Samuel Brülisauer 19. September 2015 Rede Kundgebung „Kriege verhindern – Flüchtlinge aufnehmen“ Liebe Anwesende Wir wollen Kriege verhindern und Flüchtlinge aufnehmen. Wir suchen uns dies nicht aus, unsere Menschlichkeit befiehlt es uns. Doch während es einfach ist, Flüchtlinge aufzunehmen, scheint es unmöglich, Kriege zu verhindern. Was massen wir uns also, hier und heute, an, so eine Forderung überhaupt zu stellen? Eine Forderung, so unmöglich, und trotzdem eine, welcher doch eigentlich alle Menschen zustimmen würden. Und trotzdem ist es richtig, dass wir diese Forderung stellen, dass wir die heutige Kundgebung zum UNO-Friedenstag mit dieser Forderung gar betiteln. Denn sie soll uns daran erinnern, dass Kriege menschengemacht sind. Ein Krieg ist keine Naturkatastrophe, sondern der Wille von Menschen. Es wird durch Menschen entschieden über Krieg oder Frieden, Reichtum und Armut, Leben und Tod. Und wenn Kriege von Menschen gemacht werden, dann können wir sie auch verhindern; können wir sie abwenden und die Menschheit vor ihren Qualen schützen. Jedes Jahr fliesst doppelt so viel Geld aus Entwicklungsländern in reiche Länder wie umgekehrt. Im Jahr 2014 sind 2 Billionen US-Dollar von Entwicklungsländern in die reichen Industriestaaten geflossen, während in die andere Richtung nur 1 Billion zurück in die weniger entwickelten Staaten diese Welt gekommen ist. Diese Zahlen sollten uns zu denken geben, denn so wie es aussieht, scheinen ärmere Länder keineswegs mit uns nach und nach gleichzuziehen. Ganz im Gegenteil und im krassen Gegensatz zu den Theorien all jener, welche immer noch glauben, der globale Kapitalismus wird uns alle ins Paradies führen. Wenn wir Armut als direkte oder indirekte Ursache für Instabilität, Diktatur, Verletzung von Menschenrechten, Krieg und somit für Flucht anerkennen, geben diese Zahlen eins unmissverständlich zum Ausdruck: dass wir für das Elend dieser Welt zentral mitverantwortlich sind! Denn wir bereichern uns an ihnen, die Schweiz, Deutschland, die USA, wir alle, die wir in den reichen Staaten leben. Ob wir das wollen oder nicht, wir beteiligen uns mit dem Geld, das in unseren Banken liegt, mit jenem, welches in unserer Pensionskasse Tag für Tag „für uns arbeitet“. Wir müssen unsere Samuel Brülisauer 19. September 2015 demokratischen Möglichkeiten nutzen, um den Schaden unseres wirtschaftlichen Tuns in dieser Welt einzugrenzen. Es gibt verschiedenste Möglichkeiten, wie wir dies tun können. Ob wir endlich die Spekulation mit Nahrungsmitteln verbieten, die Rohstoffkonzerne, welchen wir ein Steuerparadies ermöglich endlich genauer unter die Lupe nehmen und endlich – endlich! – mit dem Export von Waffen in Länder wie Saudi-Arabien aufhören, Länder mit Regimen, welche Tag für Tag Krieg und Terrorismus unterstützen und ihre eigene Bevölkerung durch systematische Menschenrechtsverletzungen leise halten. Mit solchen Regimen kooperiert auch die Schweiz, und wir sollten damit aufhören. Wir wissen alle: Menschenrechte sind kein Luxus funktionierender Gesellschaften, sondern deren Voraussetzung. Ihre Durchsetzung ist jedoch alles andere als selbstverständlich, weshalb vor bald 70 Jahren Institutionen wurden geschaffen, welche genau das verhindern sollten. Institutionen, welche genau verhindern sollten, dass sich Millionen von Menschen auf die Flucht begeben müssen. Sie wurden geschaffen, um die Menschen vom unendlichen Leid des Kriegs und der Flucht für alle Zeiten zu befreien. Und dennoch hör ich mich zynisch an, wenn ich die hehren Absichten der Gründerstaaten der Vereinten Nationen ins Gedächtnis rufe. Denn von ihrem Erreichen sind wir heute so weit entfernt, wie noch nie seit 1945. Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht wie während dem Zweiten Weltkrieg. Und trotzdem will ich die Vereinten Nationen nicht abschreiben. Trotz ihrer offensichtlichen Nichterreichung der Ziele. Trotz ihres Geburtsfehlers, den Vetomächten und der undemokratischen Entscheidfindung. Ich will die UNO nicht abschreiben, weil sie vielleicht unsere einzige Hoffnung ist. Denn selbst wenn sich in der Schweiz irgendwann politische Mehrheiten finden würden, welche Menschlichkeit über Profitinteresse stellen würden, hätten wir die Welt noch lange nicht von ihrem Elend befreit. Auch dann wird von Supermächten im Alleingang – sei es durch Kriege wie den Irakkrieg oder durch ein permanentes Veto im Sicherheitsrat in Bezug auf Syrien über Krieg und Frieden, Reichtum und Armut, Leben und Tod entschieden. Ich will mich nicht auf die UNO verlassen, doch sie ist vielleicht die einzige Chance, die wir haben. Die Menschen dieser Welt müssen bestimmen, wie wir mit den Krisen umgehen, welche weltweit und zurzeit nicht zuletzt im Nahen Osten vorkommen. Es soll nicht abhängig sein, von strategischem Kalkül und Samuel Brülisauer 19. September 2015 dem Wunsch Putins, Obamas oder sonst wem, wiedergewählt zu werden. Wir müssen uns diesen Herausforderungen einzig und allein mit den Interessen widmen, welche uns unser Menschsein und unsere Menschlichkeit diktieren. Mir ist bewusst, wie utopisch sich dies anhört, doch ich bin überzeugt, dass wir nicht am Ende der Geschichte angekommen sind. Ich bin überzeugt, dass wir menschliche Konflikte verhindern können und ich bin überzeugt, dass ein Tag kommen wird, an dem auf diesem Planeten Frieden herrschen kann. Aber ich bin auch überzeugt, dass wir uns den Zielen der Vereinten Nationen, der Verwirklichung der Menschenrechte weltweit und dem Garaus unmenschlicher Konflikte erst dann richtig widmen können, wenn wir über eine demokratische internationale Politik verfügen, über eine demokratische UNO. Und die Schweiz muss und darf nicht untätig sein, sie soll sich in den Vereinten Nationen engagieren und Forderungen stellen, welche die Schweiz allein nicht in der Lage ist, zu erfüllen. So muss die UNO aktiver werden, wenn es um die Durchsetzung der Menschenrechte weltweit geht. Aktiver werden, wenn es um das Verbot von Nuklearwaffen geht: 70 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki und diese unmenschlichste aller Waffen ist noch immer das wichtigste Machtsymbol der Staaten, die unsere Welt regieren. Ein Verbot scheint doch so logisch, und dennoch ist es in so weiter Ferne. Aber will eine Welt hinter mir lassen, welche sich dieser unglaublichen Bürde entledigt hat. Solange unsere Menschheit von internationaler Machtpolitik dominiert wird, solange wir uns einzig um den Wohlstand unserer Nationalstaaten kümmern, solange werden wir es nicht schaffen, diese Erde zu einer friedlichen zu machen. Und dennoch bin ich überzeugt, dass es nicht unmöglich ist. Denn Kriege sind menschengemacht. Und Frieden ist es auch.