In Ehre vor Glück und Einsatz Dr. Andrew B. Denison Remagen, 8. Mai 2005 Meine Damen und Herren, Ladies and Gentleman, sehr geehrte Gäste, ich danke Ihnen für die Ehre, an diesem Tag vor Ihnen sprechen zu dürfen. Wir haben uns hier versammelt, um unsere Gedanken zurück in jene Frühlingstage des Jahres 1945 schweifen zu lassen, in denen der Krieg in ganz Europa wütete. An Deutschlands westlicher Grenze verhinderte der Rhein, dass dieses vom Krieg verwüstete Land eingenommen werden konnte um dem Dritten Reich ein Ende zu setzen. Hier an den Ufern dieses alten Flusses, am 7. März 1945, einem regnerischen Mittwochmittag, ergab sich eine glückliche Gelegenheit. Abgekämpfte und durchnäßte Einheiten der 9. gepanzerten USDivision, die auf einem Hügel oberhalb der Kirchturmspitzen von St. Appolonaris standen, erblickten eine intakte Brücke, die sowohl den Übergang zum Ostufer, als auch zu allem was dahinter lag, ermöglichte. Das war nicht Teil des Plans, doch Lt. Karl H. Timmerman bekam ein schicksalhaftes „OK“ von General William M. Hoge. Bald war die Brücke eingenommen. Im Krieg gewähren solche glücklichen Momente nur eine kurze Atempause von der allgegenwärtigen Tragödie. Der Krieg forderte seinen Tribut an diesem Ort, der Stadt Remagen. Ihre Einwohner starben, wurden begraben, verbrannt, als Feuer vom Himmel fiel, als die Amerikaner diese Brücke zerstören wollten. „Diese verfluchte Brücke“, so nannten die sie, die unter den endlosen Bombenangriffen zu leiden hatten. Doch dann war die Brücke in amerikanischer Hand. Soldaten – in Zügen, Kompanien, dann Batallionen und Regimenten – der 9. gepanzerte, der 9., der 78., der 99., der 1. Infantriedivisionen, eilten über die Brücke. 10 lange Tage, 240 Stunden lang, trug die Brücke die schwere Last müder Füße, das Rattern und Dröhnen einer endlosen Schlange von Fahrzeugen, beladen mit Kriegsgerät. „Ihr Gewicht in Gold wert…“ so meinte General Eisenhower. Dann fiel die Brücke in den kalten, dunklen Rhein und riss 28 Männer mit sich. Die Brücke war zerstört, die Überquerung jedoch geschafft. Die alliierten Kräfte befanden sich in einer günstigen Position für den letzten Vorstoß tief ins deutsche Kernland. Dennoch, das Glück, das diese Brücke eröffnete, wäre nichts wert gewesen, wäre da nicht der große Einsatz dieser Männer, dieser Soldaten gewesen, die gerade erst als Ersatz angekommen waren oder einfach bisher Glück gehabt hatten, das alles zu überleben. Sie sammelten sich hier in Remagen – unter Beschuss. Sie überquerten den Fluss – unter Beschuss. Sie stießen im Brückenkopf auf der anderen Seite vor – unter Beschuss. Sie verloren ihr Leben – unter Beschuss. Ihre Körper wurden geschunden, von Einschlägen verletzt, von brennendem Stahl zerschnitten; diese jungen Männer waren an einem fernen Ort, einem Ort, der in diesen Tagen das Grauen sah, einem Ort, den die Überlebenden niemals vergessen würden. Heute ist es ein Ort idyllischer Schönheit, an dem die vielen Besucher den beruhigenden Rhythmus des Rheins genießen. Hier in Remagen erleben fröhliche Gäste den Rhein der Boote und Fahrräder, den Rhein des guten Weins, den romantischen Rhein – Vater Rhein. Es ist ein fröhlicher Ort, aber dennoch auch ein Ort, der im Schatten jener blutigen März-Tage liegt, an denen sich Glück und großer Einsatz trafen um Geschichte zu machen, für eine bessere Zukunft. Eine grausame Schlacht zog sich über fast drei Wochen hin, bis diese amerikanischen Soldaten die letzten Verteidigungslinien der Wehrmacht durchbrachen. Was dann folgte, war eine der größten Einkesselungen der Militärgeschichte – bekannt als der Ruhr-Kessel. Hätte es kein Wunder von Remagen gegeben, hätte es keinen Ruhr-Kessel gegeben, gäbe es auch kein Deutschland, wie wir es heute kennen. Glück in Zeiten des Unglücks, diese Überquerung. Eine Überquerung, die auch durch den großen Einsatz jener Männer in diesen entscheidenden Tagen möglich gemacht wurde, denen wir als Amerikaner und als Deutsche großen Dank schulden. Vielen Dank. Hätte man damals, 1945, gedacht, dass Deutsche und Amerikaner heute in einem friedlichen Kontinent, in einem sich ausdehnenden Europa der Freiheit und Demokratie, einem Europa des Wohlstandes und der Freigiebigkeit, wie es die Geschichte noch nie gesehen hat, zusammen stehen würden - hätte man sich damals solche Dinge vorgestellt, wäre das in der Tat blauäugig gewesen. Dennoch schlossen Europa und Amerika sich zusammen, mit Glück und großem Einsatz, durch Jahrzehnte des Wiederaufbaus und der Teilung. Ein freies Berlin war umgeben von einem roten Meer, von Panzer-Armeen, die mit Stalin kamen und mit Gorbatschow wieder gingen. Europäer und Amerikaner beendeten den Kalten Krieg, öffneten den Eisernen Vorhang und erlangten die deutsche Einheit in Freiheit. Große Teile des Sowjet-Reiches gliederten sich ein in die atlantische Welt. Das robuste Nordatlantik-Bündnis fand neue Aufgaben: Die Beendigung der brutalen SezessionsKriege auf dem Balkan; die Vergrößerung, um 10 ehemalige Sowjetblock Staaten aufnehmen zu können. Glück und großer Einsatz verwandelten das Deutschland von 1945 in das Deutschland von 2005. Das Deutschland, in dem ich heute lebe ist ein guter Ort. Ich wohne im kleinen Dörfchen Pleiserhohn – zwanzig Kilometer nördlich von hier, zwanzig Kilometer bewaldeter Hügel und tiefer Schluchten, zwanzig Kilometer, für die US-Schützen zwei Wochen schwerer Kämpfe benötigten, um sie zu überwinden. Das war damals. Das Deutschland, in dem meine Kinder aufwachsen, ist ein freundlicher, warmer, menschlicher und großzügiger Ort – es ist eine Gesellschaft, die die Früchte der Freiheit und eine gute Regierung in einem friedlichen und geeinten Europa genießt. Es ist ein Land, dass ich mittlerweile wie mein eigenes Land liebe. (Die Unterschiede liebe ich auch – die Unterschiede zwischen dem Rheinland und meiner Heimatstadt Laramie, Wyoming, zu deren hohen Prärien ich fast jeden Sommer gerne zurückkehre.) Pleiserhohn, Remagen, Deutschland, Europa – dieser Ort in dieser Zeit ist ein Wunder: ein atlantisches Wunder. Beispielloser Frieden, Freiheit und Wohlstand erstreckt sich über ein sich ausdehnendes Europa. Niemals zuvor hatten es so Viele so gut. Niemals zuvor waren so Wenige in der Lage so Vielen zu helfen. Das atlantische Wunder ist der Motor globaler Kooperation und globalen Handels. Gesund, wohlhabend und hoffentlich weise – Europäer und Amerikaner haben die Möglichkeit ihren Frieden, ihre Freiheit und ihren Wohlstand auszuweiten, ja, dieses Wunder auszuweiten auf die Peripherie Europas und letztendlich auf die ganze Welt. Die gute Nachricht ist, dass die Mittel für ein gutes Leben immer billiger, immer vielfältiger und immer verfügbarer werden. Unsere Macht Gutes zu tun ist historisch bisher einmalig. Die schlechte Nachricht ist, dass die Mittel zur Massenvernichtung, zum Massenmord, ebenfalls immer billiger, immer vielfältiger und immer verfügbarer werden. Unsere Macht Böses zu tun ist ebenfalls historisch bisher einmalig. Wir sind zugleich mehr verbunden und mehr verwundbar als je zuvor. In diesem Sinne sieht sich die Welt einer neuen Art von Bipolarität gegenüber, einer der Verbundenheit und der Verwundbarkeit. Eine neue Form eines alten Dualismus. Die Macht Gutes zu tun und die Macht Böses zu tun sind in einer Doppel-Helix miteinander verflochten, die die menschliche Geschichte vorantreibt. In unserer Zeit spielt sich das auf einer globalen Bühne wachsender Komplexität, gegenseitiger Abhängigkeit und in enormer Geschwindigkeit ab. Die Herausforderung unserer Zeit besteht darin unsere offene und freie Ordnung in dieser sich schnell verändernden Welt zu sichern, ohne sie zu zerstören. Wie bleiben wir offen und frei, während wir gleichzeitig jene aufhalten wollen, die diese Offenheit ausnutzen, um das zu zerstören, was wir wertschätzen? Hier die richtige Antwort, das richtige Gleichgewicht, zu finden ist etwas, was wir nicht nur unseren Kindern schuldig sind. Wir sind es auch denen schuldig, die in diesem Raum sind, und vielen anderen, die nicht mehr unter uns sind, die sich eine bessere Welt vorstellten, die so hartnäckig gearbeitet haben, die so viele Opfer gebracht haben, um dieses atlantische Wunder möglich zu machen, das heute unser Glück ist. Diese Menschen haben diese offene Ordnung ermöglicht, die nicht nur für unseren Wohlstand unverzichtbar ist, sondern auch für unsere innerste Identität und Würde als freie Menschen. Um diese offene und freie Ordnung angesichts von mehr und mehr zerstörerischen Technologien auszudehnen, ist weltweiter Frieden vonnöten, der ebenso tiefsitzend wie weitläufig ist. Während wir mit dieser Herausforderung ringen, dessen Art die Angriffe des 11. Septembers so dramatisch verdeutlichten, müssen wir auch nach einem Wiederaufbau des atlantischen Konsens streben. Man könnte damit beginnen eine Aussöhnung zweier unterschiedlicher Erklärungen über Freiheit und Wohlstand, die wir heute haben, zu suchen. Für die meisten Europäer dreht sich die Lektion des 20. Jahrhunderts um europäische Integration, die Europäische Union und den Elysee Freundschafts-Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich. Für einen Großteil der Amerikaner geht es - ungeachtet des Marshall-Plans - eher um Normandie, um NATO, und den nuklearen Schutzschirm. Europäer halten die Europäische Union für ein Vorbild des Friedens - Amerikaner tendieren zur NATO. Als Atlantiker sieht man die Stärken beider Herangehensweisen. NATO und EU zusammen stellen eine ernstzunehmende Kraft dar, eine Kraft zur Ausweitung des atlantischen Wunders über die Peripherie Europas hinaus und in die ganze Welt. In diesem Sinne war das Bemerkenswerteste am Zweiten Weltkrieg der Frieden, der danach folgte, denn er hat überdauert, ist gewachsen und definiert heute den Standard, den große Teile der Welt anstreben. Wie ein Phönix, der sich aus der Asche zweier Weltkriege erhebt, waren Europa und Amerika im Aufbau von Frieden, Freiheit und Wohlstand, wie es die Welt noch nie erlebt hat, gemeinsam erfolgreich. Die Erinnerung an den Krieg stärkt die Hoffnung auf Frieden. Glück und großer Einsatz können diesen Frieden Realität werden lassen. In Remagen, in den beiden Türmen, die einmal die Ludendorff-Brücke trugen, befindet sich ein Museum über den Krieg und über die Hoffnung auf Frieden. Die Räume dieses Museums sind zu einem großen Brückenbogen über den Atlantik geworden. In den Türmen treffen sich Amerikaner und Deutsche um zu gedenken und zu hoffen. Sie wenden sich in ihren Herzen und Gedanken den Teilen der Welt zu, die auch heute noch so von Krieg zerrissen sind, wie es dieser Ort in jenen Märztagen 1945 war. In den 25 Jahren seit seiner Gründung sind das Museum und sein Auftrag zu einem Teil dieses Ortes geworden. Dieses Museum hat viele Augen und Herzen geöffnet, indem es an den Krieg erinnert und für den Frieden spricht, unter dem Motto „Laßt uns jeden Tag mit Geist und Verstand für den Frieden arbeiten. Beginne jeder bei sich selbst“. Die Brücken, die durch dieses Museum gebaut wurden, sind von vielen, mit Glück und großen Einsatzes gestützt worden. Diese Gründer und Brücken-Bauer gilt es zu würdigen. Vor sechzig Jahren, am 7. März 1945, begannen junge amerikanische Soldaten den Rhein zu überqueren. Die Feuer des Krieges sollten noch 61 lange Tage über Europa hinwegfegen bis sie schließlich an diesem Tag der Tage gelöscht wurden, dem 8. Mai. An diesem Tag, VE Day, feiern wir das Ende des Krieges in der „Alten Welt“, der Wiege der Zivilisation, Europa. Wir feiern die Neuanfänge, die er möglich machte. Wir feiern das Glück und den großen Einsatz derer, die so viel erreicht haben – und die es so viel gekostet hat. Wir ehren die Männer, die heute hier bei uns sind und die diese große Bürde getragen haben. Männer, die ein langes Leben im Schatten dieser unvergesslichen Tage hinter sich haben, die ihre Jugend vernarbte. Ich hoffe, dass sie auch in dem Wissen gelebt haben, dass das atlantische Wunder ihr Werk war, dass der Frieden, der sich über all diese Jahrzente in Europa ausgebreitet hat, ihr Frieden ist. Mit Glück und großem Einsatz wird meine Generation und die meiner Kinder in der Lage sein dieses Erbe aufzunehmen und diesen atlantischen Frieden zu einem wirklich weltweiten Frieden zu vergrößern. Indem wir uns dieser Herausforderung stellen, können wir von dem Wunder, das Europa geworden ist, und durch das Glück und großen Einsatz derer, die den Krieg gewonnen haben und danach für den Frieden gekämpft haben, nur bestärkt werden.