Widerstand und Opposition in der DDR : Der Weg in die Öffentlichkeit (1949-1990) Internationale Tagung an der Universität Bordeaux (Frankreich) vom 20. bis zum 22. März 2013 Call for Papers Der Zugang zur Öffentlichkeit ist in der Deutschen Demokratischen Republik immer ein zentrales Anliegen gewesen, sowohl für die Machthaber, die ihn zu kontrollieren und zu instrumentalisieren suchte, als auch für Oppositionelle, die mit unterschiedlichem Erfolg im Laufe der vierzig Jahren DDR-Geschichte immer wieder versuchten, ihn auf unterschiedlicher Weise zu erlangen oder sich zu erstreiten. Diese Tagung setzt sich zum Ziel, die Rolle der Öffentlichkeit für die DDR-Widerstandskämpfer und Oppositionellen zu erforschen, um dadurch ein besseres Bild von den Ideen, Werten, Forderungen, Überzeugungsstrategien und Aktionen der Menschen oder Gruppen zu bekommen, die versucht haben, die SED-Diktatur zu stürzen oder von innen zu demokratisieren. In diesem Sinn können die Referenten, wenn sie es für relevant halten, den von Jürgen Habermas erarbeiteten Begriff der „Öffentlichkeit“ benutzen, und/oder den der „Gegenöffentlichkeit“ von Oskar Negt und Alexander Kluge. Habermas definiert eine liberale und pluralistische Öffentlichkeit, die sich seit der Aufklärung als Widerpart zur absolutistischen Macht herausbildete und die Französische Revolution ankündigte. Zwar suchte die SED in der DDR die Fundamente einer solchen liberalen und pluralistischen Kommunikation zu beseitigen – soweit sie sich nach dem Sturz der NS-Diktatur überhaupt schon wieder entfalten konnten – und macht somit die ungebrochene Anwendung des Habermasschen Idealtyps der Öffentlichkeit unmöglich, doch bleibt er insofern brauchbar, als er als normatives Maß und Deutungsmuster der politischen Ziele der oppositionellen Demokraten dienen kann. Negt und Kluge definieren die Gegenöffentlichkeit als Kommunikationsform utopischen Protestes, die eine Alternative zum herrschenden Kommunikationsform ankündigt. Der Begriff ist besonders relevant, um die Kommunikationsräume, Medien oder Nischen zu bestimmen, die die Oppositionellen 1 geschaffen haben, um neben der offiziellen, staatlich kontrollierten Öffentlichkeit regimekritischen Stimmen Gehör zu verschaffen. Eine solche Gegenöffentlichkeit konnten zum Beispiel die von der Opposition benutzten Medien oder Kommunikationswege herstellen wie Flugblätter, der politische Samisdat, Unterschriftensammlungen, Protestbriefe, Graffitis, Losungen, Plakate, Transparente, etc. Sie kann auch die Art und Weise betreffen, in der Oppositionelle versucht haben, öffentliche Räume physisch zu besetzen, wie bei den Demonstrationen 1953, 1982, 1987 oder 1989. Gegenöffentlichkeit wurde auch hergestellt in den in den 1970er und 1980er Jahren gefundenen alternativen Ausdruckwegen: Menschenketten, Fastenaktionen, Schweigeminuten, Friedensgebete, Seminare und Aktionen für den Frieden, Wohnungs- oder Hausbesetzungen, Kinderläden, Fahrraddemonstrationen, Baumpflanzungen, Ökoseminare etc. Die Tagung wird sich auch jenen nichtstaatlichen, eingeschränkten Kommunikationsräumen widmen, die mehr oder wenig von der SED geduldet wurden, oder sich deren totalen Kontrolle entziehen konnten, soweit sie auch Stimmen der politischen Opposition zugänglich und dienlich waren. Man wird sich beispielsweise für die Rolle interessieren, die in dieser Hinsicht Betriebe, Fabriken oder Kirchen gespielt haben, oder jene Gruppen aus den literarischen und künstlerischen (bildende Kunst, Musik, Film, Theater usw.) Subkulturen, die in einem sozialkulturellen Dissens zur Offizialkunst standen, oft um ihre Selbstbehauptung und Autonomie kämpfen mussten, auch wenn deren Vertreter sich nicht unmittelbar politisch artikulierten, bzw. artikulieren wollten. Die Wirkung, die die Medien der Bundesrepublik als Ersatzöffentlichkeit auf die DDR ausgeübt haben, wird ebenfalls Gegenstand der Tagung sein. Sie bildet aufgrund der Sondersituation der geteilten Nation ein einmaliges Merkmal in der Geschichte des Ostblockes. Man denkt hier zuerst an die elektronischen Medien (Funk, Fernsehen), die legal in der DDR empfangen werden konnten, aber auch an die mehr oder minder illegal die Grenze passierenden anderen Träger öffentlicher Meinung des Westens (Zeitungen, Bücher, Flugblätter, Korrespondenzen), oder auch an die im Osten geschaffenen künstlerischen und politischen Äußerungen, Bücher oder Kulturprodukte (Musik, Fotos, etc.), die weil sie dort unterdrückt wurden, im Westen veröffentlicht und dann illegal in den Osten zurückgebracht wurden. Ein besonderes Kapitel stellen jene Versuche dar, bei denen DDR-Oppositionelle mit Hilfe westlicher Medien in die DDR zurückzuwirken versuchten, sei dies bewerkstelligt mit der Hilfe westdeutscher Sympathisanten oder durch DDR-Exilanten, die aus dem Westen für ihre DDR-Mitbürger Informationen unterschiedlichster Art und auf unterschiedlichen Wegen transportieren (z. B. Radio Glasnost, „Kontraste“-Sendungen, Tamisdat usw.). 2 Das Organisationsgremium möchte der in Frankreich aktuell herrschenden Fokalisierung auf die 1980er und 1990er Jahre entgehen, um im Laufe der Tagung Widerstand und Opposition auch in deren Entwicklungen zu erfassen. Gemeinsam wird versucht zu prüfen, ob die Herstellung von Gegenöffentlichkeiten den Weg zur Friedlichen Revolution 1989 mit gebahnt hat, und ob diese andrerseits zugleich als eine friedliche Eroberung der Ausdrucksfreiheit und des freien Zugangs zur Öffentlichkeit verstanden werden darf. Dieses Treffen wird auch der Gelegenheit bieten, Begriffe wie Widerstand, Opposition, Dissens oder Diktatur zu diskutieren. Die interdisziplinäre und internationale Tagung will hauptsächlich deutsche und französische Forscher unterschiedlicher Disziplinen (Geschichte, Politik, französische Germanistik, usw.) zusammenbringen. Sie wird auch darüber hinaus ein Kulturprogramm anbieten (Gespräch mit Zeitzeugen, Ausstellung, usw.) Interessierte Forscherinnen und Forscher werden gebeten, ein kurzes Exposé ihres geplanten oder laufenden Projekts auf Deutsch oder Französisch bis spätestens 1. November 2012 als PDF-Datei an Prof. Hélène Camarade – [email protected] einzusenden. Die Beiträge dürfen 30 Minuten nicht überschreiten. Kommunikationssprachen sind Französisch und Deutsch (mit deutsch-französischer Simultanübersetzung). Eine Publikation ist geplant. Wenn es geht, wünschen wir, dass die Fahrtkosten der Referenten von ihrer Forschungsgruppe oder Institution übernommen werden. Kontakt: Prof. Hélène Camarade – [email protected] 3