Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung )m 9.7.2000, S. 4 MinIsterpräsidenten direkt vom Volk wählen lassen . Ein Plädoyer für neue Länderverfassungen / Der" Urknall" könnte in Rheinland-Pfalz geschehen / Von Hans Herbert von Arnun Politikerverdrossenheitgrassiert, und sie - Regierungsmitglieder dürfen - im In- schieren bei der Landtagswahl ausgesprohat nachvollziehbare Ursachen: In Regie- teresse der Gewaltenteilung - nicht gleich- ehen. Auch die Bundes-FDP und der rung und Parteien fehlt es an Führung, zeitig Abgeordnete s e i n . ' SPD-Bundesgeschäftsführer Müntefering Das neue Verfassungsmodell gibt den haben Ähnliches in die Debatte gebracht. , drängende Probleme werden nicht gelöst. Zugleich kapseit sich die politische Klasse Bürgern wirkliche Mitentscheidun.gsrech- Doch das Schicksal d,erartiger Vors~hläge /: vom Volk ab und erschwert den Zugang te. Der Einfluss der Wähler auf die Aus- war bisher, dass sie, oft nur halbherZIg vorfür neue' politische Talente, die den Etab- wahl des politis~hen pers.o,nals zwin~~ die I" gebracht, von der Mehrheit der BetroffeParteien attraktIve KandIdaten zu prasen- nen ganzherzig niedergeschlagen wurden. ' lierten Beine machen könnten. Es reicht nicht aus, über Reformen des Einzelne Teiländerunge.n der Verfas- tieren. Die Herrschaft der Parteien wird sung reichen nicht' aus, bloße Appelle an auf das grundgesetzliche Ma~. zurückg~- politischen Systems bloß zu reden. Ma? Politiker schon gar nicht. Wir müssen das führt ("Mitwirkung an der PO~ItIschen WIl- muss es tun. Irgendjemand muss ber~It System ändern, wobei die Neuerungen an lensbildung des Volkes"). DIe Sa<:h: und sein die Ärmelhochzukrempeln. Vor dIeden Schlüsselstellen politischer Machtaus- Gemeinwohlorientierung der PohtIk( er) sem' Hintergrund verdient' d~r Beschluss übung ansetzen müssen.', Doch ihre eige- wird systematisch verstärkt, die Möglic~- der Freien Wähler von Rhemland-Pfalz, nen Besitzstände selbst beschneiden - das keit politischer Führung verbessert, dIe sich mit ihren 20 000 Mitgliedern für eine können die Parlamente nicht. Solche Re- Gewaltenteilung und die Kontrolle der große Verfassungsreform im Lande einz~formen mussen deshalb durch Volksbegeh- . Verwaltung durch die Politik werd~p. wie- setzen, Respekt und Anerkennung, dIe ren und Volksentscheid durchgesetzt wer- derhergestellt,die parteipolitische' Amter- auch dadurch nicht gemindert werden, patronage wird tendenziell eingedämmt, ' dass die Freien Wähler sich durch dieses den.. Und die gibt es nur in den Ländern. Die ,Eckpunkte des Reformmodells 'und die Rolle der Abgeordneten und Par- Projekt vielleicht auch Rückenwind für ihlamente - entgegen dem er~ten Anschein re Landtagskandidatur erhoffen. sind: Das Verfahren gestaltet sich in Rhein- Der Ministerpräsident wird direkt ' - aufgewertet. Es gab zwar immer wieder Vor~c~läge land-Pfalz wie folgt: Für den Gesetzentvom Volk gewählt, nicht wie bisher durch in die anvisierte Richtung. Den MImster- wurf zur Reform der Landesverfassung die Parteien im Parlament. ' sind in der ersten Stufe, dem Antragsver- Auch das Landtagswahlrecht wird bür,- präsidenten direkt zu wählen, hatte schon Politikwissenschaftler Theodor fahren, das in diesen Tagen beginnt, gernäher: Der Wähler kann nicht nur star- der 20 000 Unterschriften erforderlich. In der re Listen ankreuzen, sondern einzelne Ab- Eschenburg vorgeschlagen. In die gleich~ Richtung ging die "Frankfur~er In.terven~I~ zweiten Stufe, dem eigentlichen Volksbegeordnete auswählen: durch Kumulieren on", ein Kreis von Persönhchkelten, dIe gehren, müssen etwa 600000 (= 20 Pr~­ (mehrere Stimmen für einen Kandidaten) unabhängig von Parteigrenzen Reformvor- zent der Wahlberechtigten) unterschrelund Panaschieren (Wahl von Kandidaten schläge entwickelten. Zu ihren Mitglie- ben. Macht der Landtag sich den Gesetzunterschiedlicher Parteien). dern gehörten Joachim Fest und Konrad entwurf nicht zu Eigen, kommt es zur - Die Fünfprozentklausel wird abgeAdam von der F.A.Z. sowie der Verfasser Volksabstimmung. Hier muss bei Verfasschafft, damit der, politische Wettbewerb dieses Beitrags. Auch Ministerpräsiden- sungsänderungen mindestens die Hälfte stark bleibt. Sinn der Klausel ist es, Splitten wie Bernhard Vogel (CDU) und Hen- der Wahlberechtigten zustimmen. terparteien zu verhindern, um die Bildung. ning Voscherau (SPD) sprachen sich für I Hohe Hürden, gewiss. Doch die Initiatider . Regierung zu erleichtern. Bei der die Direktwahl aus. Eine (von der rhein- ve dürfte dennoch gute Chancen haben, Wahl der Regierungsspitze durch das land-pfälzischen CDU eingesetzte) Kom- weil sie die politische Handlungsfähigkeit Volk fällt dieses Argument weg. mission unter Vorsitz des früheren Bun- erhöht und die Bürgernähe der Politik verdestagspräsidenten Kai Uwe von Hassel bessert. Und sie ist für die Bürger attrak- Der Landtag ist als Teilzeitparlament (der auch der Verfasser angehörte) hatte tiv: In der Umfrage einer rheinland-pfälzizu organisieren, damit das Mandat auch vor zehn Jahren vorgeschlagen, zum Teil- schen Zeitung sprachen sich 88 Prozent für beruflich erfolgreiche Leute attraktiv zeitabgeordneten z.~rückzukehren. Dahin für eine künftige Direktwahl des Ministe~­ wird; Beruf und Mandat können dann negehen jüngst auch Uberlegungen der saar- präsidenten aus, eine ähnliche MehrheIt beneinander ausgeübt werden; die Parteiländischen SPD. Der rheinland-pfälzische wie 1991 bei einem hessischen Referenabhängigkeit der Abgeordneten wird geMinisterpräsident Kurt Beck (SPD) hat dum. Damals votierten 82 Prozent der Abmindert und ihre Bürgernähe erhöht. sieh soeben für Kumulieren und Pana- stimmenden für die Direktwahl von Bürgermeistern, Oberbürgermeistern und I Landräten, die daraufhIn in Hessen und anderen Ländern eingeführt wurde. Verfassungen verlieren in der Demokratie ihre Legitimation, wenn sie in zent!alen Punkten nicht mehr von der MehrheIt des Volkes von dem alle Staatsgewalt ausgeht, g~tiagen werden. . . Die etablierte rheinland-pfälzIsche Pohtik lehnt die Reform-Initiative überwiegend ab und versucht, ihr formal Steine in den Weg zu legen. Zum 18. Mai, de.m rheinland-pfälzischen Verfassungstag, 1st zwar eine Verfassungsänderung in Kraft getreten. Dabei haben Regierung und Parlament aber verschwiegen, dass der Kern der Änderung - die Halbierung der erforderlichen Unterschriften für Volksbegehren von bisher 600 000 auf 300 000 Unterschriften - aufgrund einer Sonderbestimmung (Art. 14:3a Landesvedassung) erst dann wirksam wird, wemi auch das Ausführungs gesetz vorliegt. Sein Erlass wi~d bisher wohlweislich hinausgezögert. DIe Landtagsparteien wollen damit das R~­ formvorhaben der Freien Wähler (das Ja schon seit längerem bekannt ist) erschweren - jedenfalls so lange, bis die im März 2001 anstehende Landtagswahl vorüber ist. Solche taktischen Spielchen, die einmal mehr Machtpolitik vor Sachpolitik stellen, werden die Reform aber schwerlich verhindern können. Gelingt es, das neue Verfassungsmodell in Rheinland-Pfalz durchzusetzen, kann das wie ein demokratischer Urknall wirken und die Reformbereitschaft auch in anderen Ländern und im Bund schlagartig erhöhen.