1 Das maritime Berlin Bild 1: Flaggen von Kurbrandenburg bis Bundesrepublik (weglassen) Es ist wohlbekannt, daß Berlin an der Spree liegt und nicht an der See, es liegt an der Havel und nicht an einem Seehafen. Dennoch ist Berlin über die Jahrhunderte gewachsen und wirtschaftlich aufgeblüht, weil hier die Binnenschiffahrtswege von der Oder zur Elbe und damit zu den Seehäfen wie Hamburg oder Stettin verliefen. Berliner Straßenbezeichnungen, wie der Mühlendamm und der Schiffbauerdamm erinnern an den Kanalbau und den Schiffbau vergangener Zeiten. 1906 und 1928 war Berlin zweitgrößter deutscher Binnenhafen, allerdings ist seit der Wiedervereinigung der Hafenumschlag ständig und massiv gesunken. Berlin war und ist Hauptstadt von Kurbrandenburg, Preußen und Deutschland und die Flaggen weisen auf diese politische Funktion hin. In diesem Sinne ist Berlin spätestens seit dem 17. Jahrhundert immer als Kapitale eines Staates mit maritimen Interessen eine Marinestadt gewesen, je nach den Zeitläuften mal mehr und mal weniger. Das Stichwort für „mal mehr“ lieferte Prinz Adalbert, Admiral der preußischen Küsten und Oberbefehlshaber der Marine, als er postulierte, daß Preußen „auf dem Meere etwas gelten“ solle. Darüber bramabarisierte Großadmiral Alfred von Tirpitz fünfzig Jahre später mit den Thesen „Ziel erkannt, Kraft gespannt“ und „Mundhalten und Schiffe bauen“. So wuchs die in Berlin konzipierte deutsche Flotte in den Jahren von 1900 bis 1912 zu einem imponierenden „Schlachtkörper zwischen Elbe und Themse“ heran, bis sie in Scapa Flow sich selbst versenkte. Das Stichwort für „mal weniger“ stammt von Prof. Michael Salewski, der anläßlich des 750. Stadtgeburtstags 1987 schrieb: „Niemals war Berlin ‚kontinentaler‘ als heute“, abgeschnitten von allen seinen Verbindungen zur See. Er postulierte: „Berlin ist marinefrei“, über die Zukunft hatte er dabei nicht nachgedacht. Bild 2: Bild der Fregatte "Stadt Berlin von 1687. Hier dieses Bild weglassen, stattdessen das Bild „Fregatte Berlin“ von Walle einsetzen. Der große Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620 – 1688) lernte während seines vierjährigen Aufenthalts in den holländischen Generalstaaten, den heutigen Niederlanden, die Bedeutung von Seefahrt und Seehandel kennen. Seine Berater schrieben in einem von ihm angeforderten Gutachten über die Generalstaaten: „Es ist weltkundig, daß dieser Staat einzig und allein auf die Schiffahrt und die Commerzien fundieret ist“ und weiterhin aus einem kurfürstlichen Edikt vom 1. Januar 1686: „Seefahrt und Handlung sind die fürnehmsten Säulen eines Estats, wodurch die Unterthanen beides zu Wasser, als auch durch die Manufakturen zu Lande ihre Nahrung und Unterhalt erlangen“. Der große Kurfürst ließ kleinere Schiffe bauen, um in der Ostsee gegen Schweden operieren zu können. Später erwarb er Kolonien in Guinea, errichtete 1682 die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie und gründete 1684 die Kurbrandenburgische Marine mit Unterstützung durch den niederländischen Kaufmann und späteren Admiral Benjamin Raule. 16 Fregatten und 18 kleinere Einheiten waren nach 1684 in der brandenburgischen Flotte im Dienst. Brandenburg wollte am gewinnbringenden atlantischen Dreiecks-Handel teilnehmen, scheiterte aber letztlich mit der Flotte, mit der Kolonie und mit dem lukrativen Sklavenhandel. Als ein Beispiel für dieses Scheitern mag die Fregatte „Stadt Berlin“ dienen, sie segelte 1687 nach Westafrika. Dort wurde sie am 07. Januar 1688 von Schiffen der Niederländisch-Westindischen Kompagnie gekapert und beschlagnahmt. Bild 3: Flagge Preußens Das maritime Berlin 1 2 Friedrich der Große förderte nur die Handelsschiffahrt, 1772 wurde die „SeehandlungsSozietät“ gegründet, offiziell eine Staatsreederei, de facto aber ein Institut zur Erforschung von Grundlagen für den Überseehandel, Ozeanographischen Kenntnissen und zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben. Ihre elf Schiffe führten den schwarzen Adler auf weißem Grund als Flagge. Hier Bild von dem Seehandlungsschiff „Princes Louise“ einsetzen. Aber an eine militärische Seemacht dachten weder er, noch die Könige vor oder nach ihm. In seinem politischen Testament von 1768 schrieb der große Friedrich: „Preußen ist eine Kontinentalmacht: es braucht eine gute Armee und keine Flotte. Unsere Ostseehäfen gestatten uns nicht, unsere Schiffahrt auszudehnen, und wenn wir keine Kolonien in Afrika und Amerika haben, beglückwünsche ich meine Nachfolger; ... man muß sie (die Kolonien) durch große Flotten schützen und sie bilden fortwährend neue Anlässe zu Kriegen“. Ihm genügte das Bündnis mit der Seemacht England, daß ihm den siebenjährigen Krieg, der ja in Wirklichkeit ein erster "Weltkrieg" war, teilfinanzierte und die Franzosen global so beschäftigte, daß sie sich nicht auf den preußischen Kriegsschauplatz konzentrieren konnten. Bild 4: Lustfahrzeug „Royal Louise“ der "Matrosenstation Potsdam" Nach der Jahrhundertwende 1800 gab es eine preußische Handelsflotte mit über tausend Schiffen. Diese Zahl ist jedoch nur auf den ersten Blick beeindruckend, denn tatsächlich waren das in der Masse kleine und kleinste Fahrzeuge, die vornehmlich im Küstenhandel in Ostsee und Nordsee tätig waren. Sie nutzte die englisch-französischen Rivalitäten während der Revolutionskriege und der französischen „Kontinentalsperre“. Das konnte nicht gut gehen und während der König in Jena und Auerstädt eine Bataille verlor und verordnete: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“, folgte 1806 die „Marinekatastrophe“. 1200 preußische Schiffe wurden von englischen und schwedischen Kriegsschiffen und Kapern aufgebracht oder versenkt. Nach diesen katatrophalen Niederlagen wurde die preußische Heeresreform vorangetrieben, aber keinerlei Reform von Schiffahrt und Marine. Die „Marinesektion“ der Garde-Pionierabteilung in Potsdam repräsentierte von nun an die preußische Flotte, die aus königlichen Lustfahrzeugen und Kanonenbooten auf der Havel bestand, das Bild zeigt den Nachbau der „Royal Louise“ am Wannsee, deren Original als „Großmodell“ einer britischen Fregatte im Maßstab 1: 3 1832 vom damaligen englischen König William IV. dem preußischen König als Dank für Preußens Teilnahme an der Schlacht von Waterloo zu Geschenk gemacht wurde. Diese „Yacht“ diente preußischen Prinzen sozusagen als Spielzeug und wurde später von der mit Seeleuten der preußischen Marine besetzten „Matrosenstation Potsdam“ unterhalten, die erst in den erneuten Revolutionswirren des November 1918 verschwand. Bild 5: Denkmal Prinz Adalbert in Wilhelmshaven (weglassen) Seit der Gründung des deutschen Bundes 1815 galt es unter deutschen Patrioten als ausgemacht, daß eine deutsche Flotte als Symbol und Garant eines einheitlichen Deutschland ganz unentbehrlich sei. 1848 herrschte nicht nur Revolution, sondern ganz Deutschland wurde von einer Marinebegeisterung erfaßt, nicht zuletzt wollte man nicht zulassen, daß die Dänen in Nord- und Ostsee dominierten und den deutschen Seehandel zum Erliegen brachten. Zwar war diese Bedrohung schon fast verschwunden. Jedoch die Versammlung der deutschen Bundesfürsten hatte bereits die Gründung einer eigenen deutschen Flotte beschlossen, den dann am 14. Juni 1848 die Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche mit dem Beschluß zur Bereitstellung von „sechs Millionen Thaler zum Zwecke der Begründung eines Anfangs für die deutsche Marine“ in die Tat umsetzte. Daher gilt heute der 14. Juni als „Tag der Deutschen Marine“, die damals als „Reichsflotte“ das gesamte Deutschland Das maritime Berlin 2 3 repräsentieren sollte. Unter großen Schwierigkeiten baute der Kapitän zur See, später Konteradmiral Karl Rudolf Brommy diese erste deutsche Flotte auf. Es kommt jedoch zu keiner deutschen Einigung, also wird die Flotte aufgelöst und 1852 unter kläglichen Umständen versteigert, einige Schiffe werden für die preußische Flotte aufgekauft. Es waren nicht die Volksvertreter in Frankfurt, sondern die Ministerialen in Berlin, die die Weichen für die Zukunft stellten. Die Berliner Marinekommission hatte Prinz Adalbert, einen begeisterten Anhänger des maritimen Denkens, beauftragt, seine berühmte „Denkschrift über die Bildung einer deutschen Flotte“ auszuarbeiten. Der Prinz traf die Stimmung der Zeit, wenn er schrieb: „Lebhafter als je empfindet ganz Deutschland in diesem Augenblick den Mangel einer eigenen Seemacht. Denn obschon sein siegreiches Heer bis an den Belt unaufhaltsam vorgedrungen ist, so steht es dennoch nicht in seiner Macht, denselben zu überschreiten ...“, und weiter: „Das einige Deutschland will aber die Integrität seiner Länder kräftig geschützt, seine Flagge geachtet, seinen Handel wieder blühend sehen und künftighin auch auf dem Meere etwas gelten“. Sein Standbild steht in Wilhelmshaven, obwohl es besser in Berlin hätte aufgestellt werden sollen. Bild 6: Bild von Prinz Adalbert In dieser seestrategisch bis heute beachteten Denkschrift unterscheidet er drei Flottenmodelle, zum ersten die Marine zur defensiven Küstenverteidigung, zum zweiten die Marine zur offensiven Verteidigung und zum Schutz des Handels und zum dritten eine eigenständige Seemacht. Adalbert selber trat für die zweite Lösung ein, weil sie die großen Seemächte nicht provoziere, der deutschen Marine aber einen bedeutenden Bündniswert verschaffe. Preußen betrieb seine eigenständige Marinepolitik, kaufte im Jadevertrag 1853 das Gebiet des heutigen Wilhelmshaven und ernannte Adalbert 1854 zum Admiral der preußischen Küsten und zum Oberbefehlshaber der Marine. Die preußische Marine und diejenige des norddeutschen Bundes und nach der Reichseinigung von 1871 die deutsche Flottenmacht ist ein buntes Sammelsurium aus alten und neuen, tauglichen und überflüssigen, hölzernen und eisernen Schiffen gewesen. Aber sie zeigte in Übersee Flagge, hielt Verbindung zu den neu erworbenen Kolonien und so würde man heute sagen, verfolgte eine asymmetrische Seekriegsführung gegen afrikanische und südpazifische Kolonialaufstände und chinesische Boxer. Bild 7: Die kaiserliche Schlachtflotte in der Nordsee Die Auseinandersetzung in Berlin zwischen dem neuen Kaiser Wilhelm II., dem Staatssekretär des Auswärtigen und dem Chef des Marineamtes, Admiral Hollmann, ob eine Auslandskreuzerflotte oder eine heimische Schlachtflotte zu bauen sei, wurde vom Kaiser zugunsten der Schlachtflotte entschieden. Der Kaiser beanspruchte für das Reich „einen Platz an der Sonne“ und schwadronierte, daß „die Zukunft Deutschlands auf dem Wasser liege“. Im Staatssekretär des Reichsmarineamtes, Admiral Alfred von Tirpitz fand der Kaiser die tatkräftige Persönlichkeit, der ihm die „Hochseeflotte“ baute, wie sie seit 1907 genannt wurde. In Deutschland gab es durchaus Flottenbegeisterung, der Flottenverein sorgte dafür und ganz besonders die erfolgreiche Propaganda durch das „Nachrichtenbureau“ in Tirpitz‘s Reichsmarineamt. Der Flottenbau wurde durch die Flottengesetze von 1898, 1900, 1906 und 1908 verstetigt, obwohl die Abgeordneten immer weniger bereit waren, den Rüstungswettlauf mit England zu finanzieren. Der Bau und die Unterhaltung der Hochseeflotte verschlang einen wesentlichen Anteil des gesamten Militäretats. Das Fatale an dieser gigantischen Rüstung war, dass die deutschen Schiffe aus technischen Gründen, d.h. aufgrund ihres Das maritime Berlin 3 4 begrenzten Aktionsradius gar nicht in der Lage waren, den britischen Gegner dort zu bekämpfen, wo er stationiert war. Ihre geostrategische Lage nutzend waren die Engländer seit 1912 zur Strategie der Fernblockade übergegangen, welche die deutschen Seestreitkräfte nicht durchbrechen konnten. Zudem ging das Wettrüsten mit England verloren, als 1904 dessen „Dreadnoughtsprung“ die qualitative Seerüstung veränderte und 1908 mit dessen Entscheidung „two keels to one“, also zwei englische Schlachtschiffe für jedes deutsche Schlachtschiff zu bauen, die quantitative Gleichung veränderte. Bild 8: SM U 35 versenkt die "Maplewood" Im „Großen Krieg“ kämpfen die deutsch-österreichischen Kontinentalmächte im Westen wie im Osten um ihr Überleben. 1916 gelingt es Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg den historischen Anachronismus Tirpitz zu beseitigen und dessen Wunsch nach Eröffnung des unbeschränkten U-Bootskrieges vorübergehend zu torpedieren. 1917 jedoch gelingt es dem abgehalfterten Großadmiral und seinen politischen Freunden mit hinterhältiger Propaganda das Gegenteil zu erreichen. Der Kanzler stürzt, die USA treten in den Krieg ein, der totale UBootkrieg scheitert, die Seemächte triumphieren über die Kontinentalmächte trotz der immensen Verluste in den Schützengräben von Marne, Somme und Flandern. Das Bild zeigt SM U 35 bei der Versenkung des britischen Frachters „Maplewood“, es ist vermutlich das erfolgreichste Uboot überhaupt mit 224 versenkten Handelsschiffen mit insgesamt 535.900 BRT und 2 Kriegsschiffen mit insgesamt 2.500 t. Sein erfolgreichster Kommandant 1915 – 18 und damit der erfolgreichste Uboot-Kommandant überhaupt war der Träger des Ordens Pourle-Mérite, Arnauld de la Perière. Bild 9: Volksmarinedivision am Brandenburger Tor und Briefmarke der DDR mit dem Bild von Reichpietsch Des Kaisers „schimmernde Wehr“ beginnt 1917 zu meutern; der Matrose Max Reichpietsch und der Heizer Albin Köbis werden dafür nach einem auch nach damaligen Grundsätzen bereits als fragwürdig empfundenen Kriegsgerichtsverfahren in der Wahner Heide bei Köln exekutiert. Berlin nimmt davon wenig Notiz, denn im Westen tobte in den Monaten davor die Schlacht an der Somme. Das Signal zum Umsturz und zur Revolution kommt aus Wilhelmshaven und Kiel mit den Matrosenaufständen auf den Großkampfschiffen der Hochseeflotte. Vom 04. bis 09. November 1918 strömen die Matrosen massenweise nach Berlin. Die Volksmarinedivision besetzt das kaiserliche Stadtschloß und verteidigt es gegen regierungstreue Truppen. Ein Marinerat aus 53 aufständischen Matrosen kontrolliert das grauwuchtige Reichsmarineamt am Königin-Augusta und Königin-Louise-Ufer des Landwehrkanals, die einzige funktionsfähige Behörde der nicht mehr kaiserlichen Marine. Im Winter 1918/19 wird die Volksmarinedivision entmachtet; die Kämpfe in Berlin zur Behauptung der demokratisch-parlamentarischen Republik kosten 1200 Menschen das Leben. Der Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920 gibt dem Ansehen der Marine bei den verfassungstreuen und demokratisch gesonnenen Bürgern der Weimarer Republik den Rest. Der spätere Großadmiral Erich Raeder formuliert es so: „Nie wieder dürfe es einen November 1918 in der Marine geben“. In der Weimarer Republik spielt die Marine eine unbedeutende und kaum beachtete Rolle. Hätten die Siegermächte dem gedehmütigten Deutschen Reich nicht eine kleine und völlig veraltete Flotte zugebilligt, hätte es aus eigenem Antrieb wahrscheinlich gar keine Marine gegeben. 1928 bricht die öffentliche Diskussion um die Neubauten des „Panzerschiff A“ los, denn der Versailler Vertrag erlaubte den Neubau von drei großen Kriegsschiffen. Die Das maritime Berlin 4 5 Diskussion wird jedoch nicht über Sinn und Zweck der Marine geführt, sondern im wesentlichen unter der Parole „Kinderspeisung statt Panzerkreuzer“. Bild 10: Der Bendlerblock, Sitz vom kaiserlichen Reichsmarineamt, dem Oberkommando der Marine bis 1945 und seit der Wiedervereinigung zweiter Dienstsitz des Bundesministeriums für Verteidigung Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung ändert sich wenig für die Marine. Anfangs waren es nur die Straßenumbenennungen, die durch den neuen Berliner Polizeipräsidenten Magnus von Levetzow, Konteradmiral a.D. der kaiserlichen Marine, veranlaßt und gefeiert wurden. Am 31. Mai 1933 wurde der Kemperplatz am Tiergarten in einem pompösen, typisch nationalsozialischen Festakt in Skagerrakplatz umbenannt. Am 08. Dezember 1933 wurde das Königin-Augusta-Ufer am Landwehrkanal in Tirpitzufer umbenannt. Admiral von Schröder, der „Löwe von Flandern“ und Admiral Graf Spee, der Held der Seeschlachten von Coronel und Falkland, wurden ebenfalls mit Straßennamen geehrt. Der alliierte Kontrollrat änderte das alles am 31. Juli 1947 und der Berliner Senat veranlaßte, daß aus dem Tirpitzufer das Reichpietsch-Ufer und aus der Admiral-von-Schröder-Straße die Köbisstraße wurde und so verwandelten sich die Meuterer der kaiserlichen Marine in revolutionäre Helden. Im Bendlerblock am Reichpietschufer, dem Reichsmarineamt aus Tirpitz und Raeder Zeiten, dem Oberkommando der Kriegsmarine aus Raeder und Dönitz Zeiten, residiert heute der Bundesminister der Verteidigung mit seinem zweiten Dienstsitz und wenn er Zeit dazu finden würde, könnte er über die drastischen Veränderungen des maritimen Berlin sinnieren. Bild 11: Kleiner Kreuzer "Berlin" vor und nach dem Umbau 1935 wird die Reichsmarine in Kriegsmarine umbenannt. Großadmiral Erich Raeder führte die Marine „reibungslos in das Dritte Reich“, wo sie ein perfekt funktionierendes, völlig unpolitisches Instrument in der Hand des Führers und Reichskanzlers sein sollte. Für die Marine interessierte sich Hitler eher wenig; das änderte sich mit Großadmiral Karl Dönitz und der Ubootswaffe, die vergeblich den Endsieg herbeitorpedieren sollte. Vom 04. Februar bis 23. März 1941 führte der Flottenchef Admiral Günther Lütjens die Operation „Berlin“ im Atlantik. Mit Stolz vermerkt das Oberkommando der Kriegsmarine: „Es ist eine einzigartige Leistung, daß zwei deutsche Schlachtschiffe (die Scharnhorst und die Gneisenau) monatelang ohne überseeische Stützpunkte Handelskrieg im Atlantik führten“, denn es war tatsächlich die erfolgreichste Operation mit schweren Schiffen im 2. Weltkrieg. Im Gegensatz dazu wird am 31. Mai 1947 der mit Gasmunition gefüllte kleine Kreuzer „Berlin“ im Skaggerak versenkt; das Datum der Versenkung können sich eigentlich nur die Briten ausgedacht haben. Das Bild rechts oben zeigt die „Berlin“ als kleinen Kreuzer der kaiserlichen Marine, das Bild links unten zeigt die „Berlin“ nach dem Umbau als Schulschiff der Reichsmarine Bild 12: Seepolizei und NVA-Marine paradieren in Berlin Während des Kalten Krieges ist Berlin „Bundesmarine-frei“ und nicht „marinefrei“, wie Prof. Salewski feststellte. Wegen des allierten Sonderstatus sollte kein deutsches Militär in Berlin auftreten. Wenn am 20. Juli Flaggoffiziere der Bundeswehr einen Kranz am StauffenbergDenkmal im Bendler-Block niederlegten, taten sie das in Zivil und nicht in AdmiralsUniform. Das maritime Berlin 5 6 Die DDR und die Sowjetunion hielten sich nicht an diesen Sonderstatus. Vom 15. Juni 1950 bis 15. Juni 1953 befand sich die Hauptverwaltung der Seepolizei in Adlershof, Wilhelmsruh und Niederschönweide, was allerdings so geheim war, daß kaum jemand in der DDR davon wußte. Obwohl die Volksarmee und damit auch die Volksmarine unter der Kuratel des Politbüros der SED standen, hielt sich deren Interesse an maritimen Fragen sehr in Grenzen. Der Volksmarine verordnete man allerdings eine Traditionslinie, welche die Ereignisse der Novemberrevolution und den Kampf der Volksmarinedivision in Berlin in den Mittelpunkt stellten. Zitat eines Seeoffiziers der Volksmarine: „... so muß man aus heutiger Sicht feststellen, daß im eigentlichen Sinn Verweigerer, genauer gesagt, sogar Meuterer tradionsbildend für eine Marine sein sollten“. Das Bild links oben zeigt die Seepolizei, die 1950 für eine Großkundgebung zum Abschluß des III. SED-Parteitags paradierte. Das Bild rechts unten zeigt das Paradebataillon der Seeoffiziersschule Stralsund am 01. Mai 1959 auf dem Marx-Engels-Platz in Berlin. Bild 13: KSS "Berlin Hauptstadt der DDR" und Marinewache am Denkmal 20. Juli Am 10. Mai 1979 wurde das Küstenschutzschiff „Berlin Hauptstadt der DDR“ in Dienst gestellt, erster Kommandant war übrigens Hendrik Born, der letzte Befehlshaber der Volksmarine. Seit dem 03. Oktober 1990 und der deutschen Wiedervereinigung gibt es nur noch die „Deutsche Marine“. Berlin ist wieder die Hauptstadt Deutschlands. Die Marine ist mit Stabspersonal im zweiten Dienstsitz des Bundesministeriums der Verteidigung im Bendlerblock vertreten. Nun kann sie auch die Ehrenwache am Denkmal für die Widerstandskämpfer des 20. Juli im Inneren des Bendlerblocks stellen. Die weltweite Führung der Streitkräfte erfolgt durch das Bundeswehr-Führungskommando in Potsdam. Von dort werden auch die deutschen Seestreitkräfte der EU-Operation „Atalanta“ vor der Küste Somalias, des UNIFIL-Verbandes der Vereinten Nationen vor der Küste des Libanon und der Einsatzverbände der NATO im Atlantik und Mittelmeer geführt. Bild 14: EGV "Berlin" Der Einsatzgruppenversorger „Berlin“ ist zur Zeit das größte Kriegsschiff der Deutschen Marine. Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde im „Spiegel“ zitiert, als sie gefragt wurde, was sie machen wolle, wenn sie genug von der EU-Politik habe. Sie sagte, sie wolle sich mit der „Fischerei- und Meerespolitik“ beschäftigen. Nach meiner Einschätzung spielt jedoch das maritime Berlin keine wahrnehmbare Rolle bei der Formulierung und Durchsetzung deutscher maritimer Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Zwar ist Deutschland, ohne es selbst zu merken, zu einer maritimen Macht geworden, es ist eine zivile See- und Handelsmacht mit weltweiten Verbindungen. Es geht um die Beherzigung einer Einsicht des amerikanischen Seestrategen Alfred Thayer Mahans, daß die Kontrolle über die See den ökonomischen Wohlstand eines Staates bestimmt. Die Globalisierung ist ohne Schiffahrt nicht denkbar. Das Nachdenken über die maritimen Dimensionen deutscher, europäischer und transatlantischer Außen- und Sicherheitspolitik drängt sich geradezu auf. Das Nachdenken über die wechselvolle Rolle des maritimen Berlin läßt uns Deutsche in Zukunft hoffentlich die richtige Balance zwischen maritimer Hybris und Nichtbeachtung finden. Das maritime Berlin 6 7 Danksagung: Ich danke Dr. Heinrich Walle für kritische Anmerkungen und Korrekturen, auch hat er zwei Bilder aus seiner Sammlung beigetragen. Literaturnachweis: Michael Salewski, Die Marine und Berlin. Vom Tirpitz- zum Reichpietschufer, in: Die Deutschen und die See, Teil II, HMRG Beiheft 45, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2002 Dieter Flohr, Peter Seemann, Die Volksmarine: Menschen, Meer, Matrosen, Steffen Verlag, Friedland, 2009 Bildnachweis: Bild 1, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 13: Wikipedia Commons Zwei Bilder Sammlung Walle Bild 4: Sammlung Hess Bild 9, 12: Sammlung Flohr Bild 14: PIZ Marine Das maritime Berlin 7