*leben1-3 HIER-BEI-UNS wien, im jänner 1996 brrr, soo kalt ! der taxifahrer hebt die schultern und schüttelt sich. wie geht das geschäft heute ? hm, nicht viel los. zu kalt, hm ? ja, die leute bleiben zu hause. woher stammen sie ? ich komme aus persien. gibt es dort auch so einen strengen winter ? oh, ja. schlimmer noch. in den bergen im norden kann es dreißig grad minus haben, sogar zwei, drei wochen lang. aber im süden ist warm jetzt. zwanzig, fünfundzwanzig grad..die reichen leute haben alle ihr landhaus im süden, am meer oder in der nähe.. also gehören sie nicht zu den reichen, sonst würden sie nicht hier taxi fahren, oder ? eh..nein,..ich meine, ich habe ein schönes haus,..dreißig zimmer.... ..mit marmor..alles schön, aber jetzt habe ich nur zwei leute, die in dem haus sind. sie arbeiten größtenteils für ihre eigene tasche, isz mir egal, ich will nur, daß das haus in ordnung bleibt, ein bißchen gepflegt wird, daß nicht viele kommen und alles wegtragen aus dem haus.. ich will nicht in persien leben jetzt. nein, das interessiert mich nicht. unter diesem regime, daß jetzt in unserem land an der macht ist, nein. wir leben doch im zwanzigsten jahrhundert jetzt! hier in österreich wir haben demokratie, kann man seine meinung frei sagen, in persien heute nicht so.. und wer unterstützt diese regierung vom ausland ? alle machen sie geschäfte mit diese regierung : amerikaner, rußland, deutschland, viel ! österreich auch ! hunderte milliarden schilling, große geschäfte ! aber stellen sie sich vor, was meiner mutter passiert ist. es war nur eine locke, die vorgeschaut hat auf ihrer stirn. es war nicht mit absicht. ..es war..sie ist herausgerutscht, verstehen sie ? man hat sie zu dreißig schlägen mit der peitsche verurteilt. dreißig peitschenhiebe ? das kann tödlich sein. ja. - dann haben wir gesammelt. die ganze familie, alle die bekannten. eine sehr große summe geld haben wir auftreiben müssen, um diese strafe umzuwandeln. die schläge auf meine mutter wurden nicht umgewandelt.es waren mehr als dreißig. viel mehr. wieso ist sie nicht daran gestorben ? weil sie von ihr etwas wissen wollten. und der österreichisch-deutsche faschismus der nazis - und das war seine besonderheit - war sehr, sehr gut organisiert. mit austro-deutscher präzision wurde sie gefoltert. dabei ging es nicht um bestrafung. die war für später vorgesehn. konzentrationslager etwa. hier verfolgten sie ein anderes ziel. sie wollten namen wissen. namen von mitgliedern der illegalen kommunistischen partei. der spielraum für die sadisten unter den gestapo-leuten war dabei noch groß genug. für sie war die frage, wie man so viel qualen und schmerzen wie möglich verursacht, ohne daß der delinquent stirbt oder dauerhaft vernehmungsunfähig wird. sie verstanden ihr handwerk und waren kontrolliert, in doppeltem sinne. unfälle - unvorhergesehene todesfälle beim verhör waren selten. doch folterten sie noch, um namen bestätigt zu kriegen, die sie schon von einem anderen ihrer opfer wußten. vormals ein nobelhotel, hatte das gestapo-hauptquartier am morzinplatz dick gepolsterte, doppelte türen. wo früher jedes geräusch vor den empfindsamen ohren der feinen gäste abgeschirmt wurde, deponierte man jetzt die beim verhör ohnmächtig gewordenen, mit welchen man sich bald weiter beschäftigen wollte. zwischen den türen weckten sie die schreie der gefolterten leidens genossen oder kübel voller wasser. es gab mehrere stockwerke unter der erde. dort saßen die lebenden toten. sie waren von den nazis öffentlich bereits als tot -hingerichtet- erklärt worden, um ihnen jede hoffnung zu nehmen und sie gefügig zu machen, für weitere aussagen.. 18 wer erzählt das eigentlich ? ist er dabei gewesen ? was, zwölf jahre später geboren ? neun jahre nach dem ende des grauens, aus der übernächsten generation? mit der muttermilch ist das in mich geflossen. dieses wissen meiner mutter, das erlebte, das sie quälte. sie im schlaf zusammenfahren ließ. ihren körper in plötzlichen zuckungen verkrampfte. in diesem körper war auch - ich. und dann lag ich in dem nest, das ihre brust und ihr bauch, ihre schenkel, arme, hände und ihr gesicht um mich bildeten. und wieder war da das zucken, das plötzliche reißen der glieder, das auffahren aufhorchen, aufreden aus dem schlaf. das kind riß es jedesmal, wenn es ihr passierte, auch. schon war es der mutter ein trost in dieser furchtbaren welt. bald sollte es sie auch mit worten trösten. denn bald stellte es die fragen nicht mehr nur mit seinen großen dunklen augen. und bald sollte es antworten bekommen. zu bald, wie die schwester später meinte. welche antworten verträgt ein kleines kind von zwei, von drei, von vier fünf sechs jahren? welche wahrheiten ? und wer will richten über die mutter, die ihr kind nicht belügt, den großen augen, den nicht nachlassenden fragen, dem kleinen unruhegeist nachgibt. nachgibt dem großen schmerz, der in ihr lastet. sie hat mir alles erzählt. alles ?...? wie hätte sie das alles mitteilen sollen, können .. immer wieder hat sie erzählt, was war. immer wieder, wenn ich sie darum fragte. ungern oft. so lernte ich, geschickt zu fragen. ich täuschte mißverständnisse vor, stellte bewußt falsche schlußfolgerungen auf, um sie zum reden zu bringen. wollte ich es so oft hören, weil ich spürte, wie wichtig es für sie war, es sich von der seele zu reden ? oder spürte ich, daß sie ihre sendung -nie wieder faschismus- an mich weitergeben mußte, auf daß nicht alles umsonst war ? jedenfalls denke ich heute, daß diese frühe bürde meine seele geformt und sehr schwer belastet. heute ist es gut, mama. heute kommt mir licht auf den verschlungenen pfad zu meinen gefühlen. meine inneren zwänge, die mich so oft ins unglück getrieben haben, beginne ich zu erkennen. das allein schon mindert ihre wirksamkeit. zeit war's. nein, nicht du, mama, warst schuld daran, daß ich nicht richtig kind sein durfte. daß mein gefühlsleben in seinem kern geschädigt wurde. es war der faschismus, der das verbrochen hat. der austrodeutsche, genauer gesagt. zwölf jahre nach seinem ende ? für mich hat er nie richtig aufgehört. ist das ein gefühl oder eine überzeugung ? eine meinung. meine meinung. da waren die vielen prozesse -waren es dreihundertfünfzig ?die mit ebensovielen freisprüchen endeten. mangels an beweisen. befehlsnotstand. einstellung des verfahrens. viele prozesse ? aber wieviele verbrecher, gegen die überhaupt nie ermittelt wurde ? fast alle hier. damals. heute haben wir ja die `gnade der späteren geburt'. was sich auch erst herausstellen muß.. fast alle hier waren täter in irgendeiner form. ausgenommen der jegerstätter und eine handvoll. ausgenommen die sich noch rechtzeitig ins ausland absetzten. ausgenommen die schon vorher verhaftet wurden. ausgenommen einige wenige. dieselben richter. dieselben gerichtsgutachter. dieselben ärzte, lehrer, pfarrer und beamte. und selbstverständlich: dieselben manager in industrie, handel und verkehr, die wirtschaftsfachleute. eine gesellschaft von verbrechern. 19 war ich sechs oder sieben als du einen deiner folterer - einen deiner folterer- auf der straße wiedererkannt hast ? er hatte es schon wieder zum installateurmeister gebracht, eigene firma, und war gerade beim dachdecken seines einfamilienhauses am rande von wien. stell dir vor : deine mutter kommt eines abends nach haus und erzählt dir, daß sie heute einen der männer getroffen hat, die sie vor ein paar jahren tage- und nächtelang in der arbeit hatten. unterbrechung, wenn sie vor schmerzen ohnmächtig wurde. unterbrechung, als sie sich über das treppengeländer in die tiefe stürzte. infolge eines schädelbasisbruches nicht mehr vernehmungsfähig. zittern. debatten die halbe nacht. dann fahrst du mit ein paar genossinnen hin zu seinem haus. mit umhängtafeln geht ihr auf dem gehsteig auf und ab... ergebnis ? was wird aus einem kind, wenn es lernt, daß die gesellschaft, in die es hineinwächst, voller feinde ist, die seine mutter, seine nächsten vernichten wollen. liedloff nennt das: kontinuum. die summe der erwartungen, die wir auf die erde mitbringen, wenn wir geboren werden. versenkt in uns, wie in jedes samenkorn, durch die lange reise auf dem weg der evolution. da ist zuerst die erwartung des kindes, angenommen zu werden. das neugeborene affenbaby kriegt die mutterbrust, wann immer es nach ihr verlangt, und verbringt seine zeit auf dem körper der mutter, oder eines nahen verwandten, bis es selber mitgehen kann. es erlebt sich als rundherum richtig. bald beginnt es, in einen sozialen verband hineinzuwachsen, der es wohlwollend aufnimmt und ihm seinen platz zuweist. als ich im kindergarten ein mädchen mit mandelaugen verteidigte, wurde ich j u d geschimpft. meine volksschullehrerin bezeichnete ich als 'streng, aber gerecht'. wenn meine schrift ihr zu wackelig war, faßte sie von hinten unter mein kinn und hob mich alserganzer in die höh, wobei sie mich seitlich hin und her schüttelte. jedoch war es in diesen frühen gruppen nicht die haltung der erzieherinnen, die mich störte, dazu fehlte mir wohl der vergleich. es waren gewisse verhaltensweisen und einstellungen der schulkameraden, gegen die ich mich stellte, sodaß ich mich oft als außenseiter fühlte, obwohl ich in turnen sehr gut war(!). im gymnasium kam nach und nach die offene feindschaft etlicher professoren dazu. das war mitte der sechziger jahre. im roten wien. favoriten. 270 000 einwohner. an die siebzig prozent wählen sozialistisch. mittendrin das brg10-ettenreichgasse. der direktor ein schwarzer(övp). das die ko-edukation schon seit längerem per gesetz vorgesehen war, konnten wir an den schülertoiletten für mädchen erkennen. kein einziges mädchen an der ganzen schule. 'jonny' war einer der wenigen professoren, bei denen sich mir nicht schon von weitem die haare aufstellten. hatte es nicht leicht, weil er beim vortrag spuckte und zerstreut war. bei dem absolut unsportlichen eindruck, den er machte, überraschte es mich nicht wenig, als er eine art hechtsprung über zwei pulte hinlegte, um mir mein einfaches pazifisten-abzeichen herunter zu reißen. das war in der ersten. am samstag nachmittag half ich im friedensrat oder bei den quäkern flugblätter abziehen und aussendungen beschriften. papa hatte ein österreichisches ostermarsch-kommittee gegründet. ich hatte es mir nicht nehmen lassen, von meinem taschengeld mitglied zu werden. bei der deutsch-schularbeit leitete ich mit zwei, drei sätzen vom gegebenen thema zu meinem eigenen über und schrieb in den vierzig minuten sieben seiten über die bedrohung der menschheit durch die atombombe. ein ß-fehler, drei falsche komma, nicht genügend, themaverfehlung. dem geschichtsprofessor grasemann reichte es nicht, uns seine tendenziöse sicht zu diktieren. gewisse fakten der geschichte wollte er einfach ungeschehen machen, indem er verkündet : wir blättern im dtv-atlas fünf seiten weiter. herr professor, ich glaube sie haben da etwas übersehen. buuh ! brüllt die klasse: geh ham nach moskau ! überblättert: märz 1918 friede von brest-litowsk. 1918/19 interventionskrieg von 37 staaten gegen die sowjetunion. eben noch im kriege gegeneinander, verbünden sich die achsenmächte, die entente, sowie die neutralen türkei, spanien, portugal, um gemeinsam mit verschiedenen 'weißen' hilfstruppen die neugegründete staatenunion vom osten, süden und westen anzugreifen. ich ging in die schule wie in den krieg. die deutschprofessorin matthiasek war monarchistin. schüler androsch war von blauem blute. ein jahr älter als wir, war er einen kopf kleiner und halb so dünn wie der durchschnitt. sie war ebenfalls klein, dünn und altmodisch. als wären sie gemeinsam aus der österreichisch-ungarischen mottenkiste wiederauferstanden. er kam stets nur im anzug. wenn er eine gelb-schwarze krawattennadel angesteckt hat, strahlt sie über das ganze gesicht. androsch hält ein referat über unser heer. mit geschwelgter brust. schüler breuer zeigt auf: das einzige mal, daß unsere republik von einer fremden macht angegriffen wurde, sagte schuschnigg 'gott schütze österreich!'und ließ still halten. er wollte doch nur einen bruderkrieg verhindern ! heult es vom katheder. 20 am abend kam mama spät aus der redaktion nach hause. als chefredakteurin muß man sachen fertig machen. meine jüngere schwester schlief schon fest. und wenn der papa dann auch in sein zimmer gegangen war, dann kam der hansi heraus und half der mama. mit sieben. er las, was sie geschrieben hatte. wühlte im fotomaterial aus dem widerstandsarchiv, er suchte die bilder aus, die in der zeitung erscheinen würden. mit neun. sie arbeitet oft bis spät in die nacht hinein. in dem jahr führt sie schulklassen durch eine ravensbrück-ausstellung, schreibt darüber die 'begegnung 1962', mit der sie den fritz-jensen-preis gewinnt. die österreichische-lagergemeinschaft-ravensbrück bittet sie, eine broschüre für junge menschen über das vernichtungslager zu schreiben. wenn ich das kleine heft durch blättere, erinnere ich mich genau, wie wir daran gearbeitet haben. es war sehr interessant, mit ihr an dem layout zu basteln. sie gestaltete sehr modern. wir rissen fotos und schriftstücke und montierten sie vor schwarzem zeichenpapier. auf der letzten seite die bilder von käthe leichter, schwester restituta und hedi urach auf schwarzem hintergrund. drei frauen, die widerstand leisteten und ihr leben lassen mußten. als wir die fotos einrichteten, machte mama ihren schritt zurück vom tisch, um die optische wirkung zu prüfen. war so ein feiner mensch, die hedi. und so jung no hats sterbn müssn. dann zeigte sie mir, wie man die größe der bilder auf dem schwarzen karton anzeichnet, um dann die fenster auszuschneiden. für die katholische ordensschwester in der mitte schnitt ich einen schönen ovalen rand aus, flankiert von zwei viereckigen für die sozialdemokratin und die kommunistin. 'ravensbrück: was geht das mich an'. wenn ich das deckblatt wende und richtig zu lesen beginne, schaffe ich keinen absatz, ohne daß ich heulen anfange: WIEVIEL In Ravensbrück sind 92 OOO Frauen getötet worden. SIND Wieviel sind 92 OOO Menschen? 92 OOO Du sitzt an der Maschine, die Kolonnen von Zahlen MENSCHEN? in Sekundenschnelle verarbeitet. Du liest die Zeitung und da stehen Daten über den Flug zur Venus. Es sind Zahlen, die in viele, viele Millionen gehen. Und hier ist eine Zahl mit nur drei Nullen daran: 92 OOO Frauen, Mädchen und Kinder sind in dem größten Frauenkonzentrationslager des Hitlerregimes umgekommen. Menschenleben in Zahlen ausgedrückt? Man kann Menschen zählen. Aber um zu begreifen, wieviel 92 OOO Menschen eigentlich sind, mußt du deine Vorstellungskraft anrufen: Sonntagnachmittag. Im Wiener Stadion ist ein Fußball-Länderkampf. Eine Stunde vor Beginn des Spieles sind die Straßenbahnen überfüllt, die Parkplätze werden knapp. Und dann, wenn die beiden Mannschaften einlaufen und das Spiel beginnt, befinden sich im Stadion rund 9O OOO Zuschauer. Willst du dir aber die ganze Bedeutung des Todes von 92 OOO Frauen, Mädchen, Kindern ausmalen, dann stelle dir auch die Menschen vor, die deren Lebenskreis bildeten: die Mutter, den Vater, die Geschwister, den Mann, den Freund, den Verlobten, die Kinder und die Kindeskinder. Stell dir die Betriebe, die Schulen vor, in denen sie gearbeitet, gelernt haben, stelle dir die Spielplätze, die Sporthallen, die Kinos, Theater vor, wo sie gespielt, Sport betrieben, wo sie ihre ihre Freizeit verbracht haben. Dann wirst du sagen können: ich weiß: So viel sind 92 OOO Menschen. opferkind-täterkind 21 täterkind-opferkind oft hab ich mich als ein fossil gefühlt. als wandelndes fossil den anderen gegenüber. und wenn es gute freunde waren, gesinnungsgenossen -ich wußte es doch!- sie fühlten es nicht so stark wie ich. diesen schmerz. diese verletztheit und verletzbarkeit. warum machte es ihnen nicht so viel aus wie mir ? warum fühlten sie es nicht ? warum waren ihre antennen nicht so scharf eingestellt wie meine ? warum bedrückte es sie weniger als mich -und nicht mehr ?!- daß wir in polen zweihundertsiebzigtausend blond-blauäugige kinder geraubt haben. stiftung lebensborn. kleine kinder, die dann hier-bei-uns groß wurden, die dann nichts mehr wußten von ihrer polnischen mama und auch nichts mehr wissen wollten, als junge deutsche oder österreicher von ihren angeblichen polnischen eltern -welche gemeinheit !- die sie nach jahrelangem suchen durch das internationale rote kreuz endlich gefunden hatten. wie soll ich schweigen, wenn jemand 'bis zur vergasung' für 'bis zum geht-nicht-mehr' verwendet. wenn dieser jemand ein freund ist, ein verbürgter antifaschist, das macht die sache um gar nichts besser. ganz im gegenteil: von einem bewußten menschen muß ich doch erst recht erwarten, daß er nicht dauernd vom 'tschusch', vom 'pollackn' oder 'jugo' redet. seinen sohn nicht mit 'du russ!' aus dem frisch überzogenen bettchen jagt, angesichts seiner kohlrabenschwarzen sohlen. stichwort: die zwei ebenen. die persönliche. die politische. und die zwei des gegenüber: macht vier. und die vier, die vermischen sich...übel. jahrzehntelang war mir das nicht bewußt. daß ich mich gerade in szene setze, daß ich eine politische kritik übe, um von einer persönlichen schwäche abzulenken. auch dem lebensgefährten gegenüber. aus eifersucht, aus neid, konkurrenzangst einen politischen angriff versuchen. als wir draufgekommen sind, war das in der beziehung leicht zu bearbeiten. wir fingen an, die ebenen auseinander zu halten und es wurde leichter. aber außerhalb der partnerschaft ist es ungleich schwieriger. ich kann nicht bei jedem 'durch den rost fallen', bei jeder 'kanaille' erst ein grundsatzreferat darüber halten, daß ich eh' nicht belehren, nur eine information geben will. daß ich eh' kein moralisches problem damit hab - wo ich es doch gerade habe ! so werde ich immer wieder zum richter die freunde zu angeklagten, die sich angegriffen fühlen, sich verteidigen, sich gar nicht verteidigen müssen und überhaupt und das wär ja noch schöner und jetzt erst recht und es ist ihnen scheißegal welchen sinn dieser ausdruck für irgendwen hat, denn für sie hat er immer nur das geheißen und wieso sollten sie das jetzt plötzlich ändern, die zum gegenangriff übergehen. glaubst du vielleicht, d u bist unfehlbar? nein, mitnichten glaube ich das. ich suche die kritik. ich räume jedem das recht ein, mich aufmerksam zu machen auf dunkle stellen in meiner sprache, meinen gedanken. vielleicht werd ich mich wehren, winden, geistig um mich schlagen, so wie damals, als mir der rameder hans mitten in der anbrüllerei zugeschrien hat 'du bist ja voller a g g r e s s i o n s e r w a r t u n g s h a l t u n g ! ' . was mir noch lang zu denken gab. um dann als wichtiger begriff in meinem hirnkastl zu verbleiben. auch ich bin mit den völlig unverfänglichen vokabeln 'neger' und 'zigeuner' aufgewachsen und es wäre oft viel praktischer sie zu verwenden. aber wenn das auch nur ein teil der betroffenen als diskriminierend empfindet, so muß ich die konsequenz ziehen und darauf verzichten. schande auf jene scheinheiligen bürger, die auf ihren hergebrachten wortschatz pochen, auf ihre angestammten wertungen, wie etwa anfang der neunziger in fernsehdiskussionen nach dem motto ich will weiter 'neger' sagen dürfen, auch wenn die arabella kiesbauer das verletzend findet. 22 der gegenangriff kann auf die persönliche ebene zielen. dieser verfehlt seine wirkung fast nie. wir schaun ja aus uns hinaus und sehen's beim andern immer besser. was er falsch macht, wo er sich irrt, sich nur gut her stellen will, um von seinen schwächen abzulenken..manchmal schmerzlich, oft sehr nützlich für mich, immer irgendwie berechtigt. aber der politische...oje, oje! was einem da nicht alles entgegengehalten wird. oder soll ich sagen entgegenvorgehalten? der stalinismus gegen den faschismus. als ich einem täterkind -möglicherweise zu unrecht- befangenheit unterstellte, hielt sie mir plötzlich den terror israelischer besatzungsoffiziere vor. als ob ich jemals mit denen irgendwas zu tun gehabt, nebbich, den vater hab ich halb zur verzweiflung gebracht 1969 mit meiner bewunderung für die flugzeugentführer der al-fatah, ihn, der zeit seines lebens den chauvinismus auf beiden seiten verurteilte. der von mir hoch verehrten rosi unterstellte ich in einer hitzigen debatte gar explizit den antisemitismus. worauf sie mir sofort den 'semitismus' vorwarf. so stritten wir die nächste viertel oder halbe stunde über die geschichte des wortes antisemitismus. dann kam uns ihre gstudiertheit zu hilfe, sie schlug es im duden nach - und begann endlich nachdenklich zu werden. verwehte spuren habe sie unlängst entdeckt. eine tante, mit der war da etwas. so belastend, daß man nicht einmal hinter vorgehaltener hand darüber sprach. aber möglicherweise sei doch irgendetwas sehr unterschwellig weitergegeben worden. tot jene, die man fragen könnte. und wenn sie lebten, rosi, glaubst du wirklich, du könntest sie zum reden bringen? und dann die geschichte mit sarah. ich glaube, es war in demselben le-monde artikel, in dem ich über den kinderraub an den polen las, daß ich erfuhr, daß unter den nazis jede jüdische frau, jedes mädchen diesen vornamen vor ihren vornamen in ihre papiere setzen lassen mußte. es lebt also eine generation -oder schlimmer gesagt der rest davon- die mit diesem namen gebrandmarkt wurde, sowie auch dieser name gebrandmarkt wurde für alle, die es wissen wollen. und die es nicht wissen wollen ? besteht ein recht darauf, es nicht wissen zu wollen ? ich meine : nein . irgendwie ist der name dann in mode gekommen. vielleicht, weil sie zu ihren alten namen stehen, wurscht was irgend ein hitler damit gemacht hat. und etliche von ihnen nach amerika gegangen sind. wo so manche ihrer töchter berühmt werden, als kulturimport hierzulande wiederkehren, oder wie die mode halt so gemacht wird. rundherum sprießen die sarahs. war es in der hoffnung, einen berührungspunkt zu finden, oder der unselige trieb, den finger in die eigene wunde zu legen, ich weis es nicht, jedenfalls fragte ich sie. immerhin war sie sozialistische gemeinderätin. fragte die schwester der geliebten, warum sie ihre tochter sarah genannt habe, ob das irgendwas mit.. weiter bin ich nicht gekommen. mehr hob i net braucht. sauber ins fettnäpfchen getreten. und jahre danach der zweite aufguß davon. zwei frauen, die beide schwestern haben, die eine tochter haben, die sarah heißt. und es sich beide gut vorstellen können, daß ihre schwestern nichts von alldem wissen wöllaten, und das sei auch ihr gutes recht, müsse man sich doch bei anderen namen auch nicht mit historie befassen, und überhaupt man lasse sich doch nicht vorschreiben, an was man alles zu denken habe.. warum nennen mütter ihre söhne dann nicht adolf, frag ich mich, wenn das alles keine bewandtnis hat? laß uns doch damit in ruhe. ein recht, in ruhe gelassen zu werden, da-mit. ein recht, es nicht wissen zu wollen. 22 hier: entweder - oder . entweder es existiert dieses recht, also wir geben diesem recht das recht auf existenz, dann hat es früher erst recht existiert. dann haben sie also recht gehabt, daß sie weggeschaut haben, zu millionen. daß sie es nicht riechen und nicht hören wollten. dann aber geben wir den menschen kein recht auf existenz, die dadurch umgekommen sind, durch dieses wegschauen hier-bei-uns. und in den ländern, wo sie nicht weggeschaut haben, da sind auch mehr gerettet worden. aber das scheint ja unsere spezialität zu sein in diesem jahrhundert, das wegschauen. oder wir sagen, sie hätten nicht wegschauen dürfen, das war unrecht. dann dürfen wir erst recht nicht wegschauen. denn die wegschauer haben jahrzehntelang alles totgeschwiegen. nichts ist aufgearbeitet, kaum. und weil sie keine schuld auf sich genommen haben, keine sühne, die opfer bis heute noch nicht einmal alle als opfer anerkannt, nicht versorgt, nicht entschädigt, nicht in ihrer ehre wiederhergestellt, besonders nicht in österreich, wo nicht nur der führer, sondern auch die allerschlimmsten peiniger her kamen.....kommt die schuld auf die kinder und kindeskinder. ich glaube, daß sie uns alle belastet, diese schuld. es gibt aussagen, die belasten einen, wenn man sie nur hört. doch manche belastet sie mehr. und manche 'belasten sich nicht damit'. und manchen ist es weniger bewußt, das auch sie damit belastet sind. ich bin schuld ? hast du gefragt, ich soll schuld sein ? schuld an etwas, was meine eltern getan. du spinnst ja. ich bin überhaupt nicht schuld, des is jo a frechheit ! i kaun do ned aun wos schuid sei, wos meine ötan gmocht ham . und überhaupt, meine mutter ihre mutter die hat sogar wen versteckt, der aus dem lager gflüchtet war, oder so, und da habens dann immer brot hinbracht, in so einen hohlweg.. was ist denn schuld überhaupt ? wie schlägt sie sich nieder ? schuldgefühle. ich glaube, daß schuldgefühl schuld anzeigt. aber nicht notwendigerweise nur bei den wirklich schuldigen. abgeschobene schuld. immer weiter geschoben. 1991 in krakau bekam ich schreckliche schuldgefühle. es passierte mir, daß ich in einer rezeption auf deutsch etwas fragte und einfach keine antwort bekam. auf englisch ging es dann. es gab zwei,drei solche vorfälle. natürlich auch das gegenteil, man versteht dort deutsch. ich mußte an die geraubten und an die ermordeten kinder denken. an den neuen deutschen reichtum und die verachtung gegenüber den polnischen straßenhändlern. mir wurde ganz schwarz innerlich. schuldgefühle, deutsch zu sprechen. das mädchen hat schuldgefühle gegenüber der mutter, weil sie ihr nicht helfen konnte, als der vater sie schlug. natürlich hat das kind keine schuld. aber: wo beginnt schuld ? wer war wirklich schuld am zweiten weltkrieg, an der ausrottung von roma, juden, kommunisten, behinderten, anarchisten, homosexuellen. die grenzen sind fließend, wo die schuld, mitschuld anfängt. fließend über die orte, die zeit, über leben und tod. das blut der anderen. selbst juden, roma, die, als kinder noch, im kz durch die sogenannte selektion von ihren lieben, geschwistern, eltern getrennt wurden, litten unter den fürchterlichsten schuldgefühlen ein leben lang. wie kann ich leben, wenn sie tot sind. auch meine mutter 'vielleicht haben wir nicht genug getan'. leid gegen leid aufrechnen, schuld gegen schuld. was bringt das ? kein mensch kann frei von schuld bleiben. du kommst auf die welt und schon stiehlst du deiner zweijährigen schwester die liebe der mama, ihre zeit, ihre aufmerksamkeit, ihre zuwendung. so hab ich das von der simone de beauvoir verstanden. nur in den extremen sehen wir klar. doch: sie lügen. der hitler hat österreich besetzt. als er zur welt kam, war er auch noch nicht so. was ist da alles passiert. und vor allem: was hat da alles gefehlt, ist diesem kind alles verweigert worden. so wie millionen anderen kindern. heute erst recht. ich hab einen buben gekannt, der hat mit drei jahren katzen umgebracht. unsere hündin gebärdete sich unglaublich ängstlich an ihrer kette, wenn er nur auftauchte. bis wir beobachteten, wie er von der dachterrasse große steine auf sie warf. unser kleiner war grad ein gutes jahr alt, der große zweieinhalb, und sie spielten oft unbeaufsichtigt mit der kleinen gefahr. zutiefst beunruhigt redete ich kati stundenlang ins gewissen. ich fuhr zu jener zeit täglich allein zur arbeit. dann eine abendliche mitteilung. sie war gerade noch rechtzeitig gekommen, um andis kopf aus dem wasser zu reißen. war nur ein leises gurgeln von der sonnigen terasse her gekommen, wo die kinder bei der blechernen sitzbadewanne spielten.. 23 ich sei übrigens auch sehr eifersüchtig gewesen. hätte der kleinen lisi sand in den mund gefüllt. sollen wir deshalb die schuldigen nicht benennen? die ersten drei mio.(oder war es mrd.)reichsmark in gold bekam hitler von einer britisch-niederländischen geschäftsgruppe. was sagst du, da waren vielleicht auch juden dabei ? kann schon sein. du schließt daraus, daß sie selbst schuld haben an ihrer vernichtung ? (sowas muß man sich anhören) aber nein. weil es d i e juden nämlich nicht gibt. und noch weniger als d i e deutschen, die die juden ausrotten wollten. was hat denn die kleine hungrige judith aus lodz mit dem elsäßischen waffenfabrikanten baron de rotschild gemeinsam ? die religion? na, und? wahrscheinlich nicht einmal die. nein, deswegen weil sie verfolgt sind, sind nicht alle juden gute menschen. die nicht, die roma nicht, die schwarzen nicht, kein volk, niemand. das hab ich lang nicht einsehen wollen. für mich waren sie die besseren menschen, prinzipiell. alle ausländer. von je weiter weg, desto sicherer. und die leute hier die schlechteren, potentiell. so hat sich das in meine kinderseele eingebürgert. es gibt auch ein schwarz-weißfoto, da sieht man meine schwester und mich so mit drei, vier jahren strahlend auf den schultern von zwei jungen koreanern, die hände schütteln. weltjugendkonferenz 1958. diese grundhaltung hab ich immer noch in mir. ich bin froh, daß mir meine eltern diese indoktrinierung mitgegeben haben. diese dosis gegengift halte ich für absolut sinnvoll, um bei der meinungsvergiftung, der wir hier alle ausgesetzt sind, einen einigermaßen klaren kopf zu bewahren. wer a geld hot, der kann grob sein und wer kans hot, der kanns - a sein. singen wir in wien. aber das ist eben nicht 'ollas ans'. denn wer die macht hat, und ist schlecht, und jeder ist auch schlecht, und wird es zunehmend, an der macht, den nennen wir zurecht den schuldigen. nur die völker, nur die menschen sind gut, die nicht an der macht sind, und nur solange sie es nicht sind. dein großvater war zimmermann in mauthausen. hot a a familie zun ernährn ghobt. woa ned leicht damals an oabeid zun kriagn. das sind schwere brocken für mich. oft schwärmst du von deiner kindheit. nicht rosig, ärmliche verhältnisse. aber deine eltern gaben dir das gefühl, o.k. zu sein. du sagst, du hättest keine schuldgefühle. man könne sich eben welche machen, oder nicht. was hast denn davon ? schau, unsere kinder wern uns amoi frogn, wieso mir a mitn auto gfahrn san, obwohl ma des olles gsegn hobn, mit der umweltzerstörung. ich bäume mich auf gegen diesen vergleich. auch wenn was wahres dran ist, das ist zu weit hergeholt. es ist doch ein unterschied, ob man teilnimmt an einem offiziell erklärten vernichtungskrieg gegen andere völker oder an unserer autogesellschaft. zigtausende sind aus der wehrmacht desertiert. sie wurden 'unehrenhaft ausgeschieden' und bis heute nicht rehabilitiert. andere sind ausgewandert. zu denen würden wir auch gehören, du noch früher als ich. es stimmt schon, keiner der hier lebt, keiner von uns, kann sich diesem system völlig entziehen. irgendwo sind wir alle teil davon und profitieren mit an der weltweiten ausbeutung. und ob es sie gibt. die proletarier. die nichts zu verlieren haben, außer ihre ketten. aber nicht hier-bei-uns. 24 die umweltzerstörung ist ja das lieblingsmenü, das sie uns täglich vorsetzen. unsere meinungsköche. so wollen sie uns haben. die informationsflut brav konsumierend und ein häufchen schlechten gewissens. damit berieseln sie uns und unsere kinder: wir sind alle umweltkriminelle, soviel wir auch tun. wir lassen die armen verrecken in jeder minute unseres komfortablen lebens. ohne den kleinsten schimmer von ausweg. immer tiefer hinein. die desilliusionierung der mülltrennenden kleinen ist schon vorprogrammiert. auch ich fühl mich schuldig. es ist schwierig, nicht wegzuschauen. damals hatten sie noch kein fernsehn. heute muß ich wirklich wegschauen vom schirm. oder ich schiebe die nächste mozartkugel zwischen zunge und gaumen und schaue dabei dem schwarzen baby in die augen, das gerade verhungert. der schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch eigentlich ein grausliches zitat, woher stammt es? es klingt nach angst vor der gebärfähigkeit der frau, vergleicht sie mit dem nährboden des faschismus. renate sagt, vielleicht sollst du schreiben, ja, schreib, schreib dein buch, schreib es dir von der seele. schau, da hab ich an dich denken müssen, das schenke ich dir zu weihnachten: peter heinl - flieg, maikäfer, flieg, dein vater ist im krieg..über kriegs- und nachkriegstraumata er plädiert für eine eigene unter-fachrichtung in der psychoanalyse, die längst existieren würde, hätte krieg (und faschismus, sage ich) nicht so eine gute protektion. fast jede familie hier-bei-uns wurde vom krieg geprägt. neben den schrecklichen lücken hinterließ er die heimkehrer-krüppeln. ich meine die größere gemeinschaft der g e i s t i g verkrüppelten. so wie ein lamm, das zu früh keine muttermilch mehr bekommt, einen wachtumsknick erfährt, der später, wenn es die krise überwunden hat, auf lebzeiten in seine körperhaltung eingeschrieben ist, und zwar als eine art zusammengeschnürt sein um den brustkorb - so haben sich die schäden im gefühlsleben der soldaten eingegraben, um weiterzuwirken. und egal, wie gut oder schlecht es der eine oder andere verarbeiten konnte, es hat das familienleben mitgeprägt. die beziehung zur partnerin, zu den kindern, den arbeitskollegen, den wirtshaustisch-zuhörern. die ganze gesellschaft. oft sehr laut. deswegen kann ich kein bier trinken. als ich probieren hätte sollen, da lehnte schon einer an der schank, der zuviel davon getrunken. zuviel ? genug jedenfalls, daß der drückende, enge faßring, seine hemmung, endlich wieder einmal abgesprengt wurde. und sich die stinkende flut seiner heldenerinnerung einen weg bahnen konnte durch seine stinkende kehle. deswegen kann ich kein bier trinken. öfter aber sehr, sehr leise. die väter, die nie darüber sprachen. irgendwo vielleicht einmal ein 'das is nix für dich'. oder nicht einmal. nur körpersprache. wenn er sich plötzlich abrupt abwendete. sich verkrampfte. die meisten kinder, auch die, die fragen dürfen, lernen ja sehr früh, was sie n i c h t fragen dürfen. in meiner generation noch alle, glaub ich. aber alle kinder lernen auch, körpersprache zu lesen. doch diese botschaften, die so subtil weitergegeben und niemals erklärt werden, sind dann für das erwachsene kind schwer in sich zu orten. im unterbewußtsein abgelegt, beeinflussen sie denken und handeln, ohne daß man es will, oder überhaupt wahrnimmt. und doch können umrisse davon für andere wahrnehmbar sein. das kann dann geradezu erschreckend sein und ruft erstmals abwehr hervor. peter heinl schreibt von frühkindlichen traumatischen erfahrungen, die sich, dem patienten unbewußt, so tief in die körperhaltung eingeschrieben hatten, daß er, der therapeut, sie ahnen und durch rauminstallationen oder aktionen dem betroffenen helfen konnte, sie wiederzusehen, sodaß sie in der folge verarbeitet werden konnten. peter heinl hat selbst ähnliche erfahrungen gemacht. selbst ostflüchtling schreibt er über ostflüchtlinge/vertriebene. bei seinen beschreibungen habe ich oft denken müssen an den satz von biermann 'man kann nicht, oder soll nicht leid mit leid aufwiegen'. ich habe doch mit dem ebenfalls leidenden viel gemeinsam, auch wenn er auf 'der anderen seite steht'. wollte er überhaupt dorthin ? als kleiner kommunist hab ich gelernt, sehr hellhörig zu sein für antikommunismus. und der spielt doch hier-bei-uns eine große und wichtige rolle. viel wichtiger als die, die unser-einer-wisch jemals spielte. da waren die vertriebenen, die sudetendeutschen und so, immer ganz vorn mit dabei, aufn tablett. also waren das alles antikommunisten, hetzer also, schlechte leute. jede ernstgemeinte kritik von freunden, tatsachenberichte aus dem 'realen sozialismus' rutschten da natürlich leicht mit hinein. schablone ab. 26 vielleicht spürte der peter das auch durch. aber die gründe für sein widersprüchliches verhalten mir gegenüber haben sicher weniger mit mir zu tun, als mit seinen 'leichen im keller'. ich kam mir mehr als der auslöser vor, entsprechender alkoholspiegel vorausgesetzt, daß er die sau rausließ. wie komme ich dazu ? fragte ich mich jedesmal. ihr juden tuts eich jo gean lustig mochn üba olle, de wos ned so brillant san, wie ihr, gö ? wos haast do 'ihr juden'? erstens is nua mei vater jude, sodaß mi gläubige juden gor net als juden ... 'philosemit' sei jemand, der seinen judenhass hinter philosophischem interesse und wohlmeinender aktivität verstecke, las ich im 'semit'. es war ja der selbe peter, der so gern jiddische lieder musizierte, mich oft zum singen aufforderte. er regte an, ich sollte bei einem konzert einer schulband als sänger auftreten. und dann diese geschichte. ich hatte das gefühl, daß sie bei ihm einen zentralen stellenwert einnimmt.'der wirklich verständliche grund für den judenhass des kleinen mannes.'so klang mir das: er sei mit seinem onkel, dem der hof gehörte, auf dem sie seit ihrer flucht lebten, mit dem pferdewagen vom waldviertel nach gars am kamp gefahren. dort mußte er dem jud, dem wucherer, die hypothek zurückzahlen, die ihm jener auf seinen hof geliehen hatte, und für die sie jetzt ein hartes jahr gearbeitet hätten. der jüdische bankier war im kampbad, wo er sich in der sonne räkelte, die frauen halbnackt, kurz sich dem müßiggang hingab. dort hätten sie sich anmelden müssen, um dann nähertreten zu dürfen, um das geld abzugeben. er erzählte das völlig unvermittelt, ohne vorwarnung, später bezog er sich öfters darauf. man stelle sich vor! dieser anblick! für einen sich abrackernden, gottesfürchtigen bauern. da steckt alles drin: die juden wollen uns alles wegnehmen, ohne einen finger krumm zu machen, bedrohen unsere sitten, weil sie so freizügig sind, so geil. es war das einzige mal, daß ich so eine geschichte hörte. die vorurteile gegen juden, roma, schwarze gründen sich normalerweise hier-bei-uns nur auf hörensagen. peters hilfsbereitschaft, solidarität sind außergewöhnlich. er hat es nicht vergessen, wie es ist, in not zu sein, vertrieben zu werden. oft beherbergt er flüchtlinge in seinem haus und die beeinträchtigung des eigenen lebensablaufs scheint ihm kaum was auszumachen. seids scho oben gwesen? hobts scho mit mein hausnega gredt? mir bleibt der mund offen, innerlich. trotzdem ist klar: er meint es nicht so. ist es eine provokante methode, mit seinen moralischen grenzen zu spielen ? aber der rudi, der meint es so. das ist dort, wo die grünalternativszene langsam braun wird, und keiner will es wissen. durch jahrelange nachbarschaft verbunden, beide pärchen kleine kinder, derselbe vermieter, für den wir, im austausch fürs wohnen, beide öfters gemeinsam arbeiten. bzw alle vier. gegenseitige kinderbetreuung. unzählige gespräche. in jenen jahren leben wir fast in gemeinsamem haushalt mit einer kurdischen familie. gemeinsames bad übern hof, gemeinsamer gemüsegarten, man hilft sich aus in vielem. die gegenseitigen berührungsängste zwischen unseren nachbarn rechter und linker hand schmelzen zunehmends, ich beginne mir hoffnungen zu machen, daß die vielen gespräche nicht ganz vergebens waren. bis er eines tages tief luft holt, sich räuspert, um es mir dann so richtig eine zu sagen: er habe es jetzt schwarz auf weis, er bringt mir das buch, da stehn die beweise olle drin, ana nochn aundan. des is von an wissenschoftla, a gscheida mau, der hot des oiß studiert. do steht oiß drin. üba de jüdische wödfaschwörung. _