Kuenstlertexte

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Gerd Arntz
Ende der zwanziger Jahre entwickelt Gerd Arntz (1900-1988) die sogenannte Wiener
Methode der Bildstatistik, deren Zeichenmodelle zu Vorläufern international gebräuchlicher
Piktogramme werden. Figuren wie Objekte werden “schriftartig” und “einer klaren Typografie
ähnlich” zu Zeichen, die, von allem Unnötigen und Dekorativen befreit sind. “Eine
durchgehende Systematik durchgeformter Figuren und Symbole”, so Arntz, “ermöglicht es,
jede Art von sozialen und Kulturzusammenhängen und ihren Verschiebungen und
Umwälzungen” darzustellen, und dieser Stil bestimmt die Bildsprache auch seiner
”kritischen Grafik” jenseits der angewandten Statistik. Das Auto besitzt in diesem
Zeichensystem emblematischen Charakter und ist in seinen “freien” Arbeiten vor allem
Attribut der oberen Klasse. Es ist Machtsymbol wie statistisches Motiv, Zeichen
herrschender Klasse ebenso wie Mengenobjekt einer sich motorisierenden Gesellschaft und
deren bürokratischer Verzeichnung.
In dem holzschnittartigen Schwarz-weiss seiner Grafiken zeichnet Arntz ein komplexes
System gesellschaftlicher Szenen der öffentlichen und privaten Welt und deren politischer
Zusammenhänge, in denen auch das Automobil als Motiv nicht fehlen kann. In der
Serigraphie “Oben und Unten” von 1931 etwa ist die Bildfläche, gesellschaftliche
Hierarchien spiegelnd, in drei horizontale Ebenen gegliedert. Zwei Drittel des Blattes nimmt
das “Unten” ein, das von Arbeiterfiguren in einem dunklen Bergwerksstollen gefüllt wird,
während sich Übertage, im oberen Drittel des Blattes, der reiche Industrielle an die
Karosserie seines noblen Automobils gelehnt mit einer Dame in erotischer Umarmung
vergnügt. Die rechts im Hintergrund aufragende Zechenarchitektur stellt die kausalen
Zusammenhänge der Bildmotive her. Die formale Gestaltung des Oben und Unten, wie
Helldunkelkontrast spitzen die Bildthese als klare Interpretation und deutliche Kritik dieser
neu-feudalen Strukturen zu.
In der früheren Grafik “Strasse” von 1926, die die Düsseldorfer Königsallee abbildet, scheint
dagegen eine moderne Konsumgesellschaft bereits etabliert und die urbane Landschaft
zum Paradies der Massenkultur demokratisiert. Während auf der Straße ein Automobil
bereits dicht auf das andere folgt und sich deren elitärer Reiz des Besonderen auflöst,
flanieren im Hintergrund schematisierte, gutgekleidete Passanten zwischen den
großzügigen Fluchten der modernen Architektur.
In der Kunst des 20. Jahrhunderts, das wird auch durch die Arbeiten von Arntz deutlich, ist
das Auto ein Symbol mit wandelbarer Bedeutung. Vom exklusiven Machtsymbol wird es
zum kollektiven Fetisch einer motorisierten Gesellschaft und Transportmittel ihrer neuen
optimistischen und ökonomisch orientierten Gesellschafts- und Sozialphilosophie.
D.E.
Gerd Arntz: Kritische Grafik. Kat. Haags Gemeentemuseum, Den Haag 1976
Giacomo Balla
Der Maler Giacomo Balla, geboren 1871 in Turin und dort 1958 gestorben, gehört zusammen mit
Umberto Boccioni, Carlo Carrà, Luigi Russolo und Gino Severini zu den „Ersten Fünf", den
Unterzeichnern des „Futuristischen Manifests der Maler" von Filippo T. Marinetti vom Februar 1910
und damit zu den Begründern der futuristischen Malerei, wobei er erst ab 1912 aktiv am
futuristischen Leben teilnahm. Die futuristische Revolte erteilte den in Italien allgegenwärtigen
klassischen Kulturtraditionen seit der Antike eine radikale Absage, durch die die Mauern der
Museen niedergerissen, Gemälde und Skulpturen der Vernichtung preisgegeben werden sollten.
„Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt um eine Schönheit bereichert hat: die Schönheit
der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen
mit explosivem Atem gleichen... ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist
schöner als die Nike von Samothrake. ...Wir leben im Absoluten, denn wir haben schon die ewige
allgegenwärtige Geschwindigkeit erschaffen,“ heißt es 1909 in Marinettis „1. Futuristischen
Manifest“. In Gemälden, in der Skulptur, in Wandgestaltungen, in Lesungen und theatralischen
Inszenierungen ebenso wie in Modeentwürfen wird das neue Lebensgefühl des 20. Jahrhunderts
gesucht, dabei inspiriert vom umfassenden Dynamismus eines universalen Lebensprinzips, das
von raumerobernder Technik ebenso getragen ist wie von der Philosophie der Intuition im Sinne
von Henri Bergsons „élan vital", dem Vitalismus Friedrich Nietzsches und dessen Verherrlichung
des „Übermenschen". Die neuen Bildthemen der Eisenbahnen, Dampfer, Flugzeuge, Automobile
und des Lebens in den Großstädten verlangten nach einer eigenen Bildsprache. Nach einer
analytischen Phase bis 1915 entwickelt Balla einen Kanon von Kraftlinien, die sich in „synthetisch,
subjektiv, abstrakt-dynamischen Formen" zu artikulieren hatten. Balla widmet sich den formalen
Analogien zu menschlichen, tierischen, vor allem auch mechanisch-technisch automobilen
Bewegungen. Es galt, die Gesetze der Linie der Geschwindigkeit sichtbar zu machen, in
synästhetischen Dimensionen kombiniert mit Licht und Geräusch, mit Raum und Volumen, auch
dem Erlebnis von Landschaft. Balla ist in diesen Jahren die dominierende Figur der futuristischen
Malerei. In dem zusammen mit Fortunato Depero publizierten Manifest „Futuristische
Rekonstruktion des Universums" (1915) heißt es: „Wir sind in den innersten Wesenskern des
Universums vorgedrungen und beherrschen die Elemente. Auf diese Weise gelangen wir zur
Konstruktion."
DT
David Elliot: BALLA – The Futurist. Kat. Edinburgh 1987
Andrew Bush
Der Fotokünstler Andrew Bush (geb. 1957 in St. Louis, Missouri) lebt und arbeitet seit den
frühen achtziger Jahren in der Stadt, deren Einwohner wohl mehr als irgendwo sonst durch
das Auto geprägt sind. In Los Angeles gilt: Du bist was du fährst. So stellen auch die
zwischen 1989 und 1991 entstandenen „Vector Portraits“ im Auto sitzende Menschen vor,
gerahmt durch das Seitenfenster, reduziert auf Kopf, Schulter und die Hand am Steuer.
Bush hat sie auf der Straße, im Vorbeifahren oder bei kurzen Stops mit einer
Großbildkamera aufgenommen. Am Beifahrer-Fenster seines eigenen Wagens befestigt,
löst er sie per Fernbedienung aus. Dabei erinnert sein pseudo-wissenschaftliches Vorgehen
an Ed Rushas visuelle Kataloge von Parkplätzen und Tankstellen. Die Bildtitel
dokumentieren Datum, Zeit, Geschwindigkeit, Wetterbedingungen und Ort der Aufnahmen.
Menschen, die wir sonst nur kurz passieren, können wir hier eingehend betrachten und
überlegen, wer sie – ihrer Kleidung, ihrem Gebahren und ihrem Auto nach zu schließen –
wohl sein mögen.
Mehr oder weniger unbemerkt dringt der fotografische Blick in den halb-privaten,
„bewegbaren Raum“ (portable room) des Autos ein. Wie dieser alltägliche Vouyeurismus ist
uns auch das Verhalten der Insassen bekannt. Sie benehmen sich, als wären sie für die
Welt außerhalb des Autos unsichtbar. Abgeschirmt hinter Metall und Glas wiegen sie sich in
vermeintlicher Sicherheit und Intimität. Auto fahren, das heißt lange Phasen der
Selbstversunkenheit, die sich bis zu einem hypnoseähnlichen Trancezustand (freeway state
of mind) steigern können, um sich dann wieder mit ungezügelten Ausbrüchen (screaming
yawn) und kosmetischen Verrichtungen bei gedrosselter Geschwindigkeit abzuwechseln.
So sehr die Schnappschüsse einerseits das Typische erkennen lassen, so scharf sind
andererseits individuelle Charaktere gezeichnet. In ihrer Ausschnitthaftigkeit und unterstützt
durch die Bildtitel entfalten die Fotografien – Filmstills vergleichbar – ihr erzählerisches
Potential. Die Autos erzählen Geschichten, ähnlich wie die Häuser der Leute oder ihre
Visitenkarten, die Andrew Bush ebenfalls zum Thema von Serien indirekter Porträts machte.
Wir erfahren zwar nichts über die angesteuerten Ziele, umso mehr aber über bestimmte
verbreitete Fahrgewohnheiten und Verhaltensweisen. Nicht zufällig wurde der Künstler als
Marktforschungs-Berater von renommierten Autofirmen konsultiert, die seine Fotos in
diesem Sinne gelesen haben: als Psychographien des automobilisierten Menschen.
FE
Thomas Demand
Eine Kamera fährt in einen Tunnel, der sich im Verlauf der Straßenführung leicht absenkt. Eine klassische
Autounterführung, wie jeder sie vielfach in Großstädten durchfahren hat. Auf einem leicht erhöhten
Betonabsatz reihen sich wuchtige Stahlbetonpfeiler zum trennenden Mittelstreifen. In einer langgezogenen
Linkskurve führt der Weg wieder hinaus. Dünne Lichtbänder auf beiden Seiten, die den Weg begleiten. Ein
rollendes Geräusch, das sich allmählich verstärkt. Plötzlich ein Nichts, alles wird dunkel, das Geräusch
klingt ab und verstummt. Dann setzt sich die Fahrt fort. Erst nach wiederholtem Hinsehen wird klar, daß
man immer wieder in den Tunnel hineinfährt, aber nicht wieder herauskommt. „Tunnel“ ist eine
großformatig projizierte DVD-Endlosschleife, in die sich der zum Autofahrer gewordene Betrachter
verfängt, der er regelrecht zwangsneurotisch verfällt.
Wie in allen seinen Arbeiten läßt Thomas Demand (geboren 1964 in München) den Betrachter mit
minimalen Informationen zurück. Und doch, vielleicht erkennt der eine oder andere, daß es sich bei
„Tunnel“ um den Nachbau jenes Tunnels in Paris handelt, in dem Diana, Prinzessin von Wales, im August
des Jahres 1997 bei einem nächtlichen Autounfall tödlich verunglückte. Kaum jemand ist am tatsächlichen
Ort gewesen, das Wissen um diesen Ort ist vielmehr ein massenmedial transportiertes, mit dem tage- und
wochenlang Sendungen und Seiten gefüllt wurden. Aber die Erinnerung ist noch da, diffus und
reaktivierbar. Der zunächst nicht benannte, dann doch bekannte Kontext lädt den Ort auf, veranlaßt zu
Spekulationen und Vermutungen, macht aus dem nächtlichen Tunnel einen Schauplatz, an dem sich
Alltagsmythos und Tod treffen.
Die künstlerische Strategie Demands ist bei diesem Video derjenigen seiner fotografischen Arbeiten
vergleichbar. Ein Raum, ein Interieur oder eine architektonische Situation werden detailgenau in Pappe
und Papier nachgebaut, dann fotografisch dokumentiert und verarbeitet, oder wie in der vorliegenden
Arbeit, gefilmt. Durch die nüchterne künstliche Rekonstruktion geschieht Erstaunliches, der Ort wird zur
reinen Konstruktion und, da völlig unbesetzt, zu einem seltsamen Nicht-Ort. Auf seine ursprüngliche bloße
Form und Leere zurückgeführt, werden alle an ihn gestellten Erwartungen enttäuscht. Mit seinen sterilen
Nachbauten führt Demand vor, daß ein Ort mehr ist als sein Erscheinungsbild. Denn die nächtliche
Autofahrt und ihr dramatischer Höhepunkt, der Aufprall, das Entsetzen und der Schmerz, sind unsichtbar.
Alles spielt sich ausschließlich im Kopf des Betrachters ab. Erst hier verknüpfen sich die verschiedenen
Sinnebenen und Bedeutungspotentiale. Demands Arbeiten sind materialisiertes Nachdenken über
Wahrnehmungsmuster, Wirklichkeit und Mythenbildung. Durch die suggestive Kraft des Tunnels sowie
durch das kurze Ausblenden alles Sichtbaren gelingt dem Künstler die Inszenierung eines sich in
Sekundenbruchteilen ereignenden tödlichen Autounfalls. UT
Thomas Demand. Kat. Fondation Cartier, Paris 2000
Tamara Grcic
„Gestern Mittag kam es zu einem folgenschweren Verkehrsunfall auf der B 495 in Höhe Erftstadt. Bei
einem Frontalzusammenstoß stießen zwei Pkw zusammen. Beide Fahrer erlagen ihren Verletzungen
noch am Unfallort, vier weitere Personen, darunter drei Kinder, wurden mit zum Teil schweren
Verletzungen in das nahegelegene Krankenhaus eingeliefert.“
So ähnlich könnte ein Kommentar zu der raumgreifenden Bodeninstallation „Autoteile und Decken“
von Tamara Grcic (geboren 1964 in München) lauten. Die Künstlerin verteilt beschädigte Autoteile
auf dem Boden: zersplitterte Scheinwerfer und Scheiben, zerbeulte Karosserieteile, abgebrochene
Chrom- und Zierleisten. Die Autoteile werden gestützt, bedeckt und umwickelt von zahlreichen
Decken und Kissen. Das Arbeiten mit verschrotteten Autoteilen ist seit César und Chamberlain
bekannt, doch bei „Autoteile und Decken“ geht die bildhauerische Erfindung wesentlich weiter. Es ist
nicht nur die Anordnung der objets trouvés, die sich die Künstlerin auf Schrottplätzen
zusammensucht, es sind nicht nur die haptischen Qualitäten der unterschiedlichen Materialitäten,
die gegenläufiger kaum sein könnten (Blech, Glas – Wolle, Textilien), sondern es ist die Subtilität des
künstlerischen Eingriffs, die aus dem alltäglichen Material veränderte Ordnungen schafft. Auf den
ersten Blick scheint alle Lebendigkeit gewichen, man läuft über eine Art Trümmerfeld. Nach
längerem Hinsehen entwickeln die verstreuten Fragmente eine Eigendynamik und beleben sich. In
ironischer Umkehrung werden die Autoteile zu Verletzten, die schützend bedeckt werden.
Mit minimalen Eingriffen formt die Künstlerin viele einzelne Kleinskulpturen und wiederholt in ihrer
Vorgehensweise ihr künstlerisches Prinzip der Fragmentierung: Die Autoteile werden überlagert,
entzerrt oder isoliert, die Decken werden gefaltet und drapiert, mal als Einzelstück, mal in
Verbindung mit Karosserieteilen. Die Sensibilität der Künstlerin für kleinste Veränderungen und
deren Auswirkungen auf Wahrnehmungsprozesse und Bedeutungszuweisungen zeigte sich schon in
früheren Arbeiten wie z.B. den „Blumenbildern“ von 1992 oder der Fotoserie „Falten, N.Y.C.“ von
1997. Auch die Zusammenstellung der Farbwerte in „Autoteile und Decken“ folgt keinem
Zufallsprinzip, sondern fügt sich in die Gesamtkomposition ein. Auffällig ist das häufige kräftige Rot,
das nicht nur an Blut, sondern auch an Leben denken läßt. Überhaupt gilt das Interesse der
Künstlerin vielfach der Körperlichkeit hinter den Dingen, einer noch nicht bekannten oder
wahrgenommenen Präsenz, die sich durch Verletzlichkeit und Veränderlichkeit artikuliert und
bestehende Denkmuster und Bedeutungszuweisungen kippt. UT
Tamara Grcic. Kat. Fridericianum. Kassel 2000
Cordula Güdemann
Wurstartig verformt von kräftigen Pinselhieben (und von traumartig intensiver Phantasie)
schweben die „Killerautos" (1989) der Stuttgarter Malerin Cordula Güdemann (geboren
1955) durch vage bestimmten Stadtraum. Die Szene ist menschenleer, die Fahrzeuge
haben sich wahrhaft automobil gemacht. Sie bewegen sich, ohne daß jemand sie steuerte.
Was menschlich wäre, scheint vielmehr in die Autos selber übergegangen zu sein, so
leibhaftig wirken ihre hautfarbenen Karosseriekörper. Im Fahrzeuginneren sind an den
Übergangszonen wie bei den menschlichen Körperöffnungen rote Ränder zu sehen. Vor der
Kulisse abweisender Hochhausbauten erinnern die drei Autogestalten fast an Jugendliche,
die, zwischen Langeweile und sexueller Potenz hin- und hergerissen, zu marodieren
beginnen. Mit ihren phallisch verlängerten Nasen erinnern die „Killerautos" an die
terroristischen Narren in Stanley Kubricks „Uhrwerk Orange". Wie der britische Regisseur
richtet die Malerin einen phantastisch hellsichtigen, d.h. ebenso zutreffenden wie von allen
theoretischen Begründungslasten und Rechtfertigungen befreiten Blick auf die Lust als
Element menschlicher Gewaltbereitschaft. Güdemanns Malerei ist der immer neue Versuch,
möglichst unmittelbar zu zeigen, wie es wirklich ist. Sie ist eine politische Künstlerin, ohne
sich in Diskursmoden zu verheddern. Die latente Obszönität der wurstigen, überlangen
Limousinen macht die aggressive, destruktive Lust offenbar, die sich im Autofahren zu
befriedigen sucht, dabei von der Allgemeinen Straßenverkehrsordnung leidlich unter
Kontrolle gehalten wird und zugleich den Tankstellennetzen, die dieser Lust den Stoff
liefern, unglaubliche Umsätze beschert.
Der Bildraum, in dem all dies zu erkennen ist, ist eine Art Splitterraum, eine polyvalente Bühne,
entzifferbar über verschiedene Lesarten. Die Schwerelosigkeit, die eines der Automobile wie einen
Fisch schweben läßt, gibt dem Anblick die drückende Dichte eines Aquariums. Der kulissenartige
Hintergrund fügt etwas theaterhaft Präsentatives hinzu. Das Licht in diesem Raum wirkt ebenso
golden wie tranig. Die braunen Schlieren und Farbbeimengungen lassen an „Phäkalia" denken (Titel
einer Bildserie Güdemanns, die ebenfalls Ende der achziger Jahre entstand). Güdemanns
innerbildliche Raumkonzeption ist die der Collage, rückübersetzt in Malerei. Der disparate
Alltagsraum ist für sie nicht über getreue Abbildung eines natürlichen Vorbildes darstellbar, sondern
nur als eigensinniges Bild, nur Bildgesetzen gehorchend, also dem, was man sieht, wenn man wach
die Augen schließt.
MW
Cordula Güdemann: Bilder aus der bewohnten Welt. Kat. Düsseldorf 1994
Richard Hamilton
Das Portfolio „Five Tires remoulded“ (1971) steht am Ende einer fast 20-jährigen Beschäftigung mit
einer Werbeanzeige, die in fünf Reifenprofilen die Geschichte des Automobils nachzeichnet und für
Richard Hamilton (geboren 1922 in London) zu einer Reflexion über das Verhältnis von Kunst und
Technik wurde. Alltägliche Präsenz der Waren und des Konsum als Wirklichkeit der Wahrnehmung
beschäftigt Richard Hamilton, den führenden Kopf der Independant Group am ICA in London, die mit
der Ausstellung „This is tomorrow“ 1956 die englische Pop Art als Wegbereiter für eine weltweit
wirksame Kunstbewegung ins Leben rief. 1963 stellt er sich selbst auf einem Auto sitzend zwischen
Mercury Raumkapsel, Kühlschrank, Superstaubsauger und schöner Frau dar. Dabei geht es
Hamilton sowohl um die gesellschaftskritische Analyse der Warenwelt als auch um die durch die
Gegenwart gestellten Herausforderungen an die tradierten Künste. Das um seiner visuellen Präsenz
zu Beginn der fünfziger Jahre diskutierte Inserat nimmt Richard Hamilton zum Anlaß, die Grenzen
tradierter Kunstübung zu erproben. Um 1964 entwickelt er das Konzept, jene fünf Autoreifen
idealtypisch in der seit der Renaissance geübten Zentralperspektive zu zeichnen. Dabei zielt er, ganz
im Sinne des anspruchsvollen handwerklichen Ethos Marcel Duchamps, von einer
hochprofessionellen, zeit- und arbeitsintensiven Wiedergabe der verschieden gestalteten und in die
Gummimasse eingetieften Profile in der Fläche. Das Vorhaben, ebenso anspruchslos im Thema wie
anspruchsvoll in der Realisierung, scheitert an den zeitlichen – und damit finanziellen
Voraussetzungen – und dies trotz einer vergleichsweise einfachen geometrischen Struktur, die in
den Illusionismus einer zentralperspektivischen Räumlichkeit überführt werden sollte. So erscheint
1964 der Siebdruck „Five Tyres abandonded". Erst um 1971 kann Hamilton mit Hilfe eines
Computerprogramms die Reifen als Ringkonstruktionen berechnen lassen und entdeckt dabei neue
Verfahrensweisen zur Entwicklung von Volumen auf der Fläche. Zudem gelingt es, die
perspektivisch zerdehnten Profile dreidimensional ins Relief zu übersetzen. Damit skizziert Hamilton
das Problem: Die Transformation einer künstlerischen Idee bezogen auf die technischen Mittel, die
die jeweilige Gegenwart parat hält, wobei zeitlicher und handwerklicher Aufwand zur Realisierung
erst durch Einsatz modernster Technologien in ein wirtschaftlich vertretbares Verhältnis gesetzt
werden. 1971 wäre dies einmal mehr berechtigt gewesen, „This is tomorrow" genannt zu werden.
DT
Thomas W. Gaethgens: Richard Hamilton. Studien 1937–1977. Kat. Bielefeld 1978
Stefan Hoderlein
Zwei Raver werden bei einer nächtlichen Autofahrt gefilmt. Ihre Ausgelassenheit und
Lebenslust äußern sich in rhythmischen Bewegungen auf dem Vordersitz eines Opels aus
den achtziger Jahren. Es wird viel gelacht und geredet. Irgendwann wirft der Fahrer,
Hoderlein selbst, voller Übermut ein Plüschtier aus dem Dachfenster des Wagens. Begleitet
wird die nächtliche Ravetour durch die Großstadt von der für Hoderlein obligatorischen
Technomusik.
Das Spontanvideo „Mental Mayhem“, das der Künstler mit Hilfe einer auf die Kühlerhaube
des Opels montierten Kamera gefilmt hat, verbindet kongenial den Mythos Auto mit dem
mittlerweile mythischen Charakter der Raverszene der achtziger und neunziger Jahre. Die
Autofahrt ist nicht nur die filmische Umsetzung der Musik, sondern Autofahrt und Musik
gehen mit den Ravern als verbindendem Element ineinander auf. Es sind ihre Bewegungen,
die den Rhythmusflow von Musik und Auto harmonisieren und zueinander in Beziehung
setzen.
In „Mental Mayhem“ wird das Auto zum erweiterten Innenraum, zum verlängerten
Dancefloor, so daß sich die Kategorien des Ortes verschieben. Als Teil eines
selbstverständlich gewordenen und nicht mehr hinterfragten Lebensraumes fügt sich das
Auto in die natürliche Umwelt des Menschen ein und wird zum Mikrokosmos. Die Grenze
zwischen Privatraum und öffentlichem Raum ist aufgehoben. Alltagsraum und inszenierter
Raum treffen sich und fügen sich zusammen. Auf dieser Grundlage wird für den Künstler
alles zum Material und die Entgrenzung zum künstlerischen Prinzip.
Leitmotivisch durchziehen Musik (Techno) und Tanz (Rave) das Oeuvre des Video- und
Installationskünstlers Hoderlein (geboren 1960 in Düsseldorf), für den die Musik
lebensbestimmendes Element und selbstverständliches Material für sein künstlerisches Schaffen ist.
So weist auch seine künstlerische Strategie vielfach Parallelen zum Vorgehen der Techno-Musiker
auf: Mehrere Spuren werden übereinander gelegt, um verschiedene Bedeutungsebenen erlebbar zu
machen. Das Sampling, die Struktur von Schichtung und Anhäufung, inspirierte Arbeiten wie
„Feuerzeuge“ von 1995 und „Bilder aus der Jetztzeit“ von 1997, einer Ansammlung von Hunderten
von Dias aus seiner persönlichen Biographie, die der Künstler zu einer Rauminstallation
zusammenfügt, in der sich Erfahrung und Dasein verdichten.
UT
Hannah Höch
Die Zersplitterung des Blickes war keine dadaistische Erfindung. Nicht künstlerische Willkür,
sondern jede Autofahrt erzeugte eine wilde Collage von Anblicken und rasenden Mustern,
zumal für die Wahrnehmung eines Erwachsenen um 1920, der nicht von Kindesbeinen an
häufiges Autofahren gewohnt sein konnte.
Wie Kurt Schwitters in Hannover begnügte sich von den Berliner Dadaisten insbesondere
Hannah Höch (1889-1978) nicht mit tagespolitischer Provokation. Ihre formal und assoziativ
vielschichtigen Kompositionen, von ihren männlichen Dada-Freunden seinerzeit nicht recht
ernst genommen, erwiesen sich (zusammen mit George Grosz´ Werken) als diejenigen
Zeitdiagnosen, die den Berliner DADA-Aktionismus überdauerten. Ihre Fotomontagen
porträtieren den hysterisierten Alltagsraum kurz nach dem katastrophal verlorenen Ersten
Weltkrieg in Berlin. Sowohl das rasende Automobil wie die zuschnappende Fotokamera
zerstörten die Überschaubarkeit eines Hier und Jetzt, einer von einem Menschen zu einem
Zeitpunkt faßbaren Gegenwart. Die Geschwindigkeit des Kraftwagens ebenso wie die
explosionsartige Vervielfältigung von Fotografien und Nachrichten in der Presse stehen
symptomatisch für Überforderung und Desorientierung menschlicher Wahrnehmung, wie
Höchs zersplitterte Bildordnung sie festhält. In der Collage hinterlassen zwei den Raum
hysterisierende Maschinen ihre Spuren: das Automobil als sinnlos vielfaches, drängend
herbeischwebendes Emblem, als Reifen und Gestänge, und die immer perspektivische
Fotografie als Ausgangsmaterial des fragmentierten Klebebildes. Unter den Bedingungen
harter Schnitte bleiben von dem „schönen Mädchen“, das der Titel nennt, nur
Versatzstücke, deren proportionale Beziehungslosigkeit das Zerfallen personaler Integrität
anzeigen mag. Unter der riesigen Haartracht gähnt Leere, der Körperraum des „Mädchens“
wird durchkreuzt von Autoteilen. Dabei scheint Höch das „schöne Mädchen“ nicht spöttisch
preisgeben zu wollen. Vielmehr hält die Fotomontage unerbittlich fest, was eine
hochmotorisierte Medienmaschinerie, wie sie seit den zwanziger Jahren des 20.
Jahrhunderts zuerst die Metropolen, dann die gesamte westliche Gesellschaft beeinflußt,
der oder dem Einzelnen antut. Bei Höch ist zu sehen, daß das Eindringen industrieller
Visualität und der Werbewelt ins Menschenbild ein äußerst aggressiver Vorgang ist (von
dem sich die bürgerliche Gesellschaft bis heute nicht erholt hat, im Gegenteil).
Hannah Höch, deren bedeutender künstlerischer Beitrag zu DADA sowie zur Entwicklung
der Fotocollage und deren auffällige Sonderposition als einzige Künstlerin der Berliner
Dadaisten erst Ende der sechziger Jahre kunsthistorisch bemerkt wurden, kommentierte
ihre revolutionären Bilderfindungen 1975 im Rückblick ohne Auftrumpfen: „Ich sah meine
Aufgabe darin, diese turbulente Zeit bildlich einzufangen.“
MW
Götz Adriani: Hannah Höch. Köln 1980
Zuzanna Janin
„Es gibt da eine Theorie, die mir gefällt: Jeder Organismus schafft sich sein Äußeres, das
ein erkennbares Zeichen ist, und sein Inneres, das eine funktionale Maschine ist. Das
Äußere hat visuelle Charakteristika, ist individualisiert und stellt das Ego heraus, während
das Innere, die Apparatur, die das Weiterleben ermöglicht, nicht individualisiert ist, das
heißt, es hat nur einen funktionellen, motorischen Charakter, keinen visuellen“ (Zuzanna
Janin). Die Frage wäre dann, ob wir als zeichentragende individuelle Hülle mehr umkleiden
als ein maschinales, dabei selbstbewegtes Inneres – nicht: „Ich bin mein Auto“, sondern:
„Ich bin ein Auto“.
In „Do You Really Know How To Do it“ transponiert Zuzanna Janin eine
Rummelplatzszenerie in den musealen Raum – durchaus eine Ironisierung der Institution.
Die als jugendliches Freizeitvergnügen wohlvertraute Situation ist auf das Wesentliche
reduziert: zwei Autoscooter, die in einem abgesicherten Feld gegeneinander antreten. Das
Spielzeuggefährt wird als Panzer aus Metall und Gummi zur zweiten Haut seiner Fahrer, die
es vor härteren Konsequenzen schützt. Auch wenn die Übertragung aus dem
Alltagszusammenhang ohne weitere Gestaltungseingriffe erfolgt, wirkt die Installation
symbolisch, als Zusammenspiel aus Physischem und Metaphorischem. Im Autoscooter geht
es nicht um Geschwindigkeit, sondern um Geschicklichkeit. Es gilt, dem anderen möglichst
kräftig an den Karren zu fahren, ohne selbst zu viel abzubekommen. Die existentielle
Thematik des Unfalls wird auf der Ebene des Rummelplatzspieles verhandelt.
Die 1964 in Warschau geborene Zuzanna Janin entwickelt ihre Themen aus ihrer eigenen
Geschichte, aus ihrer Erinnerung, ihrem Umfeld. In ihren Installationen entstehen Bilder, in
denen sich Vergangenes und Zukünftiges mischt und in deren experimentellen Räumen der
Besucher die eigene Geschichte mit einspielt. Erik van der Heeg verweist auf Prousts „Auf
der Suche nach der verlorenen Zeit“, um das Phänomen einer außerzeitlichen Erzählung im
Werk von Janin zu beschreiben, denn im ständigen Gleiten durch die Zeit gelingt es, auch
hier Erinnerung zumindest für einen Moment außerhalb des Zeitflusses zu rekonstruieren.
DE
Allan Kaprow
In einem seiner bekanntesten Environments, dem mehrmals realsierten „Yard“ (1961 New
York, 1970 Köln, 1986 Dortmund) häuft der 1927 geborene Amerikaner Allan Kaprow eine
Unmenge alter Autoreifen an und läßt das experimentierfreudige Kunstpublikum in diesem
Ambiente mit unsicheren Schritten balancieren. Zweckentfremdet werden die Reifen zum
Grund einer anderen Körper-, Form- und Materialerfahrung, wobei Kaprow eine reine
Ästhetisierung ablehnt: „Abgesehen von den Verdiensten in jedem einzelnen Fall, schien
sich diese Binsenweisheit jedes Mal, wenn wir einen Haufen Industrieprodukte in einer
Galerie sahen oder Alltagsleben auf einer Bühne aufgeführt wurde, zu bestätigen: vor allem
die Behauptung, daß sich alles ästhetisieren ließe, brächte man es nur in das richtige
künstlerische Ambiente. Doch warum sollten wir alles ästhetisieren wollen? Alle Ironie wäre
verloren, die provokanten Fragestellungen vergessen“ (Kaprow 1983).
Damit setzt sich Kaprow vom Duchampschen Readymade ab, das zu Beginn des 20.
Jahrhunderts in einem radikalen Kunstgriff die Frage nach der Begrifflichkeit und den
Bedingungen von Kunst neu stellt. Auch die aus der Idee des Readymades entwickelten,
späteren künstlerischen Einsätze von industriellen Materialien und Objekten, inklusive den
Ansätzen der Pop Art versteht Kaprow als trivial.
Wenn Kaprow in „Household“ (1964) das Autowaschen zum kollektiven Happening macht
oder in „Gas“ (1966) stillgelegte Schrottautos zum dreidimensionalen Bildgrund einer
Malaktion werden, so hat dies vor allem politische Motive. Der „Non-Artist“, als der er sich
versteht, hat, im Einklang mit der allgemeinen Politisierung der Kunst in den sechziger
Jahren, erzieherische (Gegen-)Funktion in einer modernen Gesellschaft, in der
Massenmedien und Freizeitindustrie den stärksten Einfluß auf öffentliche Bildung haben.
Kaprow versteht Kunst als soziales Instrument und definiert sie um zum „Spiel“, dessen
formal-ästhetische Wahrnehmung er auch in seinen Schriften zur Differenz von „Gaming
and Playing“ um wesentliche soziale und politische Aspekte erweitert. Die Ritualisierung
alltäglicher Handlungen wird in der spielerischen Wiederholung zugleich aggressiv und
kritisch. 1979 konzipiert und baut Kaprow für die „6. Kunstwoche des Ruhrpark Shopping
Centers“ in Bochum seinen „Tire Tower“: einen ursprünglich 15 Meter hoch geplanten Turm
in Form eines monumentalen Schaltknüppels aus alten Autoreifen. Daß Kaprow mit diesem
in ironischer Weise phallischen, autophilen Denkmal aus verbrauchter Bereifung sowohl das
banale Pathos des nahen Konsumtempels kommentiert als auch auf die Nachbarschaft des
Bochumer Opel-Werkes anspielt, haben sicher nicht nur die bemerkt, die den Turm kurz
nach seiner Errichtung in Brand setzten und zerstörten.
DE
Allan Kaprow: Kat. Museum am Ostwall, Dortmund 1986
Rachel Khedoori
In den Jahren 1994-97 filmte Rachel Khedoori (geboren 1964 in Sydney) ihren ehemaligen
Schulweg entlang der 102nd Street in Inglewood, Kalifornien. Der zwei Stunden dauernde
Film besteht aus einer Serie von langsamen und gedehnten Aufnahmen aus einem Auto
heraus, das sich immer in gleicher Distanz parallel zum Bürgersteig bewegt. Das
gemächlich filmische Gleiten tastet genauso unspektakulär wie präzise die Straßenseiten
mit ihren Häuserfassaden ab. Es ereignet sich nichts, das den Blick irritieren oder gar stören
würde.
Durch die Positionierung der Kamera im Innenraum des Autos wird der Betrachter physisch
involviert, es scheint, als sei der abgefilmte Weg der seine. Doch diesen Eindruck relativiert
Khedoori durch die Präsentationsform, denn wie in anderen ihrer Arbeiten arrangiert sie
diesen Film in einem Raum, den sie eigens für die Filmprojektion konzipiert hat, so daß die
künstlerische Arbeit aus drei Teilen besteht: dem Film, der Projektionsapparatur und dem
Raum. Während der Vorführung sieht der Betrachter nicht nur die eigentliche Projektion,
sondern auch die Filmspulen mit der gesamten technische Konstruktion des filmischen
Apparates. Allein gelassen sieht sich der Betrachter einem komplexen System von
Perspektiven, Wahrnehmungen und Wirklichkeitsebenen ausgesetzt, mit dem die Künstlerin
die scheinbare Eindeutigkeit von Wahrnehmung hinterfragt und deren Bedingungen
thematisiert. Wie auch Khedooris „Blue Room“ von 1999 wird „102nd Street“ zu einer
raumfüllenden Installation, bei der das komplexe technische System mit der Vielschichtigkeit
des Phänomens Erinnerung korrespondiert. Das entspannte Fahren entlang der Straße
erinnert an die Zeit des Kinderwagens, an ein Wohlgefühl des Aufgehobenseins, an die Zeit,
in der das Kind das sanfte Vorübergleiten der sichtbaren Welt als Wahrnehmungsform
kennengelernt und eingeübt hat. Die regressiven Aspekte der Autofahrt, die durch den
dunklen Raum als Metapher noch verstärkt werden, sind offensichtlich und gewollt. Doch
durch den installativen Charakter verhindert Khedoori, daß sich der Betrachter
selbstvergessen in der eigenen Regression verliert. Die Künstlerin zwingt ihn, sich mit
Illusion und Wirklichkeit auseinanderzusetzen und sich unsentimental der Erinnerung zu
nähern. UT
Martin Kippenberger
In einer nächtlichen Szenerie fällt das Licht einer Laterne auf ein schneebedecktes Auto.
Ähnlich wie in Weegees Fotografien von verschneiten Autos, die wie schlafende Tierkolosse
wirken, scheint die Schneedecke den Wagen auf seltsame Weise zu renaturieren. Mit der
Karosserie verdeckt der Schnee zugleich die Markenidentität des Autos. Unserem Versuch,
die Marke zu erraten, kommt ein in diese tabula rasa eingetragener Schriftzug zuvor. Ihm
zufolge ist es „No Capri“. Was ist es aber dann? Entscheidender als die Beantwortung
dieser Frage ist wohl, warum wir es überhaupt wissen wollen.
Die status- und identitätsstiftende Funktion des Autos ist ein Gemeinplatz, den
Kippenberger (geboren 1953 in Dortmund, gestorben 1997 in Wien) am Einzelfall überprüft.
Nicht Technik und Ausstattung interessieren ihn: „Autoquartett hab ich nie gespielt.“ Wenn
er auch selbst keinen Wagen fuhr, kannte Kippenberger den Reiz des großen Auftritts,
einen Bentley zu mieten und sich „durch die Gegend“ chauffieren zu lassen. Und: „Ich guck
mir gerne ’n Jaguar E an. Hätte ich Platz in meinem Haus, in einer Garage, würd’ ich mir
den auch da rein stellen, ’nen Jaguar E“ (1991). Was heißt es also, ein Modell vor dem
Haus stehen zu haben, das nach dem Sehnsuchtsziel aller Italienreisenden benannt ist?
Angesichts der kalten Witterung wirkt die südländische Aura des Typennamens deplaziert.
Was wir sehen, ist „Kein Capri bei Nacht“. Das bezieht sich doppeldeutig auf das Auto, aber
auch auf seine schnöde, trostlos wirkende Umgebung. Von den romantischen Küsten
Capris sind wir hier wohl ähnlich weit entfernt wie der „Nudel-Laden“ namens „Capri“ bei
Kippenbergers späterer Wohnung in Los Angeles. Die meisten Besitzer eines Ford Capri,
von manchen abschätzig „Vorstadt-Ferrari“ genannt, werden nie bis nach Italien gekommen
sein. Und dennoch machen die Bilder und assoziativen Versprechungen, die von den
Autonamen transportiert werden, das Auto zu einem Traumgegenstand. Die Beziehung, die
Fahrer zu ihrem Auto pflegen, und das Bild, das sie von ihm haben, sind sensibel. Gegen
Desillusionierungen, wie sie Kippenberger mit nur zwei Worten betreibt, sind sie
ebensowenig gefeit wie der Lack gegen häßliche Kratzer.
FE
Martin Kippenberger: The happy end of Franz Kafka's „Amerika". Kat. Deichtorhallen
Hamburg. Köln 1999
Kane Kwei
Für die Passage am Ende des Lebens bedarf der Körper eines Vehikels. Der Sarg ist die
Hülle, die es den Lebenden ermöglicht, den Toten zu ehren und auf seinem letzten Weg zu
begleiten. Der Schreiner, Zimmermann und Bildhauer Kane Kwei (1924 in Teshie geboren,
dort 1992 gestorben) vom Volk der Ga in Ghana hat in seinem plastischen Schaffen seit
1951 die Kultur des repräsentativen Begräbnisses durch figurative Särge fortentwickelt.
Etwa zwei Dutzend Sargmodelle hat Kane Kwei bis 1992 entworfen. So wurde etwa ein
Sarg in Gestalt einer riesigen Zwiebel gefertigt, da der Verstorbene durch den Anbau und
Vertrieb von Zwiebeln zu Ansehen und Wohlstand gekommen war. Daneben gibt es den
Getreidesack, den Schuh, die Flasche, das Flugzeug, das Huhn. Die Werkstatt wird heute
von Sohn und Neffe weitergeführt. Den Sarg in Gestalt einer weißen Mercedes-Limousine
könnte man nach abendländischer Lesart als moderne Version vom Kahn des Charon für
das Seelengeleit über den Styx verstehen, doch würde diese eurozentristische Deutung der
ghanaischen Auffassung widersprechen. Für das Verständnis dieser Form der seit mehr als
zwei Jahrzehnten üblichen Begräbnisrituale in Teshie müssen traditionelle animistische
Vorstellungen mit einbezogen werden, wie sie sich in der Ehrung des Toten und seiner
Familie durch ein mehrtätiges Trauerfest äußern. Die Auswahl des Sargmotivs gilt den
Lebensgewohnheiten und der gesellschaftlichen Position des Verstorbenen. „Dieser Sarg
stellt keineswegs eine Kritik am materiellen Erfolg dar, sondern dient ganz im Gegenteil
dessen Verherrlichung. Der Mercedes ist zu verstehen als das höchste afrikanische Symbol
für Reichtum, gesellschaftliche Stellung und Wertschätzung" (Susan Voge). Kane Kweis
Skulpturen sind nicht als Objekte bloß ästhetischer Anschauung zu lesen im Sinne eines
autonomen Kunstwerks. Sie stehen im Dienste eines Rituals, das, in afrikanischen
Traditionen verwurzelt, zugleich Anteil hat an der interkulturell verbreiteten Statussymbolik
großer Automarken. So gehört denn auch der Videokünstler Nam June Paik, ebenfalls
Wanderer zwischen den kulturellen Hemisphären, zu den Förderern Kane Kweis. Als
Beitrag zur zeitgenössischen afrikanischen Kunst ist Kane Kweis Schaffen erstmals in der
Ausstellung „Les Magiciens de la Terre" (Paris 1989) gewürdigt worden. Kane Kweis Werk
stellt Parameter westlicher Kunst in Frage. Seine Werke sind darauf angelegt, auf immer der
Betrachtung entzogen zu sein, wenn in ihnen die Verstorbenen begraben werden.
DT
Michaela Melián
„Am 12.8.1888 hatte sich Berta Benz... aus Wut über ihren Ehemann Carl Benz in einen von
ihm entwickelten Prototypen gesetzt, der bis zu diesem Zeitpunkt als nicht fahrtauglich galt.
Immerhin 130 Kilometer bis nach Pforzheim hat sie mit diesem Fahrzeug zurückgelegt. Das
war weltweit die erste Überlandfahrt mit einem Automobil und ihr Mann konnte es
anschließend als ‚Bockige Berta’ auf der Münchner Weltausstellung präsentieren“ (Nina
Oswald).
Die Installation „Berta Benz, Konstruktion“ (1998), der 1956 in München geborenen
Künstlerin Michaela Melián konfrontiert mit Irritation und Verweigerung, denn die Motive, die
sie zeigt, entsprechen nur in Annäherung den in der Erzählung genannten Figuren und
Objekten. Meliáns Installation besteht aus Holzlatten, welche die innere Konstruktion des
zentralen Motivs bilden und einer Husse aus hautfarbenem Satin, die dieses Gerüst
überspannt. Immerhin läßt sich in diesem raumgreifenden, fleischfarbenen Objekt die Form
eines Autos erahnen. Nicht nur formal, auch inhaltlich wird die Installation „Berta Benz“ zur
Konstruktion, zum Konstrukt aus disparaten Objekten und Motiven. Über der Szene schwebt
eine in die Horizontale gekippte Bildtafel, die mit demselben fleischfarbenen Stoff bespannt
ist wie das Holzgerüst des dysfunktionalen Automodells. Langsam rotiert der scheinbar
organische Spiegel über der Szene. Auf die Wandfläche im Hintergrund ist ein nur grob
differenziertes Porträt eines weiblichen Gesichtes gestempelt: vermutlich Berta Benz. Diese
Phantombilder, die immer wieder in Arbeiten Meliáns auftauchen, sind nach ihren
Personenbeschreibungen am polizeilichen Fahndungscomputer angefertigt. Meliáns
künstlerische Produktion von Fremdkörpern und Störbildern fragt nach der eigentlichen
Identität von Objekten, die sich letztlich immer als Konglomerat subjektiver Mythologien
erweist. Und so spielt „Berta Benz, Konstruktion“ als eine künstlerische Nacherzählung von
Personen und Objekten auch mit der Ungreifbarkeit weiblicher Modelle, deren extremste
kulturelle Verzerrung sich im Bild der Hysterikerin findet. Bereits 1999 hatte die Künstlerin in
der Münchner Galerie Barbara Gross eine Ausstellung unter dem Titel
“HysterikerIn/Automobil” gezeigt. In deren Zusammenordnung aus weiblicher Exstase und
maschinalem Körper offenbart sich das Auto nicht nur als Beschleunigungs-, sondern mehr
noch als Mythos-Maschine. Entsprechendes referierte auch die jüngste, reale und durch die
Presse hysterisierte Koppelung zwischen Frauenkörper und Maschine, die durch den Tod
der englischen Kronprinzessin Diana 1998 in einem Mercedes entstand. In den Showrooms
von Autohändlern auf der ganzen Welt wurden daraufhin eine Woche lang die Automodelle
dieser S-Klasse verhüllt.
DE
Michaela Melian: Tomboy. Kat. Kunsthalle Baden-Baden, 1995
Olaf Metzel
Die Arbeitsweise von Olaf Metzel (geboren 1952 in Berlin) gleicht ein wenig einer Autofahrt
– keiner Sonntagsfahrt ins Naherholungsgebiet, auch nicht der dösigen Pendlerfahrt ins
Büro, sondern der erlebnisoffenen Fahrt ins Blaue, mal lässig, mal mit Vollgas. Immer sind
Kamera, Notizbuch und Zeichenstift zur Hand, übergangslos können der Alltag am
Straßenrand oder Fundstücke aus den Medien für Metzel Ideengeber einer Installation
werden. 1982 verwandelte der Künstler die Münchner „Tankstelle Landsbergerstr. 193 (B2)“
in eine „Drive-In-Ausstellung“ (Metzel), 1997 stattete er die Ebene 4 des Parkhauses Bremer
Platz in Münster mit einer „akustischen Installation“ aus: ein Crashtest, im Dolby-SurroundSystem gut hörbar gemacht.
So, wie es in Metzels Arbeitsweise den (geradezu autobahnartigen) Wechsel von
Gesamtentwurf in Hochgeschwindigkeit und bildhauerischer Feinabstimmung im
Schrittempo gibt, sind seine Arbeiten strukturiert von einem paradoxen Ineinander großer
Geste und hintersinniger Anspielung, von zerschlagenen, angebrannten oder
aufgesplitterten Einzelteilen und schlüssigem Gesamtzusammenhang, von anarchistischer
Kompromißlosigkeit und gesellschaftspolitischer Bezugnahme. Viele seiner raumgreifenden
Arbeiten sehen so aus, als seien sie gerade an ihre Stelle gestürzt. Dabei resultiert die
Anmutung des zufällig Selbstverständlichen aus einem genauen Arrangement von
Destruktion und Konstruktion. So ist Metzels krachend zersplittertes Basketballfeld
„112:104“ (1990/91) als spätes Echo von C.D. Friedrichs Gemälde einer Schiffszerstörung
(„Die gescheiterte Hoffnung“, 1823/24) gedeutet worden, wobei die Arbeit ebenso starke
Anklänge an den optimistischen Konstruktivismus des russischen Avantgarde hat.
Olaf Metzel, dessen provokante und (zumal im öffentlichen Raum) viel diskutierten Arbeiten
ihn zu einem der heute international bedeutendsten Bildhauer Deutschlands gemacht
haben, ist ein engagierter Hochschullehrer und ein treu sorgender Familienvater. Wenn die
Schulferien nahen, wird das Familienauto bepackt, um auf der „Strada del Sole“ der
italienischen Adria entgegen zu fahren. Metzels gleichnamige Installation verwandelt den
immobilen Ausstellungsraum in die automobile Fahrgastzelle. Der Cassettenrecorder läuft,
die Autobahn saust unten durch, das Zeitgefühl verschwimmt, das Raumgefühl auch – wie
viele Gepäckträger sind eigentlich auf dem Autodach? So, wie sich solche Fragen nach
neun Stunden Autobahn langsam ins übermüdete Bewußtsein senken (und eine dringende
Kaffeepause signalisieren), scheint sich das Gewirr von umflochtenen Dachgepäckständern
von oben in den Ausstellungsraum gesenkt zu haben. Auch mit dieser Arbeit erzeugt Metzel
intensive Stimmungen aus paradoxen Konstellationen, wirken doch die Gepäckständer
kopfüber gegen die Decke gestürzt.
MW
Olaf Metzel. Kat. Darmstadt 2001
Christiane Möbus
Drei hochglanzpolierte Aluminiumobjekte mit hermetisch abweisender Lackoberfläche bewegen sich
leise surrend durch den Raum, elektrisch angetrieben und lichtelektronisch gesteuert. Wie bei einer
blanken Autokarosserie verhindert die spiegelnde Oberfläche den Blick in die Tiefe. Der Betrachter
sieht sich selbst, im Autolack und in den seitlich angebrachten Rückspiegeln. Auto-mobil, aus sich
selbst beweglich und bewegt sind diese, der menschlichen Erfindungskraft entwachsenen und ihr
doch nahen Bodenskulpturen, die, augenscheinlich um ihrer selbst willen, nach nicht faßbaren
Plänen die Räume durchmessen. Handwerklichkeit ist vorausgesetzt, Handschrift nicht gesucht.
Dadurch knüpfen diese von Christiane Möbus (geboren 1947 in Celle) entworfenen Skulpturen an
barocke Automaten an und isolieren den Zauber der Selbstbewegung genauso analytisch wie
geheimnisvoll. In der blechernen Hülle sind die notwendigen Aggregate verborgen, die die
Kurvenfahrten der gelb, schwarz und grau gefaßten Elemente ermöglichen und in ihrer
Dauerbewegung doch nur etwas zu umkreisen scheinen, das selber unsichtbar und rätselhaft bleibt.
Das Kreisen um eine unwägbare Mitte erscheint als eines der wesentlichen Paradigmen im Werk der
in Berlin lehrenden Bildhauerin. Die „solipsistische Selbstbezüglichkeit" führt auf jenes Unfaßbare,
das ironisch in den seitlichen Rückspiegeln in fiktiver Authentizität gebrochen erscheint. Der Spiegel
dient der Selbst- wie der Rückversicherung für eine Bewegung, die in ein Nirgendwo führt. „Die
Omnibusrückspiegel in MANPOWER, silent, zeigen nichts von der Welt, sondern allein den Reigen
der selbstvergessenen Bewegungen der Objekte, die sich in ihren Spiegeln spiegeln" (Stephan
Berg).
Möbus führt Automobilität an sich vor, also Maschinen, die einerseits auf das menschlich Machbare
verweisen und andererseits eine Entwicklung andeuten, an deren Ende sich die Maschinen über das
menschlich Benutzbare und Angemessene hinaus entwickelt, sich verselbständigt haben. Insofern
geht es um die Möglichkeiten und Grenzen der nicht nur automobilen Freiheit, um die ganz große
Fahrt in ein diesseitiges, innerweltliches Nirgendwo. Diese automobilen Einheiten brauchen keine
menschlichen Benutzer mehr. DT
Eckhard Schneider: Christiane Möbus – laute und leise Stücke. Kat. Hannover 1997
Oskar Nerlinger
Mit dem Album „8 Autobilder" (1927) entwirft der Maler, Zeichner und Graphiker Oskar Nerlinger
(geboren 1893 in Schwann/Württemberg, gestorben 1969 in Ost-Berlin) die Vision der
Raumeroberung durch die Maschine und durch das Auto. Im fortschrittlich und links orientierten
Kreis um Herwarth Walden und seine Berliner Galerie „Der Sturm" fühlt sich Nerlinger der Fraktion
der Konstruktivisten seit Beginn der zwanziger Jahre verbunden. 1926 ist der Mitinitiator der Gruppe
„Die Abstrakten". Der antiindividualistischen Kunstauffassung des Konstruktivismus, dem
künstlerischen Klima von El Lissitzkys Proun-Bildern, den Maßgaben der „Neuen Typographie" von
Laszlo Moholy Nagy und Herbert Bayer, aber auch den dadaistischen Zersplitterungen der
Wahrnehmungswelt antwortet bei Nerlinger eine teils abstrakt, teils gegenständlich deutbare
Klarheit. Einfachheit des Bildaufbaus und stringente Sachlichkeit machen sich zum – gleichwohl
suggestiven – Ausdruck der im Aufbruch begriffenen neuen Zeit und erscheinen ihrem auf
Objektivität gründenden wissenschaftlich-technischen Lebensentwurf angemessen. Die Collagen
bauen – darin charakteristisch für die zwanziger Jahre – auf die enge Verbindung von künstlerischer
Wahrheit und Objektivität auf. Grundformen wie Kreis, Rechteck, Dreieck und Trapez in den Farben
Rot und Blau werden mit Fotografien und Zeitungsausschnitten, die farblich durch ihre reine
Materialität wirken, in einen dynamischen Kontext gestellt. „Die Erfahrung lehrt, daß die sachliche
Darstellung die am meisten überzeugendste ist. Auch der Laie weiß, wie sehr eine zeichnerische
Wiedergabe gefärbt sein kann und wie gering die Möglichkeiten der Unwahrheit der Fotografie ist"
(Oskar Nerlinger). In diesem Album wird das Auto, respektive der Rennwagen, im Kontext der
Welteroberung gesehen. Wie ein Komet aus der Unendlichkeit fliegt er über Hochhäuser in New
York, Sanddünen in Afrika, schneebedeckte Berge, Großbaustellen, Sportwettbewerbe,
Menschenmassen dahin. Er suggeriert Geschwindigkeit, Dynamik, erotische Momente, aber auch
Unnahbarkeit vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der optimistisch gestimmten Vision einer
technologischen Weltbeherrschung und steht im Gegensatz zum rituellen Leben tradierter
Gesellschaftsformen. Getragen von der Utopie der Machbarkeit entstehen Bilder einer aus den
zentralperspektivischen, dreidimensionalen Fugen geratenen Welt und des einsamen Menschen in
seinem rasenden bzw. fliegenden Körperpanzer, der sich über alles Irdische, Massenhafte,
Althergebrachte erhebt, und letztlich erdenfern von allem Momentanen seiner eigenen Vision lebt,
die durch die kontrollier- und beherrschbare Maschine ermöglicht wird. DT
Heidrun Schröder-Kehler: Oskar Nerlinger 1893–1969. Kat. Pforzheim 1993
Dennis Oppenheim
Dennis Oppenheim (geboren 1938 in Electric City, Washington) hat in seinem
umfangreichen und in seiner Erscheinungsweise höchst diskrepanten Werk immer wieder
die Frage nach der Weltwahrnehmung des Menschen gestellt. In seinen frühen Land-Artund Body-Art-Projekten experimentierte er mit Überschneidungen innerer und äußerer
Systeme. Seine Marionetten und Puppen, die als Substitute der Person des Künstlers
agieren, wurden durch die gigantischen, stets die Gefahr als produktiven Aspekt
miteinbeziehenden „Machine Works“ und temporären „Factories and Fireworks“ abgelöst.
Hier wie auch in den großen architekturbezogenen Installationen der vergangenen Jahre
wird deutlich, daß die zahlreichen, häufig absurden Maschinen und mechanischen
Konstruktionen nie für eine technokratische Haltung stehen, sondern gedankliche
Weltentwürfe und das Verhältnis zwischen dem Menschen und der von ihm geschaffenen
Welt hinterfragen.
Das Ende der achziger Jahre erlebt Oppenheim als Krise. Auf die raumgreifenden
Außenarbeiten wie die eklektizistische „Impersonation Station“(1988) folgen überraschend
klein dimensionierte plastische Objekte. Oppenheim erzählt, er habe in dieser Zeit nach
„physiologischen Bildern“ gesucht, die sich als Metaphern für die als Zeitphänomen
erfahrene Verunsicherung eigneten. Er findet sie in Tierkörpern, die in den „New Sculptures“
mal bedroht, mal bedrohlich, häufig aber auch zitathaft, ironisch gebrochen, etwa auf
Wortspiele und sprichwörtliche Redensarten bezug nehmend auftreten und in Kombination
mit Verweisen auf die zur zweiten Natur gewordene Technik stellvertretend für die
Erdenbewohner schlechthin erscheinen. „Second Generation Image Zebra“ verbindet alle
diese Aspekte und Ambivalenzen: Als augenfällige Hohlform ist es ein in mehrfacher
Hinsicht „falsches“ Trojanisches Pferd, aus dessen Innerem ein Spielzeugauto wie aus
einem Tunnel herausfährt. Trotz der Umkehrung der Größenverhältnisse wirkt die sich hier
vollziehende feindliche Übernahme virulent, da sich die Grenzen zwischen lebendigem Leib
und toter Maschine aufzulösen scheinen. Erinnert das Auto durch den dicken roten LatexÜberzug an eine Zunge, die als Irrtum einer genetischen Manipulation nun an der falschen
Stelle aus dem Körper ragt, so ist das Zebra eine tote Hülle. Die Augen und Nüstern sind
geschlossen und die ornamentalen Streifen, die den Körper überziehen, erweisen sich als
Reifenspuren. Vom doppeldeutigen Wort Zebrastreifen ist es nicht weit zu Bremsspuren. Ein
zynisches Zitat der Tyre-prints von Robert Rauschenberg? Interpretationsmöglichkeiten
bieten sich viele, allen gemeinsam ist die Verbindung zum Auto, diesem hier so harmlos
erscheinenden Spielzeug, das doch bereits überall seine Spuren hinterlassen hat.
MB
Dennis Oppenheim: And the Mind Grew Fingers. Selected Works 1976–90. The Institute for
Contemporary Art, P.S.1 Museum, New York 1992
Blinky Palermo
Es gibt nur sehr wenige Arbeiten im Werk von Blinky Palermo, die einen eindeutigen
Gegenstandsbezug aufweisen. Spätestens seit seinem Eintritt in die Klasse von Joseph
Beuys an der Düsseldorfer Akademie 1964 arbeitet er an gegenstandslosen Konzeptionen,
konzentriert sich auf einfache Formen und Farbanordnungen. Die formale Neuorientierung
wird begleitet durch die Wahl eines neuen Namens: Peter Heisterkamp (geboren 1943 in
Leipzig, gestorben 1977 auf den Malediven) nennt sich von nun an Blinky Palermo. So
streng seine in den folgenden 13 Jahren entstehenden Objektbilder und Bildobjekte, seine
Stoffbilder und Wandmalereien zunächst erscheinen, so sind sie doch nie Illustrationen
einer Theorie, sondern verdanken ihre kraftvolle Intensität dem Zusammentreffen des
Wirklichen (sei es ein Fundstück oder der Verweis auf erlebtes Leben) mit dem konzeptuell
Gesetzten. Eindrücklichstes Beispiel für diese Ambivalenz, die der formalen Klarheit jegliche
Dogmatik nimmt, ist das Gemälde „Flipper“, dessen Farbgeometrie der Seitenbemalung
eines Spielautomaten folgt und so die triviale Bilderwelt des Alltags mit der Erhabenheit der
Gegenstandslosigkeit verbindet. Der Siebdruck „Auto“ gibt als Farbform scheinbar die
groben Umrisse eines Autos in Seitenansicht – allerdings ohne Räder – erkennbar wieder.
Die in zwei Brauntönen serigraphierte, nahezu opake Form steht leicht schräg im Bild und
unterscheidet sich im Malduktus deutlich von der sich auf der rechten Bildseite expressivmalerisch ausbreitenden türkis-blauen Pinselschrift. Etwas geschieht zwischen den zwei
konträr aufgefaßten Bildbereichen, ein Zusammenstoß? Schwarze Kleksformen scheinen
hinter dem Auto aufzusteigen. Verschließt sich der Siebdruck einer eindeutigen Lesart
ebenso wie einer Vergleichbarkeit mit anderen Bildtypen im Werk Palermos, so handelt es
sich bei dem aufcollagierten Oval, das die Kontur des Autos fast zu sprengen scheint und
zugleich als Fläche definiert bleibt, um eines der immer wiederkehrenden Bildzeichen
Palermos. Bereits 1966 entsteht die „Graue Scheibe“ als Wandobjekt, deren ovale Form
1970 in einem der frühesten druckgraphischen Werke Palermos aufgegriffen und mit dem
schwarzen Quadrat, dem grünen und dem blauen Dreieck zu den „4 Prototypen“ in einer
Mappe zusammengefaßt wird. Als freie, sich in ihrer leichten Unregelmäßigkeit gegen eine
Geometrisierung behauptende und dadurch lebendige Form steht das Oval auch im „Auto“.
Als Form an sich behauptet es sich gegen das scheinbar als konkreter Verweis
erscheinende Auto und stellt es damit zugleich in Frage. Wie sicher wären wir, daß es sich
bei der braunen Form um ein Auto handelt, wenn nicht der Titel uns diese Denkrichtung
vorgäbe?
MB
Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst: Blinky Palermo. Kat. Leipzig 1993
Francis Picabia
„Die Vernunft läßt uns die Dinge sehen in einem Licht, wie sie nicht wirklich sind. Und
schließlich: Wie sind sie wirklich?" So kennzeichnet Francis Picabia (geboren 1879 in Paris,
1953 dort gestorben) die produktive Skepsis, mit er die internationale Avantgarde der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts rezipierte und irritierte. Picabia, Maler und Schriftsteller, war
theoretischer Geist und erfindungsreicher Bildproduzent, aktiver und abtrünniger Dadaist,
Provokateur und reicher Bonvivant mit männlicher Lust an schnellen Autos. Dank
finanzieller Unabhängigkeit besaß er eine Sammlung verschiedener Sportwagen und
Limousinen, die er – in seinen eigenen Worten – um die Sammlung schöner Frauen
ergänzte. Sein Werk ist geprägt von stilistischer Willkür, Gemälden in den
unterschiedlichsten Stilhaltungen vom Pointilismus über Prä-Pop bis zu Prä-Minimalismus
und Kinokitsch. Reproduktionen nach eigenen Werken lassen sich als Retroästhetik oder
als selbstbezügliche Appropriation qualifizieren, als dies noch nicht Mode war. In den
Jahren von Dada in Zürich, Köln, Berlin, Paris und New York entstehen „Mechanomorphien"
im Zwischenreich der erotisch-mechanischen Maschinenphantasien. In einem Raumkasten
erscheint eine fiktive Konstruktion, die aus Teilen eines Autos entwickelt sein könnte. Die
Maschine wird zur Metapher erotischer Assoziationen, das Umeinanderkreisen, das Einund Durchdringen großer und kleiner Röhren, das Energie freisetzende Stampfen von
Zylinder und Pleuelstange inszenieren die „Parade der Liebe" (1917). Picabia antwortet so
auch auf die Technikeuphorie der italienischen Futuristen. Die Bilderwelt der Nicht-Kunst
wird für den anarchischen Surrealisten früh zur Quelle für bildnerische Reflexion. So
wandelt sich die technische Zeichnung einer Zündkerze zum „Portrait of an American Girl in
the State of Nudity" (1915), ein ironischer Kommentar zur zündenden Wirkung der Technik
auf die Männerwelt. Das erotische Moment, das Menschen innerlich bewegt und motiviert,
verlagert sich in ein Maschinenteil. Die Zündkerze, die das Benzin-Luftgemisch zur
Explosion bringt, das Motor und Wagen antreibt, ist (gegenläufig zum Titel) auch ein
phallisches Symbol der neuen Zeit, in der die Wirtschaft belebt, die Welt gestaltet und
soziales Prestige begründet wird. Die Männerphantasie maschinenanaloger Weltaneignung
verleugnet Picabia mit seiner Faszination für schnelle Autos keineswegs, unterfüttert sie
allerdings mit einem ambivalenten Wortspiel. Der auf Wertarbeit verweisende Schriftzug
„For Ever" auf der Zündkerze spielt auf den Wunsch nach erotischer Dauer an, ohne sich
über die desillusionierende Mechanisierung menschlicher Sexualität zu täuschen.
DT
William A. Camfield: Francis Picabia. His art, life and times. Princeton 1979
Richard Prince
Ende der siebziger Jahre ist der in New York lebende Richard Prince (geboren 1949 in der
Panama-Kanal-Zone) dazu übergegangen, bestehende Fotografien nochmals fotografisch zu
reproduzieren. Er fotografiert Anzeigen von Motorrädern und aus Fachzeitschriften, Fotos aus der
Szene der Rocker und ihrer freizügig posierenden „Girlfriends“. Aus den Massenmedien entnimmt
er Bilder von heroischen Marlboro-Männern einerseits, von den Hippie-Erben der Cowboys
andererseits, den ungezügelten Easy Ridern, die mit ihren schweren Maschinen die Straßen
beherrschen. Auf den Highways kehren amerikanische Mythen wieder. Das Pferd wurde gegen
das Automobil ausgetauscht, die Maschine behielt jedoch animalische Züge.
Die von Prince veranschaulichte Analogie zum Hai hat Tradition: Bereits in Marinettis „Manifest
des Futurismus“ von 1909 ist von Autos als „Bestien“ die Rede. In den „Abflußgraben einer
Fabrik“ geschleudert, bergen „Fischer und (...) Naturforscher“ den Wagen „wie einen großen
gestrandeten Haifisch“. Der automobilen Raserei entspricht dabei der futuristische Bildersturm
gegen die statischen Kunsttraditionen. Die Mobilie Auto wurde gegen die Immobilie des Museums
als Friedhof der Kunst in Stellung gebracht. Stand die dynamische, zerstörerische Maschine dort
als Zeichen des ästhetischen Aus- und Aufbruchs, so signalisiert sie bei Prince die Freiheit an den
sozialen Rändern und verweist zugleich auf das Aggressionspotential, das sich unter der
Herrschaft repressiver Wohlanständigkeit der Mittelklasse anstaut.
Teil 1 von „Creative Evolution“ (1985) zeigt, wie riesige Monster-Trucks kleinere (Schrott–)Autos
überrollen. Teil 2 suggeriert den monströsen Aspekt des Autos im Allgemeinen. Offensichtlich sind
dem Auto nicht nur heimtierähnliche Eigenschaften zugewachsen, es trägt auch die Symbolik von
Jagd und Kampf, die sich in der Benennung von Automobilen – etwa als Jaguar oder Thunderbird
– wie auch im Design niederschlägt. Wie rohe Muskelprotzerei und Dominanzgebärde wirken die
übergroßen ‚Monster-Reifen‘. Aber auch bei PKW-Karosserien sind die zähnefletschenden
Physiognomien der Kühlergrills in verdeckter Form als Drohgebärden zu verstehen.
Vermeintliche, durch diese Symbolik noch verschärfte Aggressionen durch zu nahes Auffahren
oder (Licht-)Hupen lösen selbst beim sanftmütigsten Autofahrer eine Art defensiver Urreaktionen
aus. Wir entdecken uns dabei, im Auto aggressiver zu sein als in anderen Alltagssituationen. Bei
Verstößen gegen die territoriale Integrität, die wir von unserem Körper auf unser Auto und dessen
Umfeld ausdehnen, regt sich das Tier in uns, das sein Revier verteidigt. Prince hält uns den
Spiegel vor. FE
Richard Prince: Photographien/Photographs 1977–1983. Hannover 1994
Jason Rhoades
Im Fußraum vor dem Beifahrersitz des Chevrolet Impala sind nicht Pappbecher und andere
Verpackungen von Fastfood zu sehen, sondern eine Installation von Paul McCarthy. So erklärt der
Fahrer, Jason Rhoades (geboren 1965), den Einbau seines Künstlerkollegen und früheren Lehrers
an der UCLA in Los Angeles. Die Limousine wird zum Ausstellungsraum. Als alltagspraktische und
als Ideen-Vehikel sind Automobile für Rhoades kraftvolle Beschleuniger, etwa wenn sich sein Atelier
um einen regelmäßig (natürlich mit dem Auto) aufgesuchten Autofriedhof erweitert oder wenn der
„Impala“ zwei Ausstellungshäuser in Zürich und Nürnberg im realen Pendelverkehr oder als
bedachtsam positionierte Parkplatzskulptur aufeinander bezieht.
Die Anregung, überhaupt Außenskulpturen aufzustellen, geht auf Rhoades´ Beobachtung
des Markterfolges des Pontiac Fiero in den USA zurück. Vor allem durch sein Design
bediente der zweisitzige Sportwagen Ende der achziger Jahre amerikanische
Klischeevorstellungen von europäischer Hochwertigkeit, ohne tatsächlich pannensicher zu
sein. Das machte den Fiero zu einer häufigen, oft sehr langfristig installierten
„Außenskulptur" (Rhoades) vor amerikanischen Eigenheimen und regte den Künstler zu
seinem „Monaco Fiero“ (1994) an.
Aus der Welt vorstädtischer Autofreunde stammt auch der Ausdruck „cherry" (etwa:
aufgemotzt) im Titel von „Cherry Makita" (1993). Als Mischung von Atelier und Autowerkstatt
verknüpft die Installation die Rollen von Hobbymechaniker, Künstler und (fiktivem) ExRennfahrer und zeigt in ihrem Zentrum einen Chevroletmotor, der mit seiner vollen Kraft an
einen Heimwerkerbohrer („Makita") angeschlossen ist. Der groteske Kraftüberschuß steht
zum einen für phallische Energie, die Rhoades immer wieder als ebenso kruden wie
grundsätzlichen Antrieb künstlerischer Arbeit vorführt. Zugleich steht die Übermotorisierung
für den explosionsartigen Entwicklungsprozeß der Moderne, dem laut Rhoades alle
Bremsen abhanden gekommen sind.
Häufig verbindet der Künstler in seinen Arbeiten Elemente von Willkür und Aggressivität mit fein
abgestimmten Verweisstrukturen und einem geradezu ethnologischen Sensorium für Alltagsmythen
der automobilen Konsumgesellschaft. Wie viele andere Arbeiten Rhoades´ ist „Fucking Picabia Cars
/ Picabia Car with Ejection Seat" (1997/2000) eine Weiterentwicklung aus vorherigen
Installationszusammenhängen, in diesem Fall „The Intersection of the Autopursuits" (1997, Biennale
Venedig). Die Autosilhouette ist nun kopfüber eingespannt in ein Gestänge, das seinen Gegenstand
einerseits analytisch-investigativ zu präsentieren scheint und ihn andererseits mit groteskem Pathos
himmelwärts dynamisiert. Der rote „Ejection seat“, eigentlich Ausstattung eines Düsenjets, gleicht
den automobilen Geschwindigkeitsrausch männlicher Sexualität an. Wie ein Same kann der Fahrer
auf dem Höhepunkt einer wilden Tour aus dem Autokörper herausgeschleudert werden.
MW
Eva Meyer-Hermann: Volume A Rhoades Referenz. Kat. Kunsthalle Nürnberg, Köln 1998
Gerhard Richter
Als Gerhard Richter (geboren 1932 in Waltersdorf, Oberlausitz) Anfang der sechziger Jahre begann,
nach meist schwarzweißen Vorlagen aus Prospekten, Zeitungen oder dem Fotoalbum zu malen,
waren seine Bildsujets von herausfordernder Trivialität: unspektakuläre Tier-Darstellungen und
Familienporträts, Einrichtungsgegenstände, touristische Sehenswürdigkeiten, Flugzeuge und Autos.
Es war „eine Art Flucht“ ins Banale (Richter, 1970), eine Variante der Pop Art, die weniger auf die
kommerziellen Massenbilder der Werbung und Unterhaltung als auf die Welt des Kleinbürgerlichen
abzielte. Angesichts der Seltenheit italienischer Marken, auf die sich Richter in seinen Auto-Bildern
offensichtlich konzentrierte, waren ein „Ferrari“ (1962), ein „Alfa Romeo“ (1965, nach einem
Zeitschriftenausschnitt) oder eben „Zwei Fiat“ (1965) sicher einen Schnappschuss wert, wenn man
ihnen auf der Straße begegnete.
Vom konkreten Gegenstand der mutmaßlichen Vorlage (eines Urlaubs- oder Pressefotos) löst
Richter seine Darstellung aber gezielt ab. Die bildnerische Organisation wird flächiger und diffuser.
Richter verunklärt die Konturen und verstärkt vorhandene Unschärfen durch Verwischungen. Dem
Abbild wird so auf Kosten seiner Deutlichkeit eine anderes „Bild“ abgewonnen, das zwar mit seiner
Fotoähnlichkeit die Objektivität der Fotografie anstrebt, zugleich aber die Eigengesetzlichkeit der
Malerei betont. Er habe das Foto „nicht als Mittel für eine Malerei [benutzen], sondern die Malerei als
Mittel für das ‚Foto‘ verwenden“ wollen, sagt Richter 1972 im Rückblick.
Richters Foto-Gemälde desillusionieren, sie betonen den Scheincharakter der Gegenwart des Bildes
in der Malerei und hinterfragen zugleich die Zurechnungsfähigkeit der realen Fotografie. Nur sehr
bedingt gelingt es dem Fotografen – zumal dem Amateur – Bewegung wiederzugeben. Indirekt
verweist dies auf die relative Langsamkeit der menschlichen Wahrnehmung. „Zwei Fiat“ huschen
vorbei und lösen sich vor unseren Augen wie vor der Kameralinse förmlich auf. Man ist erinnert an
die frühen sachfotografischen Experimente Anton Stankowskis zur Visualisierung von
Geschwindigkeit. Die irritierende Verfremdung des Gegenstands in Richters „Foto-Malerei“ (Klaus
Honnef) reflektiert, wie sehr Auto und Fotoapparat als die beiden zentralen raumüberwindenden
Maschinen des 20. Jahrhunderts unsere Sichtweise der Welt geformt haben.
FE
Gerhard Richter. Kat. 36. Biennale in Venedig, Essen 1972
Gerhard Richter. Bilder 1962–1985. Köln 1986
James Rosenquist
Ein Stückchen Wiese im späten Frühjahr vielleicht, Gras in lichtem Grün, vereinzelt mit Gelb
durchsetzt, eine lockere Struktur von Kreidestrichen, ohne festen Grund, darüber in Grautönen
ein spiralförmig verdrehter, geplatzter Autoreifen. Nicht abgefahrenes Profil ist der Grund für die
Zerstörung. Der ausfransende Rand suggeriert eine über die physischen Grenzen
hinausgehende Belastung, eine unkontrollierte Explosion, vielleicht das Scheitern eines
Lebensplans durch einen Unfall. James Rosenquist (geboren 1933 in Grand Forks, North Dakota)
ist gelernter Werbegraphiker und Reklamemaler und einer der führenden Protagonisten der
amerikanischen Pop Art. Werbung, die kollektiven Mythen der Warenwelt, die Suggestion eines
Paradieses auf Erden ohne Verfall und Tod sind sein Bildmaterial, mit dem er durch bloßes Zitat
und präzise Kombinatorik gesellschaftlich relevante und unbewußt wirksame Realien des
menschlichen Bewußtseins und Abgründe einer industrialisierten Lebenswelt aufdeckt. Seit
Beginn der sechziger Jahre hat er der gegenständlichen Malerei in seinen zumeist
großformatigen Gemälden eine neue Dimension eröffnet. „In meinen Bildern müssen die Dinge
lebens- und überlebensgroß sein. Ich glaube, dass es möglich ist, einem etwas so nahe zu
bringen, daß man hindurchsehen kann. Ich liebe, die Dinge in unerwartete Nähe zu bringen... und
zu sagen: Na, wie gefällt es Dir?" (James Rosenquist 1972). Dies gilt auch für das großformatige
Pastell „Blow Out“ (1970), das ein alltägliches Motiv monumentalisiert zeigt. Hier scheint das
Unvorhersehbare auf, jenseits von hochglanzpolierten Karosserien mit aufsehenerregenden
Chromleisten, prestigeträchtigen Ledersitzen und PS-Zahlen, Geschwindigkeitsrausch und Traum
der Selbstverwirklichung. Hat sich hier menschliches Schicksal, Planen, Lebenskampf,
Lebenslust und Lebensglück, entschieden an einem von vier nur wenig mehr als
postkartengroßen Gummistücken, die den Kontakt zur Erde bilden? Der nicht nur „American
Dream" grenzenloser Raumeroberung scheint an sein unerwartetes Ende gekommen zu sein:
„Blow out" heißt Reifenpanne, aber auch „Licht ausblasen, auslöschen, sich eine Kugel durch den
Kopf jagen, zertrümmern." Der Reifen liegt auf einer Wiese, körperhaft und zugleich eine Spirale,
wie eine in sich verdrehte Straße, entfernt auch an die Doppelhelix einer menschlichen DNS
erinnernd, ein Lebensweg von irgendwoher, der immer ein Ende hat. Rosenquists Zeichnung gibt
sich so banal und abgründig wie ein dummerweise geplatzter Reifen. DT
Evelyn Weiss: James Rosenquist. Kat. Museum Ludwig Köln 1972
Edward Rusha
Als Edward Rusha (geboren in Omaha, Nebraska) 1963 sein später legendäres Fotobuch
„Twentysix Gasoline Stations“ veröffentlichte, teilte er mit der amerikanischen Pop Art jener
Jahre die scheinbar naive Hinwendung zu Alltag und Konsum, wodurch die hochmögenden
Abstrakten Expressionisten und Ideographen der fünfziger Jahre mit ihren erlesenen LateinKenntnissen plötzlich ins kunsthistorische Abseits gesetzt wurden. Wie andere damals
junge Künstler, etwa Rauschenberg und Johns, sah Rusha in malerischer Vergeistigung
und Überhöhung eine Sackgasse, nicht zu vergleichen mit der visuellen Reizdichte am
Straßenrand bei heruntergekurbeltem Wagenfenster. Die „Twentysix Gasoline Stations“
liegen an der berühmten Route 66, die Rusha als Student zwischen Los Angeles und dem
Heimatort seiner Jugend in Oklahoma häufig entlang fuhr. Eine ebenso berühmte Straße
stellte Rusha 1966 ebenso lapidar in seinem acht Meter langen, zickzack gefalteten Buch
„The Sunset Strip“ dar. Zu sehen sind die Gebäude am bekanntesten Straßenzug
Hollywoods, und zwar fortlaufend am oberen und kopfüber am unteren Rand einschließlich
eingedruckter Hausnummern. Mit Hilfe der seriell und wertungslos aneinandergereihten
Einzelfotos übersetzt die Arbeit eine langsame Autofahrt in ein Buch.
Rushas insgesamt 16 Fotobücher und seine großformatigen Leinwände mit isolierten
Wörtern wie „Flash, „ACE“ oder „Smash“ bestechen durch ihre Lakonie. Die Wörter
funktionieren nicht als philosophischer Resonanzraum (wie etwa die Bildtitel Barnett
Newmans), sondern sie scheinen Rusha buchstäblich während des Autofahrens zugefallen
zu sein. „Fisk“ oder „Electric“ prägen sich als Schlagworte großer Werbetafeln am Highway
sekundenkurz dem Blick des Vorbeifahrenden ein und dringen als kontextloser Splitter in die
automobil zerstreute Wahrnehmung ein, um dort beziehungslos, aber werbesprachlich grell
präsent zu bleiben: „Words without thoughts“ (Titel einer Installation in Miami 1985).
Wie Hannah Höch und Giacomo Balla zu ihrer Zeit zieht Rusha die Summe aus der
unausweichlichen Veränderung der menschlichen Wahrnehmung durch das allgegenwärtige
Automobil. In den sechziger Jahren ist der Kraftwagen, sind Ausfallstraßen und riesige
Parkplätze längst zur natürlichen Umwelt des weißen amerikanischen Wohlstandsbürgers
geworden, hat die urbane Automobilisierung die vormals übermächtige Natur Nordamerikas
bezwungen und zum eingezäunten Reservat gemacht, das mit dem Auto besichtigt werden
kann. Das Fotobuch „Thirtyfour Parking Lots in Los Angeles“ (1967) widmet sich der Realität
riesiger, ganze Landschaftszüge einnehmender Parkplätze und übertrifft – ein fast boshaft
ironischer Nebeneffekt – durch geschickte Wahl der Blickwinkel und Tageszeit mit seinen
Schwarzweißmustern manche malerische Bemühung des Abstrakten Expressionismus.
MW
Neal Benezra, Carry Brougher: Ed Rusha. Kat. Zürich Berlin New York 2000
Harry Sachs
Der in Berlin lebende Harry Sachs (geboren 1974 in Stuttgart) thematisiert in seinen
Performances und Videoarbeiten die durch das Auto veränderte Wahrnehmung der mit dem
Auto er-fahrenen Welt. Der Film „Opel – Zuverlässig in die Zukunft“ (2000) gleicht zunächst
in Teilen einem Werbespot. Er wird durch Slogans eingeleitet, bald aber bemerkt man, daß
die Wahl auch auf ein beliebiges anderes Modell hätte fallen können. Die vorangestellten
Botschaften – „Vielseitig im Straßenverkehr“ und „Sicher im Gelände“ – werden nicht mit
technischen Details belegt. Sie geben eher abstrakte Stichworte von idealer Funktionalität,
mit denen die Werbung auf kollektive Visionen antwortet. Solchen „Visionen vom perfekten
Auto“ nähert sich Sachs mit einer ungewöhnlichen Umrüstung seines Opels an.
Zunächst steigt der Künstler von oben in den mit Plastik ausgekleideten und gänzlich mit
Wasser angefüllten Wagen. Sobald die Luftversorgung über eine herkömmliche
Sauerstofflasche gewährleistet ist und der Wagen mit röhrendem Motor anfährt, kann sich
ein ganz neues Fahrgefühl einstellen. Wie in einer Blase, einem „rollenden Uterus“, als den
Peter Sloterdijk das Auto im allgemeinen charakterisiert hat, ist der Fahrer geborgen. In den
Innenraum dringen kaum Geräusche. Sachs gleitet wie in einem Aquarium durch den
Stadtraum. Im Wasser ist er beinahe schwerelos – man scheint durch die Landschaft zu
fliegen. Mit ihrer Taucherausrüstung erinnern Sachs und seine Beifahrer, die im zweiten Teil
des Videos für eine „Gelände“-Fahrt auf einem Sportplatz zusteigen, entfernt an die frühen
Weltraumfahrer, die Heroen des in den fünfziger Jahren eingeläuteten Jet-Zeitalters. Seither
ist das Auto, so Sachs, die „Rakete des kleinen Mannes“, der eigentlich auch gern Astronaut
sein möchte. Die dynamischen Heckflossen amerikanischer Straßenkreuzer gaben diesem
Traum Form.
Im Video ist allerdings die Innenperspektive dominant. Der surreale Charakter, den die
Außenwelt des automobilen Wasserbehälters annimmt, zeigt mittels Übertreibung, wie sehr
die raumdurchdringende Maschine unsere Wahrnehmung bereits verändert hat. Daß wir im
Laufe unseres automobilen Daseins oder auf Reisen „wachsen“ (auch über unser Auto
hinaus), suggeriert auf ironische Weise eine zweite Arbeit, die in Zusammenarbeit mit Franz
Höfner und Michael Böhler entstand. Während einer Performance im rumänischen Cluj
füllten Kompressoren allmählich aufblasbare Westen, welche die vier Insassen eines
„Skoda Elan“ (1998) tragen und sie förmlich aufquellen lassen. FE
Georg Scholz
Auf dem 30,5 x 49,3 cm großen Aquarell der frühen zwanziger Jahre zeigt sich eine urbane
Straßenszene. Während auf der rechten Bildseite ein feister, rosiger, in Anzug und Fliege
gepreßter Herr mit Monokel und Zigarre aus dem Fond eines offenen roten Automobils
glotzt, gehen links im Bild ein knochig magerer und gebückter Mann mit einem
zerschlissenen Jacket und ein ebenso armseliger Junge auf der Straße. Beide tragen die
„Badische Morgenpost“ unter dem Arm. Den Hintergrund bildet industrielle Architektur mit
Gastürmen und Schornsteinen. Auffallend ist die Bilddialektik, die Georg Scholz (1880–
1945) einsetzt: Dem dicken Reichen, dessen dralle Leibesfülle sich in den runden Formen
des luxuriösen Automobils wiederholt, steht die ausgemergelte Gestalt des Arbeiters
gegenüber. Das satte Rot der motorisierten Kutsche steht im Kontrast zum Grau der Straße,
das sich in Gesicht und Kleidung der beiden Figuren aus der Arbeiterschicht spiegelt.
Scholz zeichnet weniger eine realistische Momentaufnahme eines städtischen
Straßenbildes als ein mit Symbolen besetztes Gesellschaftsmodell. Während das Auto in
den Schriften der Futuristen als ästhetisches Beschleunigungsmotiv gefeiert wird und zur
Revolutionsmaschine mutiert, oder in den urbanen Zukunftsvisionen etwa eines Oskar
Nerlinger die Erscheinung der neuen Stadt prägt, deren konzentrierte Masse es logistisch
zu organisieren gilt, fungiert das Motiv des Autos bei den Malern der Neuen Sachlichkeit, zu
denen auch Georg Scholz zählt, als Herrschaftssymbol in statischer Form. Obwohl sich
nach dem Ersten Weltkrieg der Werterelativismus längst zur kulturellen Grundfolie
entwickelt hatte, vor der sich die bisherige Gesellschaftsordnung aufzulösen begann, und
internationale Kunstbewegungen wie die Futuristen und Dada den neuen Menschen und
damit auch die neue Gesellschaft ausriefen, behaupteten Künstler wie Scholz und Grosz in
ihren Bildern weiter eine statische Klassengesellschaft – wenn auch in zugespitzter und
pervertierter Form: Unternehmer, Arbeiter, Intellektueller, Soldat, Prostituierte. Wie bei
Grosz haben auch die Typisierungen von Scholz den karikaturhaften Charakter der
politischen Zeichnung. Das Auto interessiert nicht an sich in seiner eigenen Ästhetik,
sondern hat lediglich Zeichenqualität. Mit „Zeitungsträger“ (1920/21) positioniert sich Scholz
zwischen der politischen Persiflage des Dada und dem sozialen Realismus der Malerei der
Neuen Sachlichkeit. Arbeiter und Industrieller bewegen sich in entgegengesetzte
Richtungen, das Automobil als Machtsymbol aber scheint für den Transfer auf die
offensichtlich erfolgreichere Seite zu garantieren.
D.E.
Georg Scholz: Malerei, Zeichnung, Druckgrafik. Kat. Stadt Waldkirch, 1990
Dirk Skreber
Lang, sehr lang dehnt sich die Haube des amerikanischen Straßenkreuzers aus der Tiefe
des Bildraums dem Betrachterblick entgegen und läßt den Vordergrund der Bildbühne
unbetretbar erscheinen. Nur der Blick darf in diesen Showroom hinein. Betreten nicht
erwünscht, außer, du bist wirklich cool, mindestens so cool wie der Schlitten hier!
Autokarosserien können vorsprachlich und doch sehr wirksam Imponiersignale aussenden,
wie sie Dirk Skreber (geboren 1961 in Lübeck) in seinem Ölbild von 1987 festhält. Ein wenig
allerdings sabotieren das Altmeisterliche von Maltechnik und Farbgebung sowie die liebevoll
ausgepinselten Ornamente auf Boden, Gardine und Säule den unterkühlten Auftritt. Auch
daß sich das Automobil in der Bildkomposition noch unter die Trennlinie von Boden und
Vorhang duckt, läßt es fast wie eine platte Flunder auf dem Boden eines trüben Aquariums
erscheinen.
Nichts ruiniert Effekt heischende Auftritte nachhaltiger als verrutsche Details und kleine
Lächerlichkeiten. Die allerdings nimmt Skreber bewußt in Kauf, wenn der Malprozeß sie mit
sich bringt, oder baut sie, wo nötig, ein – denn: Nichts ist, wie es scheint. Sanft und ein
bißchen schräg geht bei Skreber diese Desillusion aus dem Illusionismus von Bildtiefe und
Gegenständlichkeit hervor.
Auch in dem extravaganten Aufblick (1990) auf sechs amerikanische Gasoline Guzzlers,
übermotorisierte Schaukelschiffe der Landstraße, verschließt sich Skrebers Manierismus
nicht zum Selbstzweck, sondern ist innerbildliche Infragestellung eingewöhnter
Seherwartungen. In welchen Raum blicken wir eigentlich? Auf den Parkplatz vor einem
Hochhaus in Houston oder Alabama? Dafür wirkt das Bildlicht zu künstlich. Sehen wir von
einem Studiogerüst auf ein Filmset hinunter? Oder zeigt der Bildausschnitt ein aufwendig
hingebasteltes Detail aus einer Spielzeugeisenbahnlandschaft?
In einem fast quadratischen Bild von 1988 fahren ein gelbes und ein blaues Auto im Kreis,
geführt von zeigerartigen Armen wie auf einer überdimensionalen Uhr. Auf der Kreisbahn
mit weißer Straßenmittemarkierung fährt das eine Auto auf der Innen-, das andere auf der
Außenbahn. Besteht das Gestänge, das beide Autos mit dem Mittelpunkt verbindet, aus
zwei gegeneinander beweglichen Armen oder ist es eine durchgehende Stange? Was soll
die Anordnung? Ein Abnutzungstest für Autoreifen von 1961? Eine Souveniruhr für
Autofreaks vom Hockenheimring? Ein sekundenkurzer Bildgedanke, wie er einem im
Halbschlaf durch den Kopf schießt?
Skrebers desillusionierter Manierismus, das Ineinander von schnoddrig stehen gelassenen
Verzerrungen und melancholisch entrücktem Bildlicht, ermöglicht ihm eine suggestive
Sentimentalität ohne Kitsch. Als Erwachsene bestaunen wir Automobile durch Kinderaugen,
also auf eine für immer verlorene Weise.
MW
Skreber. Kat. Kunstraum München e.V., Kunsthalle Rostock. München 1992
Anton Stankowski
Während seines Studiums an der Folkwangschule in Essen 1926–1929 hat sich der in Stuttgart tätige
Grafiker, Fotograf und Maler Anton Stankowski (geboren 1906 in Gelsenkirchen, gestorben 1998) mit
den Regeln einer „Neuen Fotografie“ vertraut gemacht, wie sie der Bauhaus-Lehrer Laszlo MoholyNagy theoretisch propagierte. Nach den Prinzipien dieses „Neuen Sehens“ rückte er die
gestalterischen Möglichkeiten der Fotografie, ihre Mittel und Wirkungen in den Vordergrund.
Überzeugt von der Eigengesetzlichkeit des fotografischen Mediums legte er den Schwerpunkt seiner
Arbeiten auf die Erfassung optischer Phänomene.
Zentral für Stankowskis Sachfotografie ist die Suche nach dem richtigen Belichtungsmoment, um das
Flüchtige festzuhalten. Gleicht die Bezeichnung eines früheren Fotos als „Zeitprotokoll mit Auto“
(1929) den abstrakten Titeln Giacomo Ballas, so ist bei einer Fotografie von 1930 unter Betonung der
Kameramechanik auch die Belichtungszeit mathematisch präzise angegeben und ins Verhältnis zur
Geschwindigkeit des fahrenden Autos gebracht: „1/100 sec. bei 70 km/h“. Der Titel weist das Foto als
Experiment aus. Unter den genannten Wahrnehmungsbedingungen verwandeln sich die Bäume am
Rand einer Straßenflucht zu amorphen Mauern und vermitteln ein Gefühl von
Geschwindigkeitsrausch. Aus der spektakulären Perspektive wird die Landschaft für den Autofahrer
respektive den beifahrenden Fotografen zum Film. Die Unschärfe, die zu eliminieren eine der großen
Herausforderungen der frühen Fotografie war, ist nun als bewußtes Gestaltungselement eingesetzt.
Die Verwischungen visualisieren Bewegung.
Beeinflußt vom „Futuristischen Fotodynamismus“ (Giulio Bragaglia) verbildlicht Stankowski jene
Dynamik der technisierten Lebenswelt, deren erstes Symbol den italienischen Futuristen das Auto
war. Ihrem Programm zufolge sollte die durch die Maschine ermöglichte, beschleunigte Bewegung
und die damit einhergehenden Veränderungen des menschlichen Wahrnehmungsapparates die
bestehende ästhetische Ordnung kippen. In F.T. Marinettis Hymne „An das Rennautomobil“ ( 1912)
ist der Traum vom rasenden, durch die Maschine geläuterten Körper mit dem Appell verknüpft, die
Fesseln der (Kunst-)Tradition zu sprengen:
„Die Bremsen los! Ihr könnt nicht? Brecht sie denn,
daß sich des Motors Schwung verhundertfacht!
Hurrah! Die niedre Erde fesselt mich nicht mehr.
Endlich befrei ich mich und fliege schon (...).“
FE
Stephan von Wiese (Hg.): Anton Stankowski. Das Gesamtwerk (...). Stuttgart 1983
Anton Stankowski: Fotografie. Kat. Staatsgalerie Stuttgart 1991
Heinrich Weid
Das Ornament verziert die Oberfläche, ist dekoratives Beiwerk, zählt zum Kunstgewerbe
und hat in anspruchvoller, sich selbst reflektierender, autonomer Kunst keinen legitimen
Platz. In der älteren Kunstgeschichtsschreibung wurde das Ornament vor allem solchen
Epochen zugeordnet, deren Zeitvorstellungen nicht ergebnisoffen und evolutionär, sondern
zirkulär geschlossen, eigentlich statisch sind: das Ornament als Form gewordene
Wiederholbarkeit, Ereignislosigkeit.
Heinrich Weid kommen solche Qualifizierungen gerade recht, um sich beherzt über sie
hinweg zu setzen. Zwar liegen ihm die historischen Ornamentformen – ob nun Knorpelwerk
oder Ohrmuschelstil – nicht als solche am Herzen. Aber daß Tapeten, Gußkeramik mit fein
strukturierter Oberfläche oder verzierte Pavillons im Park heute keine ernstzunehmenden
Themen der Kunst sein sollen, hindert den Künstler nicht daran, sich genau diesen
zuzuwenden und fast barocke Raumzusammenhänge zwischen Wandgestaltung und
Kleinskulptur herzustellen. Im maschinenkonformen Rapport des Tapetenmusters
erscheinen zwischen Autoreifen verkehrsschilderartige Männchen, funktionale Piktogramme
für „Mensch“, wie sie eigenartigerweise für das späte 20. Jahrhundert mit seinen normativen
Menschenrechten, ausdifferenzierten Lebensstilen und kundenbezogenen
Konsumangeboten typisch sind. In dreidimensionaler Form und zugleich aus der starren
Wiederholung des Tapetenmusters gelöst, variiert Weid das schematische Modul „Mensch“
in den Keramiken, die wandleuchterartig aus dem Tapetenmuster hervortreten. Die
Keramikgüsse, die der Künstler in einem aufwendigen, halbindustriellen Verfahren selbst
herstellt, wirken im ersten Augenblick als ironische Travestie eines Kerzenhalters. Auf den
zweiten Blick jedoch ergibt sich aus Weids Verwendung kunstgewerblicher Verfahren und
Stilelemente neuer Sinn. Das Ornamentale umspielt hier keinen anderen, „eigentlichen“
Inhalt mehr. Es zeigt sich selbst als genuin leere Form. Die Groteske der Renaissance
machte den menschlichen Körper zum ornamentalen Stückwerk, setzte Köpfe und
Oberkörper mit pflanzlichem oder abstraktem Rankwerk gleich. Diese beunruhigende, heute
unterschwellig brutal wirkende Verfügung über den Menschenkörper erfährt in Weids
keramischen Mischwesen eine absichtsvolle Variation. In manchen seiner Wandskulpturen
geraten menschlicher und maschinaler Körper ineinander, wird die Autokarosserie zur
Leibeshülle und umgekehrt. Aus der lakonischen Harmlosigkeit von Spielzeug (die
Grußformen der Reifenmuster sind von Spielzeugautos abgenommen) gehen wenig
harmlose Fragen hervor: Was bedeutet es in letzter Konsequenz, wenn Menschenleib und
Maschinenkorper immer enger miteinander identifiziert sind? Was bedeutet: „Ich bin mein
Auto“?
Weids Autozimmer, eine Mischung aus Environment und abgründig guter Stube, paßt in
seiner anachronistischen Statik eigenartig gut zum Dynamikthema „Autofahren“. Auch bei
Tempo 190 km/h sitzt der Fahrer still.
MW
Tom Wesselmann
Tom Wesselmann (geboren 1931 in Cincinatti) malt Standards des Konsums, die Erlösung
von und Freiheit in den alltäglichen Zwängen des kleinfamiliären Daseins versprechen.
Wesselmann stellt globale Selbstverständlichkeiten einer Welt dar, in der sich der Traum
vom angenehmen Leben für alle im Dasein verwirklicht, um mit Andy Warhol zu sprechen:
„Everybody wants to be alike.“ Das repräsentative Paar im repräsentativen Wagen vor
repräsentativer Bergkulisse mit repräsentativem See: Die Welt bietet sich als das dar, was
kollektive Hoffnungen der späten Industriegesellschaft in ihr sehen wollen. Der Herr von
Stand zog seit dem 18. Jahrhundert von England aus den Rhein hinunter, um auf dem Weg
nach Rom zum Studium der Antike die Alpen zu passieren. Der Ursprung des
internationalen Tourismus ist in diese Zeit der Aufklärung zu setzen, da das Reisen zum
Bildungsgut des Gentleman gehörte, auf der Suche nach dem Erhabenen in Natur und
Kunst. Europäische Traditionen sind für Wesselmann wesentlich: Der weibliche Akt,
Stilleben, Landschaftsmalerei, dies alles erscheint in bester Tafelbildtradition. „Landschaft
Nr. 4“ ist eine vollendete akademischen Komposition, nahezu wenigstens. Das Auto als
Repoussoir und Maßstab gesellschaftlichen Erfolgs der Protagonisten wird so zum
Identifikationsparameter für den Betrachter. Der blaugraue See suggeriert Tiefe und Weite,
die der Monumentalisierung des dahinterliegenden Berggipfels dient und damit zur
Überhöhung des Eindrucks einer die Seele weitenden Erhabenheit beiträgt. Doch ist alles
nur Fiktion, das Zusammenspiel der touristischen Versatzstücke ist als Collage entwickelt.
Es ist die Ästhetik einer Industrie, die unter den Auspizien der freien Marktwirtschaft auf die
Kollektivierung des Bewußtseins aus ist. Denn schon in den sechziger Jahren ist die Welt
mediatisiert, durch Fotografie und Printmedien, durch Fernsehen und allgegenwärtige
Reklame. Dadurch erst scheint sie wahr und nur so wahrnehmbar. Träume sind so
machbar, bezahlbar und mühelos alljährlich im Urlaub wiederholbar zu durchleben. Das
Paar reist, wohlanständig gekleidet, durch die Kulisse von Derivaten einer zum
Industrieprodukt herabgesunkenen Ästhetik, auf der (verzweifelten) Suche nach dem
individuellen Erlebnis in unberührter Natur, geschützt in der verglasten Beobachtungskabine
für nahezu jedermann. Das industrielle gefertigte Ziel ist erreicht, der Kreis hat sich
geschlossen, und (fast) alle sind dabei. Für die amerikanische Pop Art, zu der Tom
Wesselmann seit Beginn der sechziger Jahre gehört, war Vance Packards Buch „Die
geheimen Verführer“ (1958) eine Offenbarung, suggerierte doch die Konsumindustrie
grenzenlose Befriedigung aller Wünsche des Daseins, sofern sie industriellen Standards in
Produkten und Dienstleistungen entsprachen. Der „Point of Sale” wurde zum „Point of no
return”.
DT
Thomas Buchsteiner, Otto Letze: Tom Wesselmann 1959-1993. Kat. Tübingen 1994
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