Das Konfix - PD Dr. Wolfgang Schindler

Werbung
Dr. W. Schindler. Zur Erkennung und Einstufung von Konfixen. PS/HS Morphologie. Seite 1
Das Konfix1
1 Vororientierung
Konfixe gehören zu den gebundenen Morphemen bzw., mit anderen Worten, sämtliche
Allomorphe eines Konfixes sind gebunden. Der Prototyp des Konfixes ist eine entlehnte
Wortform griechischer bzw. lateinischer Herkunft (elektr-, -therm-, -lekt).
Freie Morpheme sind mindestens einmal alle unflektierbaren Wörter (gestern, heute,
wegen, nachdem etc.). Wenn man nicht einer Nullaffigierungstheorie anhängt (in der z. B.
analog zu den Bild-er-n bild-PL-DAT dann der Bild-er-ø bild-PL-GEN mit „Kasusnullsuffix“
anzusetzen wäre), kann man auch Substantive und Adjektive (prädikativer, adverbialer
Gebrauch!) als freie Morpheme ansehen. Bei Verben erscheinen die Verhältnisse schwieriger
(vgl. Lach/Lache//*Rechn/Rechne/*Ess/Iss!).
2 Übersicht: Morpheme bzgl. [frei/gebunden]
- frei: Tag, Haus, alt
- gebunden: (i) Him- (unikales M.); (ii) Schwieger-/Stief-/Zimper- (Natives Präkonfix?
Gebundenes Wort? Eventuell als außer Gebrauch kommende Lexeme anzusehen, deren
Endstadium das unikale Morphem sein könnte (aber nicht muss)); (iii) -haft, un- (native
Affixe); schließlich (iv) entlehnte Elemente wie -therm-, elektr-, ident-, -mat, -krat, -itis, anti-,
ex-, exo- (Konfixe, Lehnaffixe)
3 Entlehnungen und Konfixmerkmale
Das morphologische Lehngut lässt sich grob wie folgt aufteilen:
- Lehnwörter (Bibliothek, Chauffeur, Computer)
- Konfixe (elektr-, ident-, -therm-, -phob, -aholic)
- Lehnaffixe (a-, ex-; -esk, -ität)
Wörter erkennt man an ihrer syntaktischen Selbstständigkeit (Der Computer ist ...), sie
können beispielsweise syntaktische Phrasenköpfe sein etc. Somit stellen sie meist kein
Problem dar. Doch wie trenne ich die die syntaktisch unselbstständigen Lehnaffixe von den
Konfixen?
Problem: Die nachfolgenden Tests lassen sich mit "angelsächsischem" Material wohl nicht
oder nur teilweise durchführen, vgl. z. B. cyber-, Kino-(a)holic, Kino-tainment, Tor-minator
(Konfixe sind vermutlich nur cyber- und -(a)holic, während Spar-/Tor-/Tour-minator
eventuell durch Kontamination/Einkreuzung entstanden sind, aber auch hier ist mehr
Datenanalyse nötig). Es heißt nicht *Cyberonaut, sondern Cybernaut. Immerhin ist bei cyberdie Basisfähigkeit überprüfbar: cyber-isier-t, cyber-isier-en.
1
In dieses Papier fließen Überlegungen mit ein, die in den Magisterarbeiten (LMU, Inst. f. Deut. Philologie,
Germanist. Linguistik) von Johannes Aschenbrenner und Christian Ebert sowie in der Zulassungsarbeit von
Jakob Gehlen entwickelt wurden!
Dr. W. Schindler. Zur Erkennung und Einstufung von Konfixen. PS/HS Morphologie. Seite 2
3.1 Der Distributionstest (sowohl X+Y als auch Z+X)
Wenn ein Lehnelement in Voran- wie in Nachstellung auftreten kann (bei vergleichbarer
Bedeutung), dann ist es ein Konfix: Thermohose, endotherm.
Argument: Affixe treten ausschließlich links (Präfixe) oder rechts (Suffixe) oder als Zirkumfixe
auf. Sie sind strikt positional gebunden, so dass „Ambifixe“ (anders z. B. Ambipositionen wie
wegen in wegen des Preises und, gehoben, des Preises wegen) wohl nicht existieren. (Das
sollte man zur Absicherung noch sprachtypologisch überprüfen.)
3.2 Der Suffix-Test (X + -isch/-ier/-ität/...)
Wenn das Lehnelement nur vorangestellt (als Erstelement der Bildung) auftreten kann, aber
mit eindeutigen Suffixen kombinierbar ist, dann ist es [basisfähig] und ein (Prä-)Konfix.
Beispiele: cyber-isier, elektr-isch, faszin-ier, Ident-ität, ident-isch, kosm-isch, psych-isch.
Argument: Bildungen des Typs *Affix+Affix werden in der Morphologie in der Regel
abgelehnt. Es muss immer eine Basis und ein Affix in eine Bildung (Derivation) eingehen, bei
X+Suffix muss links also ein Basiselement vorliegen.
3.3 Der Test mit der o-Fuge (bei angelsächsischen „Verdächtigen“ nicht anwendbar)
3.3.1. Wenn ein Lehnelement links mit einer o-Fuge kombinierbar ist, dann handelt es sich
um ein (Prä-)Konfix, vgl. Elektr-o+motor, faszin-o+gen (Peter Sloterdijk), Kosm-o+polit/naut,
Psych-o+onkel.
3.3.2. Kann man ein rechts anzuordnendes Element wenigstens einmal mit einem
Linkselement mit o-Fuge kombinieren, dann ist das Rechtselement ein (Post-)Konfix.
Beispiele: Elektr-o+thek, therm-o+phil (wärme-FUG+liebend), cancer-o+gen (krebs-FUGerzeugend); anders: Apostroph(*o)+itis. Problem: Das "o" ist möglicherweise aus rein
phonologischen Gründen ausgeschlossen!
Problem: Das Vorkommen einer -o-Fuge ist (bei der Bildung eines Kompositionsstammes)
möglicherweise (empirische Frage  Materialuntersuchung) nicht ganz so systematisch, dass
hieraus ein sicherer Test gewonnen werden kann (man findet Merkelkratie und
Merkelokratie, Peri(*o)skop versus Stroboskop). Es müsste zudem genauer darauf gesehen
werden, inwiefern -o phonologischen, z. B. den Silbenkontakt betreffenden bzw. metrischen
Bedingungen folgt.
Fallbeispiel: -itis ‚Krankheit’ (ursprünglich ‚Entzündung’)
Wenn man das unsichere (!) Kriterium der lexikalischen (worthaft) versus
grammatischen/funktionalen (Suffixe) Bedeutung betrachtet, müsste -itis eigentlich ein
Postkonfix (ein „gebundenes Wort“) darstellen. Das Element kann aber nur ohne „o-Fuge“
auftreten: Apostroph(*o)itis, Telefon(*o)itis (oder mit Verb links Scheiß-er-itis, Dusch-er-itis).
Gibt es die fugenlosen Versionen nun deshalb, weil -itis kein Postkonfix, sondern ein
Lehnsuffix ist oder weil phonologische Gründe das „o“ ausschließen?
Wenn man die Bildungen derm-at-isch ‚zur Haut gehörend’ und Derm-at-itis ‚HautEntzündung’ sowie Derm-at-o-loge und Derm-o-plastik ‚Plastik/Nachbildung mit Haut’
vergleicht, sieht man, dass die Verfugung mit -at bei -isch zur Derivationsstammbildung (vgl.
Dr. W. Schindler. Zur Erkennung und Einstufung von Konfixen. PS/HS Morphologie. Seite 3
Eisenberg, Grundriß/ss, Band 1, Kap. zur Wortbildung) führt, so dass man -itis analog als
Derivationssuffix einstufen dürfte!
Es fällt auf, dass Fremdsuffixe fast immer vokalisch anlauten (-esk, -ität, -ismus, -oid),
wogegen Fremdpostkonfixe aus den alten Sprachen (Altgr., Lat.) konsonantisch anlauten, z.
B. -gen, -phil, -phob, -thek. Dem entspricht, dass sich Konfixe phonologisch wie Wörter
verhalten, während Suffixe tendenziell keine eigenständigen phonologischen Wörter
darstellen und phonologisch mit Material des voraufgehenden Basiselements fusionieren
(vgl. E.lek.tro.+thek und e.lek.tr+isch). Das ist zwar kein scharfes Diagnoseinstrument, aber
immerhin eine Daumen-mal-Pi-Hilfe, die sehr umsichtig anzuwenden ist.
Völlig überzeugend ist dieses Verfahren allerdings nicht, denn im nativen Bereich sieht man,
dass Suffixe sowohl phonologisch worthaft (-heit, -lich) als auch phonologisch
unselbstständig sein können (-ig, -isch). Allerdings liegt die phonologische Worthaftigkeit
zumindest bei –heit und –lich daran, dass hier ehemalige Kompositionselemente (früher: lîch
‚*Gestalt’, vgl. heute Leich(e)) vorliegen, die infolge eines Grammatikalisierungsvorgangs in
die Kategorie der Suffixe übergegangen sind.
Herunterladen