Das Neue Funkkolleg Literatur DIE W ELT DER GESCHICHTEN – KUNST UND TECHNIK DER NARRATION Sendung 4 Aus der Werkstatt – Das narrative Handwerkszeug von Christa Hein Sprecher 1: weiblich Sprecher 2: männlich Sprecher 3 (Zitate): weiblich Sprecher 4 (Zitate): männlich Spr. 1: In dieser Sendung findet ein Schreibworkshop im Miniaturformat statt. Real haben die sechs Teilnehmer, die Sie hier hören können, zwei Tage mit mir gearbeitet. Im folgenden werden Sie Schreibaufgaben bekommen, die Sie selbst nacharbeiten können, Sie erhalten Hinweise zu den Lösungsmöglichkeiten und Kommentare der Teilnehmer. Diese haben zum Abschluss ihres Workshops spontan eine CD aufgenommen, von der zwei Beispiele zu hören sind. Spr. 2: Der Kurs beginnt mit Übungen, die sich auf einzelne Aspekte von Sprache und Texten konzentrieren und entsprechend kleinere Lösungen erfordern. Es folgen Aufgaben, die zu komplexeren Texten führen. Bei all diesen Übungen sollen Sie vor Ort schreiben, zwischen zehn und dreißig Minuten lang, anschließend werden die Texte vorgelesen. Es bleibt kaum Zeit, diese spontan entstandenen Texte zu überarbeiten, so kann also niemand ein perfektes Produkt erwarten. Spr. 1: Das ist Absicht, denn auf diese Weise lassen sich die häufigsten Fehler und Problemstellungen an konkreten Beispielen besprechen. Bei der Diskussion geht es vor allem um diese Fragen: Welche Wirkung erzeugt der Text? Ist sie so gewollt? Was ist gelungen? Woran liegt das, bzw. mit welchen Mitteln wird gearbeitet? Was ist missglückt? Was ist die Ursache? Durch welche Maßnahmen lässt sich der Text verbessern? Musik (Immer wieder Ausschnitte aus dem Walzer der Jazz-Suite siehe CD) Spr. 2: Jeder soll jede Übung mitschreiben – was oft bedeutet, dass man an irgend einem Punkt scheitert. Aber auch das ist ein Ergebnis. Ein großer Reiz besteht ja darin, herauszufinden, was einem liegt – und was nicht. Man lernt bei jeder Übung auch etwas über sich selbst: Wozu neige ich? Gibt es Muster, derer ich mich automatisch bediene? Was vermeide ich? Aus welchen Gründen? Bin ich in der Lage, mich von anderen Lösungen anregen zu lassen? Spr. 1: Eine Voraussetzung, besser schreiben zu können und den eigenen Text einschätzen zu lernen besteht darin, möglichst vielfältige Schreiberfahrungen zu sammeln. Mit jeder Übung, die man praktisch durchgeführt hat, erwirbt man sich einen Erfahrungsschatz im Kleinen, der sich ausbauen und auf den sich zurückgreifen lässt. Hierin gleicht das Schreiben jedem anderen Lernprozess. Musik Spr. 2: Fangen wir also an: Und gleich stellt sich die Frage – ja, wie denn? Wie überwindet man die Hürde, das weiße Blatt zu beschriften? Ich gehe davon aus, dass nicht Ideen das Problem sind. Ideen hat jeder, der schreiben möchte, genug. Die Schwierigkeit ist vielmehr: Wie bringe ich meine Ideen zu Papier? Hier hat ein Dichter aus Amsterdam eine wunderbare Erfindung gemacht, die den Anfang erleichtert: das Elfchen - etwas Fragiles, womöglich Poetisches, womöglich Gehaltvolles oder einfach Lustiges aus elf Wörtern, das sich schnell aufs Papier werfen lässt – gleich, ob man acht oder achtzig Jahre alt ist. Spr. 1: Haben Sie einen Stift? Folgende Struktur hat ein Elfchen: erste Zeile ein Wort, und zwar eine Farbe - Z.B. „Rot“. Zweite Zeile, zwei Wörter. Sie gelten dem Gegenstand, den die Farbe trägt. Vielleicht „Opas Nase“ oder „Glut, Feuer“. Jetzt die 3. Zeile, drei Wörter. Hier geht es um den Ort. Also Rot/Opas Nase/ und jetzt: „verschwindet im Taschentuch“. Oder Rot/ Glut Feuer //Himmel, Sonne, Meer. Als nächstes die 4. Zeile mit vier Wörtern. Sie sind eine Art kommentierende Ergänzung, z.B. „gleich niest er noch“ oder „Weltenbrand, Krieg, Wüste, Gräber“. Dann die 5. und letzte Zeile: ein elftes Wort als Pointe, Knalleffekt oder einfach Schluss. Spr. 2: Erstes Elfchen: Rot/Opas Nase/ verschwindet im Taschentuch/ gleich niest er noch / einmal. Zweites Elfchen: Rot/ Glut, Feuer/ Himmel, Sonne, Meer/ Weltenbrand, Krieg, Wüste, Gräber/ Nacht. Spr. 1: Und nun die Interpretation: Im 1. Fall geht es um die Konzentration auf einen Bildeindruck hin, eine Handlung, mit Verben, Substantiven, Präpositionen und einem Zeilensprung zwischen 4. und 5. Zeile, was den Text flüssiger macht und schneller. Im 2. Fall geht es um eine Sammlung von Substantiven, - eine sehr typische Lösung, die leicht monoton und viel schwerer wirkt. Sie umreißt assoziativ einen Themenkomplex, das letzte Wort ist wie eine Zusammenfassung. Spr. 2: Dies könnte eine gute Vorübung für einen längeren Text sein, eine Art Einstieg in ein Thema, das Ihnen durch den Kopf geht. Elfchen zwingen dazu, Wörter bewusst auszuwählen. Jedes Wort hat sein Gewicht, Wörter sind kostbar, und man sollte mit ihnen geizen. Musik Spr. 1: Nächste Übung: Walter Benjamin beschreibt ein Spiel aus dem Biedermeier, bei dem eine Reihe vorgegebener Wörter in dieser Reihenfolge verwendet werden sollen. Sie lauten: Brezel, Feder, Pause, Klage, Firlefanz. Benjamin schreibt: Spr. 4: „Zumal bei Kindern fördert dieses Spiel die schönsten Funde. Ihnen nämlich sind Wörter noch wie Höhlen, zwischen denen sie seltsame Verbindungswege kennen. Aber auch der Gebildete liegt lesend auf der Lauer nach Wendungen und Worten, und der Sinn ist nur der Hintergrund, auf dem der Schatten ruht, den sie wie Relieffiguren werfen. Ein Zwölfjähriger hat folgendes mit jenen Worten geschrieben: Die Zeit schwingt sich/ wie eine Brezel/ durch die Natur./ Die Feder malt die Landschaft/ und entsteht eine Pause/ so wird sie mit Regen ausgefüllt./ Man hört keine Klage,/ denn es gibt keinen Firlefanz. Spr. 2: Auch Sie sollen versuchen, diese seltsamen Verbindungswege zwischen den Wörtern wieder gehen zu lernen. Und Sie werden erleben: es gibt ein nicht-rationales Verhältnis zu Wörtern, ob es einem bewusst ist oder nicht, die konnotative Dimension der Sprache. Notieren Sie also die 10 Wörter: Stern, Reis, Asphalt, Pergament, fließen, flüstern, lila, Bahnhof, Milch, Wasserkäfer. Mit diesen Wörtern schreiben Sie einen Text, die Reihenfolge ist gleichgültig. Drei Wörter dürfen Sie auslassen, aber sieben aus der Liste müssen untergebracht werden. Sie können sie verändern, Plural, Konjugationen etc., und natürlich weitere Wörter hinzunehmen. Hören Sie dazu ein paar Schreiberfahrungen: O-Töne 1 17:41- 18:06 (Stimme 1: „ich hab alle Wörter...- Stimme 2: aus dem Versenkten“) Spr. 1: Festzuhalten ist: Die ausgewählten Wörter sind eindeutig, allesamt von einer sinnlichen Qualität – man sieht sie, man fühlt sie, man hört sie; auch Synästhesien können entstehen – nämlich die Verbindung verschiedenen Wahrnehmungsempfindungen ( wie z.B. ein flüsternder Stern). Die Verben sind stark – lautmalend, wie z.B.„flüstern“, „fließen“ schließt eine Bewegung ein. Ein Text mit Wörtern solcher Qualität wirkt direkter, findet Eingang über die Sinne. Anders herum ausgedrückt: schreibt man z.B. „leise sprechen“ statt flüstern, „Lebensmittel“ statt Milch oder Reis, geht viel Nebeninformation – Klang, Bilderreichtum, sinnliche Qualität verloren. Musik Spr. 2: Damit sind wir schon bei der nächsten Übung sind: Konzentration auf die Dimension Klang. Lesen Sie laut das Gedicht Schtzngrmm von Ernst Jandl– ein ziemlich geniales Lautgedicht über den Krieg in den Schützengräben. Nun probieren Sie ein paar Laute aus – bl, ztsch, fl, fl, grt, uaah- was Ihnen so einfällt. Wählen Sie sich einen Laut aus und versuchen Sie, ihn zum beherrschenden Moment eines Textes zu machen. Lassen Sie sich dabei komplett ein auf die Wirkung des Klangs. Was kommt dabei heraus? O-Töne 2 3:31-3:47 („für mich war’s insofern schwierig...insofern war das komplett neu“ ) Spr. 1: Dabei haben wir als Kinder alle Klanggebilde wie „eiapopeia“ und „Dra Chanasan mat dam Kantrabass“ geliebt. Wichtig ist: Klang ist in jedem Text vorhanden, ob bewusst eingesetzt oder unfreiwillig, gleichgültig ob der Text laut oder still gelesen wird. Melodie, Rhythmus und Klang teilen sich immer mit und erzielen eine bestimmte Wirkung: der Text wirkt schneller oder langsamer, monoton, staccatohaft, hastig, fließend oder sogar unfreiwillig komisch, wie bei ungewolltem Binnenreim. Deshalb muss man ein Gespür für die akustische Ebene eines Textes entwickeln. Spr. 2: Grundsätzlich gilt: Je mehr Sinne ein Text anzusprechen vermag, desto lebendiger wirkt er, desto mehr atmet er, und desto mehr löst er im Leser bzw. Hörer aus. Sensibilisieren Sie sich also und trainieren Sie bewusst alle Sinne. Das bedeutet zuerst: Bewusst Wahrnehmen. Der Augensinn ist der weitaus dominante. Gerade deshalb widmen Sie sich einmal explizit den anderen Sinnen. Spr. 1: Folgende Übung: Sie suchen sich einen Standort, z.B. ein Cafe, einen Marktplatz, einen Hof, einen Park. Setzen Sie sich. Schließen Sie für zehn Minuten konsequent die Augen und nehmen Sie wahr. Was hören Sie? oder: Was riechen Sie? Konzentrieren Sie sich auf einen Sinn. Dann protokollieren Sie Ihre Eindrücke so genau wie möglich. Bedienen Sie sich lautmalender Verben, nehmen Sie Details wahr, versuchen Sie Zusammenfassungen zu vermeiden. Aus diesen Eindrücken schreiben Sie ein Hörprotokoll. O Töne 3 „Ich wünschte, du... 0:53. Spr. 2: Kein Text kommt ohne Bilder aus, in Form von Beschreibungen, Vergleichen, Metaphern. Vor allem die Metapher hat ein großes Potential. Ihre Verwendung bedeutet aber auch eine Gratwanderung, weil man die Grenze ausloten muss zwischen Stilblüte, Klischee und womöglich allgemeiner Unverständlichkeit. Im gelungenen Fall machen Metaphern einen Text bildhaft, lebendig und poetisch. Es lassen sich Dinge ausdrücken, für die eine rein auf Bedeutung zielende Sprache zu plump ist. Spr. 1: Hier eine Übung dazu, die man ruhig öfter wiederholen kann. Machen Sie sich klar, dass es bei einer Metapher zwei Anteile gibt; der eine Teil liefert ein Bild, das ist der Bildspender, der andere Teil bringt einen Sachverhalt zum Ausdruck, das ist der Bildempfänger. Das Bild wird übertragen, die wörtliche Übersetzung des griechischen Begriffs. Spr. 2: Um diesen Übertragungsweg geht es: nimmt man z.B. den Begriff „Ursache“ und ersetzt ihn durch das Wort „Quelle“ liegt eine metaphorische Übertragung vor, die allerdings kaum noch ins Auge springt, so vertraut ist sie einem inzwischen. Das andere Ende der Skala reicht zu Metaphern in der Lyrik, in denen sich kein Übertragungsweg mehr herleiten lässt, wie z.B. in der Gedichtzeile aus „Todesfuge“ von Paul Celan: „Schwarze Milch der Frühe“. Spr. 1: Zwischen diesen Extremen gibt es viele einzelne Abstufungen. Um dies zu erproben, schreiben Sie zwei Spalten Wörter nebeneinander. Links stehen die Bildspender, rechts die Bildempfänger. Z.B. steht links: gefroren, vollautomatisch, schwarz. Rechts: Liebe, Frau, Sonne. Jetzt ziehen Sie Querverbindungen zwischen Vollautomatische Frau. beiden Spalten: Z.B. gefrorene Liebe. Schwarze Sonne. Oder: vollautomatische Liebe. Gefrorene Sonne. Etc. Ergänzen Sie die Spalten um eigene Wörter und bilden Sie weitere Metaphern. Spr. 2: Die nächste Übung zwingt zum sehr bewussten Umgang mit Sprache: Wer etwas beschreiben will bedient sich meistens der Adjektive – schmückende Beiwörter, wie es treffend heißt. Man verlässt sich darauf, dass sie das Bild dem Leser vor Augen führen. Reicht eins nicht aus, kommt noch eines dazu und womöglich noch eines. Das ist die einfachste Lösung –zu der man automatisch neigt. Aber nicht die beste, denn sie führt häufig zum Schwulst. Diese automatische Lösung muss man sich regelrecht abtrainieren, und das geht nur durch Übung. Also: Beschreiben Sie in etwa zehn Zeilen eine Szene, einen Ort oder einen Vorgang. Verwenden Sie dabei nur ein einziges Adjektiv. Was sagen die Teilnehmer dazu? O-Töne 4 6:17 – 6:36 (“es ist jedes mal eine Herausforderung... bequemes Adjektiv zu verwenden“). Spr. 1: Sie werden erleben, dass den Verben eine wichtige Funktion zukommt. Oft ist die Substantivierung von Verben, wie auch im Hörportrait, ein gutes Stilmittel, Klang, Farbe und Sinnen-Vielfalt in einen Text zu bekommen. Auch in dieser Übung merken Sie, wie wichtig eigene Wahrnehmungserfahrung ist – eine Voraussetzung für jede Beschreibung. Musik Spr. 2: Überhaupt, die eigene Erfahrung. Machen Sie sich diesen riesigen Fundus zunutze. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie Ihr eigener, höchst persönlicher Zugang zur Sprache eigentlich aussieht? Wie er entstanden ist? Welche Schritte auf diesem Weg eine Rolle gespielt haben? Mit Sicherheit sind Ihre Vorlieben und Abneigungen, was Sprache und Texte betrifft, durch eine lange Spracherfahrung geprägt. Spr. 2: Im folgenden hören Sie die Pulitzerpreisträgerin Euroda Welty über ihren Werdegang als Schriftstellerin: Spr. 3: „Zu meiner Sinneserziehung zähle ich auch mein physisches Empfinden fürs Wort. Im Alter von sechs Jahren stand ich allein im Hof vor unserem Haus und wartete aufs Abendessen; es war genau zu der Stunde an einem Spätsommertag, in der die Sonne bereits hinter dem Horizont steht und der aufgegangene Vollmond am Himmel nicht mehr kreidefarben ist, sondern Licht annimmt. Dann kommt der Augenblick – und ich sah ihn damals -, in dem der Mond nicht mehr flach ist, sondern rund wird. Zum ersten Mal traf er meine Augen als Kugel. Das Wort Mond kam mir auf die Lippen, als wäre es mir mit einem silbernen Löffel eingeflößt worden. In meinem Mund festgehalten, wurde der Mond zu einem Wort. Es besaß die Rundheit einer Traube, die Großvater in Ohio mir von seinem Weinstock pflückte und die ich ganz verschluckte.“ Spr. 1: Selbst in der Übersetzung ist dieser Text noch ein schönes Beispiel dafür, wie sinnliche Erfahrungen unseren Spracherwerb begleiten. Und viele finden tatsächlich sehr früh in der Kindheit statt. Darum folgende Übung: Kommen Sie Ihren eigenen frühesten Erfahrungen mit Worten auf die Spur. Besinnen Sie sich so weit wie möglich zurück auf ein Erlebnis, auf eine Begebenheit, in der Sprache eine wichtige Rolle gespielt hat. War da ein Wort, das etwas besonderes ausgelöst hat, vielleicht weil Sie es nicht oder anders oder falsch verstanden haben? Sie können das Wort gehört, oder gelesen haben. Jemand hat Ihnen etwas vorgelesen, vorgesungen? Nehmen Sie mehrere Anläufe, denn meist dauert es, bis man an diese Erfahrungen herankommt. Den Teilnehmern erging es so: O Töne 5 23:33 – 24:02 „Also ich hab total schnell Zugang... toll - ging sehr leicht“) Spr. 1: Dieser erste Blick in die Vergangenheit stößt vielleicht bei Ihnen einen ganzen Prozeß des Schreibens an. Wiederholen Sie diese Übung für sich, machen Sie sich allmählich Ihren eigenen Sprachzugang bewusst. Wie lohnend das Ergebnis aber auch für andere sein kann zeigt dies Beispiel aus dem Kurs: O Töne 6 CD „Mein erstes Buch“ 1:19 Musik Spr. 2: Nächster Punkt: Die Perspektive. Im wesentlichen entsprechen die Möglichkeiten der Erzähl-Perspektiven den Situationen, in denen Menschen sich begegnen können: Ich. Er. Sie. Wir. Ich als ordnende Erzähler-Gestalt über allem. Es gibt auch die Möglichkeit einer nicht personalen Perspektive. Die Dinge stehen wie im nouveau roman im Zentrum. Schon mit dem ersten niedergeschriebenen Wort eines Textes steht die Perspektive, aus der erzählt wird, fest. Spr. 1: Man geht gewissermaßen einen Vertrag mit dem Leser/Hörer ein: Der Rahmen des Erzählten wird mit der Wahl der Perspektive abgesteckt. Ein Durchbrechen der Perspektive ist im Prinzip nicht gestattet. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, in jedem Falle muss die Durchbrechung dann aber eine Funktion haben. Sie darf dem Autor nicht einfach nur aus Versehen oder Nachlässigkeit unterlaufen. Das geschieht allerdings trotzdem immer wieder, ist aber eine Sache der Erfahrung. Spr. 2: Bei der letzten Übung, der Kindheitserinnerung, haben Sie für die eigene Erfahrung natürlich authentischen, die Ich-Erzählperspektive dokumentarischen Texte sind in gewählt. dieser Fast alle Perspektive geschrieben. Anders herum ausgedrückt: Will man einen Text möglichst authentisch gestalten, eignet sich die Ich-Perspektive oft am besten. Andere Texte aber verlangen eine andere Erzählposition. Sie bedürfen eher der Er/Sie-Perspektive. Das liegt daran, dass jeder Perspektive bestimmte Eigenschaften zukommen auf der Skala Nähe oder Distanz, Übersicht oder Involviertsein. Um hier Erfahrungen zu sammeln, vergleichen Sie einmal verschiedene Romananfänge mit dem Augenmerk speziell auf der Erzählperspektive. Spr. 1: Die Entscheidung, welche Perspektive eignet sich für welchen Text, kann automatisch fallen, wie im Beispiel eben, oder aus grundsätzlichen Überlegungen heraus. Sie kann sich während des Schreibens als richtig erweisen oder auch als falsch. Manchmal hilft es einem Text, ihn in eine andere Perspektive zu transponieren. Spr. 2: Dazu möchte ich Sie jetzt auffordern. Probieren Sie es selbst aus. Nehmen Sie Ihren letzten Text, die Spracherfahrung, und setzen Sie ihn um in eine andere Perspektive. Was geschieht? Wie verändert sich der Text? Welche weiteren sprachlichen Eingriffe werden nötig mit dieser Veränderung? Hören Sie hierzu die – klassischen - Schreiberfahrungen der Teilnehmer: O Töne 7 45:09 – 45:23 („also ich hatte das Gefühl... also der Text ist einfach länger geworden) und 25:15 – 25:49 („bei mir ist es so ähnlich... gar nicht unwichtig gewesen“) Spr. 1: Und nun noch ein sehr weit gefasstes Thema: das des Stoffes. Wovon soll mein Text eigentlich handeln? Was soll erzählt werden? Wie komme ich zu meinem Stoff? Nicht alle Stoffe findet man in der eigenen Vergangenheit oder Umgebung. Manche muss man recherchieren. Eine gute Übung, die ich Ihnen hierzu vorstellen möchte, ist, sich bestimmter Gegenstände als Erzählkeim zu bedienen. Für Proust hat die Essenz der Dinge zentralen Charakter: Lesen Sie, was er über den Lindenblütentee und seinen Duft schreibt, Sie kennen vielleicht das berühmte Beispiel der in Tee getauchten Madeleines. Spr. 2: Und noch ein Beispiel: In der Kinderakademie in Fulda gibt es ein Hosentaschenmuseum – Dinge, die sich in den Taschen der Besucher angefunden haben, sind ausgestellt. Jedes für sich, alle zusammen in dieser Kombination können eine Geschichte erzählen. Ein Vorschlag: finden Sie sich mit anderen zusammen und bitten Sie jeden einzelnen, zu diesem Treffen einen Gegenstand mitzubringen, der ihm nicht gleichgültig ist. Nacheinander soll jeder erzählen, was es damit auf sich hat, woher er kommt, was für eine Rolle er spielt, wo er meistens liegt usw. Schön, wenn man ihn anfassen kann, vielleicht etwas dazu nachfragen. Spr. 1: Die Hörenden machen sich Notizen: eine Redewendung, Details etc. Wenn jeder seinen Gegenstand für ein paar Minuten vorgestellt hat, ist meist ein Fundus an Material, an Details, zusammengekommen, in denen menschliche Begebenheiten, Verwicklungen, Einblicke in emotionale Zustände etc. zur Sprache gekommen sind. Jetzt soll aus diesen Gegenständen selbst, sowie aus der Art, wie von ihnen gesprochen wurde ein Text entstehen. Bedingung: keiner schreibt über seine eigenen Gegenstände. Die der anderen sollen zu einem Text anregen. Man kann z.B. nacherzählen, was jemand über seine mitgebrachten Sachen erzählt hat. Oder den Gegenstand selbst als Anlass für eine Erzählung nehmen. Dabei können sich zwei Gegenstände zu etwas Neuem verbinden. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Musik Spr. 2: So. Die Zeit drängt. Jeder hat acht Texte – einfache und komplexere– geschrieben. Sie sind spontan entstanden, geschrieben aus dem Augenblick heraus. Das ist wichtig, damit erst einmal Material da ist. Jetzt aber kommt es darauf an, an den Texten zu arbeiten. Mit anderen Worten: das Lektorat, das jedem Text gut tut, bevor man ihn aus der Hand gibt. Der Zweite Blick, wie ich es nenne, dem durchaus gern auch noch der dritte, vierte, usw. folgen kann, da jedes Mal ein neuer Distanzierungsschritt dem eigenen Text gegenüber einsetzt. Spr. 1: Erster Schritt: Lesen Sie sich den Text laut vor. Schon sind Sie nicht mehr in der Rolle des Autors, sondern in der des Sprechers und damit auch gleichzeitig Hörers. Sie spüren, wo ein Satz zu lang wird, wo er monoton klingt, wo sich Wiederholungen verbergen, wo eine Stelle zu wortreich ist. All diese Punkte können Sie selbst abarbeiten. Spr. 2: Und es gibt noch mehr für die Checkliste: Haben Sie Sinneseindrücke in den Text eingebaut? Haben Sie Bilder, Vergleiche, Metaphern verwendet? Stimmig oder Klischee? Sehen Sie sich die Verben an, haben Sie solche mit sinnlicher Qualität benutzt, oder eher abgegriffene? Welche bzw. wie viele Adjektive und Adverbien? Lässt sich da nicht das eine oder andere Wort sparen? Kann man straffen, verdichten? Immer gilt: Jedes Wort hat sein Gewicht. Spr. 1: Verzweifeln Sie nicht, wenn etwas misslingt. Wenn es so einfach wäre, etwas Gutes zu schreiben, könnte es ja jeder. Die wichtigste, ganz unverzichtbare Empfehlung zum Schluss: Lesen Sie. Lesen, Lesen, Lesen. Der aufmerksame Blick des Lehrlings auf das Werk des Meisters schult am allerbesten! Musik (Schluß)