Hoegner, Wilhelm Bayerischer Politiker; SPD; Dr. jur. geb. 23.Sept. 1887 in München gest. 5. März 1980 in München Wilhelm Hoegner wurde als siebtes von 13 Kindern eines kleinen Eisenbahnbeamten geboren. Er besuchte Gymnasien in Burghausen und München. Als Abiturient und Klassenbester bat er bereits 1907 um Aufnahme in die SPD, um „das Los des Proletariats zu bessern und für das wirkliche Wohl der leidenden Menschheit einzutreten“. Seine juristischen Studien in Berlin, Erlangen und München, u.a. bei dem Reformsozialisten Georg von Vollmar, schloss er 1917 mit der Großen juristischen Staatsprüfung ab (Promotion 1911). Er war dann von 1920-33 Staatsanwalt und Richter in München (zuletzt Landgerichtsrat). Im Bayerischen Landtag, in den er 1924 als Sozialdemokrat gewählt worden war, beantragte er einen Untersuchungsausschuss über die Hintergründe des 9. November 1923, in dem er dann die Verbindungen von Polizei, Reichswehr und Schwerindustriellen zum Nationalsozialismus aufdeckte. Bis 1932 war er Mitglied des Landtags, von 1930-33 auch des Reichstags. H., einer der letzten und schärfsten Ankläger der Nationalsozialisten, floh nach deren Machtergreifung im Juni 1933 auf einer Klettertour durch das Karwendelgebirge nach Tirol. In Innsbruck als Sekretär der SPÖ tätig, musste er bereits im Februar 1934 wieder aus politischen Gründen vor der Regierung Dollfuß in die Schweiz flüchten, wo er bis 1945 als freier Schriftsteller vor allem von Übersetzungen lebte. In der Schweiz machten seine politischen Auffassungen eine starke Wandlung durch, er erkannte den Wert des Maßhaltens in der Politik und den des Föderalismus, für den er später eintrat. Außerdem arbeitete er im Schweizer Exil zusammen mit dem ebenfalls exilierten Münchener Staatsrechtler Prof. Nawiasky die Grundzüge einer neuen Verfassung für den bayerischen Freistaat aus, wobei er Anregungen aus dem föderalistischen Staatsrecht seines Gastlandes übernahm. Am 25. April 1945 wurde H. durch die amerikanische Militärregierung zum Bayerischen Ministerpräsidenten ernannt. Anfang Mai 1946 wurde er auch zum Landesvorsitzenden der SPD in Bayern gewählt und im Sept. 1946 zum Honorarprofessor für bayerisches Verfassungsrecht an der Universität München berufen. In seiner Eigenschaft als bayerischer Ministerpräsident nahm H. als einer der wenigen Deutschen an der Urteilsverkündung des Hauptkriegsverbrecherprozesses in Nürnberg am 30. Sept. 1946 teil. Die Freisprüche für Fritzsche, Schacht und von Papen bezeichnete H. als Fehlurteil. Er veranlasste ihre erneute Festnahme durch deutsche Behörden. In seine Amtszeit fiel auch das Inkrafttreten der bayerischen Verfassung, die er wesentlich mitgestaltet hatte (s.o.). U.a. galt er als Vater des berühmten Artikels 141, in dem der Allgemeinheit als Grundrecht der freie und ungehinderte Zugang zu Seen, Flüssen, Bergen und Wäldern zugesichert wird. Bei Umbildung der bayerischen Regierung am 22. Dez. 1946 übernahm er das Justizministerium und das Vizepräsidium im Kabinett Ehard. Sein unbedingtes Festhalten an der Koalition mit der CSU, das weiten Kreisen seiner Partei missfiel, führte Mitte Mai 1947 dazu, dass er nicht mehr in den Parteivorstand der bayerischen SPD gewählt wurde. Am 15.September 1947 trat H. mit den anderen sozialdemokratischen Ministern aus der Regierung aus. Auch während der Jahre 1948 und 1949 kam es zu erheblichen Kontroversen zwischen H. und der Parteileitung, namentlich als H. bei der Abstimmung über das Grundgesetz eine von der Parteilinie abweichende Meinung vertrat. Im Okt. 1950 wurde H. zum Vorsitzenden des Verfassungsausschusses des Bayerischen Landtags gewählt. Nach den Landtagsneuwahlen im November 1950 kehrte H. dann auch als stellv. Ministerpräsident und Innenminister in die Regierung Ehard zurück. In dieser Stellung widmete sich H. namentlich der Bekämpfung radikaler politischer Ströme und brachte gesetzliche Bestimmungen gegen neofaschistische Umtriebe durch. Mitte Dez. 1954 wurde H. Chef einer aus SPD, BHE, Bayernpartei und FDP gebildeten Regierungskoalition. Sie geriet im Okt. 1957 durch Differenzen in den eigenen Reihen in eine schwere Krise. Am 8. Okt. 1957 trat H. zurück. Sein Nachfolger wurde Dr. Hannes Seidel (CSU). H. gehörte weiterhin dem Bayerischen Landtag als Fraktionsvorsitzender der SPD und Vorsitzender der Ausschusses für Sicherheitsfragen an. Als Fraktionsvorsitzender trat er Anfang 1962 aus Altersgründen zurück, blieb aber noch bis Herbst 1970 Vizepräsident des Bayerischen Landtags und kandidierte dann altershalber nicht mehr. Er widmete sich noch eine Zeit lang seiner Tätigkeit als Staatsrechtslehrer. H. veröffentlichte 1958 „Die verratene Republik – Geschichte der deutschen Gegenrevolution“ und 1965 „Der schwierige Außenseiter – Erinnerungen eines Abgeordneten, Emigranten und Ministerpräsidenten“. Beträchtliches Aufsehen erregte sein Erinnerungsband „Flucht vor Hitler – Erinnerungen an die Kapitulation der ersten deutschen Republik 1933“, der im September 1977 aus Anlass seine 90. Geburtstages herauskam. In dem bereits während seiner Emigrationszeit in der Schweiz entstandenen Buch setzte sich H. mit schonungsloser Offenheit mit dem Zusammenbruch der deutschen Arbeiterbewegung vor dem Machtanspruchs Hitlers auseinander. Über H. schrieb Peter Kritzer eine politische Biographie (79). H. ist vielfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Er war ab 1918 mit Anna, geb. Woock, verheiratet und hinterlässt zwei Kinder. Quelle: Munzinger-Archiv/Internat.Biograph.Archiv 24.5.1980