- Hans Breuer

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*leben1-3
HIER-BEI-UNS
wien, im jänner 1996
brrr, soo kalt !
der taxifahrer hebt die schultern und schüttelt sich.
wie geht das geschäft heute ?
hm, nicht viel los.
zu kalt, hm ?
ja, die leute bleiben zu hause.
woher stammen sie ?
ich komme aus persien.
gibt es dort auch so einen strengen winter ?
oh, ja. schlimmer noch. in den bergen im norden kann es dreißig grad minus
haben, sogar zwei, drei wochen lang. aber im süden ist warm jetzt. zwanzig,
fünfundzwanzig grad..die reichen leute haben alle ihr landhaus im süden, am
meer oder in der nähe..
also gehören sie nicht zu den reichen, sonst würden sie nicht hier taxi
fahren, oder ?
eh..nein,..ich meine, ich habe ein schönes haus,..dreißig zimmer....
..mit marmor..alles schön, aber jetzt habe ich nur zwei leute, die in dem
haus sind. sie arbeiten größtenteils für ihre eigene tasche, isz mir egal,
ich will nur, daß das haus in ordnung bleibt, ein bißchen gepflegt wird,
daß nicht viele kommen und alles wegtragen aus dem haus..
ich will nicht in persien leben jetzt. nein, das interessiert mich nicht.
unter diesem regime, daß jetzt in unserem land an der macht ist, nein.
wir leben doch im zwanzigsten jahrhundert jetzt! hier in österreich wir
haben demokratie, kann man seine meinung frei sagen, in persien heute
nicht so..
und wer unterstützt diese regierung vom ausland ?
alle machen sie geschäfte mit diese regierung : amerikaner, rußland,
deutschland, viel ! österreich auch ! hunderte milliarden schilling,
große geschäfte !
aber stellen sie sich vor, was meiner mutter passiert ist. es war nur
eine locke, die vorgeschaut hat auf ihrer stirn. es war nicht mit absicht.
..es war..sie ist herausgerutscht, verstehen sie ? man hat sie zu dreißig
schlägen mit der peitsche verurteilt.
dreißig peitschenhiebe ? das kann tödlich sein.
ja. - dann haben wir gesammelt. die ganze familie, alle die bekannten.
eine sehr große summe geld haben wir auftreiben müssen, um diese strafe
umzuwandeln.
die schläge auf meine mutter wurden nicht umgewandelt.es waren mehr als
dreißig. viel mehr. wieso ist sie nicht daran gestorben ? weil sie von
ihr etwas wissen wollten. und der österreichisch-deutsche faschismus
der nazis - und das war seine besonderheit - war sehr, sehr gut
organisiert. mit austro-deutscher präzision wurde sie gefoltert. dabei
ging es nicht um bestrafung. die war für später vorgesehn.
konzentrationslager etwa. hier verfolgten sie ein anderes ziel. sie
wollten namen wissen. namen von mitgliedern der illegalen kommunistischen
partei. der spielraum für die sadisten unter den gestapo-leuten war dabei
noch groß genug. für sie war die frage, wie man so viel qualen und
schmerzen wie möglich verursacht, ohne daß der delinquent stirbt oder
dauerhaft vernehmungsunfähig wird. sie verstanden ihr handwerk und
waren kontrolliert, in doppeltem sinne. unfälle - unvorhergesehene
todesfälle beim verhör waren selten. doch folterten sie noch, um namen
bestätigt zu kriegen, die sie schon von einem anderen ihrer opfer wußten.
vormals ein nobelhotel, hatte das gestapo-hauptquartier am morzinplatz
dick gepolsterte, doppelte türen. wo früher jedes geräusch vor den
empfindsamen ohren der feinen gäste abgeschirmt wurde, deponierte man
jetzt die beim verhör ohnmächtig gewordenen, mit welchen man sich bald
weiter beschäftigen wollte. zwischen den türen weckten sie die schreie
der gefolterten leidens genossen oder kübel voller wasser.
es gab mehrere stockwerke unter der erde. dort saßen die lebenden toten.
sie waren von den nazis öffentlich bereits als tot -hingerichtet- erklärt
worden, um ihnen jede hoffnung zu nehmen und sie gefügig zu machen, für
weitere aussagen..
18
wer erzählt das eigentlich ?
ist er dabei gewesen ? was, zwölf jahre später geboren ? neun jahre nach
dem ende des grauens, aus der übernächsten generation?
mit der muttermilch ist das in mich geflossen. dieses wissen meiner
mutter, das erlebte, das sie quälte. sie im schlaf zusammenfahren ließ.
ihren körper in plötzlichen zuckungen verkrampfte. in diesem körper war
auch - ich. und dann lag ich in dem nest, das ihre brust und ihr bauch,
ihre schenkel, arme, hände und ihr gesicht um mich bildeten. und wieder
war da das zucken, das plötzliche reißen der glieder, das auffahren
aufhorchen, aufreden aus dem schlaf. das kind riß es jedesmal, wenn es
ihr passierte, auch. schon war es der mutter ein trost in dieser
furchtbaren welt. bald sollte es sie auch mit worten trösten. denn bald
stellte es die fragen nicht mehr nur mit
seinen großen dunklen augen.
und bald sollte es antworten bekommen.
zu bald, wie die schwester später meinte.
welche antworten verträgt ein kleines kind
von zwei, von drei, von vier fünf sechs jahren?
welche wahrheiten ?
und wer will richten über die mutter, die ihr kind nicht belügt, den
großen augen, den nicht nachlassenden fragen, dem kleinen unruhegeist
nachgibt. nachgibt dem großen schmerz, der in ihr lastet.
sie hat mir alles erzählt. alles ?...? wie hätte sie das alles
mitteilen sollen, können ..
immer wieder hat sie erzählt, was war. immer wieder, wenn ich sie darum
fragte. ungern oft. so lernte ich, geschickt zu fragen.
ich täuschte mißverständnisse vor, stellte bewußt falsche
schlußfolgerungen auf, um sie zum reden zu bringen.
wollte ich es so oft hören, weil ich spürte, wie wichtig es für sie war,
es sich von der seele zu reden ?
oder spürte ich, daß sie ihre sendung -nie wieder faschismus- an mich
weitergeben mußte, auf daß nicht alles umsonst war ?
jedenfalls denke ich heute, daß diese frühe bürde meine seele geformt
und sehr schwer belastet.
heute ist es gut, mama. heute kommt mir licht auf den verschlungenen
pfad zu meinen gefühlen. meine inneren zwänge, die mich so oft ins
unglück getrieben haben, beginne ich zu erkennen. das allein schon
mindert ihre wirksamkeit. zeit war's.
nein, nicht du, mama, warst schuld daran, daß ich nicht richtig kind
sein durfte. daß mein gefühlsleben in seinem kern geschädigt wurde.
es war der faschismus, der das verbrochen hat.
der austrodeutsche, genauer gesagt.
zwölf jahre nach seinem ende ?
für mich hat er nie richtig aufgehört.
ist das ein gefühl oder eine überzeugung ?
eine meinung. meine meinung.
da waren die vielen prozesse -waren es dreihundertfünfzig ?die mit ebensovielen freisprüchen endeten. mangels an beweisen.
befehlsnotstand. einstellung des verfahrens. viele prozesse ?
aber wieviele verbrecher, gegen die überhaupt nie ermittelt wurde ?
fast alle hier. damals. heute haben wir ja die `gnade der späteren
geburt'. was sich auch erst herausstellen muß..
fast alle hier waren täter in irgendeiner form. ausgenommen der
jegerstätter und eine handvoll. ausgenommen die sich noch rechtzeitig
ins ausland absetzten. ausgenommen die schon vorher verhaftet wurden.
ausgenommen einige wenige.
dieselben richter. dieselben gerichtsgutachter. dieselben ärzte, lehrer,
pfarrer und beamte. und selbstverständlich: dieselben manager in
industrie, handel und verkehr, die wirtschaftsfachleute. eine
gesellschaft von verbrechern.
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war ich sechs oder sieben als du einen deiner folterer - einen deiner
folterer- auf der straße wiedererkannt hast ?
er hatte es schon wieder zum installateurmeister gebracht, eigene firma,
und war gerade beim dachdecken seines einfamilienhauses am rande von
wien.
stell dir vor : deine mutter kommt eines abends nach haus und erzählt
dir, daß sie heute einen der männer getroffen hat, die sie vor ein paar
jahren tage- und nächtelang in der arbeit hatten. unterbrechung, wenn sie
vor schmerzen ohnmächtig wurde.
unterbrechung, als sie sich über das treppengeländer in die tiefe
stürzte. infolge eines schädelbasisbruches nicht mehr vernehmungsfähig.
zittern. debatten die halbe nacht.
dann fahrst du mit ein paar genossinnen hin zu seinem haus.
mit umhängtafeln geht ihr auf dem gehsteig auf und ab...
ergebnis ?
was wird aus einem kind, wenn es lernt,
daß die gesellschaft, in die es hineinwächst,
voller feinde ist, die seine mutter, seine nächsten vernichten wollen.
liedloff nennt das: kontinuum. die summe der erwartungen, die wir auf die
erde mitbringen, wenn wir geboren werden. versenkt in uns, wie in jedes
samenkorn, durch die lange reise auf dem weg der evolution. da ist zuerst
die erwartung des kindes, angenommen zu werden.
das neugeborene affenbaby kriegt die mutterbrust, wann immer es nach ihr
verlangt, und verbringt seine zeit auf dem körper der mutter, oder eines
nahen verwandten, bis es selber mitgehen kann.
es erlebt sich als rundherum richtig.
bald beginnt es, in einen sozialen verband hineinzuwachsen, der es
wohlwollend aufnimmt und ihm seinen platz zuweist.
als ich im kindergarten ein mädchen mit mandelaugen verteidigte, wurde
ich j u d geschimpft. meine volksschullehrerin bezeichnete ich als
'streng, aber gerecht'. wenn meine schrift ihr zu wackelig war, faßte sie
von hinten unter mein kinn und hob mich alserganzer in die höh, wobei
sie mich seitlich hin und her schüttelte. jedoch war es in diesen frühen
gruppen nicht die haltung der erzieherinnen, die mich störte, dazu fehlte
mir wohl der vergleich. es waren gewisse verhaltensweisen und
einstellungen der schulkameraden, gegen die ich mich stellte, sodaß ich
mich oft als außenseiter fühlte, obwohl ich in turnen sehr gut war(!).
im gymnasium kam nach und nach die offene feindschaft etlicher
professoren dazu.
das war mitte der sechziger jahre. im roten wien. favoriten.
270 000 einwohner. an die siebzig prozent wählen sozialistisch.
mittendrin das brg10-ettenreichgasse. der direktor ein schwarzer(övp).
das die ko-edukation schon seit längerem per gesetz vorgesehen war,
konnten wir an den schülertoiletten für mädchen erkennen. kein einziges
mädchen an der ganzen schule.
'jonny' war einer der wenigen professoren, bei denen sich mir nicht schon
von weitem die haare aufstellten. hatte es nicht leicht, weil er beim
vortrag spuckte und zerstreut war. bei dem absolut unsportlichen
eindruck, den er machte, überraschte es mich nicht wenig, als er eine art
hechtsprung über zwei pulte hinlegte, um mir mein einfaches
pazifisten-abzeichen herunter zu reißen. das war in der ersten.
am samstag nachmittag half ich im friedensrat oder bei den quäkern
flugblätter abziehen und aussendungen beschriften. papa hatte ein
österreichisches ostermarsch-kommittee gegründet. ich hatte es mir nicht
nehmen lassen, von meinem taschengeld mitglied zu werden.
bei der deutsch-schularbeit leitete ich mit zwei, drei sätzen vom
gegebenen thema zu meinem eigenen über und schrieb in den vierzig minuten
sieben seiten über die bedrohung der menschheit durch die atombombe. ein
ß-fehler, drei falsche komma, nicht genügend, themaverfehlung.
dem geschichtsprofessor grasemann reichte es nicht, uns seine
tendenziöse sicht zu diktieren. gewisse fakten der geschichte wollte er
einfach ungeschehen machen, indem er verkündet :
wir blättern im dtv-atlas fünf seiten weiter.
herr professor, ich glaube sie haben da etwas übersehen.
buuh ! brüllt die klasse: geh ham nach moskau !
überblättert: märz 1918 friede von brest-litowsk.
1918/19 interventionskrieg von 37 staaten gegen die sowjetunion. eben
noch im kriege gegeneinander, verbünden sich die achsenmächte, die
entente, sowie die neutralen türkei, spanien, portugal, um gemeinsam mit
verschiedenen 'weißen' hilfstruppen die neugegründete staatenunion vom
osten, süden und westen anzugreifen.
ich ging in die schule wie in den krieg.
die deutschprofessorin matthiasek war monarchistin. schüler androsch war
von blauem blute. ein jahr älter als wir, war er einen kopf kleiner und
halb so dünn wie der durchschnitt. sie war ebenfalls klein, dünn und
altmodisch. als wären sie gemeinsam aus der österreichisch-ungarischen
mottenkiste wiederauferstanden. er kam stets nur im anzug. wenn er eine
gelb-schwarze krawattennadel angesteckt hat, strahlt sie über das ganze
gesicht. androsch hält ein referat über unser heer. mit geschwelgter
brust. schüler breuer zeigt auf:
das einzige mal, daß unsere republik von einer fremden macht angegriffen
wurde, sagte schuschnigg 'gott schütze österreich!'und ließ still halten.
er wollte doch nur einen bruderkrieg verhindern ! heult es vom katheder.
20
am abend kam mama spät aus der redaktion nach hause. als chefredakteurin
muß man sachen fertig machen. meine jüngere schwester schlief schon fest.
und wenn der papa dann auch in sein zimmer gegangen war, dann kam der
hansi heraus und half der mama. mit sieben. er las, was sie geschrieben
hatte. wühlte im fotomaterial aus dem widerstandsarchiv, er suchte die
bilder aus, die in der zeitung erscheinen würden. mit neun. sie arbeitet
oft bis spät in die nacht hinein. in dem jahr führt sie schulklassen
durch eine ravensbrück-ausstellung, schreibt darüber die 'begegnung 1962',
mit der sie den fritz-jensen-preis gewinnt.
die österreichische-lagergemeinschaft-ravensbrück bittet sie, eine
broschüre für junge menschen über das vernichtungslager zu schreiben.
wenn ich das kleine heft durch blättere, erinnere ich mich genau, wie wir
daran gearbeitet haben. es war sehr interessant, mit ihr an dem layout zu
basteln. sie gestaltete sehr modern. wir rissen fotos und schriftstücke
und montierten sie vor schwarzem zeichenpapier.
auf der letzten seite die bilder von käthe leichter, schwester restituta
und hedi urach auf schwarzem hintergrund. drei frauen, die widerstand
leisteten und ihr leben lassen mußten. als wir die fotos einrichteten,
machte mama ihren schritt zurück vom tisch, um die optische wirkung zu
prüfen.
war so ein feiner mensch, die hedi. und so jung no hats sterbn müssn.
dann zeigte sie mir, wie man die größe der bilder auf dem schwarzen
karton anzeichnet, um dann die fenster auszuschneiden. für die
katholische ordensschwester in der mitte schnitt ich einen schönen
ovalen rand aus, flankiert von zwei viereckigen für die sozialdemokratin
und die kommunistin.
'ravensbrück: was geht das mich an'. wenn ich das deckblatt wende und
richtig zu lesen beginne, schaffe ich keinen absatz, ohne daß ich heulen
anfange:
WIEVIEL
In Ravensbrück sind 92 OOO Frauen getötet worden.
SIND
Wieviel sind 92 OOO Menschen?
92 OOO
Du sitzt an der Maschine, die Kolonnen von Zahlen
MENSCHEN?
in Sekundenschnelle verarbeitet. Du liest die Zeitung und da stehen Daten über den Flug zur Venus.
Es sind Zahlen, die in viele, viele Millionen gehen.
Und hier ist eine Zahl mit nur drei Nullen daran:
92 OOO Frauen, Mädchen und Kinder sind in dem größten Frauenkonzentrationslager des Hitlerregimes
umgekommen. Menschenleben in Zahlen ausgedrückt?
Man kann Menschen zählen. Aber um zu begreifen,
wieviel 92 OOO Menschen eigentlich sind, mußt du
deine Vorstellungskraft anrufen:
Sonntagnachmittag. Im Wiener Stadion ist ein Fußball-Länderkampf. Eine Stunde vor Beginn des
Spieles sind die Straßenbahnen überfüllt, die
Parkplätze werden knapp. Und dann, wenn die
beiden Mannschaften einlaufen und das Spiel
beginnt, befinden sich im Stadion rund 9O OOO
Zuschauer.
Willst du dir aber die ganze Bedeutung des Todes
von 92 OOO Frauen, Mädchen, Kindern ausmalen,
dann stelle dir auch die Menschen vor, die deren
Lebenskreis bildeten: die Mutter, den Vater, die
Geschwister, den Mann, den Freund, den Verlobten,
die Kinder und die Kindeskinder.
Stell dir die Betriebe, die Schulen vor, in denen
sie gearbeitet, gelernt haben, stelle dir die
Spielplätze, die Sporthallen, die Kinos, Theater
vor, wo sie gespielt, Sport betrieben, wo sie
ihre ihre Freizeit verbracht haben. Dann wirst du
sagen können: ich weiß:
So viel sind 92 OOO Menschen.
opferkind-täterkind
21
täterkind-opferkind
oft hab ich mich als ein fossil gefühlt.
als wandelndes fossil den anderen gegenüber. und wenn es gute freunde
waren, gesinnungsgenossen -ich wußte es doch!- sie fühlten es nicht so
stark wie ich. diesen schmerz. diese verletztheit und verletzbarkeit.
warum machte es ihnen nicht so viel aus wie mir ? warum fühlten sie es
nicht ? warum waren ihre antennen nicht so scharf eingestellt wie meine ?
warum bedrückte es sie weniger als mich -und nicht mehr ?!- daß wir
in polen
zweihundertsiebzigtausend
blond-blauäugige kinder geraubt haben. stiftung lebensborn.
kleine kinder, die dann hier-bei-uns groß wurden, die dann nichts
mehr wußten von ihrer polnischen mama und auch nichts mehr wissen
wollten, als junge deutsche oder österreicher von ihren angeblichen
polnischen eltern -welche gemeinheit !- die sie nach jahrelangem suchen
durch das internationale rote kreuz endlich gefunden hatten.
wie soll ich schweigen, wenn jemand 'bis zur vergasung' für 'bis zum
geht-nicht-mehr' verwendet. wenn dieser jemand ein freund ist, ein
verbürgter antifaschist, das macht die sache um gar nichts besser.
ganz im gegenteil: von einem bewußten menschen muß ich doch erst recht
erwarten, daß er nicht dauernd vom 'tschusch', vom 'pollackn' oder
'jugo' redet. seinen sohn nicht mit 'du russ!' aus dem frisch
überzogenen bettchen jagt, angesichts seiner kohlrabenschwarzen
sohlen.
stichwort: die zwei ebenen. die persönliche. die politische.
und die zwei des gegenüber: macht vier.
und die vier, die vermischen sich...übel.
jahrzehntelang war mir das nicht bewußt. daß ich mich gerade in szene
setze, daß ich eine politische kritik übe, um von einer persönlichen
schwäche abzulenken. auch dem lebensgefährten gegenüber. aus
eifersucht, aus neid, konkurrenzangst einen politischen angriff
versuchen. als wir draufgekommen sind, war das in der beziehung leicht
zu bearbeiten. wir fingen an, die ebenen auseinander zu halten und es
wurde leichter.
aber außerhalb der partnerschaft ist es ungleich schwieriger. ich
kann nicht bei jedem 'durch den rost fallen', bei jeder 'kanaille'
erst ein grundsatzreferat darüber halten, daß ich eh' nicht belehren,
nur eine information geben will. daß ich eh' kein moralisches problem
damit hab - wo ich es doch gerade habe !
so werde ich immer wieder zum richter die freunde zu angeklagten,
die sich angegriffen fühlen,
sich verteidigen,
sich gar nicht verteidigen müssen und überhaupt und das wär ja noch
schöner und jetzt erst recht und es ist ihnen scheißegal welchen sinn
dieser ausdruck für irgendwen hat, denn für sie hat er immer nur das
geheißen und wieso sollten sie das jetzt plötzlich ändern,
die zum gegenangriff übergehen.
glaubst du vielleicht, d u bist unfehlbar?
nein, mitnichten glaube ich das. ich suche die kritik. ich räume jedem
das recht ein, mich aufmerksam zu machen auf dunkle stellen in meiner
sprache, meinen gedanken. vielleicht werd ich mich wehren, winden,
geistig um mich schlagen, so wie damals, als mir der rameder hans
mitten in der anbrüllerei zugeschrien hat 'du bist ja voller
a g g r e s s i o n s e r w a r t u n g s h a l t u n g ! ' . was mir
noch lang zu denken gab. um dann als wichtiger begriff in meinem
hirnkastl zu verbleiben.
auch ich bin mit den völlig unverfänglichen vokabeln 'neger' und
'zigeuner' aufgewachsen und es wäre oft viel praktischer sie zu
verwenden. aber wenn das auch nur ein teil der betroffenen als
diskriminierend empfindet, so muß ich die konsequenz ziehen und darauf
verzichten. schande auf jene scheinheiligen bürger, die auf ihren
hergebrachten wortschatz pochen, auf ihre angestammten wertungen, wie
etwa anfang der neunziger in fernsehdiskussionen nach dem motto ich
will weiter 'neger' sagen dürfen, auch wenn die arabella kiesbauer das
verletzend findet.
22
der gegenangriff kann auf die persönliche ebene zielen. dieser verfehlt
seine wirkung fast nie. wir schaun ja aus uns hinaus und sehen's beim
andern immer besser. was er falsch macht, wo er sich irrt, sich nur gut
her stellen will, um von seinen schwächen abzulenken..manchmal
schmerzlich, oft sehr nützlich für mich, immer irgendwie berechtigt.
aber der politische...oje, oje!
was einem da nicht alles entgegengehalten wird. oder soll ich sagen
entgegenvorgehalten?
der stalinismus gegen den faschismus.
als ich einem täterkind -möglicherweise zu unrecht- befangenheit
unterstellte, hielt sie mir plötzlich den terror israelischer
besatzungsoffiziere vor. als ob ich jemals mit denen irgendwas zu tun
gehabt, nebbich, den vater hab ich halb zur verzweiflung gebracht 1969
mit meiner bewunderung für die flugzeugentführer der al-fatah, ihn, der
zeit seines lebens den chauvinismus auf beiden seiten verurteilte.
der von mir hoch verehrten rosi unterstellte ich in einer hitzigen
debatte gar explizit den antisemitismus. worauf sie mir sofort den
'semitismus' vorwarf. so stritten wir die nächste viertel oder halbe
stunde über die geschichte des wortes antisemitismus. dann kam uns ihre
gstudiertheit zu hilfe, sie schlug es im duden nach - und begann endlich
nachdenklich zu werden. verwehte spuren habe sie unlängst entdeckt. eine
tante, mit der war da etwas. so belastend, daß man nicht einmal hinter
vorgehaltener hand darüber sprach. aber möglicherweise sei doch
irgendetwas sehr unterschwellig weitergegeben worden. tot jene,
die man fragen könnte.
und wenn sie lebten, rosi, glaubst du wirklich, du könntest sie zum
reden bringen?
und dann die geschichte mit sarah.
ich glaube, es war in demselben le-monde artikel, in dem ich über den
kinderraub an den polen las, daß ich erfuhr, daß unter den nazis jede
jüdische frau, jedes mädchen diesen vornamen vor ihren vornamen in ihre
papiere setzen lassen mußte. es lebt also eine generation -oder
schlimmer gesagt der rest davon- die mit diesem namen gebrandmarkt
wurde, sowie auch dieser name gebrandmarkt wurde für alle, die es
wissen wollen.
und die es nicht wissen wollen ?
besteht ein recht darauf, es nicht wissen zu wollen ?
ich meine : nein .
irgendwie ist der name dann in mode gekommen. vielleicht, weil sie zu
ihren alten namen stehen, wurscht was irgend ein hitler damit gemacht
hat. und etliche von ihnen nach amerika gegangen sind. wo so manche
ihrer töchter berühmt werden, als kulturimport hierzulande
wiederkehren, oder wie die mode halt so gemacht wird. rundherum
sprießen die sarahs.
war es in der hoffnung, einen berührungspunkt zu finden, oder der
unselige trieb, den finger in die eigene wunde zu legen, ich weis es
nicht, jedenfalls fragte ich sie. immerhin war sie sozialistische
gemeinderätin. fragte die schwester der geliebten, warum sie ihre
tochter sarah genannt habe, ob das irgendwas mit..
weiter bin ich nicht gekommen. mehr hob i net braucht.
sauber ins fettnäpfchen getreten.
und jahre danach der zweite aufguß davon.
zwei frauen, die beide schwestern haben, die eine tochter haben, die
sarah heißt. und es sich beide gut vorstellen können, daß ihre
schwestern nichts von alldem wissen wöllaten, und das sei auch ihr
gutes recht, müsse man sich doch bei anderen namen auch nicht mit
historie befassen, und überhaupt man lasse sich doch nicht
vorschreiben, an was man alles zu denken habe..
warum nennen mütter ihre söhne dann nicht adolf, frag ich mich, wenn
das alles keine bewandtnis hat?
laß uns doch damit in ruhe.
ein recht, in ruhe gelassen zu werden, da-mit.
ein recht, es nicht wissen zu wollen.
22
hier: entweder - oder .
entweder es existiert dieses recht, also wir geben diesem recht das
recht auf existenz, dann hat es früher erst recht existiert.
dann haben sie also recht gehabt, daß sie weggeschaut haben, zu
millionen. daß sie es nicht riechen und nicht hören wollten. dann aber
geben wir den menschen kein recht auf existenz, die dadurch umgekommen
sind, durch dieses wegschauen hier-bei-uns. und in den ländern, wo sie
nicht weggeschaut haben, da sind auch mehr gerettet worden. aber das
scheint ja unsere spezialität zu sein in diesem jahrhundert, das
wegschauen.
oder wir sagen, sie hätten nicht wegschauen dürfen, das war unrecht.
dann dürfen wir erst recht nicht wegschauen. denn die wegschauer haben
jahrzehntelang alles totgeschwiegen. nichts ist aufgearbeitet, kaum.
und weil sie keine schuld auf sich genommen haben, keine sühne, die
opfer bis heute noch nicht einmal alle als opfer anerkannt, nicht
versorgt, nicht entschädigt, nicht in ihrer ehre wiederhergestellt,
besonders nicht in österreich, wo nicht nur der führer, sondern auch
die allerschlimmsten peiniger her kamen.....kommt die schuld auf die
kinder und kindeskinder.
ich glaube, daß sie uns alle belastet, diese schuld.
es gibt aussagen, die belasten einen, wenn man sie nur hört.
doch manche belastet sie mehr.
und manche 'belasten sich nicht damit'.
und manchen ist es weniger bewußt, das auch sie damit belastet sind.
ich bin schuld ? hast du gefragt, ich soll schuld sein ?
schuld an etwas, was meine eltern getan. du spinnst ja.
ich bin überhaupt nicht schuld, des is jo a frechheit !
i kaun do ned aun wos schuid sei, wos meine ötan gmocht ham .
und überhaupt, meine mutter ihre mutter die hat sogar wen versteckt,
der aus dem lager gflüchtet war, oder so, und da habens dann immer brot
hinbracht, in so einen hohlweg..
was ist denn schuld überhaupt ? wie schlägt sie sich nieder ?
schuldgefühle. ich glaube, daß schuldgefühl schuld anzeigt.
aber nicht notwendigerweise nur bei den wirklich schuldigen.
abgeschobene schuld. immer weiter geschoben.
1991 in krakau bekam ich schreckliche schuldgefühle. es passierte mir,
daß ich in einer rezeption auf deutsch etwas fragte und einfach keine
antwort bekam. auf englisch ging es dann. es gab zwei,drei solche
vorfälle. natürlich auch das gegenteil, man versteht dort deutsch. ich
mußte an die geraubten und an die ermordeten kinder denken. an den
neuen deutschen reichtum und die verachtung gegenüber den polnischen
straßenhändlern. mir wurde ganz schwarz innerlich. schuldgefühle,
deutsch zu sprechen.
das mädchen hat schuldgefühle gegenüber der mutter, weil sie ihr nicht
helfen konnte, als der vater sie schlug. natürlich hat das kind keine
schuld. aber: wo beginnt schuld ? wer war wirklich schuld am zweiten
weltkrieg, an der ausrottung von roma, juden, kommunisten, behinderten,
anarchisten, homosexuellen. die grenzen sind fließend, wo die schuld,
mitschuld anfängt. fließend über die orte, die zeit, über leben und
tod. das blut der anderen.
selbst juden, roma, die, als kinder noch, im kz durch die sogenannte
selektion von ihren lieben, geschwistern, eltern getrennt wurden,
litten unter den fürchterlichsten schuldgefühlen ein leben lang. wie
kann ich leben, wenn sie tot sind. auch meine mutter 'vielleicht haben
wir nicht genug getan'.
leid gegen leid aufrechnen, schuld gegen schuld. was bringt das ?
kein mensch kann frei von schuld bleiben. du kommst auf die welt und
schon stiehlst du deiner zweijährigen schwester die liebe der mama,
ihre zeit, ihre aufmerksamkeit, ihre zuwendung. so hab ich das von der
simone de beauvoir verstanden.
nur in den extremen sehen wir klar. doch: sie lügen. der hitler hat
österreich besetzt. als er zur welt kam, war er auch noch nicht so. was
ist da alles passiert. und vor allem: was hat da alles gefehlt, ist
diesem kind alles verweigert worden. so wie millionen anderen kindern.
heute erst recht.
ich hab einen buben gekannt, der hat mit drei jahren katzen umgebracht.
unsere hündin gebärdete sich unglaublich ängstlich an ihrer kette, wenn
er nur auftauchte. bis wir beobachteten, wie er von der dachterrasse
große steine auf sie warf. unser kleiner war grad ein gutes jahr alt,
der große zweieinhalb, und sie spielten oft unbeaufsichtigt mit der
kleinen gefahr. zutiefst beunruhigt redete ich kati stundenlang ins
gewissen. ich fuhr zu jener zeit täglich allein zur arbeit. dann eine
abendliche mitteilung. sie war gerade noch rechtzeitig gekommen, um
andis kopf aus dem wasser zu reißen. war nur ein leises gurgeln von der
sonnigen terasse her gekommen, wo die kinder bei der blechernen
sitzbadewanne spielten..
23
ich sei übrigens auch sehr eifersüchtig gewesen. hätte der kleinen lisi
sand in den mund gefüllt.
sollen wir deshalb die schuldigen nicht benennen?
die ersten drei mio.(oder war es mrd.)reichsmark in gold bekam hitler
von einer britisch-niederländischen geschäftsgruppe. was sagst du, da
waren vielleicht auch juden dabei ? kann schon sein. du schließt
daraus, daß sie selbst schuld haben an ihrer vernichtung ? (sowas muß
man sich anhören) aber nein.
weil es d i e juden nämlich nicht gibt. und noch weniger als
d i e deutschen, die die juden ausrotten wollten.
was hat denn die kleine hungrige judith aus lodz mit dem elsäßischen
waffenfabrikanten baron de rotschild gemeinsam ? die religion? na, und?
wahrscheinlich nicht einmal die. nein, deswegen weil sie verfolgt
sind, sind nicht alle juden gute menschen. die nicht, die roma nicht,
die schwarzen nicht, kein volk, niemand.
das hab ich lang nicht einsehen wollen. für mich waren sie die besseren
menschen, prinzipiell. alle ausländer. von je weiter weg, desto
sicherer. und die leute hier die schlechteren, potentiell. so hat sich
das in meine kinderseele eingebürgert. es gibt auch ein schwarz-weißfoto, da sieht man meine schwester und mich so mit drei, vier jahren
strahlend auf den schultern von zwei jungen koreanern, die hände
schütteln. weltjugendkonferenz 1958. diese grundhaltung hab ich immer
noch in mir. ich bin froh, daß mir meine eltern diese indoktrinierung
mitgegeben haben. diese dosis gegengift halte ich für absolut sinnvoll,
um bei der meinungsvergiftung, der wir hier alle ausgesetzt sind, einen
einigermaßen klaren kopf zu bewahren.
wer a geld hot, der kann grob sein
und wer kans hot, der kanns - a sein.
singen wir in wien. aber das ist eben nicht 'ollas ans'.
denn wer die macht hat, und ist schlecht, und jeder ist auch schlecht,
und wird es zunehmend, an der macht, den nennen wir zurecht den
schuldigen. nur die völker, nur die menschen sind gut, die nicht an der
macht sind, und nur solange sie es nicht sind.
dein großvater war zimmermann in mauthausen.
hot a a familie zun ernährn ghobt. woa ned leicht damals an oabeid zun
kriagn.
das sind schwere brocken für mich.
oft schwärmst du von deiner kindheit. nicht rosig, ärmliche
verhältnisse. aber deine eltern gaben dir das gefühl, o.k. zu sein.
du sagst, du hättest keine schuldgefühle. man könne sich eben welche
machen, oder nicht.
was hast denn davon ? schau, unsere kinder wern uns amoi frogn,
wieso mir a mitn auto gfahrn san, obwohl ma des olles gsegn hobn,
mit der umweltzerstörung.
ich bäume mich auf gegen diesen vergleich.
auch wenn was wahres dran ist, das ist zu weit hergeholt.
es ist doch ein unterschied, ob man teilnimmt an einem offiziell
erklärten vernichtungskrieg gegen andere völker oder an unserer
autogesellschaft. zigtausende sind aus der wehrmacht desertiert. sie
wurden 'unehrenhaft ausgeschieden' und bis heute nicht rehabilitiert.
andere sind ausgewandert. zu denen würden wir auch gehören, du noch
früher als ich.
es stimmt schon, keiner der hier lebt, keiner von uns, kann sich diesem
system völlig entziehen. irgendwo sind wir alle teil davon und
profitieren mit an der weltweiten ausbeutung. und ob es sie gibt. die
proletarier. die nichts zu verlieren haben, außer ihre ketten. aber
nicht hier-bei-uns.
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die umweltzerstörung ist ja das lieblingsmenü, das sie uns täglich
vorsetzen. unsere meinungsköche. so wollen sie uns haben. die
informationsflut brav konsumierend und ein häufchen schlechten
gewissens. damit berieseln sie uns und unsere kinder: wir sind alle
umweltkriminelle, soviel wir auch tun. wir lassen die armen verrecken
in jeder minute unseres komfortablen lebens. ohne den kleinsten
schimmer von ausweg. immer tiefer hinein. die desilliusionierung der
mülltrennenden kleinen ist schon vorprogrammiert.
auch ich fühl mich schuldig. es ist schwierig, nicht wegzuschauen.
damals hatten sie noch kein fernsehn. heute muß ich wirklich wegschauen
vom schirm. oder ich schiebe die nächste mozartkugel zwischen zunge und
gaumen und schaue dabei dem schwarzen baby in die augen, das gerade
verhungert.
der schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch
eigentlich ein grausliches zitat, woher stammt es? es klingt nach
angst vor der gebärfähigkeit der frau, vergleicht sie mit dem
nährboden des faschismus.
renate sagt, vielleicht sollst du schreiben, ja, schreib, schreib
dein buch, schreib es dir von der seele. schau, da hab ich an
dich denken müssen, das schenke ich dir zu weihnachten:
peter heinl - flieg, maikäfer, flieg, dein vater ist im krieg..über kriegs- und nachkriegstraumata
er plädiert für eine eigene unter-fachrichtung in der
psychoanalyse, die längst existieren würde, hätte krieg (und
faschismus, sage ich) nicht so eine gute protektion.
fast jede familie hier-bei-uns wurde vom krieg geprägt. neben den
schrecklichen lücken hinterließ er die heimkehrer-krüppeln. ich
meine die größere gemeinschaft der g e i s t i g verkrüppelten.
so wie ein lamm, das zu früh keine muttermilch mehr bekommt,
einen wachtumsknick erfährt, der später, wenn es die krise
überwunden hat, auf lebzeiten in seine körperhaltung
eingeschrieben ist, und zwar als eine art zusammengeschnürt sein
um den brustkorb - so haben sich die schäden im gefühlsleben der
soldaten eingegraben, um weiterzuwirken. und egal, wie gut oder
schlecht es der eine oder andere verarbeiten konnte, es hat das
familienleben mitgeprägt. die beziehung zur partnerin, zu den
kindern, den arbeitskollegen, den wirtshaustisch-zuhörern. die
ganze gesellschaft.
oft sehr laut.
deswegen kann ich kein bier trinken. als ich probieren hätte
sollen, da lehnte schon einer an der schank, der zuviel davon
getrunken. zuviel ? genug jedenfalls, daß der drückende, enge
faßring, seine hemmung, endlich wieder einmal abgesprengt wurde.
und sich die stinkende flut seiner heldenerinnerung einen weg
bahnen konnte durch seine stinkende kehle. deswegen kann ich kein
bier trinken.
öfter aber sehr, sehr leise. die väter, die nie darüber sprachen.
irgendwo vielleicht einmal ein 'das is nix für dich'. oder nicht
einmal. nur körpersprache. wenn er sich plötzlich abrupt
abwendete. sich verkrampfte. die meisten kinder, auch die, die
fragen dürfen, lernen ja sehr früh, was sie n i c h t fragen
dürfen. in meiner generation noch alle, glaub ich. aber alle
kinder lernen auch, körpersprache zu lesen. doch diese
botschaften, die so subtil weitergegeben und niemals erklärt
werden, sind dann für das erwachsene kind schwer in sich zu
orten. im unterbewußtsein abgelegt, beeinflussen sie denken und
handeln, ohne daß man es will, oder überhaupt wahrnimmt. und doch
können umrisse davon für andere wahrnehmbar sein. das kann dann
geradezu erschreckend sein und ruft erstmals abwehr hervor.
peter heinl schreibt von frühkindlichen traumatischen
erfahrungen, die sich, dem patienten unbewußt, so tief in die
körperhaltung eingeschrieben hatten, daß er, der therapeut, sie
ahnen und durch rauminstallationen oder aktionen dem betroffenen
helfen konnte, sie wiederzusehen, sodaß sie in der folge
verarbeitet werden konnten.
peter heinl hat selbst ähnliche erfahrungen gemacht. selbst
ostflüchtling schreibt er über ostflüchtlinge/vertriebene. bei
seinen beschreibungen habe ich oft denken müssen an den satz von
biermann 'man kann nicht, oder soll nicht leid mit leid
aufwiegen'. ich habe doch mit dem ebenfalls leidenden viel
gemeinsam, auch wenn er auf 'der anderen seite steht'. wollte er
überhaupt dorthin ?
als kleiner kommunist hab ich gelernt, sehr hellhörig zu sein für
antikommunismus. und der spielt doch hier-bei-uns eine große und
wichtige rolle. viel wichtiger als die, die unser-einer-wisch
jemals spielte. da waren die vertriebenen, die sudetendeutschen
und so, immer ganz vorn mit dabei, aufn tablett. also waren das
alles antikommunisten, hetzer also, schlechte leute. jede
ernstgemeinte kritik von freunden, tatsachenberichte aus dem
'realen sozialismus' rutschten da natürlich leicht mit hinein.
schablone ab.
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vielleicht spürte der peter das auch durch. aber die gründe für
sein widersprüchliches verhalten mir gegenüber haben sicher
weniger mit mir zu tun, als mit seinen 'leichen im keller'. ich
kam mir mehr als der auslöser vor, entsprechender alkoholspiegel
vorausgesetzt, daß er die sau rausließ. wie komme ich dazu ?
fragte ich mich jedesmal.
ihr juden tuts eich jo gean lustig mochn üba olle, de wos ned so
brillant san, wie ihr, gö ?
wos haast do 'ihr juden'? erstens is nua mei vater jude, sodaß mi
gläubige juden gor net als juden ...
'philosemit' sei jemand, der seinen judenhass hinter
philosophischem interesse und wohlmeinender aktivität verstecke,
las ich im 'semit'. es war ja der selbe peter, der so gern
jiddische lieder musizierte, mich oft zum singen aufforderte. er
regte an, ich sollte bei einem konzert einer schulband als sänger
auftreten.
und dann diese geschichte. ich hatte das gefühl, daß sie bei ihm
einen zentralen stellenwert einnimmt.'der wirklich verständliche
grund für den judenhass des kleinen mannes.'so klang mir das:
er sei mit seinem onkel, dem der hof gehörte, auf dem sie seit
ihrer flucht lebten, mit dem pferdewagen vom waldviertel nach
gars am kamp gefahren. dort mußte er dem jud, dem wucherer, die
hypothek zurückzahlen, die ihm jener auf seinen hof geliehen
hatte, und für die sie jetzt ein hartes jahr gearbeitet hätten.
der jüdische bankier war im kampbad, wo er sich in der sonne
räkelte, die frauen halbnackt, kurz sich dem müßiggang hingab.
dort hätten sie sich anmelden müssen, um dann nähertreten zu
dürfen, um das geld abzugeben.
er erzählte das völlig unvermittelt, ohne vorwarnung, später
bezog er sich öfters darauf. man stelle sich vor! dieser anblick!
für einen sich abrackernden, gottesfürchtigen bauern. da steckt
alles drin: die juden wollen uns alles wegnehmen, ohne einen
finger krumm zu machen, bedrohen unsere sitten, weil sie so
freizügig sind, so geil.
es war das einzige mal, daß ich so eine geschichte hörte. die
vorurteile gegen juden, roma, schwarze gründen sich normalerweise
hier-bei-uns nur auf hörensagen.
peters hilfsbereitschaft, solidarität sind außergewöhnlich. er
hat es nicht vergessen, wie es ist, in not zu sein, vertrieben zu
werden. oft beherbergt er flüchtlinge in seinem haus und die
beeinträchtigung des eigenen lebensablaufs scheint ihm kaum was
auszumachen.
seids scho oben gwesen? hobts scho mit mein hausnega gredt?
mir bleibt der mund offen, innerlich.
trotzdem ist klar: er meint es nicht so. ist es eine provokante
methode, mit seinen moralischen grenzen zu spielen ?
aber der rudi, der meint es so. das ist dort, wo die grünalternativszene langsam braun wird, und keiner will es wissen.
durch jahrelange nachbarschaft verbunden, beide pärchen kleine
kinder, derselbe vermieter, für den wir, im austausch fürs
wohnen, beide öfters gemeinsam arbeiten. bzw alle vier.
gegenseitige kinderbetreuung. unzählige gespräche. in jenen
jahren leben wir fast in gemeinsamem haushalt mit einer
kurdischen familie. gemeinsames bad übern hof, gemeinsamer
gemüsegarten, man hilft sich aus in vielem. die gegenseitigen
berührungsängste zwischen unseren nachbarn rechter und linker
hand schmelzen zunehmends, ich beginne mir hoffnungen zu machen,
daß die vielen gespräche nicht ganz vergebens waren. bis er eines
tages tief luft holt, sich räuspert, um es mir dann so richtig
eine zu sagen:
er habe es jetzt schwarz auf weis, er bringt mir das buch, da
stehn die beweise olle drin, ana nochn aundan. des is von an
wissenschoftla, a gscheida mau, der hot des oiß studiert. do
steht oiß drin. üba de jüdische wödfaschwörung.
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