Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Tel. 06232 98123 Handy 0173 2976879 Mail [email protected] Volkswahl des Ministerpräsidenten Zur Einführung der Direktwahl des Ministerpräsidenten durch Änderung der Bayerischen Verfassung im Wege der Volksgesetzgebung auf Initiative der ÖDP Politikverdrossenheit grassiert, und das hat triftige Gründe. Die politische Klasse kapselt sich vom Volk ab. Die Menschen haben zunehmend das Gefühl, dass Politik über ihre Köpfe hinweg gemacht und ihnen Politiker vorgesetzt werden, die sie gar nicht gewählt haben. Der Eindruck der Bürgerohnmacht verstärkt sich noch, wenn eine Partei in einem Lande seit vielen Jahrzehnten dominiert und in ihrer scheinbaren Allmacht meint, Vorschläge wie den hier unterbreiteten von hoher Hand abtun zu können. Derzeit fehlt eine wirkliche Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament. Die Mehrheit des Parlaments sieht ihre Aufgabe kaum darin, die Regierung zu kontrollieren. Stattdessen will sie die Regierung, die sie gewählt hat, vor allem stützen und gegen Angriffe der Opposition verteidigen. Regierung und Regierungsfraktionen bilden eine – durch die Regierungsparteien verbundene – politische Einheit. Dem steht zwar die Opposition gegenüber; die aber kann jederzeit überstimmt werden. Auch die Freiheit des Mandats steht häufig nur auf dem Papier, wenn „Abweichler“ ihre Wiederaufstellung bei der nächsten Landtagswahl riskieren und die Fraktion deshalb geschlossen abstimmt. 1 Um wirkliche Verbesserungen zu erreichen, reichen kleine Änderungen nicht aus, bloße Appelle an Politiker schon gar nicht. Wir müssen vielmehr an den Schlüsselstellen politischer Machtausübung ansetzen. Doch ihre eigene Machtbasis selbst beschneiden – das wollen die herrschenden Parteien nicht, nicht einmal zu Gunsten der Bürgerschaft, also des Souveräns, von dem doch eigentlich alle Macht im Staat ausgehen sollte. Wirkliche Reformen müssen deshalb – an der politischen Klasse vorbei – durch Volksbegehren und Volksentscheid durchgesetzt werden. Und dieser Weg steht der Bevölkerung in Bayern von Verfassungs wegen offen, auch wenn dies immer noch zu wenig bekannt ist. Die Eckpunkte der Reform sind: 1. Der Ministerpräsident wird direkt vom Volk gewählt, nicht wie bisher durch die Mehrheits-Parteien im Parlament. 2. Der Ministerpräsident, die Staatsminister und die Staatssekretäre dürfen – im Interesse der Gewaltenteilung – nicht gleichzeitig noch Abgeordnete sein. Sie erhalten dann auch keine Abgeordneten-Entschädigung, keine AbgeordnetenMandatsausstattung und keine Abgeordneten-Versorgung mehr. Sie können das Mandat - schon wegen der Belastung durch das Regierungsamt – ja ohnehin nicht voll ausüben. Die Direktwahl legt die Entscheidung, wer Ministerpräsident wird, in die Hand der Bürger. Das ist sehr viel demokratischer, als wenn die Partei den Ministerpräsidenten bestimmt. Derzeit wird häufig jemand Ministerpräsident, der noch nie als Spitzenkandidat einer Partei eine Landtagswahl gewonnen hat. Horst Seehofer ist dafür ein Beispiel. Er verdankt sein Amt allein seiner Partei. Seehofer wurde bekanntlich nach der Landtagswahl von 2008 gegen Beckstein ausgewechselt, und auch Beckstein war Edmund Stoiber auf Grund eines Parteitagsbeschlusses gefolgt. Auf die Berufung beider Ministerpräsidenten hatte das Volk keinen Einfluss. Hätten wir die Direktwahl schon damals gehabt, wäre die Bestellung des ersten Mannes im Freistaat über die Köpfe der Bürger hinweg nicht möglich gewesen. 2 Auch echte Gewaltenteilung würde hergestellt. Die Direktwahl wertet - neben dem Regierungschef - auch den Landtag auf. Es geht also nicht um ein Nullsummenspiel. Was der Ministerpräsident an Gewicht gewinnt, führt keineswegs zu einer Schwächung des Landtags. Im Gegenteil: Die Landtagsmehrheit braucht es dann nicht mehr als ihre Aufgabe zu sehen, den - nun vom Volk gewählten Ministerpräsidenten und seine Regierung zu stützen. Vielmehr steht der Landtag nun als Ganzer der Regierung auf Augenhöhe gegenüber und kann seine verfassungsmäßigen Aufgaben der Gesetzgebung und der Regierungskontrolle voll erfüllen. Das stärkt das Vertrauen ins Parlament und wirkt seinem sonst drohenden Bedeutungsverlust entgegen. Politikwissenschaftler wie Ernst Fraenkel haben gezeigt, dass Parlamente gerade dort mächtig sind, wo sie die Regierung nicht bestellen und per Misstrauensvotum abberufen können. Die Volkswahl des Regierungschefs zwingt die Parteien, attraktive Kandidaten zu präsentieren, sich zu öffnen und nicht nur langjährige Parteikarrieristen aufzustellen. Die Sach- und Gemeinwohlorientierung der Politik(er) wird verstärkt, die Möglichkeit politischer Führung verbessert, parteipolitische Ämterpatronage wird tendenziell eingedämmt, und die Rolle der Abgeordneten und Parlamente aufgewertet. Insgesamt wird die Herrschaft der Parteien, die ja nach dem Grundgesetz nur an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken und sie nicht beherrschen sollen, auf ein sinnvolles Maß zurückgeführt. Bezeichnend ist, dass auch Parteien selbst inzwischen die Basisnähe suchen und ihre Spitzen unmittelbar von den Mitgliedern wählen lassen. Ein aktuelles Beispiel sind die Grünen. Konsequenter Weise sollten dann aber auch die Regierungsspitze im Land von den Bürgern gewählt werden. Alle Einzelheiten sind in einer umfassenden Speyerer Dissertation von Jan L. Backmann durchdekliniert. Herr Backmann ist zweifacher Doktor. Zunächst machte er in München den Dr. jur. mit „summa cum laude“ und sodann an der Speyerer Hochschule den Dr. rerum publicarum mit der Arbeit „Die Direktwahl der Ministerpräsidenten als Kern einer Reform der Landesverfassungen“ (Verlag Duncker und Humblot, Berlin 2006), übrigens ebenfalls mit „summa cum laude“. 3 Backmann weist auch darauf hin, dass sich ein direkt gewählter Ministerpräsident im Bundesrat weniger leicht zu parteipolitischer Blockadehaltung verleiten oder aus Rücksichtnahme auf den politischen Partner zu Enthaltungen bewegen lässt, die im Bundesrat wie Nein-Stimmen zählen. Die Direktwahl kann so auch die politische Handlungsfähigkeit des Bundes verbessern. Es reicht aber nicht, über Reformen bloß zu reden und zu schreiben. Man muss es auch tun. Jemand muss bereit sein, die Ärmel hochzukrempeln. Deshalb verdient der Beschluss der ÖDP, sich für eine große Verfassungsreform im Lande einzusetzen, Respekt und Anerkennung. Das Verfahren gestaltet sich wie folgt: Für den Gesetzentwurf zur Reform der Landesverfassung sind in der ersten Stufe, dem Antragsverfahren, das in diesen Tagen beginnt, 25 000 Unterschriften erforderlich. In der zweiten Stufe, dem eigentlichen Volksbegehren, müssen 10 Prozent der Wahlberechtigten unterschreiben. Wenn das gelingt, kommt es zur Volksabstimmung. Hier muss, da es um eine Verfassungsänderung geht, mindestens die Hälfte der Wahlberechtigten zustimmen. Hohe Hürden, gewiss. Dennoch: Die Initiative dürfte gute Chancen haben, weil sie die Bürgernähe der Politik verbessert und die politische Handlungsfähigkeit erhöht. Und nicht zuletzt ist sie für die Bürger hoch attraktiv. Aus Umfragen wissen wir, dass rund 80 % der Menschen ihren Ministerpräsidenten direkt wählen wollen. Das ist übrigens eine ähnlich große Mehrheit wie sie 1991 bei einer Volksabstimmung in Hessen erreicht wurde. 82 Prozent der Abstimmenden votierten damals dafür. So wurde die Direktwahl der kommunalen Verwaltungsspitze mit großer Mehrheit durchgesetzt. In anderen Ländern brauchte dann nur noch glaubwürdig mit einem Volksbegehren gewunken zu werden, um selbst die widerstrebendsten Landtage zur Einführung der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte zu bewegen. 4 In den Ländern ist die Situation ganz ähnlich wie in den Kommunen. Ihre Hauptaufgabe liegt nicht, wie im Bund, in der Gesetzgebung, sondern in der Verwaltung. Selbst Bundesgesetze werden von den Ländern vollzogen. Wenn aber das Schwergewicht der Länder im Bereich der Exekutive liegt, liegt es dann nicht nahe, auch den Exekutivchef vom Volk wählen zu lassen und ihm dadurch volle demokratische Legitimation zu verschaffen? Gelingt es, das neue Verfassungsmodell in Bayern durchzusetzen, kann das wie ein demokratischer Urknall wirken und die Reformbereitschaft auch in anderen Ländern und im Bund schlagartig erhöhen. (Ende) 5