Heinz Fassmann, Rainer Münz: Migration in Europa. Historische Entwicklungen, aktuelle Trends, politische Reaktionen. Frankfurt/Main 1996 Franck Düvell: Europäische und internationale Migration. Einführung in historische, soziologische und politische Analysen. Hamburg 2006. Workshop AAI, 7. November 2008 Migration & Integration & Interkulturalität Dr. in Elisabeth Moser Migrations- und Integrationsthemen beeinflussen heute die politischen Debatten, bestimmen nationale und internationale Rechtsordnungen sowie das Alltagsgeschehen in urbanen und ruralen Räumen. Migration ist in jeder Epoche eingebettet in spezifische wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, daraus lassen sich die jeweiligen historische Ausprägungen ableiten. Wieviele MigrantInnen gibt es weltweit? „Weltweit gibt es rund 191 Millionen Menschen, die nicht mehr in ihrem Geburtsland lebten. Sie machten knapp 3% der Weltbevölkerung, davon sind 94,5 Mio Frauen, das sind 49,6% aller weltweit migrierenden Menschen, 86 Millionen sind ArbeitsmigrantInnen.” Frauenmigration 94,5 Mio Frauen sind Migrantinnen, das sind 49,6% aller weltweit migrierenden Menschen. Arbeitsmigration 86 Millionen davon sind ArbeitsmigrantInnen www.iom.int Anmerkung: Diese Zahl der Wandernden ist mehr als eine Verdoppelung der Ströme gegenüber 1960 (+ 115 Millionen). Wo leben die MigrantInnen Von ihnen lebten 116 Millionen in Industrieländern. Dort machen sie im Schnitt bereits ein Zehntel der Bevölkerung aus. (2005: 9,5%) Davon lebt ein Drittel in Europa und ein Viertel in Nordamerika. Immerhin 75 Millionen leben in weniger „entwickelten“ Ländern. (Anteil: 1,4%) Gerade unter ihnen sind viele Vertriebene und Flüchtlinge. www.iom.int Anmerkung: In den EU – 27 allein leben rund 40 Millionen internationale MigrantInnen, das sind 8,3% der 485 Millionen EinwohnerInnen. (Daten Prof. Biffl, Vortrag Friedenstage St. Johann) Historische Wanderbewegungen Räumliche Bewegungen von Menschen gab es zu allen Zeiten. Während des größten Teils ihrer Vorund Frühgeschichte waren die Menschen Nomaden. Erst mit der Sesshaft-Werdung wurde der Wechsel des Wohnsitzes zu etwas Besonderem. In den historischen Wanderungen lassen sind ständig wiederkehrende Grundmuster ableiten. Von der Antike bis zur frühen Neuzeit: Eroberungen & Landnahme, erzwungene & freiwillige Wanderungen Eroberung & Landnahmen: Bsp: Völkerwanderung Die Vorstellung, die Migration zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert, sei eine Wanderung ganzer Völker gewesen ist ein „retrospektives Konstrukt“. Die so genannte Völkerwanderung, wie sie ausschließlich im Deutschen genannt wurde, war ein lang anhaltender, 200 - jähriger Krieg innerhalb und gegen das Römische Reich, dessen Zusammenbruch mit dem Erstarken neuer politischer Einheiten einher ging. Tatsächlich zogen zu jener Zeit zum einen große Armeen samt ihrer Angehörigen durch Europa, während andererseits Nomaden aus Asien nach Westen zogen. Es ging um Eroberung, „Landnahme“ oder Ausdehnung des Einflussbereichs einer bestehenden Kultur, z. B. Kelten, Griechen, Römer, 1 Germanen, Araber etc. Am diesen Wanderungen waren im Höchstfall nur wenige 10 000 Personen beteiligt. ( Vgl. Düvell, Münz) Erzwungene Wanderungen: Bsp. Juden & Roma Zwischen den Jahren 586 vor und 70 nach Beginn der christlichen Zeitrechnung wurde die jüdische Bevölkerung durch die römischen Besatzer nach einer Reihe von Aufständen aus Palästina vertrieben. Juden wurden ins Exil, die „Diaspora“ gezwungen und flohen über das Mittelmeer Richtung Westen, vor allem nach Spanien, und auf dem Landweg nach Norden und Nordwesten. Daneben existierten aber auch Formen freiwilliger Migration, die mehrere Millionen Juden in weite Teile Europas und Asiens geführt hatte. Um das Jahr 1000 setzte eine umfangreiche Wanderung ein, ausgelöst durch Kriege und Vertreibung. Im Punjab (Nordosten Indiens) lebende Bevölkerungsgruppen waren unter griechische, anschließende unter ghaznawidische, dann unter seldschukische und schließlich unter osmanische Herrschaft geraten. Sie wurden teils versklavt und verschleppt. Im Rahmen der Eroberungskriege der Osmanen gelangten die ersten von ihnen im 14. Jahrhundert nach Europa. Sie nennen sich selbst Roma – das heißt die Menschen -, von ihrer Umgebung werden sie allerdings bis heute als „Zigeuner“ betrachtet. Heute leben 8 bis 12 Millionen Mitglieder der Roma in Europa, überwiegend in den östlichen und südöstlichen Staaten (Rumänien, Ungarn, den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens) Sie sind eine dauerhaft ausgegrenzte Gruppen und bis heute in allen Staaten der EU Benachteiligungen ausgesetzt. (Vgl. Düvell, Münz) Freiwillige Wanderungen Die Migrationsforschung belegt, dass europäische Bevölkerungen bereits im Spätmittelalter hochmobil waren, und verweist auf die Periode zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert. Märkte, Bauprojekte wie Kirchen, Schlösser, Festungen, oder die Eröffnung neuer Erzbaustollen, aber auch Wallfahrten und Kreuzzüge zogen regelmäßig viele tausende Menschen an. So bedeutete es kein Problem, binnen kurzem große Menschenmassen von nah und fern aufzubieten, deren Arbeitskraft war sofort, ohne längere Vorbereitung verfügbar. Unter den Migranten befanden sich bereits zahlreiche heutzutage so genannte Experten, jüdische Wasserbautechnologen, holländische Bewässerungsexperten oder englische Kirchenbaumeister. Mithin hat es bereits im Mittelalter Formen der Expertenmigration gegeben. (Schubert zit. nach Düvell) Die kolonialen Wanderungen – Eroberungen und Landnahme 1492 – Militärische und wirtschaftliche Expansionen Die Fahrt Christoph Kolumbus 1492 setzte einen wesentlichen Meilenstein für den Beginn der Wanderungen der Neuzeit, die mit militärischen und wirtschaftlichen Expansionen der europäischen Seemächte nach Übersee begannen. In den Verträgen von Tordesillas (1494) teilten Spanien und Portugal, mit dem Segen der Kirche, die Welt unter sich auf. Niederlande, England und Frankreich errichteten eigene Kolonien in Nordamerika, Afrika, Asien und Ozeanien. Unter dem Schutz der Flotten ihrer Heimatländer errichteten einige wenige europäische Pionier-Wanderer „Brückenknöpfe“, Handelsniederlassungen, befestigte Häfen, Garnisonen und Plantagen in der Hoffnung auf raschen Reichtum und einer Rückkehr nach Europa. Diese Phase markiert den Beginn des Kolonialismus. Kolonialismus am Beispiel Südafrika Nur wenige weiße Menschen wurden benötigt, um die Kulturen der indigenen Bevölkerung zu zerstören. So begann die Geschichte des weißen Südafrika 1652 mit gerade 130 Menschen, die sich selbst „Afrikaaner“ nannten. Sie begegneten den dort lebenden Menschen mit ihrer „mitgebrachten Überlegenheit europäischer Kultur“, denn sie glaubten, dass in „ den göttlichen Gesetzen die natürlichen Unterschieden der Rasse und der Religion“ festgelegt sind. 2 Sie nannten die dort lebenden San verächtlich die „Buschmänner“, und die Khoikhoi Hottentotten „Stotterer“. Sie nahmen kontinuierlich ihr Land in Besitz und herrschten bis zum Ende der Apartheid 1994. Die indigene Bevölkerung der kolonialisierten Kontinente wurde durch Krieg und Verwüstung in ihren Strukturen schwer geschädigt. In Afrika nennt man diese Zerstörung „Mfecane“, sie bedeutet „Verwüstung“ oder „Zermalmung“. (Vgl. Ansprenger, Illife) Berliner Kongokonferenz In den letzten 20 Jahren des 19. Jahrhunderts teilten die europäischen Mächte am grünen Tisch Afrika „kurz und schmerzlos untereinander auf“. Der allmähliche europäische Vorstoß in Afrika im 19. Jahrhundert eskalierte Ende der 70er Jahre in einem Wettlauf um Territorien und Ressourcen. Der europäische Kolonialismus erreichte auf der Berliner Kongo Konferenz 1884/1885 seinen Höhepunkt. Dort besiegelten die europäischen Mächte, die USA und das osmanische Reich die Aufteilung Afrikas. „Die Signatärmächte…anerkennen die Verpflichtung, in den von ihnen an den Küsten des afrikanischen Kontinents besetzten Gebieten das Vorhandensein einer Obrigkeit zu sichern, welche hinreicht, um erworbene Rechte …zu schützen.“ So steht es in Art. 35 der Generalakte, die am 26. Februar 1885 unterzeichnet wurde. (Ansprenger S. 78) Keiner der damals noch unabhängigen Staaten Afrikas – Liberia etwa, Marokko, Sansibar oder Äthiopien, die Staaten im heutigen Sudan oder in Ostafrika wurden zur Konferenz eingeladen. Kongo 1885 – Vom „Privatbesitz des belgischen Königs“ zur belgischen Kolonie Bespiel für eine unfassbar grausame Kolonialherrschaft Leopold II, „Spekulant großen Stils“ auf dem belgischen Thron war ein glühender Verfechter der kolonialen Idee, die er in wunderbare Worte kleidete, er „wollte das Banner der Zivilisation auf dem Boden Zentralafrikas“ zu pflanzen. Da aber auch in Belgien die Stimmung eher gegen Kolonien war, vereinnahmte Leopold den Kongo 1885 mit Hilfe der Berliner Kongokonferenz als seinen „Privatbesitz“. Dieser Status jenseits allen Völkerrechts war in der ganzen Kolonialgeschichte einzigartig. Da mit dem Kongo zugleich auch alle seine Bewohner als rechtloser Privatbesitz angesehen wurden, kam es bei der wirtschaftlichen Ausbeutung zu - selbst für diese Zeit – zu solch grausamen Exzessen, die als die so genannten Kongogräuel 1908 international für Aufsehen und Empörung sorgten und Leopold zur Übergabe des Kongo als „normale“ Kolonie an den belgischen Staat zwangen. Die belgische Kolonialmacht schaffte es, zwischen 1885 und 1911 einen Gutteil der Bewohner des Kongos auszurotten. Schätzungen sprechen bis zu 10 Millionen Toten. Der Kolonialwissenschaftler Cattier schrieb 1906: „Der Kongostaat ist keineswegs ein kolonisierender Staat, er ist überhaupt kaum ein Staat: er ist ein Finanzunternehmen. Die Hauptinteressen derer, die ihn regierten, waren pekuniärer Natur. Die Steuerleistung erhöhen; die natürlichen Reichtümer rasch ausbeuten…Alles Übrige war nebensächlich. Die Kolonie wurde weder im Interesse der Eingeborenen verwaltet, noch im wirtschaftlichen Interesse Belgiens. Sie sollte dem königlichen Souverän ein Maximum an Einnahmen bringen.“ (Vgl. Wikipedia, vgl. Ansprenger, vgl.Iliffe) Wenige europäische SiedlerInnen wurden benötigt, um Afrika zu kolonalisieren Südafrika 1990: 5 Millionen Weiße, ein Fünftel der Gesamtbevölkerung Namibia: nur 78 000 Weiße, davon 25 000 Deutsche (2 Millionen EinwohnerInnen). Kenia: Zur Zeit der Kämpfe um die Unabhängigkeit in Kenia lebten dort 66 000 Kenia Weiße. (1952-56 Mau-Mau Aufstand, Kämpfe um die Unabhängigkeit) Folgen des Kolonialismus bis heute Ein/e schwarze/r SüdafrikanerIn besitzt durchschnittlich 1,3 ha Land Eine/e weiße SüdafrikanerInnen besitzt 1 570 ha Land. 3 Transatlantische Sklavenhandel Um 1700 setze der transatlantische Sklavenhandel ein. Am Ende des 16. Jahrhunderts war die indigene bzw. indianische Bevölkerung insbesondere in der Karibik weitgehend ausgerottet oder zumindest stark dezimiert worden. Gleichzeitig wurde das Plantagensystem in Brasilien, Mittelamerika, der Karibik und im Süden Nordamerikas ausgebaut. Den Bedarf an Arbeitskräften begannen die Europäer nun vor allem mit Sklaven aus Westafrika zu decken. Sie bedienten sich zunächst des dort bereits bestehenden innerafrikanischen Systems der Sklaverei, der Sklavenjagd und des Sklavenhandels. Zu den Großhändlern gehörten die Soninke in Westafrika, „die auf Raubzügen zu Pferd erbeutete Sklaven an die Küste Senegambias oder Guineas transportierten. Eine Reihe von staatlich nicht organisierten Völkern lehnten den Sklavenhandel ab. Benin schloss seinen Sklavenmarkt; König Afonso von Kongo beklagte die Auswirkungen des Handels. Es gibt Berichte, denen zufolge einfache Leute Sklaven bei der Flucht behilflich waren.“ (Vgl. Illife) Im Allgemeinen jedoch war, wie ein gut unterrichteter französischer Kaufmann bemerkte, der Handel mit Sklaven als wertvoller, aber risikoreicher Ware „das Geschäft von Königen, Reichen und Großhändlern und niedrig stehende Schwarze waren davon ausgeschlossen.“ (Vgl. Illife S. 182) Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, wurden 11 bis 12 Millionen Sklaven gewaltsam nach Amerika verschifft. Sie bilden den Ursprung jener afro-amerikanischen Bevölkerungen, die es heute von Brasilien über die Karibik bis in die USA gibt. 1850 wurde der Sklavenhandel durch das Zusammenwirken von Humanisten und wirtschaftspolitischen Modernisierern beendet. Etwa im selben Zeitraum deportierte GB rund 300 000 Menschen nach Australien. System der Schuldknechtschaft – indentured laboour Abgelöst wurde die Sklaverei zunächst durch das System der Schuldknechtschaft „indentured labour“. Die trat in zwei Varianten auf: bereits verschuldetet Personen werden quasi zur Arbeitsmigration gezwungen, um ihre Schulden zu begleichen, oder aber migrationswillige Personen gingen eine Form der Schuldknechtschaft ein, um die Kosten der Auswanderung, insbesondere der Schiffspassage zu finanzieren. Zwischen 1834 und 1941 sollen zwischen 12 und 37 Millionen in diese Form der abhängigen Arbeit verwickelt sein. Europa von Auswanderungs- zum Einwanderungskontinent – ein Beispiel für den Typus des Immigranten oder Einwanderers Bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts dominierte in Europa die Auswanderung nach Übersee. Um 1820 setzte die massenhafte Auswanderung aus Europa ein. Die Hauptauswanderungsstaaten waren zunächst Großbritannien, Irland, Deutschland und Skandinavien. Ab etwa 1880 dominierte die Auswanderung aus Ost-, Südost-, und Südeuropa, aus Polen, Italien, Österreich-Ungarn, Russland, Portugal und Spanien. Je ein Drittel der Bevölkerung Irlands und Italien und ein Zehntel der Bevölkerung Skandinavien wanderte aus. Hintergründe der Wanderungen am Beispiel Irlands Die als Große Hungersnot (Great Famine, Irish potato famine) in die Geschichte eingegangene Hungersnot zwischen 1845 und 1849 (bzw.1851) war die Folge mehrerer Kartoffel Missernten. Sie führte zum Tod von 500 000 bis 1 Million Iren und zur Auswanderung von einer weiteren Million, in erster Linie nach Kanada, Australien und in die USA. Im Zuge der „Großen Europäischen Auswanderung“ hatte nahezu ein Zehntel der Bevölkerung dem Kontinent den Rücken gekehrt. Zwischen 1815 und 1939 wanderten mehr als 50 Millionen Europäer nach Übersee aus, darunter fast 30 Millionen in die USA. (Hoerder 1985 zit. nach Fassmann, Münz Hg: Migration in Europa. Historische Entwicklung, aktuelle Trends, politische Reaktionen. Frankfurt/Main & New York 1996) Eine Ausnahme bildete Frankreich, abgesehen von der Siedlermigration in Algerien, war das Land kein Auswandererstaat, eher im Gegenteil. 4 Ziele der Wanderungen Die USA waren seit 1820 das wichtigste Einwanderungsland. Die Auswanderer in den USA wurden zunächst überwiegend nicht von der Landwirtschaft, sondern von der Industrie absorbiert, sie migrierten gewissermaßen in die damals modernen Wirtschaftszweige hinein. An zweiter Stelle an der Liste der Einwandererstaaten stand Südamerika – Argentinien, Brasilien, Chile, Venezuela, Uruguay - Südafrika sowie Australien und Neuseeland. Innereuropäische Wanderungen Die „Große europäische Emigration“ ging einher mit einer ebenfalls umfangreichen innereuropäischen Wanderung. Hunderttausende polnische und ukrainische Arbeiter/innen kamen in die neu entstehenden Zentren der Kohle-, Eisen und Stahlindustrie Frankreichs, Deutschlands und Englands. Andere slawische MigrantInnen kamen in großer Zahl nach Berlin und Wien. Mehrere Hunderttausend Iren zogen auf Arbeitssuche nach England und Schottland. Italiener ließen sich zu Zehntausenden in Frankreich, der Schweiz und dem heutigen Westösterreich nieder. (Fassmann, Münz S. 13) Chinesische und indische Wanderungen Gleichzeitig mit der „Großen europäischen Emigration“ steht die zeitgleiche Emigration aus Indien und China. Zwischen 1830 und 1930 emigrierten etwa 30 Millionen Inder, davon allerdings nur 6,3 Millionen für immer. Ihre Ziele waren Burma, Ceylon, British Malaya ….Auch in China gab es Massenmigration und dies, obwohl die Auswanderung verboten war. So lebten zu Beginn der 1920er Jahre etwa 8 Millionen Chinesen im Ausland, überwiegend in anderen Regionen Asiens, wie etwa Formosa, dem heutige Taiwan, Hong Kong und Macao. Dies waren aber nur 2% der Bevölkerung. Während der größte Teil der indischen Migration aus der Schuldknechtschaft oder aber aktiven Anwerbepolitiken britischer Institutionen resultierte, erfolgte die chinesische Migration überwiegend frei von direkten Zwängen. Die Ursachen sind in der globalen Dominanz Europas, gepaart mit der industriellen Revolution zu suchen. Kombiniert führte dies zum Kollaps der indischen und chinesischen Textilindustrie. Diese frühe Form der Deindustrialisierung dürfte einer der Voraussetzungen für die Massenmigration gewesen sein. (Vgl. Düvell) Die Diaspora Migration Die quantitativ bedeutendste Form der Migration bildeten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ethnische Säuberungen bzw. Vertreibungen und Umsiedlung ethnischer Gruppen nach dem Ersten Weltkrieg sowie während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Davon betroffen waren zwischen 1918 und 1950 weit mehr als 20 Millionen Menschen. (Vgl. Fassmann, Münz S. 13) Nach 1960 wird Europa zum Einwanderungskontinent Wie schon erwähnt, war Europa bis 1960 ein Auswanderungskontinent. Erst seit den späten 50er und 1960er Jahren gibt es auch eine nennenswerte Zuwanderung aus anderen Regionen der Welt nach Europa. Die Grenzen wurden wegen der steigenden Nachfrage nach Arbeitskräften geöffnet, die gleichzeitig mit dem Zerfall der Kolonialreiche zusammenfiel. Weiters spielten die ethnischen Wanderungen eine große Rolle. Beispiel für Koloniale Wanderungen: In Ländern wie GB, Frankreich, den Niederlanden und später auch Portugal hatte dies mit dem Rückzug dieser Länder aus ihren Kolonien zu tun. Am Ende europäischer Kolonialherrschaft in Afrika, im Nahen Osten, in Süd- und Südostasien sowie in der Karibik wanderten in Summe mehrere Millionen - zuvor für 5 die Kolonialverwaltung tätige Beamte und Soldaten - sowie Siedler europäischer Herkunft in ihre so genannten Mutterländer. In einigen Fällen war die Auswanderung „weißer Siedler“ explizit oder implizit Teil der Vereinbarungen zwischen ehemaliger Kolonialmacht und neu entstehenden Nationalstaaten. So sah etwa der Vertrag von Evian zwischen Frankreich und der algerischen Befreiungsbewegung FLN die vollständige Absiedlung von rund 1 Million Algerierfranzosen den so genannten „Pieds noirs“ ins französische Mutterland vor. Beispiel für Arbeitsmigration nach 2. Weltkrieg Nach dem 2. Weltkrieg einsetzende Arbeitsmigration lässt sich als spezielles, zwischen Abwanderungsund Zuwanderungsregionen wirkendes Monitoring verstehen: Ehemalige Kolonialmächte bevorzugten ihre Ex-Kolonien, um die von der Wirtschaft geforderten billigen Arbeitskräfte zu rekrutieren. So verabschiedete Großbritannien 1948 den „British Nationality Act“, der zunächst die Zuwanderung aus der Karibik und später aus Indien und Pakistan erlaubte. (Wicker, S. 19) In den Niederlanden waren ebenfalls die ehemaligen kolonialen Beziehungen dafür verantwortlich, dass sich anfänglich Menschen aus Südostasien sowie Surinam und den Antillen einfanden. In Frankreich verwandelten sich die ehemaligen kolonialen Abhängigkeiten in eine Zuwanderung aus nordafrikanischen Ländern. Jene Staaten wiederum, die keinen Zugriff auf koloniale Bevölkerungen hatten, behalfen sich mit Gastarbeitern, so wie Deutschland, Österreich und die Schweiz Migrationsforschung Die klassische Migrationsforschung war vorwiegend akteurorientiert, d. h. sie ging vom Migranten/der Migrantin aus und ließ z. B. die Rolle der Staaten außer Acht. Ihre Fragestellungen beschäftigten sich damit, weshalb Menschen migrieren, wie sie migrieren und wohin sie migrieren. Die neueren Forschungsansätze befassen sich auch mit der Rolle der Staaten bei der Erzeugung und Steuerung von Migration. Push und Pull Modell - Beispiel für den klassischen Ansatz Der Migrationsvorgang muss als ein komplexer Prozess begriffen werden, der von seiner Entstehung und von seinem Ablauf her durchgehend multikausal und multifaktoriell bestimmt wird. Es ist kaum möglich, eine exakte Trennungslinie zwischen der freiwilligen und der unfreiwilligen Migration zu ziehen. Die Migrationsforschung sieht in den „Push“ und „Pull-Faktoren“ eine wesentliche Antriebskraft für die Entscheidung zur Migration. Unter den Push-Faktoren versteht sie die strukturellen Probleme im Heimatland, z. B. wirtschaftliche Krisen, zwischenstaatliche Kriege, Bürgerkriege, Umwelt- und Naturkatastrophen etc.. Unter den Pull-Faktoren werden all die Faktoren des Aufnahmelandes subsumiert, die zur Immigration motivieren, wie z. B. politische Stabilität, demokratische Sozialstruktur, religiöse Glaubensfreiheit, wirtschaftliche Prosperität und bessere Ausbildungs- und Verdienstchancen. Die Staaten sind an der Erzeugung und Steuerung von Migration genauso beteiligt wie die WanderungsakteurInnen selbst Bereits ein Blick auf die Migrationsgeschichte des 19. und des frühen 20. Jhds zeigt, auf welche Weise sich Regierungen aktiv an der Entstehung und Steuerung von Aus- und Einwanderungsströmen beteiligten. Einwanderungsländer wie die USA, Kanada ersuchten bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein europäische Regierungen um die Entsendung von Siedlern und stellten meistens auch gleich Gesetze bereit um deren Ansiedlung zu fördern. (Calavita, 1984, Vgl. Wicker) Europäische Regierungen wiederum sahen es nicht ungern, wenn sich die über frühe Industrialisierungsschübe erzeugte soziale Frage mittels Auswanderung lösen ließ. Nicht wenige Länder förderten deshalb die Auswanderung aktiv, allen voran Großbritannien, das wohl am konsequentesten dem bereits zu Beginn des 17. Jhds von Bacon formulierten Grundsatz folgte, Menschen, die im eigenen Land überflüssig seien, dorthin zu bringen, wo sie etwas nützten. (Williams 1964, 10) S. 19 6 Solange Förderung von Ein- und Auswanderung erwünscht ist, werden freizügige Kriterien hoch gehalten und es bedarf eines scharfen Blickes hinter solchem laissez-faire das Systemische zu finden. (vgl. Wicker) Erste Zuwanderungsbeschränkungen Als erste wichen die Einwanderungsländer USA, Kanada, Australien und Neuseeland von der laissezfaire Haltung ab, die ihre Existenz der Zuwanderung verdankten. (Daniels 1995) Die erste bekannte Zuwanderungsbeschränkung war der von der US-Regierung 1882 eingeführte, 1892 erneuerte und bis 1943 geltende Chinese Exclusion Act. Die chinesische Zuwanderung war ab den Dreißiger Jahren des 19. Jhds. aktiv gefördert worden, bedurfte es doch der frischen Arbeitskraft, nachdem die Unterdrückung des Sklavenhandels eine frühe Zuwanderungsquelle hatte versiegen lassen. (Tinker 1974) Als Folge der Verselbständigung der Migration sah sich die US-Regierung genötigt, der „Einfuhr“ von „Kulis“ Einhalt zu gebieten. Mit dem Barred Zone Act aus dem Jahre 1917 wurde der Zuwanderungsstopp sodann auf alle asiatischen Länder – mit Ausnahme der Philippinen – ausgedehnt. „Immigration Act“ 1924 - erstes Quotensystem Aufgrund des manifesten Nationalismus während des Ersten Weltkrieges einerseits und der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Schwäche andererseits, implementierte die US-Regierung 1924 mit dem neu verabschiedeten“ Immigration Act“ erstmals ein Quotensystem. Mit diesem wurde die Zuwanderung insbesondere aus europäischen Ländern gefördert, die aus anderen Ländern dagegen diskriminiert. Kanada schlug vorerst einen anderen Weg ein, um die Zuwanderung - vor allem aus China einzudämmen. Anstelle eines Verbots wurde 1885 für jeden Chinesen eine Zuwanderungssteuer von 50 $ eingeführt. 1900 wurde dieser Betrag auf 100, 1904 auf 500 $ angehoben. (Vgl. Daniels 1995, Wicker S.20) Da in der Folge die Zuwanderung aus China zwar zurückging, jedoch nicht versiegte, verfügte die Regierung 1923 einen definitiven Zuwanderungsstopp für diese Gruppe. Weitere Beschränkungen folgten auch für andere Nationalitäten. Sowohl USA als auch Kanada führten in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zusätzliche soziale, moralische und edukative Standards ein: Kriminellen wurde das Betreten von amerikanischem Boden ebenso untersagt wie politisch Radikalen, Armen, Analphabeten sowie psychisch und körperlich Kranken. (Wicker S. 31f) Es waren somit die alten Einwanderungsländer, die als erste Zuwanderungsregimes im eigentlichen Sinn des Wortes entwickelten. Letztere gründete auf zwei Maximen: einerseits auf dem Prinzip selektiver Zuwanderung: bevorzugt Gebildete und Kapitalkräftige aufzunehmen, Ungebildete und Mittellose wurden abgewehrt. andererseits auf dem Prinzip liberaler Integrationskonditionen: Dies bezieht sich auf die niederen Einbürgerungsschranken. Bereits nach kurzem Aufenthalt konnten Niedergelassene die vollen Bürgerrechte erwerben und im Gastland geborene Kinder erhielten automatisch die Staatsbürgerschaft. (Jus soli – der in dem Land Geborene wird StaatsbürgerIn) Der entscheidende Punkt in einer derartig gestalteten Migrationspolitik ist, dass die Abwehr des unerwünschten „Fremden“ bereits an der Grenze, beziehungsweise auf der Ebene der Immigration Control erfolgt. Wer jedoch die „Auslese“ erfolgreich hinter sich bringt und die Niederlassungsrechte zugesprochen erhält, gilt aus staatlicher Sicht bereits als weitgehend integriert und kann ohne große Verzögerung die Staatbürgerschaft erhalten. Wie geht Europa mit der Migration um? Im Vergleich zu den alten Einwanderungsländern USA, Kanada, Australien etc. verfolgten die europäischen Länder bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein „Einwanderungspolitiken, die man liberal nennen kann. Wobei liberal hier nicht Ausdruck eines politischen Programms ist, sondern nur für die Tatsache steht, dass Selektionsstandards weitgehend fehlten und Zuwanderung daher weniger Restriktionen unterworfen war als etwa in den Staaten, die mit solchen rechtlichen 7 Standards arbeiteten“. (Vgl. Wicker) Der Zuwanderungsdruck nahm Mitte der 60er und 70er Jahre zu, in diesem Zeitraum fallen auch die ersten Restriktionsforderungen. Die legalen Migrationsformen Arbeitsmigration: Migration der Schlüsselkräfte und hochqualifizierter Arbeitskräfte, z. B. IT Branche, medizinisches Personal Familiennachzug ist zu einem zentralen Prinzip der Einwanderungspolitik geworden. Für das Jahr 2000 stellt die Familienzusammenführung die größte Kategorie der Ein- bzw. Zuwanderer der gesamten OECD Länder dar. (OECD 2003, zit. nach Han) In den Jahren 2004 und 2005 wurden in Österreich jeweils etwa 32 000 Niederlassungsbewilligungen erteilt, wobei 30 000 auf Familienangehörige entfielen, was knapp 95 % aller Niederlassungsbewilligungen ist. Studienzwecken Asylsuche Flucht: Global refugee trends 2007: 16 Mio Flüchtlinge / 26 Mio Binnenvertriebene „Nach einem Rückgang der Flüchtlingszahlen in den Jahren 2001 bis 2005, ist seit 2006 wieder ein Anstieg zu verzeichnen. Für den bereits beobachteten Anstieg macht der Bericht unter anderem die Situation im Irak verantwortlich. Ende 2007 gab es dort allein 2,4 Millionen Binnenvertriebene. Bei den grenzüberschreitenden Flüchtlingen stehen AfghanInnen an der Spitze (rund drei Millionen), gefolgt von Irakern (2 Millionen), Kolumbianern (522 000), Sudanesen (523 000) und Somalis (467 000) in der DR Kongo zu befreien. (UNHCR September 2007, www.unhcr.org) Wer beherbergt die meisten Flüchtlinge "2007 Global Refugee Trends" Ein Flucht-Muster zeigt sich auf allen Kontinenten: Flüchtlinge finden vor allem auf dem eigenen Kontinent Zuflucht, also etwa Dafur-Flüchtlinge im Tschad. 86 % der Flüchtlinge bleiben in ihren Herkunftsregionen. Aufnahmeländer: Pakistan (zwei Millionen), Syrien (1,5 Millionen), Iran (964), Deutschland (579 000) sowie Jordanien (500 000). Österreich liegt mit 30 800 Flüchtlingen auf Rang 40. 4,19 Millionen palästinensische Flüchtlinge werden von der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees) betreut. Weiters gibt es schätzungsweise 11 Millionen Staatenlose Exkurs zum Asylgsetz: Mit den europäischen Asylgesetzen, basierend auf der Genfer Flüchtlingskonvention sind individuelle Antragstellungen. Als Flüchtlinge werden jene Personen definiert, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ verfolgt werden. Es spielen die objektiven politischen Gründe, wie zum Beispiel das Leben innerhalb eines diktatorischen Systems sehr wohl eine Rolle, aber das Wesentliche ist, die AntragstellerIn muss nachweisen, dass sie als Person verfolgt wird. Kriege, Umweltkatastrophen, Hunger sind allein kein Grund um Asyl zu bekommen. Wenn man Hintergründe der globalen Flüchtlingsströme analysiert, decken die europäischen Asylgesetze deckt nur einen Bruchteil der Fluchtgründe ab, wegen derer die Menschen fliehen. Dies lässt sich auch an den Daten ablesen. Daten: In Europa bekamen 2007: 44 100 Asylsuchende den Flüchtlingsstatus 49 200 bekamen eine Subsidiäre Form des Aufenthalts In Österreich ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten im § 8 des Asylgesetzes geregelt. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen, wenn er zum Beispiel nicht unter das Asylgesetz fällt, aber eine Zurückweisung, Zurückschiebung eine ernsthafte Bedrohung des Lebens darstellen würde. 8 Auszüge aus UNHCR 2007 Global Trends: Refugees, Asylum-Seekers, Returnees, Internally Displaced und Stateless Persons During 2007 a total of 647 200 individual applications for asylum or refugee status were submitted to Governments and UNHCR offices in 154 countries. By nationality, the highest number of new asylum claims was filed by individuals originating form Iraq (52 000), Somalia (46 100), Eritrea (36 000), Colombia (23 200), the Russian Federation (21 800) Some 209 000 asylum-seekers were recognized as refugees or given a complementary form of protection 2007. This number includes an estimated 27 800 individuals who made an appeal. In Europe 44 100 asylum seekers were granted individual refugee status 49 200 complementary form of protection Unter das Mandat des UN Flüchtlingskommisariat - UNHCR – fallen für 2007 16 Millionen grenzüberschreitende Flüchtlinge und 26 Millionen Binnenvertriebene auf Grund von Konflikten. Wenn man die Flüchtlinge der Umweltkatastrophen dazurechnet, die nicht unter das UNHCR Mandat fallen, dann kommen noch einmal 25 Millionen Flüchtlinge dazu. Die Gesamtsumme der Flüchtlinge betragt dann 67 Millionen! Category of forced displacement Refugees under UNHCR mandate Refugees under UNRWA mandate Total number of refugees Conflict – generated IDP’s under UNHCR Natural disaster IDP’s Total number of IDP’s Total number of refugees and IDP’s Anmerkung: IDP Internally displaced persons 11,4 Millionen 4, 6 Millionen 16,0 Millionen 26,0 Millionen 25,0 Millionen 51,0 Millionen 67,0 Millionen Migration von Eliten und Personen im Ruhestand. Illegale oder irreguläre Migration Illegal nach Österreich einzureisen ist ein Verwaltungsdelikt und unterliegt nicht dem Strafrecht, trotzdem werden Menschen mit dem Stempel „illegal“ einer stetig wachsenden Kriminalisierung ausgesetzt. In den späten 80iger Jahren gewann die irreguläre Zuwanderung in Europa quantitativ an Bedeutung. Ein Heer von 10 Millionen Schattenmenschen (Corinna Milborn: Gestürmte Festung Europa. Einwanderung zwischen Stacheldraht und Ghetto. Wien-Graz-Klagenfurt 2006) Zahlen: Die EU Kommission schätzt, dass jährlich 500 000 Illegale in die EU strömen um zu arbeiten. In Italien schätzt man 2 Mio in Österreich 500 000, in Deutschland schätzt der Ökonom Friedrich Schneider, dass im Jahr 2003 1,2 Mio Illegale beschäftigt sind. Zischen 1995 und 2006 im Rahmen solcher Programme in der EU und in der CH erhielten mehr als 3,2 Mio irreguläre Zuwanderer eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. Einsatzgebiete von illegalen Arbeitskräften: Landwirtschaft, großer Teil der Baubranche, Gastronomie, Hausarbeit und private Krankenpflege. Dunkles Bild von Illegalen Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hat in einer Forschungsbilanz Studien zu illegaler Migration ausgewertet und kam zu folgendem Schluss: 9 Löhne und Arbeitsbedingungen werden durch illegal tätige Menschen nicht gefährdet. Sie führen Arbeiten aus, die EuropäerInnen nicht machen wollen – und schon gar nicht zu diesem Löhnen. Nur in bestimmten Bereichen wie der Bauwirtschaft komme es zu Verdrängungen, allerdings sind die Verdrängten meist auch MigrantInnen. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen illegaler Migration und steigender Kriminalität – was auch recht logisch ist, weil sich Illegale nicht die kleinste Abweichung leisten können, da sie immer von Ausweisung bedroht sind. (Vgl. Corinna Milborn S. 81) Internationaler Menschenhandel – ein Milliardengeschäft! Die UNO schätzt, dass jährlich vier Millionen Menschen – darunter hauptsächlich Frauen und Kinder – weltweit in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gehandelt werden. Der Menschenhandel beschränkt sich nicht auf die Ausbeutung durch Zwangsprostitution, sondern umfasst alle Formen der Ausbeutung die Aussicht auf Gewinn versprechen, wie Zwangsarbeit, häusliche Versklavung, organisiertes Betteln, erzwungene Eheschließungen, illegale Adoption und den Organhandel. Prostitutionshandel in Westeuropa - ein Phänomen des Wohlstandsgefälles Jedes Jahr werden ungefähr 500 000 Frauen und Kinder aus Afrika, Asien, Lateinamerika, Mittel- und Osteuropa in den reichen westlichen Ländern zur Prostitution gezwungen. Prostitutionshandel in Österreich Österreich ist Transitland für den Prostitutionshandel. Nach Schätzungen werden zwischen 8000 und 10 000 Frauen gehandelt. Die Frauen kommen vor allem aus Mittel- und osteuropäischen Staaten. (Vgl. Lea Ackermann & Reiner Engelmann: Solidarität mit Frauen in Not. 20 Jahre SOLWODI e.V. Horlemann 2005) Die Migration und die Beziehungen zwischen Süd und Nord Brain Drain versus Wissenstransfer Durch die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte in die OECD-Länder bzw. in besser gestellte Entwicklungs- oder Schwellenländer kann es in den Herkunftsländern zu schwerwiegendem Fachkräftemangel kommen, der die Systeme sozialer Versorgung, vor allem das Gesundheits- und Bildungssystem, unter Druck setzt. Seit 1960 betrifft der Brain Drain vermehrt auch die Länder des Südens, was gravierende Auswirkungen auf diese Staaten hat und deshalb als „umgekehrter Technologietransfer” bezeichnet wird. Regional lassen sich hauptsächlich Migrationsströme aus Lateinamerika und der Karibik in die USA, aus dem asiatischen Raum nach Japan und Australien und aus Afrika nach Europa feststellen. Braindrain findet auch innerhalb der Länder des Südens statt. Innerhalb Afrikas sind es vor allem Nigeria und Kenia, speziell im medizinischen Bereich gibt es auch eine starke interkontinentale Migration nach Südafrika. Beispiel für Brain Drain: Besonders stark betroffen sind der Gesundheits- und Bildungssektor Jährlich verlassen 70 000 UniversitätsabsolventInnen in Afrika für immer ihr Heimatland in Richtung Europa und USA. (Vgl. IOM, 2003) Sambia: Seit der Unabhängigkeit Sambias praktizieren nur noch 50 der 600 ausgebildeten ÄrztInnen dort. Simbabwe: Rund 18 000 Krankenschwestern sind in den Jahren 2000/2001 aus Simbabwe nach GB ausgewandert. „1967 entsprach die Zahl der in die USA eingewanderten Ärzte aus „Entwicklungsländern“ in etwa der der gesamten Jahreskapazität der 15 größten Medizinhochschulen. Im selben Jahr wurden die jährlichen Betriebskosten einer solchen Medizinhochschule auf etwa 8 Millionen US Dollar geschätzt. Dies bedeutet, dass die USA ohne diese eingewanderten Ärzte rein rechnerisch jährlich rund 120 US- 10 Dollar zusätzlich nur für Betriebskosten von 15 Medizinhochschulen, wenn sie eine entsprechende Anzahl von Ärzten selbst ausgebildet hätten.“ (Vgl. Han) Lösungen des Brain Drains Im Gesundheitswesen werden zum Beispiel folgende Maßnahmen als zentral angesehen, um der Abwanderung von Fachkräften entgegenzuwirken: Verstärkte Investitionen in besonders betroffenen Sektoren, um dort die Ausbildung zu fördern. Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen Entsprechende Personalentscheidungen in den Zielländern, selbst genug Fachkräfte auszubilden, um nicht im Süden Personal rekrutieren zu müssen. In der gemeinsamen Erklärung der Afrikanischen sowie der Europäischen Union nach der Konferenz von Tripolis 2006 werden als notwendige Maßnahmen u. a. Rückkehrprogramme, bessere Arbeitsbedingungen in Afrika, sowie der Ausbau adäquater Bildungssysteme in den jeweiligen Ländern genannt. Brain circulation Die Migration Hochgebildeter wird in der aktuellen Diskussion jedoch auch verstärkt unter dem Aspekt des Potentials gesehen. Neben dem ökonomischen Aspekt der MigrantInnen durch Rücküberweisungen spielt hier vor allem das Konzept der zirkulären Migration eine Rolle, die dem Aufbau von fachlichen und wissenschaftlichen Kapazitäten in den Entwicklungsländern dienlich sein können. Ein wesentliches Potential der zirkulären Migration liegt darin, dass MigratInnen als Multiplikatorinnen und Katalysatoren für Netzwerke und Partnerschaften in Wissenschaft und Wirtschaft fungieren könne. (Margarita Langthaler, ÖFSE www.oefse.at Rücküberweisung der Gelder von MigrantInnen: Bedeutung der Remittances Anmerkung: Ich hebe die positiven Auswirkungen der Remittances im Bezug auf die Menschen, denen sie zugute kommen hervor. Die Remittances können jedoch niemals die Schritte hin zu einem gerechteren Wirtschafts- und Sozialsystem ersetzen. Weiters zeigen die Höhe der Remittances die geringfügigen Hilfen der reichen Länder bezüglich der Entwicklungshilfe auf. Im Kontext der Globalisierung und der internationalen Entwicklungsfinanzierung sind in den letzten Jahren sowohl die Migration selbst als auch die Rücküberweisung von Geldern der MigrantInnen (Remittances) an ihre Verwandten in der Heimat zu einem wichtigen Thema des Entwicklungsdiskurses geworden. Die Weltbank schätze die Remittances im Jahr 2005: 232,3 Mrd US Dollar. Davon entfielen rund 167 Mrd. US $ auf Entwicklungsländer Die Rücküberweisungen betrugen demnach um rund 60 Mrd. US $ mehr als die gesamte öffentliche Entwicklungshilfe 2005 von 107 Mrd. US $ Regional herrschen jedoch große Unterschied und in gewissen Ländern ist die Abhängigkeit von Remittances sehr hoch. Dabei ist mit absoluten Zahlen Vorsicht geboten. Laut UN waren die Hauptempfängergelder 2004: Mexico (16 Mrd US$/Jahr) Indien (9,9 Mrd US$/Jahr) Wenn man die Zahlen am BIP (Bruttoinlandsprodukt) mißt, liegen sie in kleineren Ländern viel höher; Tonga 37% des BIP Lesotho 27% des BIP Nach Subsahara – Afrika gingen zwar nur 1,5% der weltweiten Überweisungen, jdoch in Lesotho machen die Geldtransfers 80% der ländlichen Einkünfte aus. 11 Diese Rücküberweisungen tragen vorrangig zur Verbesserung der Lebensbedingungen bei, rund 80% ließen direkt in den privaten Konsum, sie werden weiters für Gebrauchsgüter, medizinische Versorgung, Bildung, Unterkunft. Der „War on Terror” hat auch hier drastische Auswirkungen, das „Hawala System” ist in den Verdacht der Geldwäsche für Al Quaida gekommen. So machten beispielsweise die Remittances in Somalia rund 67% des BIP aus, wurden jedoch durch strikte Sanktionen wegen des „Terrorverdachts” drastisch gekürzt und gingen dadurch für die abhängige Ökonomie verloren. In vielen Fällen handelte man einfach willkürlich nach unbewiesenen Verdachtsmomenten. Neben der Quantität steht auch die Qualität zur Diskussion, denn Remittances ziehen zu einem großen Teil armutsverringende Effekte nach sich. (Michael Obrovsky, ÖFSE www.oefse.at) Verknüpfung von Sicherheit und Migration 6.366 Menschen sind in den vergangenen zehn Jahren offiziell beim Versuch umgekommen, nach Europa einzuwandern – 90 Prozent auf See. Das Rote Kreuz schätzt, dass nur jeder dritte Tote gefunden wird – man kann also von 20.000 Toten seit Mitte der neunziger Jahre ausgehen. Migrations- und Fluchtbewegungen nach Europa wurden in den letzten 20 Jahren zunehmend als Bedrohungsfaktoren thematisiert und eng mit dem Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus verbunden. Der Europäischen Rat in Thessaloniki 2003 zählte die „weltweiten Flüchtlingsströme“ zu den neuen Gefahren nicht-militärischer Art, die die Sicherheit Europas bedrohen und denen man zwar nicht nur, aber eben auch, mit militärischen Mitteln begegnen muss. (Vgl. Klaus Seitz: Die Sicherheitsfalle. 2005) Die „Sicherheit Europas“ wird in der Abschottung gesucht und diese Politik gesetzlich festgeschrieben. Relativ neu im Kontext restriktiver Asyl- und Migrationspolitik ist die Verknüpfung des sicherheitspolitischen Diskurses über Migration mit dem Entwicklungsdiskurs. Beispiele von Abkommen der EU-Politik im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik sind folgende: „Sicherheit“ durch Abschottung – Politik der Festung Europa - Schengener Abkommen (1985) – Wegfall der Grenzkontrollen innerhalb der EU - Dublin Abkommen (1990) – Zuständigkeit der Nationalstaaten für AsylwerberInnen - EU-Grenzschutzagentur Frontex (ab 2004) – Zusätzliche Überwachung der Außengrenzen - EURODAC (2000), Prümer Vertrag (2005), VIS und SIS II (in Arbeit) – Datenaustausch bei Straftaten, Asyl und Migration (Fingerabdrücke, DNA, biometrische Daten) Verknüpfung von Sicherheitspolitik mit Entwicklungspolitik Relativ neu im Kontext restriktiver Asyl- und Migrationspolitik ist die Verknüpfung des sicherheitspolitischen Diskurses über Migration mit dem Entwicklungsdiskurs, wie folgenden jüngsten EU-Dokumenten zu entnehmen ist: Jüngste Dokumente der EU zu Asyl, Migration und Entwicklung - Mitteilung der EU-Kommission zu Migration und Entwicklung: Konkrete Leitlinien (1.9.2005) - Mitteilung der EU-Kommission über regionale Schutzprogramme (1.9.2005) - Mitteilung der EU-Kommission: Strategischer Plan zur legalen Zuwanderung (21.12.2005) - Mitteilung der EU-Kommission: Thematisches Programm für die Zusammenarbeit mit Drittländern in den Bereichen Migration und Asyl (25.1.2006) - Mitteilung der EU-Kommission über politische Prioritäten bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung von Drittstaatsangehörigen (19.7.2006) 12 - Mitteilung der EU-Kommission „Ausbau von Grenzschutz und –verwaltung an den südlichen Seegrenzen der Europäischen Union” (30.11.2006) Mitteilung der EU-Kommission: Der Gesamtansatz zur Migrationsfrage nach einem Jahr: Schritte zur Entwicklung eines umfassenden europäischen Migrationskonzepts (30.11.2006) Europäische Ratsschlussfolgerungen in Bezug auf eine umfassende europäische Migrationspolitik (14./15.12.2006) Beispielhaft für die Verknüpfung des sicherheitspolitischen Migrationsdiskurses mit dem Entwicklungsdiskurs ist das Ergebnisprotokoll der EU-Innen- und Justizminister (EU-Rat) vom 15.2.2007: „In particular, the Council took forward the discussion on migration which was started at the informal Ministerial meeting in Dresden in January 2007: strengthening cooperation with third countries in the fight against illegal migration through the development of incentives to cooperate, partnership agreements on migration and development, promoting circular migration by allowing temporary stays for the purpose of work or further training and education.” Den afrikanischen „Entwicklungsländern“ – die kein Interesse an restriktiven Migrationsregelungen haben (Remittances als bedeutender volkswirtschaftlicher Beitrag, Verringerung der Zahl der Arbeitslosen) – sollen Anreize zur Kooperation bei der zunehmend externalisierten Grenzsicherung geboten werden. Zu diesem Zweck werden „Partnerschaftsabkommen zu Migration und Entwicklung“ propagiert, in denen den afrikanischen Staaten neben verstärkter Entwicklungszusammenarbeit Kontingente für Saisonarbeit in Aussicht gestellt werden. Umgekehrt wird massiver Druck auf die Herkunfts- und Durchreisestaaten von Flüchtlingen/MigrantInnen ausgeübt, um sie zur polizeilich/militärischen Kooperation bei der Grenzkontrolle, zur Einführung restriktiver Gesetze (gegen Durchwandernde bzw. „illegale MigrantInnen“) und zur zuverlässigen Rücknahme eigener Staatsbürger sowie – besonders heikel - von Drittstaatsangehörigen zu bewegen. (Claudia Thallmayer, AGEZ www.agez.at) Konditionalisierung von EZA mit restriktiver Migrationspolitik - Cotonou-Abkommen (EU-AKP) (2000): Partnerschaftsabkommen von 2000 zwischen der EU und den AKP-Staaten (Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten) für wirtschaftliche Kooperation und Entwicklungszusammenarbeit. Bereits im Cotonou-Abkommen ist die EU-Kooperation mit der Rücknahmeverpflichtung der AKP-Staaten von eigenen StaatsbürgerInnen und der Verpflichtung zur Unterzeichnung von Rücknahmeabkommen gekoppelt. - Bilaterale Rücknahmeabkommen mit afrikanischen Staaten - Politischer Dialog EU-Afrika: z.B. Euro-Afrikanische Ministerkonferenz zu Migration und Entwicklung in Marokko (Juli 2006), EU-AU-Ministerkonferenz in Libyen (November 2006) - Treffen der EU-Innen- und Justizminister (EU-Rat) (15.2.2007) – Stärkung der Kooperation mit Drittstaaaten bei der Bekämpfung der illegalen Migration durch Schaffung von Anreizen, Partnerschaftsabkommen zu Migration und Entwicklung und zirkulärer Migration Die italienische Regierung hat 2004 begonnen, in Italien gelandete Boots-Flüchtlinge nach Libyen zurückzuschieben, wo sie bis zu ihrer Abschiebung in von Italien finanzierten libyschen Lagern untergebracht werden (http://no-racism.net/article/1011). Anfang Juni 2005 haben sich die Innenminister der 25 EU-Staaten in Luxemburg auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt. Der Beschluss sah einen Dialog mit der Regierung in Tripolis vor, um zu einer „konkreten Kooperation“ in Einwanderungsfragen zu kommen. Bei einem Besuch kurz danach wurden konkrete Schritte vereinbart und ein Aktionsplan verabschiedet. Inzwischen ist bekannt, dass die EU Libyens Grenzpolizisten ausbildet. Neben Libyen wird auch Marokko in die Politik der EU eingebunden, als Druckmittel dient der Konflikt um die Westsahara. 13 Italien hatte Libyen schon mit Radargeräten, Helikoptern, Booten und Jeeps zur Grenzüberwachung ausgestattet. Wohin die Reise in der Einrichtung geplanter Auffanglager geht, zeigte auch ein vielsagender Versprecher des Kandidaten für das Amt des Justizkommissars in der EU-Kommission, Rocco Buttiglione. Der italienische Kultusminister sprach letzten Herbst vor dem Europaparlament von „Konzentrationslagern“ in Nordafrika. Menschenrechtsorganisationen klagen stets über die schlechte Behandlung, aber auch darüber, dass Flüchtlinge von Libyen in Länder abgeschoben würden, in denen ihnen Folter und andere Misshandlungen drohen. Libyen hat bis heute nicht einmal die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet (Streck 2005). Seit 2005 verhandelt die EU mit Marokko, Libyen, Algerien, Mauretanien und Tunesien über Rücknahmeabkommen. (www.agez.at) Literatur: Franz Ansprenger: Geschichte Afrikas. München 2002 John Iliffe: Geschichte Afrikas. München 1997. www.iom.int Rainer Münz: Migration-Internationale Perspektive-Beispiele. Vortrag im Rahmen der Migrationstagung St. Virgil 2007, www.alpbach.org Heinz Fassmann, Rainer Münz: Migration in Europa. Historische Entwicklungen, aktuelle Trends, politische Reaktionen. Frankfurt/Main 1996 Franck Düvell: Europäische und internationale Migration. Einführung in historische, soziologische und politische Analysen. Hamburg 2006. Petrus Han: Soziologie der Migration, 2. Auflage,Stuttgart 2005 Hans-Rudolf Wicker: Migration, Migrationspolitik und Migrationsforschung. In: Migration und die Schweiz. Zürich 2003 www.unhcr.org Corinna Milborn: Gestürmte Festung Europa. Einwanderung zwischen Stacheldraht und Ghetto. WienGraz-Klagenfurt 2006 Lea Ackermann & Reiner Engelmann: Solidarität mit Frauen in Not. 20 Jahre SOLWODI e.V. Horlemann 2005 www.oefse.at www.agez.at AGEZ, KOO,EAEZ: Migration und Entwicklungs. Interner Studientag zum Thema. Dokumentation IOM International Organization for Migration (Hrsg): Illegal Immigration in Austria. Vienna 2005 Sebastian Schumacher: Gesetzessammlung Fremdenrecht.. Fremdenrechtspaket 2005. Frühjahr 2006 Klaus Hirsch/Klaus Seitz (Hrsg.) Zwischen Sicherheitskalkül, Interesse und Moral. Beiträge zur Ethik der Entwicklungspolitik.Frankfurt am Main 2005. 14