Rede von Prof. Dr. Helmut Haussmann - FDP

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Rede von Prof Dr. Helmut Haussmann auf dem
Landeshauptausschuss der FDP Baden-Württemberg am 20.
Oktober 2001
Europa wächst zusammen – Zusammen wächst Europa
Der 11. September hat allen auf brutale Weise klar gemacht, dass der
schrecklichsten Bedrohung unserer Freiheit, dem internationalen Terrorismus, kein
Staat mehr alleine begegnen kann. Selbst die einzig verbliebene Supermacht USA
—
wendet sich vom Unilateralismus ab und sucht die globale Partnerschaft. Diese
große Chance, die Amerikaner in gemeinsame, multilaterale Lösungen einzubinden,
dürfen wir Europäer nicht verspielen. Wir brauchen für die globalen
Herausforderungen ein handlungsfähiges Europa. Deshalb gilt: Wenn es die EU
heute nicht gäbe, müsste man sie schleunigst erfinden. Der Rückzug auf nationales
Denken könnte heute im wahrsten Sinne des Wortes tödlich sein. Wir brauchen in
der aktuellen Situation nicht weniger Europa, sondern mehr Europa.
Es war hier in Baden-Württemberg und viele liberale Freunde waren aktiv dabei, als
vor Jahrzehnten die Grenzpfähle zwischen Deutschland und Frankreich
niedergerissen wurden, um für ein gemeinsames Europa zu demonstrieren. Welche
Begeisterung damals für Europa! Dieses Gefühl müssen wir wieder neu schaffen.
Die Europapolitik gehört vom Kopf auf die Füße gestellt. Nicht die Politiker pfropfen
den Bürgern Europa auf. Sondern die Bürger fordern von den Politikern mehr
Europäische Zusammenarbeit zur Lösung ihrer Probleme!
Meine Erfahrung ist: Das funktioniert in all den Bereichen, in denen Europa konkret
den Bürgern etwas bringt: wenn sie sich nicht mehr an der Passkontrolle anstellen
müssen, wenn das Telefonieren auf einmal billiger wird, wenn Europa den
Verbraucherschutz vorantreibt, wenn sie in 13 Ländern vom Nordkap bis zum
Mittelmeer mit dem gleichen Geld bezahlen können. Alle meine EuroVeranstaltungen zeigen: Wenn es gelingt, die konkreten Vorteile deutlich zu machen,
kann man auch Europa-Zustimmung wecken.
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Warum tun sich Europas Staaten heute trotzdem so schwer, gemeinsame politische
Entscheidungen zu treffen? Der Hauptgrund: in der Europapolitik gibt es keine
politische Führung mehr. Leider ist es wieder modern geworden, in rein nationalen
Kategorien zu denken. Nach Nizza haben alle Regierungschefs kleinlich ihre
nationalen Egoismen herausgekehrt. Der große Verlierer, nämlich Europa, wurde
darüber vergessen.
Dazu kommt: angesichts vieler Veränderungen durch Strukturwandel und
Globalisierung wird Europa lediglich als zusätzliche Erschwernis gesehen. Das ist
aber grundfalsch. Mit europäischen Lösungen bewältigt man Probleme in Bereichen
wie Verteidigung, Umwelt, Währung, die national nicht mehr und global noch nicht
lösbar sind. Nehmen wir die Europäische Währung, den Euro. Was wäre denn nach
dem 11. September geschehen, wenn es den Euro noch nicht gegeben hätte? Es
hätte einen Abwertungswettlauf gegeben, wie in früheren Jahren, die Weltwirtschaft
wäre in eine Rezession geschlittert. Vor allem die baden-württembergische
Exportindustrie hätte durch eine DM-Aufwertung massive Schwierigkeiten
bekommen, mit allen Konsequenzen für die Arbeitsplätze. So hat die EU den ersten
großen Beitrag schon geleistet: die schnelle, koordinierte Zinssenkung durch EZB
und US-Notenbank hat nur durch den Euro so gut funktioniert. Hier haben Liberale
europapolitisch geführt, sich durchgesetzt gegen Euroskeptiker wie Gerhard
Schröder („kränkelnde Frühgeburt“) oder Edmund Stoiber („Esperanto-Geld).
Andere Politikbereiche sind im Vergleich dazu zurückgeblieben. Die stärkere
Zusammenarbeit bei Polizei und Justiz zur Terrorbekämpfung muss vorangetrieben
werden. Es hat schon eine gewisse Tragik, dass es eines so brutalen
Terroranschlags bedarf, bis endlich europäisch gehandelt wird, etwa bei so
drängenden Problemen wie einem europäischen Haftbefehl.
Wir haben in den letzten Monaten gesehen, wie viel Zeit die Weltmacht USA
gebraucht hat, um die weltweite Koalition gegen den Terror zu schmieden.
Daher: Werden wir nicht zu schnell ungeduldig mit Europa. Natürlich sind uns allen
die Fortschritte zu langsam. Aber: Wir können uns die Welt, in der wir leben, nicht
aussuchen. Wir können uns aber aussuchen, ob wir allein bleiben und damit zwar
souverän, aber einflusslos. Oder ob wir uns mit unseren Nachbarn zusammentun,
Kompromisse suchen, und gemeinsam handlungsfähig sind.
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Baden Württemberg ist eine der entscheidenden Power-Regionen Europas. Wären
wir alleine, wären wir nach Wirtschaftsleistung, Forschungspotential, Aus- und
Einfuhrquote das 7.-wichtigste Land unter den künftig 27 EU-Mitgliedstaaten. Unsere
vielseitige Wirtschaftstruktur mit einem hohen Anteil mittelständischer Unternehmen
und unsere kulturelle Vielfalt machen Baden-Württemberg zu einer europäischen
Modellregion.
Wir haben viel Europa-know-how. Schon die Öffnung der Grenzen zu Frankreich war
eine große Chance für uns – und wir haben sie genutzt. Diese Erfahrung müssen wir
weitergeben an die Menschen in den neuen Bundesländern, die aus lauter Angst vor
der Osterweiterung die Chancen nicht mehr wahrnehmen. Wir haben bewiesen, dass
europäisches Denken nicht bedeutet, die eigene Identität aufzugeben. Im Gegenteil:
zu internationaler Zusammenarbeit ist nur der fähig, der genügend
Selbstbewusstsein besitzt. Trotz schwäbisch werden wir verstanden!
Als offenes, liberales und auch ganz praktisch exportorientiertes Land wollen wir
Europa. Nicht umsonst ist Baden-Württemberg das einzige Land, dass eine EuroInfo-Kampagne organisiert hat und sich jetzt um Zustimmung zur Ost-Erweiterung
bemüht. Unser Wirtschaftsminister Walter Döring hat sich hier große Verdienste
erworben, die wir bei der Bundesregierung schmerzlich vermissen! Europa ist unser
Projekt für die Zukunft. Deshalb freue ich mich besonders über das Engagement der
Julis. Und hier danke ich nochmals ausdrücklich Jan Havlik für die hervorragende
Vorbereitung dieser Veranstaltung.
Wir haben keine Angst vor europäischer Konkurrenz. Aber man muss uns hier auch
die Chance lassen, weiter dynamisch und wettbewerbsfähig zu sein. Europa wirkt
sich in allen Bereichen aus: So ist Baden-Württemberg ist das Transitland Nr. 1 in
Europa. Dass muss bei der Verteilung der Mittel für die Verkehrspolitik berücksichtigt
werden. Unser Land darf dabei nicht länger benachteiligt werden. Wir dürfen nicht im
Stau ersticken. Wir können in einem Binnenmarkt keinen Alleingang bei der ÖkoSteuer brauchen.
Überhaupt: Eine gemeinsame Währung erfordert in Deutschland eine konsequente
liberale Reformpolitik: ohne echte Steuerreform und Flexibilisierung des
Arbeitsmarktes bleiben wir Wachstumsschlusslicht.
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Das gleiche gilt für die Osterweiterung. Rot-grün setzt sich nur verbal für die
Osterweiterung ein. Wenn wirklich Taten gefragt sind, wie bei der Freizügigkeit oder
der Flexibilisierung der Wirtschaft: Fehlanzeige.
Mir wird oft die Frage gestellt: haben wir jetzt nicht erst mal genug anderes zu tun?
Sollte man die Osterweiterung nicht besser auf später verschieben, wenn die akute
Terrorismusbedrohung bewältigt ist?
Die Antwort ist Nein. Die EU-Osterweiterung ist DIE Strategie zur Erhöhung der
Sicherheit in Europa. Wenn unsere östlichen Nachbarn erst einmal EU-Mitglieder
sind, müssen sie auch die EU-Sicherheitsstandards übernehmen. Sie müssen
strengere Grenzkontrollen durchführen und ihre Polizei und Justiz modernisieren und
unserem Standard anpassen.
1989 war die Freiheitsrevolution in Europa. Sie begann in der damaligen DDR, in
Polen, Tschechoslowakei und Ungarn und wurde von sowjetischen Führung unter
Gorbatschow (für mich der Mann des letzten Jahrhunderts!) ermutigt. Wir alle
erinnern uns noch an die damalige Begeisterung. Damals war es keine Frage, dass
unsere Nachbarn selbstverständlich und so schnell wie möglich in die EU gehören.
Und das ist auch heute noch richtig. Und der größte Nutznießer dieser Entwicklung
sind wir Deutschen. Zum ersten mal in unserer Geschichte sind wir nur noch von
Freunden umgeben. Nun sind wir nicht nur geografisch, sondern auch politisch das
Herz Europas.
Alle Fachleute sind sich einig, dass Regionen politischer Instabilität ein Reservoir von
Terror und Krieg sind. Wir haben diese Erfahrung im ehemaligen Jugoslawien
gemacht. Unsere Nachbarn haben allein schon durch die Aussicht auf den EU-Beitritt
ein geradezu unglaubliches Maß an Stabilität erreicht. Davon profitieren wir auch
wirtschaftlich: Der Handel Baden-Württembergs mit diesen Ländern ist in den letzten
Jahren um jeweils 20% gestiegen. Allein die deutschen Exportüberschüsse in die
Kandidatenlage sichern in Deutschland rund 100 000 Arbeitsplätze! Wollen wir das
wirklich durch eine überflüssige Verschiebungsdiskussion gefährden? Der
wirtschaftliche Rückschlag wäre enorm, wenn die Erweiterung scheitern würde. Und
wir dürfen nicht nur von den Kosten der Erweiterung reden. Wir müssen auch
überlegen, was ein Scheitern der Erweiterung kosten würde. Und das Ergebnis
lautet: Diese Kosten wären politisch wie wirtschaftlich unüberschaubar.
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Die EU-Osterweiterung ist das Kernstück liberaler Außenpolitik: Walter Scheel hat in
der neuen Ostpolitik die Grundlage dafür gelegt – übrigens gegen den Widerstand
der CDU. Durch den konsequenten Ausbau von EU und KSZE hat Hans-Dietrich
Genscher das Vertrauen der Welt dafür errungen, dass die Deutsche
Wiedervereinigung überhaupt stattfinden konnte. Unser Außenminister Klaus Kinkel
hat gezeigt, dass Erweiterung und Vertiefung gleichzeitig möglich ist. . Die EUOsterweiterung ist unser Projekt.
Wir müssen weg davon, dass die Osterweiterung nur noch unter dem Aspekt der
Freizügigkeit und Zuwanderung diskutiert wird. Wer weiß den überhaupt, dass heute
schon mehr Deutsche in der Tschechischen Republik arbeiten als Tschechen in
Deutschland? Und welches Selbstbewusstsein hat eine der größten Exportnationen
der Welt, wenn sie sich dieser Konkurrenz nicht gewachsen fühlt?
Die Osterweiterung wird Gesamt-Europa wirtschaftlich wieder nach vorn bringen.
Von der jetzt entstehenden Arbeitsteilung profitieren wir alle.
Aber noch etwas muss uns klar sein: Mit der formalen Aufnahme der jetzigen
Kandidatenländer ist es nicht getan. Wir brauchen ein System politischer
Kooperation, das den ganzen Kontinent Europa umfasst. Wir brauchen gute und
vertrauensvolle Beziehungen auch zu denjenigen Ländern die in absehbarer Zeit
nicht Mitglied der EU werden können. Ich bitte unsere Partner aus Ungarn, Polen
und den anderen Beitrittsländer um Verständnis: wir werden nicht über ihren Kopf
hinweg gemeinsame Politik mit Russland machen. Aber: wir Liberalen nehmen die
ausgestreckte Hand Putins ernst. Wir nehmen sein Angebot an, im Interesse der
Gesamtstabilität Europas zusammenzuarbeiten.
Der russische Präsident Putin hat Europa in einer beeindruckenden Rede im
Bundestag die Partnerschaft mit Russland angeboten. Wer die Landkarte sieht, mit
dem riesigen eurasischen Russland und dem kleinen Anhängsel Europäische Union,
der weiß: ohne eine Kooperation mit Russland kann Europa auf Dauer keine
Sicherheit gewinnen. Russland ist nicht mehr unser Gegner, sondern die Brücke zu
Asien. Ich habe diese kontinentale Konzeption immer vertreten. Und ohne eine
Gesamteuropäische Konzeption wird Europa auch für die USA auf Dauer nicht
partnerschaftsfähig sein. Wer sich über Alleingänge der USA beschwert, muss
sehen, dass die USA oft nicht auf die komplizierten Entscheidungsprozeduren in der
EU warten können.
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Die Terroranschläge in den USA haben uns endgültig klar gemacht, dass es keine
nationale Sicherheit mehr gibt. Deshalb ist ein Rückzug ins Nationale auch keine
Lösung. Wer Geschichte kennt, weiß: Es gibt keine Garantie, dass die Europäische
Integration gelingt. Es ist ein einzigartiger Versuch. Aber in unserer deutschen
Geschichte hat es noch nie ein derartiges Erfolgsprojekt gegeben, das uns und dem
europäischen Kontinent seit fast 50 Jahren Frieden und Wohlstand sichert. Bauen
wir daran weiter! Als den liberalen, weltoffenen und vielseitigen Lebensraum, den wir
uns alle wünschen! Von hier in Ilshofen muss erneut das Signal ausgehen: Die
Liberalen sind die treibende Kraft in Europa und wir in Baden-Württemberg sind die
treibende Kraft der deutschen Liberalen!
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