Von der Logik zur Welt: Philosoph im weiten Sinn Willard Van Orman Quine ist am Weihnachtstag 2000 gestorben. Er hat die Philosophie des 20. Jahrhunderts maßgeblich mitgestaltet. VON DAGFINN FØLLESDALL Frühere Lexika stuften ihn bloß als Logiker ein – schon bald aber wurde der 1908 in Akron, Ohio geborene, in Harvard forschende und lehrende Willard Van Orman Quine als Philosoph im umfassenden Sinn anerkannt. Wohl wird sein Aufsatz „New Foundations for Mathematical Logic“ (1937) heute noch diskutiert. Doch schon 1934 wandte er sich ontologischen Fragen zu. Berühmt wurde sein Diktum „To be is to be the value of a variable“: Quine hatte stets einen Hang zum Spartanischen. So behandelte er die Frage, wie man die Ontologie möglichst minimal halten kann. Ein anderes Hauptthema Quines begann als Skeptizismus gegenüber Bedeutung und verwandten Begriffen wie Modalität. Dieser Skeptizismus führte zur Ablehnung früherer Ansichten über Kommunikation und die Beziehung der Sprache zur Welt. Ab 1943 richtete sich Quine gegen Modalbegriffe wie Notwendigkeit und Möglichkeit. In „Word and Object“ (1960) schrieb er, dass ein Quantifizieren in modale Kontexte zum „Kollaps“ von modalen Unterscheidungen führt. Quines Kritik an den Begriffen der logischen Notwendigkeit und Möglichkeit und an traditionellen Auffassungen von Bedeutung bleibt aktuell. Zwar stimmte er in seiner zentralen Idee – von der öffentlichen Natur der Sprache – mit den meisten anderen Philosophen überein; doch er verfolgte diese Idee hartnäckig bis zu Konsequenzen, die für viele nur mehr schwer zu akzeptieren sind. Eine davon ist die Unbestimmtheit der Übersetzung. Quine betonte stets, dass das, was wir wahrnehmen und wovon wir annehmen, dass es andere wahrnehmen, eine maßgebliche Rolle beim Spracherwerb und bei der Sprachbenützung spielt. Vom Reiz zur Wissenschaft Dies ist der entscheidende Punkt bei Quine: Semantik und Erkenntnistheorie sind eng miteinander verflochten. Seine Erkenntnistheorie ist naturalistisch: Als Teil der empirischen Psychologie zählt sie zu den Naturwissenschaften; dennoch soll gerade sie Aufschluss über deren Daten-Basis selbst geben. Ein Schlüsselproblem bei der Untersuchung von Bedeutung und Kommunikation ist, Einsicht in das zu gewinnen, was andere wahrnehmen, ohne ihnen unsere eigene Sicht der Welt und unsere eigene Ontologie zu unterstellen. In „Word and Object“ versuchte Quine, dieses Problem mit Hilfe der Begriffe von Reiz und Reaktion zu lösen. Bis zu seinem letzten Buch „From Stimulus to Science“ (1995) hat Quine immer wieder einen Weg gesucht, um erörtern zu können, was andere wahrnehmen, ohne die Fragen nach Bedeutung und Übersetzung schon beantwortet zu haben. An der Bewältigung dieser Aufgabe sind alle seine philosophischen Einsichten beteiligt: seine erkenntnistheoretischen und ontologischen Auffassungen, seine Ansichten über Kausalität, Zeit, Raum, Individuation. Quine hat einen neuen Weg gewiesen, diese ewigen Fragen zu untersuchen. Er hinterlässt einer neuen Generation von Philosophen eine verwandelte philosophische Landschaft, die es zu erforschen, zu erobern gilt. Prof. Dagfinn Føllesdal lehrt Philosophie an der Stanford University und der Universität Oslo. Aus: Die Presse, 5. Jänner 2001