> DIE ZEIT > > > 37/2004 > > > Die Freiheit eines Mörders > > Alle Welt fahndet nach Radovan Karadziç;. Obwohl der bosnisch-serbische > Expräsident und Kriegsverbrecher viele Spuren hinterlässt, wird er nicht > gefunden. Warum? > > Von Marc Wiese > > Seine Finger zittern, als er sich die Beinprothesen anlegt. Seit Jahren kann > er ohne sie nicht mehr laufen. Mühsam zieht sich Zelko Kopanja an dem > Geländer an der Wand hoch. Langsam beginnt er sich anzukleiden. Er schwankt > unbeholfen, als er sich die Hose über die künstlichen Beine zieht. Dann > nimmt er seine beiden Krücken und stakst Schritt für Schritt die Holztreppe > herunter. In der Küche setzt er Kaffeewasser auf und stellt das Radio an. > »Die internationalen SFor-Truppen haben bei ihrer Fahndung nach Radovan > Karadziç; den gesuchten Kriegsverbrecher erneut knapp verpasst«, schallt > es in bosnischer Sprache aus dem Lautsprecher.Radovan Karadziç; besucht > kurz vor Kriegsende 1995 die Stadt Banja LukaFoto: Milivoje Pavicic/AP > > »Karadziç; habe ich all das zu verdanken«, sagt Kopanja leise und schaut > auf seine künstlichen Beine. Er hatte sich seit Ende des Krieges in Bosnien > am 21. November 1995 mit seiner Gazette Nezavisne novine (auf Deutsch > schlicht: »Unabhängige Zeitung«) auf die Fährte Radovan Karadziç;' > gesetzt. Wieder und wieder prangerte er mit seinen Artikeln an, dass sich > der gesuchte Kriegsverbrecher noch immer in Freiheit befände. Kopanja, > selber ein Serbe, begann, eine große Serie über die Kriegsverbrechen seiner > Landsleute zu schreiben. Der Aufhänger war Radovan Karadziç;. »Ich war > der Erste, der in der Serbischen Republik Bosniens offen über unsere eigenen > Kriegsverbrechen schrieb«, erinnert sich der Journalist. Als er die Serie > startete, habe die Redaktion fast täglich Drohungen erhalten, mit Prügeln > hätten sie gerechnet, »aber an so etwas habe ich nie gedacht. Ich kann bis > heute nicht glauben, dass mich jemand wegen meiner Artikel umbringen > wollte.« > > Zeitweise jagen ihn fast 50.000 Nato-Soldaten > > Es passierte einen Tag nach seinem 45. Geburtstag. Kopanja befand sich auf > dem Weg in die Redaktion. Er überlegte noch kurz, ob er zu Fuß gehen sollte. > Doch dann stieg er ein in seinen blauen Golf. Die Bombe explodierte unter > ihm, als er den Zündschlüssel herumdrehte. »Es gab einen sehr, sehr lauten > Knall. Plötzlich sah ich meinen rechten Fuß neben mir auf dem Beifahrersitz > liegen, ich verlor das Bewusstsein.« Sechs Monate kämpfte Kopanja mit dem > Tod. > > Radovan Karadziç; befehligte während des Krieges in Bosnien die > serbischen Truppen. Sein erklärtes Ziel war die vollständige Vertreibung > aller Muslime. Am Ende des Krieges befanden sich vier Millionen Menschen auf > der Flucht, fast 200.000 waren tot. Bilder der Kämpfe gingen um die Welt: > Sarajevo unter Beschuss und Gefangene hinter Stacheldraht in dem Lager > Omarska und - die Gräueltaten in der Enklave Srebrenica. Auf Karadziç; > Weisung wurden dort in der zweiten Juliwoche 1995 fast 8.000 unbewaffnete > Männer, darunter auch Jugendliche, hingerichtet. Die Ereignisse sind > bekannt, auch die Rolle des Radovan Karadziç;. Er gilt als einer der > Organisatoren des Massenmordes. > > Nur zwei Wochen nach dem Fall von Srebrenica wird Karadziç; vom > Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Verbrechen gegen die > Menschlichkeit angeklagt. Fünf Millionen Dollar werden auf seinen Kopf > ausgesetzt. Nach Osama bin Laden ist Karadziç; der meistgesuchte Mann > der Welt. Zeitweise jagen ihn fast 50.000 Nato-Soldaten der internationalen > SFor-Truppen. Doch gefasst haben sie ihn bis heute nicht, dabei ist Bosnien > ein kleines Land. Seit dem Beginn der Suche nach Radovan Karadziç; hält > sich hartnäckig die Vermutung, dass seine Verhaftung nie wirklich erwünscht > war (siehe Ist Karadziç; in Russland, im Kloster?). > > &#268;elibiç;i ist ein kleines Dorf in der serbischen Teilrepublik. Weit > ab in den Bergen nahe der Grenze zu Montenegro gelegen, gerade mal ein > Dutzend Häuser, eine Schule und eine kleine Kirche. Im Frühjahr 2002 geriet > &#268;elibiç;i für kurze Zeit ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit. > Hier, so hieß es, sollte sich Karadziç; versteckt halten. > > Um fünf Uhr morgens landeten fünf Hubschrauber amerikanischer SFor-Einheiten > in dem kleinen Dorf. Maskierte Spezialkommandos sprengten Häuser auf und > schossen in Türen. Bodentruppen sicherten die Hügel und Pfade rings um das > kleine Dorf, damit der Kriegsverbrecher nicht fliehen konnte. CNN > unterbricht das Programm und meldet, Karadziç; sei in &#268;elibiç;i > festgenommen worden. Später wurde die Nachricht zurückgenommen. Die SFor gab > bekannt, der Mann sei nur knapp entkommen. > > Die Wahrheit sieht wohl anders aus. Schon Tage vor dem geplanten Zugriff > beobachteten die Bewohner von &#268;elibiç;i, dass die deutschen > SFor-Patrouillen Soldaten in der Gegend stationierten. »Wir sahen, dass sie > immer mit fünf Jeeps kamen, aber nur mit vieren zurückfuhren. Ein Fahrzeug > blieb in der Hochebene stationiert«, erzählt Zimanovif Miliajiz, der > Postbote des kleinen Dorfes. So sei das den ganzen Tag gegangen, bis das > ganze Gebiet abgeriegelt war. »Jeder wusste, dass etwas im Gange war. Als > die Helikopter kamen, war es keine Überraschung«, erinnert sich der > Augenzeuge. Die Leibwächter um Karadziç; waren ohnehin längst > informiert. Ein französischer SFor-Offizier hatte den geplanten Einsatz am > Telefon verraten, wie der britische Geheimdienst später herausfand. Warum > der Mann das tat, ist bis heute unklar. > > Soll Karadziç; nicht gefunden werden? Der amerikanische Botschafter > Clifford Bond gilt als der Mann mit dem größten Einfluss in Bosnien. Er > residiert in Sarajevo in einem festungsartig gesicherten Gebäude. Die Suche > sei nie vorbei, versichert Bond. »Ein fürchterliches Kapitel in der > Geschichte der Region wird nicht abgeschlossen sein, bevor Leute wie > Karadziç; nicht festgenommen und nach Haag gebracht werden. Und das wird > geschehen.« > > Der bosnische Spion wusste genau, wo Radovan Karadziç; sich versteckt > hielt. Der unscheinbare junge Mann erinnert in seiner schwarzen Kleidung > eher an einen Mönch als an einen Geheimdienstmitarbeiter. Als Treffpunkt hat > er einen Ort weit außerhalb der Stadt vorgeschlagen. Mohammed Ajanoviç; > arbeitete für die Abteilung zur Aufklärung und Verfolgung von > Kriegsverbrechen beim bosnischen Geheimdienst in Sarajevo. Sein Chef Munir > Alibabiç; hatte ihm einen klaren Auftrag gegeben: Finde Karadziç;! > Jahrelang setzte sich der Spion auf die Spur des Gesuchten. Dann fand er > 2002 Karadziç; und zwölf seiner Leibwächter in dem Kloster Osren in der > Bergen Ostbosniens. Nach sechs Jahren gab es damit erstmals eine heiße Spur. > > »Während unserer Arbeit sind wir ihm mehrmals nahe gekommen, dann haben wir > es geschafft, das genaue Versteck von Radovan Karadziç; zu finden. Diese > Information haben wir an die SFor gegeben«, behauptet Ajanoviç;. Doch > als sie den »Internationalen«, wie die SFor-Trupppen und das Büro des Hohen > Repräsentanten Paddy Ashdown in Sarajevo bei den Einheimischen nur heißen, > von ihren Erkenntnissen berichteten, sei nichts geschehen. Die haben nicht > reagiert. Es bestand kein Interesse bei der SFor, als wir ihnen sagten, wir > wüssten genau, wo Radovan Karadziç; ist.« Deshalb gaben Ajanoviç; > und sein Chef ihre brisante Information an die Presse in Sajarevo weiter und > machten somit die Untätigkeit der SFor publik. Kurz darauf werden sie auf > Druck des Hohen Repräsentanten aus dem Geheimdienst entlassen. > > Die »Internationalen« werfen ihnen Geheimnisverrat vor. Die beiden werden > unter Anklage gestellt. Auf ein Dekret von Paddy Ashdown wird ihnen > untersagt, sich öffentlich zu äußern, ein öffentliches Amt wahrzunehmen oder > an Wahlen teilzunehmen. Wörtlich heißt es in diesem Papier: »Sie haben ihre > Pflicht verletzt, geheime Information vor falschem Gebrauch zu schützen.« > Ihre Entlassung erfolgt drei Tage, bevor die Den Haager Chefanklägerin Carla > Del Ponte nach Sarajevo kommt. Sie stellt kurz darauf Ajanoviç; und > seinen Chef als Fahnder für das Den Haager Tribunal ein. Del Ponte hat > wiederholt beklagt, dass die Nato Karadziç; nicht wirklich suche. »Ich > habe keine Erklärung, warum der politische Wille fehlt. Ich glaube, dass die > Nato, wenn sie wollte, Karadziç; sehr schnell haben könnte«, sagte sie > noch im Sommer letzten Jahres bei einem Besuch in Berlin. > > Die kleine Straße vor dem Wohnblock ist von Abfällen gesäumt. Auf manchen > Wäscheleinen hängen noch olivgrüne Militärhemden. Hier, in einem der tristen > Vororte Banja Lukas, sind die Folgen des Embargos, das nach dem Krieg lange > über die serbischen Teile Bosniens verhängt war, noch zu spüren. Inmitten > all der Armut und des Drecks befindet sich die Redaktion der Zeitung > Nezavisne novine, deren Chef seine Recherchen so teuer bezahlte. In seinem > kleinen Büro muss Zelko Kopanja erst zwei Stühle zur Seite räumen, damit > Besucher das Zimmer betreten können. > > Kopanja erinnert sich gut an die Hinweise der Geheimdienstleute. »Die > Führung der SFor meinte damals, dass es nicht angemessen sei, eine Festnahme > in einem Kloster durchzuführen.« Es sei eine Verletzung der religiösen > Gefühle des serbischen Volkes. Man müsse warten, bis Karadziç; und seine > Leute den Ort gewechselt hätten. »Die Suche nach Karadziç;«, davon ist > Kopanja überzeugt, »das ist eine Show für die westliche Öffentlichkeit. Sie > wollen zeigen, dass sie was tun. Eigentlich machen sie nur einen Zirkus > daraus. Ich meine: Hier waren über 50.000 Nato-Soldaten, und sie haben > nichts unternommen. Das ist doch lächerlich.« > > »Die Stadt brennt wie der Weihrauch in der Kirche«, dichtet Karadziç; > > Dann holt er eine Videokassette heraus, eine Produktion der BBC aus dem > Krieg. Ein Panzerrohr bewegt sich darin langsam durch das Bild. Unter dem > Rohr ist Sarajevo zu sehen. Karadziç; und der rechtsgerichtete russische > Dichter Eduard Limonow stehen auf einem Hügel, vor ihnen ein > Maschinengewehr. Karadziç; schießt kurz in die belagerte Stadt hinunter. > Dann lädt er seinen Freund Limonow ein, es ihm gleichzutun. Limonow schießt > eine Salve nach der anderen in die Häuser Sarajevos. Töten als Spaß und > Zeitvertreib. Karadziç;' Stimme ist zu hören, er rezitiert eines seiner > Gedichte: > > Ich höre die Schritte der Zerstörung. / Die Stadt brennt wie der Weihrauch > in der Kirche. / In dem Rauch sehe ich unser Gewissen. / Zwischen > bewaffneten Gruppen, bewaffneten Bäumen. / Alles, was ich sehe, ist > bewaffnet. / Alles zeigt Armee, Kampf und Krieg. > > > Der O-Ton Karadziç;' geht weiter, er habe diese Zeilen vor über 20 > Jahren geschrieben, sagt er in dem Video. »Viele meiner Texte sind wie > Weissagungen, und manchmal erschreckt mich das.« Chefredakteur Kopanja > stoppt das Band. > > Jahrelang hatte sich Karadziç; in der Literaturszene der Stadt bewegt. > Jeder kannte den jungen Mann mit dem wallenden Haar, der 1945 in dem kleinen > Dorf Petrijca in den Bergen Montenegros geboren wurde. Als junger Mann kam > er nach Sarajevo, er studierte Medizin und Psychologie. Er betreute als > Mannschaftsarzt den Erstligafußballclub FC Sarajevo. Jahrelang lebte und > arbeitete Karadziç; mit Muslimen zusammen, die seine besten Freunde > waren. Niemand ahnte, was kommen würde. »Meine Mutter hat ihn immer Sohn > genannt, er fuhr sogar mit uns in die Ferien«, erinnert sich sein ehemaliger > Chef im Kosevo-Hospital, Professor Ismet &#268;eriç;, der 17 Jahre mit > Karadziç; zusammengearbeitet hat. > > »Als die ersten Granaten auf unsere Stadt fielen, schellte bei meiner Mutter > plötzlich das Telefon. Es war der Beginn unserer muslimischen Bairan-Ferien, > die für uns sehr wichtig sind. Karadziç; war in der Leitung und > gratulierte ihr zum Beginn der Ferien. Meine Mutter erbleichte, denn der > Anrufer ließ uns Muslime gerade bombardieren. Sie legte auf. Rundherum > konnte man die Einschläge hören.« > > Es war das Jahr 1992, als Radovan Karadziç; die Zeilen seines Gedichtes > wahr machte und Feuer auf Sarajevo fiel. Zigtausend Menschen starben bei dem > Beschuss. Die Schritte der Zerstörung, wie er sie in seinem Gedicht nannte, > löschten alte Freundschaften aus. Die Wandlung des Radovan Karadziç; vom > Arzt zum Kriegsherrn beschäftigt den Psychiater Ismet &#268;eriç;, > seinen ehemaligen Freund, seit Beginn der Bombardements. »Es ist unmöglich, > ihn zu verstehen«, räumt der Arzt ein. »Er war nie ein strenger Nationalist. > Dann geht er in die Politik, und nur ein paar Monate später ist alles > anders. Er bombardiert die Stadt, zerstört unsere Klinik und tötet seine > Freunde, mit denen er 20 Jahre lang zusammengelebt hat!« > > Ab und an trifft sich &#268;eriç; mit dem Schriftsteller Marko > Vesoviç;. Gemeinsam wandern sie durch die Gänge der alten Bibliothek, > die gerade wieder aufgebaut wird. Sie erinnern sich, wie es damals schwarze > Schmetterlinge auf Sarajevo regnete, wie die Bücher verbrannten und wie die > Asche zurücksank auf den Boden der umkämpften Stadt. »Hier in diesem Saal > standen früher meine Bücher«, erinnert sich Vesoviç;. Die Mauern sind > noch immer rußverschmiert. Die Staubkörner tanzen in dem hellen Licht, das > durch die großen Fenster fällt, in denen bis heute die Scheiben fehlen. Der > groß gewachsene Schriftsteller sieht Karadziç; verblüffend ähnlich, er > hat das gleiche wallende, graue Haar. Die beiden sind in Montenegro in > Nachbardörfern aufgewachsen. > > »Ich erinnere mich gut: Die bosnische Polizei hatte während des Krieges ein > Gespräch Karadziç;' im Militärfunk abgehört. Er sprach mit einem seiner > Militärkommandanten. Dieser hatte sich darüber beschwert, dass die Serben > die Waffen nicht in die Hand nehmen wollen. Und auf einmal schrie > Karadziç; laut: >Dann erschießt sie doch, verdammt noch mal, erschießt > sie alle!< Diesen Schock, den ich damals bei diesem Satz erlebt habe, werde > ich nie vergessen. Ich hatte Radovan sehr gut gekannt, aber das hier war > jemand anderer. Ich fragte mich: Wer ist das? Ich habe ihn als einen > Weichling gekannt, den seine Frau vor unseren Augen mit ihrem Stöckelschuh > geschlagen hat. Und plötzlich zeigt sich die Bestie in ihm, diese Bestie > ruft: >Erschießt sie alle!<« > > Radovan Karadziç; hatte das Oberkommando über die serbischen Truppen. > Selbst General Ratko Mladiç; und seine Belgrader Truppen waren ihm > unterstellt. Auch nach Kriegsende herrschte er mit uneingeschränkter Macht > über die serbischen Teile Bosniens. Alle Macht lag in seinen oder in den > Händen seiner Familie: das Präsidentenamt, die Parteiführung der SDS, das > staatliche Fernsehen, Radiostationen, das Rote Kreuz der Republika Srpska > und nicht zuletzt die illegalen Geschäfte mit Öl und anderer Schmuggelware. > Die Familie Karadziç; verdiente mit der Korruption Millionen von Dollar. > Dann trat er plötzlich zurück. Am 19. Juli 1996 verkündet der amerikanische > Chefuntergesandte Richard Holbrooke der Weltpresse, Radovan Karadziç; > habe sein Amt als Präsident der Republika Srpska niedergelegt. Er habe > zugesichert, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. »Ihm war klar, dass > er das Ende seiner politischen Karriere unterzeichnete«, sagt Holbrooke. > Doch warum gab Karadziç; seine Macht bereitwillig ab? > > Seit Jahren kursieren Gerüchte, dass es neben dem offiziellen Vertrag noch > eine geheime Vereinbarung zwischen den Amerikanern und Karadziç; gegeben > hätte. Beweise dafür existieren nicht. Karadziç; selbst hatte sein > Kabinett in Pale damals von seinem bevorstehenden Rückzug informiert. In > seinem einstigen Hauptquartier arbeitet heute eine Schraubenfabrik. Der > Direktor der Firma versichert, das Besprechungszimmer sei nicht verändert > worden. »Aus Respekt und Bewunderung für Doktor Karadziç;«, wie er sagt. > > Schwere Vorhänge dämpfen das Licht. Rundherum rote Ledersessel, einer steht > am Kopfende des Tisches - Radovan Karadziç;' Platz. In diesem Raum tagte > während des Krieges die Führung um Karadziç;. Hier wurden alle > Entscheidungen gefällt, auch die über Leben und Tod. Cicko Bjelica saß mit > am Tisch. »Hier erklärte Radovan Karadziç; uns, dass er nicht mehr für > das Amt des Präsidenten der bosnisch-serbischen Republik kandidieren werde > und auch die Führung der Partei abgebe. Er sagte, dass er aus der > Öffentlichkeit verschwinden werde. Der Grund sei ein Gentlemen-Deal mit der > amerikanischen Regierung.« > > Hat demnach die US-Regierung ein geheimes Abkommen mit Karadziç; > getroffen? Der ehemalige Botschafter der Republika Srpska in Moskau, Tudor > Dutina, bestätigt das: »Ja, diese Abmachung hat es gegeben. Ich habe mit der > russischen Regierung darüber verhandelt, ob sie damit einverstanden sei. Ich > war sehr überrascht: Die Russen wussten bereits von dem geplanten Vertrag. > Obwohl ich zugeben muss, dass niemand diesen Vertrag je als Ganzes gesehen > hat. Aber darin hat es viel mehr Zusagen Karadziç; gegenüber gegeben, > als man sich das vorstellen kann.« > > Der amerikanische Botschafter Clifford Bond will dagegen von einer > Vereinbarung mit Karadziç; nichts wissen: »Der frühere Präsident Clinton > hat deutlich gemacht, dass seine Regierung niemals solch eine Vereinbarung > akzeptiert hätte.« > > Radovan Karadziç; führte Verhandlungen nie allein. Er wollte sich nach > den Gesprächen immer mit jemandem austauschen können. Der Mann, der ihn > begleitete, heißt Aleksa Buha, der heute als Professor für Philosophie in > Belgrad lebt. Der ehemalige Außenminister der Serbischen Republik war bei > allen Verhandlungen dabei. In dem offiziellen Vertrag, in dem Karadziç; > seinen Rücktritt unterzeichnete, hat Buha als Zeuge unterschrieben. »Die > Verhandlungen dauerten stundenlang«, so Buhas Erinnerung, »es war zwischen 3 > und 4 Uhr nach Mitternacht im Juli 1996. Immer hatte Richard Holbrooke etwas > zu korrigieren, doch am Ende haben beide Seiten Karadziç;' Rücktritt > unterschrieben. Dann habe ich Herrn Holbrooke gefragt, was wir dafür > bekommen. Was sind die Chancen unserer Partei SDS und die Doktor > Karadziç;'? Holbrooke sagte, die SDS geht jetzt normal in die Wahl. Was > Haag betrifft - er zeigte auf die beiden Unterschriften -, so haben wir die > Geschichte von Karadziç; und Den Haag erledigt. Das Tribunal von Haag > ist mit diesem Papier passé. Wir haben französisch gesprochen, und ich > erinnere mich gut, dass er dieses Wort gebraucht hat. Mit diesem Papier ist > das Tribunal von Haag passé. Le tribunal à La Haye est passé.« > > Richard Holbrooke arbeitet heute als Vice-Chairman der New Yorker Firma > Perseus. Er bestätigt den offiziellen Teil der Abmachung. Auf einem Fax > bekräftigt er, nur dieser sei archiviert worden. Holbrooke bestreitet eine > Absprache bezüglich des Tribunals in Den Haag. > > Tatsache ist, dass sich Karadziç; nach seinem Rücktritt jahrelang völlig > ungehindert bewegte, er sogar öffentlich auftrat. Obwohl er längst in Den > Haag angeklagt und damals offiziell der meistgesuchte Mann der Welt war. > Wiederholt begegnete er internationalen SFor-Soldaten oder Polizisten der > International Police Task Force IPTF. Offenbar wurde nie auch nur ein > Versuch unternommen, ihn festzunehmen. > > Der Hohe Repräsentant ist weisungsbefugt gegenüber der serbischen Regierung > in Banja Luka. Gleich nach Ende des Krieges bestimmte er die Nationalflagge, > die offizielle Währung und die einheitlichen Autokennzeichen für das Land. > Jeder weiß, dass die bosnisch-serbische Regierung von Karadziç;-Getreuen > und alten Weggefährten durchsetzt ist. Selbst aus seinem familiären Kreis > kommen höchste Politiker. So war Dragan Kalinif bis vor wenigen Wochen der > Parlamentspräsident der Regierung. Er ist der Pate von Karadziç;. > > Das Wissen um die Kriegsverbrechen erlaubt es dem Hohen Repräsentanten, > ganze Gesetzespakete zu diktieren. »Das ist ganz einfach«, sagt > Chefredakteur Zelko Kopanja. »Der Hohe Repräsentant Paddy Ashdown kommt mit > einem Gesetzespaket von 20 Gesetzen nach Banja Luka. Die dortige Regierung > muss sie annehmen. Kooperiert sie nicht und lehnt die Gesetze ab, setzt > Paddy Ashdown die halbe Regierung auf die schwarze Liste - wegen der > Unterstützung von Radovan Karadziç;. Stehen sie auf dieser Liste, müssen > sie sofort alle Ämter abgeben.« Ein Radovan Karadziç; in Freiheit könnte > so ein wirksames politisches Druckmittel sein. Vielleicht kann der > Kriegsverbrecher deshalb bis heute sogar seine Bücher ungehindert schreiben > und veröffentlichen. Sie sind so beliebt, dass sie zwischen Werken von > Dostojewskij oder Hemingway angeboten werden. > > Der Kriegsverbrecher schreibt Kinderbücher - alle Bestseller > > Sein Verleger Miroslav Toholj spricht nicht gern mit westlichen > Journalisten. Karadziç; und die Serben würden nur missverstanden, meint > er. Auch Srebrenica sei so nie geschehen. In seinem Wohnzimmer sind Wände > und Regale mit Karadziç;-Insignien geschmückt: Fotos, Ölporträts und > Schwarzweißzeichnungen, wohin man blickt. Toholj behauptet, dass er Anfragen > von Verlagen aus aller Welt bekomme, die an den Rechten der > Karadziç;-Bücher interessiert seien. Das letzte Buch von Radovan > Karadziç;, das er herausgebracht hat, ist ein Kinderbuch, wie die > anderen in einer kleinen Druckerei am Rande der Stadt hergestellt. Hier > lässt der Verleger auch die Plakate und Aufkleber produzieren, die immer > wieder in Bosnien auftauchen. Unter dem bekanntesten Karadziç;-Foto > steht: »Don't touch him!« Der Frage, wo Karadziç; jetzt sei, weicht der > Verleger lächelnd aus. Er wisse aber, wie man mit seiner Mutter Jovanka und > seinem Bruder Luka sprechen könne. > > Die Landschaft Ostbosniens wird oft als der dunkle Teil des Landes > beschrieben. Doch dieser Ruf rührt nicht vom kargen Licht in den engen > Tälern her. Hier regieren nach wie vor die alten Chargen der > Karadziç;-Partei. Hier ist Karadziç; eine Legende, ein Mythos. In > den Dörfern lassen die Menschen abends ihre Türen offen, ein Zeichen, dass > der Gesuchte bei ihnen jederzeit willkommen ist. Auf den Hügeln ringsum > immer wieder die Reste zerstörter Häuser. Hier lebten früher Muslime, bis > sie von serbischen Truppen vertrieben und getötet wurden. Acht Jahre nach > Ende des Krieges stehen die Ruinen immer noch. Wie eine Warnung an ihre > einstigen Bewohner, nie zurückzukehren. > > Je weiter man zur Grenze nach Montenegro vordringt, desto abweisender wird > die Landschaft. Schroffe Berge, Nebel zieht über die Straße. Die Grenze > besteht aus einem Wellblechschuppen und zwei Polizisten, die sich > langweilen. Jedes einheimische Auto passiert ohne Kontrolle. Es hat sich > herumgesprochen, dass Karadziç; diese Grenze in den letzten Jahren oft > überquert hat. Auch in Niksiç; in Montenegro liegt Nebel über den > Häusern, es regnet leicht. Verleger Toholj stoppt das Auto und fragt eine > Frau am Straßenrand, die ihre Einkäufe nach Hause trägt, nach dem Weg zur > Familie Karadziç;. Der Bruder wohne gleich um die Ecke, aber die Mutter > sei seit Jahren tot, sagt die Frau. > > Der Verleger lächelt, er weiß es besser. Mutter Jovanka Karadziç; habe > vor vier Jahren dem britischen Guardian ein Interview gegeben. Danach sei > sie von den Karadziç;-Vertrauten aus dem Verkehr gezogen und öffentlich > für tot erklärt worden, erklärt Miroslav Toholj. Selbst Zeitungsartikel mit > ihrem Nachruf seien damals erschienen. > > Hunde bellen aus den kleinen Häusern, die nur grob verputzt sind. Toholj > geht langsam auf ein großes weißes Haus mit schmiedeeisernem Tor zu. Die > Villa sticht heraus. Hier wohnt die Familie von Radovan Karadziç;. Luka, > sein jüngerer Bruder, öffnet die Tür und umarmt den Verleger innig. Offenbar > kennen sich die beiden gut. Luka Karadziç; winkt herein, seine Mutter > und sein Cousin warten drinnen - Kaffeetrinken bei den Karadziç;'. Von > der Wand blickt Radovan Karadziç; staatsmännisch und mit weißem Schal > fast lebensgroß herab. Ein Bild, geschmückt wie ein Altar. > > So wenig Luka mit seiner Glatze dem Bruder ähnelt, so sehr sieht man der > 86-jährigen Jovanka Karadziç; mit ihrem grauen Haar und der markanten > Nase an, dass sie die Mutter von Radovan ist. Ihre Finger nesteln ständig an > der schwarzen Mütze oder einer Zigarette herum. Ihre Augen sind wachsam, und > ihr Ton ist energisch. > > Der Verleger berichtet, dass er auf einer Waffenmesse in Belgrad eine neue > Kalanischkow der serbischen Armee gesehen habe. »Sie haben die Waffe nach > deinem Sohne benannt, sie heißt Radovanka!« Jovanka Karadziç; strahlt. > Radovan sei in den Herzen aller Serben, ist sie sich sicher, »immer und > überall«. Wofür klage man ihren Sohn an, will sie wissen? »Warum und wofür? > Was hat er ihnen getan? Es ist mein Kind, das Erste, das ich geboren habe. > Erstes Kind nennt man nicht umsonst erste Freude - radost, deshalb heißt er > Radovan«. > > Luka Karadziç; holt ein altes Schwarzweißfoto heraus. Es zeigt ihn, den > Bruder, und Radovan in jungen Jahren zusammen mit dem Vater. »Die Ausländer > haben fünf Millionen Dollar auf seinen Kopf ausgesetzt. Sie können einfach > nicht begreifen, dass die Serben Radovan nie verraten werden. Sie würden gar > keinen Serben verraten, geschweige denn solch einen wie Radovan > Karadziç;. Sie begreifen das nicht. Es gibt kein Geld auf dieser Welt, > um diesen Verrat zu begehen.« Er bestätigt, dass die Familie Kontakt zu > Radovan Karadziç; hat. »Ich weiß nicht genau, wo Radovan sich gerade > aufhält, aber ich weiß sehr wohl, dass es ihm gut geht. Mein Bruder ist > nicht verletzt, wie die Zeitungen zuletzt geschrieben haben. Ich weiß, er > passt gut auf sich auf. Radovan wird sich nie freiwillig ergeben und nach > Haag gehen. Nicht, weil er Angst hätte. Sondern wegen der Serbischen > Republik«, sagt er. Luka Karadziç; hebt sein Glas und ruft: »Auf ihn > auf Radovan!« Die anderen fallen ein. > > Jovanka Karadziç; steht auf und geht zu dem großen Foto an der Wand. »Er > ist wirklich ein Ausnahmemensch. Ihn kennzeichnet all das, was gut und > richtig ist. Und jetzt, was ist passiert? Plötzlich ist er ein > Kriegsverbrecher geworden. Er ist bei seinen Leuten, er ist nach Hause > gekommen zu seinen Menschen«, sagt sie, ohne den Blick abzuwenden. > > Honoratioren singen zur Holzfidel Hymnen auf Karadziç; > > Wenig später biegt Verleger Toholj mit seinem Auto von Niksiç; aus in > die Straße nach Trebinja ein, einer Hochburg der Unterstützer von > Karadziç;. In dem Hinterraum einer kleinen Kneipe trifft er sich mit dem > ehemaligen Bürgermeister, dem Polizeichef und Professoren der Stadt. Sie > feiern seinen Besuch bei der Familie. Zu dem traditionellen Spiel der Gusla, > der einsaitigen Holzfidel der Serben, singen sie Lieder über Karadziç;, > Hymnen, die hier jeder kennt. Plötzlich - der Strom fällt aus, alle Lichter > erlöschen. »Bruder Radovan. Wir erwarten dich in den schlimmsten Tagen, > jeder Serbe erwartet seinen Radovan. Radovan, brauchst du eine persönliche > Garde, wir suchen die besten Männer in Trebinja für dich aus!«, Männergesang > in der Finsternis, gespenstisch. > > Pressekonferenz in Sarajevo, der französische und der britische Botschafter > sind anwesend sowie Soldaten der SFor und Mitarbeiter aus dem Büro des Hohen > Repräsentanten. Auf den blauen Polstersesseln liegen dicke Pressemappen aus. > Eine neue Initiative bei der Suche nach Kriegsverbrechern wird präsentiert: > eine Telefon-Hotline für Bürger, die Informationen weitergeben wollen. > Bosnien werde durch die Hotline ein sicheres Land, betonen die Redner auf > dem kleinen Podium. Sie weisen darauf hin, dass die Anrufer keine Gebühren > bezahlen müssen. > > Schon seit Jahren wirft die SFor aus Hubschraubern Tausende von > Fahndungsbriefen über serbischen Gebieten ab und plakatiert die Gesuchten > großflächig in den Städten. Im Fernsehen läuft ein Spot, in dem fünf > Millionen Dollar Belohnung für die Ergreifung des Kriegsverbrechers > ausgelobt werden. Hinweise hat es bis heute keine gegeben. In den letzten > Monaten betonen die Verantwortlichen gern, der Ring um Radovan Karadziç; > ziehe sich immer enger zusammen. Die Realität ist eine andere. > > Dies bestätigt auch ein Politiker der Regierungspartei, der nicht genannt > sein will. Für ein Gespräch steht er zur Verfügung, allerdings könne das > Treffen nur weit außerhalb Banja Lukas stattfinden. Er nennt die Adresse > eines Restaurants, weit und breit ist kein anderes Haus zu sehen. Der Mann > bestätigt, dass öffentliche Gelder zur Unterstützung Radovan Karadziç;' > abgezweigt werden. Enorme Ausgaben, die im Haushalt als »Kosten für Blumen« > deklariert werden. Fast alle Geschäftsleute bezahlen nach dieser Darstellung > eine »Karadziç;-Steuer«, rund zehn Prozent ihres Gewinnes sollen die > Kaufleute bezahlen. > > Unterdessen sitzt Chefredakteur Zelko Kopanja wieder an der Schreibmaschine. > In seinem Artikel listet er verschwundene Gelder auf. »Wenn die > Internationalen sagen, dass Karadziç; keine Unterstützung und Mittel > mehr habe, dann lügen sie. Ich erinnere Sie, die gleichen Internationalen > machten eine Revision bei der Elektrowirtschaft der Republika Srpska und > stellten fest, dass 90 Millionen Euro verschwunden waren. Dann die großen > Plünderungen beim Zoll und 100 Millionen Euro, die bei der bosnischen > Telefongesellschaft entwendet wurden. Von daher hat Karadziç; bestimmt > genug Geld. In der Führung seiner alten Partei SDS, die an der Regierung > ist, hat er immer noch das Sagen. Sein Einfluss ist absolut ungebrochen.« > > Kurz und heftig zieht Kopanja an der Zigarette, die zwischen seinen Fingern > vor sich hin glimmt. »Die Öffentlichkeit wird nur geblendet. Denn einerseits > arbeiten sie jahrelang mit dem Paten von Karadziç;, Dragan Kaliniç;, > zusammen, andererseits können die Internationalen Karadziç; nicht > finden. Es ist klar, dass da andere Interessen im Spiel sind und dass es > sich um eine politische Absprache handelt.« Als er von der neuen > Telefon-Hotline erfährt, lacht Kopanja. Er schüttelt nur den Kopf. > > Vier Jeeps der deutschen SFor kämpfen sich durch die Serpentinen > Ostbosniens. Immer wieder müssen sie den Schlaglöchern in der staubigen > Straße ausweichen. Wenn er Karadziç; und seinen Leibwächtern begegnen > würde, könne er nur grüßen und weiterfahren, mit den paar Soldaten könne er > nichts ausrichten, erzählt ein junger Offizier während der Fahrt. > > Der Pressoffizier betont, dafür seien ohnehin die Spezialeinheiten der SFor > zuständig. Dann meint er: »Ich kann mir keine schönere Arbeit als Bosnien > vorstellen. Nicht nur von seiner Landschaft her, von seiner Kultur, von > seinen Menschen, von seinen Ethnien her, die auf einen zugehen, es ist > einfach eine wunderschöne Aufgabe, hier zu sein. Ich kann es eigentlich nur > jedem empfehlen, sich mal in diesem Land umzusehen.« Hinter dem Gesicht des > Offiziers ist in der Ferne die Stadt Fo&#269;a zu sehen. > > Fo&#269;a war einer der ersten Orte, in denen 1992 am Anfang des Krieges > Muslime systematisch hingerichtet wurden. Serbische Freischärler trieben sie > durch die Stadt. Einige der Opfer wurden an der alten Brücke aufgehängt. Mit > dem Kopf nach unten, nachdem sie vorher im direkt daneben liegenden > Gefängnis umgebracht worden waren. Das Wasser der Drina färbte sich rot mit > dem Blut der Opfer. Andere wurden einfach in die Wälder geführt und > erschossen. Bis heute sind viele der Opfer nicht gefunden. Die Morde > geschahen unter dem Oberkommando von Radovan Karadziç;. > > »Hier herrscht immer noch der Karadziç;-Kader aus finstersten Zeiten« > > Der Mann in der schwarzen Lederjacke ist nervös. Er blickt sich immer wieder > um, während er den steilen Kiesweg hinaufgeht. »Wir müssen uns beeilen«, > sagt er. Oben bleibt er auf einem kleinen Plateau stehen. Fo&#269;a liegt > weit unten im Tal. »Direkt unter unseren Füßen ist ein Massengrab. Dort > liegen die Menschen aus Todor-Mahala und anderen Stadtteilen von Fo&#269;a. > Sie sind in den ersten Tagen des Krieges erschossen worden. Sie wurden mit > Lkw hierher gebracht. Ich kenne einen der Täter, er hat mit einem Bagger das > Grab zugeschüttet.« Der hagere Mann spricht leise, so als hätte er selbst > hier oben auf dem Hügel Angst, gehört zu werden. > > »Insgesamt gibt es sechs große Massengräber rund um Fo&#269;a. Kleinere, in > denen weniger als zehn Tote liegen, gibt es viel mehr.« Dann will er wieder > gehen. Er will nicht zu lange auf dem Plateau bleiben. »Fo&#269;a ist einer > der schwierigsten Orte in Bosnien. Hier herrscht immer noch der > Karadziç;-Kader aus den dunkelsten Zeiten.« > > Die Luft vibriert. Der Lärm reißt die Bewohner Pales aus dem Schlaf, er > breitet sich in den Straßen aus wie eine Flutwelle. Drei amerikanische > SFor-Hubschrauber schweben im Februar 2004 dicht über der Stadt. > Spezialeinheiten springen aus den Helikoptern. Aufgeregt wedeln die Soldaten > mit ihren Maschinenpistolen herum und sperren die Straßen ab. Sie sind auf > der Suche nach Karadziç;. Ungefähr alle sechs Monate finden solche > Aktionen in der ehemaligen Hauptstadt des Gesuchten statt. Wie so oft sind > auch heute abend Fernsehkameras dabei. Und wie immer finden die > Spezialeinheiten keine Spur von Radovan Karadziç;. Dabei hätte es noch > vor kurzem so einfach sein können, den gesuchten Kriegsverbrecher > festzunehmen. > > Der SFor lagen wieder genaue Informationen über sein Versteck vor, wie schon > damals im Jahre 2002. Der frühere Geheimdienstmann Mohammed Ajanoviç;, > der Karadziç; schon einmal aufgespürt hatte, bittet dringend um ein > Treffen. Wieder hat er eine Spur, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu > Karadziç; führt. »Wir haben unserem Chef Raymond Carter gesagt, dass wir > wissen, wo Karadziç; ist. In unserem Beisein hat er seinen Chef Patrick > Lopez-Terrez in Den Haag angerufen, den er jedoch nicht erreichte. So war > Raymond Carter gezwungen, Carla Del Ponte direkt anzusprechen. Er sagte ihr: > Wir wissen, dass sich Radovan Karadziç; in einem kleinen Dorf versteckt. > Er bat sie um Hilfe. Del Ponte sagte, dass Raymond Carter dringend in die > SFor-Basis gehen müsse, um ihnen diese Informationen mitzuteilen. Wir haben > das auch gemacht. Sie gaben unserem Chef Carter Satellitenfotos des Dorfes. > Aber das war das Einzige, was wir als Antwort bekamen.« > > Auf den Satellitenbildern war die Gegend um das Versteck von Karadziç; > zu sehen. Die SFor hatte jetzt genaue Informationen über den Aufenthaltsort > des meistgesuchten Mannes Europas. Aber sie versuchte nicht, ihn > festzunehmen. »Sie stellten uns nur Fragen wie: >Wie viele Zimmer hat das > Haus, in welchem sich Radovan Karadziç; befindet? Gibt es eine Straße, > die zu diesem Dorf führt? Wie lange bleibt er dort?< Ich meine, Fragen, auf > die man überhaupt nicht antworten kann, solange man nicht mit ihm selbst > dort zusammenlebt. Ernst zu nehmende Aktionen von SFor haben nicht > stattgefunden. Nicht ein einziger Soldat hat sich dem Dorf genähert.« > > Der amerikanische Botschafter nimmt die SFor-Truppen in Schutz > > Ist es möglich, dass Karadziç;' Versteck bekannt war und niemand den > Versuch unternahm, ihn festzunehmen? Der britische Botschafter Ian Cliff > bestreitet zunächst den Vorgang. Nein, das sei nicht wahr, sie wüssten > nicht, wo Karadziç; sei, sagt er. Doch als er mit dem genauen Hergang > der Ereignisse konfrontiert wird, muss er zugeben, dass sie sehr wohl > stattgefunden haben. »Ja, ich habe Berichte darüber gelesen, aber ich kann > das nicht kommentieren.« > > Der amerikanische Botschafter Clifford Bond will zu den konkreten Vorwürfen > ebenfalls nicht Stellung nehmen. Stattdessen beharrt er darauf, dass die > SFor alles tue, was in ihrer Macht stehe. »Sie müssen mit diesen Männern > über ihre Information sprechen. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich bin voller > Vertrauen, wenn die SFor Informationen hat, wird sie agieren. Und sie hat ja > gehandelt, erst kürzlich in Pale.« > > Fünf Jahre lang hat er sich nicht getraut, diese Fotos anzusehen. > Chefredakteur &#9674;elko Kopanja schaut auf den Stoß von Bildern, der vor > ihm auf dem kleinen Glastisch liegt. Dann nimmt er eines heraus und > betrachtet es lange. Die Schnappschüsse zeigen Kopanja vor seinem Unfall. > Mit gesunden Beinen. Er durchwandert sein Leben bis zum Attentat: seine > Jugend, seine Hochzeit und die Geburt der Tochter. Minutenlang sagt er kein > Wort, seine Augen glänzen. Dann schmeißt er die Bilder mit einem Ruck wieder > auf den Tisch. Es sei genug. > > Nach einer Pause erzählt er, wegen der Bedeutung des Falles sei das FBI > aufgefordert worden, das Attentat auf ihn zu untersuchen. Ein amerikanischer > Agent habe ihm den Namen des Mannes genannt, der die Bombe unter sein Auto > gelegt habe. Der Attentäter wohne wie er in Banja Luka und arbeite für die > Staatssicherheit. »Die Tatsache, dass dieser Mann, der mein Leben zerstört > hat, hier in der gleichen Stadt ist, macht mir keine Angst. Denn wenn ich > aufgebe, hat er gewonnen. Und ich selbst kann nicht aufgeben. Was für einen > Sinn hätte das Leben, wenn es keine Hoffnung mehr gibt, die Kriegsverbrecher > eines Tages zur Verantwortung zu ziehen und sie vor einem Gericht zu sehen?« > > > Die Kämpfe in Bosnien sind lange vorüber. Radovan Karadziç; ist bis > heute ein freier Mann. Im Krieg lagen die Leben Tausender Menschen in seinen > Händen. Sie starben, weil er es wollte. Und weil er überzeugt war, dass > niemand ihn je zur Verantwortung ziehen würde. Rückblickend betrachtet, > hatte Karadziç; damit offenbar bis heute Recht. »Das Tribunal von Haag > ist passé, le tribunal à La Haye est passé«. > > Zum gleichen Thema: WDR Fernsehen, 20.9.04, 22.30 Uhr: »Die Jagd - Wird der > Kriegsverbrecher Karadziç; wirklich gesucht?« Ein Film von Marc Wiese > > > > > > -> ----------------------> Michael Schmitt > Rue Joseph Claes 50 > 1060 Brussels / Belgium > 0032 - 2 - 3434100 > mobile 0032 - 494 - 889396 > > NEU: Bis zu 10 GB Speicher für e-mails & Dateien! > 1 GB bereits bei GMX FreeMail http://www.gmx.net/de/go/mail >