1 Seesicherheit Herausforderungen für die deutsche maritime Sicherheitspolitik Von Sigurd Hess Seit den Terrorangriffen am 11. September 2001 in New York und Washington und verstärkt nach dem Bombenterror des 11. März 2004 in Madrid und des 07. Juli 2005 in London wogt in Deutschland eine erregte Debatte über die Verschärfung von Maßnahmen zur inneren Sicherheit hin und her. Nach dem Scheitern des "Luftsicherheitsgesetzes" vor dem Bundesverfassungsgericht am 15. Februar 2006 hat die öffentliche Debatte zwar an Schärfe gewonnen, nicht jedoch an Qualität und Ergebnisorientierung. Dabei fällt auf, dass das Thema "Seesicherheit" nur selten gestreift wird. Deutschlands Wohl und Nutzen hängt ganz entscheidend von der See ab. Deutschland und seine exportorientierte Wirtschaft sind eng eingebunden in das Weltwirtschaftssystem und in dessen globalen Warenaustausch und Rohstoffverkehr. Freie Seewege sind die Lebensadern, auf die Deutschland wegen seiner geostrategischen Lage und seiner exportwirtschaftlichen Orientierung besonders angewiesen ist. Deutschland bereedert die größte Containerschiffsflotte und die drittgrößte Handelsflotte der Welt. Freier und sicherer Seeverkehr ist eine notwendige Voraussetzung, dass sich die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft erfolgreich entwickeln und im Weltwirtschaftssystem gegen scharfe Konkurrenz und im Wettbewerb bestehen kann. Gegenstand der öffentlichen Diskussion über Seesicherheit ist ihre Gefährdung durch Terroraktionen, Piraterie und die Proliferation von Massenvernichtungswaffen, sowie andere kriminelle Handlungen wie Waffen- und Drogenschmuggel und Menschenhandel. Die Terrororganisation Al-Qaida hat deutlich gemacht, dass sie die Bedeutung der Wirtschaft und deren kritischer Transportinfrastruktur verstehen, von denen die Machtpositionen und Prosperität der westlichen Industriegesellschaften abhängig sind. In einer langen Videobotschaft hat Ayman al Zawahiri, der Stellvertreter Osama bin Ladens, erläutert, dass die Strategie der Zerstörung sich gegen zentrale wirtschaftliche Ziele richtet. "... Daher entwickelten die Attentäter eine neue Form des Dschihad: den wirtschaftlichen. Er zielt auf die Schwächung des Gegners, indem er dessen wirtschaftliche Schlagadern lahm legt, damit vielleicht eine Wirtschaftskrise herbeiführt ...“1 Hierfür unterhält Al-Qaida eine eigene Schiffsflotte,2 allerdings bisher nur für den Eigentransport von Sprengstoff, operativem Personal und Schmuggelgütern. Seit der Verhaftung und dem Verhör von Abdul Rahim Mohammed Abda al Nasheri im November 2002 ist die Taktik erkennbar geworden, die Al-Qaida für maritime Terroroperationen verfolgt. Sie soll aus vier Elementen bestehen: Erstens, der Einsatz von Hochgeschwindigkeitsbooten, die mit Sprengstoff beladen als „schwimmende Bomben“ in Handels- und Kriegsschiffe gesteuert werden Zweitens, die Nutzung von gekaperten Handelsschiffen, die in der Nähe von anderen Handels-und Passagierschiffen zur Explosion gebracht werden können Drittens, der Einsatz von sprengstoffbeladenen Flugzeugen als "Marschflugkörper" gegen Passagierschiffe, Tanker und deren Abfertigungsbrücken Viertens, die Ausbildung von "Froschmännern" für Unterwasserangriffe mit Sprengstoff und Minen gegen Seeschiffe. Obwohl bis heute noch kein groß angelegter Terrorangriff mit Schiffen oder mit Schiffscontainern stattgefunden hat, ist das Risiko für die Schifffahrt und deren Verkehrsinfrastruktur realistisch, bedrohlich und muss zu größter Wachsamkeit herausfordern. Seesicherheit, 14.05.2016 2 Die „Choke Points“ des Seeverkehrs Der Ferngütertransport im Welthandel wird zu 95% über den Schiffsverkehr abgewickelt3. Die Ölversorgung der Welt erfolgt zu 60% durch mehr als 3500 hochseefähige Tankschiffe, seien es Riesentanker mit 300.000 t oder kleinere Zubringer-Tanker mit 20.000 t. Der deutsche Steinkohlebedarf wird zu 60% über See importiert.4 Diese und andere Handelsströme passieren durch acht enge Seegebiete, in denen sich fast der gesamte Weltseeverkehr bündelt. Sie sind als „choke points (Druckpunkte)" so eng, dass sie durch einen Unfall blockiert oder durch einen Terrorangriff gesperrt werden können. Hierzu gehören: Die Ostseezugänge, das sind der große Belt, der Sund und der Nord-Ostsee-Kanal, wobei der Nord-Ostsee-Kanal der am meisten befahrene Kanal der Welt ist Die Schifffahrtsstraßen im Englischen Kanal und in der Deutschen Bucht, unter anderem mit den Zugängen zu den größten europäischen Containerhäfen Rotterdam und Hamburg und dem größten deutschen Ölterminal Wilhelmshaven Die Straße von Gibraltar als Verbindung zwischen Atlantik und Mittelmeer Der Bosporus als Verbindung zwischen Mittelmeer und Schwarzem Meer Der Suez-Kanal und die Bab el-Mandeb Passage als Verbindung zwischen Mittelmeer, Rotem Meer und dem Indischen Ozean Der Panama-Kanal als Verbindung zwischen Pazifik und Atlantik Die Straße von Malakka und Singapur als kürzeste Verbindung zwischen dem Indischen Ozean und dem Pazifik. Die nationalen und völkerrechtlichen Zuständigkeiten für die Seegebiete leiten sich aus dem Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der UN von 1982 ab. Das Küstenmeer oder die Hoheitsgewässer jeden Staates reichen von der "Basislinie", landläufig als Küstenlinie bezeichnet, 12 sm (ca. 22 km) seewärts (siehe gestrichelte Linie in der Karte). Das Küstenmeer ist Bestandteil des Hoheitsgebietes des Küstenstaates, in ihm gelten alle nationalen Gesetze. Vom Küstenmeer bis zu 200 sm seewärts erstreckt sich die Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) (siehe ausgezogene Linie in der Karte). Hier gelten Das deutsche Küstenmeer und die ausschließliche Wirtschaftszone Quelle: BSH die souveränen Rechte und Hoheitsbefugnisse des Küstenstaates nur eingeschränkt, während andere Staaten in dieser Zone bereits die Freiheit der hohen See genießen können. In Nordund Ostsee besitzt die Bundesrepublik Deutschland eine Küstenlinie von nahezu 2.400 km. Seesicherheit, 14.05.2016 3 Pro Jahr bewegen sich ca. 400.000 Schiffe durch das deutsche Küstenmeer, ca. 150.000 Schiffe laufen deutsche Häfen an. Dieser Seeverkehr muss sicher durchgeleitet werden und hat Anspruch auf die Einhaltung aller seerechtlichen Konventionen. Die Freiheit der Meere kann durch zu restriktive Sicherheitsmaßnahmen erstickt werden, jedoch ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit der friedlichen Seepassage. Schiffsüberfälle durch Piraten Jährlich werden bei hoher Dunkelziffer etwa 300 Pirateriefälle mit einer Schadenssumme von ca. 15 Milliarden $ registriert. In den ersten drei Quartalen 2009 wurden 50 von deutschen Reedern betriebene Schiffe von Piraten angegriffen. Damit befindet sich Deutschland seit Jahren an der Spitze aller bedrohten Schiffahrtsnationen5. Piraterie konzentriert sich auf Gebiete rund um den Äquator, wo Schlupfwinkel in Archipelen, enge, navigatorisch gefährliche Schifffahrtsstraßen und schwächliche, fehlende Regierungsgewalt der Küstenstaaten zusammentreffen. Sie war in den letzten Jahren eher rückläufig, ist aber im Golf von Aden und im westlichen Indischen Ozean seit 2008 dramatisch angestiegen. Die somalischen Piraten haben dort mit relativ einfachen Mitteln, aber auch mit militärischen Handwaffen und dem Einsatz elektronischer Technologie ihre Erfolgsaussichten verbessert. Festnahme von Piraten durch Soldaten der Fregatte „Rheinland-Pfalz“ Quelle: PIZ Marine Die exemplarischen Beispiele für spektakuläre Fälle von Piraterie zeigen auch die Grenzlinien zwischen Piratenüberfällen zur eigenen Bereicherung, den besonderen Schwierigkeiten bei Befreiungsaktionen und der eigentlichen Vorbereitung von Terrorangriffen auf: "Dewi Madrim", 26. März 2003, der Chemietanker wird in der Straße von Malakka aufgebracht, danach führen die zehn Piraten navigatorische und seemännische Übungen durch und verschwinden nach einigen Stunden spurlos. Es bleibt unklar, ob der Piratenüberfall nicht in Wirklichkeit dem seemännischen Training von Terroristen diente „Seabourne Spirit“, 05. November 2005, das Kreuzfahrtschiff wird vor der jeminitischen Küste von Piraten angegriffen, die durch den Einsatz von sogenannten „Schallkanonen“ verjagd werden Seesicherheit, 14.05.2016 4 „Le Ponant“, 04. April 2008, erfolgreicher Piratenüberfall auf den französischen Kreuzfahrtsegler vor der Küste Somalias. Der französische Aviso „Le Commandant Bouant“ und Hubschrauber der kanadischen Fregatte „Charlottetown“, beides Schiffe der Operation „Enduring Freedom“ verfolgen und beobachten die Piraten. Die 30 Crewmitglieder kommen nach Lösegeldzahlung durch den Eigner frei. Danach verfolgt ein französisches Sonderkommando die Piraten an Land, von denen sechs gefangen werden und ein Teil des Lösegelds gefunden wird „Le Carré d’As“, 02. September 2008, die französische Yacht wird vor Somalia gekapert. Auf dem Weg zur somalischen Küste wird die Yacht von französischen Kampfschwimmern am 16. September befreit INS „Tabar“, 19. November 2008, die indische Fregatte wird von einem gekaperten Fischereifahrzeug, das als Piraten-Mutterschiff operierte, angegriffen. Die Fregatte versenkt das Piraten-Mutterschiff, die gefangenen thailändischen Fischer kommen bei dem Angriff ums Leben „Tanit“, Anfang April 2009 wird die französische Yacht im Golf von Aden gekapert. Am 10. April 2009 wird die Yacht von französischen Spezialkräften befreit, beim Feuergefecht mit den Piraten wird der Skipper der Yacht tödlich getroffen „Maersk Alabama“, 08. April 2009, das amerikanische Containerschiff wird gekapert, die Besatzung kann sich aber selbst befreien, während der Kapitän Richard Philips von den Piraten als Geisel in einem Rettungsboot gefangen gehalten wird. Er wird am 12. April 2009 von Scharfschützen eines US-amerikanischen Spezialkommandos befreit „Hansa Stavanger“, 04. April 2009, das Kommandounternehmen der deutschen Bundespolizei GSG 9 wird nach 26 Tagen ohne Erfolg abgebrochen, nachdem Planung und Vorbereitung dieser Aktion zu wochenlangen Verzögerungen führten und damit weder die Überraschung, noch die Geheimhaltung der Aktion gewährleistet werden konnte. Die „Hansa Stavanger“ wird später freigekauft. Die „Hansa Stavanger“ wird von Fregatten der Operation „Atalanta“ nach Mombasa geleitet Quelle: PIZ Marine Seesicherheit, 14.05.2016 5 Im November 2009 befanden sich 11 Schiffe und 262 Besatzungsangehörige in der Hand der somalischen Piraten. Befreiungsaktionen können nur in außergewöhnlichen Situationen erfolgreich sein, da als oberstes Gebot gilt, das Leben der Geiseln nicht zu gefährden. So werden weiterhin Lösegelder gezahlt werden, obwohl diese Zahlungen das Piratenproblem nur vergrößern. Der Selbstschutz an Bord der angegriffenen Handelsschiffe funktioniert durchaus, allerdings nur auf modernen, schnellen und großen Schiffen. Bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord sind illusorisch und rechtlich problematisch, praktiziert wird der Begleitschutz zur Zeit nur auf spanischen und französischen Fischereifahrzeugen und auf einigen militärischen Tankern mit Zivilbesatzung. Wegen der riesigen Ausdehnung des zu überwachenden Seegebiets werden die Piraten-Mutterschiffe nur selten gestellt. Die Handelsschiffe werden im Golf von Aden erfolgreich durch die Kriegsschiffe eskortiert, obwohl es pro Jahr ca. 25.000 Passagen gibt. Der Geleitschutz kann aber wegen der Größe des Seegebiets nicht auf den gesamten westlichen indischen Ozean ausgedehnt werden. Die Analyse der Überfälle zeigt jedoch, dass Piraten und Terroristen nur wenig gemeinsam haben. Piraten sind am laufenden Seeverkehr interessiert, um gute Beute machen zu können. Terroristen wollen größtmöglichen Schaden verursachen, um den Seeverkehr zumindest temporär zum Erliegen zu bringen. Nordeuropa ist von Piraten verschont geblieben, Klaus Störtebeker und Gödeke Michels haben keine modernen Nachfolger gefunden. Terrorangriffe auf Schiffe Terrorangriffe richten sich gegen große Schiffe mit gefährlicher Ladung (Öl-, LNG- und LPG-Tanker,6 Gefahrgutladungen), gegen Fähren, Passagier- und Kreuzfahrtschiffe mit vielen Menschen an Bord und gegen Kriegsschiffe wegen ihres politischen Status. Gleichermaßen gefährdet sind Bohrplattformen auf See, Fährterminals und Landungsbrücken in Häfen. Sie sind verletzlich durch Selbstmordattentäter oder ferngesteuerte Sprengboote, eingeschleuste Sprengsätze in Fahrzeugen und Containern, das Werfen von Minen, Hijacking7 und Sabotagehandlungen. Der Einsatz von "Schiffen als Waffe", gerichtet gegen Menschenansammlungen, zum Herbeiführen einer Umweltkatastrophe oder um Schifffahrtsmärkte und Handel und Wandel zusammenbrechen zu lassen, ist zur Erpressung von Staaten denkbar. Eindeutig belegt sind die folgenden größeren Terroranschläge auf See durch Al-Qaida-Terroristen8: USS "The Sullivans", Januar 2000, der Sprengbootangriff auf den US-Zerstörer im Hafen von Aden scheitert, weil das Boot mit Sprengstoff überladen ist und sinkt USS "Cole", 12. Oktober 2000, der US-Zerstörer wird auf Reede vor Aden liegend von Selbstmordattentätern mit einem sprengstoffbeladenen Schnellboot angegriffen, 17 tote und 39 verletzte Seeleute "Limburg", 06. Oktober 2002, der Doppelhüllen-Öltanker wird vor der Küste des Jemen von einem Sprengboot (1200 kg TNT und C-4 Sprengstoff) schwer beschädigt, ein Toter, 90.000 Barrel Öl laufen aus. Vermutlich war Al Nasheri, der Al-Qaida "Prince of the Sea" für die Planung der Terroranschläge auf die "The Sullivans", "Cole" und "Limburg" verantwortlich „Takasuza“, 24. April 2004, am Basra Ölterminal scheitert der Anschlag mit einem Sprengboot auf den Tanker während der Beladung, drei tote US-Soldaten Am 10. August 2005 wird der Al-Qaida-Terrorist Louai Sakra von der türkischen Polizei verhaftet und damit der Sprengstoffanschlag auf israelische Kreuzfahrtschiffe in Antalya, Türkei verhindert Drei Tage, 26. – 29. November 2008, dauern die Terrorangriffe in der indischen Stadt Mumbai an, die über 160 Opfer fordern. Die pakistanischen Terroristen kommen über Seesicherheit, 14.05.2016 6 See, der Angriff wird durch eine amphibische Operation eingeleitet, bei der die Terroristen an mehreren Stellen der Stadt Mumbai anlanden. Die tatsächlichen und gescheiterten Terrorangriffe konzentrieren sich bisher auf die Seegebiete am Horn von Afrika, das Mittelmeer, die Straße von Hormuz, den indischen Ozean und die Philippinen-See. Das liefert eine Begründung für die maritimen Anteile der Operation "Active Endeavour" und "Enduring Freedom" der NATO und der US-geführten Koalition zur Überwachung der genannten Seegebiete. Schiffe und Flugzeuge der deutschen Marine haben sich bisher an den kollektiven Überwachungen und Schutzoperationen in der Straße von Gibraltar, im östlichen Mittelmeer, im Golf von Aden und in den Seegebieten am Horn von Afrika beteiligt. In der Nord-und Ostsee kam es bisher, außer bei einigen Terroralarmen für Fährschiffe, zu keinem Angriff. Die Proliferation von Massenvernichtungswaffen und Raketen Sollten Massenvernichtungswaffen in die Hände von Terroristen gelangen, würde sich eine besonders katastrophale Gefährdung ergeben. Eine "schmutzige radiologische Bombe" oder eine primitive Atombombe, versteckt in Containern an Bord eines Schiffes, stellt die größte anzunehmende Gefahr für Hafenstädte dar. Zwar waren es "nur" Unglücksfälle, aber die Munitionsexplosionen in Halifax 1917 und die Explosionen der Frachter "Grandchamp" und "High Flyer" im Hafen von Texas City am Golf von Mexiko am 16. und 17. April 1947 können Hinweise darauf geben, welche katastrophalen Verwüstungen bereits durch die konventionelle Explosion von je 2.300 t und 1.000 t Schwefel und Ammoniumnitrat im Hafen, im angrenzenden Industriegebiet und in den umliegenden Wohngebieten angerichtet werden können. Waffenschmuggel, seien es konventionelle oder Massenvernichtungswaffen, Bauteile zu deren Herstellung oder Trägersysteme, wie Raketen bilden die andere Gefährdungskategorie. Am 09. Dezember 2002 wurde der Frachter "So San" vor der Küste des Jemen von der spanischen Fregatte „Navarra“ gestoppt und untersucht.9 Unter einer Zementladung versteckt wurden Scud-B-Raketen gefunden, die der Jemen in Nordkorea beschafft hatte. Es gab völkerrechtliche Verwicklungen und diplomatische Proteste. Nach den Seerechtsregeln war die Untersuchung rechtmäßig, da das Schiff durch mangelhafte Kennzeichnung und ohne Flagge gegen diese Regeln verstoßen hatte. Die Ladung musste jedoch freigegeben werden, da der Handel mit Mittelstreckenraketen völkerrechtlich noch nicht verboten ist. Die Durchsuchung des deutschen Frachters "BBC China" im Oktober 2003 in einem süditalienischen Hafen10 förderte Bauteile für Gaszentrifugen zur Urananreicherung für Libyen zu Tage. Die Durchsuchung im Hafen wurde durch die Kooperation der deutschen Reederei mit der italienischen Polizei und durch Hinweise der amerikanischen und britischen Geheimdienste ermöglicht. Auf hoher See wäre die Durchsuchung an den eng gefassten Bestimmungen des Art. 110 SRÜ gescheitert. Am 22. Juni 2003 wurde das Frachtschiff "Baltic Sky" von griechischen Kommandoeinheiten aufgebracht.11 Die Ladung bestand aus 680 t Sprengstoff und 8.000 Zündern und wurde vom griechischen Schifffahrtsminister als "tickende Bombe" charakterisiert. Schiff und Ladung wurden in einem abgelegenen Hafen einer griechischen Insel interniert, Kapitän und Besatzung wurden wegen illegalen Besitzes und Transport von Sprengstoff angeklagt. Der Zugriff war wiederum nur durch die enge Kooperation der griechischen Behörden mit den im Mittelmeer operierenden NATO-Marinen und den Geheimdiensten erfolgreich. Seesicherheit, 14.05.2016 7 Im Oktober 2009 wurde das Containerschiff „Francop“ von israelischen Kommandoeinheiten vor Zypern aufgebracht. An Bord befanden sich mehrere Hundert Tonnen Raketen, Infantriewaffen und Munition, von denen der israelische Geheimdienst Mossad feststellte, daß die Waffen im Iran verladen wurden und für die libanesische Hisbollah bestimmt seien. Ebenfalls im Oktober 2009 wurde die „Hansa India“ im Roten Meer von US Fregatten gestellt. Der Frachter hatte iranische Waffen für Syrien an Bord, die vermutlich für die Hisbollah bestimmt waren12. Die Marineeinheiten der UNIFIL, die das Waffenembargo vor der libanesischen Küste zu überwachen haben, waren an diesen Operationen nicht beteiligt. Zuständigkeiten für die Gefahrenabwehr auf See Die Terrorgefahr auf See ist spätestens seit 2001 ein Dauerzustand. Das Dilemma der offenen, demokratisch verfassten westlichen Gesellschaften ist offensichtlich. Der Terrorist muss nur einmal erfolgreich sein, um durch größtmöglichen Schaden Angst, Schrecken und Verunsicherung zu erzielen. Der liberale Staat muss jedoch ständig auf der Hut sein. Vorwarnzeiten sind - wenn überhaupt - nur durch Informationen der Geheimdienste zu gewinnen. Seeraumüberwachung und das Erstellen eines konsolidierten Lagebilds für alle an der Gefahrenabwehr beteiligten Akteure ist eine zwingende Voraussetzung für zielgerichtetes Handeln. Es wäre töricht, die relativ niedrige Gefährdung in Nord-und Ostsee als Begründung dafür zu nehmen, sich an den kollektiven UN-, EU- und NATO-Operationen in entfernteren Seegebieten nicht mehr beteiligen zu wollen. Frei nach Bertolt Brecht und Verteidigungsminister Peter Struck läßt sich sagen: Entweder werden die Gefahren dort bekämpft, wo sie entstehen oder sie kommen zu uns. Damit Deutschland nicht in Seenot gerät, ist die Beteiligung der deutschen Marine an UN-, EU- und NATO-Operationen im Mittelmeer und am Horn von Afrika weiterhin geboten. Für die Gefahrenabwehr auf See im deutschen Küstenmeer, in der Ausschließlichen Wirtschaftszone der Nord- und Ostsee und weltweit auf hoher See stehen zivile, polizeiliche und militärische Kräfte der fünf deutschen Küstenländer und des Bundes, vertreten durch die Organisationsbereiche der sechs Bundesministerien für Verkehr, Inneres, Landwirtschaft, Umwelt, Finanzen und Verteidigung zur Verfügung. Das Grundgesetz verteilt die Zuständigkeiten von Bund und Ländern im Bereich der Gefahrenabwehr auf See in einer sehr komplizierten Weise. Die Gesetzgebungskompetenzen sind zerfasert, die Zuständigkeiten für den Vollzug sind zersplittert. Selbst der Bund hat seine Vollzugsaufgaben einer Vielzahl von Behörden zugewiesen. Diese komplizierte Abgrenzung der Kompetenzen erschwert es, die Seesicherheit auf eine effektive und effiziente Art und Weise zu wahren. Aufgrund spektakulären Behördenversagens im Havariefall des Holzfrachters "Pallas", der brennend am 29. Oktober 1998 vor Amrum strandete, aber auch durch die Bewusstseinsveränderungen, die durch viele internationale Initiativen im Bereich der Seesicherheit herbeigeführt worden sind, hat sich im letzten Jahrzehnt vieles geändert und manches verbessert. Allerdings zielen die bisherigen Reformen vor allem auf eine verbesserte Koordination des Verwaltungshandelns ab. Man verkennt, dass mit dem Eintreten der großen Katastrophe die Stunde der Exekutive geschlagen hat und nur zielgerichtete und auftragsorientierte Führung der Einsatzkräfte dazu beitragen kann, den Terroranschlag zu verhindern oder die Folgen des Terroranschlags oder anderer Katastrophen zu überwinden. Für die vollzugspolizeilichen Aufgaben im Küstenmeer der fünf Bundesländer Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern stehen deren Wasserschutzpolizeien zur Verfügung. Insgesamt werden 29 Küstenstreifenboote mit beschränktem Fahrbereich eingesetzt. Die Wasserschutzpolizeien der Länder gehören jedoch nicht zum Koordinierungsverbund der Küstenwache. Seesicherheit, 14.05.2016 8 Die „Küstenwache“ Der grenzpolizeiliche Schutz im Küstenmeer wird von der Bundespolizei und in eingeschränktem Maße vom Zoll gewährleistet. Außerhalb des Küstenmeeres werden die schifffahrtspolizeilichen Aufgaben von der Bundespolizei und dem Zoll wahrgenommen. Zur Die „Eschwege“ (BP 26) der Bundespolizei mit der Kennzeichnung der „Küstenwache“ Quelle: Webseite der Küstenwache www.kuestenwache.de Koordination aller Maßnahmen zur Sicherheit des Schiffsverkehrs, sowie weiterer Schutzaufgaben13 haben alle auf See zuständigen "zivilen" Bundesministerien am 01. Juli 1994 den Koordinierungsverbund der Vollzugskräfte des Bundes als "Küstenwache" gegründet. Zur "Küstenwache" gehören sechs Schiffe der Bundespolizei, zwölf Boote des Zoll, vier Schiffe der Wasser-und Schifffahrtsverwaltung und drei Fischereischutzschiffe. Diese Einheiten führen eine schwarz-rot-goldene Kennzeichnung, den Schriftzug "Küstenwache" und an den Aufbauten ein hellblaues Wappenschild mit Anker und Bundesadler. Wie bei den Wasserschutzpolizeien der Küstenländer führen die Vollzugsbeamten der Küstenwache nur ihre polizeilichen Handwaffen. Die Partner nehmen ihre originären gesetzlichen Aufgaben grundsätzlich selbst war, kooperieren aber zur schnellen Reaktion auf Gefahren und Störungen. Die Zusammenarbeit wird durch den "Gemeinsamen Ausschuss Küstenwache" koordiniert. Die Einsätze werden seit dem 02. April 2004 zentral aus dem Küstenwachzentrum Nordsee in Cuxhaven geleitet. Das Maritime Sicherheitszentrum in Cuxhaven Zur Verbesserung der Lageführung und Koordination der Einsatzkräfte haben sich Bund und Länder darauf verständigt, in Cuxhaven ein „Maritimes Sicherheitszentrum“ (MSZ) aufzubauen.14 Hier sollen die Küstenwache, das Havariekommando, der zentrale Meldekopf der Schifffahrt zur Terrorabwehr ("ISPS Point of Contact Maritime Security")15 sowie das maritime Führungs- und Lagezentrum zusammenarbeiten. Als Übergangslösung bis zum endgültigen Aufbau des MSZ hat am 01. Januar 2007 das "Gemeinsame Lagezentrum" (GLZ) seine Arbeit in Cuxhaven aufgenommen. Wie beim Koordinierungsverbund Küstenwache ist auch bei der Verwaltungsvereinbarung MSZ das Verteidigungsministerium kein Vertragspartner. Vorgesehen ist lediglich die Gestellung eines Verbindungsoffizier der Marine und "die Mitwirkung der Streitkräfte im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten". Damit ist die subsidiäre Mitwirkung im Rahmen der Amtshilfe des Artikels 35 GG gemeint, Seesicherheit, 14.05.2016 9 die jedoch den Einsatz militärischer Mittel ausschließt. Die Vereinbarung wird als "das Funktionieren des Föderalismus" gefeiert, die "die Militarisierung der inneren Sicherheit" verhindert. Jede an der asymmetrischen Bedrohung durch den internationalen Terror orientierte Analyse muss jedoch zu dem Schluss kommen, dass für die Gewährleistung der Seesicherheit die Polizeien die Zuständigkeit besitzen, viele der zur Gefahrenabwehr erforderlichen Mittel jedoch fehlen. Umgekehrt verfügt die deutsche Marine über viele der benötigten Fähigkeiten, hat aber keine Zuständigkeit. Das Havariekommando Nach der Havarie der "Pallas" im Oktober 1998 wurde eine unabhängige Expertenkommission eingesetzt, deren Auftrag lautete, die Havarie zu analysieren, das bisherige Notfallkonzept zu bewerten und Vorschläge zu dessen Weiterentwicklung zu unterbreiten. Als zentrale Empfehlung wurde der Aufbau eines "Havariekommandos" als Einsatzleitung über alle Kräfte des Bundes und der Küstenländer, die bei schweren Seeunfällen tätig werden, ausgesprochen. Das Havariekommando hat am 01. Januar 2003 in Cuxhaven seinen Dienst aufgenommen. Bei komplexen Schadenslagen16 wird ein Havariestab einberufen, der das einheitliche und koordinierte Vorgehen aller Einsatzkräfte ermöglicht. Eine Beteiligung der Bundeswehr ist nur bei der Logistik, bei Transporten über See zum Beispiel durch Helikopter sowie Zubringerdiensten an Land vorgesehen. Die Zuordnung des Havariekommandos zum MSZ ist vorgesehen, die bestehenden Zuständigkeiten der Fachbehörden bleiben jedoch unverändert. Es kommt also nicht zu einer Zusammenfassung der Dienste, die zur Gefahrenabwehr eines Terrorangriffs gebraucht würden und das unter einheitlicher Führung, sondern nur zu einer räumlichen Zusammenlegung des MSZ als "Bürogemeinschaft". Das GLZ führt das Echtzeit-Lagebild (AIS-Küstennetz für die maritime Verkehrssicherung)17 und stellt es dem Havariekommando nur im Einsatzfall zur Verfügung. Eine technische Verbindung zum Marinehauptquartier des Flottenkommandos und der Lagebildaustausch mit dessen Marineführungs- und Informationssystems ist nicht vorgesehen. Es gibt eine Vielzahl von internationalen Vereinbarungen, die einen verantwortungsbewussten Schiffsbetrieb im Küstenmeer und auf hoher See regeln und Gefahren erkennen, verhindern und bekämpfen helfen sollen. Zwischen völkerrechtlichglobalen, EU-regionalen und nationalen Regelungen besteht ein unübersehbarer Konflikt. Es darf keine Unsicherheit in Form von konkurrierenden Vorschriften zwischen Völkerrecht, EU-Recht und nationalem Recht geben. Deutschland hat vielen internationalen Vereinbarungen im Rahmen von UN, NATO und EU zugestimmt, es jedoch häufig versäumt, die internationalen Regelungen in praktikables nationales Recht umzusetzen. "Proliferation Security Initiative" Als ein Beispiel sei die Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen genannt, für die in Deutschland und auf hoher See die Bundespolizei und der Zoll zuständig wären. Gemäß UN Resolution Nr. 1540 vom 28. April 2004 sind Massenvernichtungswaffen in nicht-staatlicher Hand unzulässig. Alle Staaten sollen sich der Unterstützung nichtstaatlicher Stellen bei der Beschaffung von Massenvernichtungswaffen enthalten und die nationale Gesetzgebung zu diesem Ziel verschärfen und anwenden. Die Resolution enthält jedoch kein Transportverbot und keine neuen Kontrollrechte. Die "Proliferation Security Initiative" (PSI) zielt auf die Koordinierung der Nachrichtendienste bei der Verfolgung und Durchsuchung von Transporten von Massenvernichtungswaffen, sowie auf die Verstärkung der Zusammenarbeit untereinander und die Verschärfung der jeweiligen nationalen Gesetze. Seesicherheit, 14.05.2016 10 Mehrere Übungen der Seestreitkräfte und der hoheitlichen Dienste haben stattgefunden. Mehr als 60 Staaten haben Unterstützung zugesagt. Die Konvention zur Unterdrückung von ungesetzlichen Akten gegen die Sicherheit der Schiffahrt, die sogenannte SUA-Konvention, wurde 1988 verabschiedet. Das Protokoll von 2005 verschärft die Konvention, um neben der Seekriminalität auch gegen Terrorismus auf See vorgehen zu können18. Diese völkerrechtlichen Vorgaben müßten in nationales Recht umgesetzt werden. Als Hemmschuh erweist sich häufig, dass die Marinen, wie in Deutschland so auch in den USA, keine Polizeiaufgaben auf See wahrnehmen dürfen. In den USA ist diese Lücke zunächst für die Drogenbekämpfung, zunehmend aber auch für die Terrorabwehr dadurch geschlossen worden, das sogenannte "Law Enforcement Detachments (LEDET)" von acht bis zehn Personen der US Küstenwache an Bord von Kriegsschiffen mitfahren. Kommt es zur Verfolgung und Untersuchung von verdächtigen Schiffen, so setzt das Kriegsschiff die Flagge der US Coast Guard und das LEDET - Personal wird tätig. Diese Modelllösung könnte auch für die deutsche Küstenwache und die Marine übernommen und rechtlich verankert werden. Die komplizierte Kompetenzabgrenzung innerhalb der Bundesorgane und zwischen dem Bund und den Küstenländern erschweren die effektive und effiziente Gefahrenabwehr auf See. Das von den Verteidigern des "Verwaltungshandelns" vorgebrachte Argument von den alleinigen "Kommunikationsschwierigkeiten", die überwunden werden müssen, verdeckt die Tatsache, dass in der Krise Führung gefordert ist und nicht nur Koordination der Zusammenarbeit. Das häufig benutzte Argument, man müsse zwischen äußerer und innerer Sicherheit unterscheiden, dass eine sei Bundes-, dass andere Länderangelegenheit bis hin zu der polemischen Feststellung, dass "die Polizei nicht militarisiert" werden dürfe, geht am Kern der Argumentation vorbei. Im Zeitalter der asymmetrischen terroristischen Bedrohung gibt es nur noch eine Sicherheit und die betroffene Bevölkerung hat keinerlei Verständnis für das Verschleppen der erforderlichen Reformmaßnahmen. Vordringlichste Forderung ist die Schaffung einer einheitlichen "Deutschen Küstenwache" mit zentraler Führung im Routinebetrieb und im Einsatz.19 Es geht um die rechtliche und organisatorische Zusammenfassung der verschiedenen maritimen Hoheitsdienste von Bund und Küstenländern in einer „Deutschen Küstenwache“, die räumlich im Küstenmeer, in der Ausschließlichen Wirtschaftszone und auf hoher See zuständig ist für die allgemeine und besondere Gefahrenabwehr, polizeilichen Grenzschutz, die Fischereiaufsicht und die Zollkontrolle auf See und die Verhinderung beziehungsweise Bekämpfung von Meeresverschmutzung. Wie vorher festgestellt, beruhen viele dieser Aufgaben auf völkerrechtlichen Verpflichtungen, für deren Erfüllung die Bundesrepublik gemäß Artikel 25 GG einstehen muss. Ein weiteres Argument für die zentrale Küstenwache ergibt sich daraus, dass man für die laufende Zusammenarbeit mit Nachbarstaaten und eventuell mit einer europäischen Küstenwache einen zentralen Ansprechpartner braucht - oder soll eine zukünftige EUKüstenwache mit etwa 15 deutschen Diensten zusammenarbeiten? Darüberhinaus hat eine wirkungsvolle „Küstenwache“ auch eine abschreckende Wirkung. Terroristen greifen unvorbereitete Gegner an und scheuen die Konfrontation mit einer gut organisierten „Küstenwache“ Die „Deutsche Küstenwache“ kann auf dem bereits eingeschlagenen Weg schrittweise verwirklicht werden. Als erster Schritt ist eine Zusammenfassung der maritimen Seesicherheit, 14.05.2016 11 Bundesdienste denkbar, was keine Grundgesetzänderung, sondern nur die Änderung einiger Bundesgesetze, wie zum Beispiel des Polizeigesetzes, des Seeaufgabengesetzes und die Kabinettsentscheidung über die Ressortzuständigkeit für eine deutsche Küstenwache erfordern würde. Was ist zu tun? So weit gegen Terrorangriffe und organisierte Kriminalität die Mittel der Küstenwache nicht ausreichen, bedarf es einer Rechtsgrundlage für den Einsatz der deutschen Marine, denn die Bekämpfung von massiven Terrorangriffen im deutschen Küstenvorfeld wie auch auf hoher See durch die Marine ist nach gegenwärtiger Rechtslage unzulässig. Die Marine besitzt viele für die Terroristenentdeckung, -abwehr und –bekämpfung benötigte Einsatzkräfte. Dazu zählen ABC-Abwehrkräfte, der Sanitätsdienst, die Luft- und Seerettungskräfte, die Boardingteams mit Helikoptern und Booten, die Minensuche und –abwehr, die Luftabwehr und generell alle schwimmenden und fliegenden Kampf- und Unterstützungseinheiten mit schweren Waffen für den sprichwörtlichen „Schuß vor den Bug“. Einzig die Marine ist bei verschärfter Bedrohungslage rund um die Uhr, langandauernd, weiträumig und bei jedem Wetter in der Lage die betroffenen Seegebiete aufzuklären und zu überwachen. Die Marine muss zum Schutz der Bevölkerung und des Küstenmeers, aber auch auf hoher See gegen Piraten, Terrorakte und organisierte Seekriminalität handlungsfähig sein. Dabei geht es nicht darum, der Marine Aufgaben des polizeilichen Tagesgeschäfts zu übertragen, sondern einzig um die Fähigkeit des Bundes in Extremsituationen handeln zu können. Die offenen Fragen richten sich an die Politik. Auch wenn immer wieder darauf hingewiesen wird, die Deutsche Marine verfüge über alle Befugnisse, um erfolgreich handeln zu können, ist dies leider nur ein Teil der Antwort. Die Antworten oder das Schweigen der Politik haben direkte und langfristige Auswirkungen auf das Bewusstsein und Handeln der Soldaten. Handeln sie, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgend, zögern sie aus Unsicherheit oder sehen sie weg: dies ist die Lage für die Soldaten auf allen Führungs- und Durchführungsebenen. Und diese Lage verlangt eine politische Antwort und am Ende neue Gesetzesnormen20. Was darf die Deutsche Marine für die Aufgabe leisten, Seesicherheit zu bewahren oder wieder herzustellen? Die Deutsche Marine hat im Sinne des Artikels 87a des Grundgesetzes (GG) einen Verteidigungsauftrag, der durch das Bundesverfassungsgericht mit dem Urteil vom 12. Juli 1994 an ein Mandat des Deutschen Bundestages gebunden ist. Diese Mandatvorschläge werden für jeden Einsatz weitestgehend im Bundesministerium der Verteidigung erarbeitet. Für die Operation Active Endeavour (OAE) im Mittelmeer wird die Deutsche Marine nach Artikel 5 des NATO-Vertrages eingesetzt, das Mandat wurde nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vom Parlament gebilligt. Dies ist seitdem unverändert gültig. Die Marine verfügt damit über alle Befugnisse, die der NATO-Befehlshaber in Neapel in seinem Operationsbefehl festgelegt hat und die im Mandat des Bundestages ausdrücklich benannt sind. Damit sind die im Rahmen von OAE eingesetzten Marineeinheiten handlungsfähig. In ähnlicher Weise wurde das Mandat für die seit Herbst 2001 laufende Operation Enduring Freedom (OEF) gegen den internationalen Terrorismus entwickelt, an dem sich die Deutsche Marine durchgehend beteiligt hat. Wiederholt hat sie auch mit großem Erfolg den Befehlshaber in See gestellt, zuletzt wieder für sechs Monate bis Mitte 2009. Das Mandat ist allerdings auf den Terrorismus begrenzt und ist weiteren Bedrohungen im Seegebiet am Horn von Afrika nicht angepasst worden. Bei Piratenüberfällen durfte nur im Rahmen der Nothilfe Seesicherheit, 14.05.2016 12 gemäß Seerechtsübereinkommen eingegriffen werden, dies hat die Piraten allerdings wenig beeindruckt. Zur Piratenbekämpfung im Golf von Aden und im westlichen indischen Ozean hat die Europäische Union (EU) im Dezember 2008 die Operation „Atalanta“ beschlossen. Der Einsatz der Deutsche Marine in dieser Operation erfolgt nach GG-Artikel 24, Abs. 2, das vom Bundestag verabschiedete Mandat basiert auf Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und dem Mandat der EU. Die Führung für Atalanta liegt beim EU Marinehauptquartier in Northwood bei London. Der Operation liegt ein robustes Mandat zu Grunde, das vom Verteidigungsministerium mit eigenen Prioritäten umgesetzt wurde. Auch hier ist die Marine handlungsfähig, und zwar im gesamten Spektrum ihrer Fähigkeiten. Das Mandat erlaubt auch die Einschiffung von sogenannten „Vessel Protection Teams“, dafür ausgebildeten Soldaten der Marinesicherungskräfte auf Wunsch von Reedern und Kapitänen. Die lange Zeit nicht geklärte Frage nach der Zuständigkeit bei der Festnahme/Festsetzung von Piraten, der Beweissicherung und der Strafverfolgung ist für die Operation „Atalanta“ durch ein Abkommen der EU mit Kenia seit Januar 2009 geklärt. Allerdings nimmt das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) die Staaten, die Piraten festsetzen, auch für die Strafverfolgung in die Pflicht. Insofern ist die gegenwärtige Lösung nur eine Zwischenlösung und nur auf Kenia begrenzt. Bei der Strafverfolgung der Piraten besteht Handlungsbedarf. Die Embargo-Operation vor dem Libanon beruht auf einem Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Auch hier basiert der Einsatz der Marine auf GG-Artikel 24, Abs. 2. Das Mandat hat drei Komponenten: die erste betrifft die militärische Embargo-Operation, die zweite die politische Aufgabe, die Blockade der libanesischen Küste durch die Israelische Marine zu beenden und die dritte den Ausbildungsauftrag gegenüber der Libanesischen Marine. Die Operation wird von den Vereinten Nationen aus New York geführt. Der Befehlshaber in See ist über einen langen Zeitraum durch die Deutsche Marine gestellt worden. Das Mandat, wiederum im Verteidigungsministerium erarbeitet, gibt der Marine die notwendigen Befugnisse zur Auftragserfüllung. Die Antwort auf die Frage nach den Befugnissen ist damit gegeben: bei Einsätzen, die im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems auf der Grundlage des GG-Artikels 24 erfolgen und denen der Bundestag zugestimmt hat, verfügt die Marine über die im nationalen Mandat beschlossenen Handlungsspielräume. Wie mehrfach festgestellt, unterliegen sie der Kontrolle der Politik. Insoweit ist es richtig und auch angemessen festzustellen, dass eine Ergänzung des Grundgesetzes oder ein gesondertes Seesicherheitsgesetz für die oben genannten Einsätze nicht erforderlich ist. Ganz anders sieht die Lage allerdings außerhalb dieser auf GG-Artikel 24 basierenden Einsätze aus. Dies lässt sich an einem möglichen Szenario sehr gut verdeutlichen: eine Fregatte der Deutschen Marine hat ihre Teilnahme an der Operation „Atalanta“ erfolgreich beendet. Dabei hat die Besatzung Piraten festgesetzt und in Kenia den Strafverfolgungsbehörden übergeben, hat erfolgreich durch Präsenz und den Einsatz von Bordwaffen Piratenangriffe auf Handelsschiffe verhindert. Auf dem Rückmarsch als Einzelfahrer und unter nationalem Kommando wird sie Zeuge eines Angriffs von Piraten auf ein Handelsschiff. Dieselbe Besatzung, die vorher unter internationalem Kommando Piraten aktiv bekämpfte, darf nun nur noch im Rahmen der Nothilfe des SRÜ agieren. Das dies nicht ausreicht, hat die Entwicklung am Horn von Afrika in den Jahren vor 2008 gezeigt. Seesicherheit, 14.05.2016 13 Aber auch auf dem weiteren Rückmarsch, sowohl auf Hoher See wie auch in den eigenen Hoheitsgewässern, sind der Marine keine Befugnisse übertragen worden, die den möglichen Bedrohungen gerecht werden würden. Weder ist die Bekämpfung des Drogenhandels auf Hoher See zulässig, noch die Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, noch die Bekämpfung von terroristischen Bedrohungen vor der eigenen Haustür und auch dort nicht, wo sie ihren Ursprung haben, noch die Bekämpfung von Menschenhandel oder illegaler Migration, noch die Bekämpfung von illegalem Waffenhandel über See. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen, die Bedrohungen sind real und Deutschland trägt eine im Seerechtsübereinkommen formulierte Mitverantwortung für die Sicherheit auf den Weltmeeren. Sowohl die EU, als auch die NATO, als auch Sicherheitsbündnisse in anderen Regionen der Welt schätzen den Transport von Massenvernichtungswaffen über den Seeweg als eine der gefährlichsten Bedrohungen ein. Alle informellen Bitten unserer Verbündeten nach Beteiligung der Deutschen Marine sind schon im Bundesministerium der Verteidigung abschlägig beschieden worden. Die Begründung der Ablehnung waren und sind die fehlenden Regelungen im Grundgesetz. Dies bezieht sich sowohl auf die Lage auf der hohen See und in der Außenwirtschaftszone, wie auch in unseren eigenen Hoheitsgewässern. Auch hier verfügt die Deutsche Marine über keine Befugnisse und Zuständigkeiten und damit verbunden auch über keine Verantwortung. Diese teilen sich Bundes- und Länderministerien und deren Behörden. Die Marine kann auf Anforderung von Amtshilfe gem. GG-Artikel 35 nur diejenigen nicht-militärischen Fähigkeiten ihrer Soldaten und Einheiten, Schiffe und Flugzeuge einbringen, über die auch die Polizei verfügen würde, nicht mehr und nicht weniger. Je nach Bedrohungslage ermöglichte das eine mehr oder weniger erfolgreiche Zusammenarbeit mit Bund und Ländern. Ist die Bedrohung durch die Polizei oder zivile Kräfte nicht erfolgreich abzuwehren, ist die Deutsche Marine nach der gegenwärtigen Rechtslage nicht befugt zu handeln, nicht innerhalb der Hoheitsgewässer und auch nicht außerhalb. Täte sie es doch, um größeren Schaden oder eine Katastrophe abzuwenden, agierte sie in einer Grauzone des Rechts, manche würden später von Verstößen gegen des Grundgesetz sprechen. Dies ist den verantwortlichen Offizieren und Besatzungen nicht zuzumuten und da hilft auch das Wort eines Ministers, mag es noch so ehrlich gemeint sein, nicht weiter. Zwar hat die Begründung der Ablehnung des Luftsicherheitsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht wenig mit der Formulierung eines notwendigen und erforderlichen Seesicherheitsgesetz zu tun, dennoch ist eine Passage für die gegenwärtige Rechtslage zu beachten. Die Streitkräfte dürfen bei Anforderung und Billigung der Amtshilfe nur diejenigen Fähigkeiten einbringen, über die auch die Polizei verfügt. Rechtssicherheit für die Soldaten zu schaffen ist die Grundlage für jeden Einsatz, aber dies ist auch unabdingbar, wenn die Sicherheit unseres Landes und seiner Bürger gewährleistet werden soll. Dabei geht es um folgende Ergänzungen im GG-Artikel 35, Abs. 4: “Reichen zur Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalles polizeiliche Mittel nicht aus, so kann die Bundesregierung den Einsatz der Streitkräfte mit militärischen Mitteln anordnen. Soweit es dabei zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, kann die Bundesregierung den Landesregierungen Weisungen erteilen. Die Anordnung nach Satz 1 ist jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im Übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.“ Diese Ergänzung des Grundgesetzes würde eine klare Rechtsposition schaffen und einen Teil der Lücke schließen, die zur Zeit dazu führt, dass die Marine über die Mittel verfügt, aber keine Kompetenz hat und die anderen über die Kompetenz verfügen, aber keine ausreichenden Mittel haben. Seesicherheit, 14.05.2016 14 Darüber hinaus wäre auch eine Ergänzung des GG-Artikels 87a, Abs. 5 notwendig, um Klarheit zu schaffen: „Außerhalb des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik Deutschland dürfen Streitkräfte nach den Regeln des Völkerrechts, auch zur Unterstützung der zuständigen Bundesbehörden, eingesetzt werden. Einsätze bedürfen der Zustimmung des Deutschen Bundestages; das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“ Dieses Bundesgesetz wäre dann das schon lange notwendige und geforderte Seesicherheitsgesetz. 20mm Schnellfeuerkanone auf einer Fregatte Quelle: PIZ Marine Politisches Handeln ist dringlich Liest man die vorgeschlagenen Ergänzungen und bedenkt man die Forderung nach einem Seesicherheitsgesetz, dann fällt es schwer, dahinter einen Anschlag auf die grundsätzliche und auch weiterhin richtige Trennung von polizeilicher und militärischer Zuständigkeit zu vermuten. Es handelt sich ganz im Gegenteil um die notwendige und überfällige Zusammenführung von Lebenswirklichkeit und Verfassungswirklichkeit. Dies dient der Sache, der Sicherheit unseres Landes und seiner Bürger. Politisches Handeln ist dringlich, um die „Sicherheit im Seeraum“ besser als bisher zu regeln. Gerade wegen der komplexen Verquickung von Bundes- , Landes- und Völkerrecht und den zerfaserten nationalen Zuständigkeiten von fünf Küstenländern, fünf Bundesministerien und fünf (oder sind es inzwischen mehr?) „koordinierenden“ Behörden sollte ein „Seesicherheitsgesetz“ noch in dieser Legislaturperiode formuliert und verabschiedet werden. Es wäre ein trauriger Beweis politischer Handlungsunfähigkeit, wenn erst ein großangelegter Terroranschlag auf See oder im Hafen – die größtmögliche Katastrophe – das öffentliche Bewußtsein aufschrecken müßte. Diese streitige Diskussion muß ausgetragen werden. Obwohl politische Maßnahmen im Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands, in Koalitionsverträgen und Parteiprogrammen angekündigt wurden, ist bis heute nichts geschehen. Am Ende sollte ein Ergebnis stehen, daß die Heimatverteidigung im Küstenmeer und die Wahrung deutscher Sicherheitsinteressen auf hoher See besser ermöglicht. Seesicherheit, 14.05.2016 15 1 Rainer Hermann, Die Wirtschaft im Visier, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 07. Juli 2007 Bin Laden’s Navy, CBS Nachrichten vom 31. Dezember 2002 3 Die Statistiken über den europäischen Außen- und Binnenhandel über See finden sich im Grünbuch über die zukünftige Meerespolitik der EU, Brüssel, 8. Mai 2006 4 Siehe auch Flottenkommando, Jahresbericht 2009, Fakten und Zahlen zur maritimen Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland, abzurufen auf http://www.marine.de 5 Siehe Statistiken des International Maritime Bureau – Piracy Reporting Center, abzurufen auf http://www.icc-ccs.org 6 LNG (Liquid Natural Gas, verflüssigtes Erdgas), LPG (Liquid Petroleum Gas, verflüssigtes Petroleumgas) 7 Hijacking (Kapern und Überwältigen von Schiff und Besatzung) leitet sich von dem Ausruf “High, Jack!” (Nimm die Arme hoch, Seemann!) ab 8 Neben den maritimen Terroranschlägen von Al Quaida gibt es eine Vielzahl von Anschlägen durch andere Terrorgruppen, besonders im philippinischen und indonesischen Archipel 9 CNN News vom 12. Dezember 2002 (abzurufen auf http://archives.CNN.com) 10 Hans Leyendecker, Deutsches Schiff mit Atomfracht gestoppt, Süddeutsche Zeitung vom 01. Januar 2004 11 BBC News 24 vom 25. Juni 2003 12 Peter Münch, Paul Anton Krüger, Mit 3000 Raketen durch das Rote Meer, Süddeutsche Zeitung vom 06. November 2009 13 Diese weiteren Maßnahmen schließen den polizeilichen Grenzschutz, den maritimen Umweltschutz, den Zoll und den Fischereischutz ein 14 Die Verwaltungsvereinbarung wurde am 06. September 2005 unterzeichnet und bezweckt die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen dem Bund, vertreten durch die Bundesministerien für Inneres, Verkehr, Finanzen, Landwirtschaft und Umwelt sowie den fünf Küstenländern auf der Nord- und Ostsee 15 ISPS (International Ship and Port Facility Security Code, Internationaler Sicherheitskode mit Schiffs- und Hafendaten) 16 § 1 Abs. 4 der Verordnung über das Havariekommando: Eine komplexe Schadenslage liegt vor, wenn eine Vielzahl von Menschenleben, Sachgüter von bedeutendem Wert, die Umwelt oder die Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs gefährdet sind oder eine Störung dieser Schutzgüter bereits eingetreten ist und zur Beseitigung dieser Gefahrenlage die Mittel und Kräfte des täglichen Dienstes nicht ausreichen oder eine einheitliche Führung mehrerer Aufgabenträger erforderlich ist 17 AIS (Automatic Identification System, Automatisches Schiffsidentifizierungssystem) 18 1988 Convention for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Maritime Navigation (Maritime Convention), 2005 Protocol to the Convention 19 Uwe Jenisch, Neue Maßnahmen für die maritime Sicherheit, abzurufen auf http://www.dmkn.de. Prof. Dr. Uwe Jenisch hat eine Vielzahl von wichtigen Vorschlägen für eine bessere Seesicherheit gemacht, die hier weitgehend übernommen worden sind; vergleiche seinen informativen Artikel in Hansa Nr. 6 vom Juni 2009, Seite 66ff. 20 Lutz Feldt, Sigurd Hess, Was ist zu tun?Seesicherheit, Piraterie und Terrorismus auf See, Marineforum Nr. 92009, S. 6 - 8 2 Seesicherheit, 14.05.2016