Pflanze und Mönch Heilende Pflanzen in der Antike, der Bibel und im Christentum Dr. Hermann Josef Roth, Bonn Wie bitte?! Christentum gehört doch zur Bibel! Ja, aber auch das Judentum. Daher also sei die vielleicht ungewohnte Unterscheidung gestattet. Die Pflanzen gehören sowieso allen. Schon der antike Mensch bewunderte ihre Schönheit und Eigenart und zog Nutzen aus ihnen. Juden und Christen begriffen sie schließlich als Schöpfungen Gottes. Von IHM und dem, was er geschaffen hat, kommt Heil und Heilung. Bibel Unzählige Menschen, Juden, Christen und Andersgläubige schöpften und schöpfen Kraft und Anregung aus der Bibel. Für viele ist das Buch mehr als semitische Literatur, sie hören und lesen Gottes Wort. Um dieses für uns Irdische hörbar zu machen, äußerst es sich in Bildern und Zeichen. Die Pflanze ist eines der sinnfälligsten. Als Adam in den Apfel biss, fing alles an. Die Ausrede, Eva habe ihn angestiftet, die verbotene Frucht zu essen, verfängt nicht, wie wir sehen. Seitdem wankt der Mensch durch die Geschichte. Allerdings gerät diese zur Heilsgeschichtem, wie die Bibel schildert. Deren Höhepunkt bildet abermals ein „Baum“ – das Kreuz. So stößt der Bibelleser immer wieder auf Pflanzen: Bäume, Sträucher und Kräuter. Mal erscheinen sie alltäglich als Gebrauchs- der Genusspflanzen. Dann wieder liefern sie Sinnbilder für Glaubenslehren. Gerade mit dem Baum sind viele symbolische Bedeutungen verknüpft, angefangen vom Baum der Erkenntnis im Paradies, der durch die Sünde zum Baum des Todes wird (1 Mos 2, 9 u. 17). Erst Christi Tod am Kreuz wandelt den Baum zum Zeichen der Erlösung. In der Geheimen Offenbarung schließt schaut der Seher einen Lebensbaum im himmlischen Jerusalem (Offb 2, 7; 22, 2). Ob in der Schöpfungsgeschichte wirklich von einem Apfel die Rede ist, bleibt umstritten. Denkbar wären auch Kirsch- oder Feigenbaum. In der religiösen Bildsprache aber hat sich der Apfel durchgesetzt. Die Frucht, die Adam und Eva Sünde und Tod bringt, verweist mit Maria und Christus als der Neuen Eva und dem Neuen Adam auf Erlösung und ewiges Leben. Darüber hinaus wird er sowohl zum Herrschaftssymbol (Reichsapfel) als auch zum Attribut der hl. Dorothea. Alternativ sind auch Kirsch- oder Feigenbaum möglich. Immergrüne Bäume, wie etwa Zypresse und Zeder, verweisen auf ein langes Leben und sind Bild der Unsterblichkeit. Sie wurden deshalb häufig auf Gräber gepflanzt und sind in Paradiesdarstellungen zu finden. Die Zeder wird im »Liber floridus« als „guter Baum“ (arbor bona) auch auf die Gemeinde (Kirche, ecclesia) und somit auf Maria bezogen. Dies gilt ebenso für den Weinstock. Er wird zum Lebensbaum, seine Traube zum Symbol der Passion und Hoffnung auf ein glückseliges Jenseits. Viel- fach wurde Maria als Weinrebe bezeichnet, deren Frucht Jesus ist (Weinrebenmadonna; Sir 24, 23). Darüber hinaus besteht ein Bezug zur Ähre, denn sowohl Weintraube als auch Ähre sind eucharist. Symbole (Ähre = Brot; Traube = Wein). Vor allem Psalmen und Prophetentexte sind von Bildern aus dem Pflanzenreich durchwoben. Die Zeder des Libanon belebt Psalmverse und Prophetensprüche. Hesekiel widmet ihr eine geradezu poetische Beschreibung (31, 3-7). Immergrün wie auch die Zypresse aus dem Bergland von Gilead und Basan stehen beide für langes Leben, gar für Unsterblichkeit. Lebensbaum schlechthin aber ist der Weinstock. Seine Trauben sind Symbol für Passion und Hoffnung auf ein glückseliges Jenseits. Vielfach wurde Maria als Weinrebe bezeichnet, deren Frucht Jesus ist (Weinrebenmadonna; Sir 24, 23) In den Gleichnisse ist oft vom Weinberg die Rede. (Mt 20, 1-16; 21, 28-33; Mk 12, 1-11; Lk 13, 6-9) Israel und das Reich Gottes werden im Neuen Testament als „Weinberg des Herrn“ bezeichnet. Selbst erotische Anspielungen kennt das Bild vom Wiengarten (Hl 8, 11 f.: Js 3, 14 u. 5, 1 ff.; Jr 12, 19) Bei aller Symbolik und Poesie machen viele Texte ganz nüchterne Aussagen. Wir erfahren viel über die praktische Verwendung. Die genannten Bäume dienten als Bauholz für Tempel, Paläste und Schiffe. Neben Weinstock sind Öl- und Feigenbaum typische Gewächse der Kulturlandschaft, während in der Steppe Dornen wuchern. Wie waldreich Palästina einst gewesen ist, erfahren wir aus den Feldzügen Sauls, dessen Soldaten im „Eichengrunde“ lagerten. (1 Sam 17, 2 u. 19) Wer dagegen in biblischen Geschichten unter einem Weinstock oder Feigenbaum sitzt, (1 Kg 5, 5 u. Mi 4, 4) der ist glücklich und zufrieden. Mit Feigenblättern verhüllen die Stammeltern ihre Blöße. (Gn 3, 7) Seitdem gilt „Feigenblatt“ auch sprichwörtlich. Auch weniger auffällige Pflanzen werden keineswegs übersehen. Bereits am dritten Tag der Schöpfung lässt Gott der Natur ihren Lauf und lässt nun „das Land junges Grün wachsen.“ Die Vegetation entfaltet sich also aus eigener Kraft. Der Psalmist versteht Gedeihen und Welken der Kräuter sozusagen als biologisches Grundgesetz, dem auch der Mensch unterworfen ist (Ps 36, 2). Ähnlich wird das Hinwelken der Blumen wiederholt mit der Vergänglichkeit des Menschen verglichen. (Ijob 14, 2; 1 Petr 1, 24) Indirekt oft erfährt der Bibelleser etwas über den Umgang mit Pflanzen. In den Drohreden an die Pharisäer prangert Jesus den Wucher mit den Gewürzkräutern Minze, Dill und Kümmel an. (Mt 23, 23) Neben Edelmetallen bilden Zimt und Pflanzenharze („Räucherwerk“) begehrte Handelswaren (Offb. 18, 12 f.) Von Gilead brachten Karawanen „Würze, Balsam und Myrrhe“ (1 Mos 37, 25) oder „Balsam und Honig, Würze und Myrrhe, Datteln und Mandeln“ (1 Mos 43, 11) hinab. Dem Essig, den man dem Gekreuzigten reicht, war „Galle“ beigesetzt. Darüber wird gerne hinweg gelesen. Dieser Stoff wurde aus dem Gefleckten Schierling gewonnen, einer hochgiftigen Pflanze, wodurch der Tod Jesu beschleunigt werden konnte. Nikodemus stellt Myrrhe und Aloe zur Einbalsamierung bereit. Die Leichentücher waren mit „Spezereien“ imprägniert (Jo 19, 39 f.) Myrrhe, dass aus einem immergrünen Strauch (Commiphora) gewonnen wurde, diente allgemein als Duftmittel und Gewürz. Produkte, die aus dem eingedickten Zellsaft von Aloe gewonnen werden, sind heute wieder in Mode gekommen und werden gerne als Zusatz für Hautpflegemittel benutzt. Anmutig und einprägsam ist das Bild Jesu, der auf die „LiIien des Feldes“ hinweist, die „nicht säen und nicht ernten“ (Mt 6, 28-30). Doch, was unbekümmert als „Lilie“ übersetzt wird, kann botanisch recht verschieden sein. Hier im Gleichnis mag es sich nämlich vom Strandort her eher um Windröschen (Anemonen) handeln. Und die „Lilie der Täler“ im Hohen Lied (2, 1), die Luther mit „Rose“ wiedergibt, dürfte eher eine Narzisse sein, wie es sich bei der „Lilie an Wasserläufen“ (Sir 50, 9) vielleicht um eine Schwertlilie handeln könnte. An anderer Stelle ist ohne Zweifel wirklich die Lilie (Lilium candidum) gemeint, eine der schönsten wildwachsenden Blumen Palästinas, die heute nur noch gelegentlich in bewaldeten Teilen des Karmelgebirges und Galiläas auftritt. In biblischer Zeit schätzte man außer ihrer Schönheit auch den betörenden Geruch, weshalb sie der Sänger des Hohen Liedes wiederholt erwähnt. Klostergärten - Klostermedizin Pflanzen und Pflanzenteile gehören zu den ältesten Heilmitteln. Die Klosterärzte machten von den Kenntnissen der Naturvölker und der Überleiferungen der Volksmedizin reichen Gebrauch. Wieder so oft war auch hier der Orient Vorbild für uns Europäer. Durch Gregor von Tours († 594) wissen wir, dass die Mönche der Gegend von Nizza Kräuter von weither, sogar aus Aegypten kommen ließen. Um die Abhängigkeit von Lieferungen aus dem Orient zu beheben – mit dem Ausbreiten des Islam war dieses Problem besonders akut geworden – bemühte man sich verstärkt, die gebräuchlichen Heilkräuter auch hierzulande anzubauen. Möglicherweise liegt in diesem Umstand der eigentliche Ursprmng der westeuropäischen Kräutergärten. Einen Anhaltspunkt dafür liefert ein Brief eines Bischofs von Winchester an den Mainzer Erzbischof (um 754), in dem er für seine Mönche in Malmesbury um die Zusendung von Pflanzenbüchern bittet. In diesem Buch sowie in einem Manuskript, das in St. Gallen entstanden ist und dessen Titel Herbarius pseudo-apulei trägt, waren Pflanzen der westeuropäischen Flora äufgenommen. Dies kann wohl als Indiz dafür betrachtet werden, dass man sich bemühte, den im Orient entstandenen Lieferstau durch Nutzung einheimischer Kräuter auszugleichen. Es ist wohl kein Zufalle, dass etwa zur gleichen Zeit Mönche auf Monte Cassino eine Abschrift der „Arzneikunde“ des Pedanius Dioskuroides (1. Jh. n. Chr.) anferigten. Es handelt sich hier um das bedeutendste pharmakologische Werk der Antike. Es nennt etwa 600 Pflanzenarten und zusätzlich an die tausend sonstige Heilmittel. Dieses Buch wurde oft aus dem Griechischen ins Lateinische, die damalige Verkehrssprache, übersetzt. Seine Beliebtheit zeigt, wie stark die frühe Botanik bei uns aus dem Wissen der alten Griechen und Römer geschöpft haben. Einer der wichtigsten Reformatoren des Benediktinertums, Abt Benedikt von Aniane (750-821), hatte einen Kräutergarten anlegen lassen, der möglicherweise für die übrigen Klöster des Frankenreiches zum Vorbild wurde, Der Abt aus Aquitanien übte später sein Amt in Maursmünster (Marmoutier) im Elsaß und dann in Kornelimünster bei Aachen aus. Was christliche Mönche begründeten, haben die Herrscher eifrig übernommen. In einer karolingischen Verordmung über die kaiserlichen Landgüter aus dem Jähr 812, dem Capitulare de villis imperialibus, ist eine Liste der Pflanzen enthalten, die von den kaiserlichen Domänen angebaut werden sollten. Darunter waren Salbei, Lilie, Rose, aber auch Kümmel, Anis, Pfefferminz, Mohn und Koriander. Die Liste scheint weitgehend jener des Klosters Aniane zu entsprechen. Der Idealplan des Klosters St. Gallen zeigt ebenfalls die Anlage eines Kräutergartens. Die Pflanzenliste verrät eine gewisse Angleichung an die klimatischen Bedingungen des Nordens. In diesem herbularius, dem klösterlichen Arzneigarten, sollten siebzehn Pflanzen angebaut werden, nämlich Bockshorn Lilie Rosmarin Brunnenkresse Pfefferkraut. Salbei Fenchel Pfefferminze Stangenbohne Frauenmünze Raute Vitsbohne Griechisch Heu Römischer Kümmel Liebstöckel Rose Im Falle St. Gallen handelt es sich um einen Idealplan. Inwieweit der Entwurf je irgendwann und irgenwo so oder ähnlich ausgeführt worden sein könnte, mag man spekulieren. Immerhin erfährt man daraus, dass es den Klostergarten gar nicht gibt, sondern deren mehere, mindestens Obst-, Gemüse- und Kräutergarten (für Heil- und Gewürzkräuter), je nach Gegend der oder die Weingärten (Wingerte), Olivenhaine oder anderes. Sinnfällig ist die Anlage des Obstgartens (pomarium), der zugleich als Begräbnisstätte dient. Da begegnen sich praktische Nutzanwendung und Symboltheologie: Indem der Baum im Boden wurzelt, aus dem Kraft bezieht, und umgekehrt seine Äste himmelwärts richtet, verbindet er gleichsam Erde und Himmel. Die Toten, die unter ihm beigesetzt ist, entlassen ihre Seelen in höhere Gefilde. Man könnte es auch im Sinne der modernen Ökologie interpretieren und vom Kreislauf der Stoffe sprechen. Die Anlage dieses Friedhofes im wahren Sinn des Wortes ist schlicht. Um ein Kreuz in der Mitte gruppieren sich in regelmäßiger Anordnung die Gräber. Die Bäume dagegen sind eher unregelmäßig verteilt. Fünfzehn Sorten werden – übrigens in deutlicher Anlehnung an das Capitulare – gezählt: Apfelbaum Mispel Pfirsich Birnbaum Lorbeer Haselnuss Pflaumenbaum Edelkastanie Mandelbaum Pinie Feigenbaum Maulbeerbaum Speierling Quitte. Walnussbaum Das Benediktinerkloster auf der Bodenseeinsel Reichnau ist ein anderer und wichtiger Schauplatz des frühen benediktinischen Lebens. Von dem Abt Walahfrid Strabo (808/09-849) stammt ein poetisches Kräuterbüchlein, in dem er in 444 Hexametern 23 Pflanzen beschreibt. Auch diese Aufzählung vermitte1t einen Überblick über die auf der Insel Reichenau im Bodensee gezogenen Heilpflanzen. Das Gedicht ist der. Abt Grimald von St. Gallen gewidmet, der selbst ein guter Kenner der Heilkunde war. Das Büchlein trägt den Titel Liber de cultura hortorum oder kurz Hortulus. Der Inhalt lässt erkennen, dass Strabo eingehende Kenntnisse der antiken Gelehrten hatte. Offensichtlich besaß er sogar selber die Schriften von Galen, Plinius, Dioscurides und anderer antiker Schriftsteller. Oder sie waren zumindest in der Klosterbibliothek griffbereit. Seine Kenntnisse über die ausländischen Pflanzen schöpfte Strabo zum einen also aus der griechischen und lateinischen Literatur. Zum anderen aber dürften ihm im Zuge der Völkerwanderung neue Einsichten über fremdländische Pflanzen und ihre Wirkungen vermittelt worden sein. Daneben stammt vieles aus dem Wissen der Franken. Sein Vorgänger als Abt, namens Waldo. hatte bereits einen Grundbestand von medizinischen Manuskripten beschafft. Durch den Hortulus erhalten wir ein lebendiges Bild dieses frühen Klostergartens, so dass man auf der Reichenau dieses Gärtchen rekonstruieren und weisungsgemäß bepflanzen konnte. Hier gedeihen wie einst (von links: wissenschaftliche Bezeichnung von Pflanzenart und Familie, heutiger Name im Deutschen und Ausdruck im hortulus): 1. Achillea millefolium (Asteraceae) oder Tanacetum vulgare 2. Agrimonia eupatoria (Rosaceae) 3. Anthriscus cerefolium (Apiaceae) 4. Apium graveolens (Apiaceae) 5. Artemisia abrotanum (Asteraceae) 6. Artemisia absinthium (Asteraceae) 7. Betonica officinalis (Lamiaeceae) 8. Cucumis melo (Cucurbitaceae) 9. Foeniculum vulgare (Apiaceae) 10. Iris germanica ((Iridaceae) 11. Lagenaria sigeraria (Cucurbitaceae) 12. Levisticum officinale (Apiaceae) 13. Lilium candidum (Liliaceae) 14. Marrubium vulgare (Lamiaceae) 15. Mentha pulegium (Lamiaceae) 16. Mentha sp. (Lamiaceae) 17. Nepeta cataria (Lamiaceae) 18. Papaver somniferum (Papaveraceae) 19. Raphanus sativus (Brassicaceae) 20. Rosa gallica (Rosaceae) 21. Ruta graveolens (Rutaceae) 22. Salvia officinalis (Lamiaceae) 23. Salvia sclarea (Lamiaceae) 24. Tanacetum balsamita (Asteraceae) Schafgarbe Rainfarn Odermennig Kerbel Sellerie, Eppich Eberraute Wermut Betonie, Heil-Ziest Zucker-Melone Fenchel Schwertlilie Flaschenkürbis Liebstöckel Weiße Lilie Andorn Polei-Minze (verschiedene) Minzen Katzenminze Schlafmohn Rettich Essig-Rose Wein-Raute Salbei Muskateller-Salbei Frauenminze Ambrosia Agrimonia Cerefolium Apium Abrotanum Absinthium Vettonica Pepones Foeniculum Gladiolus Cucurbita Lybisticum Lilium Marrubium Puleum Menta Nepeta Papaver Rafanum Rosa Ruta Salvia Sclarega Costus Über einen Heilkräutergarten im Kloster Tegernsee liegt die erste Kunde aus dem Jahr 1000 vor. Etwa um diese Zeit hatte ein Tegernseer Mönch Sämereien und Ableger von Nutz- und Heilpflanzen aus dem Kloster Benediktbeuren erbeten. Abt Eberhard I. wünschte in schwerer Krankheit einen Kräutertrank (etwa 1003). Dabei ließ man es offenbar nicht bewenden. Denn später wird von dem Mönch Werinher, einem bedeutenden Gelehrten dieses Klosters erzählt, er habe dort unter Abt Konrad II. (1186-1189) einen Kräutergarten angelegt. Wie man sich aus dem Gesagten denken kann„ wurden in den Klostergärten nicht nur einheimische Gewächse gezogen. Berühmt waren die Gärten der Abteien Cornery, Marmoutier und Bourgueil-Touraine. Letzteres zog unter anderem Orangen Oliven Myrrhen Granatäpfel Süßholz Myrthen . Neben den schon angeführten verfügten auch andere deutsche Abteien über reichhaltige Gärten, zum Teil bereits in karolingischer Zeit, so Ettal, Würzburg, Fulda, Hersfeld, Benediktbeuren und sogar das klimatisch ungünstiger gelegene Prüm in der Eifel. Einen Mindestvorrat an Heilpflanzen und Gewürzpflanzen hat wohl jedes Kloster angebaut. Herausragende Pflanzenkenntnisse sprechen aus den der Hildegard von Bingen (1098-1179) zugeschriebenen Schriften sowie aus dem Werk des Albertus Magnus (1193-1280). Hildegard nennt 230 verschiedene Kräuter und 63 Bäume. Das Pflanzenbuch Alberts De vegetabilibus (et plantis) libri septem übertrifft jenes insofern, als der Dominikaner auch eigene Beobachtungen einfließen lässt. Damit ist er seiner Zeit weit voraus. Auch befasst er sich mit Allgemeiner Botanik im Rahmen des damals Möglichen. Sogar mit der Theorie des Gartenbaues hat er sich beschäftigt. Irgendwie muss das ansteckend gewirkt haben. Der redselige Zisterziensermönch Cäsarius von Heisterbach (um 1180-1240), dem wir intime Einblicke in das bunte und pralle Leben des Mittelalters verdanken, berichtet, dass der Hochwürdige Domdechant bei der Kirche St. Andreas Hochselbst Kirschbäume pflegte. Fachausdrücke wie phrophrîs (Pfropfreis) und impfetunge (Pfropfung), die auch Albertus kennt, künden von sachgerechter Handhabung. Auch die Zisterzienser und Kartäuser widmeten dem Gartenbau größere Aufmerksamkeit. Den Kartäusermönchen stand es frei, in den Gärten ihrer Zellenhäuschen anzubauen, was ihnen beliebte. Die Zisterzienser folgten beim Pflanzenanbau rein ökonomischen Überlegungen. Bei einer Neugründung führten sie bereits Sämereien und Ableger für das neue Tochterkloster mit sich. Was in ihren Gärten fehlte, sammelten die Mönche nicht selten in der Natur. Im frühen Mittelalter zogen sogar gewisse Mönchssekten, so kann man wohl sagen, unstet umher, ernährten sich allein von wilden Pflanzen. Das trug ihnen die Bezeichnung boskoi (gr.: Hirten) oder pabulatores (lat.: die Weidenden) ein. Mitunter verlegten sich einzelne Klöster auf die Pflege bestimmter Spezialitäten, Ein Produkt der Würzburger Benediktiner war die radix liquiritiae. Die Freiburger Kartause bot radix angelicae an. Der in Gärten der Franziskanerniederlassungen gezogene Rhabarber erhielt sogar den Namen Rheum franciscanorum. Die Kenntnisse einheimischer wie importierter Gewürze waren verbreitet. Gewürze tauchen in Urkunden vielleicht aller Abteien irgendwann einmal als Tauschobjekte oder Zahlungsmittel auf. In Saint-Riquier, kredenzte man an Festtagen den Gästen sogar mit Gewürzen angesetzten Wein. Für die Anlage der Klostergärten wurden zahlreiche Bücher, die so genannten hortuli, verfasst, zu denen auch der bereits erwähnte hortulus de Walahfrid Strabo gehörte. Darin werden die in Frage kommenden Gewächse aufgezählt und die Medikamente genannt, die aus ihnen bereitet werden können. Meist enthalten die hortuli auch Anweisungen für Anpflanzung und Pflege. Im Grunde gehen Wahl und Anordnung der Pflanzen in den Klostergärten sowie die Anleitungen der hortuli auf das karolingische Capitulare de villis zurück. Heil und Heilung Wenn hier so viel von Klöstern die Rede ist, so hat das nichts mit konfessioneller Voreingenommenheit zu tun. Nach dem Zusammenbruch des Römerreiches waren sie eben die einzigen Stätten, in denen die Schätze der antiken Kultur gehütet und gelehrt wurden. Mönch und Nonnen waren der Typ des Intellektuellen schlechthin. Botanik, Phamazie und Phytotherapie wurden nur hier systematisch gepflegt. Ja, die Beschäftigung mit der Pflanzenwelt erfolgte kaum um ihrer seklbst willen, sondern in erster aus therapeutischen und diätetischen Gründen. Kranksein ist nach damaligem Weltbild eben Merkmal des vom Sündenfall betroffenen Menschen. Sogar der Abt im Kloster "muss wissen, dass er die Sorge für kranke Seelen ... übernommen hat" (Benediktsregel cap. 27,6). Fasten, Abstinenz und Diäten entfalten doppelte Wirkung, indem sie einerseits Schwächen überwinden und körperliche Erkrankungen lindern oder heilen, andererseits aber die Makel von Schuld und Sünde tilgen helfen. JOHANNES DUFT, der frühere Direktor der Stiftsbibliothek St. Gallen, hat das Kloster pointiert als "Heils-Stätte und Heil-Stätte" (officina salutis et sanitatis) bezeichnet. Der Medizinhistoriker KARL SUDHOFF (1920), der die "Aneignung der Antike im Abendland" studiert hat, meint sogar, dass konsequentes Christentum in gewisser Hinsicht die Standards der Antike übertroffen habe. Bezogen Arzt und Apotheker ihren Vorrat vorwiegend aus dem Kräutergarten, so lieferten selbstredend auch die übrigen Gartenanlagen manche ihrer Produkte zum Gebrauch in der Krankenpflege: Gemüse, Obst, Hopfen und vor allem Wein. Als Mittel zur Kräftigung, bei der Bekämpfung von Übelsein oder als Desinfektionsmittel war er unentbehrlich. Man baute Wein an Orten an, die heute als dafür völlig ungeeignet betrachtet würden. Krankenpflege und Arzneibereitung waren den Klöstern aufs engste verbunden. Auch das geht deutlich aus dem Plan von St. Gallen hervor. Dort ist im so genannten Haus der Ärzte auch ein armarium pigmentorum, ein Vorratsramm für Arzeneimittel, vorgesehen. Die Übersetzung ist etwas frei, denn armarium bedeutet eigentlich Schrank oder Gestell, pigmenta im weitesten Sinn Drogen. In der Mitte des Ärztehauses ist ein Rauchabzug zu sehen, Hier dürfte die Zubereitung von Arzneien am offenen Feuer durchgeführt worden sein, falls dies nicht im Aderlassgebäude geschah, wo sich ebenfalls ein Ofen befand. Die Klosterapotheken waren demnach, zumindest in älterer Zeit, nicht eigene Einrichtungen, sondern ein Teil der Infirmerie. Vielfach war also in den Infirmarien ein eigener Raum für die Arzneibereitung bestimmt. Dies war der Fall in Hirsau, Scheyern und Troud, von denen sichere Nachrichten vorliegen. Während sich die Infirmarien aus bescheidenen Anfängen – ursprünglich lediglich ein Sonderraum innerhalb des Klosters für die kranken Brüder – entwickelte, so blieben die Apotheken während des Mittelalters nur eine Einzelkammer innerhalb der Krankenhäuser. Erst während des 16. bis 18. Jahrhunderts entstanden eigene Apothekengebäude. Diese Barockapotheken waren, ähnlich wie die Bibliotheken, oft als Prunkräume ausgestattet. Schöne Beispiele besaßen in Süddeutschland das Augustinerstift Polling, die Nonnenklöster Frauenwerth im Chiemsee, Neuerberg, Dietramszell und Reutberg bei Bad Tölz. Aber sie alle gehören in eine neue Zeit und nicht mehr ins Mittelalter. Schon im 13. Jahrhundert reisten Franziskaner an die Höfe der mongolischen Großkhane und brachten die Kenntnis asiatischer Pflanzen mit. Auch durch Vermittlung der Araber etwa in Andalusien sickerte das Wissens des Orients nach Mittelteuropa. Die eigentliche Wende erfolgte mit den Entdeckungsreisen des Portugiesen und Spanier seit Mitte des 15. Jahrhunderts. Stets gehörten Ordensleute zu den Besatzungen ihrer Schiffe. Ihre Rolle erschöpfte sich keineswegs in Seelsorge und Mission. Sie siedelten – meist als einzige der Fremdlinge – bei und in den Dörfern der Einheimischen, teilten ihre Lebensweise, erlernten ihre Sprache und entdeckten bisher unbekannte Nahrungs- und Heilmittel. Davon profitierte wiederum der Überseehandel. Der Austausch von Personen und Waren, von Pflanzen und Drogen bereicherte das Sortiment an Heilmitteln ganz erheblich, ja veränderte nachhaltig die Lebensgewohnheiten in Europa. Heute ist man sich gar nicht mehr bewusst, dass Tomaten, Kartoffeln, Tabak und Kakao, um nur weniges zu nennen, erst seitdem hierzulande bekannt und in Gebrauch sind. Nach den Folgen von Reformation und Dreißigjährigem Krieg erlebten die Klöster später noch einmal eine Blütezeit (17./18. Jh.), die jener im Mittelalter kaum nachstand. Die Barockstifte versuchten in ihren Orangerien und Kreuzgängen sogar tropische Arten zu akklimatisieren. Das scheint in Vergessenheit geraten zu sein, weil Drogen aus Amerika, Afrika und Asien längst selbstverständlich geworden sind: Extrakte beispielsweise aus dem chinesischen Storaxbaum (Styrax tonkinensis) dienen der Munddesinfektion, Chinarinde (aus Cinchona officinalis: "Chinin") hilft bei Herzrhythmusstörungen und beugt der Malaria vor, die amerikanische Papaya liefert schleimlösende Substanzen. Klosterliköre sind heute die wohl bekanntesten Produkte, die aus dem Hantieren mit Kräutern und Essenzen hervorgegangen sind. Allerdings sind die meisten „Klosterliköre“, die heutzutage angeboten werden, Imitate. Authentisch ist demgegenüber der „Chartreuse“, der noch immer nach altem Rezept und unter Regie von Kartäusern hergestellt wird. Liturgie und Brauchtum Die medizinische Heilung ist nach unserer Überzeugung wohl nur der erste Schritt zum Heil auf anderer Ebene. Auch da erweist sich der Umgang mit Pflanzen als hilfreich. Bei allen Völkern sind nämlich Pflanzen mit dem religiösen Denken und Kult verknüpft, manche sind sogar nach Gottheiten benannt und ihnen geweiht. Das Christentum versuchte in Überwindung heidnischer Vielfalt die Konzentration auf das Wesentliche. Heidnische Beschwörungsformeln beim Einsammeln wurden ersetzt durch Vater unser und Credo. Seine Anhänger benannten stattdessen Pflanzen nach Christus und seinen Heiligen, darunter Maria an erster Stelle. Man umwob bestimmte Pflanzenarten mit Legenden und Bräuchen. Demütig erbat und dankbar erhielt man für Heil- und Nutzpflanzen, Garten- und Feldfrüchte, den Segen der Kirche. Fenchel, Nelken, Rettich und Haferweihe empfingen am Stephanus-Tag die „Kräuterweihe“. Blumen, Kräuter und Bäume haben Sagen, Legenden, Kult und Bräuche auf sich gezogen. Erinnert sei an die Barbara-Zweige (4. 12.), den Weihnachtsbaum, Palmsonntag und den „Krautwisch“ zu Mariä Himmelfahrt (15. 8.). Wir kennen Ortsnamen wie Marialinden und volkstümliche Pflanzenbezeichnungen Christdorn, Christi-Wunden-Kraut, Marien-Bettstroh oder Johanniskraut. Wir errichten den Maibaum und ehren unsere Toten mit Blumenbukett oder Kranz. Ausblick Mit dem wieder erwachten Interesse an Kräuterheilkunde (Phytotherapie) ist auch das an Klostermedizin generell in der breiten Öffentlichkeit auffallend stark. vorhanden ist. Leider wuchern hier viele Missverständnisse. Obwohl nämlich – wie wir sehen konnten – der Mönch im frühen Mittelalter als der Typ des Intellektuellen schlechthin galt, obwohl in den Klöstern Heilkunde gelehrt und in Hospizen praktiziert wurde, ehe es überhaupt Universitäten oder medizinische Akademien gab, so darf von Klostermedizin nur bis zum 12. Jahrhundert und analog in Überseegebieten des 16. und 17. Jahrhunderts gesprochen werden. Alles andere ist Medizin im Kloster, die sich allgemeinen Standards anschließt. Ferner ist Klostermedizin auf keinen Fall identisch mit Kräuterheilkunde, obwohl das in den Medien so vermittelt wird. Letztendlich ist Klostermedizin weit weniger ein Repertoire an Medikamenten, sondern eine Lebenshaltung – auch im Umgang mit Pflanzen, ja mit der Schöpfung überhaupt. Erst durch die Bereitschaft zu ehrlicher Zusammenarbeit über die Grenzen von Fakultäten und Konfessionen hinweg, konnte die Idee der „Klostermedizin“ in moderner Sprache formuliert, konnte die Vernachlässigung der sinnlichen Erlebnisse gegenüber dem sezierenden Verstand überwunden werden. Es wäre unsinnig, einen dieser Standpunkte einseitig gegenüber dem anderen zu begünstigen. Beide gehören zusammen, schließlich besteht der Mensch nun einmal aus Verstand und Gefühl, aus Leib und Seele – wohl eine der schönsten Aussagen christlicher Lehre.□ Redaktionelle Anmerkung: Bei dem Text handelt es sich um die Überarbeitung eines Vortrages für die Tagung der „Gemeinschaft evangelischer Zisterziensererben“ in Blankenburg 2012. Weil das Rederat nicht persönlich vorgetragen werden konnte, wurde aus Gründen des besseren Verständnisses bei dieser scriftlichen Fassung ein anderer Akzent gesetzt als ursprünglich beabsichtigt. Der Untertitel lautet deshalb anders als im Programm ausgedrickt. Literatur: Für weiterführende Studien empfiehlt der Referent folgende Buchveröffentlichungen, die er selber benutzt hat. Behling, Lottlisa: Pflanzen als Bedeutungsträger. In: Der weiße Turm. Biberach 1967 Fischer, H.: Mittelalterliche Pflanzenkunde. Münster 1929 Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 4. Freiburg 1972, Sp. 620-622 Moldenke, A. L.: Plants of the Bible. New York ²1952 Weitere Hinweise und Literaturangaben bieten folgende Werke des Referenten: Die Pflanzen in der Bauplastik des Altenberger Domes. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte und zur mittelalterlichen Botanik. M. e. Vorw. v. Prof. Dr. HANSFERDINAND LINSKENS. Bergisch Gladbach 1976 Die bauplastischen Pflanzendarstellungen des Mittelalters im Kölner Dom. Eine botanische Bestandsaufnahme unter Berücksichtigung auswärtiger Architekturplastik und sonstiger Kunstgattungen. Frankfurt 1990 Schöne Alte Klostergärten. Würzburg 1996 – ISBN 3-8003-0678-6 Klostergärten und klösterliche Kulturlandschaften – Historische Aspekte und aktuelle Fragen (= CGLStudies 6) – München: M. Meidenbauer, 2009 – 307 S., zahlr. Abb. – Hg. mit JOACHIM WOLSCHKE-BULMAHN, CARL-HANS HAUPTMEYER & GESA SCHÖNERMARK Beiträge in Büchern, Jahrbüchern und Zeitschriften: Die Bedeutung der Pflanze im Leben der Klöster – In: Ars musica. Jahrbuch 1994. Hg.: Institut für Aufführungspraxis der Musik des 18. Jhs. Michaelstein, Blankenburg 1994, S. 83-90, 5 Abb. Geographische Grundlagen rheinischer Kartäusergründungen im Vergleich zu denen der Zisterzienser - In: Akten d. Internat. Kongress f. Kartäuserforschung, Ittingen/Thurgau 1.-5. Dez. 1993. Frauenfeld/CH 1995, S. 139-150 Blattmorphologie und gotische Kapitellplastik. Formenvielfalt aus der Sicht von Botanik und Kunstgeschichte In: Flora Colonia, Bd. 3/4. Köln 2000, S. 77-81, 2 Abb. Apotheken- und Medizinalwesen im Barockstift. Botanik, Phytotherapie und Gartenkultur im Rahmen von Kolonialismus und Mission - In: Zeitschrift für Phytotherapie 22, 5, 2001, S. 224-228, 6 Abb. Klostermedizin. Eine kritische Anfrage - In: Biologen heute 1/2006, S. 6-11, 5 Abb. Missverstandene Klostermedizin - In: Spektrum der Wissenschaft 3/2006, S. 84-91, 12. Abb. Naturwissenschaften, Medizinalwesen und Technik in Zisterzienserklöstern vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. - In: Res naturae (= Veröff. d. Kultur- u. Begegnungszentrum d. Abtei Waldsassen, 2) Kallmünz: M. Laßleben, 2005, S. 25-41, 2 Abb. - ISBN 3-7847-1189-8 Ornamentum aut medicamentum? – Gothic Flora. Inventory and Interpretation – In: 41nd International Congress on Medieval Studies 2006, Kalamazoo/MI (USA); – Ornamentum aut medicamentum? Gotische Pflanzenwelt. Bestandsaufnahme und Deutung – In: „Natur und Kultur“. 15. Jahretagung dt. Ges. f. Gesch. u. Theorie d. Biologie, 22-25. Juni 2006, S. 16 Nutzen und Nutzung der Pflanzen. Klostergärten vom Mittelalter bis heute - In: Gartendiskurse. Mensch und Garten in Philosophie und Theologie. Hg.: Arne Moritz & Harald Schwillus (= Treffpunkt Philosophie, 7) - Frankfurt a. M. etc.: Lang, 2006, S. 33-41, 1 Abb. Pflanze, Garten, Landschaft: Kartäuserleben im ordens- und kulturgeschichtlichen Kontext – In: ANALECTA CARTUSIANA. Internationale Tagung Kartause Aggsbach 28.8. -1.9.2006 Kartause Mauerbach, Bd. 4. Hg.: Meta Niederkorn-Bruck. Salzburg 2008, S. 99-126, 12 Abb. - ISBN 978-3-902649-21-8 □