzte und Gefallene geschwächt, die Eroberung Wuhans verkünden konnte. Mit der wenig später erfolgenden Einnahme Kantons waren damit Japans Kriegsziele in Zentral- und Südchina erreicht. Eine weitere Ausdehnung der militärischen Operationen war hier nicht geplant. Zugleich steht das Jahr 1938 auch für stetige militärische Erfolge der japanischen Truppen im nördlichen Operationsgebiet. Nachdem bereits Ende 1937 mehrere wichtige Verkehrsknotenpunkte wie Shijiazhuang, Baoding und Taiyuan eingenommen werden konnten, gerieten 1938 mehrere Eisenbahnlinien unter ihre Kontrolle. In kürzester Zeit war es den japanischen Truppen damit gelungen, das chinesische Hinterland von seiner industriellen Basis an der Küste abzuschneiden. Eine Hungersnot breitete sich aus, und Tausende von Zivilisten kamen ums Leben, als in einer letzten Abwehraktion beschlossen wurde, am 12. Juli 1938 den Deich des Gelben Flusses zu zerstören.3 6.3 Diplomatische Bemühungen und die Wende mit Pearl Harbour4 Auf dem diplomatischen Parkett blieb der Nationalregierung kaum mehr, als ein doppeltes Spiel zu spielen: Zum einen hielt sie an der Notwendigkeit des bewaffneten Widerstandes fest und ließ sich auf keine japanischen Forderungen ein, die darauf hinausliefen, die Niederlage Chinas anzuerkennen. Zum anderen wurden Emmissäre nach Japan geschickt, um dort über einen Modus vivendi zu verhandeln. An dieser Situation änderte sich erst etwas, als 1941 die japanische Luftwaffe ihren Angriff auf Pearl Harbour flog und damit der sino-japanische Konflikt mit der japanisch-amerikanischen Auseinandersetzung verschmolz und China zu einem voll anerkannten Mitglied der großen Allianz gegen die Achsenmächte avancierte. Von diesem Augenblick an war der sino-japanische Konflikt soweit internationalisiert, daß er als Teil des 2.Weltkrieges betrachtet und in entsprechende strategische Überlegungen einbezogen wurde. 2 Akira Iriye: Japanese Aggression and China's International Position, 1931-1949. In: CHOC, a.a.O., S.492-546. 3 Williamsen, Marvin: The Military Dimension. In: Hsiung, James C. und Steven 1. Levine (hg.): China's Bitter Victory. The War With Japan 1937-45. Armonk, New York und London 1992, S.136-142. 4 Garver, John W.: China's Wartime Diplomacy. In: Hsiung, James C. und Steven 1. Levine, a.a.0., S.3-32. 2 6.4 Die kommunistische Partei im antijapanischen Krieg Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) hatte schon früher als die Nationalregierung der Guomindang (GMD) dazu aufgerufen, aktiven Widerstand gegen die japanische Invasionsarmee zu leisten. Der erste Aufruf dieser Art erfolgte von Moskau aus, wo die Mission der KPCh bei der Komintern während des 7. Kominternkongresses in Übereinstimmung mit der dort beschlossenen neuen Politik zur Bildung einer Einheitsfront gegen die japanischen Aggressoren aufrief. Im Dezember 1935, also noch während des Langen Marsches, befaßte sich das Politbüro der Partei mit dieser Problematik auf einer Sitzung in Wayaobao, und am 5.Mai 1936 richtete das Zentralkomitee der KPCh ein Einheitsfrontangebot an die Nationalregierung in Nanking. Zu einer entsprechenden Vereinbarung zwischen KPCh und GMD kam es jedoch erst, nachdem sich die KPCh geschickt in die Lösung des Xian-Zwischenfalles eingebracht hatte, in dessen Verlauf Tschiang Kaishek von Zhang Xueliang und Yang Hucheng, zwei prominenten Militärmachthabern aus Chinas Nordosten, als Geisel genommen und 10 Tage gefangengehalten worden war. Die KPCh entsandte Zhou Enlai, um angesichts der Forderung von Zhang und Yang, den Widerstand gegen Japan zu verstärken, Tschiang im Austausch gegen seine Freilassung von der Notwendigkeit der antijapanischen Einheitsfront zu überzeugen. Im Gegenzug verzichtete die KPCh auf ihren Anspruch, mit der Sowjetrepublik ein eigenes Gebilde mit nationalstaatlichem Anspruch aufzubauen, und unterstellte ihre Truppen dem Oberkommando Tschiang Kaisheks. Während in den ersten Jahren des anti-japanischen Krieges alle wichtigen Schlachten zwischen japanischen Truppen und Einheiten der Regierungsarmee mit einer Niederlage der chinesischen Seite endeten, gelang es den Kommunisten, im Norden Chinas hinter den Linien dem Feind Verluste zuzufügen und ihn in größere Schlachten zu verwickeln. So erkämpfte die 8.Route-Armee im September 1938 den ersten Sieg auf chinesischer Seite seit Juli 1937 bei Pingxingguan, wobei nach kommunistischen Angaben 3000 japanische Soldaten getötet wurden. Ein weiterer bedeutender Sieg gelang ihnen in der Schlacht der 100 Regimenter (bai tuan zhanyi), an der sich auf chinesischer Seite 400000 Soldaten der 8.Route-Armee an einem Gefecht beteiligten, das über 3 Monate dauerte und japanischen Quellen zufolge 20645 Japanern sowie 5155 chinesischen Soldaten der Armee des Marionettenregimes unter Wang Jingwei das Leben kostete. Tschiang Kaishek seinerseits stand der "Einheitsfront" mit der kommunistischen Partei von Anfang an skeptisch gegenüber und ließ keine Gelegenheit ungenutzt, die Kommunisten in ihren Entfaltungsmöglichkeiten zu behindern. Bereits Ende 1939 kam es zu ersten militärischen Auseinandersetzungen zwischen Truppen der Nationalregierung und Guerillaeinheiten der Kommunisten und 1940 zu dem Zwischenfall mit der Neuen 4.Armee unter ihrem Führer Xiang Ying, bei dem Truppen der Nationalregierung mit über 50000 Mann die 9000 Soldaten der Neuen 4.Armee angriffen, 5000 davon gefangen nahmen und die übrigen töteten. Mit diesem „Zwischenfall“ gilt heute die Zusammenarbeit von KPCh und GMD im Krieg gegen Japan als beendet, und von diesem Augenblick an hat die kommunistische Partei den Widerstandskrieg gegen Japan dazu benutzt, sich auf einen Bürgerkrieg mit den Truppen der Guomindang vorzubereiten. 5 5 Wu, Tien-wei: The Chinese Communist Movement. In: Hsiung, James C. und Steven I. Levine (hg.), a.a.O., S.79-106. 3 6.5 Chinas militärische Kooperation mit den Alliierten6 Nach dem Beginn des Pazifischen Krieges wurde China praktisch von der Außenwelt abgeschnitten. Durch die Besetzung von Hongkong, Singapore, Malaya, Burma und weiten Teilen Südost-Asiens konnte China nur noch mit Flugzeugen oder von Rußland kommend auf dem Landweg über Xinjiang beliefert werden. Diese Isolation bedingte nicht nur die geradezu notorische Schwäche der chinesischen Truppen, mit dieser Schwäche einhergehend verschärfte sich auch der Widerspruch zwischen Chinas Status als Mitglied der Anti-Achsenmächte-Allianz und dem vergleichsweise kleinen Beitrag, den es zum Sieg über Japan zu leisten imstande war. Die Zusammenarbeit zwischen den USA und China gestaltete sich von Anfang an schwierig. Zwar setzte die amerikanische Regierung den Chinakenner Joseph W. Stilwell im Februar 1942 als Kommandeur über alle amerikanischen Truppen in China, Burma und Indien und persönlichen Repräsentanten des amerikanischen Präsidenten gegenüber Generalissimo Tschiang Kaishek ein, doch sollte sich bald herausstellen, daß er trotz (oder vielleicht sogar: wegen) seiner China-Expertise auf enorme Gegenwehr in Chongqing stieß. Dennoch gelang es Stilwell 1943, seinen Plan der Wiedereroberung Burmas wahr zu machen. Er führte Divisionen der 38. und 22. chinesischen Armee nach Burma, wo es ihm gelang, einen Teil des Nordostens zurückzuerobern und damit Arbeiten an der neuen Straße von Ledo nach China zu ermöglichen Dies war der erste Sieg von chinesischen Regierungstruppen gegen die japanische Armee, ein Sieg allerdings, der außerhalb des eigenen Territoriums errungen wurde. Mit Fortgang des Krieges auf dem Pazifik und der Umsetzung der Strategie des "island hopping" geriet Japan in die Defensive, und die Frage, wie und von wo aus Angriffe auf Japan selbst lanciert werden könnten, zu einem Punkt, an dem China trotz seiner militärischen Schwäche und seines inneren Verfalls wieder an Bedeutung gewann. Im April 1944 wurde ein Plan beschlossen, der andauerndes Bombardement auf Japan von B-29-Bomber-Stützpunkten in China aus vorsah. Der erste Einsatz wurde im Juni 1944 geflogen, doch wegen Versorgungsschwierigkeiten konnten die B-29-Bomber ihre Mission nie im geplanten Sinne erfüllen. Bald wurden sie durch Flugzeuge ersetzt, die von Saipan, Tinian und Guam aus japanische Städte bombardierten. 6.6 Das Ende des Krieges und die Kapitulation Japans Der japanische Druck auf die Truppen der Nationalregierung hatte sich seit dem Angriff auf Pearl Harbour deutlich vermindert. Dennoch sah sich die japanische Armee gezwungen, so schnell wie möglich eine vollständige Unterwerfung Chinas herbeizuführen. Zu diesem Zwecke wurde bereits 1942 beschlossen, bei nächster Gelegenheit eine weitere Offensive auf dem chinesischen Festland zu starten. Im Verlauf der sogenannten Operation Ichigo kam es zu erheblichen Verlusten auf der chinesischen Seite, 23000 t an Waffen und Munition waren verschossen worden, 750000 Soldaten auf chinesischer Seite außer Gefecht gesetzt worden. Hunan ging an die Japaner verloren und damit eine weitere Provinz, die mit ihrer Reisproduktion für die Versorgung der Truppen wie der Bevölkerung von entscheidender Bedeutung war. Im Gegensatz zu den übrigen Alliierten, die an Stärke gewannen, je mehr sie sich ihrem Sieg über Japan näherten, wurde China zum Ende des Krieges hin immer schwächer. Das Ende des sino-japanischen Krieges mit der Kapitulation Japans im August 1945 kam ebenso überraschend wie sein Anfang. Obwohl im chinesischen Felde nahezu unbesiegt, ging Japan als Verlierer aus den Kämpfen hervor; und obwohl die chinesische Regierungsarmee auf chinesischem Boden nicht eine Schlacht hatte siegreich für sich entscheiden können, 6 Vgl. für eine sehr eingängige Darstellung: Renzi, William A. und Mark D. Roehrs: Never Look Back. A History of World War II in the Pacific. Armonk, London 1991. 4 befand sie sich auf der Seite der Sieger im Kampf der Alliierten gegen die Achsenmächte. Der Beitrag Chinas zum Sieg über Japan bestand darin, daß es so viel an menschlichen und materiellen Ressourcen binden konnte, daß die japanische Armee im Pazifischen Krieg trotz ihrer anfänglichen Überlegenheit in vergleichsweise kurzer Zeit geschlagen werden konnte. Im Austausch dafür hatte China seine internationale Stellung erheblich verbessern können: Die USA und Großbritannien hatten bereits 1943 auf Exterritorialrechte verzichtet und damit dem System der „ungleichen Verträge“ ein Ende gesetzt. Die Souveränität Chinas für die Zeit nach dem Ende des Krieges schien damit gesichert. Tschiang Kaishek war bei der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde zugegen und hatte damit Gelegenheit, vor der ganzen Welt die Bedeutung Chinas für den Sieg über Japan zu demonstrieren. Der Preis jedoch, den China für diesen „Sieg“ bezahlen mußte, war keineswegs klein: Die Zahl der getöteten Soldaten und zivilen Opfer liegt zwischen 15 und 20 Millionen.7 (histovor8.doc) 7 Zu der Zahl vgl. : Eastman, Lloyd E.: Nationalist China During the Sino-Japanese War 1937-1945. In CHOC, Vol. 13, Republican China 1912-1949, Part 2, Cambridge/Ma. 1986, S.547, Fußnote 1. Zur Bedeutung Chinas während des 2. Weltkrieges vgl.: Osterhammel, Jürgen: China und die Weltgesellschaft. Vom 18.Jahrhundert bis in unsere Zeit. München 1989, S.313-328. 5