Ein volles militärisches Berufsleben lang habe - Kirche

Werbung
Rede zum Volkstrauertag am 14.11.2010
Von Oberstleutnant a.D. Erwin Knorr
Ein volles militärisches Berufsleben lang habe ich mich erfolgreich davor gedrückt, in
diese Situation zu kommen, in der Sie mich jetzt sehen. Gerade haben meine
Schwester und ich beschlossen, unser Elterngrab einebnen zu lassen, weil uns 25 Jahre
Grabpflege und damit öffentliches Gedenken genug erscheinen!
Warum konnte ich die Bitte von Pastor Krech nicht einfach abschlagen, heute einige
Worte zu finden, die unbekannten Menschen gewidmet sind, die in viel älteren
Gräbern liegen oder denen keine menschenwürdige Ruhestätte vergönnt war?
Es ist das gute und manchmal verdammte Pflichtgefühl, das in den meisten durch
Erziehung verankert ist und das in Konflikten dazu führen kann, dass Tote zu
beklagen sind. In Kriegen werden Tote als unvermeidlich in Kauf genommen. Und das
wird wohl immer so bleiben, solange es Menschen gibt und sie die Mittel dazu haben.
Denn wir Menschen sind das gefährlichste Raubtier auf diesem Planeten.
Ich bin 1947 geboren, gleich nach der Schule zum Militär gegangen, weil ich das ein
fairer Arbeitgeber war, bei dem ich die Brötchen für meine Familie und mich
verdienen konnte. Ich musste ich an keinem Krieg teilnehmen. Kaum einer in meinem
Umfeld hat heute noch echte Befürchtungen, dass es hier bei uns jemals wieder zu
einem Krieg kommen könnte. Wobei das aber auch so eine Sache ist, was man
heutzutage Krieg nennt und was nicht.
Warum stehe ich denn dann hier vor Ihnen?
Ich habe zwei Söhne. Beide haben auch meinen Berufsweg gewählt. Der jüngere muss
Anfang nächsten Jahres zum zweiten Mal nach Kunduz in Afghanistan. Er bliebe
lieber hier in Deutschland bei seiner jungen Familie. Ein bei seinem älteren Bruder
noch ausgeprägteres Pflichtgefühl treibt auch den dorthin. Noch konnte die Familie
auf ihn einwirken, Zurückhaltung zu bewahren. Aber mir kommt das alles irgendwie
so bekannt vor; das hatten wir doch schon mal!

An vielen anderen Stellen in Deutschland – auch hier im Landkreis – versammeln sich
heute Menschen, um der Toten beider großen Kriege zu gedenken und auch an die
Opfer von Gewaltherrschaft aller Nationen. Wie viele Worte sind in all den Jahren
schon gesagt worden, wie viele wurden und werden heute in den Wind gesprochen,
wie wenige erreichen die Herzen und werden auch dort bewahrt?
Schweigend wurde soeben erneut ein Bild in unserem Kopf gemalt als die Kränze der
Gemeinde und der hiesigen Militärischen Brüderschaft niedergelegt wurden. Bilder
sagen ja mehr als 1000 Worte. Anrührend weckten bekannte Melodien besondere
Gefühle in unseren Brüsten. Und dann noch diese ehrwürdige Umgebung!
Wozu noch Worte von irgendjemandem?
Die Antwort ist einfach: Wo immer Menschen aus einem besonderen Anlass
zusammen kommen, erwarten sie zur Einstimmung eine Rede. Worte sind etwas
typisch Menschliches und gehören zuweilen einfach dazu, wie – ja, wie das Sterben zu
jedem Krieg.
Meine Frau ermahnte mich mit den wenigen Worten „ Eine Rede halten sollte nur der,
der auch etwas zu sagen hat!“
Haben Sie meine Zweifel an der Wirksamkeit dieses Gedenktages schon gespürt? Sind
Sie darüber erschrocken? Darf man sie heute und hier aussprechen?

Vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge vorgeschlagen, wurde dieser
Gedenktag zum ersten Mal im Februar 1926 begangen. Das ehrenvolle feierliche
Gedenken an die im ersten Weltkrieg gefallenen Angehörigen hat den zweiten nicht
verhindert.
Mit dem abgewandelten „Heldengedenktag“ wurde später etliche Jahre lang eine ganz
andere Zielsetzung verfolgt.
Erst nach dem 2. Weltkrieg wurde dieser stille Tag auf das Ende des Kirchenjahres
vor den Totensonntag verlegt. Seitdem soll er die Erinnerung an die Leiden aller
Kriege wach halten und zur Verständigung, Versöhnung und zum Frieden mahnen.
Denn leider werden Kriege eben nicht weniger in unserer immer enger werdenden
begrenzten Welt. Und die Grausamkeiten, die sich Menschen dabei antun, auch nicht.
Damit diese beiden Tatsachen auch und gerade in unserem Wohlstandsland ja
nicht in Vergessenheit geraten, darum haben wir uns auch heute hier bei Wind
und Wetter versammelt.

Wenn wir an jene denken, deren Namen hier oder anderswo eingraviert sind, weil ihr
Pflichtgefühl sie in einen frühen Tod geführt hat, dann lohnt es auch darüber
nachzudenken, wem dieses Gefühl geschuldet war. Heute sehen wir unser eigenes
Gewissen als ständige Prüfungsinstanz an. Das macht Entscheidungen nicht leichter
sondern verantwortungsvoller.
Denken wir aber auch an die vielen namenlosen Opfer nicht nur der beiden
Weltkriege, die im Glauben an eine gute Sache ihr Leben ließen, die zum Kampf
gezwungen wurden, deren Tod in Kauf genommen wurde, die ermordet wurden, die
versehentlich getötet wurden oder die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort
waren.

In seinem Buch „Außer Dienst“ schreibt der allseits verehrte Altkanzler Helmut
Schmidt, dass unsere Soldatensöhne sich heute darauf verlassen können, dass sich
unsere Regierung sie nie zu Zwecken, die gegen das Grundgesetz und das Völkerrecht
verstoßen, missbrauchen wird. Als Vater der beiden eingangs erwähnten Söhne habe
ich da so meine Sorgen, erleben wir doch ständig, wie biegsam auch und gerade diese
Rechtsgrundlagen sind.
Und so ist es die ständig gleichbleibende Sorge um unseren Frieden, die mich hier zu
Ihnen sprechen lässt.
Da hilft mir persönlich auch die christliche Weihnachtsbotschaft nicht weiter, die wir
bald wieder von den Kanzeln zu hören bekommen, weil wir uns danach sehnen:
„Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“ verkünden die Engel schon
bei Christi Geburt. Das war vor mehr als 2000 Jahren! Wer mag denn heute noch
daran glauben, dass es eines Tages wahr wird?

Und doch machen wir sicher nichts verkehrt, wenn wir durch unser Hiersein ein
bisschen dazu beitragen.
Dafür gebührt Ihnen. Dank!
Herunterladen