einleitung

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EINLEITUNG
Die Kantische Philosophie mag ein Reich aufrichten was
für eines sie will, so wird sie doch, wenn sie nicht zu alten,
bekannten Lappereien herabsinken will, zugeben müssen,
daß unseren Vorstellungen etwas in der Welt korrespondiert.
Georg Christoph Lichtenberg: Sudelbücher (J 23).
Die vorliegende Untersuchung beschreibt die Entwicklung der interpretationalen
Erkenntnistheorie Davidsons in zwei Schritten. Zunächst wird die Rolle des Holismus in den Erkenntnis- und Bedeutungstheorien Willard Van Orman Quines und
Donald Davidsons verglichen. In diesem Schritt wird der interpretationalistische
Ansatz in direkter Auseinandersetzung mit Quines naturalistisch-behavioristischer Konzeption entwickelt. Im zweiten Schritt wird die enge Anbindung an
Quine aufgegeben und die interpretationale Erkenntnistheorie in die Fragestellungen der erkenntnistheoretischen Tradition eingebettet. Wir werden also zuerst die
interpretationale Erkenntnistheorie als Werkzeug konstruieren und dies Werkzeug
dann in der Anwendung erproben.
Das erste Kapitel stellt Quines Theorie der Beziehung wissenschaftlicher Theorien
zu empirischen Belegen, also die Rechtfertigung wissenschaftlicher Theorien, seine
These der Unbestimmtheit der Übersetzung als Beitrag zur Bedeutungstheorie
sowie sein Programm der naturalisierten Erkenntnistheorie vor. Es erweist sich,
daß neben dem Holismus der Naturalismus ein grundlegendes Element in Quines
Philosophie ist. Doch gerade die Verbindung der holistischen Aspekte mit den
naturalistischen Aspekten wirft Probleme auf, deren Überwindung innerhalb von
Quines eigenem philosophischen Ansatz nicht geleistet werden kann.
Im zweiten Kapitel wird Davidsons konsequent holistische Erkenntnistheorie als
Kritik an Quines Naturalismus entwickelt. In der Auseinandersetzung zwischen
Quine und Davidson erhärtet sich der Verdacht der Unvereinbarkeit von Quines
Naturalismus mit seinem Holismus.
Während Quine einen naturalistischen Rechtfertigungsbegriff vertritt, tritt
Davidson für eine holistische Theorie der Rechtfertigung ein. Seiner Auffassung
nach sind Sinnesreizungen nicht imstande, unsere Überzeugungen über die Welt
zu rechtfertigen. Eine Rechtfertigung unserer Überzeugungen finden wir lediglich
im Gesamtsystem unserer Überzeugungen. Eine entscheidende Grundlage für
diese These stellt Davidsons wahrheitskonditionale Semantik dar, die er allerdings
zu einer Theorie der Interpretation ausweiten muß.
Die wahrheitskonditionale Semantik wird in dieser Untersuchung als ein strukturalistischer Ansatz in der Bedeutungstheorie dargestellt. Mit Davidsons Inter-
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Einleitung
pretationstheorie wird eine Neubewertung der Unbestimmtheitsthese der Übersetzung bzw. Interpretation vorgenommen.
Die ersten beiden Kapitel beabsichtigen aber nicht, lediglich einen Disput zwischen zwei anglo-amerikanischen Philosophen zu dokumentieren. Ihre Motivation liegt darin, nach den Möglichkeiten und der Tragweite eines Holismus in
der Erkenntnistheorie zu fragen. Bevor wir bestimmen können, welche Rolle
eine holistische Erkenntnistheorie in der Philosophie oder für die Wissenschaften spielen kann, müssen wir nachweisen, daß ein holistisches Programm in der
Erkenntnistheorie überhaupt durchführbar ist.
Ich argumentiere dafür, daß eine bestimmte Form des konsequenten Holismus
geeignet sein kann, erkenntnistheoretische Fragen vor dem Hintergrund unserer interpretativen Praxis zu behandeln. Der von mir befürwortete Holismus ist
kein Kohärentismus, er ist vielmehr mit einem externalistischen Realismus in der
Erkenntnistheorie verbunden. Während Philosophen wie Hilary Putnam versuchen, durch einen internen Realismus metaphysische Fragen auszublenden, indem
sowohl Wahrheit als auch Wirklichkeit in Abhängigkeit von unserer Erkenntnisfähigkeit verstanden werden, scheint diese Möglichkeit für die hier vorgeschlagene Variante des externalistisch realistischen Holismus nicht zu bestehen: Wahrheit und Realität werden als objektiv und in gewisser Weise nicht-epistemisch
aufgefaßt. In der Abgrenzung gegen Quines Naturalismus wird deutlich, daß
das erkenntnistheoretische Unternehmen nicht zu einem integralen Bestandteil
der Naturwissenschaften werden kann. Die Fragen nach den Bedingungen von
Erkenntnis können nicht auf Fragen z. B. nach deren neurophysiologischer Basis
reduziert werden, sie stellen sich vielmehr als Fragen nach den Bedingungen unseres gegenseitigen Interpretierens. Hiermit ist der erste Schritt getan.
Das dritte Kapitel widmet sich dem Problem des Wissens bzw. den Problemen
mit dem Wissensbegriff. Ausgehend von der Definition des Wissens als wahre,
gerechtfertigte Meinung werden die Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten, die
insbesondere in begriffsanalytischen Ansätzen auftreten, als ein Grundproblem
eines bestimmten Typus von Erkenntnistheorie diagnostiziert. Im Versuch, notwendige und hinreichende Bedingungen für Wissen auszumachen, sehen die
begriffsanalytischen Ansätze systematisch von der Funktion des Wissens und
des Wissensbegriffs ab.
Edward Craigs pragmatischer Herangang an den Wissensbegriff versucht, diesen Mangel auszugleichen. Nach Craig basiert der Begriff des Wissens auf dem
des guten Informanten. Es gelingt Craig zwar aufzuweisen, wie wir aus rein pragmatischen Gründen zu einem Begriff des objektiven Wissens gelangen können
und auch müssen, doch indem er diese Objektivität lediglich als eine Art leitende
Idee vorstellt, blendet er einen wichtigen Aspekt des Objektivitätsbegriffs aus:
Im Rahmen unserer kommunikativen Praxis wird Objektivität nicht als Neutralität hinsichtlich je subjektiver Absichten bedeutsam, sondern vielmehr als der
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Hintergrund, vor dem absichtsvolle Mitteilungen überhaupt verstanden werden
können.
Dies führt zu einer Konzeption der Objektivität als Öffentlichkeit, der nun mit
den Mitteln einer interpretationalen Erkenntnistheorie nachgegangen wird.
Die interpretationale Erkenntnistheorie geht von dem factum der Interpretation aus und fragt nach den Bedingungen ihrer Möglichkeit. Insofern ist sie
ein transzendentalphilosophisches Unternehmen. Sie bewahrt sich allerdings ihre
empirische Grundlage, indem sie darauf beharrt, daß diese Bedingungen als Voraussetzungen der Interpretation Interpretierenden und Sprechern prinzipiell gleichermaßen zugänglich sein müssen. Mit dem Triangulationsmodell beschreibt
die interpretationale Erkenntnistheorie eine soziale Ausgangssituation, vor deren
Hintergrund diese Bedingungen erfüllt werden können.
Das vierte Kapitel wendet sich den Problemen zu, die aus der engen Verknüpfung
der interpretationalen Erkenntnistheorie mit dem Begriff der objektiven Wahrheit
und dem Externalismus resultieren. Das Kapitel liefert keine Theorie oder Definition der Wahrheit. Dies kann eine interpretationale Erkenntnistheorie auch gar
nicht leisten: Wahrheit ist ihr eine Bedingung der Interpretation, als solche muß
sie den an der Interpretation Beteiligten zugänglich sein. Wahrheit ist ein primitiver, nicht weiter erklärungsbedürftiger Begriff, dessen Verwendung lediglich an
paradigmatischen Fällen, wie sie in Tarskis W-Sätzen vorkommen, illustriert wird,
nämlich als Paradigma erschlossener Bedeutung.
In der Auseinandersetzung mit Rortys Kritik an Davidsons Realismus wird
die Rolle der Objektivität und damit auch die einer von unseren Beschreibungen unabhängigen Außenwelt für die Erkenntnistheorie hervorgehoben. Hieraus
folgt aber nicht, daß der Externalismus etwa beansprucht, selbst eine Theorie
der Wahrheit zu sein. Daraufhin werden Parallelen und Unterschiede der interpretationalen Erkenntnistheorie zur Hermeneutik, insbesondere Heideggerscher
und Gadamerscher Prägung, beleuchtet. Die Kritik, daß der Wahrheitsbegriff
im Rahmen einer Interpretationstheorie sich lediglich auf ein Für-wahr-Halten
beschränkt, wird zurückgewiesen, Objektivität und Wahrheit sind keine Postulate,
die zum Zwecke der Interpretierbarkeit aufgestellt werden müssen, sondern eine
Bedingung für die Möglichkeit der Interpretation. John R. Searle scheint diesen
transzendentalphilosophischen Zusammenhang ähnlich zu bewerten. Er schlägt
aber vor, daß wir hieraus den Schluß ziehen sollten, daß der externe Realismus
eine ontologische These sei, die epistemologisch folgenlos sei: Die Wahrheit unserer Überzeugungen stehe mit ihr in keinem Zusammenhang. Die Diskussion von
Searles Schlußfolgerung wird noch einmal abschließend das Verhältnis von Wahrheit, Objektivität, Außenwelt und unseren Beschreibungen und Überzeugungen
bestimmen.
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